Good Inside  - Das Gute sehen - Becky Kennedy - E-Book
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Good Inside - Das Gute sehen E-Book

Becky Kennedy

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Beschreibung

»Prall gefüllt mit nützlichen Ideen – ein Ratgeber für Eltern, der sich lohnt.« (Publishers Weekly)

Mit ihrem internationalen Bestseller hat die gefeierte Psychologin Dr. Becky Kennedy eine wahre Erziehungsrevolution ausgelöst: Millionen Eltern, frustriert von Ratschlägen, die entweder nicht funktionieren oder sich einfach nicht richtig anfühlen, folgen ihrem bestärkenden und wirksamen Ansatz. In Good Inside zeigt sie ein völlig neues Erziehungsprinzip, das auf ermutigenden und leicht umsetzbaren Strategien beruht – und Eltern dabei hilft, Selbstzweifel hinter sich zu lassen und eine starke und liebevolle Führung zu entwickeln.

Dieses Buch bietet nicht nur eine erfrischende Perspektive auf Kindererziehung, sondern enthält auch unzählige praktische Lösungsansätze für konkrete Situationen wie Wutanfälle, Trennungsängste, Geschwisterrivalität und vieles mehr. Eine unverzichtbare Ressource, die dabei hilft, Kinder auf ein Leben voller Selbstvertrauen, Mut und Resilienz vorzubereiten.

»Becky Kennedy zeigt eindrucksvoll, dass wir für unsere Kinder das Beste tun, wenn wir das Gute sehen. Diese Haltung ändert alles!« Herbert Renz-Polster

»Ich liebe es, wie Becky Kennedy Eltern an die Hand nimmt und sie so verständnisvoll wie alltagspraktisch daran erinnert, dass es keine schwierigen Kinder gibt – nur wundervolle Kinder mit manchmal schwierigen Verhaltensweisen, die Impulskontrolle und Emotionsregulation eben erst noch lernen müssen. Wie wir ihnen dabei helfen können, erklärt dieses wunderbare Buch.« Nora Imlau

»Becky Kennedy zeigt, wie wir alle bessere Beziehungen führen können – miteinander und zu uns selbst. Ein heilsames Buch für die gesamte Familie!« Anne Dittmann

»Good Inside lässt uns zurück mit einem liebevolleren und empathischeren Blick – nicht nur auf unseren Nachwuchs, sondern auch auf uns selbst. So ein wertvoller Beitrag zum Paradigmenwechsel in der Begleitung von Kindern!« Carina Thiemann

»Becky Kennedy gelingt es, unzählige Alltagssituationen, an denen Eltern immer wieder verzweifeln, mit optimistischer Leichtigkeit aufzulösen. Ihr Buch ist ein großartiges Nachschlagewerk für Eltern, die im Dschungel der Erziehungsratgeber Orientierung suchen.« Sandra Teml

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Seitenzahl: 469

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»Prall gefüllt mit nützlichen Ideen – ein Ratgeber für Eltern, der sich lohnt.«

Publishers Weekly

Mit ihrem internationalen Bestseller hat die gefeierte Psychologin Dr. Becky Kennedy eine wahre Erziehungsrevolution ausgelöst: Millionen Eltern, frustriert von Ratschlägen, die entweder nicht funktionieren oder sich einfach nicht richtig anfühlen, folgen ihrem bestärkenden und wirksamen Ansatz.

In Good Inside zeigt sie ein völlig neues Erziehungsprinzip, das auf ermutigenden und leicht umsetzbaren Strategien beruht – und Eltern dabei hilft, Selbstzweifel hinter sich zu lassen und eine starke und liebevolle Führung zu entwickeln.

Dieses Buch bietet nicht nur eine erfrischende Perspektive auf Kindererziehung, sondern enthält auch unzählige praktische Lösungsansätze für konkrete Situationen wie Wutanfälle, Trennungsängste, Geschwisterrivalität und vieles mehr. Eine unverzichtbare Ressource, die dabei hilft, Kinder auf ein Leben voller Selbstvertrauen, Mut und Resilienz vorzubereiten.

»Nichts gibt uns mehr Sicherheit, als wenn wir als der gute Mensch erkannt werden, der wir sind. Vergessen Sie das nie, auch wenn es das Einzige in diesem Buch sein sollte, woran Sie sich später erinnern. Sie sind grundlegend gut. Ihr Kind ist grundlegend gut. Wenn Sie sich auf diese Wahrheit besinnen, bevor Sie damit beginnen, sich um Veränderungen zu bemühen, sind Sie auf dem richtigen Weg.«

Wir alle verlieren bei der Erziehung manchmal die Geduld oder sagen Dinge, die wir am liebsten zurücknehmen würden. Doch wie finden wir danach wieder Zugang zu unserem Kind? Wie gewinnen wir neues Vertrauen in unsere Fähigkeiten als Eltern?

Dr. Becky Kennedy zeigt in ihrem inspirierenden Buch:

• die richtigen Worte für jedes Verhalten

• wie wir eine tiefere Bindung zu unserem Kind aufbauen

• ein Erziehungsprinzip, das unserem Familienleben mehr Leichtigkeit und Harmonie schenkt

• wie wir starke, resiliente und selbstbewusste Menschen großziehen

• alltagsnahe und leicht umsetzbare Strategien

So vermittelt sie einen Erziehungsstil, der wirksam ist und sich gut anfühlt. Denn dafür ist es nie zu spät!

Dr. Becky Kennedy, klinische Psychologin und selbst dreifache Mutter, wurde vom Time Magazine zur Elternflüsterin des neuen Jahrtausends gekürt. Ihr innovativer Ansatz im Umgang mit Kindern hat sie zu einer gefragten Expertin gemacht. Kennedy übersetzt fundiertes Erziehungswissen in alltagsnahe und leicht umsetzbare Strategien und erreicht damit Eltern in den sozialen Medien ebenso wie über ihren beliebten Podcast. Ihr Ziel ist es, Müttern und Vätern effektive Werkzeuge an die Hand zu geben, um Herausforderungen bei der Kindererziehung besser zu bewältigen.

Good Inside ist ihr erstes Buch und wurde aus dem Stand ein New-York-Times-Bestseller. Es wurde bereits in mehr als 30 Sprachen übersetzt.

www.goodinside.com

#1 New York Times Bestseller

Dr. Becky Kennedy

Das Gute sehen

Wie wir die Eltern werden, die wir sein wollen

Deutsch von Elisabeth Liebl

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Die Empfehlungen in diesem Buch sind von den Autoren und dem Verlag sorgfältig geprüft. Sie bieten keinen Ersatz für medizinische, psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung und Diagnose. Alle Angaben in diesem Buch erfolgen ohne jegliche Gewährleistung oder Garantie seitens der Autorin und des Verlags. Eine Haftung der Autorin beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte sind die Namen der meisten genannten Personen geändert. Angaben, die eine genaue Identifizierung der beschriebenen Personen ermöglicht hätten, wurden verfremdet.

Penguin Random House Verlagsgruppe FSC® N001967

Copyright © 2022 by Rebecca Kennedy

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel Good Inside. A Guide to Becoming the Parent You Want to Be bei Harper Wave, an imprint of HarperCollins Publishers, New York.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2023 Kösel-Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: FAVORITBUERO, München, nach einer Originalvorlage von HarperCollins US

Umschlagdesign: Jennifer Rozbruch

Umschlagillustration: Eiko Ojala

Redaktion und Übersetzung der Zitate im Umschlag: Anya Lothrop

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN 978-3-641-30686-1V002

www.koesel.de

Für meinen Ehemann,

der die erdende Kraft in meinem Leben ist.

Und für meine Kinder, die mich mehr gelehrt haben,

als ich sie jemals lehren werde.

Inhalt

Einführung

Die zehn Grundprinzipien guter Erziehung

Kapitel 1 Das Gute sehen

Kapitel 2 Beides ist wahr

Kapitel 3 Machen Sie sich Ihre Aufgabe bewusst

Kapitel 4 Die ersten Jahre sind entscheidend

Kapitel 5 Es ist nie zu spät

Kapitel 6 Resilienz vor Glück

Kapitel 7 Das Verhalten ist ein Fenster

Kapitel 8 Weniger Scham, mehr Verbundenheit

Kapitel 9 Bleiben Sie bei der Wahrheit

Kapitel 10 Selbstfürsorge

Verbundenheit aufbauen und Verhaltensweisen angehen

Kapitel 11 Bindungskapital aufbauen

Kapitel 12 Wenn Kinder nicht hören

Kapitel 13 Wutanfälle

Kapitel 14 Aggressive Wutanfälle (Schlagen, Beißen und Mit-Sachen-Werfen)

Kapitel 15 Geschwisterrivalität

Kapitel 16 Unhöfliches und trotziges Verhalten

Kapitel 17 Quengeln

Kapitel 18 Lügen

Kapitel 19 Ängste

Kapitel 20 Schüchternheit und Zaghaftigkeit

Kapitel 21 Mangelnde Frustrationstoleranz

Kapitel 22 Ernährung und Essgewohnheiten

Kapitel 23 Körperliche Selbstbestimmung

Kapitel 24 Weinen

Kapitel 25 Selbstbewusstsein aufbauen

Kapitel 26 Perfektionismus

Kapitel 27 Trennungsangst

Kapitel 28 Schlafen

Kapitel 29 Kinder, die nicht gerne über Gefühle sprechen (gefühlsstarke Kinder)

Zu guter Letzt

Danksagung

Register

Über die Autorin

Anmerkungen

Einführung

»Dr. Becky, unsere Fünfjährige hat gerade eine schwierige Phase. Sie ist gemein zu ihrer Schwester, ungezogen uns gegenüber und in der Schule rastet sie manchmal total aus. Wir wissen einfach nicht mehr weiter. Können Sie uns helfen?«

»Dr. Becky, mein Kind hat schon gelernt, aufs Töpfchen zu gehen, aber jetzt pinkelt es uns plötzlich das Haus voll. Wir haben schon alles versucht: Belohnungen, Schimpfen – nichts funktioniert. Können Sie uns helfen?«

»Dr. Becky, meine Zwölfjährige hört einfach nicht auf mich! Das ist zum Aus-der-Haut-Fahren! Können Sie mir helfen?«

Ja. Ich kann Ihnen helfen. Wir finden heraus, was da los ist.Als klinische Psychologin arbeite ich in meiner Praxis schon seit vielen Jahren mit Eltern, die sich in herausfordernden Situationen an mich wenden, in denen sie sich frustriert, ausgelaugt und verzweifelt fühlen. Auch wenn sich diese Fälle oberflächlich betrachtet voneinander unterscheiden – die Fünfjährige mit dem frechen Mundwerk, das eigentlich schon »stubenreine« Kind, das wieder rückfällig wird, und die aufsässige Zwölfjährige –, verbindet sie jedoch ein gemeinsamer Wunsch der Eltern: Sie alle wollen es besser machen. Immer wieder erzählen sie mir: »Ich weiß, welche Art Vater oder Mutter ich sein will. Ich weiß nur nicht, wie ich da hinkomme. Bitte helfen Sie mir, diese Lücke zu schließen.«

Ich beginne Sitzungen meist damit, gemeinsam mit den Eltern ein einzelnes Verhaltensmuster des Kindes zu untersuchen. Denn dieses Verhalten gibt uns einen Hinweis darauf, womit ein Kind – und häufig das ganze Familiensystem – sich herumschlägt. Indem wir bestimmte Verhaltensweisen des Kindes unter die Lupe nehmen, erkennen wir, was dieses Kind braucht und welche Kompetenzen ihm fehlen. Wir decken die Trigger für die Eltern auf und entdecken so Bereiche, in denen sie wachsen können. Und schon ist der Schritt getan von »Was ist nur los mit meinem Kind? Können Sie das abstellen?« hin zu dem Punkt, an dem die Eltern sich fragen: »Womit hat mein Kind Probleme? Und wie kann ich ihm dabei helfen?« Und dies führt hoffentlich zu der Frage: »Was löst diese Situation in MIR aus?«

In meiner Arbeit geht es mir darum, verzweifelten und frustrierten Eltern zu helfen, Hoffnung zu schöpfen, zu Kraft und Selbstreflexion zu finden – ohne dabei auf die gängigen Erziehungsstrategien zurückzugreifen. Ich rate Ihnen bei provokantem Verhalten Ihres Kindes nicht zur Time-out-Technik (der modernen Form des Eckenstehens), nicht zu Lob- und Fleißstickern oder überhaupt zu einem Lohn-und-Strafe-System. Aber was rate ich Ihnen dann?

Zuallererst müssen Sie zu verstehen versuchen, dass das problematische Verhalten nur die Spitze des Eisbergs ist und dass unter der Oberfläche die ganze innere Welt Ihres Kindes liegt. Und diese will nur eines: verstanden werden.

Lassen Sie uns einen anderen Weg gehen

Ich habe meinen Doktor in klinischer Psychologie an der Columbia University in New York gemacht. In dieser Zeit arbeitete ich in der zugehörigen Uniklinik auch praktisch mit Kindern, nämlich als Spieltherapeutin. So viel Freude mir die Arbeit mit den Kindern auch machte, so war ich doch frustriert darüber, dass ich mit deren Eltern kaum Kontakt hatte. Oft habe ich mir gewünscht, auch die Eltern miteinbeziehen zu können, statt nur mit den Kindern zu arbeiten und mit den Eltern lediglich begleitende Gespräche zu führen. Gleichzeitig hatte ich auch erwachsene Klient*innen zur Therapie, wobei sich eine Gemeinsamkeit herausstellte, die mich zusehends faszinierte: in der Arbeit mit Erwachsenen trat glasklar zutage, wo in der Kindheit etwas schiefgelaufen war – kindliche Bedürfnisse, die nicht erfüllt worden waren; auffällige Verhaltensweisen, hinter denen (ungehört verhallte) Hilferufe steckten. Mir wurde klar, dass ich die Erkenntnisse darüber, was diese Erwachsenen gebraucht und nie bekommen hatten, sinnvoll in meine Arbeit mit Kindern und ganzen Familien einfließen lassen konnte.

Als ich dann meine Praxis eröffnete, arbeitete ich zunächst ausschließlich mit Erwachsenen, die entweder selbst Therapie suchten oder zur Elternberatung kamen. Nachdem ich Mutter geworden war, baute ich die Elternberatung aus – in Einzelberatung und monatlichen Elterngruppen. Schließlich schrieb ich mich für ein Fortbildungsprogramm für klinische Psycholog*innen ein, das von sich behauptete, mit seinem »evidenzbasierten« Ansatz den »Goldstandard« in Sachen Disziplin und Verhaltensauffälligkeit bei Kindern zu lehren. Die Methoden, die man uns dort beibrachte, fühlten sich logisch und »sauber« an. Nach Abschluss des Programms hatte ich genau die Interventionstechniken gelernt, die auch heute noch regelmäßig von Erziehungsberater*innen angepriesen werden. Ich hatte das Gefühl, ein perfektes System erlernt zu haben, mit dem sich unerwünschtes Verhalten abstellen und prosoziale Verhaltensweisen fördern ließen – ein »braveres« Verhalten im Grunde, das den Eltern das Leben erleichterte. Doch schon wenige Wochen später war mir eines klar: Was ich da tat, fühlte sich schrecklich an. Immer, wenn ich Eltern einen solchen »evidenzbasierten« Ratschlag gab, spürte ich, wie sich mein Magen zusammenzog. Ich wurde einfach den Verdacht nicht los, dass diese Maßnahmen (von denen ich nicht wollen würde, dass sie jemand an mir anwendet) nicht der richtige Ansatz sein konnten, um mit Kindern zu arbeiten.

Zugegeben, rein logisch hörten sich all diese Methoden recht sinnvoll an. Aber sie zielten durchweg darauf ab, »schlechtes« Verhalten abzustellen und stattdessen ein angepasstes Verhalten zu erzwingen – auf Kosten der Eltern-Kind-Beziehung. So wurden beispielsweise die erwähnten Time-outs (Auszeiten, bei denen das Kind in sein Zimmer geschickt wird) nachdrücklich empfohlen, um Verhaltensänderungen zu bewirken. Aber schickt man dabei die Kinder nicht gerade in dem Moment in ihr Zimmer, in dem sie ihre Eltern am meisten brauchen würden? Wo blieb denn da die … nun, die menschliche Seite?

Schließlich wurde mir bewusst: All diese »evidenzbasierten« Ansätze beruhten auf den Prinzipien des Behaviorismus, einer Theorie, die sich auf das beobachtbare Verhalten eines Menschen konzentriert und nicht auf dessen innere Zustände wie Gefühle, Gedanken oder Wünsche. Dem Behaviorismus kommt es mehr darauf an, Verhalten zu formen, als Verhalten zu verstehen. Dabei wird das Verhalten als das Problem angesehen und nicht einfach nur als Ausdruck von tieferen, unerfüllten Bedürfnissen. Deshalb, so begriff ich, fühlte ich mich mit diesen »evidenzbasierten« Ansätzen so unwohl – weil sie das Feuer (was ist mit dem Kind wirklich los) mit dem Rauch (seinem Verhalten) verwechselten. Denn schließlich ist unser Ziel ja nicht, Verhalten zu formen. Unser Ziel ist es, ein menschliches Wesen großzuziehen.

Nachdem ich diese Einsicht einmal gewonnen hatte, ließ sie mich nicht mehr los. Ich war sicher, dass es andere Möglichkeiten geben musste, mit Familien zu arbeiten. Möglichkeiten, die funktionierten, ohne dass darunter die Eltern-Kind-Bindung litt. Und so verband ich alles, was ich über Bindungstheorie, Achtsamkeit und das System der inneren Familie (die theoretischen Ansätze, die meine Arbeit bestimmen) wusste, zu einer praxisnahen und leicht nachvollziehbaren Methode, um mit Familien therapeutisch zu arbeiten.

Wenn wir als Eltern unsere Haltung in Erziehungsfragen von »Konsequenzen« auf »Verbundenheit« umstellen, überlassen wir das familiäre Ruder nicht unseren Kindern. Auch wenn ich Time-outs, Strafen oder gar das Nichtbeachten von Kindern strikt ablehne, so ist mein eigener Erziehungsstil doch nicht lax oder übermäßig tolerant. Mein Ansatz beinhaltet klare Grenzen, elterliche Autorität und klare Richtlinien – und gleichzeitig ein positives Miteinander sowie gegenseitiges Vertrauen und Respekt.

Tiefschürfende Gedanken, praxistaugliche Strategien (und wie Sie mit diesem Buch arbeiten können)

Wenn ich mit Klienten*innen arbeite, so versichere ich ihnen immer wieder, dass praktikable, lösungsorientierte Therapieansätze gleichzeitig eine Heilung auf tieferer Ebene herbeiführen. Viele Erziehungsmethoden setzen den Eltern sozusagen die Pistole auf die Brust: Sie haben die Wahl, ob sie a) das Verhalten ihres Kindes auf Kosten der Beziehung verbessern wollen, oder b) der Beziehung zum Kind den Vorrang geben und dafür auf klare Ansagen und eine Verhaltensänderung verzichten. Der Ansatz, den ich Ihnen in diesem Buch vorstelle, ermöglicht es Eltern, äußerlich besser zu handeln und sich innerlich besser zu fühlen. Sie können das Band zu Ihrem Kind festigen und vertiefen und zugleich erleben, wie sich Verhalten und Kooperationsbereitschaft verbessern.

Die Botschaft, dass das eine das andere nicht ausschließt, ist das Herzstück der Ratschläge in diesem Buch. Die Informationen, die ich Ihnen gebe, sind theorie- und praxisorientiert; sie sind wissenschaftlich fundiert und auf eine Weise intuitiv, die viel Raum für Kreativität lässt. Selbstfürsorge der Eltern und Wohlergehen des Kindes stehen gleichberechtigt im Fokus. Wenn Klient*innen in meine Praxis kommen, um sich ein paar Tipps »abzuholen«, wie sich ein bestimmtes Verhalten bei ihrem Kind abstellen lässt, so gehen sie gewöhnlich mit sehr viel mehr wieder nach Hause: mit einem differenzierten Verständnis für das Kind hinter dem problematischen Verhalten und dem nötigen Rüstzeug, um dieses Verständnis praktisch anzuwenden. Meine Hoffnung ist, dass Sie aus der Lektüre dieses Buches denselben Nutzen ziehen und dass Sie daraus mit mehr Selbstmitgefühl, Selbstkontrolle und Selbstvertrauen hervorgehen – und dass Sie sich gewappnet fühlen, diese entscheidenden Fähigkeiten auch Ihren Kindern mitzugeben.

Dieses Buch ist eine Einführung in ein Erziehungsmodell, das ebenso viel mit der kindlichen Entwicklung wie Ihrer eigenen zu tun hat. Die ersten zehn Kapitel behandeln die Erziehungsgrundsätze, die ich selbst auch befolge: zu Hause bei meinen drei Kindern, bei meinen Klient*innen und deren Familien und – über soziale Medien – bei all den Eltern, mit denen ich im Laufe der Jahre Kontakt hatte. Ich möchte mit diesen Prinzipien bei Kindern und Eltern eine Heilung anstoßen und praxistaugliche Strategien anbieten, die das Zusammenleben in der Familie harmonischer machen. Die Grundidee hierbei ist: Verstehen Eltern die emotionalen Bedürfnisse ihres Kindes, so können sie nicht nur das Verhalten ihres Kindes zum Besseren verändern, sondern auch die Art und Weise, wie die Familie insgesamt funktioniert und wie ihre Mitglieder miteinander umgehen.

In der zweiten Hälfte dieses Buches finden Sie als Erstes Strategien für das, was ich Aufbau des Beziehungskapitals nenne. Hierbei handelt es sich um bewährte Strategien, mit denen Sie mehr Verbundenheit und Nähe zu Ihren Kindern herstellen können. Egal, welches Problem Sie haben – selbst wenn bei Ihnen zu Hause nur schlechte Stimmung herrscht und Sie keine Ahnung haben, warum –, mit diesen Techniken können Sie anfangen, gegenzusteuern. Anschließend werden wir uns speziellen Verhaltensproblemen von Kindern zuwenden, die hilfesuchende Eltern regelmäßig in meine Praxis führen: alles von Geschwisterrivalität über Trotzanfälle und Lügen bis hin zu Ängstlichkeit, fehlendem Selbstvertrauen und Schüchternheit. Natürlich passt dabei nicht jede Strategie für jedes Kind – die individuellen Bedürfnisse Ihres Kindes kennen letztlich nur Sie. Doch diese Strategien werden Ihnen helfen, die Dinge mit anderen Augen zu sehen, wenn Probleme auftreten. Und sie werden Sie in die Lage versetzen, mit solchen Situationen auf eine Weise umzugehen, die sich für Sie gut und für Ihr Kind sicher anfühlt.

***

Vermutlich überrascht es Sie nicht, wenn ich Ihnen sage, dass ich keine Verfechterin von Schwarz-Weiß-Lösungen bin. Ich glaube, dass Sie als Vater oder Mutter gleichzeitig bestimmt und warmherzig sein können, dass Sie Kindern Grenzen setzen und ihnen dabei Wertschätzung zeigen können und dass sich Verbundenheit und das konsequente Ausüben elterlicher Autorität nicht widersprechen. Und ich glaube auch, dass sich dieser Ansatz im Endeffekt für Sie als Eltern »richtig« anfühlen wird – nicht nur im Kopf, sondern auch tief in Ihrem Herzen. Denn wir alle wollen doch unsere Kinder als gute Kinder sehen und uns selbst als gute Eltern. Wir alle möchten darauf hinarbeiten, dass unser Zuhause harmonischer wird. Und jeder einzelne dieser Wünsche kann wahr werden. Wir müssen uns nicht für das eine und gegen das andere entscheiden. Wir können beides haben.

Die zehn Grundprinzipien guter Erziehung

Kapitel 1

Das Gute sehen

Zuallererst möchte ich Ihnen sagen, was ich über Sie und Ihre Kinder denke: Sie sind schlicht und einfach gut. Das gilt auch, wenn Sie Ihren Nachwuchs mal ein »verzogenes Gör« schimpfen. Oder wenn Ihr Kind abstreitet, gerade den Bauklötzchenturm seiner Schwester umgestoßen zu haben (und das, obwohl Sie es gesehen haben). Was ich damit sagen will, ist, dass wir alle tief in uns mitfühlend, liebevoll und großzügig sind. Das Prinzip des grundlegenden Gutseins ist der Leitgedanke meiner ganzen therapeutischen Arbeit – ich glaube fest daran, dass Kinder und Eltern grundlegend gut sind. So kann ich voller Neugierde nach der Ursache problematischen Verhaltens suchen. Und diese Neugierde befähigt mich wiederum, wirksame Konzepte und Strategien zu entwickeln, um Änderung herbeizuführen. Nichts, was Sie in diesem Buch lesen werden, ist so wichtig wie dieses Prinzip des grundlegenden Gutseins. Denn sobald wir uns sagen: »Okay, Moment mal … Ich bin gut, mein Kind ebenso …«, reagieren wir anders, als wenn wir uns in unseren Entscheidungen von Frust und Ärger leiten lassen.

Leider passiert es viel zu schnell, dass Frustration und Ärger den Ton in der Familie angeben. Natürlich sind wir als Eltern nicht mit Absicht zynisch oder negativ oder sehen mit Genugtuung das Schlechteste in unserem Kind. Aber wenn uns eine Situation erzieherisch massiv herausfordert, gehen wir oft von der (weitgehend unbewussten) Annahme grundlegenden Schlechtseins aus. Weil wir denken, unser Sohn wolle bewusst unsere Großzügigkeit ausnutzen, fragen wir uns: »Meint er wirklich, dass ich ihm das durchgehen lasse?« Wenn das Verhalten unserer Tochter nicht unseren Erwartungen entspricht, fragen wir sie: »Was stimmt mit dir nicht?« Oder wir haben das Gefühl, unser Kind testet ständig Grenzen aus oder provoziert uns, und wir brüllen es an: »Du weißt genau, dass man so etwas nicht macht!« Aber genauso zweifeln wir auch an uns selbst: »Was ist mein Problem? So etwas dürfte mir eigentlich nicht passieren!« Und schon fängt sie an, sich zu drehen: die Spirale aus Verzweiflung, Selbsthass und Scham.

Viele Erziehungsmethoden gehen davon aus, dass hinter alldem ein grundlegendes Schlechtsein steckt und dass man Kinder kontrollieren muss, statt ihnen zu vertrauen. Dabei empfiehlt man uns, unsere Kleinen auf ihr Zimmer zu schicken, statt sie zu umarmen. Ihr Verhalten wird als manipulativ wahrgenommen anstatt als Hilfeschrei. Ich hingegen bin zutiefst davon überzeugt, dass wir alle gut sind. Und lassen Sie mich eines ganz klar sagen: Diese Überzeugung soll weder schlechtes Benehmen entschuldigen noch führt sie zu einem übermäßig toleranten Erziehungsstil. Wenn Sie Ihr Kind als grundlegend gut ansehen, heißt das nicht, dass es künftig alles darf. Noch bedeutet es, dass Kinder dann völlig außer Rand und Band geraten. Ich kenne niemanden, der sagen würde: »Mein Sohn ist gut, da darf er seinen Freund auch mal anspucken.« Oder: »Meine Tochter ist gut, da macht es nichts, wenn sie ihre Schwester hin und wieder beschimpft.« Ganz im Gegenteil. Die Annahme, dass wir alle grundlegend gut sind, erlaubt uns, den Menschen (Ihr Kind) von seinem Verhalten (Ungezogenheit, Treten, böse Worte wie »Ich hasse dich«) zu trennen. Wenn wir die zwei Fragen »Wer ist mein Kind?« und »Was macht mein Kind?« trennen, können wir mit Konflikten umgehen, ohne die Eltern-Kind-Beziehung zu belasten, und trotzdem etwas bewirken.

Das Vertrauen in das grundlegende Gutsein Ihrer Kinder erlaubt Ihnen, Ihre Familie mit sicherer Hand zu führen. Wenn Sie an die Fähigkeit Ihres Kindes glauben, sich »gut« zu benehmen und das Richtige zu tun, können Sie ihm den Weg weisen. Kinder brauchen nämlich genau diese Art Anleitung. Sie sehnen sich nach einem Menschen, dem sie vertrauen können und der ihnen die Richtung zeigt. Nur wenn sie sich sicher und geborgen fühlen, können sie ihre Gefühle regulieren und Resilienz entwickeln, also die Fähigkeit, schwierige Situationen zu meistern. Kinder brauchen einen sicheren Rahmen, in dem sie ohne Angst, als »schlecht« gesehen zu werden, experimentieren und Fehler machen dürfen. Nur so können sie lernen und wachsen und eine starke Bindung zu Ihnen aufbauen.

Das mag banal klingen. Denn natürlich sind Ihre Kinder gut! Sie lieben sie ja schließlich und würden dieses Buch gar nicht erst lesen, wenn Sie nicht das Gute in ihnen fördern wollten. Aber aus dieser Perspektive heraus zu handeln ist mitunter schwieriger, als es auf den ersten Blick aussieht, vor allem in herausfordernden oder emotional aufgeladenen Situationen. Dann verhärtet sich beinahe reflexartig unsere Sichtweise, und das aus zwei Gründen: Erstens sind wir evolutionsbedingt auf Negatives ausgerichtet. Das heißt, wir fokussieren uns mehr auf die Schwierigkeiten, die wir mit unserem Nachwuchs (oder mit uns selbst, unserer Partnerin, ja mit der ganzen Welt) haben, als auf das, was gut läuft.

Zweitens beeinflussen unsere eigenen Kindheitserfahrungen unsere Sicht der Dinge und damit auch die Reaktionen auf das Verhalten unserer Kinder. Viele von uns hatten Eltern, deren Erziehungsstil sich eher auf Verurteilen als auf interessierte Anteilnahme stützte, auf Kritik statt Verständnis und auf Strafe statt Auseinandersetzung. (Das liegt vermutlich daran, dass ihre eigenen Eltern auch schon so mit ihnen umgegangen sind.) Und wenn wir nicht ganz bewusst einen Kurswechsel anstreben, wiederholt sich der Lauf der Geschichte.

Daher sehen viele Eltern im Verhalten ihrer Kinder den Ausdruck dessen, wer sie im Innersten sind, statt sich zu fragen, welche Bedürfnisse hinter diesem Verhalten stehen. Wie wäre es aber, wenn wir ihr Verhalten als Spiegel ihrer Bedürfnisse und nicht ihrer Person sähen? Dann nämlich könnten wir unseren Kindern helfen, Zugang zu ihrem grundlegenden Gutsein zu finden und auf diesem Weg ihr Verhalten zum Positiven zu verändern, statt sie für ihre Fehler zu verurteilen und sie mit dem Gefühl zurückzulassen, unverstanden und einsam zu sein. Unsere Sichtweise zu ändern ist nicht ganz einfach, aber es lohnt sich.

Den Schaltkreis neu vernetzen

Bitte versetzen Sie sich jetzt in Ihre Kindheit zurück und überlegen Sie, wie Ihre Eltern in folgenden Situationen wohl reagiert hätten:

Sie sind drei Jahre alt und haben seit Kurzem eine kleine Schwester, die von allen bestaunt und angehimmelt wird. Ihre Eltern erwarten, dass Sie sich freuen, aber Sie tun sich schwer mit der neuen Geschwisterrolle und haben oft Wutanfälle. Schließlich platzt es aus Ihnen heraus: »Bringt meine Schwester ins Krankenhaus zurück! Ich hasse sie!« Was passiert jetzt? Wie reagieren Ihre Eltern?Sie sind sieben und betteln um noch einen Keks, obwohl Ihr Vater Ihnen ausdrücklich gesagt hat, dass Sie jetzt keinen mehr bekommen. Sie haben es satt, ständig immer nur Nein zu hören. Sobald Sie allein in der Küche sind, bedienen Sie sich einfach. Ihr Vater sieht Sie mit dem Keks in der Hand. Was geschieht jetzt? Was tut Ihr Vater?Sie sind dreizehn und quälen sich mit einem Aufsatz für die Schule herum. Schließlich schwindeln Sie Ihren Eltern vor, sie seien damit fertig. Nach ein paar Tagen beschwert sich der Lehrer telefonisch bei Ihren Eltern, dass Sie den Aufsatz immer noch nicht abgegeben haben. Was passiert jetzt? Was sagen Ihre Eltern, wenn Sie nach Hause kommen?

Halten wir eines fest: Wir alle machen Fehler. Wir alle verhalten uns in schwierigen Momenten manchmal nicht gerade vorbildlich, und das gilt für jedes Alter. Aber am meisten prägen uns unsere ersten Lebensjahre. Denn hier beginnt unser Körper abzuspeichern, wie wir mit schwierigen Situationen umgehen sollen, und zwar je nachdem, wie unsere Eltern in schwierigen Situationen reagieren. Mit anderen Worten: Unser innerer Monolog in Problemsituationen (»Jetzt sei nicht so empfindlich«, »Ich reagiere total übertrieben«, »Ich bin so doof« oder ganz im Gegenteil »Ich tue mein Bestes«, »Ich möchte ja nur verstanden werden«) spiegelt wider, wie sich unsere Eltern in den entsprechenden Momenten verhalten haben. Überdenken wir nun unsere Antworten auf diese »Was geschieht dann?«-Fragen, wird uns klar, welche Art von Schaltkreis in unserem Körper angelegt wurde.

Lassen Sie mich kurz erklären, was ich mit dem Begriff »Schaltkreis« meine. Babys – winzige, hilflose Wesen – sind sozusagen darauf »programmiert«, eine möglichst starke Bindung zu ihrer Bezugsperson herzustellen, weil dies ihre Überlebenschancen erhöht. In den ersten Lebensjahren speichert daher der Körper ab, unter welchen Bedingungen wir Liebe, Aufmerksamkeit, Verständnis und Zuneigung erfahren und wann wir zurückgewiesen, bestraft oder uns selbst überlassen werden. Diese »Datensammlung« beeinflusst unsere Entwicklung massiv, weil wir uns ein Verhalten, das uns Liebe und Aufmerksamkeit sichert, schnell aneignen, während wir kritisierte oder missbilligte Verhaltensweisen als »schlecht« etikettieren und künftig eher vermeiden.

Nur: Nichts an uns ist wirklich schlecht. Hinter der Aussage »Bringt meine Schwester ins Krankenhaus zurück! Ich hasse sie!« verbirgt sich ein Kind, das unter massiven Verlustängsten leidet und sich von der neuen Familiensituation bedroht fühlt. Das Kind, das sich trotzig einen Keks nimmt, fühlt sich wahrscheinlich in anderen Lebensbereichen zu wenig beachtet und zu sehr kontrolliert. Und der unvollendete Aufsatz ist vermutlich ein Signal für die Probleme und Unsicherheiten eines Teenagers. Hinter »schlechtem Benehmen« verbirgt sich immer ein gutes Kind. Doch wenn Eltern bestimmte Verhaltensweisen stets mit schroffen Worten unterbinden, ohne das gute Kind dahinter zu sehen, verinnerlicht das Kind die Vorstellung, dass es schlecht ist. Kein Kind möchte aber schlecht sein. Deshalb entwickelt es Strategien wie einen negativen inneren Monolog, mit dem es sich ausschimpft, um seine Schlechtigkeit, also das »böse Kind«, zu vernichten. Es will das »gute Kind« finden, also jene Verhaltensweisen, die ihm Anerkennung und Verbundenheit verschaffen.

Welche Erfahrungen haben Sie als Kind mit »schlechtem« Benehmen gemacht? Hat Ihr Körper gelernt, dieses mit Verurteilung, Strafe und Alleinsein zu verbinden? Oder mit klaren Grenzen, Mitgefühl und Verbundenheit? Oder einfacher gefragt, in dem Wissen, dass »schlechtes Benehmen« in Wirklichkeit Ausdruck innerer Nöte ist: Auf welche Reaktionen sind Sie programmiert? Begegnen Sie sich selbst eher mit Kritik oder eher mit Mitgefühl? Mit Vorwürfen oder mit Neugier?

Wir gehen mit uns selbst so um, wie wir es von unseren Bezugspersonen gelernt haben. Und genauso verhalten wir uns auch unseren eigenen Kindern gegenüber. Kein Wunder also, dass sich die Vorstellung vom »inneren Schlechtsein« von Generation zu Generation weitervererbt: Meine Eltern haben auf meine inneren Nöte mit Strenge und Kritik reagiert. → Ich habe gelernt, in solchen Momenten an meinem grundlegenden Gutsein zu zweifeln. → Jetzt, als Erwachsene, reagiere ich auf meine inneren Nöte mit Selbstvorwürfen und Selbstkritik. → Wenn mein Kind sich danebenbenimmt, wird derselbe Schaltkreis in meinem Körper aktiviert. → Ich reagiere gezwungenermaßen schroff auf die inneren Nöte meines Kindes. → Ich installiere den gleichen Schaltkreis im Körper meines Kindes. Also lernt mein Kind, an seinem grundlegenden Gutsein zu zweifeln, wenn es in Not ist. → Und so weiter und so fort.

Lassen Sie uns an dieser Stelle innehalten. Legen Sie eine Hand auf Ihr Herz und lassen Sie sich selbst diese wichtige Botschaft spüren: »Ich bin hier, weil ich etwas verändern möchte. Ich will mein von Generation zu Generation vererbtes familiäres Muster durchbrechen und durch ein neues ersetzen: Ich will, dass meine Kinder sich in ihrer Haut wohlfühlen, dass sie sich als geschätzt und liebenswert wahrnehmen, auch wenn sie schwierige Momente durchmachen. Und der erste Schritt dazu ist, dass ich wieder Zugang finde zu meinem eigenen Gutsein. Mein Gutsein war stets da.« Sie tragen keine Schuld an den generationsübergreifenden Mustern. Ganz im Gegenteil. Wenn Sie dieses Buch lesen, heißt das für mich, dass Sie den Teufelskreis durchbrechen wollen. Sie haben beschlossen, das LETZTE Familienmitglied zu sein, das mit diesen schädlichen Mustern groß geworden ist. Sie sind bereit, die Last der früheren Generationen auf Ihre Schultern zu nehmen und zum Wohl der kommenden einen anderen Weg zu wählen. Wow.

Sie machen es keineswegs falsch – vielmehr sind Sie mutig und tapfer. Und Sie lieben Ihr Kind über alles. Nur echte Held*innen können es schaffen, diesen Teufelskreis zu durchbrechen: Alle Achtung!

Die weitherzigste Sicht

Oft kann man das Gute in anderen Menschen erkennen, indem man sich eine ganz einfache Frage stellt: »Was ist meine weitherzigste Sicht auf das, was gerade passiert ist?« Eben das mache ich oft im Umgang mit meinen Kindern und meinen Freunden. Und ich arbeite daran, dieses Prinzip auch in meiner Ehe und mir selbst gegenüber anzuwenden. Jedes Mal, wenn ich diese Frage (auch unausgesprochen) formuliere, spüre ich, wie mein Körper sich entspannt und ich mit anderen Menschen auf eine Weise kommuniziere, die sich viel besser anfühlt.

Lassen Sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen: Ihr ältester Sohn hat in ein paar Tagen Geburtstag und Sie haben vor, zur Feier des Tages mit ihm allein essen zu gehen. Also versuchen Sie, Ihr jüngeres Kind darauf vorzubereiten. »Ich möchte dir sagen, was für Samstag geplant ist«, eröffnen Sie ihm. »Nico hat Geburtstag, und Papa und ich gehen mit ihm in ein Restaurant. Oma kommt und bleibt bei dir, bis wir wieder da sind. Das dauert ungefähr eine Stunde.« Der Kleine explodiert: »Du und Papa, ihr geht ohne mich mit Nico aus? Ich hasse dich! Du bist die gemeinste Mutter der Welt!«

Nanu? Was ist da gerade passiert? Und wie reagieren Sie? Hier ein paar Optionen: 1) »Die gemeinste Mutter? Ich habe dir gerade erst ein neues Spielzeug gekauft! Du bist einfach nur undankbar!« 2) »Wenn du so etwas sagst, macht das Mama sehr traurig.« 3) Sie ignorieren den Wutausbruch und lassen Ihr Kind stehen. 4) »Oh, das sind aber deutliche Worte, da muss ich erst mal durchatmen … Ich höre da heraus, dass du ganz schön wütend bist. Erzähl mir mehr.«

Ich bin für Option 4. Denn die ergibt am meisten Sinn, wenn ich die weitherzigste Sicht auf das Verhalten meines Kindes praktiziere. Bei Option 1 schließe ich aus den Worten meines Kinds ganz einfach, dass es ungezogen und undankbar ist. Bei Option 2 gebe ich meinem Kind zu verstehen, dass seine Gefühle zu stark und beängstigend sind, um damit umgehen zu können, dass sie andere verletzen und somit seine sichere Bindung zu mir als Bezugsperson gefährden. (Auf das Thema Bindung gehen wir in Kapitel 4 noch näher ein, aber Kern der Sache ist: Wenn wir die Wirkung unseres Kindes auf uns selbst in den Mittelpunkt stellen, bereiten wir eher der Co-Abhängigkeit den Weg als dass wir Emotionsregulierung — den kompetenten Umgang mit den eigenen Gefühlen — und Empathie fördern. Bei der dritten Option vermittle ich meinem Kind die Botschaft, dass ich es für unvernünftig und seine Sorgen für unwichtig halte. Die weitherzigste Sicht auf seine Reaktion hingegen ist folgende: »Hmm. Mein Kind wünscht sich aufrichtig, bei diesem besonderen Mittagessen dabei zu sein. Das verstehe ich. Es ist traurig und eifersüchtig. Mit diesen schmerzlichen Gefühlen kann es noch nicht umgehen. Deshalb nehmen sie in diesem kleinen Körper so viel Raum ein, dass sie als heftige und verletzende Worte herausbrechen.« Ich gehe also davon aus, dass mein Kind gut ist, und reagiere einfühlsam. Ich erkenne seine Antwort als Ausdruck von großem Kummer und nicht als Zeichen, dass es schlecht ist.

Dank der weitherzigsten Sicht lernen Eltern, dem Beachtung zu schenken, was im Inneren ihres Kindes vorgeht (große Gefühle, große Sorgen, große Wünsche, große Empfindungen), statt nur auf das Verhalten zu schauen, in dem sich diese inneren Zustände entladen (heftige Worte und manchmal auch heftige Handlungen). Wenn wir unseren Kindern dieses Prinzip vorleben, lehren wir sie, es uns gleichzutun. Wir lenken ihre Aufmerksamkeit auf ihr inneres Erleben, zu dem ihre Gedanken, Gefühle, Wahrnehmungen, Bedürfnisse, Erinnerungen und Bilder gehören.

Um uns selbst regulieren zu können, müssen wir zuerst lernen, die Vorgänge in unserem Inneren wahrzunehmen. Wir fördern also in unseren Kindern das Herausbilden einer Basis für gesunde Bewältigungsstrategien, indem wir uns auf die inneren Vorgänge konzentrieren statt auf das Außen. Wenn Sie das Verhalten Ihres Kindes so weitherzig wie möglich betrachten, heißt das nicht, dass Sie »es ihm leicht machen«. Vielmehr setzen Sie seine Verhaltensweisen in einen größeren Zusammenhang, wodurch es ihm leichterfällt, wichtige Strategien zur Gefühlsregulation für seine Zukunft zu entwickeln. Und gleichzeitig bleiben die Verbundenheit und die enge Beziehung zu Ihrem Kind bestehen.

Ein weiterer Grund, warum ich gerne die weitherzigste Sicht anwende, ist folgender: Immer, aber ganz besonders dann, wenn Kinder ihre Emotionen nicht mehr regulieren können (was nur bedeutet, dass ihre Bewältigungsstrategien noch nicht genügend ausgebildet sind), verlassen sich Kinder auf die Reaktionen ihrer Eltern, um Antworten zu finden auf Fragen wie: »Wer bin ich in diesem Moment? Bin ich ein schlechtes Kind, das schlechte Dinge tut? Oder bin ich ein gutes Kind, das einen schweren Moment hat?«. Unsere Kinder entwickeln ihr Selbstbild, indem sie die Antworten ihrer Eltern auf diese Fragen übernehmen. Wenn wir uns selbstbewusste Kinder wünschen, die sich in ihrer Haut wohlfühlen, müssen wir ihnen zu verstehen geben, dass sie auch dann gut sind, wenn sie sich problematisch verhalten.

Ich rufe mir oft in Erinnerung, dass Kinder sich dem Bild anpassen, das ihre Eltern von ihnen haben, und sich dementsprechend verhalten. Sagen wir unseren Kindern, sie seien egoistisch, dann denken sie tatsächlich nur an sich selbst. Und raten Sie mal, was geschieht, wenn wir unserem Sohn vorhalten, seine Schwester habe viel bessere Manieren als er: Er benimmt sich natürlich weiterhin unhöflich. Aber auch das Gegenteil ist wahr. Sagen wir unseren Kindern: »Du bist ein gutes Kind, das gerade einen schwierigen Moment erlebt. Ich bin für dich da, ich bin bei dir«, dann neigen sie eher dazu, ihre inneren Kämpfe großherzig anzunehmen. Und das erleichtert es ihnen wiederum, ihr Verhalten zu regulieren und die richtige Entscheidung zu treffen.

Ich konnte einmal beobachten, wie mein älterer Sohn überlegte, ob er sein Knabberzeug mit seiner Schwester teilen sollte. Ich wollte gerade sagen: »Na komm schon! Deine Schwester würde bestimmt mit dir teilen!«, als sich eine andere Stimme in mir zu Wort meldete: »Großzügigste Sicht! Großzügigste Sicht!« Also erklärte ich ihm stattdessen: »Ich weiß, dass du genauso gut teilen und großzügig sein kannst wie alle anderen Familienmitglieder. Ich gehe jetzt aus dem Zimmer, und du und deine Schwester könnt das untereinander ausmachen.« Ich hörte, wie er seiner Schwester die Bitte nach dem Cracker abschlug, aber ihr ein paar seiner Salzbrezeln gab. Ziel erreicht? Nein, aber wenn ich nur das Ziel im Auge habe, übersehe ich die kleinen Fortschritte, und die sind mir ebenso wichtig. Mein Sohn entschied sich für das kleinere Opfer. Das akzeptiere ich.

Nichts ist so wertvoll wie wenn wir lernen, unser grundlegendes Gutsein auch in schwierigen Momenten zu erkennen. Denn dies verstärkt unsere Fähigkeit, unser Verhalten zu überdenken und etwas daran zu verändern. Wir werden nur dann die richtigen Entscheidungen treffen, wenn wir uns selbst und unserer Umgebung vertrauen können. Nichts gibt uns mehr Sicherheit, als wenn wir als der gute Mensch erkannt werden, der wir sind. Vergessen Sie das nie, auch wenn es das Einzige in diesem Buch sein sollte, woran Sie sich später erinnern. Sie sind grundlegend gut. Ihr Kind ist grundlegend gut. Wenn Sie sich auf diese Wahrheit besinnen, bevor Sie damit beginnen, sich um Veränderungen zu bemühen, sind Sie auf dem richtigen Weg.

Kapitel 2

Beides ist wahr

Als Sara, Mutter zweier Jungen, in meine Praxis kam, war sie frustriert und verärgert und machte sich gleichzeitig Vorwürfe. Sie hatte tolle Kinder und einen liebevollen Ehemann, aber war es leid, dass sie ihre Söhne andauernd zurechtweisen musste, was gemeinsamen Spaß unmöglich machte. »Ich wünschte, ich könnte mit ihnen herumalbern, aber einer muss ja die Regeln durchsetzen und dafür sorgen, dass alles läuft«, erklärte sie mir. Gemeinsam arbeiteten wir dann auf die Erkenntnis hin – wie ich es mit vielen Eltern tue –, dass sie beides gleichzeitig sein konnte: witzig und unnachgiebig, albern und konsequent. Ihr wurde klar, dass sie nicht nur beides sein durfte, sondern dass sie sich vermutlich auch besser fühlen würde – und ihr Familiensystem besser funktionieren würde –, wenn sie tatsächlich beides wäre.

Dieser Gedanke liegt vielen meiner Erziehungstipps zugrunde: Wir müssen uns nicht zwischen zwei vermeintlich unvereinbaren Realitäten entscheiden. Wir können auf Strafe verzichten und trotzdem wird sich das Verhalten unserer Kinder mit der Zeit bessern. Wir können klare Erwartungen formulieren und trotzdem herumalbern. Wir können Grenzen vorgeben und durchsetzen und dabei unsere Liebe zeigen. Wir können uns gleichzeitig um uns und um unsere Kinder kümmern. In gleicher Weise können wir auch das Richtige für unsere Familie tun und den Ärger unserer Kinder über unsere Entscheidung annehmen. Wir können Nein sagen und gleichzeitig Mitgefühl für die Enttäuschung unserer Kinder aufbringen.

Multiplizität – die Fähigkeit, mehrere Realitäten gleichzeitig zu akzeptieren – ist entscheidend für gesunde Beziehungen. Wenn sich zwei Personen in einem Raum befinden, gibt es dort auch zwei unterschiedliche Konstellationen von Gefühlen, Gedanken, Bedürfnissen und Perspektiven. Beziehungen, in denen sich zwei Menschen gesehen und verstanden fühlen, auch wenn sie nicht einer Meinung sind, werden erst dadurch möglich, dass beide gleichzeitig ihre eigene Wahrheit und die des anderen annehmen. Multiplizität ist die Voraussetzung dafür, dass zwei Menschen miteinander klarkommen und sich nah sein können – beide wissen, dass ihr Erleben als wahr akzeptiert und für wichtig gehalten wird, auch wenn es sich von dem des anderen unterscheidet. Starke Verbindungen entstehen nur, wenn keiner von beiden für sich beansprucht, absolut recht zu haben. Damit sich Menschen in einer Beziehung sicher fühlen, müssen sie einander verstehen, nicht überzeugen.

Was meine ich mit verstehen statt überzeugen? Der Versuch, zu verstehen, bedeutet, dass wir die Perspektive, die Gefühle und das Erleben eines anderen Menschen wahrnehmen und mehr darüber erfahren wollen. Im Prinzip teilen wir dem anderen mit: »Ich erlebe etwas auf diese Art und du auf eine andere. Ich möchte wissen, wie es für dich ist.« Das bedeutet nicht, dass Sie zustimmen oder sich anpassen (denn dies käme einer Perspektive gleich, in der es »nur eine Wahrheit« gibt). Es heißt auch nicht, dass einer von beiden »unrecht hat« oder dass seine persönliche Wahrheit nicht gültig ist. Es bringt ganz einfach unsere Bereitschaft zum Ausdruck, unser eigenes Erleben für einen Moment beiseitezustellen, um uns auf das des anderen einzulassen. Setzen wir uns zum Ziel, den anderen zu verstehen, akzeptieren wir, dass es nicht nur eine richtige Sicht der Dinge gibt, sondern mehrere Erlebniswelten und Standpunkte. Verständnis bezweckt eines: Verbundenheit. Und weil die Bindung zu unseren Kindern sie lehrt, ihre Emotionen zu regulieren und mit sich im Einklang zu sein, wird Verständnis als Kommunikationsziel uns immer wieder begegnen.

Was ist aber das Gegenteil von »verstehen«? In unserem Zusammenhang ist es »überzeugen«. Letzteres ist der Versuch, eine bestimmte Realität durchzusetzen – zu beweisen, dass »nur eine Sicht wahr ist«. Dahinter steckt die Absicht, »recht« zu haben und dem anderen zu zeigen, dass er »falsch« liegt. Wir nehmen dabei an, dass es nur einen richtigen Standpunkt gibt. Wenn wir jemanden zu überzeugen versuchen, sagen wir im Wesentlichen: »Du hast unrecht. Du siehst, erinnerst, fühlst, erlebst das nicht richtig. Lass mich dir erklären, warum meine Sichtweise richtig ist, dann wird dir ein Licht aufgehen und du wirst mir zustimmen.« Überzeugungsversuche zielen nur auf eines ab: recht zu haben. Leider hat das zur Folge, dass sich der andere unverstanden und ungehört fühlt. Und an diesem Punkt werden die meisten Menschen wütend und streitlustig, weil der andere ihre Erlebniswelt oder ihren Wert nicht zu akzeptieren scheint. Wenn sich ein*e Partner*in unverstanden und ignoriert fühlt, kann keine Verbundenheit entstehen.

Verstehen (»beides ist wahr«) und Überzeugen (»nur eines ist wahr«) sind zwei diametral entgegengesetzte Formen des Umgangs mit anderen Menschen. Deshalb ist es so wichtig, dass Sie bei jeder Interaktion zuerst verstehen, in welchem Modus Sie gerade sind. Befinden Sie sich im »Nur eines ist wahr«-Modus, dann sind Sie voreingenommen gegenüber dem Erleben des anderen, weil Sie es als Angriff auf Ihre eigene Wahrheit empfinden. Folglich werden Sie versuchen, Ihren Standpunkt zu behaupten. Das drängt wiederum den andern in die Defensive, weil er an seiner eigenen Erlebensweise festhalten will. Im »Nur eines ist wahr«-Modus eskaliert eine Unterhaltung schnell. Beide Gesprächspartner denken, dass sie über einen Sachverhalt reden, während es ihnen in Wirklichkeit nur darum geht, als reale und wertvolle Menschen mit einem realen, wahren Erleben wahrgenommen zu werden.

Im »Beides ist wahr«-Modus hingegen sind wir neugierig auf das Erleben des anderen und akzeptieren es. Wir empfinden es als Chance, jemanden besser kennenzulernen. Wir begegnen anderen Menschen offen und locken sie so aus der Defensive. Beide Gesprächspartner fühlen sich ernst genommen und verstanden, was ihnen die Möglichkeit gibt, ihre Beziehung zu vertiefen.

Studien über Ehe-, Freundschafts- und Arbeitsbeziehungen haben immer wieder gezeigt, dass diese besser funktionieren, wenn wir im Verstehens-, also im »Beides ist wahr«-Modus sind. Bei der Gottman-Methode zum Beispiel, einer wissenschaftlich belegten Form der Paartherapie, die von den Psychologen John und Julie Gottman entwickelt wurde, besteht einer der Grundpfeiler darin, dass zwei Sichtweisen als berechtigt anerkannt werden. Die klinische Psychologin Faye Doell hat in einer Studie über die zwei Arten des Zuhörens gezeigt, dass Menschen, die zuhören, um zu verstehen, insgesamt zufriedener sind mit ihrer Beziehung als solche, die zuhören, um zu reagieren.1 Und der Neuropsychiater Daniel Siegel, Mitverfasser des Buches Achtsame Kommunikation mit Kindern, verweist häufig darauf, wie wichtig es in Beziehungen ist, »sich gefühlt zu fühlen«. Er beschreibt dies als Gehaltenwerden unseres Geistes im Geist des anderen, aber im Grunde genommen geht es darum, dass wir uns mit dem Erleben einer anderen Person verbinden.2 Studien haben sogar ergeben, dass die besten Führungskräfte ihren Mitarbeitern mehr zuhören und sie bestätigen, als selbst zu sprechen. Mit anderen Worten, sie lernen die Realität ihrer Angestellten kennen, statt sie davon überzeugen zu wollen, dass die Geschäftsleitung immer recht hat.3

Auch bei unseren inneren Monologen ist die »Beides ist wahr«-Perspektive die bessere. Multiplizität heißt, dass ich meine Kinder lieben und mir Zeit für mich selbst wünschen kann. Ich kann dankbar sein, ein Dach über dem Kopf zu haben, und gleichzeitig Leute beneiden, die mehr Unterstützung bei der Kinderbetreuung haben. Ich kann ein guter Vater sein und meine Kinder hin und wieder anschreien. Unsere Fähigkeit, gleichzeitig eine Vielfalt scheinbar gegensätzlicher Gedanken und Gefühle in uns zu tragen – das Bewusstsein, dass wir mehrere Realitäten zugleich erleben können –, ist der Schlüssel zu unserer geistigen Gesundheit. Der Psychologe Philip Bromberg hat das vielleicht am besten ausgedrückt: »Gesundheit ist die Fähigkeit, im Raum zwischen den verschiedenen Wirklichkeiten zu stehen, ohne auch nur eine davon zu verlieren – die Fähigkeit, sich als ein Selbst zu fühlen, obwohl wir viele sind.«4 Es geht uns dann am besten, wenn wir die Vielfalt der Gefühle, Gedanken, Bedürfnisse und Empfindungen in unserem Inneren wahrnehmen, ohne dass ein einzelnes davon zum Ich »wird«; wenn wir unser Selbst inmitten einer Flut von Empfindungen ausmachen können: »Ich merke, dass ein Teil meines Selbst nervös ist, ein anderer begeistert.« Oder: »Ich merke, dass ein Teil von mir meine Kinder anschreien möchte und ein anderer weiß, dass ich erst mal tief durchatmen muss.« Anders ausgedrückt: Wir leben unser gesündestes Selbst, wenn wir uns bewusst sind, dass zwei (oder mehr!) Dinge wahr sein können.

Im »Beides ist wahr«-Modus zu erziehen kann uns Erwachsenen zu mehr Belastbarkeit verhelfen. Ich versuche immer, zwei Realitäten gleichzeitig im Auge zu behalten: Ich kann auf eine Art erziehen, die sich sowohl für mich als auch für meine Kinder gut anfühlt, in der feste Grenzen und eine liebevolle Beziehung einander nicht ausschließen. Eine Art, die meinen Kindern einerseits gibt, was sie im jeweiligen Moment brauchen, und andererseits den Grundstein für ihre künftige Resilienz legt. Auf der Mikroebene bietet sich der »Beides ist wahr«-Modus als Lösung für all unsere Probleme an: Ich kann die Bildschirmzeit einschränken, und mein Kind darf darüber wütend sein. Ich kann mich aufregen, weil mein Kind gelogen hat, und mich gleichzeitig fragen, was an der Wahrheit so bedrohlich war, dass es sie lieber verheimlichen wollte. Ich kann die Ängste meiner Tochter als irrational betrachten und trotzdem ihre Bedürfnisse verstehen. Und vielleicht das Wichtigste überhaupt: Ich kann manchmal herumschreien und dennoch eine liebevolle Mutter sein. Ich kann Fehler machen und sie wieder ausbügeln. Ich kann bereuen, was ich gesagt habe, und in Zukunft angemessener reagieren.

Die »Beides ist wahr«-Perspektive hilft uns allen, eine oft widersprüchlich erscheinende Welt zu begreifen. Besonders wichtig aber ist das Prinzip für Kinder. Sie müssen spüren, dass ihre Eltern zwar ihre Gefühle verstehen und akzeptieren, dass diese aber trotzdem nicht überhandnehmen und Entscheidungen beeinflussen sollten. Und genau das ist für die meisten Menschen das Ziel. Als Eltern können wir Entscheidungen treffen, die wir für richtig halten, und uns gleichzeitig der Gefühle annehmen, die sie in unseren Kindern auslösen. Das sind zwei vollkommen verschiedene Dinge. Wesentlich ist, dass wir darauf hinarbeiten, beide Wahrheiten zu berücksichtigen, beide Realitäten zuzulassen, um gegenseitiges Verständnis und damit Verbundenheit mit unseren Kindern aufzubauen.

Wenden wir diese Idee doch einmal auf die Beziehungen zwischen Erwachsenen an. Angenommen, Sie haben an Ihrem Arbeitsplatz ein gutes Jahr hinter sich und man hat Ihnen zum Jahresende eine längst fällige Gehaltserhöhung versprochen. Aber beim Mitarbeitergespräch erklärt Ihnen Ihre Vorgesetzte: »Unser Budget ist drastisch reduziert worden, deshalb müssen wir ein paar Leute entlassen. Sie werden Ihren Job behalten, aber ich kann Ihnen dieses Jahr auf keinen Fall eine Gehaltserhöhung geben. Ich hoffe, es klappt nächstes Jahr!«

Halten Sie einen Moment inne und überlegen Sie. Was für Gefühle bringen Sie Ihrer Vorgesetzten in diesem Moment entgegen? Sind Sie enttäuscht? Dankbar? Froh? Verärgert? Ich könnte wetten, dass Ihre Gefühle widersprüchlich sind. Vermutlich sind hier zwei Dinge wahr: »Ich bin froh, dass ich meinen Arbeitsplatz nicht verloren habe, und ich bin enttäuscht, dass nichts aus der Gehaltserhöhung wird.« Wir sollten das, was Ihre Vorgesetzte tut, davon trennen, was ihre Handlungsweise für Sie bedeutet. Ihre Chefin hat eine bestimmte Entscheidung getroffen: Ich kann diese Mitarbeiterin weiterhin beschäftigen, aber ich kann ihr dieses Jahr keine Gehaltserhöhung geben. Sie wiederum fühlen sich enttäuscht, betrogen, verärgert, aber auch ein bisschen erleichtert. Ihr Ärger wird keinen Einfluss auf die Entscheidung Ihrer Vorgesetzten haben. Umgekehrt ändern deren Überlegungen nichts an Ihren Gefühlen. Beides ist gerechtfertigt. Beides ist wahr. 

Wir müssen uns nicht für eine einzige Wahrheit entscheiden. Tatsächlich gibt es in den meisten Bereichen unseres Lebens mehrere Realitäten, die sich nicht unbedingt vereinbaren lassen. Sie existieren einfach nebeneinander, und es ist für uns am besten, wenn wir sie alle zulassen. Ihre Dankbarkeit für den Erhalt Ihrer Stelle muss Ihre Enttäuschung über die ausgebliebene Gehaltserhöhung nicht überlagern. Ihr Ärger über Ihr niedriges Gehalt tut der Erleichterung, den Job behalten zu haben, keinen Abbruch.

Gehen wir einen Schritt weiter. Ihre Vorgesetzte merkt am nächsten Tag, dass Sie ein wenig geknickt sind. Sie schafft es aber nicht, aus der »Nur eines ist wahr«-Perspektive herauszukommen. Also tritt sie an Sie heran und sagt: »Ich konnte Ihnen diese Gehaltserhöhung einfach nicht gewähren. Na, kommen Sie. Seien Sie doch froh, dass Sie Ihren Arbeitsplatz noch haben.« Wie fühlen Sie sich jetzt? Was geschieht in Ihrem Inneren? Machen Sie eher sich selbst Vorwürfe (»Was ist los mit mir, ich bin so egoistisch!«) oder Ihrer Vorgesetzten (»Was ist los mit ihr, sie ist so selbstsüchtig!«)? Vielleicht kochen Sie vor Wut oder fühlen sich unterbewertet. Wenn Sie diesen Gefühlen keine Beachtung schenken, entwickeln Sie leicht eine gewisse Abneigung gegen Ihre Arbeit oder Ihre Vorgesetzte. Folglich sind Sie vielleicht in Zukunft weniger motiviert. Warum fühlt sich die »Nur eines ist wahr«-Perspektive so mies an? Warum löst sie eine Kettenreaktion nicht gerade idealer Verhaltensweisen aus?

Tief in unserem Inneren wünschen wir uns alle, dass andere unser Erleben, unsere Gefühle und unsere Wahrheiten anerkennen. Wenn wir uns von anderen verstanden fühlen, können wir mit unserer Enttäuschung besser umgehen und fühlen uns innerlich sicher genug, um auch den Standpunkt des anderen zu begreifen. Nehmen wir an, Ihre Vorgesetzte hätte Ihre Empfindungen verstanden und gesagt: »Ich konnte die Gehaltserhöhung einfach nicht durchsetzen, aber ich kann Ihre Enttäuschung nachvollziehen. Ich würde genauso reagieren«. Schon hätte sich der emotionale Grundton der Situation verändert. Ihre Chefin muss sich nicht für die ausgebliebene Gehaltserhöhung entschuldigen, solange sie beide Wahrheiten gelten lässt und ausdrücklich anerkennt, dass Ihre negativen Gefühle berechtigt sind. Und Sie können die Sache auf sich beruhen lassen.

»Beides ist wahr« ist ein Grundsatz guter Erziehung, weil es uns erlaubt, das Erleben unseres Kindes oder eines anderen Elternteils ebenso wie unser eigenes als real und berechtigt zu betrachten, es zur Sprache zu bringen und ihm seine Bedeutung zu lassen. Es ruft uns in Erinnerung, dass Logik Gefühle nicht außer Kraft setzt: Ich kann einen Grund für mein Handeln haben und die emotionale Reaktion des anderen Menschen ist berechtigt. Beides ist wahr.

Das »Beides ist wahr«-Prinzip wird in vielen der hier besprochenen Erziehungsproblemen ein Thema sein: wie man protestierenden Kindern Grenzen setzt; wie wir Auswege aus Machtkämpfen finden; wie wir auf verletzende Worte unseres Kindes reagieren; wie wir zu unserer Gelassenheit zurückfinden, wenn uns die Erziehungsarbeit überfordert, und vieles mehr. Ich werde an dieser Stelle nur ein paar Beispiele anführen. Meine Hoffnung ist, dass Sie dieses Konzept auch auf andere Lebensbereiche übertragen. Dies ist nämlich das letztendliche Ziel, zu dem ich Sie hinführen möchte. Ja, dies ist ein Erziehungsratgeber, aber im Grunde geht es hier um Beziehungen im Allgemeinen. Die Prinzipien, die ich Ihnen hier für die Beziehung zu Ihren Kindern vorstelle, gelten auch für die zu Ihrem Partner, Ihren Freunden, Ihrer Familie und – was vielleicht das Wichtigste ist – in Ihrer Beziehung zu sich selbst. Halten Sie beim Lesen der Beispiele also einen Moment inne und fragen Sie sich: »Wo sonst in meinem Leben kann ich mir diese Idee zunutze machen?« Trauen Sie sich, mit dem »Beides ist wahr«-Prinzip zu experimentieren und es überall dort, wo es Ihnen hilfreich erscheint, in die Praxis umzusetzen.

»Beides ist wahr«, wenn Sie trotz Protest Grenzen setzen wollen

Folgende Situation kommt zwischen Eltern und Kindern häufig vor: Ihr Sohn möchte sich eine Fernsehsendung oder einen Film anschauen, den Sie für sein Alter als ungeeignet einstufen. Er ist stocksauer und behauptet, dass alle seine Freunde den Film gesehen haben, dass Sie die schlechtesten Eltern der Welt sind und dass er nie mehr mit Ihnen reden wird.

Ihre Entscheidung: Mein Kind darf diese Sendung/diesen Film nicht sehen.

Die Gefühle Ihres Kindes: Wut, Enttäuschung, das Gefühl des Ausgeschlossenseins.

Darf nur eines von beidem wahr sein, dann bringen die Gefühle Ihres Kindes wahrscheinlich Ihre Entscheidung ins Wanken. Und wenn Sie denken, dass Ihre Entscheidung von der Sorge um die Gefühle Ihres Kindes abhängen sollte, dann werden Sie ganz sicher Ihre Meinung ändern, weil Sie ja ein guter, liebevoller Vater sein möchten.

Was aber, wenn beides wahr ist? Dann müssen Sie sich nicht für das eine oder das andere entscheiden und können sich sagen: »Ich halte an meinem Entschluss fest, lasse aber gleichzeitig gelten, dass mein Sohn wütend und enttäuscht ist bzw. sich ausgeschlossen fühlt.«

Treffen Sie eine Entscheidung, von der Sie überzeugt sind, die aber Ihren Sohn mit Sicherheit wütend macht, dann können Sie ihm Folgendes erklären: »Beides ist wahr, Spatz. Erstens habe ich entschieden, dass du diesen Film nicht sehen darfst. Und zweitens bist du wütend auf mich, ja richtig böse. Das höre ich. Und ich verstehe es sogar. Es ist dein gutes Recht, sauer zu sein.« Sie müssen zwischen einer unumstößlichen Entscheidung und der liebevollen Bestätigung nicht wählen. Sie müssen nicht auf das verzichten, was sich für Sie richtig anfühlt, um das ganz reale Erleben Ihres Kindes anzuerkennen. Beides kann wahr sein.

Und hier finden wir auch gleich ein weiteres Beispiel für das »Beides ist wahr«-Prinzip: Sie dürfen stolz auf Ihren neuen Erziehungsansatz sein (»Ja, ich habe erzieherisch einen Erfolg erzielt!«) und Ihr Kind darf trotzdem wütend sein. Schließlich handelt es sich nicht um einen Zauberspruch, der das Problem augenblicklich löst oder die Situation entschärft. Aber mit diesen Worten erkennen Sie die menschliche Seite Ihres Kindes an und bauen eine Beziehung auf, die langfristig halten wird.

Aber natürlich wird eine gute Erziehung nicht immer gleich mit gutem Benehmen belohnt. Was dann?

Sagen wir, Sie folgen der »Du darfst ruhig sauer sein«-Linie und Ihr Sohn schreit: »Ja, ich bin sauer! Ich hasse dich!«. Erstens: Bleiben Sie gelassen und bestätigen Sie sich innerlich Ihren Standpunkt (»Ich weiß, dass ich eine gute Entscheidung getroffen habe. Ich habe Vertrauen in mich.«). Bestätigen Sie dann die Sichtweise Ihres Kindes: »Ja, das weiß ich. Ich weiß, dass du echt sauer bist. Das verstehe ich.« Halten Sie Ihre Grenze aufrecht. Sie können auch etwas hinzufügen, wenn Sie spüren, dass sich Ihr Kind ein wenig öffnet: »Es gibt viele andere Filme, die wir uns zusammen anschauen können, möchtest du dir einen davon aussuchen?« Oder: »Vielleicht gibt es eine andere Möglichkeit, wie wir heute Abend zusammen Spaß haben können?« Aber denken Sie daran, Sie haben bereits getan, was nötig war – für Sie beide.

»Beides ist wahr« als Ausweg aus Machtkämpfen

Machtkämpfe zeigen uns fast immer auf, dass das »Beides ist wahr«-Prinzip auf der Strecke geblieben ist. Es handelt sich um Ich-gegen-dich-Situationen, Sie gegen Ihr Kind. Nehmen wir beispielsweise an, Ihr Kind soll sich fertig machen, um nach draußen zu gehen:

Eltern: »Du musst dir die Jacke anziehen, bevor du draußen spielen gehst!«

Kind:»Nein! Mir wird nicht kalt, ich will ohne Jacke raus!«

Vielleicht denken Sie nun, bei diesem Wortgefecht gehe es um den Sachverhalt (eine Jacke anziehen oder nicht). Aber im Prinzip wollen beide Gesprächspartner*innen einfach nur verstanden werden. Sie als Eltern wünschen sich, dass Ihr Kind spürt, dass Sie nur sein Bestes wollen. Ihr Kind will Ihnen zeigen, wie selbstständig es ist und dass es die Verantwortung für seinen Körper übernehmen kann. Wenn wir das Gefühl haben, nicht verstanden zu werden, können wir keine Probleme lösen. Deshalb sollte Ihr Hauptziel in diesem Machtkampf nicht die Problemlösung sein, sondern das Wiederfinden Ihrer »Beides ist wahr«-Einstellung. Denn sobald wir uns in unserem Erleben und unseren Wünschen wirklich verstanden fühlen, müssen wir uns nicht länger zur Wehr setzen – uns Menschen sind nämlich einzelne Entscheidungen weit weniger wichtig als das Gefühl, verstanden zu werden. Denn darauf kommt es uns fast immer am meisten an.

Finden wir in diesem Szenario hingegen zur Idee zurück, dass beides wahr ist, können wir vom Ich-gegen-dich-Modus umschalten auf Ich-und-du-gegen-ein-Problem. Das ändert alles. Jetzt ziehen wir am selben Strang, sehen uns gemeinsam ein Problem an und fragen uns, was wir dagegen tun können.

Schauen wir uns das Beispiel oben nun in diesem Licht an:

Eltern:»Du musst eine Jacke anziehen, bevor du nach draußen gehst. Es ist eiskalt!«

Kind: »Mir wird nicht kalt! Ich komme auch ohne Jacke klar, lass mich rausgehen!«

Eltern: »Moment, eine Sekunde. Lass mich kurz überlegen. Schauen wir mal, ob ich verstehe, worum es hier geht. Ich mache mir Sorgen, dass du frierst, weil es draußen sehr windig ist. Du hast das Gefühl, dir wird nicht kalt und du bist ziemlich sicher, dass du ohne Jacke klarkommst, ja? Habe ich das richtig verstanden?«

Kind: »Ja.«

An diesem Punkt gibt es verschiedene Möglichkeiten, denn das Gespräch öffnet sich. Schauen wir uns die folgenden zwei Optionen an.

Eltern: »Hmm … was können wir da tun? Ich bin sicher, wir finden eine Lösung, mit der wir beide zufrieden sind.«

Kind: »Kann ich meine Jacke mitnehmen und sie anziehen, falls ich friere?«

Eltern: »Klar! Das ist eine tolle Idee!«

Wenn Kinder sich verstanden fühlen und ihre Eltern als Mitspieler statt als Gegner erleben, wenn sie um Hilfe bei der Problemlösung gebeten werden, dann wirkt sich das positiv aus.

Sagen wir, Sie bestehen darauf, dass Ihr Kind die Jacke anzieht – draußen herrscht eine Temperatur von zwei Grad bei Windstärke 8. Da geht es nicht um Kontrolle, sondern tatsächlich um die Sicherheit Ihres Kindes.

Eltern: »Hmm … was können wir da tun? Ich bin für deine Sicherheit verantwortlich, und in diesem Moment bedeutet Sicherheit, dass du eine Jacke trägst. Und du möchtest selbst entscheiden und es ist dir unangenehm, dass ich dir sage, was du zu tun hast.«

Kind: »Ich zieh die Jacke nicht an!«

Eltern: »Ich habe dich verstanden. Beides ist wahr: Du musst eine Jacke anziehen, wenn du nach draußen willst. Und du darfst mir auch böse sein deswegen. Meine Entscheidung muss dir nicht gefallen.«

Sogar bei dieser einseitigen Entscheidung akzeptiere ich das Erleben meines Kindes. Ich versuche nicht, es zu überzeugen, dass es nur eine Wahrheit gibt, nämlich dass bei dieser Kälte die Jacke das einzig Sinnvolle ist. Ich überzeuge mich selbst davon, dass die Jacke wichtig ist, ich setze eine Grenze, indem ich bestimme, dass sie getragen werden muss, und dann benenne ich die Gefühle und gebe ihnen Raum. Ich habe meine Entscheidung getroffen und mein Kind hat seine Gefühle dazu. Keiner hat recht. Beides ist wahr.

»Beides ist wahr« als Antwort auf verletzende Worte Ihres Kindes

Eine weitere typische Situation, die ich aus den Schilderungen meiner Leserinnen und Klienten kenne, ist folgende: Sie sagen Ihrem Kind, dass es vor dem Abendessen (oder dem Zubettgehen oder der Schule) nicht fernsehen darf. »Ich hasse dich!«, schreit es. »Du bist so blöd!«