Grab ohne Toten - Christopher Bush - E-Book

Grab ohne Toten E-Book

Christopher Bush

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Beschreibung

Nachdem die schöne Moira ihren ältlichen Ehemann gehörig geplündert hatte, verschwand sie in aller Stille. Er konnte nicht einmal schweigen, denn ein paar kostbare Schmuckstücke, die seiner Firma gehörten, hatten gleichzeitig Beine bekommen. Ludovic Travers war der rechte Detektiv für eine diskrete Suche nach Gattin und Schmuck, doch der erste Fund war wenig verheißungsvoll: ein frisches Grab hinterm Haus, und zwar leer … (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Christopher Bush

Grab ohne Toten

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Hans Tilgen

FISCHER Digital

Inhalt

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1

Unsere Begegnung mit dem Mann, der sich Harry Rodes nannte, war gewiß ein seltsamer Zufall. Jedenfalls würden die meisten Menschen es als Zufall bezeichnen, daß wir Harry zweimal im Leben begegneten. Aber war es wirklich nur ein Zufall? Man mag darüber streiten.

Es war am Morgen des 11. Januar. Bis zum Vortage war das Wetter naß und einigermaßen milde gewesen, aber dann kam der Wind aus Nordosten und brachte Schnee. Hätte es an jenem Montag morgen nicht gefroren, wäre Harry Rodes nur einer von den vielen Fußgängern gewesen, die mir und Hallows in der Mortimer Street entgegenkamen oder die wir überholten.

Hallows ist der Senior im Detektivbüro an der Broad Street. Als ich das Büro erwarb – und das ist schon eine Weile her – war er schon als der beste Mann des ganzen Personals bekannt, und es dauerte nicht lange, bis ich wußte, warum er diesen Ruf hatte.

Seine Spezialität ist Brandstiftung. Ich war dabei, als er an jenem Morgen in der Waring Street ein Gebäude inspizierte, das in der Nacht ausgebrannt war. Wir arbeiteten im Auftrage der United Assurance und hatten bald heraus, daß der Brand durch einen Kurzschluß verursacht worden war. Hallows war eigentlich dienstfrei und ging nur mit mir ins Büro zurück, um einen kurzen Rapport über seine Befunde zu schreiben.

Die Waring Street ist nicht weit von der Broad Street, und wir schlugen den kürzesten Weg durch die Mortimer Street ein. An diesem Morgen waren Straße und Gehweg gleichermaßen schlüpfrig. Der feine Schneebelag war am Nachmittag des vorhergehenden Tages geschmolzen und während der Nacht wieder hartgefroren. Bei meiner Körpergröße hatte ich allen Grund, vorsichtig zu gehen. Meiner unersättlichen Neugier verdanke ich es, daß ich dennoch auch auf meine Umgebung achtete und sah, was geschah.

An der Straßenseite, auf der wir gingen, war ein Wagen nach dem anderen geparkt. Ein ziemlich großer Mann in dunklem Überzieher und mit schwarzem steifen Hut wollte auf die andere Seite hinüber, stand eine Weile abwartend zwischen zwei Wagen und schaute nach links und rechts, ob die Straße frei sei. Er trat einen Schritt vor, als ein Wagen schneidig die Kurve nahm und den Mann beinahe streifte. Als er zurücksprang, rutschte er aus. Er schlug mit dem Kopf gegen die hintere Stoßstange eines abgestellten Austin und lag der Länge nach zwischen den beiden Wagen.

Fast wäre ich selbst gefallen, als ich zu ihm trat. Ich vermochte ihn aufzurichten und seinen Kopf zu heben. Aus einer kleinen Wunde am Hinterkopf begann Blut zu sickern. Der Mann begann sich zu bewegen. Er blinzelte ein wenig und sah mich dann voll an. Ein ungewöhnlicher Ausdruck trat in sein Gesicht: eine Mischung aus Furcht und Zorn. Ich beugte mich noch über ihn, als plötzlich seine Hand hochfuhr und er mich wegstieß, um aufzustehen.

«Langsam», riet ich ihm. «Sie haben sich …»

«Was soll das bedeuten?»

Seine Augen schossen Blitze, und er ging rückwärts auf den Gehweg. Als Hallows ihm versehentlich in den Weg trat, sah ihn der andere mit den Augen eines Mannes an, den man in die Enge getrieben hat. Dann befühlte er plötzlich seine Manteltaschen, und sogleich änderte sich sein Ausdruck. Eine Art zufriedenen Lächelns kam über sein Gesicht.

«Entschuldigen Sie, meine Herren. Ich dachte einen Augenblick, ich wäre niedergeschlagen worden.»

«Wissen Sie’s denn nicht mehr?» sagte ich. «Sie sind ausgerutscht und mit dem Kopf gegen die Stoßstange geschlagen. Ich sah es zufällig. Das ist alles, was passierte.»

Der Mann war einsachtzig groß, glattrasiert. Sein blasses Gesicht war von tiefen Linien durchzogen. Er reckte seinen Kopf in beide Richtungen, ehe er weitersprach. Er hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Die Menschen waren zu sehr damit beschäftigt, auf ihren Weg zu achten und nicht zu fallen.

«O ja, jetzt erinnere ich mich wieder», sagte er. «Ich hätte besser aufpassen müssen.»

«An Ihrer Stelle würde ich mir beim Apotheker ein Pflästerchen holen.»

«Schon in Ordnung», sagte der Fremde und befühlte seinen Hinterkopf. Er zögerte einen Augenblick. «Ich danke Ihnen recht schön, Gentlemen. Ich muß jetzt gehen.»

Diesmal versuchte er nicht, die Straße zu überqueren. Wir traten hinter ihm auf den Gehweg.

«Ein komischer Kauz», sagte ich. «Warum zum Teufel glaubte er nur, wir hätten ihn niedergeschlagen?»

Hallows hielt mich plötzlich am Arm zurück. «Mit dem Bericht eilt es ja wohl nicht, Sir. Möchte nur was rausfinden.»

Er verschwand in der Richtung, die der Mann eingeschlagen hatte. Ich wartete einen Augenblick und setzte dann meinen Weg in Richtung Broad Street fort. Hallows’ plötzliches Interesse machte die ganze Sache noch geheimnisvoller. Wie gesagt, meine Neugier ist unersättlich; ich hätte gern gewußt, weshalb Hallows sich plötzlich entschloß, dem Mann auf den Fersen zu bleiben.

Die Kneipen waren eben geöffnet worden, und ich ging in den Goldenen Fasan und bestellte mir einen doppelten Whisky. Sobald ich mich am flackernden Kaminfeuer aufgewärmt hatte, begann ich nachzudenken. Mr. X, wie ich ihn nannte, war ein Mann von ungefähr fünfzig Jahren. Man hatte ihm angemerkt, daß er uns so bald als möglich los sein wollte. Er hatte uns nicht einmal die Hand hingestreckt.

Ich setzte meine Pfeife in Brand und dachte weiter nach. Mr. X’ erster Gedanke war, ich hätte ihn zu Boden geschlagen, als er die Augen aufgemacht hatte. Und sein zweiter Gedanke war, er sei beraubt worden. Ein hastiger Griff an die Taschen, und er wußte, daß alles darin noch an Ort und Stelle war. Da hatte er schnell wieder Mut bekommen. Doch nach ein paar Sekunden war plötzlich sein Mißtrauen wieder erwacht, und er hatte furchtsam nach links und nach rechts geschaut.

Vielleicht war sein schneller Stimmungswechsel nicht so ungewöhnlich. Angenommen, mir wäre, mit einem Paket Diamanten in der Manteltasche, dasselbe passiert wie Mr. X. Hätte ich anders reagiert? Warum hatte Hallows sich aus freien Stücken entschlossen, diesem Mann auf den Fersen zu bleiben? Was hatte er gesehen, das mir entgangen war?

Ich wußte es nicht, aber es gab einen Weg, es in Erfahrung zu bringen. Man müßte es sich von Hallows selbst sagen lassen. Ich trank meinen Whisky aus und ging in die Broad Street zurück. Eine halbe Stunde mußte ich warten, bis Hallows endlich wieder eintraf.

«Was war denn los?» platzte ich heraus, als er durch die Tür trat. «Kannten Sie ihn etwa?»

«Ja und nein», gab Hallows zur Antwort. «Ich könnte schwören, daß ich den Mann schon einmal gesehen habe. Wahrscheinlich ist es schon eine Weile her, und doch bin ich meiner Sache sicher. So etwas kann einen quälen.» Er machte ein nachdenkliches Gesicht, als er sich ans Feuer setzte und seine Pfeife ansteckte.

«Es ist sonderbar», sagte er. «Ich kannte ihn, sobald ich sein Gesicht sah. Aber ich kann ihn einfach nicht unterbringen, und ich komme auch nicht auf seinen Namen. Ich weiß nur, daß ich den Burschen kenne, und habe das Gefühl, daß er irgendein Gauner ist.» Er schüttelte den Kopf. «So geht’s, wenn man älter wird. Man vergißt die Namen. Neulich wußte ich nicht einmal mehr, wie mein Nachbar heißt.»

«Älter werden ist gut», sagte ich. «Sie sind doch erst fünfundvierzig.»

Er zuckte mit den Achseln. «Ich habe Verdacht auf den Mann auch noch aus anderen Gründen.»

«Zum Beispiel?»

Er schaute überrascht hoch. «Ist Ihnen nicht seine Kleidung aufgefallen?»

«Nicht weiter, und Ihnen?»

«Nun, ich sah, daß alles, was er anhatte, nagelneu war. Das Hutband war vollkommen sauber, und die Schuhsohlen waren noch nicht angerauht. Auch der Überzieher war ganz neu. Er roch beinahe noch nach Laden.»

«Und das hielten Sie für ungewöhnlich?»

«Nein», sagte er zögernd. «Abgesehen davon, daß ich mir Gedanken darüber machte, wo ich den Mann gesehen hatte. Dann die Idee, Sie hätten ihn niedergeschlagen, und die Furcht, wir hätten ihm abgenommen, was er in der Manteltasche trug.»

«Ja», sagte ich. «Und das bedeutet, daß der Gegenstand, den er bei sich trug, für die Innentaschen zu groß war. Er war so wertvoll, daß er ihn sicher in einer Innentasche getragen hätte, wenn dies möglich gewesen wäre. Aber was passierte, als Sie ihm nachgingen? Haben Sie ihn eingeholt?»

«O ja. Aber ich durfte mich nicht allzunahe an ihn heranwagen, da er mich bestimmt wiedererkannt hätte. Hin und wieder schaute er sich gründlich um oder besah sich ein Schaufenster. Dann bog er in die Lombard Street ein. Näher als fünfzig Meter durfte ich nicht heran. Gleichwohl konnte ich feststellen, daß er ins Gebäude der City Trust Company ging.»

«Die haben doch Safe-Depots!»

«Stimmt», sagte er. «Ich vermute, er hat dort den Inhalt seiner Manteltasche deponiert. Und ich glaube, daß er ein neuer Kunde war, denn sonst wäre er nicht so lange im Hause geblieben. Ich wartete siebzehn Minuten.»

«Sie haben recht. Aber was kann er nur hinterlegt haben?»

«Weiß der Himmel», grunzte Hallows. «Ich denke mir, er hatte etwas in die Finger bekommen, das ein anderer ebenfalls unbedingt haben wollte. Er schien nichts anderes erwartet zu haben, als überfallen zu werden. Außerdem paßte er auf, daß ihm niemand folgte.»

Hallows schwieg einen Augenblick. «Deshalb hab’ ich ihn auch verloren. Er muß mich am Ende doch bemerkt haben.»

Das war seltsam. Wenn Hallows jemandem auf den Fersen ist, läßt er sich nicht so leicht wieder abschütteln.

«Vielleicht hab’ ich die Verfolgung nicht ernst genug genommen», meinte er. «Außerdem hatte der Mann mich vorher genau angesehen gehabt, und ich hatte keine Möglichkeit, mein Aussehen zu verändern. Jedenfalls ist folgendes passiert: Ich war hinter einem geparkten Wagen in der Lombard Street und sah den Mann vorübergehen. Dann sprang er plötzlich auf einen der Autobusse, die auf grünes Licht warteten. Ich ihm nach. Er war unten und ich kletterte nach oben. Dabei muß er mich wohl gesehen haben. Wir fuhren bis zum Ludgate Hill, und ich sah, wie er ausstieg. Ich tat dasselbe. Als ich jedoch den Bus verlassen hatte, war er wie vom Erdboden verschlungen. Er muß auf den nächsten Bus in der Schlange gesprungen sein.»

«Er scheint ja ein ganz schlauer Kerl zu sein», meinte ich.

Hallows klopfte die Pfeife aus und erhob sich. «Na, wenigstens ist der Morgen vergangen. Hoffentlich laufe ich unserem Freund noch einmal in die Arme. Man kann nie wissen.»

Ich läutete Bertha, unserem Mädchen für alles, ließ mir das erforderliche vorgedruckte Blatt für Hallows’ Bericht bringen, und dieser füllte es aus. Er war beinahe damit fertig, als Bertha durchläutete.

«Mr. Hill von der United Assurance ist am Apparat.»

John Hill ist Geschäftsführender Direktor der Versicherungsgesellschaft. Ich arbeite seit Jahren für ihn, und wir sind Freunde geworden.

Nachdem wir uns ein glückliches neues Jahr gewünscht und ein wenig über das Wetter geplaudert hatten, folgte das Geschäftliche. Er fragte mich, ob ich im Laufe des nächsten oder übernächsten Tages Zeit hätte.

«Für Sie immer», sagte ich. «Haben Sie etwas Besonderes auf dem Herzen?»

«Ja», gab er zur Antwort. «Etwas ziemlich Ungewöhnliches. Und Persönliches. Können Sie mich, sagen wir, Donnerstag morgen um zehn Uhr besuchen? Vielleicht bringen Sie Hallows mit.»

«Er ist gerade bei mir und schreibt seinen Bericht über den Brand in der Waring Street. Wollen Sie uns nicht schon ein paar Details geben?»

«Das geht leider nicht. Ich muß Ihnen Donnerstag morgen um zehn Uhr ganz im Vertrauen erzählen, worum es sich handelt. Hoffentlich kann ich es einrichten, daß die Interessenten erst gegen elf Uhr bei mir sind. Zwischen zehn und elf können wir uns darüber unterhalten, welche Vorschläge wir den Leuten machen wollen. Mehr kann ich Ihnen jetzt leider nicht mitteilen.»

«Sie sind der Boß», sagte ich. «Dann also bis Donnerstag früh um zehn.»

2

An jenem Donnerstag morgen war es bitterkalt. Es war wohltuend, in Hills gutgeheiztes Zimmer zu treten, das nicht nur an die Zentralheizung angeschlossen war, sondern auch einen offenen Kamin mit einem prasselnden Feuer hatte.

«Hier ist es besser als im Büro», meinte Hill, «zumal einer der Leute, mit denen wir gleich zu tun haben werden, ein Großonkel von mir ist, der mehr als achtzig Jahre zählt. Ich rief ihn eben noch an und fragte, ob er sich bei dem Wetter herauswagen wolle, aber er bestand darauf.»

Hill ist sehr geschickt, wenn es darum geht, einen Fall zu erläutern. Er faßt sich kurz, drückt sich klar aus und ist vor allem geduldig. Er merkt sofort, wenn man nicht mitkommt, und fährt erst mit seiner Erläuterung fort, wenn er genau weiß, daß man ihm gefolgt ist.

«Haben Sie schon von einer Firma C.T. Haddowe gehört?» fragte er uns.

Wir verneinten.

«Es hätte ja sein können», fuhr er fort. «Sie hat ihr Geschäft an der Walton Street 36, nicht weit von der Old Bond Street, und besteht seit über hundert Jahren. Seit einigen Jahren beschäftigen die Leute sich vorwiegend mit altem Schmuck. Es ist kein sehr bekanntes Geschäft, aber es läuft gut. Unterbrechen Sie mich, Mr. Hallows, wenn es zu schnell geht.»

Hallows macht sich stets Notizen in Kurzschrift. Ich konzentriere mich auf allgemeine Eindrücke.

«Nun zu den Inhabern», fuhr Hill fort. «C.T. Haddowe ist mein Großonkel, deshalb bin ich persönlich an dem Fall interessiert. Er ist jetzt vierundachtzig, aber erst seit acht Jahren nicht mehr im Geschäft. Sein Sohn, der sein Geschäft übernehmen sollte, kam vor zehn Jahren bei einem Flugzeugunglück ums Leben. Sein Neffe, Julian Matching, wurde angelernt und übernahm das Geschäft, als C.T. – alle nennen ihn C.T. – sich endlich zur Ruhe setzte. Julian ist jetzt achtundfünfzig.

Julian ist sozusagen der Angelpunkt der ganzen Affäre, deshalb möchte ich, daß Sie mehr über ihn hören. Sein Vater war ein schwacher Mensch. Julians Mutter führte das Regiment in der Familie. Wenn es nach ihr gegangen wäre, wäre aus Julian nie ein erwachsener Mensch geworden. Sie hatte zum Beispiel stets beabsichtigt, Julian in Onkels Geschäft unterzubringen, obwohl der Junge heimlich den Wunsch hatte, Jura zu studieren. Mutter sorgte dafür, daß nichts daraus wurde, und Julian wagte nicht zu protestieren. Aber täuschen Sie sich nicht in ihm. Er ist ein kluger Kopf. Da er schon ins Geschäft eintreten mußte, hat er sich gründlich eingearbeitet und weiß genau Bescheid. C.T. hätte sich nicht zurückgezogen, wenn er dessen nicht sicher gewesen wäre.

Nun zum Geschäft selbst. Es hat sich im Laufe der Zeit einen festen Kundenkreis erworben. Die Kunden kommen aus Amerika und Indien und aus der übrigen Welt. Sie schauen bei C.T. Haddowe herein, wenn sie in London sind: meist Sammler, die hinter Silber aus der Zeit Cromwells oder viktorianischem Schmuck her sind. Haddowe kauft das Zeug privat oder auf Auktionen. Das Geschäft wird ohne großen Aufwand betrieben, wie Sie feststellen werden. Es hat nur ein Schaufenster mit kleiner Auslage, einen ziemlich kleinen Laden, oben eine Werkstatt und hinten die üblichen Büros. Zwei etwas ältere Verkäufer, ein Ausläufer und ein Goldschmied bilden das Personal. Natürlich hat Julian eine Sekretärin und Empfangsdame, eine sehr charmante Frau. Sie mag Ende dreißig sein. Sie heißt Lindman. Jean Lindman.»

Um Hallows Zeit zum Schreiben zu geben, zündete Hill sich eine weitere Zigarette an und reichte mir die Schachtel. Ich blieb lieber bei meiner Pfeife.

«Nun, das genügt zunächst», fuhr er fort. «Jetzt müssen wir uns mit Julian genauer befassen. Der Familiensitz – er wohnt noch immer dort – ist eine viktorianische Monstrosität, die sich Grange-Haus nennt. Er liegt gleich hinter dem Dorf Aldways in der Nähe von Sevenoaks. Ich war als junger Mann ein paarmal im Grange-Haus zu Besuch. Die alte Tante Maud verehrte ihren lächerlichen Ehemann geradezu, ähnlich wie Viktoria ihren Albert. Sie hatten eine ältere Köchin, die treu an der Familie hing, mehrere Mädchen und einen Gärtner, der stundenweise kam. Vor fast drei Jahren starb dann Tante Maud, und Julian stand zum erstenmal auf eigenen Füßen.» Er unterbrach sich einen Augenblick. «Wie, glauben Sie, reagierte er auf den Tod seiner Mutter?»

Ich lachte. «Vielleicht lebte er so weiter, wie er fünfundfünfzig Jahre lang gelebt hatte, ein zahmer Junggeselle mit Mutterbindung. Wahrscheinlich jedoch ist, daß er heftig reagierte und sich von ihr losriß. Vermutlich geriet er außer Rand und Band. Weshalb säßen wir sonst hier?»

Hill war sichtlich beeindruckt.

«Eine bemerkenswerte Folgerung. Sie haben tatsächlich recht. Nehmen wir zum Beispiel seine Heirat. Er hatte sein Leben lang keine Frau angesehen, und doch heiratete er kaum sechs Monate nach dem Tod seiner Mutter. Die Frau wäre die letzte gewesen, die seine Mutter für ihn ausgesucht hätte. Ihr Name war Mary Hyson, und im Beruf nannte sie sich Moira Delane. Julian führte seinerzeit einen Kunden aus. Sie gingen in Frascolis Restaurant, wo das Mädchen – damals erst einundzwanzig Jahre alt – Sängerin in der Tanzkapelle war. Soviel ich weiß, war Julians Kunde von dem Mädchen hingerissen und bat es, auf ein Glas an den Tisch zu kommen. Doch darauf kommt es nicht an. Julian heiratete die Kleine drei Monate später standesamtlich. C.T. ging es damals nicht sehr gut, und er konnte nicht dabei sein. Jean Lindman und ich waren Trauzeugen. Die Flitterwochen verlebte das Paar in Monte Carlo. Dies wären die Fakten, die ich zusammentragen konnte. Nach weiteren Einzelheiten müssen Sie selbst forschen.»

Hill drückte die Zigarette aus und drehte sich nach der Tischuhr um. Wir hatten noch etwa zehn Minuten Zeit.

«Was ich Ihnen jetzt mitteile, sind weniger Tatsachen als Eindrücke. Ich wurde erst wieder nach Grange-Haus eingeladen, als das junge Paar sich dort häuslich eingerichtet hatte. Die Veränderungen im Hause waren frappant. Es war, als sei jemand mit einem riesigen Staubsauger durchs Haus gegangen: der ganze altmodische Kram von Julians Mutter war verschwunden. Statt dessen war es renoviert und neu möbliert worden. Es fehlten weder Fernsehgerät noch Tonband und Cocktailbar. Die alte Lucy Milford, die Köchin, hatte sich endlich zur Ruhe gesetzt, und ein Ehepaar namens Gambet war eingestellt worden.

Aber Sie wollen etwas über Matchings Frau Moira wissen. Sie sieht fabelhaft gut aus und hat eine tolle Figur. Sie ist blond und hat viel Sex-Appeal. Das letztemal sah ich sie vor etwa sechs Monaten. Ich aß mit unserem Mann aus Glasgow im Café Royal zu Mittag und erblickte sie zufällig mit einem jüngeren Mann an der Bar. Sie trug einen wundervollen Nerzmantel, obgleich Sommer war. Wahrscheinlich wollte sie auf jemand Eindruck machen. Ich wußte übrigens, daß Julian ihr einen Jaguar Sport gekauft hatte. Außerdem hatte er ihr ein paar recht teure Schmuckstücke geschenkt.»

«Und jetzt?»

«Vermutungen, nichts als Vermutungen», fuhr er fort. «Aber ich glaube, daß er noch immer in ihrem Bann steht und daß sie ihn ausnutzt und links liegenläßt. Geistig haben sie nichts gemeinsam. Sie ist vulgär und hat sich den Anstrich von Bildung erworben. Und außerdem ist sie dreiundzwanzig und er achtundfünfzig. In den letzten Monaten mußte ich gelegentlich geschäftlich mit Julian telefonieren – die Firma ist schon seit jeher bei uns versichert – und wie ich den Gesprächen entnehmen konnte, verbrachte sie eine Menge Zeit bei einer Freundin, mit der sie einmal ein gemeinsames Appartement: hatte.»

Der Summer ertönte. Ich hörte, wie die Sekretärin die Ankunft von C.T. Haddowe und Julian Matching ankündigte.

«Führen Sie sie gleich herein, Margaret», sagte Hill. «Und vergessen Sie nicht Kaffee, Kuchen und Sherry zu bringen.»

 

Der alte Haddowe ging wegen einer leichten Arthritis im Knie am Stock; geistig war er ganz auf der Höhe. Seine breiten Schultern waren ein wenig gebückt. Hill und er mochten einander offensichtlich sehr gern. Man merkte es an ihren leuchtenden Augen und an dem langen Händedruck.

«Du hättest nicht kommen sollen», sagte Hill vorwurfsvoll.

«Unsinn, Unsinn», erwiderte Haddowe amüsiert. «Ich hab’s nicht gern, wenn man mich für einen alten Mann hält. Ich brauchte nur ein bißchen mehr Zeit als sonst, um hierher zu kommen, das ist alles.»

Matching war sichtlich nervös. Er war etwa einssiebzig groß und ging sehr gerade. Als ich nahe bei ihm stand, sah ich, daß seine grauen Schläfen ein wenig nachgefärbt waren. Sonst war nichts Auffälliges an ihm. Er hätte ein wohlhabender Anwalt, Bankier oder Arzt sein können.

Hill stellte uns vor. Er sagte, wir seien alte Freunde und unsere Unterredung könne fast als ein Familientreffen betrachtet werden. Hill erwähnte bei Kaffee und Kuchen, daß ich Halstead und Cambridge absolviert hätte. Es geschah beiläufig, aber nach Plan, damit ich in diesem erlauchten Kreise für voll genommen wurde. Hallows wurde als mein Privatsekretär beschrieben. Und so kamen wir endlich aufs Geschäft zu sprechen.

«Ich weiß», begann Hill, «daß die Sache für dich schwierig ist, Julian, aber du mußt nun unseren Freunden alles erzählen, was sich am letzten Wochenende zutrug, dann können wir uns über die notwendigen Maßnahmen einigen. Vielleicht beginnst du mit dem eigentlich geschäftlichen Teil – mit dem Schmuck.»

Julian mußte das Gespräch hassen. Er sprach gestelzt und war ein wenig aggressiv. Ich merkte bald, daß er sich durch Ausdrucksweise und Ton schützen wollte. Es wäre besser gewesen, wenn er sich an die nackten Details gehalten hätte, aber er schweifte immer wieder vom Thema ab.

Der Schmuck, den Hill erwähnt hatte, bestand aus drei Stücken, die im Spätherbst bei Sotheby erworben worden waren – einem Diamantring mit drei Steinen, der mit zweitausendfünfhundert, einem Diamanthalsband, das mit siebentausend, und zwei besonders schönen Tropfenohrringen, die mit zweitausendachthundert Pfund versichert waren. Die Firma brauchte mit dem Wiederverkauf nicht bis zum Frühjahr, wenn die üblichen Kunden wieder in London einträfen, zu warten. Am vergangenen Freitag, dem 8. Januar, rief ein wohlhabender Texaner, ein gewisser Martin J. Hamstall, bei Julian an. Hamstall sagte, er melde sich auf Empfehlung eines Freundes, und er möchte den bei Sotheby erworbenen Schmuck gern kaufen, wenn er noch zu haben sei. Er sei im Augenblick in Schottland, käme aber Montag ins Hotel Regalia nach Brighton. Julian willigte ein, ihn dort am Montag um zwei Uhr mit dem Schmuck aufzusuchen. Ein Preis wurde genannt und so gut wie akzeptiert.

Es war soweit nichts Ungewöhnliches an der Sache, aber Julian war doch vorsichtig. Er rief im Laufe des Tages im Regalia an, wo man ihm bestätigte, daß für einen gewissen Martin J. Hamstall und seine Tochter Zimmer bestellt worden seien und daß die Reisenden Montag zur Lunchzeit einträfen. Julian machte seiner Sekretärin dementsprechend Mitteilung, nahm den Schmuck aus dem Safe, steckte ihn in die Manteltasche und ging nach Hause. Er wollte Montag direkt von zu Hause aus nach Brighton fahren. Im Grange-Haus schloß er den Schmuck im Safe seines Arbeitszimmers ein. An diesem Punkt von Julians Bericht hielt Hill es für nötig, ihm eine Atempause zu gönnen. Ich erfuhr erst, als er wieder zu sprechen begann, daß die Sache schlimmer war, als ich glaubte. Ich dachte, sie verhalte sich so: Der Amerikaner war natürlich ein Gauner, und Matching war ihm im Regalia glatt in die Falle gegangen. Aber ich hatte mich nie im Leben so gründlich geirrt.

Doch um auf Hills Unterbrechung zurückzukommen …«Lassen wir es einstweilen dabei bewenden», sagte er. «Der Schmuck ist verschwunden, wie wir hören werden. Vielleicht darf ich bei der Gelegenheit ein Wort über die Haftpflicht der Versicherung verlieren? Oder soll Julian jetzt mit der mehr persönlichen Seite seiner Geschichte fortfahren? Was meinst du, Onkel?»

Der alte Haddowe runzelte einen Augenblick nachdenklich die Stirn. «Ich glaube, daß Mr. – entschuldigen Sie, ich vergaß Ihren Namen …»

«Travers, Sir. Ludovic Travers.»

«Natürlich, natürlich. Ich meine, Mr. Travers sollte die Geschichte als Ganzes erfahren. Die Versicherungsprobleme können wir nachher erörtern. Ist es nicht so am besten, Julian? Es macht nichts, daß John und ich die Geschichte noch einmal hören.»

Was ich nicht begriff, war folgendes: Warum war Julian so ängstlich, zuzugeben, daß er dem Schwindler in die Falle gegangen war? Deshalb beobachtete ich ihn genauer, als er in seiner Geschichte fortfuhr.

Das Sprechen fiel ihm offensichtlich schwer, und für alte Fachleute wie Hallows und mich war es leicht, festzustellen, daß er über viele Punkte hinwegging, während er andere über Gebühr hervorhob. Er errötete oft und stotterte viel, und er gab sich krampfhaft Mühe zu überzeugen, vor allem sich selber. Als ich die ganze Geschichte gehört hatte, tat er mir leid. Ich hatte sogar eine bessere Meinung von ihm. Vielleicht war er ein Narr, aber waren wir das nicht alle?

Julian Matching kam also an jenem Freitag abend nach Hause und legte den Schmuck in den Safe. Aber zu Hause hatte sich am Donnerstag manches geändert. Julians Frau hatte Robert und Eva Gambet, das Hausmeisterehepaar, entlassen und ihnen, statt die Kündigungsfrist einzuhalten, ein Monatsgehalt gegeben. Das Haus war Moiras Angelegenheit, und obwohl Julian sich sehr aufgeregt hatte über die plötzliche Entlassung, konnte er wenig dagegen tun. Moira Matching hatte ihm für ihr Verhalten zwei Gründe genannt: das Paar sei erstens immer unverschämter geworden und habe ihr zweitens dauernd nachspioniert. Zu Julians Besänftigung hatte sie Lucy Milford, die alte Köchin, gebeten, ein wenig auszuhelfen, bis neue Leute eingestellt werden könnten. Julian hatte mit anderen Worten jemand, der für ihn kochte – es war eine Situation, die er glaubte akzeptieren zu müssen.

Am Samstag tat Moira nichts Außergewöhnliches: sie stand sehr spät auf und bereitete einen primitiven Lunch. Bis zur Ankunft der Köchin ließ sie sich nicht mehr sehen. Um halb sieben war das Essen fertig, und Lucy ging fort, als nichts weiter zu tun war. Ihr Häuschen war etwa einen halben Kilometer entfernt, und Julian fuhr sie in seinem Humber nach Hause. Als er zurückkam, stand das Essen auf dem Tisch. Nach dem Essen wurde der Tisch abgeräumt und das schmutzige Geschirr in den Küchenausguß gestellt. Es abzuwaschen, war Julians Aufgabe, und als er aus der Küche zurückkam, hatte seine Frau ihm und sich selbst ein Glas Portwein eingeschenkt. Julian trank sein Glas aus und fühlte sich im gleichen Augenblick eigenartig benommen, und er erinnerte sich, daß er nicht klar sehen konnte. Dann schwanden ihm die Sinne.

Eine Stunde später kam er zu sich. Das Feuer war heruntergebrannt, und im Haus war es seltsam still. Er rief nach seiner Frau, aber sie antwortete nicht. Julian schleppte sich nach oben ins Bad, wo er sich übergeben mußte. Er erlebte einen neuen Schock, als er das Schlafzimmer seiner Frau betrat. Fast alles, was sie besaß, war fort. Er ging nach draußen zur Garage. Auch ihr Jaguar war verschwunden. Obgleich er seine Frau im Verdacht hatte, daß sie ihn eines Tages verlassen würde, war deutlich zu merken, daß mit ihr ein Teil seines Lebens dahingegangen war.

Am darauffolgenden Morgen war ihm völlig klar, daß sie ihn für immer verlassen hatte. Deshalb hatten die Gambets also gehen müssen – sie mußte ungestört ihre Sachen packen und wegbringen können. Er glaubte zu wissen, wohin sie gegangen war, und suchte krampfhaft die Adresse ihrer Freundin ausfindig zu machen, bei der sie neuerdings des öfteren das Wochenende verbracht hatte. Ihr Name war Hulda Bland, Mannequin von Beruf, und sie war ein paarmal zum Wochenende im Grange-Haus gewesen. Sie hatte Julian nicht gefallen. Sie war ihm billig und auffallend vorgekommen. Aber ihre Adresse konnte er nicht in Erfahrung bringen.

Er holte Lucy Milford, die ihm sein Sonntagsessen kochte, spülte und wegging. Am Montag wurde sie nicht gebraucht, weil er dann in Brighton sein würde. Und am Montag morgen öffnete er den Safe, um den Schmuck herauszunehmen. Der Schmuck war verschwunden. Matchings heillosen Schrecken kann man sich vorstellen. Er versuchte, im Hotel Regalia telefonisch den Amerikaner und seine Tochter zu erreichen. Sie waren noch nicht angekommen. Es war so gut wie sicher, daß es die Leute gar nicht gab.

Erst später suchte er Haddowe auf. Julian Matching hatte die Vorstellung, daß der Schmuck im Sinne des Versicherungsvertrags nicht als vermißt galt, weil in seiner Ehe Gütergemeinschaft bestand. Haddowe bezweifelte das und arrangierte deshalb die Zusammenkunft mit Hill.

 

Haddowe und Hill sahen mich an, als hätten sie mir den Ball zugeworfen. Julian Matching bedeckte einen Augenblick sein Gesicht mit beiden Händen und lehnte sich dann müde im Sessel zurück.

«Sie erwarten nun, daß ich sage», begann ich, «daß wir soeben eine außergewöhnliche Geschichte gehört haben …»

Matching schoß buchstäblich nach vorn. «Sie glauben mir nicht?»

«Natürlich glaube ich Ihnen», sagte ich besänftigend. «Aber Sie werden zugeben, daß die Geschichte eine Menge Lücken hat. Vielleicht können Sie uns noch ein paar Fragen beantworten. Und seien Sie versichert, daß kein Wort, das in diesem Raum gesprochen wird, nach draußen dringt – soweit es Mr. Hallows und mich angeht.»

«Ich beantworte jede Frage», sagte er. «Ich will Ihnen in jeder Weise behilflich sein.»

«Dann zunächst also zum Schmuck. Zeigten Sie ihn Ihrer Frau?»

«Ja», sagte er. «Ich hatte nie Geheimnisse vor ihr.» Er wandte sich den anderen zu. «Ich hatte immer den Wunsch, sie an meinem Leben wirklich teilhaben zu lassen. Deshalb zeigte ich ihr den Schmuck, als ich an jenem Abend nach Hause kam.»

«Und wie reagierte sie darauf?»

«Nun, sie war natürlich aufgeregt, denn die Stücke waren wunderbar. Aber sie war auch nicht aufgeregter, als wenn sie früher solche Dinge sah.»

«Hatte sie die betreffenden Stücke schon einmal zuvor gesehen?»

Ich wunderte mich, daß er bei dieser Frage zusammenfuhr. Er mußte nachdenken, ehe er antworten konnte.

«Ja», sagte er dann. «Ich bin beinahe sicher. Ich erwähnte den Schmuck einmal kurz nach dem Kauf, und etwas später sah meine Frau ihn, als sie zufällig zur Walton Street kam.»

«Das hilft uns schon weiter», sagte ich. «Und jetzt muß ich Ihnen einige sehr persönliche Fragen stellen. Wenn ich Ihnen in dieser unglückseligen Angelegenheit von Nutzen sein soll, muß ich Sie bitten, ganz offen zu antworten. Haben Sie Vertrauen, und betrachten Sie mich als Freund.»

«Das will ich», sagte er. «Ich versuche, Ihnen auf alles zu antworten.»

«Es ist fast gewiß, daß Ihre Frau Sie verlassen hat. Sagen wir vorübergehend, wenn Sie wollen, aber sie hat Sie verlassen. Nun sagen Sie uns bitte: Hatten Sie in den vergangenen Monaten den Eindruck, daß sie ein Verhältnis mit einem anderen Mann hatte?»

Er befeuchtete seine Lippen und sah mich nicht an, als er sprach.

«Ich habe absichtlich nie an eine solche Möglichkeit gedacht.»

«Aber?»

«Nun» – er saß da und dachte nach. Wieder befeuchtete er seine Lippen. «Nun, sie verbrachte mehrere Wochenenden nicht zu Hause. Vor etwa vier oder fünf Monaten bestand sie dann darauf, sich ein eigenes Schlafzimmer einzurichten. Sie war sehr launenhaft. An dem einen Tag war sie – nun, so wie sie zu Beginn unserer Ehe war, dann wieder wurde sie wütend und sagte die abscheulichsten Dinge. Einmal hat sie fast eine Woche nicht mit mir gesprochen.»

«Aha.» Ich wandte mich den anderen Anwesenden zu. «Ich glaube, das genügt. Nur noch die Routinefragen: Was hielten Sie davon, wenn man die Sache der Polizei übergäbe?»

«Nein, lassen wir die Polizei aus dem Spiel!» sagte der alte Haddowe schnell. «Die Sache muß unter uns bleiben.»

«Schön», entgegnete ich. «Ich soll also versuchen, Mrs. Matchings Aufenthalt zu ermitteln und den Schmuck wiederzufinden. Sie werden, genau wie ich, der Ansicht sein, daß das ein und dasselbe ist.»

Die anderen wechselten Blicke. Matching und Hill sprachen zur gleichen Zeit, und Hill sprach zu Ende.

«Darum wollten wir Sie bitten», sagte er. «Es darf nichts an die Öffentlichkeit dringen, und die Polizei darf unter keinen Umständen eingeschaltet werden. Sie kennen mich, und ich kenne Sie. Wir brauchen also nicht groß über einen Vertrag sprechen. Die üblichen zehn Prozent natürlich, wenn der Schmuck wiedergebracht wird. Darüber wird es zwischen uns keinen Streit geben.»

«Das paßt mir großartig», sagte ich. «Ich stelle nur eine Bedingung, mit dem Versprechen, größten Takt zu wahren: Ich muß an jeden heran können, der irgendwie mit der Affäre etwas zu tun hat.»

«Natürlich, natürlich», sagte Haddowe. «Sie können nichts aufklären, wenn Sie keine Fragen stellen.»

«Vielen Dank für Ihr Vertrauen. Ich muß zum Beispiel mit den Gambets sprechen. Sie hatten mit Ihrer Frau zu tun, wenn Sie während des Tages nicht zu Hause waren, Mr. Matching. Sie wissen, wo die Leute sind?»

Es war das erste Mal, daß ich ihn lächeln sah.

«Natürlich weiß ich das. Sie zogen in das Hotel Zum Windhund. Das ist das einzige kleine Hotel, das wir in Aldways haben. Sie wollten so lange dort bleiben, bis sie eine andere Stelle fänden. Ich besuchte sie gestern abend und bat sie zurückzukommen. Als ich heute morgen abfuhr, waren sie bereits da.»

«Das ist schön», sagte ich. «Außerdem brauche ich ein Foto oder mehrere Fotos Ihrer Frau.»

«Daran hab’ ich schon gedacht», warf Hill ein. «Hast du sie mitgebracht, Julian?»

Julian hatte welche bei sich. Er gab mir einen großen Umschlag, der die Fotos enthielt. Wir verabschiedeten uns mit einem Händedruck, Hill begleitete Haddowe und Matching hinaus. Er hatte Hallows und mich gebeten zu bleiben. Sobald die Tür sich schloß, schlitzte ich den Umschlag auf.

Er enthielt ein halbes Dutzend Fotos. Sie stammten alle aus demselben Atelier. Hill hatte mit seiner Bemerkung über ihr Aussehen nicht übertrieben. Ein Ganzfoto zeigte eine erstklassige Figur. Das Gesicht entlockte Hallows einen bewundernden Pfiff. Auf allen Bildern trug Moira das beinahe weiße Haar nicht lang, sondern kurz und weich gewellt. Auf zwei Bildern war ihr Gesichtsausdruck beinahe provozierend verführerisch.

«Nimmt mich wunder, was für einen Eindruck sie machte, wenn sie den Mund auftat?» sagte Hallows.

Ihr Haar machte mir Sorgen. Wenn sie vorhatte zu verschwinden, würde sie sich wahrscheinlich als erstes ihr Haar dunkel färben lassen. Setzte sie sich dann noch eine Sonnenbrille auf, könnten wir an ihr vorbeigehen, ohne sie zu erkennen. Die Tür öffnete sich, und Hill trat wieder ein.

«Das hätten wir, Gott sei Dank, hinter uns! Wenn Sie wüßten, was mich die Sache schon für Nerven kostete, würden Sie das gleiche sagen. Sie machen sich sofort an die Arbeit?»

Ich bejahte.

«Tun Sie mir doch den Gefallen, und sagen Sie mir, was Sie ganz allgemein über die Sache denken», sagte Hill.

«Hören wir zu», schlug ich vor. «Was denken denn Sie im Moment darüber, Hallows?»

Hallows lächelte. «Nun, wenn Sie es hören wollen: die Dame hat sich einen Freund angeschafft, und die beiden haben den Diebstahl zusammen geplant. Sie muß gewußt haben, daß der Schmuck noch nicht verkauft war, und er mußte den Amerikaner spielen, der Mr. Matching und das Hotel in Brighton anrief. Der Freund besorgte auch das Mittelchen, das sie ihrem Mann in den Portwein schüttete. Vielleicht stand er schon draußen bereit, um schnell die Schlüssel an sich zu nehmen, den Safe aufzuschließen und das übrige Gepäck heraustragen zu helfen.»