Frauen – die längste Revolution - Juliet Mitchell - E-Book

Frauen – die längste Revolution E-Book

Juliet Mitchell

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Beschreibung

Die hier vereinten Aufsätze erörtern das Erlebnis- und Deutungsmuster eines geschlechtsspezifischen Lebensstils an drei Gegenständen: 1. an den gesellschaftlichen Rollenzuweisungen und ihren – oft höchst fragwürdigen – politischen und ökonomischen Rechtfertigungsformeln; 2. an literarischen Kinder- und Frauengestalten (in Werken von Emily Brontë, Meredith, Henry James und Defoe); 3. an psychoanalytischen Weiblichkeitsvorstellungen (vornehmlich bei Freud und Lacan). Aus wechselnden Blickwinkeln erkundet die Autorin den anscheinend endlosen Weg weiblicher Identitätssuche, deren Spiegelungen in ästhetischen und sozialen Bildern der Errettung oder der Selbstbehauptung sowie ihre vielfache Entstellung durch äußeren Zwang oder durch Konvention und Tradition. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 305

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Juliet Mitchell

Frauen – die längste Revolution

Feminismus, Literatur, Psychoanalyse

Aus dem Englischen von Max Looser

FISCHER Digital

Inhalt

Erster Teil: Aspekte der FrauenfrageFrauen – die längste RevolutionDie Frauen in der sozialistischen TheorieDas andere GeschlechtProduktionKörperbau und ZwangReproduktionEmpfängnisverhütungReproduktion und ProduktionSexualitätSozialisationDie frühe KindheitFamilienmusterSchlußfolgerungZweiter Teil: Der Roman: Frauen und KinderSturmhöhe: Romantik und RationalitätRichard Feverel: eine Erziehung des GefühlsI.II.III.IV.Maisie: Bildnis des Künstlers als junges MädchenMoll Flanders: der Aufstieg der kapitalistischen FrauDritter Teil: Psychoanalyse. Die Entwicklung des Kindes und die Frage der WeiblichkeitFreud und Lacan. Psychoanalytische Theorien des GeschlechtsunterschiedsDie Frage der Weiblichkeit und die Theorie der PsychoanalyseEditorische Notiz

Erster Teil Aspekte der Frauenfrage

Frauen – die längste Revolution

Die Lage der Frauen unterscheidet sich von der jeder anderen gesellschaftlichen Gruppe, weil sie nicht eine von mehreren abgrenzbaren sozialen Größen sind, sondern die Hälfte eines Ganzen: der Menschengattung. Frauen sind unabdingbar und unersetzlich; deshalb lassen sie sich auch nicht in derselben Weise ausbeuten wie andere Gruppen. Für die condition humaine sind sie zwar grundlegend, in ihren wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rollen hingegen marginal. Gerade dieser Zusammenhang: gleichzeitig grundlegend und marginal zu sein, hat sich für sie als verhängsnisvoll erwiesen. Innerhalb der Männerwelt ist ihre Stellung mit der einer unterdrückten Minderheit vergleichbar; sie existieren jedoch auch außerhalb der Männerwelt. Der eine Zustand rechtfertigt den anderen und schließt Protest aus. In der fortgeschrittenen Industriegesellschaft hat die Arbeit der Frau für die Gesamtwirtschaft lediglich eine Randbedeutung. Doch nur durch Arbeit ändert der Mensch die Naturverhältnisse und bringt die Gesellschaft hervor. Bis es zu einer Umwälzung der Produktion kommt, wird der industrielle Arbeitsbegriff die Situation der Frau in der Männerwelt vorschreiben. Den Frauen wird allerdings eine eigene Welt angeboten: die Familie. Ebenso wie die Frau erscheint die Familie als etwas Natürliches, während sie tatsächlich eine kulturelle Schöpfung ist. Form und Rolle der Familie sind genausowenig naturhaft wie Charakter und Rolle der Frau. Es ist die Funktion der Ideologie, diese sozialen Bildungen für natürliche zu erklären. Die »wahre« Frau und die »wahre« Familie sind Bilder der Fülle und des Friedens; in Wahrheit können beide durchaus Signaturen der Gewalt und der Verzweiflung sein, täuschende Mythen, so wie sie Marx in der bürgerlichen Redeweise vom Goldenen Zeitalter der Antike aufgedeckt hat.

Die Frauen in der sozialistischen Theorie

Der Skandal der Unterordnung der Frau und die Dringlichkeit ihrer Gleichstellung wurden von allen großen sozialistischen Denkern des 19. Jahrhunderts diagnostiziert. Das Problem gehört zu den klassischen Gedankenfiguren der revolutionären Bewegung. Heute ist es aus dem Gesichtsfeld nahezu verschwunden – eine Bagatelle, die angestrengte Aufmerksamkeit anscheinend nicht lohnt. Vermutlich ist kein anderes Thema der sozialistischen Theorie ähnlich folgenreich vergessen worden wie dieses. In England beispielsweise hat das bei den Linken immer schon stark ausgeprägte Kulturerbe des Puritanismus konservative Auffassungen selbst bei denjenigen befördert, die sich sonst für aufgeklärt halten. Ein locus classicus dieses Einstellungswandels ist die bemerkenswerte Argumentation von Peter Townsend:

»Die Sozialisten haben die Familie traditionellerweise vernachlässigt oder sie offen bekämpft, indem sie den Nepotismus und die Behinderung der individuellen Selbstverwirklichung vorschützten. Extreme Versuche, Gesellschaften auf einer anderen als der Familienbasis zu gründen, sind kläglich gescheitert. Bezeichnenderweise redet ein Sozialist einen Kollegen als ›Bruder‹ an, und ein Kommunist gebraucht den Ausdruck ›Genosse‹. Die wichtigste Bedingung eines erfüllten Lebens besteht darin, Mitglied einer Familie zu sein und eine Familie zu reproduzieren. Nichts ist gewonnen, wenn man diese Wahrheit kaschiert.«[1]

Wie ist es zu diesem Perspektivenwechsel gekommen? Warum ist die Lage der Frauen im heutigen Sozialismus ein Ort des Schweigens? August Bebel, dessen Buch Die Frau und der Sozialismus zu den Standardtexten der SPD am Anfang dieses Jahrhunderts zählte, schrieb, jeder Sozialist erkenne die Abhängigkeit des Arbeiters vom Kapitalisten, und ihm sei es unverständlich, daß andere, vor allem die Kapitalisten selbst, dies nicht ebenfalls erkennten; doch derselbe Sozialist erkenne häufig nicht die Abhängigkeit der Frau vom Manne.[2] Psychologistische und moralistische Erwägungen führen hier freilich nicht weiter, der Sachverhalt hat tiefere, strukturelle Ursachen. Sie zu erhellen erforderte eine umfassende historische Analyse, die hier nicht geleistet werden kann. Es läßt sich allerdings mit Gründen behaupten, daß ein Teil der Erklärung für den Rückgang der Wahrnehmung dieses Themas nicht allein in den realen geschichtlichen Prozessen begründet ist, sondern auch in den ursprünglichen Schwächen der traditionellen Diskussion, welche die Klassiker über das Thema geführt hatten. Zwar haben alle Untersuchungen im letzten Jahrhundert die Bedeutung des Problems hervorgehoben, aber eine theoretische Lösung wurde nicht gefunden, und die schon im Ansatz steckenden Mängel wurden in der Folge nie behoben.

Unter den Frühsozialisten war Fourier der leidenschaftlichste und produktivste Befürworter der Frauenbefreiung und der Sexualfreiheit:

»Die Veränderung einer geschichtlichen Epoche läßt sich immer aus dem Verhältnis des Fortschritts der Frauen zur Freiheit bestimmen, weil hier im Verhältnis des Weibes zum Mann, des Schwachen zum Starken, der Sieg der menschlichen Natur über die Brutalität am evidentesten erscheint. Der Grad der weiblichen Emanzipation ist das natürliche Maß der allgemeinen Emanzipation.«[3]

Marx zitiert diese Stelle zustimmend in der Heiligen Familie. In einer für seine Frühschriften charakteristischen Weise hat er jedoch die Emanzipation der Frau nicht vor allem, wie Fourier, als ein Anzeichen für die Humanisierung im staatsbürgerlichen Sinne gefaßt, sondern als fundamentalen Fortschritt der Kultur gegenüber der Natur:

»[…] das Verhältnis des Mannes zum Weib ist das natürlichste Verhältnis des Menschen zum Menschen. In ihm zeigt sich also, inwieweit das natürliche Verhalten des Menschen menschlich oder inwieweit das menschliche Wesen ihm zum natürlichen Wesen, inwieweit seine menschliche Natur ihm zur Natur geworden ist.«[4]

Diese Fragestellung ist für den jungen Marx typisch.

Fouriers Gedanken verharrten auf der Stufe einer utopischen Moralforderung. Marx nahm sie auf, wandelte sie um und fügte sie einer philosophischen Kritik an der menschlichen Geschichte ein. Aber er behielt die Auffassung Fouriers von der Stellung der Frau als eines Seismographen des allgemeinen gesellschaftlichen Fortschritts bei. In Marx’ Frühschriften ist die Frau eine höchst abstrakte anthropologische Größe, eine ontologische Kategorie. Erst in den späteren Schriften, wo Marx die Familie beschreibt, differenziert er nach Ort und Zeit:

»[…] die Ehe, das Eigentum, die Familie bleiben theoretisch unangetastet, weil sie praktisch die Grundlagen sind, auf denen die Bourgeoisie ihre Herrschaft errichtet hat, weil sie in ihrer Bourgeoisform die Bedingungen sind, die den Bourgeois zum Bourgeois machen […]. Dieses Verhältnis des Bourgeois zu seinen Existenzbedingungen erhält eine seiner allgemeinen Formen in der bürgerlichen Moralität. Es ist überhaupt nicht von der Familie zu sprechen. Die Bourgeoisie gibt historisch der Familie den Charakter der bürgerlichen Familie, worin die Langeweile und das Geld das Bindende ist und zu welcher auch die bürgerliche Auflösung der Familie gehört, bei der die Familie selbst stets fortexistiert. Ihrer schmutzigen Existenz entspricht der heilige Begriff in offiziellen Redensarten und in der allgemeinen Heuchelei. […] [Im Proletariat] existiert der Familienbegriff durchaus nicht. […] Im achtzehnten Jahrhundert wurde der Familienbegriff von den Philosophen aufgelöst, weil die wirkliche Familie auf den höchsten Spitzen der Zivilisation bereits in der Auflösung begriffen war. Aufgelöst war das innere Band der Familie, die einzelnen Teile, aus denen der Familienbegriff komponiert ist, z.B. Gehorsam, Pietät, eheliche Treue pp.; aber der wirkliche Körper der Familie, Vermögensverhältnisse, ausschließliches Verhältnis gegen andere Familien, gezwungenes Zusammenleben, die Verhältnisse, die schon durch die Existenz der Kinder, den Bau der jetzigen Städte, Bildung des Kapitals pp. gegeben waren, blieben, wenn auch vielfach gestört, weil das Dasein der Familie durch ihren Zusammenhang mit der vom Willen der bürgerlichen Gesellschaft unabhängigen Produktionsweise nötig gemacht ist.«[5]

Oder später im Kapital:

»Es ist natürlich ebenso albern, die christlich-germanische Form der Familie für absolut zu halten als die altrömische Form, oder die altgriechische, oder die orientalische, die übrigens untereinander eine geschichtliche Entwicklungsreihe bilden.«[6]

Auffällig ist hier, daß das Frauenproblem in einer Analyse der Familie aufgeht. Die Schwierigkeiten dieses Ansatzes zeigen sich in dem beinahe apokalyptischen Ton von Marx’ Kommentaren zum Schicksal der bürgerlichen Familie (auch im Kommunistischen Manifest). Für die Idee ihrer tatsächlichen Auflösung und ihres Verschwindens in den neuen Lebensentwürfen der Arbeiterklasse gab es kaum geschichtliche Belege. Deshalb geht Marx von allgemeinen philosophischen Aussagen über die Frauen in den Frühschriften zu spezifischen historischen Kommentaren zur Familie in den späteren Schriften über. Zwischen beiden besteht eine beträchtliche Kluft. Der gemeinsame Bezugsrahmen beider war freilich seine Analyse der Ökonomie und der Entwicklung des Eigentums.

 

Es blieb Engels überlassen, nach Marx’ Tod diese Thesen im Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates systematisch darzustellen. Engels behauptete, die Ungleichheit der Geschlechter sei einer der ersten Antagonismen in der menschlichen Gattung: »Der erste Klassengegensatz, der in der Geschichte auftritt, fällt zusammen mit der Entwicklung des Antagonismus von Mann und Weib in der Einzelehe, und die erste Klassenunterdrückung mit der des weiblichen Geschlechts durch das männliche.«[7] Obwohl sich Engels weitgehend auf die ungenauen anthropologischen Studien Morgans stützte, gewann er einige wertvolle Einsichten. Die Erbfolge, der Schlüssel zu dieser ökonomistischen Darstellung, war zunächst matrilinear, wurde dann mit zunehmendem Reichtum jedoch patrilinear. Für die Frau bedeutete dies einen Rückschlag (Engels: »Die weltgeschichtliche Niederlage des menschlichen Geschlechts«). Die Treue der Gattin wird entscheidend; die Einzelehe wird unwiderruflich eingerichtet. In der kommunistischen, patriarchalischen Familie ist die Gattin öffentliche Dienerin, in der Einzelehe wird sie zu einer privaten. In Wirklichkeit reduziert Engels das Problem der Frau auf ihre Arbeitsfähigkeit. Deshalb definiert er ihre körperliche Unterlegenheit als Hauptursache ihrer Unterordnung. Den Beginn ihrer Ausbeutung setzt er im Übergang vom Gemeineigentum zum Privateigentum an. Wenn die Arbeitsunfähigkeit Ursache für ihre Unterdrückung ist, dann wird die Befähigung zur Arbeit ihr die Befreiung bringen:

»[…] die Befreiung der Frau, ihre Gleichstellung mit dem Manne, [ist und bleibt] eine Unmöglichkeit […], solange die Frau von der gesellschaftlichen produktiven Arbeit ausgeschlossen und auf die häusliche Privatarbeit beschränkt bleibt. Die Befreiung der Frau wird erst möglich, sobald diese auf großem gesellschaftlichem Maßstab an der Produktion sich beteiligen kann und die häusliche Arbeit sie nur noch in unbedeutendem Maß in Anspruch nimmt.«[8]

Oder:

»[…] die Befreiung der Frau [hat] zur ersten Voraussetzung […] die Wiedereinführung des ganzen weiblichen Geschlechts in die öffentliche Industrie, und […] dies wieder erfordert die Beseitigung der Eigenschaft der Einzelfamilie als wirtschaftlicher Einheit der Gesellschaft.«[9]

Engels findet so eine Lösung, die seiner Analyse des Ursprungs der Frauenunterdrückung schematisch angemessen ist. Die Stellung der Frau ist von der Geschichte der Familie abgetrennt oder ihr ebenso untergeordnet wie die Familie dem Privateigentum. Die Argumentation bleibt ökonomistisch oder wird spekulativ.

Bebel, Schüler von Engels, versuchte eine programmatische Darstellung der Frauenunterdrückung selbst, nicht als eines Nebenprodukts der Entwicklung von Familie und Privateigentum:

»Frau und Arbeiter haben gemein, Unterdrückte zu sein. Die Formen dieser Unterdrückung haben im Laufe der Zeiten und in den verschiedenen Ländern gewechselt, aber die Unterdrückung blieb. […] die Frau hat gegenüber dem Arbeiter das eine voraus: Sie ist das erste menschliche Wesen, das in Knechtschaft kam. Die Frau wurde Sklavin, ehe der Sklave existierte.«[10]

Mit Marx und Engels bezeichnete er die Bedeutung der körperlichen Unterlegenheit der Frau, wo es um die Erklärung ihrer Subordination ging, freilich mit dem Zusatz, daß ein biologisches Element – ihre Mutterfunktion – einer der Faktoren sei, die sie vom Mann ökonomisch abhängig machen. Aber auch Bebel kam nicht über die Behauptung hinaus, sexuelle Gleichheit sei ohne Sozialismus unmöglich. Sein Bild der Zukunft war vage Träumerei, unbeeindruckt von seiner Beschreibung der Vergangenheit, Ausdruck eines blassen voluntaristischen Optimismus. Und auch Lenin verharrte in einer Denktradition, die schlicht und abstrakt auf die apriorische Gleichsetzung von Sozialismus und Frauenbefreiung hinauslief, ohne konkret zu zeigen, wie dies die Lage der Frau verändern würde:

»Denn ohne die Frauen zum öffentlichen Dienst, zur Miliz, zum politischen Leben heranzuziehen, ohne die Frauen aus ihrer abstumpfenden Haus- und Küchenatmosphäre herauszureißen, kann keine wirkliche Freiheit gewährleistet werden, kann nicht einmal die Demokratie, vom Sozialismus ganz zu schweigen, aufgebaut werden.«[11]

Die Befreiung der Frau bleibt ein normatives Ideal, ein Anhängsel der sozialistischen Theorie; sie ist nicht ihr inspirierender Bestandteil.

Das andere Geschlecht

Genau das Gegenteil gilt von Simone de Beauvoirs Hauptwerk Das andere Geschlecht – bis heute der wichtigste Beitrag zum Thema. Die theoretische Neuerung Simone de Beauvoirs besteht darin, die Erklärungen weiblicher Unterordnung mittels »Ökonomie« und »Reproduktion« durch eine psychologische Interpretation beider zu verschmelzen. Der Mann behauptet sich als Subjekt und freies Wesen dadurch, daß er sich anderes Bewußtsein gegenüberstellt. Von den Tieren unterscheidet er sich gerade dadurch, daß er produziert und erfindet (und nicht dadurch, daß er sich selbst reproduziert). Er beherrscht die Frau sowohl, um über ein anderes Bewußtsein zu bestimmen, das sein eigenes widerspiegelt, als auch, um Kinder zu zeugen. Die Begriffe haben offenkundig eine beachtliche Kraft. Sie sind jedoch zeitlos: Es ist schwer zu sehen, weshalb gerade der Sozialismus den elementaren »ontologischen« Wunsch nach so etwas wie Freiheit verändern sollte, den Beauvoir als Hauptmotiv für das Festhalten an der Erbfolge im Eigentumssystem oder die sich daraus ergebende Versklavung der Frau bezeichnet. Sie hat sich später zu ihrem Buch wie folgt geäußert:

»Ich gebe ohne weiteres zu, daß am Stil und am Aufbau einiges auszusetzen ist. Ich könnte aus dem vorhandenen Stoff leicht ein eleganteres Werk zurechtschneidern. Da mir die Gedanken in dem Augenblick kamen, da ich sie formulieren mußte, konnte ich aber nichts Besseres zustande bringen. Im Grunde habe ich im ersten Buch einen materialistischen Standpunkt vertreten. Ich begründete den Begriff des ›Anderen‹ und den Manichäismus, der nicht aus einem a priori und idealistischen Gewissenskampf, sondern aus der Seltenheit und dem Bedürfnis hervorgeht: Das habe ich in La longue marche [China. Das weitgesteckte Ziel] getan, wo ich von der jahrtausendelangen Unterdrückung der Chinesinnen spreche. Diese Modifikation ändert nichts an den Schlußfolgerungen. Im großen und ganzen stehe ich zu dem, was ich gesagt habe. Ich habe mich nie der Illusion hingegeben, die Lage der Frau ändern zu können. Sie hängt von der zukünftigen Entwicklung der Arbeitsverhältnisse auf der ganzen Welt ab, und sie wird nur um den Preis einer Umwälzung der gesamten Produktion wirklich zu ändern sein.«[12]

Parallel zur idealistischen, psychologischen Erklärung setzt Beauvoir eine orthodoxe ökonomistische Methode ein. Daher rührt das Pathos des Evolutionismus, das in einen Rückblick auf die Formen der weiblichen Grundsituation in der Geschichte der verschiedenen Gesellschaften mündet – meist in Begriffen, die sich auf das Eigentumssystem und dessen Auswirkungen auf die Frauen beziehen.

Die klassische Literatur zum Frauenproblem ist also vorwiegend ökonomisch ausgerichtet und betont die direkte Unterordnung der Frau unter die Institutionen des Privateigentums. Ihr biologischer Status bestätigt sowohl ihre Schwäche als Produzentin in Arbeitsverhältnissen wie auch ihre Bedeutung als Besitztum in Reproduktionsverhältnissen. Die umfassendste und jüngste Interpretation gibt beiden Faktoren eine psychologistische Form. Der Diskussionsrahmen ist zwar evolutionstheoretisch festgelegt, vermag aber kein überzeugendes Zukunftsbild zu entwerfen, das über die Behauptung hinauswiese, zum Sozialismus gehöre als »konstitutives Element« die Befreiung der Frau.

Wo liegt der Ausweg aus dieser Sackgasse? Es gilt, die Lebenssituation der Frau sehr viel radikaler, als dies in der Vergangenheit geschehen ist, in ihren Einzelstrukturen zu analysieren, Strukturen, die eine komplexe, keine einfache Einheit bilden. Zu diesem Zweck ist zunächst die Idee zurückzuweisen, die Lebenssituation der Frau lasse sich durch Ableitung aus der Ökonomie erschließen oder symbolisch mit der Gesellschaft gleichsetzen. Vielmehr muß sie als eine spezifische Struktur aufgefaßt werden, eine Einheit aus unterschiedlichen Elementen. Die Varianten der condition féminine im Laufe der Geschichte werden sich als das Ergebnis verschiedenartiger Verbindungen dieser Elemente erweisen, so wie Marx’ Analyse der Epochen ökonomischer Gesellschaftsformationen (Formen, die der kapitalistischen Produktion vorhergehen) eine Typologie der unterschiedlichen Kombinationen von Produktionsfaktoren und keine Chronik der ökonomischen Entwicklung ist. Da die Einheit der condition féminine zu jedem beliebigen Zeitpunkt ein Gebilde aus mehreren Grundstrukturen ist, ist sie stets »überdeterminiert«.[13] Solche Grundstrukturen sind: Produktion, Reproduktion, Sexualität, Sozialisation der Kinder. Ihre konkrete Verbindung bringt die »komplexe Einheit« der condition féminine hervor; jede Einzelstruktur kann jedoch zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte einen anderen »Härtegrad« haben. Deshalb muß jede gesondert untersucht werden, damit erkennbar wird, welchen Aggregatzustand die gegenwärtige Einheit aufweist und wie er sich ändern ließe. Die folgenden Ausführungen erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit; sie versammeln lediglich einige allgemeine Überlegungen zu den verschiedenen Rollen der Frau und den Relationen, die zwischen ihnen bestehen.

Produktion

Die biologische Geschlechtsdifferenzierung und die Arbeitsteilung gelten als unauflöslich und notwendig. Die geringere Körperkraft der Frau, ihre Psychologie und ihr psycho-biologischer Stoffwechsel scheinen sie zu einem wenig nützlichen Mitglied der Gesamtarbeitskraft zu machen. Stets wird betont, daß, insbesondere auf den frühen Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung, die körperliche Überlegenheit dem Mann die Mittel zur Eroberung der Natur gewährten, die der Frau versagt blieben. Indem man die Frau auf die häuslichen Aufgaben der Fürsorge verpflichtete, wurde sie selbst zu einem Bestandteil dessen, was es zu bewahren galt: Privateigentum und Kinder. Marx, Engels und Simone de Beauvoir stellen gleichermaßen eine Verbindung her zwischen der Einführung und Fortsetzung der Subordination der Frauen, nachdem ihre körperliche Unterlegenheit bei schwerer manueller Arbeit feststand, und dem Aufkommen des Privateigentums.

Die körperliche Schwäche der Frau hat sie freilich nie von der Arbeit als solcher suspendiert (von der Kinderaufzucht ganz abgesehen), sondern nur von bestimmten Arbeitsarten in bestimmten Gesellschaften. In primitiven, antiken, orientalischen und kapitalistischen Gesellschaften war der Umfang der von Frauen geleisteten Arbeit stets beträchtlich. Was in Frage steht, ist einzig ihre Form. Die Hausarbeit ist auch heute noch enorm, wenn sie im Sinne der produktiven Arbeit quantifiziert wird.[14] Und in zahlreichen bäuerlichen Gesellschaften haben Frauen ebensoviel auf den Feldern gearbeitet wie die Männer oder sogar mehr als sie.

Körperbau und Zwang

Der klassischen Diskussion liegt die Annahme zugrunde, der Faktor, der die Geschichte der weiblichen Unterordnung in Gang gebracht hat, seien die geringeren weiblichen Fähigkeiten zu schwerer körperlicher Arbeit. In Wirklichkeit ist dies eine grobe Vereinfachung. Selbst innerhalb dieses Vergleichsrahmens war historisch die geringere Eignung der Frau zu körperlicher Gewaltanwendung für ihre Unterordnung ebenso ausschlaggebend gewesen wie ihre mindere Muskelkraft. Der Mann verfügt über die Kraft, sich nicht allein gegenüber der Natur zu behaupten, sondern auch gegenüber seinen Nächsten. Im Zusammenhang mit der direkten Arbeitsteilung, die auf biologischen Vermögen beruht, spielt der soziale Zwang eine viel gewichtigere Rolle, als im allgemeinen zugegeben wird. (Freilich muß er nicht immer als direkte Aggression erscheinen.) In Agrargesellschaften, wo die Unterlegenheit der Frau gesellschaftlich festgeschrieben ist, weist man ihr die anstrengende Tätigkeit des Ackerbaus und der Kultivierung zu. Dazu ist Zwang erforderlich. In entwickelten Zivilisationen und komplexeren Gesellschaften werden die körperlichen Mängel der Frau abermals bedeutungsvoll. Frauen taugen weder für den Krieg noch für den Städtebau. In der beginnenden Industrialisierung nimmt der Zwang jedoch ein neues Gesicht an: »Sofern die Maschinerie Muskelkraft entbehrlich macht, wird sie zum Mittel, Arbeiter ohne Muskelkraft oder von unreifer Körperentwicklung, aber größerer Geschmeidigkeit der Glieder anzuwenden. Weiber- und Kinderarbeit war daher das erste Wort der kapitalistischen Anwendung der Maschinerie!«[15]

René Dumont weist darauf hin, daß in vielen Zonen des tropischen Afrika die Männer untätig sind, während die Frauen den ganzen Tag hart arbeiten.[16] Diese Ausbeutung hat keine »natürliche« Ursache. Frauen leisten ihre »schweren« Arbeiten in den heutigen afrikanischen Bauerngesellschaften vermutlich nicht aus Furcht vor Bestrafung durch die Männer, sondern weil diese Aufgaben »Brauch« sind und einen Bestandteil der gesellschaftlichen Rollenstrukturen bilden. Ein weiterer Punkt ist, daß der Zwang eine andere Beziehung zwischen dem Zwingenden und dem Gezwungenen bewirkt als die Ausbeutung: sie ist politisch, nicht ökonomisch. Der Herr begreift den Knecht oder Leibeigenen als »unorganische« Naturvoraussetzung seiner eigenen Reproduktion. D.h. die Arbeit selbst wird zu einem Element in der »Reihe der andren Naturwesen«, wie das Vieh oder der Boden:

»Der Sklave steht in gar keinem Verhältnis zu den objektiven Bedingungen seiner Arbeit; sondern die Arbeit selbst, sowohl in der Form des Sklaven, wie der des Leibeignen, wird als unorganische Bedingung der Produktion in die Reihe der andren Naturwesen gestellt, neben das Vieh oder als Anhängsel der Erde. In andren Worten; die ursprünglichen Bedingungen der Produktion erscheinen als Naturvoraussetzungen, natürliche Existenzbedingungen des Produzenten, ganz so wie sein lebendiger Leib, sosehr er ihn reproduziert und entwickelt, ursprünglich nicht gesetzt ist von ihm selbst, als die Voraussetzung seiner selbst erscheint.«[17]

Genau dies ist die Lage der Frau. Nicht ihre physische Schwäche hat die Frau von der produktiven Arbeit ferngehalten; vielmehr hat ihre soziale Schwäche sie in diesen Fällen zum ersten Sklaven gemacht.

So trivial diese Wahrheit auch klingen mag, die einschlägigen Autoren haben sie stets überhört, mit dem Ergebnis, daß sich in ihre Zukunftsvoraussagen ein ungerechtfertigter Optimismus einschlich. Wenn tatsächlich einzig die biologisch bedingte Unfähigkeit zu schwerster körperlicher Arbeit die Unterordnung der Frau bestimmt hat, dann scheint die Aussicht auf eine fortgeschrittene Maschinentechnik, die den Bedarf an körperlichem Kraftaufwand beseitigt, die Befreiung der Frau zu verheißen. Kündigt also die Industrialisierung tatsächlich die Frauenbefreiung an?

»[…] die Befreiung der Frau [hat] zur ersten Vorbedingung […] die Wiedereinführung des ganzen weiblichen Geschlechts in die öffentliche Industrie.« »Die Befreiung der Frau wird erst möglich, sobald diese auf großem gesellschaftlichem Maßstab an der Produktion sich beteiligen kann und die häusliche Arbeit sie nur noch in unbedeutendem Maß in Anspruch nimmt. Und dies ist erst möglich geworden durch die moderne große Industrie, die nicht nur Frauenarbeit auf großer Stufenleiter zuläßt, sondern förmlich nach ihr verlangt, und die auch die private Hausarbeit mehr und mehr in eine öffentliche Industrie aufzulösen strebt.«[18]

Was Marx über die Frühindustrialisierung sagte, trifft in keinem geringeren, aber auch in keinem höheren Maße auch auf eine automatisierte Gesellschaft zu:

»[Es] leuchtet ein, daß die Zusammensetzung des kombinierten Arbeitspersonals aus Individuen beiderlei Geschlechts und der verschiedensten Altersstufen, obgleich in ihrer naturwüchsig brutalen, kapitalistischen Form, wo der Arbeiter für den Produktionsprozeß, nicht der Produktionsprozeß für den Arbeiter da ist, Pestquelle des Verderbs und der Sklaverei, unter entsprechenden Verhältnissen umgekehrt zur Quelle humaner Entwicklung umschlagen muß.«[19]

Industriearbeit und Automatisierung versprechen die Voraussetzungen für die Befreiung der Frau und des Mannes herzustellen, freilich nicht mehr als die Voraussetzungen. Denn es ist nur zu offenkundig, daß die Industrialisierung die Frauen bisher weder im Westen noch im Osten befreit hat. Für den Westen stimmt es immerhin, daß die Frauen in großer Zahl in den Arbeitsmarkt der expandierenden industriellen Wirtschaft einströmten, doch nicht auf Dauer. Simone de Beauvoir hoffte, die Automatisierung werde die körperlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern ausgleichen. Die Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Denn die Technik ist keine unabhängige, autonome geschichtliche Kraft, sondern ein Faktor im Ensemble der Gesellschaftsstruktur, und diese Struktur ist es, die die Zukunft der Frau in den Arbeitsverhältnissen bestimmt und weiterhin bestimmen wird.

Körperliche Mängel sind heute ebensowenig wie früher eine hinreichende Erklärung dafür, daß die Frau einen minderen gesellschaftlichen Status genießt. Vielmehr ist der soziale Zwang zu einer Ideologie geworden, die von beiden Geschlechtern geteilt wird. In ihrem Kommentar zu den Ergebnissen ihrer Befragung arbeitender Frauen stellt Viola Klein fest: »In keiner einzigen Antwort auf die Fragen gibt es irgendeine Spur von feministischem Egalitarismus, und ebensowenig wird unterstellt, daß Frauen ein ›Recht auf Arbeit‹ haben.«[20] Solange man den Frauen einen Platz in der Produktion streitig macht oder verweigert, schafft sie nicht einmal die Vorbedingungen ihrer Befreiung.

Reproduktion

Die Abwesenheit der Frau im Produktionsbereich ist historisch nicht nur durch ihre körperliche Schwäche in einem Zwangszusammenhang verursacht, sondern auch durch ihren Ort in der Reproduktion. Die Mutterschaft gebietet zwar einen zeitweiligen Rückzug aus der Arbeit, aber dies ist nicht entscheidend. Entscheidend ist vielmehr die Rolle der Frau bei der Reproduktion, die, zumindest in der bürgerlichen Gesellschaft, zur »Ergänzung« der männlichen Rolle in der Produktion geworden ist.[21] Kinder gebären und aufziehen, das Heim instandhalten – das ist, dieser Ideologie zufolge, der Kern der natürlichen Berufung der Frau. Dahinter steht die Vorstellung von der Universalität der Familie als menschlicher Institution. Es besteht kaum ein Zweifel daran, daß die sozialistischen Analysen die darin liegenden fundamentalen Probleme zu gering eingeschätzt haben. Die Unfähigkeit, dem Schlagwort von der »Aufhebung« der Familie einen praktikablen Sinn zu geben, ist ein deutlicher Beleg dafür (wie auch für die Sinnlosigkeit dieser Formulierung).

Die biologische Funktion der Mutterschaft ist eine universale, zeitunabhängige Tatsache, und als solche scheint sie sich den Kategorien der materialistischen Geschichtsanalyse zu entziehen. Scheinbar folgt aus ihr die Beständigkeit und Allgegenwart der Familie, wenn auch in unterschiedlichen Formen.[22] Ist dies einmal akzeptiert, so läßt sich die gesellschaftliche Unterordnung der Frau – wie sehr man die weibliche Rolle auch als eine zwar ehrenwerte, aber spezifische betonen mag (vgl. die Parole der Südstaaten-Rassisten: »Equal but separate« – »Gleich aber getrennt«) – als eine unüberwindliche bio-historische Schranke interpretieren. Die Kausalkette lautet folgendermaßen: Mutterschaft, Familie, Abwesenheit in der Produktion und im öffentlichen Leben, sexuelle Ungleichheit.

Angelpunkt dieser Argumentation ist die Idee der Familie. Es herrscht weitgehend die Auffassung, »Familie« und »Gesellschaft« seien praktisch koextensiv, bzw. es gebe keine fortgeschrittene Gesellschaft, die nicht auf der Kernfamilie gründe. Ernsthaft anfechten läßt sich diese Auffassung nur, indem man fragt, was eigentlich die Familie ist, oder vielmehr, was die Rolle der Frau in der Familie ist. Sobald so gefragt wird, erscheint das Problem in einem anderen Licht. Denn offensichtlich ist die Rolle der Frau in der Familie – sei diese nun eine primitive, eine feudalistische oder eine bürgerliche – in drei ganz verschiedenen Strukturen verankert: Reproduktion, Sexualität und Sozialisation der Kinder. In der modernen Familie sind sie zwar historisch, nicht aber essentiell miteinander verknüpft. Die biologische Elternschaft ist nicht unbedingt mit der gesellschaftlichen Elternschaft identisch (Adoption). Es ist deshalb geboten, in der Familie nicht eine unverrückbare Einheit zu sehen, sondern die einzelnen Strukturen zu untersuchen, aus denen sie heute zwar besteht, die sich aber morgen schon auflösen oder zu einem neuen Muster zusammenfügen können. Wie schon betont wurde, erscheint die Reproduktion als ein scheinbar konstantes, zeitunabhängiges Phänomen – eher ein Stück Biologie als ein Stück Geschichte. In Wirklichkeit ist dies jedoch eine Illusion. Wohl trifft es zu, daß die »Reproduktionsweise« sich nicht mit der »Produktionsweise« ändert. Sie kann durchaus über eine Reihe verschiedener Produktionsweisen hinweg dieselbe bleiben. Bis heute hat man sie nämlich in Kategorien der Natur definiert. Insoweit ist sie eine unveränderliche biologische Tatsache geblieben. Solange die Reproduktion für ein Naturphänomen galt, waren die Frauen faktisch zur gesellschaftlichen Ausbeutung verurteilt. Jedenfalls konnten sie über einen großen Teil ihres Lebens nicht selber bestimmen. Sie hatten keine Wahl, ob oder wie oft sie gebären sollten (von der wiederholten Abtreibung abgesehen); ihre Existenz war an biologische Prozesse gekoppelt, die ihrer Kontrolle entzogen waren.

Empfängnisverhütung

Deshalb war die Empfängnisverhütung, die als eine rationale Technik im 19. Jahrhundert erfunden wurde, eine Neuerung von weltgeschichtlichem Belang. Erst jetzt beginnt sich abzuzeichnen, welche immensen Folgen sie haben könnte. Sie bedeutet, daß die Reproduktionsweise verändert werden könnte. Sobald nämlich die Schwangerschaft freiwillig wird (in welchem Maße ist sie es denn heute, selbst im Westen?), ist sie nicht mehr die einzige oder höchste Berufung der Frau, sondern eine Wahlmöglichkeit unter anderen. Davon sind wir freilich noch weit entfernt. Immer noch ist – unter dem Gesichtspunkt der Erdbevölkerung – die Pille das Privileg einer Minderheit. Selbst hier trägt der »technische« Fortschritt das Mal eines konservativen und ausbeuterischen Spiels mit Freiheitschancen, eines Spiels, das beide Geschlechter umfaßt.

Ein überaus wichtiger Umstand ist allerdings, daß die leicht zugängliche Empfängnisverhütung die sexuelle Erfahrung von der Erfahrung der Reproduktion abzuspalten droht, während die bürgerliche Ideologie die Reproduktion unverändert zur raison d’être der Familie erklärt.

Reproduktion und Produktion

Gegenwärtig ist die Reproduktion häufig eine Art trauriger Mimikry der Produktion. Arbeit ist überwiegend Entfremdung von Arbeit in der Herstellung eines gesellschaftlichen Produkts, nicht ein Akt verantwortungsvoller Schöpfung. Die Mutterschaft ist davon eine Karikatur. Sie wird leicht zu einer Art Ersatz für die Arbeit. Natürlich verschwindet das Kind nicht buchstäblich wie die Ware, die von einem anderen angeeignet wird. Doch die Entfremdung der Mutter ist nicht weniger einschneidend als die des Arbeiters. Vom biologischen Ursprung einer Person zu reden ist eine Abstraktion. Als autonome Person bedroht das Kind notwendigerweise die Vorstellung, es sei, weil von den Eltern gezeugt, deren Besitz. Besitz figuriert als eine Erweiterung des Selbst. Das Kind als Besitz ist dies in einem vorzüglichen Maße. Daher ist jede Aktivität des Kindes eine Bedrohung der Mutter, die ihrer Reproduktionsrolle wegen auf Autonomie verzichtet. Es gibt kaum ein riskanteres Wagnis, um darauf ein Leben zu gründen.

Im übrigen ist selbst dann, wenn die Frau eine emotionale Kontrolle über das Kind hat, sowohl sie selbst als auch das Kind rechtlich und wirtschaftlich dem Vater untergeordnet. Dem gesellschaftlichen Mutterschaftskult entspricht die faktische sozioökonomische Machtlosigkeit der Mutter. Der psychologische und der praktische Nutzen, den die Männer daraus ziehen, ist offenkundig. Die Kehrseite des weiblichen Strebens nach produktiver Verwirklichung im Kind ist der Rückzug des Mannes aus seiner Arbeit in die Familie: »Wenn wir nach Hause kommen, legen wir unsere Masken ab und lassen unsere Werkzeuge liegen; wir sind keine Rechtsanwälte, Matrosen, Soldaten, Politiker oder Pfarrer mehr, sondern einfach Männer. Wir rücken wieder in unsere menschlichsten Beziehungen ein, die am Ende doch alles sind, was uns gehört, wenn wir bei uns selbst sind.«[23]

Im Unterschied zu ihrem unproduktiven Status ist die Fähigkeit zur Mutterschaft eine Bestimmung der Frau. Aber sie ist lediglich eine physiologische Bestimmung. Solange man sie weiterhin als Ersatz für Handeln und schöpferische Tätigkeit gelten läßt, werden Frauen an die Gattungsschranken gebunden bleiben, an ihre universale natürliche Verfassung.

Sexualität

Die Sexualität ist traditionsgemäß die meisttabuierte Dimension der condition féminine. Die Bedeutung der sexuellen Freiheit und ihr Zusammenhang mit der Freiheit der Frau ist ein besonders schwieriges Thema. Marx vertrat über diesen Gegenstand herkömmliche Meinungen: die Heiligung des Sexualtriebs durch Ausschließlichkeit, die Triebkontrolle durch Gesetze, die moralische Schönheit, welche das Gebot der Natur in Form einer Gefühlsbindung idealisiert – das war für ihn das geistige Wesen der Ehe.[24]

Dennoch ist einsichtig, daß die Frauen in der Geschichte ebensosehr als Sexualobjekt wie als Gebärerinnen oder Produzentinnen definiert wurden. Die Sexualbeziehung läßt sich in der Tat leichter dem Besitzstatus angleichen als die Produktions- oder Reproduktionsbeziehung. Das zeitgenössische Vokabular legt dafür beredtes Zeugnis ab, es ist ein umfangreiches Lexikon der Verdinglichung. Marx war sich dessen wohlbewußt: Die Ehe ist »allerdings eine Form des exklusiven Privateigentums«.[25] Doch versuchten weder er selbst noch seine Nachfolger jemals, sich mit den Folgen dieser Einsicht für eine Strukturanalyse der condition féminine auseinanderzusetzen. Wie Marx in derselben Passage sagt, bedeutet Kommunismus nicht bloße »Vergemeinschaftlichung« der Frauen. Weiter wagte er sich nicht vor.

An dieser Stelle sind einige historische Überlegungen angebracht. Denn selbst wenn die Sozialisten schwiegen, die Lücke wurde von liberalen Ideologen gefüllt. In seinem Eros Denied [Verleugneter Eros] schreibt Wayland Young, die westliche Zivilisation sei sexuell repressiv gewesen, und in seinem Plädoyer für sexuelle Freiheit vergleicht er sie ausführlich mit orientalischen und antiken Gesellschaften. Auffällig ist indes, daß er keinerlei Bezug nimmt auf den Status der Frauen in den verschiedenen Gesellschaften oder auf die verschiedenen Formen des in ihnen geltenden Ehevertrags. Auch wenn es zutrifft, daß gewisse orientalische oder antike (und allerdings primitive) Gesellschaften weniger puritanisch waren als westliche Gesellschaften, so ist es doch absurd, dies als einen »übertragbaren Wert« anzusehen, der von der gesellschaftlichen Struktur unabhängig sei. Tatsächlich war die sexuelle Freizügigkeit in vielen dieser Gesellschaften begleitet von einer Form polygamer Ausbeutung, die sie praktisch zum Ausdruck männlicher Herrschaft machte. Unbegrenzte rechtmäßige Polygamie bedeutet Aufhebung weiblicher Autonomie – ungeachtet der Qualitäten der jeweiligen Kultur – und stellt einen extremen Fall von Unterwerfung dar. Das alte China ist ein vorzügliches Beispiel dafür. Wittfogel hat den außerordentlichen Despotismus des chinesischen Pater familias beim Namen genannt – ein »liturgischer (halb-offizieller) Polizist seiner eigenen Verwandtschaftsgruppe«.[26] Im Westen wiederum bezeichnete das Aufkommen der Einzelehe keineswegs eine absolute Verbesserung. Mit Sicherheit brachte sie keine Gleichheit mit sich. Engels bemerkt dazu:

»So tritt die Einzelehe keineswegs ein in die Geschichte als die Versöhnung von Mann und Weib, noch viel weniger als ihre höchste Form. Im Gegenteil. Sie tritt auf als Unterjochung des einen Geschlechts durch das andere, als Proklamation eines bisher in der ganzen Vorgeschichte unbekannten Widerstreits der Geschlechter.«[27]

Das Christentum verband die Ehe mit einem noch nie dagewesenen System allgemeiner sexueller Beschränkung. In der Paulinischen Version steckte darin ein betont frauenfeindlicher Zug, der sich später abschwächte – obwohl die Feudalgesellschaft für asketisch gehalten wurde, praktizierte sie die formale Monogamie zusammen mit einer beachtlichen Toleranz für polygames Verhalten, zumindest in der Oberschicht. Aber auch hier war der Grad sexueller Freiheit lediglich ein Indiz für männliche Herrschaft. In England trat die entscheidende Veränderung im 16. Jahrhundert ein, mit der Entstehung des militanten Puritanismus und der Zunahme von Marktbeziehungen in der Wirtschaft. Lawrence Stone schreibt dazu:

»Wenn nicht in der Theorie, so doch in der Praxis war der Adel des frühen 16. Jahrhunderts eine polygame Gesellschaft, und einige Adlige brachten es trotz des offiziellen Scheidungsverbots fertig, mit einer Reihe von Frauen zusammenzuleben. […] Unter dem Einfluß der calvinistischen Kritik an der Doppelmoral erhob sich jedoch gegen Ende des 16. Jahrhunderts die öffentliche Meinung gegen den offenkundigen Unterhalt einer Mätresse.«[28]

Der Kapitalismus und die damit einhergehenden Forderungen der aufsteigenden Bourgeoisie räumten der Frau als Ehefrau und Mutter einen neuen Status ein. Ihre gesetzlichen Rechte wurden verbessert; über ihre gesellschaftliche Stellung wurde energisch diskutiert, und die körperliche Bestrafung der Frau wurde verurteilt. »Der bürgerliche Mann sucht in seiner Frau eine Ergänzung und nicht einen ihm ebenbürtigen Menschen.«[29] Am Rande der Gesellschaft gewann die Frau gelegentlich eine Gleichheit, die über ihre marktgesellschaftliche Funktion hinausging. In extremen Sekten genoß die Frau oft die gleichen Rechte wie der Mann: Fox behauptete, die Erlösung stelle die Gleichheit vor dem Sündenfall wieder her. Doch nach erfolgter Institutionalisierung der meisten Sekten rückte das Bedürfnis nach familiärer Disziplin wieder in den Vordergrund. Wie Keith Thomas sagt, hatten die Puritaner »etwas getan, um den Status der Frauen zu heben, doch in Wirklichkeit war dies nicht sehr viel«.[30] Das patriarchalische System blieb gewahrt und wurde durch die ökonomische Produktionsweise aufrechterhalten. Der Schritt zur rechtsgültigen Einzelehe begleitete den Übergang zur modernen bürgerlichen Gesellschaft, wie wir sie heute kennen. Ebenso wie das Marktsystem selbst stellt sie eine historische Errungenschaft um einen hohen historischen Preis dar. Die formale Rechtsgleichheit in der kapitalistischen Gesellschaft und die kapitalistische Rationalität galten nun sowohl für den Ehevertrag wie für den Arbeitsvertrag. In beiden Fällen verhüllt eine nominelle Gleichheit die reale Ungleichheit. Aber in beiden Fällen markiert die formale Gleichstellung auch einen Fortschritt.

Die heutige Situation ist durch einen neuen Widerspruch gekennzeichnet. Da nun die formale eheliche Gleichheit (Monogamie) festgelegt ist, wird die sexuelle Freiheit – die unter den Bedingungen der Polygamie gewöhnlich eine Form der Ausbeutung war – ihrerseits zu einer möglichen Kraft der Befreiung. Sie bedeutet für beide Geschlechter, die Grenzen gegenwärtiger Kodifizierungen der Sexualität überschreiten zu können.

Geschichtlich gab es also eine dialektische Bewegung, in welcher der sexuelle Ausdruck »geopfert« wurde: in einer Epoche mehr oder weniger puritanischer Unterdrückung, die gleichwohl eine ersichtliche Parität der Sexualrollen herbeiführte. Diese wiederum schafft die Vorbedingungen für Befreiung, und zwar im doppelten Sinne von Gleichheit und Freiheit, deren Einheit den Sozialismus bestimmt.

Diese Bewegung findet ihre Bestätigung in der Geschichte der »Empfindungen«. Erst im 12. Jahrhundert entsteht, im Gegenzug zu den rechtlichen Eheformen und mit einer gesteigerten Wertschätzung der Frau (höfische Liebe), der Liebeskult. Er verbreitete sich rasch und wurde mit der Ehe selber zusammengebracht, die in ihrer bürgerlichen Gestalt (romantische Liebe) zur freien Wahl auf Lebenszeit wurde. Auffällig ist dabei, daß die Monogamie die Idee der Liebe um viele Jahrhunderte vorwegnahm. In der Folge wurden zwar beide offiziell in Einklang gebracht, doch die Spannung zwischen ihnen wurde nie ganz beseitigt. Es besteht ein formaler Widerspruch zwischen dem freiwilligen Vertragscharakter der »Ehe« und dem spontanen, unkontrollierbaren Charakter der »Liebe« – der Leidenschaft, die gerade wegen ihrer unwillkürlichen Kraft gepriesen wird. Die Vorstellung, sie komme im Leben des Einzelnen nur ein einziges Mal vor und lasse sich deshalb in einen freiwilligen Vertrag integrieren, verliert im Lichte der Alltagserfahrung zusehends an Plausibilität – sobald die sexuelle Repression als psycho-ideologisches System gelockert wird.

Der bisher wichtigste Durchbruch im traditionellen Wertemuster signalisierte offensichtlich die Verbreitung vorehelicher Sexualerfahrung. In der bürgerlichen Gesellschaft heute ist sie praktisch legitim. Ihre Folgen wirken jedoch auf die ideologische Konzeption der in dieser Gesellschaft vorherrschenden Ehe, nämlich daß die Ehe eine ausschließliche und dauerhafte Bindung sei, wie ein Sprengsatz. Eine neuere amerikanische Aufsatzsammlung, The Family and the Sexual Revolution, führt dies vor Augen:

»Wenn es um außereheliche Beziehungen geht, schlagen die Feinde der Sexualität immer noch eine nachhaltige, wenn auch verlorene Schlacht. Dem innersten Kern der jüdisch-christlichen Sexualethik zufolge sollen Männer und Frauen bis zur Eheschließung keusch und danach absolut treu bleiben. Im Hinblick auf die voreheliche Keuschheit scheint diese Ethik ganz offensichtlich zu verschwinden, und in vielen Teilen der Bevölkerung wird sie immer mehr zum toten Buchstaben.«[31]

Die gegenwärtige sexuelle Liberalisierung könnte durchaus zur Mehrung und Stärkung der allgemeinen Freiheit der Frau beitragen; sie kann aber auch neue Formen der Unterdrückung ankündigen. Die puritanisch-bürgerliche Vision der Frau als »Ergänzung« hat die Vorbedingungen für die Emanzipation hergestellt. Sie verschaffte jedoch den Geschlechtern eine satzungsrechtliche Gleichheit um den Preis einer erhöhten Reglementierung. In der Folge wurde sie – so wie das Privateigentum selbst – zu einer Behinderung freier Sexualität. Die kapitalistischen Marktbeziehungen waren historisch die Voraussetzung des Sozialismus; bürgerliche Ehebeziehungen können (entgegen der Verdammung im