Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - Dominik Geppert - E-Book

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Dominik Geppert

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Beschreibung

Jenseits überkommener Deutungsmuster schildert Dominik Geppert in diesem anschaulich geschriebenen Band die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von den Anfängen bis zur Gegenwart. Er zeichnet den Weg vom Frontstaat im Kalten Krieg bis zur heutigen Macht in der Mitte Europas nach und legt dabei ein besonderes Augenmerk auf die sich seit der Wiedervereinigung verstärkt stellende Frage nach der staatlichen und gesellschaftlichen Identität Deutschlands.

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Dominik Geppert

GESCHICHTE DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND

C.H.Beck

Zum Buch

Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wurde lange als Erfolgsgeschichte erzählt. Leitmotive waren Verwestlichung, Liberalisierung, Zivilisierung und die erfolgreiche Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. An dieser Lesart sind Zweifel aufgekommen. Zum einen stellt sich seit der Wiedervereinigung die Frage nach einer Nationalgeschichte jenseits des postnationalen Selbstverständnisses der alten Bundesrepublik mit neuer Dringlichkeit: Die Bundesrepublik ist nicht mehr der östlichste Frontstaat des Westens im Kalten Krieg. Sie findet sich als Macht in der Mitte des europäischen Kontinents wieder. Zum anderen verblasst das Deutungsmuster einer 1945/49 beginnenden success story, je stärker Fragen nach der Vorgeschichte gegenwärtiger Probleme in den Vordergrund treten. Damit rücken auch Gefährdungen der Demokratie, der Wandel von Institutionen und gesellschaftlichen Arrangements sowie neue außenpolitische Herausforderungen in den Blick.

Anschaulich und pointiert zeichnet Dominik Geppert vor diesem Hintergrund die Geschichte der Bundesrepublik von der Gründung bis zur Gegenwart nach. Sein Buch bietet eine konzise Einführung auf dem neuesten Stand der Forschung und ist gleichermaßen anregend wie informativ.

Über den Autor

Dominik Geppert lehrt Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts an der Universität Potsdam. Bei C.H.Beck hat er (gemeinsam mit Nina Schnutz) herausgegeben: «Hans Werner Richter: Mittendrin. Die Tagebücher 1966–​1972» (2012).

Inhalt

Einleitung

I. Neuanfang und Wiederaufbau (1945–​1958)

1. Gründung in Stufen

2. Bonn und Weimar

3. Adenauers Kanzlerdemokratie

4. Konservative Modernisierung

II. Reform und Revolte (1958–​1973)

1. Ein Land im Umbruch

2. Verschiebungen in der Parteienlandschaft

3. Modernisierung und Protest

4. Streit um die Außen- und Deutschlandpolitik

III. Bedrohte Sicherheit (1973–​1985)

1. Weltwirtschaftliche Verwerfungen

2. Terrorismus und neue soziale Bewegungen

3. Die Volksparteien im Zenit

4. Internationale Koordinierung und Verschärfung des Kalten Krieges

IV. Transformation und Beharrung (1985–​1999)

1. Ein neues Europa

2. Wirtschaft und Währung jenseits des Ost-West-Konflikts

3. Das System Kohl

4. Die Deutschen und die Nation

V. Aufbruch in die Berliner Republik (1999–​2008)

1. Von Bonn nach Berlin

2. Machtwechsel

3. Die Bundesrepublik im Krieg

4. Abschied vom «Modell Deutschland»

VI. Globalisierung und ihre Grenzen (2008–​2021)

1. Ein Aufschwung des Missmuts

2. Die Krise(n) Europas

3. Die Methode Merkel

4. Corona

Ausblick

Literatur

Für Anton, Charlotte und Paul

Einleitung

Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wurde lange als Erfolgsgeschichte erzählt. Als Leitmotive der Entwicklung einer «geglückten Demokratie» (Edgar Wolfrum) dienten die Konzepte von Verwestlichung, Stabilisierung, Liberalisierung, Zivilisierung und erfolgreicher Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. An einer derartigen Lesart sind Zweifel aufgekommen. Zum einen stellt sich seit der deutschen Einheit 1990 mit neuer Dringlichkeit die Frage nach einer Nationalgeschichte jenseits des postnationalen Selbstverständnisses der alten Bundesrepublik, die nur den westlichen Teil des heutigen Deutschlands umfasste. Die Bundesrepublik ist nicht mehr der östlichste Frontstaat des Westens im Kalten Krieg mit der Sowjetunion, sondern findet sich in der Mitte des europäischen Kontinents wieder, mit all den Herausforderungen an das politische Balancegefühl, die eine solche Lage mit sich bringt. Zum anderen verblasst das Deutungsmuster einer 1945/49 beginnenden Erfolgsgeschichte, je stärker das Staunen über die Stabilität der Bundesrepublik nachlässt und Fragen nach der Vorgeschichte gegenwärtiger Probleme in den Vordergrund treten. Diese sind kaum noch allein unter den Gesichtspunkten einer fortschreitenden Liberalisierung oder Zivilisierung der Deutschen einzuordnen, sondern verweisen auch auf Gefährdungen der Demokratie, den Wandel von Institutionen und gesellschaftlichen Arrangements sowie auf neue außenpolitische Herausforderungen jenseits der Westbindung im Kalten Krieg.

Die folgende Darstellung zeichnet die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ohne Rückgriff auf teleologische Erzählweisen nach. Sie skizziert den Wandel politischer Konstellationen und gesellschaftlicher Spannungslagen, ökonomischer Herausforderungen, intellektueller Strömungen und mentaler Dispositionen. Die Kapitelfolge orientiert sich weniger an den Amtszeiten einzelner Kanzler(innen) als an wirtschaftlichen Großwetterlagen, tektonischen Verschiebungen im Parteienspektrum und der Rückbindung an die internationale, speziell europäische Politik. Die Geschichte der Bundesrepublik war und ist mehr als eine Abfolge von Regierungen und Koalitionen, von konjunkturellen Auf- oder Abschwüngen, gesellschaftlichen Umschichtungsprozessen oder kulturellen Transformationen. Es ging und geht in ihr immer auch um die Herausbildung einer sich wandelnden staatlichen und gesellschaftlichen Identität, die in der Lage ist, Leitideen zu verkörpern. Dabei bleibt das vereinigte Deutschland normativ auf die Geschichte der Bundesrepublik angewiesen. Denn diese ist in ihren Errungenschaften und Irrungen gleichermaßen Identitätsressource und historische Orientierungslinie für die Gegenwart.

I. Neuanfang und Wiederaufbau (1945–​1958)

1. Gründung in Stufen

Die Gründung der Bundesrepublik war kein Ereignis, sondern ein Prozess. Sie erfolgte schrittweise: in Sprüngen und über Stufen. Dabei wurden die Gründungsetappen des westdeutschen Staates jeweils von den Eskalationsschüben des sich verschärfenden weltpolitischen Gegensatzes zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion angestoßen. Im Schatten wechselseitiger Bedrohung mit Nuklearwaffen standen Marxismus-Leninismus, Planwirtschaft und Zentralismus sowjetischer Prägung gegen liberalen Pluralismus, Marktwirtschaft und Demokratie westlicher Spielart. Europa und vor allem das besiegte Deutschland waren in den späten 1940er Jahren der wichtigste Schauplatz der globalen Auseinandersetzung zwischen den beiden neuen Supermächten «um die Seele der Menschheit» (Melvyn Leffler).

Vier Monate nachdem US-Außenminister James F. Byrnes Anfang September 1946 erstmals die Möglichkeit einer (zunächst noch gesamtdeutsch gedachten) Selbstregierung angedeutet hatte, wurden die amerikanische und die britische Besatzungszone zum «Vereinigten Wirtschaftsgebiet» der Bizone mit zentralen Verwaltungen für Wirtschaft, Ernährung, Verkehr, Finanzen und Post fusioniert, um die katastrophale Wirtschafts- und Ernährungslage der deutschen Bevölkerung zu verbessern. Ein Zusammengehen mit der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) erschien unmöglich. Auch die französische Regierung, der auf britische Fürsprache eine eigene Besatzungszone im deutschen Südwesten zugewiesen worden war, weigerte sich zunächst, die Abschottung ihrer Zone aufzugeben. 1947 spitzte sich die globale Konfrontation der Supermächte zu. US-Präsident Harry S. Truman versprach amerikanische Hilfe beim Widerstand gegen den Kommunismus zur Eindämmung weiterer sowjetischer Expansion: Entweder, so sah es Truman, man gehörte zur freien Welt des Westens oder zur totalitären Welt des Ostens. Der sowjetische Diktator Josef Stalin ließ seinen engen Mitarbeiter Andrei Schdanow mit seiner eigenen Version der Zwei-Lager-Theorie antworten: hier das antiimperialistische Lager der sozialistischen Staaten unter sowjetischer Führung, dort die Imperialisten unter der Knute der Amerikaner.

Die logische Konsequenz dieser Weltsicht bestand darin, das eigene Lager zu konsolidieren. Die USA fürchteten, wirtschaftliche, politische und soziale Auflösungsprozesse im kriegszerstörten Europa würden den Kommunismus stärken. Um die Erosion Westeuropas zu stoppen, legte Byrnes’ Nachfolger als Außenminister, George C. Marshall, einen Plan auf, über den Europa bis 1952 insgesamt mehr als 13 Milliarden Dollar Aufbauhilfe erhielt. Die Amerikaner boten ihre Unterstützung nicht jedem Land einzeln an. Sie beharrten vielmehr darauf, die Europäer müssten sich als Vorleistung auf ein gemeinsames Wirtschaftsprogramm einigen und dauerhaft um wirtschaftspolitische Zusammenarbeit im Rahmen der Organization for European Economic Cooperation (OEEC) bemühen, die im Frühjahr 1948 nach einigen Querelen gegründet wurde. Die Sowjetunion sorgte dafür, dass die ostmitteleuropäischen Staaten in ihrem Einflussbereich nicht am Marshallplan teilnahmen, obwohl die Tschechoslowakei, Polen und Ungarn ursprünglich Interesse bekundet hatten. Stattdessen legte Stalin mit der Kominform als Koordinationsbüro der kommunistischen Parteien zur Festigung sowjetischer Dominanz und mit dem Molotow-Plan vom Juli 1947 als Keimzelle des späteren Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) das Fundament für eine östliche Antwort auf die westliche Eindämmungspolitik.

Vor dem Hintergrund zunehmender weltpolitischer Polarisierung konnte es niemanden verwundern, dass sich die vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs auf der Londoner Außenministerkonferenz im November und Dezember 1947 nicht auf die stufenweise Etablierung einer gemeinsamen Regierung in allen Besatzungszonen einigen konnten; der letzte Anlauf zur Schaffung einer gesamtdeutschen Regierung war damit gescheitert. Ein kommunistischer Staatsstreich in der Tschechoslowakei erweiterte das sowjetische Einflussgebiet im Februar 1948 weiter nach Westen. Im März zogen sich die sowjetischen Vertreter aus dem Alliierten Kontrollrat zurück, der obersten Besatzungsbehörde in Deutschland, in der die Militärgouverneure der vier Siegermächte alle ganz Deutschland betreffenden Fragen zu regeln hatten. Zwei Wochen später trat der Marshallplan für Westeuropa in Kraft, an dem auch die Bizone und die französische Besatzungszone teilhatten. Am 20. Juni 1948 folgte die Einführung der D-Mark in den drei Westzonen, die für die wirtschaftliche Konsolidierung Westdeutschlands entscheidend war, gefolgt von einer Währungsreform in der SBZ drei Tage später. Damit war die wirtschaftliche Spaltung Deutschlands de facto vollzogen.

Fast zeitgleich verdichtete die UdSSR die seit Monaten andauernden Behinderungen des freien Verkehrs mit den westlichen – von Amerikanern, Briten und Franzosen kontrollierten – Sektoren Berlins zu einer weitgehenden Blockade der Teilstadt, die wie eine Insel mitten in der SBZ lag. Stalin wollte die Briten und Amerikaner zur Aufgabe ihrer Weststaatspläne zwingen oder, falls dies nicht gelang, wenigstens dafür sorgen, dass sie sich aus ihren Sektoren zurückzogen. In London und etwas später auch in Washington setzten sich allerdings die Kräfte um den britischen Außenminister Ernest Bevin und den Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone, General Lucius D. Clay, durch, die dem sowjetischen Druck nicht nachgeben und stattdessen an den Plänen für die Gründung eines Weststaates festhalten wollten. «Wenn wir der Ansicht sind», so Clay, «dass wir Europa gegen den Kommunismus halten müssen, dann dürfen wir uns nicht vom Fleck rühren.» Der einzige Weg, der hierfür offenstand, war die Versorgung West-Berlins per Flugzeug, weil nur die Luftkorridore zwischen den Siegermächten vertraglich festgelegt worden waren, während die Sowjetunion alle anderen Zufahrtswege auf der Straße, über die Schiene und mit dem Schiff unterbrechen konnte.

Der Durchbruch vom westdeutschen Wirtschaftsverbund zum politisch verfassten Gemeinwesen fand im Schatten der ersten großen Krise des Kalten Krieges statt. Auf der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz hatten die USA und Großbritannien die widerstrebenden Benelux-Staaten und Frankreich im Frühjahr 1948 dazu gebracht, einer Umwandlung der westdeutschen Wirtschaftszone in einen regelrechten Staat zuzustimmen. Die einzigen gewählten Vertreter des deutschen Volkes, die dieser Entscheidung der Westmächte demokratische Legitimität verleihen konnten, waren die Ministerpräsidenten der elf Länder. Sie wurden daher von den Militärgouverneuren der drei westlichen Besatzungszonen im Juli 1948 in den sogenannten Frankfurter Dokumenten aufgefordert, die Verfassung eines westdeutschen Staates vorzubereiten.

Obwohl die Ministerpräsidenten aus Sorge vor einer Zementierung der deutschen Teilung anfangs zurückhaltend reagiert hatten, trat nicht zuletzt auf amerikanischen Druck im August ein Sachverständigenausschuss zusammen, um im Auftrag der Ministerpräsidenten den ersten Entwurf einer provisorischen Verfassung zu erarbeiten. Im Anschluss an diesen sogenannten Herrenchiemseer Verfassungskonvent setzte von September 1948 bis Mai 1949 der Parlamentarische Rat die Arbeit fort, immer wieder unterbrochen von den Besatzungsmächten, die durch Memoranden und über ihre Verbindungsoffiziere in die Verhandlungen eingriffen. Bei der Verabschiedung am 8. Mai 1949 wurde das Verfassungswerk, das man zur Betonung seines provisorischen Charakters «Grundgesetz» nannte, gegen die Stimmen der Kommunisten, der konservativen Deutschen Partei (DP), des katholischen Zentrums sowie sechs von acht CSU-Vertretern angenommen; später votierte auch der Bayerische Landtag dagegen, weil ihm der Föderalismus nicht weit genug ging. Vier Tage darauf, am 12. Mai 1949, genehmigten die drei Militärgouverneure, die sich das letzte Wort vorbehalten hatten, das Grundgesetz. Am selben Tag gab die UdSSR nach elf Monaten die Zufahrtswege nach Berlin wieder frei. Stalins Bestreben, die Gründung eines westdeutschen Staates zu verhindern, war ebenso gescheitert wie sein Versuch, die Westmächte aus Berlin zu vertreiben. Der sowjetische Diktator war zum unfreiwilligen Geburtshelfer der Bundesrepublik geworden.

2. Bonn und Weimar

Das Grundgesetz trat am 24. Mai 1949 in Kraft, Mitte August fand die Wahl zum ersten Bundestag statt. Mit den konstituierenden Sitzungen von Bundestag und Bundesrat war Anfang September die institutionelle Gründung der zweiten deutschen Republik abgeschlossen. Ihren Sitz nahmen Regierung und Parlament in Bonn am Rhein, wo schon der Parlamentarische Rat getagt hatte. Bonn war im Krieg nicht so verheerend getroffen worden wie andere Städte. Als preußische Garnisonsstadt verfügte es über Kasernengebäude, in denen die neuen Ministerien und Ämter untergebracht werden konnten. Dass Konrad Adenauer, der nur wenige Kilometer stromaufwärts in Rhöndorf wohnte, als Präsident des Parlamentarischen Rates und Vorsitzender der CDU in der britischen Besatzungszone im Hintergrund die Strippen zog, schadete ebenfalls nicht. Vor allem aber galt die Entscheidung für Bonn und gegen Frankfurt – die traditionsreiche Krönungsstadt der deutschen Kaiser, im 19. Jahrhundert Sitz des Deutschen Bundestages und 1848/49 Tagungsort der ersten deutschen Nationalversammlung – als Bekenntnis zum provisorischen Charakter der neuen Ordnung, die nur als Zwischenschritt zu einer Rückkehr der Regierung in die alte Hauptstadt an der Spree gesehen oder jedenfalls propagiert wurde.

Das Provisorium erwies sich jedoch als derart langlebig, dass «Bonn» zum Synonym der zweiten deutschen Republik wurde. Besorgte Zeitgenossen fürchteten, diese könnte das Schicksal ihrer Vorgängerin von Weimar teilen. Tatsächlich war die zweite deutsche Republik wie die erste aus Krieg und Niederlage entstanden. Eine tiefgreifende sozialistische Umgestaltung von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft blieb in der jungen Bundesrepublik wie nach 1918 aus. Die Führungspositionen wurden 1949 zudem von Männern eingenommen, die schon in Weimar zur politischen Elite gezählt hatten: der christdemokratische Bundeskanzler Adenauer als Kölner Oberbürgermeister und Präsident des preußischen Staatsrats, Bundespräsident Theodor Heuss von der FDP und der sozialdemokratische Oppositionsführer Kurt Schumacher als Reichstagsabgeordnete.

In mancher Hinsicht war die Situation schlechter als nach dem Ersten Weltkrieg. Denn anders als nach 1918 lagen weite Gebiete des Landes, vor allem die großen Städte, in Trümmern. Industrieanlagen und Infrastruktur waren zum Teil schwer beschädigt oder von den Besatzungsmächten demontiert worden. Rechtlich gesehen war die Bundesrepublik anfangs nicht viel mehr als ein Protektorat der USA, Großbritanniens und Frankreichs, die nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht im Mai 1945 (gemeinsam mit der Sowjetunion) mit der uneingeschränkten Macht der Sieger in Deutschland herrschten. Die drei westlichen Militärgouverneure hatten sich zwar im Mai 1949 an ein Besatzungsstatut gebunden, das mit der Konstituierung der ersten Bundesregierung in Kraft trat; darin wurden ihre Kompetenzen schriftlich fixiert und begrenzt. Auch nach Übertragung exekutiver, legislativer und rechtsprechender Gewalt an Bund und Länder bestanden die drei Besatzungsmächte jedoch auf umfangreichen Hoheitsrechten, etwa für Abrüstungsfragen und wirtschaftliche Entflechtung, für Restitutionen und Reparationen, für auswärtige Angelegenheiten, für die Überwachung des Außenhandels und der Devisenwirtschaft; vor allem behielten sie sich das Recht vor, die Staatsgewalt im Notfall auch wieder ganz in die eigenen Hände zu nehmen.

Die anfängliche Machtlosigkeit der Deutschen und die Herrschaft der Siegermächte erwiesen sich langfristig als Vorteil für die Etablierung eines stabilen Gemeinwesens. Denn die schlimmsten Jahre der Nachkriegsnot fielen noch in die Besatzungszeit, so dass Hunger und Lebensmittelrationierung, Kriegszerstörung und Wohnungsmangel nicht mit einer deutschen Regierung, sondern mit den Siegermächten assoziiert wurden. Anders als nach 1918 stand die Kriegsschuld außer Frage. Der nationalsozialistische Vernichtungskrieg und die Monstrosität der Verbrechen, die Deutsche begangen hatten, waren durch nichts zu rechtfertigen. Für neue Dolchstoßlegenden ließen die vollständige Niederlage der Wehrmacht und die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches keinen Raum. Die Hauptkriegsverbrecher wurden von den Siegermächten 1946 in Nürnberg verurteilt. Deutsche spielten als Ankläger oder Richter in Nürnberg ebenso wenig eine herausgehobene Rolle wie bei den über 5000 weiteren Prozessen, die unter alliierter Regie bis 1949 stattfanden. Vorwürfe des «Vaterlandsverrats» gegenüber den neuen politischen Eliten, wie sie nach 1918 an der Tagesordnung waren, blieben in der jungen Bundesrepublik seltene Ausnahmen. Zugleich war eine positive Bezugnahme auf Hitler und den Nationalsozialismus öffentlich nicht mehr möglich, auch wenn das in Privatgesprächen und hinter vorgehaltener Hand noch längere Zeit anders blieb.