Fest im Glauben - stark im Leben - Birgit Schilling - E-Book

Fest im Glauben - stark im Leben E-Book

Birgit Schilling

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Beschreibung

Viele Christen erleben eine Diskrepanz zwischen dem, wie die Bibel das Leben eines kraftvollen Jesusnachfolgers darstellt, und ihrer eigenen Realität. Entmutigt oder verbittert gewöhnen sie sich an den Status Quo - aber muss das so sein? Birgit Schilling ist überzeugt: Nein! Reife ist nicht nur ein frommer Wunsch! Authentisch und klar zeigt sie mit vielen Beispielen aus ihrem eigenen Leben, wie man als Christ ein starkes Leben führen und einen festen Glauben haben kann. Dazu gehört u. a. eine klare Vision, starke Vorbilder, viel Training und gute Beziehungen. Viele Vorschläge für die konkrete Umsetzung helfen dabei, das Geschriebene einzuüben. Eine absolut notwendige Lektüre für jeden Christen!

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Birgit Schilling

Fest im Glauben – stark im Leben

Geistlich reif werden

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Bestell-Nr. 226.717

ISBN 978-3-417-26986-9 (E-Book)

ISBN 978-3-417-21991-3 (PDF)

ISBN 978-3-417-26717-4 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

© 2011 SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG · Bodenborn 43 · 58452 Witten

Internet: www.scm-brockhaus.de; E-Mail: [email protected]

Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:

Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

Weiter wurden verwendet:

Neues Leben. Die Bibel, © Copyright der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 by SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten. (NLB)

Bibeltext der Neuen Genfer Übersetzung. Copyright © 2009 Genfer Bibelgesellschaft, CH-1204 Genf. Wiedergegeben mit der freundlichen Genehmigung. Alle Rechte vorbehalten. (NGÜ)

Das Buch. Neues Testament – übersetzt von Roland Werner. © 2009 SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten. (DBU)

Umschlaggestaltung: Dietmar Reichert, Dormagen

Satz: OLD-Media OHG, Neckarsteinach

Druck und Bindung: CPI-Ebner & Spiegel, Ulm

Printed in Germany

Für Christina, Nelli, Marcus, Tim und Wolfgang

Inhalt

Vorwort von Thomas Härry

Einleitung – Stark im Glauben, aber schwach im Leben?

1. Das Dilemma

Warum unser Anspruch oft nicht mit unserer Realität übereinstimmt

2. Die Vision

Mit Jesus in die Zukunft träumen

3. Das Training

Der Weg zur Reife

4. Freundschaft

Wie Freundschaften uns auf dem Weg zur Reife helfen

5. Die Krise

Wie schwere Zeiten uns innerlich stark machen

6. Reife

Von der Freude, Jesus immer ähnlicher zu werden

Epilog

Anhang

Lebensverändernde Gebetszweierschaften

Vorschlag für Ablauf und Gestaltung einer Kleingruppe

Vorwort

von Thomas Härry

Sie halten ein wichtiges Buch in Ihren Händen! Eines, das Ihr Glaubensleben auf eine Weise beleben kann, wie Sie es bisher nicht für möglich gehalten haben.

Was veranlasst mich zu dieser Überzeugung?

Im Frühjahr 2009 stieß ich im Internet zufällig auf die Ergebnisse einer 2008 vom Barna-Institut in den USA landesweit durchgeführten Studie unter 1005 erwachsenen Christen und Pastoren aus verschiedenen Denominationen (die auch in diesem Buch zur Sprache kommen wird). Sie wurden nach ihrem Verständnis von geistlicher Reife gefragt: wie sie geistliche Reife definieren. Was ihrer Meinung nach konkrete Kennzeichen und Merkmale eines geistlich reif gewordenen Menschen sind. Wie nach ihrem Verständnis solche Reife entsteht usw.

Gemäß dieser Studie teilt eine erstaunliche Mehrheit der Befragten (81 Prozent) die Meinung, geistliche Reife bestände im Wesentlichen darin, sich mit harter Anstrengung darum zu bemühen, nach den Regeln der Bibel zu leben. Selbst Vertreter von Glaubensrichtungen, deren Theologie die Gnade Gottes ins Zentrum stellt, vertraten mehrheitlich diese Sicht.

Dieses Ergebnis ließ mich aufhorchen. Ist es ein US-amerikanisches Phänomen, dass Glaubenswachstum in erster Linie als die Folge eigener, harter Bemühungen verstanden wird? Oder stellt sich das bei uns ähnlich dar? Meine Beobachtungen in unserem deutschsprachigen Kontext veranlassen mich stark dazu, das Zweite für wahrscheinlicher zu halten.

Im selben Atemzug stellte ich mir selbst die Frage: Wie definiere ich persönlich Reife im Glauben? Welche Kennzeichen weist nach meinem Verständnis ein Mensch auf, den Gott anhaltend erneuert und verändert hat, wie es die Bibel als eine der zentralen Absichten Gottes mit uns definiert (siehe Römer 8,29)? Wie wird man fest im Glauben, stark im Leben? Es war (und ist bis heute) spannend, dieser Frage nachzugehen und die Bibel bewusst unter diesem Aspekt zu studieren.

Doch warum ist es so wichtig, dass wir uns die Frage stellen, was die Bibel unter Reife versteht? Weil die Art und Weise, wie wir als Christen unser Leben gestalten, immer eine bewusste oder unbewusste Antwort auf diese Frage ist. Was wir denken, wie wir beten, wie wir Entscheidungen treffen, wie wir die Bibel lesen, wie wir uns in unserer Kirche bewegen und einbringen – all das ist immer ein Ausdruck davon, was wir im Tiefsten unseres Herzens über das Reifwerden im Glauben denken. Leistungsorientierter Glaube ist genauso Ausdruck eines bestimmten Reifeverständnisses wie Oberflächlichkeit und Unverbindlichkeit.

Das Buch von Birgit Schilling wagt es, in dieses oft diffus definierte Thema vorzudringen. Ihr Buch führt nicht nur in das geheimnisvolle Miteinander von Gottes Wirken einerseits und menschlicher Verantwortung andererseits ein. Es weckt vor allem Sehnsucht danach, im Glauben zu wachsen. Es stärkt unsere Erwartung, dass Gott tatsächlich entscheidend viel mehr mit uns vorhat, als uns einen Platz im Himmel zu sichern und ein paar Aufgaben in der Kirche aufzubürden. Birgit Schilling schildert mit Begeisterung die herrliche Aussicht auf ein Leben, in dem Gottes erneuernde Kraft mehr und mehr sichtbar wird. Sie macht Appetit auf einfache und doch sehr wirkungsvolle Schritte, durch die Gott uns schleifen, formen und reifen lassen kann. Ihre Begeisterung steckt an und zieht sich wie ein roter Faden durch die vor Ihnen liegenden Seiten. Die Autorin kommt mir dabei vor wie eine Trainerin, die am Spielfeld steht und die Mannschaft von der Seitenlinie aus mit aller Kraft anfeuert, an den Sieg zu glauben.

Am Ende dieses Buches werden Sie ein geschärftes Bild davon haben, wie Glaubensreife in Ihrem eigenen Leben aussehen kann. Und Sie werden eine ganze Fülle von praktischen Ideen haben, welches für Sie gehbare Schritte sein könnten. Es mögen da und dort zaghafte, unvollkommene Schritte werden – die im Verhältnis zu Gottes enormer Investition in Ihr Reifen zwar klein, aber keineswegs unbedeutend bleiben.

Thomas Härry

Dozent am Theologisch-Diakonischen Seminar Aarau

Schweizer Redakteur von »Aufatmen«, Autor und Referent

Einleitung

Stark im Glauben, aber schwach im Leben?

Seit Jahrzehnten beschäftigen mich zwei verschiedene Themenbereiche. Zum einen Fragen wie: »Was bringt mich weiter? Wie kann ich ›heiler‹ werden? Fröhlicher, selbstbewusster, belastbarer, stabiler, innerlich stärker? Wie kann ich meinen Charakter festigen und an Lebenstüchtigkeit zunehmen? An den Herausforderungen des Lebens wachsen?«

Zum anderen beziehen sich diese Fragen auf meine Beziehung zu Gott: »Wie kann ich Jesus ähnlicher werden (Stichwort Heiligung)? In die Herzenshaltung Jesu hineinwachsen? Wie mehr von seinem Wort durchdrungen werden? Inniger mit ihm leben?«

Wenn ich auch schon immer ahnte, dass diese beiden Bereiche zutiefst zusammengehören, hielt ich sie doch lange Zeit völlig getrennt. Es gab das »geistliche« und das restliche Leben.

Heute erlebe ich das anders. Wachstum im Glauben einerseits und Wachstum im Leben andererseits gehen für mich Hand in Hand. Ich kann nicht im Glauben starkund im Leben schwach sein.Es sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Ich kann nicht in Segmenten unterteilt wachsen, sondern nur als ganze Person. Ich kann nicht im Glauben stark und im Leben schwach sein. Fest im Glauben, stark im Leben – gesundes Wachstum geschieht in beiden Bereichen gleichzeitig. Deshalb verstehe ich »geistlich reif werden« in genau diesem Sinne: mit Jesus reif werden. Für Jesusnachfolger spielt ihr Glaube an Jesus Christus im Blick auf die Reife eine ganz entscheidende Rolle. Jesus ist die Person, die uns zur Reife führen möchte. Und zwar als ganze Personen, mit allem, was uns ausmacht: unseren Emotionen, unserem Verstand, unseren Lebensmustern und Haltungen. Mit allem. Die Reife, die Gott in uns heranwachsen lassen möchte, erstreckt sich außerdem auf alle Lebensbereiche: auf unseren Charakter, unsere Beziehungen, unsere Arbeit, auf unser ganzes Leben. Jesus ist die Person, an der sich unsere Reife misst.

In der von Thomas Härry bereits erwähnten Umfrage bekräftigten die allermeisten Christen ihren Wunsch nach Wachstum, doch die wenigsten konnten sagen, was mit geistlicher Reife überhaupt gemeint sei und wie man sie anstreben könne. Mir ist diese Orientierungslosigkeit vertraut. In den letzten Jahren war ich intensiv auf der Suche nach Zusammenhängen, handfesten Konzepten, konkreten Ideen, die mich nicht nur zur Reife anspornten und dann im Nebel stehen ließen, sondern die mich an die Hand nahmen und mir kleine Schritte aufzeigten, wie ich heute, am Anfang des dritten Jahrtausends, diesem Jesus Christus nachfolgen und mein Leben von ihm prägen lassen kann.

Ich schreibe dieses Auf dem Weg Jesu zu sein istdie denkbar beste Art zu leben.Buch aus der tiefen Überzeugung heraus, dass der Weg der geistlichen Reifung ein Weg ins Leben ist, in die Freude. Jesus ist dieser Weg ins Leben. Und damit meine ich nicht nur das ewige Leben im Sinne von dem Leben nach dem Tod, sondern das ewige Leben, das jetzt und hier schon begonnen hat. Auf dem Weg Jesu zu sein ist die denkbar beste Art zu leben.

Ich bin eine Praktikerin. Ich liebe Theorien nur insoweit, als sie einen praktischen Nutzen für mein tatsächliches Leben haben. In meiner Beratungspraxis begleite ich Einzelpersonen und Paare, denen sowohl ihr Wachstum im Leben als auch im Glauben von Bedeutung ist. Sie haben mich zum Schreiben inspiriert, von ihnen habe ich viel gelernt.

Dieses Buch ist vor allem für Menschen, denen der Glaube an Jesus Christus zentral wichtig für ihr Leben ist. Doch auch wenn Ihnen der Glaube eher fremd ist, werden Sie hier wertvolle Impulse finden. Und Sie können einen Einblick gewinnen, wie das Leben als leidenschaftlicher Jesusnachfolger aussieht. Sie werden sehen: Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Doch gleichzeitig hoffe ich, dass Sie meine Begeisterung für Gott zwischen den Zeilen spüren und sehen, wie umfassend die Beziehung zu Jesus Christus alle Bereiche des Lebens durchdringt.

Menschen, die mir durch ihr Leben zeigen, dass Veränderung mehr ist als nur ein christlicher Anspruch, waren und sind für meinen Wachstumsprozess sehr wichtig. Sie sind mir Vorbilder, die in mir die Hoffnung stärken, dass der Glaube tatsächlich unser Sein verändert. Besonders dankbar bin ich Gail und Gordon MacDonald. Sie haben mein Leben durch ihre Bücher, Vorträge und durch persönliche Gespräche in den letzten zehn Jahren stark geprägt. In ihrer ungewohnt großen Offenheit schenkten sie anderen und mir Einblick in ihr Leben. Das hat mich inspiriert und angespornt. Und es hat mich ermutigt, selber transparent und offen von meinen Lernschritten, Fragen, Krisen und Aha-Erlebnissen zu berichten.

So ist dieses Buch eng an meine Erfahrungen der letzten Jahre geknüpft. Bestimmte Ereignisse hinterließen Spuren bei mir und forderten mich dazu heraus, mich zu verändern und reif zu werden. »Ich muss darauf vertrauen, dass Gott in mir am Werk ist und dass die Art, wie er mich an neue innere und äußere Orte führt, ein kleiner Ausschnitt seiner Absichten mit der ganzen Welt ist, und dass sie deshalb grundsätzlich etwas über seine Absichten mit uns verrät«, sagt Henri Nouwen1.

Eines ist mir jedoch wichtig: Haben Sie beim Lesen acht auf Ihr Herz! Während einer Südafrika-Reise erfreute ich mich an einer besonders schönen Lilienart. Warnschilder in den Gästehäusern erstaunten mich allerdings: Dort hieß es, man solle ebendiese Lilienart auf keinen Fall außer Landes nehmen. In Neuseeland habe diese wunderschöne Blume eine Naturkatastrophe ausgelöst, weil sie sich enorm vermehrte und einheimische Blumen verdrängte.

Gott hat seinen ganz eigenen Weg mit Ihnen. Nicht alles, was ich schreibe, passt in Ihre »Landschaft«. Gehen Sie dem nach, was Sie anspricht. Überlesen Sie ruhig die Abschnitte, die bei Ihnen Druck auslösen. Sie erhalten hier eine über Jahre angesammelte geballte Ladung an Ideen und Anregungen.

Vielleicht möchten Sie das Buch zunächst einmal zügig durchlesen. Doch dann suchen Sie sich ein oder zwei Gedanken oder Ideen heraus. Sprechen Sie mit Jesus und Freunden darüber, und prüfen Sie, ob Sie diese in Ihrem Glauben und Leben stärken oder nicht.

Im ersten Kapitel »Das Dilemma« zeige ich Zusammenhänge auf, die uns davon abhalten, geistliche Reife zu entwickeln. »Die Vision« nimmt dann das in den Blick, wo wir mit Gottes Hilfe hinwachsen möchten. Das Kapitel »Das Training« möchte aus unterschiedlichen Blickwinkeln konkrete Wege zur Reife aufzeigen. Da andere Menschen für uns in diesem Prozess unerlässlich sind, nimmt das nächste Kapitel die Form von Gemeinschaft unter die Lupe, die wir heute im 21. Jahrhundert vor allem leben: »Freundschaft«. Wie uns Krisen in unserem Anliegen, in Glaube und Leben zu wachsen, nicht zu Fall bringen, sondern stärken, zeigt das Kapitel »Die Krise« auf. Das letzte Kapitel »Reife« dann malt uns noch einmal vor Augen, nach was wir eigentlich streben und warum wir das tun.

Es ist nicht zwingend, die Kapitel nacheinander zu lesen. Sie können die Kapitel auch in anderer Reihenfolge lesen, je nachdem, welches Thema Sie besonders anspricht.

Übrigens entstand die Idee zu diesem Buch während der Vorbereitung einer Tagung auf dem Dünenhof. Viele wunderbare Frauen haben mich dort dazu ermutigt, es zu schreiben. Ich danke Frau Aufermann dafür, dass sie meine Vorträge abgetippt und somit für dieses Buch verfügbar gemacht hat. Silke Gabrisch, meiner Lektorin, danke ich für ihre kompetente und freundliche Unterstützung.

Vor allem danke ich Wolfgang, meinem Mann, dass er mich, wie schon so oft, während des Schreibprozesses immer wieder angefeuert und ermutigt hat.

1. Das Dilemma

Warum unser Anspruch oft nicht mitunserer Realität übereinstimmt

Wir Jesusnachfolger haben ein Problem. Wir leben nicht das, wozu wir berufen sind und was wir selber Sonntag für Sonntag verkündigen. Laut Neuem Testament sollen wir mit zunehmendem Alter charakterstärker und reifer werden. In unseren Kirchen und Gemeinden sollte es also geradezu wimmeln von veränderten, freudigen, lebendigen und liebevollen Menschen. Doch das ist nicht der Fall.

Vor Kurzem erwähnte ein gläubiger Manager während eines Coachings einen Mann, der ihm ein Vorbild sei, da er »Christ und trotzdem positiv, authentisch und bodenständig« sei. In seinem Umfeld erlebe er im Allgemeinen zwei Gruppen von Menschen: die Mitglieder seiner Gemeinde, die eher komisch und wenig froh seien, und positive, bodenständige Freunde außerhalb der Gemeinde.

Eine Teilnehmerin an einem meiner Seminare sagte: »Ich kenne keine ältere Frau in meiner Gemeinde, die meine Mentorin werden könnte. Bei den meisten denke ich: So will ich auf keinen Fall werden!«

Das ist doch nicht normal! Das ist doch nicht das, was Jesus für uns als seine Nachfolger im Sinn hatte! Paulus spricht in seinen Briefen immer wieder die Entwicklung eines normalen Christen an. Im Römerbrief sagt er, unser Ziel sei es, Jesus »gleich gestaltet« zu werden (vgl. Römer 8,29). An die Galater schreibt er, dass Christus in uns »Gestalt gewinnen« soll (vgl. Galater 4,19). Den Kolossern teilt er mit, dass jeder Mensch in Christus »vollkommen« werden soll (vgl. Kolosser 1,28). Das sind unterschiedliche Beschreibungen mit verschiedenen Schwerpunkten, aber es geht immer um ein und dasselbe: um die Veränderung des Charakters. Um Heiligung. Darum, Jesus ähnlicher zu werden. Es geht um Reife und innere Stärke.

Woher kommt Wie kann es sein, dass so eingroßer Unterschied bestehtzwischen dem, was die Bibelsagt, und dem, was wir erleben?also diese Diskrepanz? Wie kann es sein, dass so ein großer Unterschied besteht zwischen dem, was die Bibel sagt, und dem, was wir erleben? Die Gründe sind vielschichtig. Ich will mich mit Ihnen zusammen auf die Suche machen.

Ein paar Beobachtungen

Folgendes beobachte ich bei uns Christen in Kirchen und Gemeinden:

1.

Wir haben uns daran gewöhnt, dass wir nurwenige starke, attraktive Christen kennen,und denken daher: »Das ist normal.«

Wir sind vielleicht diffus desillusioniert und enttäuscht über den Reifestand geistlicher Leiter oder auch über unser eigenes geistliches Leben, aber wir denken: »Na ja, so ist das nun einmal. Vollkommen werden wir eben doch erst im Himmel sein.« Und obwohl wir die Bibel ab und zu oder sogar regelmäßig lesen, lassen wir uns nicht mehr von ihrem Anspruch, davon, wie sie Nachfolger Jesu beschreibt, schockieren. Mehr noch: Wir beziehen das Gelesene oft gar nicht auf unser eigenes Leben und unseren konkreten Alltag. Das alles scheint uns normal, wenn auch wenig spannend und begeisternd zu sein.

2.

Wir trennen unser sogenanntes »geistliches« Leben vonunserem restlichen Alltag.

Leben wir nicht alle irgendwie in dieser eigenartigen Schizophrenie? Zum geistlichen Leben gehört für uns: Gemeinde, Gottesdienst, Bibellesen, Beten und der Hauskreis. Der Rest ist unser sonstiges Leben: unser Beruf, unsere Ehe und Familie, unser Charakter, unsere Seele. Heiligung scheint sich nur auf den ersten Bereich zu beziehen. Wenn uns jemand fragt: »Wie sieht dein geistliches Leben aus?«, denken wir sofort daran, wie es um unsere »Stille Zeit«2 steht.

Doch wenn wir Jesus in den Evangelien betrachten, begegnen wir einer völlig anderen Sichtweise. Jesus geht es immer um den ganzen Menschen – um seine Motive, seinen Lebensstil, seine verborgenen Gedanken, seine Beziehungen, sein Tun und Handeln in jedwedem Lebensbereich. Er lehnt eine Trennung in geistliche und sonstige Bereiche ab und wehrt sich gegen die Einteilung in »geheiligt« und »profan«, als er von den Schriftgelehrten damit konfrontiert wird (vgl. Matthäus 12,1-8). Er will Herr über alle Bereiche unseres Lebens sein und will sie mit seiner Art prägen. Ich kann nicht im »frommen Bereich« stark und als sonstiger Mensch schwach sein. Oder umgekehrt. Reife hat mit dem ganzen Leben zu tun.

3.

Wir folgen einem falschen Konzept vonWachstum und Veränderung.

Wir denken: Wenn wir nur bibeltreue Predigten halten bzw. hören und auf das Wichtige hinweisen, dann verändern wir uns auch. Wenn wir nur die richtigen Bücher lesen, reifen wir. Wissen alleine jedoch verändert nichts. Damit Wachstum geschehen kann, müssen andere Faktoren hinzukommen. Heiligung und Reife entstehen durch Jüngerschaft. Jüngerschaft ist dem biblischen Modell nach das, was die Jünger drei Jahre lang bei Jesus erlebten: In einer kleinen Gemeinschaft trainierten und lernten sie von seinem Vorbild und miteinander. Jesus lehrte seine Jünger so, wie es dem heutigen wissenschaftlichen Stand in Bezug auf das Lernen entspricht und wie es bei jedem guten professionellen Seminar gemacht wird: Wissen gemeinsam erarbeiten, von Fallbeispielen ausgehend lernen, Erkanntes trainieren, einüben, auswerten und reflektieren. Wachstum geschieht also nicht nur durch Hören, sondern vor allem durch unser Tun.

4.

Wir leben keine verbindliche, tiefe Gemeinschaft.

Nur in tiefen, authentischen Beziehungen haben wir eine Chance, reifer zu werden, denn niemand verändert sich allein daheim im stillen Kämmerlein. Wir werden jedoch auch nicht wachsen, wenn unser einziges Gemeinschaftserlebnis das Nebeneinandersitzen in einem Gottesdienst ist.

Rob Bell, Pastor der Mars-Hill-Gemeinde in Michigan, zählte einmal all die Bibelstellen im Neuen Testament, in denen der Ausdruck »einer dem anderen« vorkommt, z. B. »Ertrage einer den anderen« (Kolosser 3,13). Er kam auf 43 Verse. Während des Gottesdienstes am Sonntagmorgen kann man vielleicht drei oder vier von ihnen praktisch erleben. Und wenn die Gemeinde sehr groß ist, sind es noch weniger. Solch eine Großveranstaltung birgt daher eine Gefahr. Man kommt, setzt sich hin, hört zu, geht nach Hause und denkt: »Ich war in der Gemeinde«, obwohl man kein einziges »Einer dem anderen« praktiziert hat.3

Ich selber genieße Gottesdienste mit Lobpreis und einer aufbauenden Predigt. Was aber bewirkt diese Predigt?Wenn sie mich nicht zum Handelnbringt, zu einer konkretenKlärung mit Gott und meinemNächsten, wenn es bei einemschönen Gefühl bleibt, ist ihreWirkung schneller verpufft,als ein Mittagessen verdaut.Was aber bewirkt diese Predigt? Wenn sie mich nicht zum Handeln bringt, zu einer konkreten Klärung mit Gott und meinem Nächsten, wenn es bei einem schönen Gefühl bleibt, ist ihre Wirkung schneller verpufft, als ein Mittagessen verdaut.

Ich predige regelmäßig in meiner Gemeinde. Doch noch nie kam jemand auf mich zu und berichtete von einer dadurch angestoßenen entscheidenden Lebensveränderung. Bei der langfristigen Mentoring-Begleitung, wo eine Vielzahl der »Einer dem anderen«-Aktivitäten praktiziert wird, habe ich das jedoch erlebt. Wir brauchen tiefe, verbindliche Gemeinschaften, in denen wir uns öffnen können. Wir brauchen das Gegenüber, das uns tröstet, ermahnt und inspiriert.

5.

Wir wälzen die Verantwortung für unserWachstum auf andere ab.

»Wenn ich nur mehr Schwarzbrotpredigten erhielte, dann wäre ich in meinem geistlichen Leben weiter«, denken wir vielleicht. Wir übertragen die Verantwortung für unser Wachstum auf den Pastor oder Leiter. Die Willow-Creek-Gemeinde Chicago hat in ihrer umfangreichen Studie »Reveal«4 vor allem eines aufgezeigt: Meine geistliche Reife kann nicht von einem anderen ausgelöst oder bewirkt werden. Sie kann nur selber angestrebt werden. Die Studie belegt ferner: Starke, freudige Christen sind Menschen, die sich selber aus dem Wort Gottes ernähren, in authentischer Gemeinschaft leben und sich in den Dienst für andere stellen. Keine Gemeindeleitung, kein Pastor kann das an uns vorbei bewirken. Sie können dazu einladen, aber verändern können sie uns nicht. Gott adelt uns mit der Verantwortung, unser Leben selber zu gestalten – wie es Gordon MacDonald einmal ausdrückte. Gott und andere unterstützen uns dabei, aber handeln müssen wir selber.

Eine christliche Tagungsstätte veranstaltet jedes Jahr eine Zukunftswerkstatt für Leute zwischen 20 und 30 Jahren. Dabei schmieden die Teilnehmer persönliche Visionen und träumen mit Jesus in die Zukunft.

Nun wollte man dieselbe Veranstaltung auch für Menschen zwischen 30 und 40 anbieten – und erlebte eine Überraschung: Die Tagung verlief völlig anders. Sie wurde zu einer Seelsorge-Veranstaltung, da ein großer Anteil der Teilnehmer bereits vor den Scherben der einstigen Träume stand.

Viele Christen starten als Jugendliche und junge Erwachsene begeistert und engagiert. Vielleicht sind sie in einer christlichen Familie aufgewachsen oder als Schüler und Studenten zum Glauben gekommen. Schon früh übernehmen sie Verantwortung, leiten Jugendgruppen und später Gemeinden. Sie wollen für Jesus die Welt aus den Angeln heben. Wollen sich in ihrer Gemeinde und in der Gesellschaft engagieren. Wollen etwas verändern. Doch ein oder zwei oder drei Jahrzehnte später sind sie nicht mehr dabei. 85 Prozent der Leiter und anderen Christen bleiben irgendwo auf der Strecke.5 Warum?

Die bereits erwähnte Reveal-Studie hat Menschen, die von sich selber sagen: »Ich stagniere in meinem geistlichen Leben«, nach den Gründen gefragt. Vier Punkte wurden gehäuft genannt:

Abhängigkeiten und Süchte wie Alkohol, Pornografie, Essstörung, Kaufsucht etc.

ungute, belastende Beziehungen (Affären, Beziehungen, die vom Glauben wegführen)

emotionale Probleme wie Depressionen, Wut, Verdrängung von Gefühlen

ungute Prioritäten im Leben

Wenn wir ehrlich sind, sind wahrscheinlich alle vier Punkte auch schon einmal Gefahren in unserem eigenen Leben gewesen. Das ist normal. M. Scott Peck beginnt sein Buch Der wunderbare Weg mit dem Satz: »Life is difficult.« Das Leben ist schwer. Ja, das stimmt. Auch wenn wir mit Jesus durch das Leben gehen. Jeder von uns ist irgendwann mit Stürmen und Krisen konfrontiert, und die entscheidende Frage lautet, wie wir darauf reagieren.

Meine eigene Krise

Und damit komme ich zu mir persönlich und den Umständen, durch die Thema und Inhalt dieses Buches entstanden sind.

Vor fünf Jahren ging es meiner Familie und mir rundum gut. Mein Mann Wolfgang und ich hatten mit einem großen Fest unsere Silberhochzeit gefeiert. Wir führten eine glückliche Beziehung. Unsere drei jugendlichen Kinder entwickelten sich prima. Wir beide arbeiteten leidenschaftlich in unserer Gemeinde mit: Wolfgang war neben seinem Beruf als Hausarzt seit Langem Ältester, ich hatte eine Seelsorgearbeit aufgebaut und als erste Frau in unserer Gemeinde zu predigen begonnen. Wir hatten unsere dritte, einjährige Mentorengruppe für junge Leiter angefangen. Gemeindeferne Menschen kamen mit in die Gemeinde und fanden dort zum lebendigen Glauben an Jesus. Ich hatte in meiner Beratungspraxis gut zu tun und schrieb ein Buch zu dem wunderbaren Thema Berufung6. Alles verlief bestens.

Doch dann wurde plötzlich alles anders. In der Gemeinde taten sich einige Leute zusammen, die mit der Gemeindeleitung unzufrieden waren. Sie trafen sich und luden andere unzufriedene Gemeindemitglieder zu diesen Treffen ein. Es folgten Gemeindeversammlungen, die zu den traumatischsten Erlebnissen meines Lebens gehören. Die Gemeindeleitung versuchte ein Jahr lang, sowohl die Gemeinde weiter am Laufen zu halten als auch die Krise zu bewältigen. Sie engagierte einen externen Berater und führte unzählige Gespräche. Doch die Zeit arbeitete gegen sie.

Die Verwirrung unter den Gemeindemitgliedern, auch unter denen, die bis zum Beginn der Krise mit der Gemeinde zufrieden gewesen waren, nahm immer mehr zu. Nach einer Abstimmung, die zeigte, dass viele das Vertrauen in die Ältesten verloren hatten, trat die gesamte Gemeindeleitung zurück. Wir alle waren am Rande der Erschöpfung. Nach viel Gebet, Gesprächen mit geistlichen Beratern und reiflicher Überlegung traten alle ehemaligen Ältesten mit ihren Familien – also auch wir – aus der Gemeinde aus.

Für uns brach eine Welt zusammen. Zehn Jahre hatten wir uns mit Leib und Seele in diese Gemeinde eingebracht. Wir hatten sie geliebt. Wir hatten Leiterinnen und Leiter geschult und begleitet, gepredigt, junge Paare getraut, zum Schluss als ganze Familie ein furchtbares Jahr durchgestanden – und dann war alles einfach aus.

Es gab Zeiten in diesen beiden Krisenjahren, in denen uns Jesus spürbar näher erschien als je zuvor. Phasen, in denen uns die Bibel ganz lebendig wurde. Momente, in denen wir von Gott unglaubliche Ruhe und Kraft bekamen. Ich erinnere mich an Gebetszeiten mit Wolfgang, die so ehrlich, innig und tröstlich waren wie nie zuvor. Jesus war uns immer wieder ein Anker, der Retter unseres Lebens.

Aber es gab auch Tage, an denen ich eingehüllt war in einen Nebel von Zweifel. Ich fragte mich: »Glaube ichwirklich das, was ich selber immerverkündigt habe? Oder sind dasnur schöne Worte für gute Tagegewesen? Geistliches Wachstum,Reife, innere Stärke – ist dasnicht doch nur eine Illusion?«Das Innerste meiner Weltsicht, meines Glaubens, wankte. Ich fragte mich: »Glaube ich wirklich das, was ich selber immer verkündigt habe? Oder sind das nur schöne Worte für gute Tage gewesen? Geistliches Wachstum, Reife, innere Stärke – ist das nicht doch nur eine Illusion? Weiß ich überhaupt noch, wo ich selber stehe? Und vor allem: Will ich wirklich weitermachen? Will ich mich diesem Jesus mit Haut und Haaren anvertrauen? Diesem Jesus, der mich vor solchem Leid nicht geschützt hat? Will ich weiter radikal und leidenschaftlich für und mit ihm leben? Ist so ein Leben auf Dauer nicht doch nur ein frommer Wunsch?« Ich wusste, dass ich in Gefahr stand, stecken zu bleiben oder gar aufzugeben. Ich war desillusioniert. Mein Mann war es auch.

Nach unserem Austritt aus der Gemeinde trafen wir uns ein Dreivierteljahr lang nur noch im Wohnzimmer mit einigen wenigen Freunden. Wir brauchten Zeit, um uns zu erholen und heiler zu werden.

Ein langer Weg

Jesus führte meinen Mann und mich einen langen Weg der Wiederherstellung. Wir beide gaben Jesus erneut unser Ja – ja, wir wollen ihm auch den Rest unseres Lebens leidenschaftlich und mit Haut und Haaren dienen. Wir haben uns entschieden, nicht in einer »Enttäuschungs-Vermeidungshaltung« zu verharren, sondern das Leben wieder in all seiner Fülle zuzulassen. Wir gehen erneut das Wagnis des Glaubens ein, auch das Wagnis im Blick auf einen Gemeindedienst. Jesus, der diesmal unser Heiland war, wird es auch in Zukunft sein. Und vor allem: Wir sehen keine Alternative dazu, ihm leidenschaftlich und radikal zu folgen und in Gemeinschaft zu leben, wenn wir an unserem inwendigen Menschen, an unserer Seele, nicht dauerhaft Schaden nehmen wollen. Und so haben wir vor zwei Jahren mit einer Gruppe von etwa zwanzig Leuten Lebenswert, eine Freikirche in Köln, gegründet.

Wir wissen heute: Es gibt sie – die normalen Jesusnachfolger. Menschen, die Jesus seit Jahrzehnten leidenschaftlich nachfolgen und ihm mit ganzem Herzen dienen. Leute, denen man die Freude an Gott und am Leben abspürt. Christen, die wie wir Krisen erlebt, aber auch überlebt und mit Gottes Hilfe verarbeitet haben und die auch heute noch ausdauernd und begeistert das Rennen des Glaubens laufen. Dank Gottes Hilfe sind wir erneut mit dabei.

Was aber hilft uns ganz konkret, fest im Glauben und stark im Leben zu werden? Wie bleiben wir langfristig auf der Wachstumsspur? Was könnten Pfeiler für unser Leben und unseren Glauben werden, die uns stärken und halten? Davon handeln die nächsten drei Kapitel.

2. Die Vision

Mit Jesus in die Zukunft träumen

Der Film Chicken Run erzählt von Hühnern, die auf einer KZ-ähnlichen Hühnerfarm leben. Sie müssen unermüdlich Eier produzieren. Wenn ein Huhn seine Legequote nicht erreicht, wird es von der schrecklichen Inhaberin der Farm abgeschlachtet. Alle Hühner leben daher in Angst und Schrecken, sagen sich jedoch: »So ist das nun einmal. Da kann man nichts machen. Es ist Hühnerschicksal, so zu leben und zu sterben.«

Doch Ginger, die Heldin unter den Hühnern, sieht das ganz anders. Sie weigert sich, in der Lethargie des Lagers zu versinken. Sie glaubt an ein Leben jenseits der Zäune und an die Freiheit. Bei diversen Ausbruchsversuchen setzt sie ihr Leben aufs Spiel und wird immer wieder eingesperrt. Dann schmiedet sie schließlich einen verrückten Ausbruchsplan: Sie baut eine Flugmaschine. Ihre Vision und ihre Leidensbereitschaft stecken schließlich die anderen Hühner an. Sie überwinden ihre Trägheit und ihre Feigheit, schließen sich Ginger an und landen schließlich alle in der Freiheit.

Was hat diese Wende herbeigeführt? In welchem Moment haben sich die Hühner motivieren lassen und sich auf das Wagnis des Ausbruchs eingelassen, das sie alle umgehend den Kopf hätte kosten können?

Erstens: Sie sahen: Da ist ein Huhn, das die gegebene Realität nicht als die einzig mögliche ansieht. Ginger glaubte tatsächlich, dass es eine andere, eine bessere Wirklichkeit und Zukunft gab. Und sie handelte entsprechend. Die Hühner brauchten ein Vorbild, das im Glauben an diese andere Realität handelte, und sie fanden es in Ginger.

Zweitens: Die Hühner ließen sich von Gingers Vorbild inspirieren. Stellten ihre bisherige »einzig richtige« Sichtweise der Realität infrage. Schließlich machte sich in ihren Köpfen bereits die Freiheit breit, obwohl sie noch immer hinter Gittern lebten. Diese Vision, dieses In-den-Blick-Nehmen neuer Möglichkeiten, motivierte sie, Ginger bei ihrem Ausbruchsplan zu unterstützen.

Drittens: Als die Vision in ihren eigenen Herzen zum Leben erwacht war, überwanden sie ihre Trägheit, nahmen Risiken auf sich und landeten schließlich in der Freiheit. Ihre Vision wurde Wirklichkeit.

Wer werden Sie sein?

Wie denken Sie über Ihr Leben? Wie denken Sie über IhrLeben? Über Ihre Zukunft?Worauf gehen Sie zu?Über Ihre Zukunft? Worauf gehen Sie zu? Was erwarten Sie vom Leben? Wer, vermuten Sie, werden Sie in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren sein? Was tun Sie dann – vielleicht? Wer werden Sie sein? Wie werden Sie sein?

All diese Fragen können uns zum Träumen bringen, uns ein Bild von unserer Zukunft vor Augen malen. Doch wie können wir dafür sorgen, dass diese Gedanken nicht nur Träume bleiben? Was beeinflusst die Entwicklung unseres Lebens? Was bestimmt, wer wir sind und wer wir sein werden? Gordon MacDonald zeigte während einer Tagung folgendes Modell:

Vier Kräfte beeinflussen die Entwicklung unseres Lebens: unsere Vergangenheit, die Gestaltung unserer Gegenwart, das Leben in Gemeinschaft und unsere Sicht von der Zukunft.

Ich halte das für eine erstaunlich einfache und doch tiefgründige Einsicht. Und ich glaube, dass wir – mit Gottes Hilfe – diese vier Kräfte beeinflussen können.

Unsere Vergangenheit

Dass unsere Vergangenheit unser Leben stark beeinflussen kann, ist mir in den letzten fünfzehn Jahren sehr präsent gewesen. Wir alle können im Rückblick auf unser Leben sowohl positive als auch negative Aspekte erkennen. Als Beraterin begleite ich Männer und Frauen dabei, Schweres zu verarbeiten. Aber auch ich selbst habe gemerkt, wie stark mein Leben durch meine ganz persönliche Geschichte geprägt worden ist. Ich bin dankbar dafür, dass ich mithilfe von Seelsorgern und Freunden meine Vergangenheit habe verarbeiten können. In Psalm 18,20 und 24 heißt es: »Gott hat mein Leben wiederhergestellt, als ich alle Teile vor ihn brachte. Gott hat den Text meines Lebens neu geschrieben, als ich ihn in das Buch meines Herzens blicken ließ« (frei übersetzt nach The Message). Wir können notvolle Erfahrungen der Vergangenheit nicht mehr ändern, doch wir können mit Gottes Hilfe unsere Vergangenheit verarbeiten und annehmen.

Dieses Verarbeiten und Bewältigen ist nie beendet. Von Zeit zu Zeit begegnet mir ein Thema meiner Vergangenheit in neuem Kleide. Wie oft habe ich schon innerlich oder äußerlich gestöhnt, wenn meine Mentorin mich fragte: »Birgit, kennst du dieses Verhalten, dieses Gefühl von früher?« Ja, natürlich kenne ich es – und so stoße ich doch wieder auf einen bekannten wunden Punkt. Es ist wie mit einer Zwiebel: Die eine Schicht ist abgepellt und bearbeitet. Nun ist die nächste Schicht dran.

Die Bearbeitung meiner Vergangenheit ist also von entscheidender Bedeutung, wenn ich reif werden will. Es ist einer der vier Aspekte, die die Entwicklung unseres Lebens prägen. Jeder sollte es sich gönnen, in Seelsorge oder Therapie die eigene Geschichte zu verarbeiten.

Dennoch beobachte ich bei manchen Christen eine übermäßige Fixierung auf Seelsorge und die Bearbeitung der Vergangenheit. Das halte ich nicht für hilfreich. Ich würde in meiner Seele vermutlich genügend »Bearbeitungsmaterial« für zehn weitere Jahre Seelsorge finden, und ich befürchte, danach würde wieder Neues auftauchen. Doch währenddessen ziehen kostbare Jahre meines Lebens vorbei.

Reife Christen stellen sich ihrer Vergangenheit. Wenn sie Knoten in ihrem Leben und in ihren Beziehungen entdecken, die sich mit üblichen Bewältigungsstrategien nicht lösen lassen, nehmen sie Hilfe durch Therapie und Seelsorge in Anspruch. Sie schauen sich schmerzliche Zusammenhänge, Lebenswunden und Verletzungen an und bitten Christus, ihre Seele zu heilen.7

Dennoch ist die Beschäftigung mit der Vergangenheit für sie kein Dauerzustand. Trotz mancher Narben richten sie ihren Blick wieder nach vorne und leben in der Hingabe an Christus kraftvoll ihr Leben – das einzige, das sie auf dieser Erde haben. Sie dulden nicht, dass ihre Empfindlichkeiten die alleinige Aufmerksamkeit erhalten, sondern lassen die Worte, die Gott an Paulus richtete, in ihr eigenes Herz fallen: »Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig« (2. Korinther 12,9a). Und sie stimmen in Paulus’ Antwort ein: »Als ich das hörte, konnte ich es froh annehmen. Ich hörte auf, mich auf meine Behinderung zu fokussieren, und begann sogar, sie als Geschenk anzunehmen« (2. Korinther 12,9; frei übersetzt nach The Message).

Vor Kurzem malte mir die Schlussszene des Films A Beautiful Mind diese Wahrheit vor Augen. Die Hauptperson John Nash geht unter Applaus nach vorne zum Rednerpult, um seinen Nobelpreis für Mathematik in Empfang zu nehmen. Auf dem Weg dorthin entdeckt er neben sich einen Mann und ein Mädchen. Beide sind nicht real da, sondern Halluzinationen, die durch seine Schizophrenie hervorgerufen werden. Nash schaut sie gelassen an. Er regt sich nicht mehr auf. Er reagiert nicht mehr auf das, was sie ihm »sagen«. Nash weiß inzwischen, dass er diese Personen zwar sieht, sie jedoch nicht real sind. Er lächelt und schreitet weiter zum Rednerpult, um seine Rede zu halten.

Mit dieser Einstellung möchte Auch als Christ bin ich noch nichtvollkommen wiederhergestellt,wie ich es dereinst im Himmelsein werde. Und dennoch geheich froh meines Weges und strebedanach, mein Leben mit GottesHilfe kraftvoll zu gestalten.ich leben. Immer wieder begegnen mir »alte Bekannte« meiner Vergangenheit. Sie zeigen mir: Ich bin noch nicht im Himmel. Noch lebe ich auf dieser Erde. Auch als Christ bin ich noch nicht vollkommen wiederhergestellt, wie ich es dereinst im Himmel sein werde. Und dennoch gehe ich froh meines Weges und strebe danach, mein Leben mit Gottes Hilfe kraftvoll zu gestalten. Ich bin davon überzeugt: Das, in was ich meine Energie investiere, das wächst.

Obwohl es viel zum Thema »Verarbeitung der Vergangenheit« zu sagen gibt, möchte ich diesen Aspekt an dieser Stelle nicht vertiefen, da es bereits viele gute Bücher dazu gibt. Allerdings wird die Bedeutung unserer Vergangenheit in allen folgenden Kapiteln immer wieder eine Rolle spielen, denn sie kann beispielsweise unsere Freundschaften beeinflussen oder unser Training blockieren.

In diesem Kapitel geht es um den Aspekt der Zukunft. In Kapitel 3 »Das Training« dann um die Gestaltung meiner Gegenwart und in Kapitel 4 »Die Freundschaft« darum, wie das Leben in Gemeinschaft konkret aussehen kann.

Unsere Sicht von der Zukunft

Lange Zeit prägte folgende Überzeugung mein Leben: Meine Gene und meine Vergangenheit prägen mich, bestimmen, wer ich bin und einmal sein werde. An meinen Genen kann ich nichts ändern. Die Vergangenheit kann ich mit Gottes Hilfe verarbeiten. Das war’s.

Doch dann kam eine neue, aufregende Erkenntnis hinzu. Wir verbrachten um die Jahrtausendwende mit drei Familien einige Tage an der Atlantikküste Marokkos (wir hatten mit drei Wohnmobilen Frankreich und Spanien durchfahren, um dieses wunderschöne Land zu bereisen). Jeden Tag entfernte ich mich von der Zelt- bzw. Wohnmobilburg, bewaffnet mit Campingtisch und Stuhl, Tagebuch, Bibel und einem Buch, und ließ mich mit Blick auf das Meer nieder. Kurz zuvor hatte ich eine Therapie beendet und fragte mich: »Was nun? Wie geht es weiter?« Da begeisterte mich ein mir bis dahin unbekannter Gedanke. Ich las bei Stephen Covey, Die sieben Wege zur Effektivität. Ein Konzept zur Meisterung Ihres beruflichen und privaten Lebens (Campus Verlag), dass es neben der Vergangenheit einen genauso stark prägenden Faktor für mein Leben gibt, und zwar die Sicht von meiner Zukunft. Er beschrieb, wie wichtig es sei, eine klare Vorstellung von dem zu haben, was kommt. Von dem, was noch nicht ist, aber zu dem man hinmöchte. »Schon am Anfang das Ende im Sinn haben beruht auf dem Gesetz, dass alles zweimal geschaffen wird. Es gibt bei allem eine mentale und erste Phase des Entstehens (Bauplan) und eine physische oder zweite Phase (tatsächlicher Bau).«