Guirlanden um Die Urnen der Zukunft Eine interessante, originelle Familiengeschichte aus dem drei und zwanzigsten Jahrhunderte - k. A. - kostenlos E-Book

Guirlanden um Die Urnen der Zukunft Eine interessante, originelle Familiengeschichte aus dem drei und zwanzigsten Jahrhunderte E-Book

k. A.

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Project Gutenberg's Guirlanden um Die Urnen der Zukunft, by A. K. RuhThis eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and withalmost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away orre-use it under the terms of the Project Gutenberg License includedwith this eBook or online at www.gutenberg.orgTitle: Guirlanden um Die Urnen der Zukunft       Eine interessante, originelle Familiengeschichte aus dem              drei und zwanzigsten JahrhunderteAuthor: A. K. RuhRelease Date: May 14, 2014 [EBook #45644]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK GUIRLANDEN UM DIE URNEN DER ***Produced by Jens Sadowski (based on page scans madeavailable by John J. Pierce and by the Staatsbibliothekzu Berlin - PK, digital.staatsbibliothek-berlin.de)

Wahrhaftig — eine Sideley!

GuirlandenumDie UrnenderZukunft.

Eine interessante, originelle Familiengeschichte aus dem drei und zwanzigsten Jahrhunderte von A. K. Ruh.

Leipzig 1800. Im Verlag der Jos. Poltischen Buchhandlung.

GuirlandenumDie UrnenderZukunft

Eine Familiengeschichte von A. K. Ruh.

In drei Theilen oder Abschnitten.

Prag und Leipzig 1800. Im Verlag der Jos. Poltischen Buchhandlung.

Dem Herrn Stadtrath Franz Pablitschek, und seiner Gemahlin zugeeignet vom Verfasser.

Potui quod feci.

Erster Abschnitt.

Erstes Kapitel.Blicke in die Zukunft.

An der unendlichen Uhr der Zeiten wird der Zeiger der Jahrhunderte, auf den dreiundzwanzigsten Punkt deuten. Fünf Generationen des Menschengeschlechts werden noch erstehn, wie im Frühling des Jahrs der Fluren Blumengewand ersteht: wie im Herbste das bunte Laub von krafterschöpften Bäumen rieselt, werden sie fallen.

Eine neue Mennschensaat wird keimen, sprossen und reifen, gesäet von den Händen der Zeit.

Schwach und matt noch dämmert die allbelebende Sonne Wahrheit durch den dichten Nebelflor der Vorurtheile und den dunkeln Wolkendampf des Dünkels; aber sie werden erhellt werden, sinken werden die Nebel und Wolken, sich zertheilen und nimmer seyn. Und eine Sonne tritt hervor aus der Schacht des Wahnes, hell und glänzend wie der geläuterte Morgen nach der Sturmnacht, mild wie der Thau in Perlen am Frühlingshalm, und labend wie Abendkühle den schweißtriefenden Schnitter. Edle Thaten der Menschen verketten und verdrängen sich vor meinem Blicke, wie lieblich in einander flirrende Träume. Ein Odem durchweht die eine Seele der neuen deutschen Familien; geadelt durch Geistes und Herzenkraft handlen sie edel und — menschlich.

Aus dem bunten Gewirr künftiger Begebenheiten drängt sich mir eine vor allen auf — nicht der Schönsten, schönste, aber auch nicht der Edelsten lezte.

Nehmt sie erwartungsvolle Leser, gefällig aus meinen Händen. Schwebet mit mir in dem Kahne der Fantasie auf, dem Meere der Zeiten 500 Jahre vorwärts. Seht diese neue Welt um euch und hört. Aber erwartet nicht vollkommen glükseelige Bewohner, vielleicht den Geistern der uns unbekannten andern Welt gleich. Auch dann — laßt über unserm Staube noch tausend Generationen wandeln, laßt Meere austroknen zu Ländern, und Gebirge in Meere sich verändern — auch dann bleiben der Erde Bewohner unvollkommne Geschöpfe — Menschen, gemischt aus guten und niedrigen Neigungen.

Und du, o Genius der Zukunft, der mit sonnigten Finger dem kühnen Späher den Flor der Nacht vom Sonnenhell der Zukunft hobst, belebe meinen Pinsel, daß ich mahle, mit jenen Farben mahle, so die Natur zeichnet, die einst als der alleinige Ring alle Seelen umringen wird. Daß vielleicht wenn ich Stäubchen lang in Vergessenheit verwitterte, jene Vorwelt meiner Kühnheit lächelt, und spricht: Dieser las im Buche der Zukunft.

Zweites Kapitel.Graf von Wallingau.

Nicht Erbrecht, nicht Geburt, der Geist macht groß und klein.

Hagedorn.

Edle Thaten, Verdienst um das Wohl der Nation, oder Erfindungen, welche den Menschen nützen, und sie erhöhen, adeln den Bürger des Staats. Er sey der Sohn eines Fürsten oder eines Ackermanns.

Der erfahrneste, weiseste Mann ist der Kaiser Germaniens; gleich verdient um sein Vaterland durch mannigfaltige Kenntnisse, Geistes und Herzenstugenden, als auch berühmt durch erhabne Handlungen um das Wohl des Menschengeschlechtes. Ausgezeichnete Vorzüge, alle gemein erkannte Ueberlegenheit an den trefflichsten Eigenschaften über alle, machen ihn des Thrones würdig.

Der Bürger, der gleichfalls nur durch moralische Vorzüge, und ohne diesen unedel war, und sollte er des Goldes vollauf haben, lebte froh und ungestört im Genuße der Früchte seiner Thätigkeit; häuslich und voll der Liebe, voll der innigen Verehrung seines Kaisers, der ein Vater aller war, lebte er begeistert vom Gefühl des Friedens im Ueberfluß.

Unter so manchen Biedermännern gab es einen gewissen Grafen von Wallingau, der Edelsten einer die Germaniens Boden trug.

Sein Vater war ein Landmann gewesen, stark und schlicht, wie sein Pflug, mit dem er sein Brod baute; herzensgut und redlich. Sein ungemeiner Fleiß erwarb ihm ein großes Vermögen, das ohngeachtet seiner Mildthätigkeit die oft sogar an Verschwendung gränzte, immer grösser wuchs, und nach seinem Tode dem einzigen Sohne Welly zufiel, der seinem kindlich betrauerten Vater nacheifernd Herzensgüte mit Talent, Seelenstärke mit Eifer und Thätigkeit vereinte, um so seinem Vaterlande Ehre und Vergnügen zu machen.

Anfangs blieb auch Welly bei dem Geschäfte, des Ackerbaus. Die Natur seine stäte Führerinn, hatte den Drang zu Wissenschaften in sein Herz gelegt, der immer stärker und endlich zum Bedürfnisse ward, das Befriedigung heischte.

Die Naturgeschichte war unter vielen andern Gegenständen, welche die treffliche Einrichtung des Staats jeglichem Gliede zur Kenntniß ans Herz legte, sein Lieblingsstudium. Das von seinem Vater ererbte Vermögen sezte ihn in den Stand seine Wißbegierde auf Reisen zu sättigen. Er durchzog einige Jahre lang im Vaterlande und den angränzenden Reichen die Fluren der Gelehrsamkeit, sog überall den Honig aus den Blumen, und kam ein geschikter Physiker in seine heimischen Auen zurük, wo er rastlos seinem Fache oblag und es darinn soweit brachte, daß er in einem Raum von acht Jahren durch unermüdetes Forschen und Streben verschiedene nützliche Maschienen erfand. Dies, und Wellys geschäzte Eigenschaften überhaupt, vorzüglich seine Verdienste um die Armen, denen er oft im größten Frost, Holz, Speise und Kleider und Geld trug, wurden denn auch belohnt, da überall Gerechtigkeit in der Belohnung des Verdienstes und Aufmunterungseifer die ganze Nation beseelte.

Eben war durch den Tod des Besitzers die Grafschaft Wallingau leer. Welly ward als Kandidat vorgeschlagen, und da seine Verdienste grösser und edler als jene aller andern Kandidaten waren, so entschied für Welly der Kaiser, und Welly ward Graf von Wallingau.

Drittes Kapitel.Der Spaziergang in das Kastanien Wäldchen.

In seeligen Frieden lebte nun der neue Graf den Mittag seines Lebens. Eine treue zärtliche Gattin zur Seite. Sie geliebt und nachgeeifert von allen Mädchen und Frauen, er das Muster, nach dem sich die Jünglinge der Gegend und des Dorfes bildeten, das im halben Kreise das gräfliche Schlos umgab. So war Elisium ihr Ländchen, und glükliche Unterthanen, thätig und reich, segneten mit frohen Thränen die Stunde, die ihnen dieser Vater gebahr, bekränzten im blühenden Frühling als eines Heiligen Statue das Ehrendenkmal, so die Gemeinde Wellys den verstorbnem und von Jedem geschäzten Vater gesezt hatte, und dankten der Vorsicht die im Sohne den Todten erstehen ließ.

Zur ungemeinen Erhöhung des Lebens, gebahr Wellys geliebte Gattin Jadilla zwei Kinder. Salassin einen Knaben, ganz das Bild des Vaters, und ein Mädchen das den Namen der Mutter und den schönsten Keim zur künftigen Grazie trug.

Also waren in beneidenswerthen Freuden sechs Jahre entflohn, schnell wie ein Pulsschlag und hold wie ein blühender Frühling. Salassin zählte sechs und die plappernde Jadilla vier Sommer. Aber nun erwachte das Glük, das im achtzehnten wie im 23. Jahrhundert nie das menschliche Leben ungetrübt läßt, aus seinem Schlummer, und schüttete Wermuth in den Kelch der Freude.

Eben streifte mit rosichten Finger der Morgen vom dämmernden Kastanienhaine die Nebelwolken der Nacht. Der Sonne halbe Goldscheibe strahlte hinter dem östlichen Berge hervor, und der Thau rann an Grashalmen in spiegelnde Perlen.

Da saß Welly mit seiner kleinen Familie im elisischen Parke des Schlosses am Frühmale. In einer duftigen Schasminlaube mit grünen Bänken und einem Mahonitischchen, genoßen sie das ländliche Mahl von frischgemolkner Milch, gewürzt von vertraulichen Scherze der Gattin, und naiven Fragen und Schäckereien der herzigen Kinder; voll Heiterkeit der Seele wie der Morgen, der durch die Lichträume des Schasmingeflichts seinen purpurnen Strahl, auf die liebliche Milch und die Wangen der Frohen goß.

„Wie so herrlich der Morgen auf uns lächelt, meine Jadilla! — sprach der muntre Vater und drückte inniger der Gattin Hand. Wie alles lebt und sich regt! Düftet und blühet! Wollen wir nicht einen Spaziergang in das nahe Kastanienwäldchen machen, das dort an dem Berge in bläulichen Gruppen an den Wald sich schließt? Komt! komt meine Trauten! Schöner ist Mutter Natur im Freyen! Dort athmen wir den Odem der Liebe, die uns das allwirkende Wesen in jedem Grashalm und Wurm erkennen läßt! Komt!

Ja! — lieber Vater! — rief hastig der muthige Salassin, und küßte ihm die Hand. — Ich will Schmetterlinge fangen, so schöne Schmetterlinge, wie du aus dem fremden Lande gebracht hast.

Ja ja! — liebe Mütterchen — stammelte hüpfend die kleine Jadilla, und schmiegte sich an die Mutter. Schöne Blümchen da giebts — dir Sträuschen und dem Vater auch, und dem Salassin auch — komt! komt! mit dir im Grase springen.

Mit einem zärtlichen Blick, der ganz die Seeligkeit des Gefühls ausdrückte, so das holde Geschwätze der Unschuld erregte, begegneten sich die Gatten, und wandelten auf das Kastanienwäldchen zu; ein Diener folgte mit dem Sonnenschirme.

Dies war die gewöhnliche Stunde, in der Welly seine Kinder belehrte. Am Morgen wo die Seele heiter und sorgenlos, gefühlvoller das Herz für das Schöne der Natur, und faßlicher für jeden Unterricht ist nahm er sie in das Freye mit, und brachte seinen Kindern angemessene Begriffe von Gott und manchen andern Sachen bei. Der Schmetterling, den Salassin mühsam gefangen, das Blümchen so Jadilla gepflükt, war Stoff und Gegenstand, von dem er auf den Urheber und Erhalter des Universums in leichten Gesprächen kam, und so die Begriffe von Milde, Güte, Weisheit und Ordnung des Urwesens spielend in das Herz und Gedächtniß der Kinder pflanzte.

Auf schlängelnden Wegen der Wiesen, die ein Kieselbach murmelnd in zwei Fluren theilte, neben rauschenden Weidengesträuchen Hollunder und Hagedornhecken giengen sie dahin im lachenden Thale, und achteten nicht des glänzenden Thaues, der ihre Schuhe benäßte.

Da rief ein singendes Mädchen, die blinzelnde Sichel in der Hand, unter welcher die Blumenglieder stürzten, der kommenden Familie herzlich und lächelnd ihren Morgengruß zu. Dort am Fahrwege that es ein Ackersmann hinter dem knarrenden Pflug — hier ein Knabe, der zottige Ziegen am Felber weidete — dort der Schaafhirt am Abgang des Hügels mit der Flöte.

O Natur! Natur wie bist du so schön! — rief Welly über den Anblik dieser Szenen entzükt, und schmiegte sich heißer an die mitfühlende Gattin.

Endlich nahm sie das niedliche Kastanienwäldchen in seinen moosichten Schoos auf. Sie lagerten sich im Schatten, denn die Sonne stand schon viel höher über den waldigen Ostberg, und die wachsende Schwüle trieb die Wandlenden ins erfrischende Kühl. Salassin und Jadillchen jagten herum in riechenden Wacholderbüschen, und liefen bald einem Schmetterling, bald einem Blümchen nach. Ein bunter Vogel flog um den andern auf, und der Knabe wußte nicht, welchem er folgen sollte: ein Waldblümchen um das andere lokte das kleine Mädchen, das schon alle Händchen vollgepflükt hatte. Immer warf sie die Gepflükten hinweg, und brach sich Neue. Willot der Diener hatte Mühe, die beiden im Gesichte zu erhalten, er folgte bald diesem, bald jener, sie liefen zertheilt herum, und kaum rief er den hastigen Salassin, war ihm schon wieder das geschäftige Jadillchen aus dem Auge.

Die kleine Pflückerinn verlor sich denn dabei einmal soweit in einen Birkenschlag, daß Willots Ruffen sie nicht mehr hörte. Sie verfolgte die Blüthen, im eifrigen Pflücken hatte die Schuhe verlohren, das florne Schürzchen und das leichte Kleid an den Dornen der Hambutensträuche zerrissen, und gerieth endlich soweit, bis sie unvermuthet am Ende des Schlages um den ganzen Hügel herum gekommen war, wo sie ein Thal, das sich vor ihren Füssen aufschlos, mit einiger Verwirrung erblikte.

Sie kam eben auf eine Strasse, ein neues schöneres Blümchen blühte vor ihr, sie grief nach ihm, und ach! — eine Biene stach Jadillchen in das weiße Händchen.

Der Schmerz erpreßte ihr Thränen und sie weinte laut.

Eine Kutsche rollte grade die Strasse heran, darinn saß eine ältliche Dame. Sie ließ den Kutscher halten.

„Warum weinst du? Mädchen! — sagte die Dame freundlich. Ein Bienchen hat mich stochen — in die Hand hat es mich stochen! — weinte das Mädchen und blies auf die brennende Wunde.

„Was machst du denn da im Walde?“

Blümchen pflüken dem Vater und Mutter und Salassin.

„Wo ist denn Vater und Mutter?“

Jadillchen schaute sich herum, die neue Gegend verwirrte sie, sie zeigte in das fremde Thal hinab wo ein Dorf lag. Da ist Mutter!

„Komm mit mir Mädchen, weine nicht, ich will dein Händchen heilen!“

Ja du bist nicht meine Mutter.

„Komm ich bringe dich zu ihr, du möchtest dich verlaufen!“

Jadillchen ließ sich nicht zweimal bitten, man hob sie in den Wagen, und die Dame beschäftigte sich mit dem Bienenstich, der das arme Kind so schmerzte, daß es Mutter und Vater, Salassin und Blümchen vergaß, und weinte. Die Dame zog ein Balsambüchsgen heraus, und der Schmerz ließ nach, sie fuhren dem Dorfe zu, auf das die wirre Jadilla gezeigt hatte.

Viertes Kapitel.Auf Sonnenschein folgt Regen.

Willot hatte damals Salassin nachgeruffen, der nach einer ganz entgegengesezten Seite des Birkenschlages lief; und weil er nicht folgen wollte, sprang Willot ihm nach, um ihn mit Jadillen beisamm zu erhalten. Aber der Knabe zerrte sich und entlief dem Diener immer weiter; so geschah es denn, daß jenseits das Mädchen ganz aus den Augen schwand, und schon mit der Dame fortfuhr, als er den muthwilligen Salassin kaum noch gebändigt hatte.

Nun lief er den ganzen Schlag durch. Jadillchen! Jadillchen! Aber Jadillchen war verschwunden, das Echo wiederhallte die Antwort: Jadillchen! Fort über Stock und Stein durch Hecken und Sträuche suchend und ruffend; aber Jadillchen war verschwunden. Müde gelaufen und heiser geschrien lief er auf die Eltern zu, und konnte kaum ein Wörtchen vor Bestürzung stammeln. Salassin saß dem Vater zur Seite abgemüdet vom Papilionenfang.

Wo ist Jadillchen? — fragte die Mutter.

Daß sie sich nicht verirre! Der daranstossende Wald ist groß und verworren. — Fügte der Vater bei.

Ach Herr! — stotterte der todtenblasse Willot. — Ich kann kaum mehr sprechen — überall war ich — Jadillchen ist verschwunden! — Er sprachs keuchend und lief sogleich wieder in den Schlag, lieber athemlos, müd und erschöpft bei dem Suchen liegen zu bleiben, als hier die erschrokenen Gesichter länger anzusehn.

Welly eilte nach, mit Mutter Jadilla an der Hand. Salassin folgte den Vorauslaufenden.

Sie suchten und riefen, und riefen und suchten; aber freylich — vergebens. Mit jedem Pulsschlage ward ängstlicher die bange Mutter, besorgter der Vater.

Die Sonne stand hoch am Himmel, die Schwüle des Tages, die heftige Bewegung im Herumrennen, und die Angst ermattete bald die Forschenden. Jadilla gieng eilig dem Schlosse zu frische Leute zu schicken. Eine Kutsche ward bespannt, sie fuhr mit andern ins Wäldchen zurük.

Die Hälfte der Dorfbewohner vergaß des Mittagmahles, das sie eben genoßen, vergaß Ruhe und Geschäfte, und lief der Gräfinn nach in das Wäldchen. Vereint suchten Alle — kein Pläzchen im Walde blieb unbesehn: aber freylich — das Mädchen ward nicht gefunden.

Müde und matt schliechen die Guten zurük: bestürzt kam der Vater, todtenblaß die Mutter in das Schloß: ihres Kummers heiße Thränen bewegten auch den Knaben Salassin zum weinen, und er rief schluchzend: „So ist Jadillchen nicht da? Jadillchen! ach Jadillchen! bist verloren! nun springst du nimmer mit mir im Grase herum!

Zwei unbeschreiblich jammervolle Nächte waren bereits vorüber, der Mutter schienen sie Jahrhunderte, und noch war keine Spur. Am zweiten Morgen kam endlich Welly zurük — mit seinen Leuten: sie hatten alle an den Hügel anstossende Wälder durchspürt, in den nahen Dörfern herumgefragt, ach! des Vaters Besorgniß ward folternder Schmerz; denn alle Mühe war vergebens.

Aus dem Fenster sah die Hoffnung und Furcht erschütterte Jadilla dem kommenden Gatten, entgegen, sie sprang eilends hinab auf den Platz vor dem Schlosse; halberschöpft war sie, denn Tag und Nächte hatte sie durchhärmt Ruhe und Schlummerlos. Er komt! Er komt! und bringt mein geliebtes Kind wieder! — rief sie von Freude gespannt, und drängte sich entgegen den Kommenden; aber die Kutsche war leer an Jadillchen.

Welly sprang heraus und fieng sie in seine Arme. Mein Kind — schrie sie, und sank leblos auf den kummervollen Gatten.

Jadilla! Jadilla! Mein Weib! — Erwache! Erwache! rief Welly erschüttert, und schlos die Ohnmächtige ungestimzitternd an sein Herz.

Das Volk drängte sich geschäftig an das blasse Paar, und Thränen der innigsten Theilnahme glänzten in jedem Auge. Ein Fläschgen Kraftgeistes ward gebracht, ein Tropfe auf die Schläfe — Jadilla schlug die Augen auf. — Wo ist meine Tochter? fragte sie mit matter Stimme.

Sie lebt! Sie lebt! — rief das Volk untereinander, und freute sich wieder.

Sie lebt? Wo? Wo? — fragte hastig erhohlt die Mutter.

Jadilla! Mein Weib! Sey getröstet! — versezte Welly, indem er die Wankende dem Zimmer zu führte. — Wir sehen Jadilla wieder — sey getröstet!

In der Schlosallee wand sich zur versammelten Gemeinde der edle Pfarrer des Dorfes, entblöste sein schneelockigt Haupt, und begann mit zitternder Stimme: „Meine Kinder! —

Aber der Haufe errieth sogleich, was er wolle, man ließ ihn gar nicht ausreden — Jeder, der gesunde und auch nur halbgesunde Füsse hatte lief begeistert fort. Zwei Drittheile des Dorfes strömten dem Walde zu, zertheilten sich in alle Gegenden, forschten überall, suchten alles aufs neue durch, kamen viele Meilen weit in der Runde herum, keine Seele hatte zum Unglük das kleine Mädchen, so nun den vierten Tag schon verschwunden war, gesehen; sie wiederholten ihre Mühe; aber — edles Völkchen! dein ward nicht die Wonne den geliebten Grafen, die verehrte jammervolle Mutter zu trösten mit dem gefundenen Kinde, an dem sie mit ganzer Seele hieng!

Fünftes Kapitel.Der Gasthof.

Jadillchen fuhr inzwischen mit der fremden Dame immer weiter von der heimischen Flur. Sobald ihr Wundenschmerz nachgelassen hatte, wurde das Mädchen sehr munter, sie plauderte mit der Dame, die ihr allerlei Näschereien gab und mit ihr spielte. Die niedliche Schwätzerinn behagte jener immer mehr und mehr, so daß in der Seele der Fremden der Wunsch sich regte: Wenn doch das liebe Kind bei mir bleiben könnte.

Endlich wekte der Anblik eines fremden Schlosses sie aus dem Spiele, und Jadillchen schlug vor Freuden die Händchen zusammen: Mütterchen! Mütterchen da ist! Vater und Salassin.

Das unbekannte Frauenzimmer mochte es aber nur zu gut merken, daß Jadillchen durch die noch ungesehnen Bilder nicht wisse, wo es sey. Sie ließ vor dem Schlosse den Wagen halten, stiegen ab, ein finstrer grämlicher Mann trat tiefsinnig aus dem Gebäude, und gieng dem Garten zu, ohne beide eines Blickes zu würdigen.

Ist das der Vater? — fragte die Dame, die Jadillchen bei der Hand hielt.

Jadillchen schüttelte bestürzt den Kopf, und sah bald das Haus, bald ihre Gefährtin an.

So müssen wie weiter fahren!

Jadillchen schluchzte. „Da ist nicht Vater und Mutter und Salassin!“

Wir werden sie schon finden! tröstete sie die Dame, und hob sie wieder in den Wagen, wo das Mädchen durch den Reitz artiger Spielwerke bald wieder allen Kummer vergaß, und nur dann es fallen ließ und Mütterchen! rief, wenn sie ein Weib irgendwo oder ein Gebäude, dem väterlichen Schlosse ähnlich, erblikte.

So fuhren sie ungefähr, bis der heiße Mittag allmählig seine segnenden Strahlen auf die Fluren warf. Der Staub wirbelte in leichten Wolken unter den Hufen den Rosse und Rädern des Wagens, und die schwüle Luft länger zu athmen, war der Reisenden zu beschwerlich — Sie kehrten in einem der nächsten Gasthöfe an der Landstrasse grade zur Zeit schon ein, als Willot dem Grafen anzeigte, Jadillchen könne er nicht finden.

Der Wirth des prächtigen Gasthofes, ein höflicher artiger Mann, kam ihnen sogleich entgegen, und half den Ankommenden aus der Kutsche: faßte die Dame beim Arme und erschrak als er ihr ins Gesicht blickte. Doch verbarg ers und wies ihr ein Zimmer an, worinn alles war, was der bedürfnißvolleste Mensch nicht gebraucht hätte, und doch war es blos ein noch ganz gewöhnliches Zimmer. Tapeten üppiger an Gold und Seide als vor 500 Jahren Persiens Monarchen sie besaßen, dekten die Wände: grünsamtne Ottomanen zum Ausruhn, niedliche mit den schönsten Holzgattungen ausgelegte Tische, Spiegeln in den Fensterläden und an den Wänden mit silbernen Rahmen. — Ein Wink und zwei geschäftige Diener flogen um das Verlangte.

Jadillchen machte große Augen. Außer den Gemächern des väterlichen Schlosses, die zwar weit schöner und geschmakvoller waren, hatte das Mädchen noch keine andern gesehn, und der Reitz der schönen Neuheit bezauberte sie, daß Mütterchen spät erst wieder ihr in Erinnerung kam.

Sie genossen beide das Mahl. Die Reise hatte den Hunger erregt, und der ist wie bekannt, nicht nur bei armen Poeten und Schuhflickern unsers Jahrhunderts, sondern auch im 23. bei Damen und Kindern.

Nach dem Mittagsessen kam der Gastwirth und fragte nach einigen gewöhnlichen Komplimenten.

Meine Dame, du scheinst mir nicht unsers Landes zu seyn?

„Ich bin hier fremde.“

Vergieb — daß ich fragen muß, woher? wohin? wer? in welchen Geschäften? — aber es ist Landessitte.

„Ich komme aus dem roten Kreise Deutschlands, von meinem Bruder dem Edlen von Winzor, und reise zurük in meine Heimath nach England.

Und das ist ohne Zweifel — deine Tochter? oder Enkelin das kleine Mädchen da?

Die Dame nickte halbverlegen: Ja!

Der Gastwirth reichte ein großes Quartbuch mit stark vergoldetem Einbunde der Dame hin, brachte Schreibzeug, und fuhr fort: — Ich bitte, sey so gut, deinen Namen hineinzuschreiben. Es ist Sitte bei uns, alle Durchreisenden wo sie einkehren aufzuzeichnen. Theils der Ehre wegen, viele Gäste und vorzüglich Edle aufweisen zu können, theils um aus der Menge der Passagiers den Standwerth des Gasthofs taxiren zu können.

Die Dame schrieb ihren Namen in das Buch.

Wie? Saline Melson? Aus England?

„Ja! mein Herr!“

Dein Bruder — Edler von Winzor?

„Ja! wie fragst du so auffallend?“

Und hast du deinen Bruder getroffen?

„Mein Herr —“

Erlaube — wenn ich nicht irre — ich habe dich, meine Dame jemal schon gesehen.

„Sehr möglich wenn du in England vielleicht gewesen —“ Sollte dir denn meine Phisognomie gar nicht eine bischen bekannt vorkommen?

„Wie das? Ich —“

(Der Gastwirth küßt ihr bewegt die Hand) Kennst du —

(Die Dame ward frappirt) Wen?“

(Zu ihren Füssen stürzend) Deinen verstoßnen Sohn nimmer?

„Gott im Himmel mein Sohn! mein Jehnson! — Die Stirnnarbe!“ Sie umarmten sich zärtlich, und als die erste Begeisterung des Entzückens verflogen war, rief die Dame:

„Welch frohes Wiedersehen nach langen Jahren!“

Der Gastw. (im Erguß seiner Freude) Ja wohl nach langen, langen Jahren! Wie so unverhoft! O meine Mutter was hab ich gelitten, was hab ich erduldet, seit ich aus deinen mütterlichen Armen verstossen bin. Tausendmal wollt ich zurük an dein Herz, das mich immer zärtlich geliebt, tausendmal zurück in mein Vaterland fliehen, aber — ach, mein Vater —

Die Dame. Sohn — er ist — gestorben! Er hat —

Der Gastw. Gestorben? Gestorben? Ach, und hat auf seinem Sterbelager —

Die Dame. Den Fluch zurükgenommen, dich gesegnet!

Der Gastw. (freudig) Gesegnet? Gesegnet? O denn Ruhe, Ruhe seiner Asche — er hat mir ja verziehen, mich gesegnet! O meine Mutter! wie hat mich sein Fluch in der weiten Welt herumgejagt! Irrend in fremden Ländern, aus meinem Vaterland gestossen, lebte ich nur zur namenlosen Qual. Von einem Orte zum andern trieb es mich unaufhörlich, überall und überall verfolgte mich sein entrüstet Bild. Ueberall und immer klangen in meinen Ohren die Worte des Grimes: Fluch dir, Schande deines Vaters! Wo ich gieng und stand, wo ich schlief und wachte, und saß und eilte, klangs um mich und peitschte Ruhe und Frieden aus mir. Lange, lange, nach vielen Monden konnt ich Fremdling der Welt keinen Reiz meinem Leben abgewinnen: melankolisch war meine Seele und durchstürmt von tausend Martern, die mich oft zum verzweifelten Gedanken des Selbstmordes brachten. In dieser namenlos elenden Lage, meine Mutter! irrt ich umher in Gottes weiter Welt, ohne Obdach ohne Vater, ohne Mutter, ohne einem tröstenden Freunde; keine Seele nahm Antheil an meinem stillen Jammer, der noch immer folternder wurde, je länger ich aus meinem Vaterlande, von meinen Eltern verstossen, von Marlon getrennt, und vielleicht, ach vielleicht verwünscht in fremden Ländern herumschweifte. Bis ich endlich nach Norland kam, wo man mich unter das Kriegsheer steckte, das gegen meine itzige Heimath Germanien Krieg führte, bis ich hier im Schlachtgewühl betäubt nur den Retter verlangte, der meine Wunden heilen auf immer heilen konnte, den Tod. Aber ich fand den Ersehnten nicht. Zu meiner Stirnnarbe, die mir damals der entflammte Vater mit dem Schwerte schlug, als er mich fortjagte, gesellten sich neue Wunden — gefährlich, tödtlich nennt man sie, aber ich nannte sie heilsam, denn ich meinte der Tod würde diese Wunden bald heilen.

Die Dame. Mein armer, armer Jehnson!

Jehnson. Aber ich hatte falsch gerechnet — die Wunden bluteten noch als ich von den Deutschen gefangen ward. Doch welch eine Gefangenschaft! Freyheit, Freyheit war sie in diesem teutschen Lande! Die Normänner wurden einmal um das andermal geschlagen, und zum Frieden gezwungen. Ich ward wieder gesund, die Gefangenen erhielten die Willkühr, sich zurük zu begeben, oder wenn sie fleisige Glieder seyn wollten, da sich anzusetzen. Ich blieb da, man gab mir in wenig Monden das Bürgerrecht, und ich arbeitete für dies Land. Die Erinnerung an meine Unfälle ward nach und nach schwächer, ich fand Beruhigung und einige Vergessenheit in meinen Arbeiten. Die Baukunst war meine liebste Beschäftigung. Man gab mir Mitteln an die Hand, mich zu bilden, ich bemühte mich mit Freuden dieser Grosmuth gegen mich Fremdling werth zu seyn, und es gelang mir in einigen Jahren mich auszuzeichnen. Ich machte einen Riß für ein Gasthaus, und ward aufgemuntert das Gebäude nach der Angabe aufzuführen. Glüklicherweise stellt ich es her, und es übertraf an Simetrie, Feste und Bequemlichkeit des Baues alle noch stehenden Gasthöfe; das Kollegium der Edlen belohnte mich mit diesem besten Gasthofe da, wo ich nun seit vier Jahren in Frieden, aber doch nicht glüklich lebe. O wie oft sehnte ich mich, wenn es mir auch am besten gieng, an die Brust meiner Eltern — wie oft war ich schon auf der Reise zu dir gute Mutter; aber ich kannte des Vaters unversöhnliche Härte — ich empfand, daß mein Tropfen Freude dann nur noch gar vertroknen würde, wenn er erbittert mich nicht hätte sehen wollen; dann ward ich trübsinniger und gab mich meiner Melankolie preis. Ich segne die Stunde, die mich, Mutter! dich wiedersehen ließ. Sey mir tausendmal willkommen! Ich darf ja wieder mich an dein Herz drücken, der Vater nahm ja den Fluch von mir, er segnete mich!

Jehnson umarmte mit Sohnes Zärtlichkeit die gerührte Mutter, die den vielen Leiden ihres Jehnson manche Thräne weinte; sie erwiederte mütterlich und freudenvoll des Sohnes Umarmungen.

Glaube, mir lieber Sohn! — sprach sie nach einer Pause, in der sich beide den süssesten Gefühlen stumm überlassen hatten — Glaube mir, daß ich nie des Vaters harten übereilten Endschluß billigte. Ich sprach laut für dich, und gab mich dadurch seinem Ungestüm und vielen Vorwürfen blos. Nur zu oft dachte ich deiner. Wie wird es ihm ergehn? Wo irrt er herum, was wird er leiden, den ich unter meinem Herzen trug? So sprach ich zu mir in vielen bangen Stunden; und weinte im stillen Dunkel um dich. Vielleicht seh ich ihn nie wieder vor meinem Tode, nimmer der Mutter geliebten Sohn. Also ängstigte sich mein Herz. Marlon —

Jehnson. Meine Marlon — was ward aus Marlon?

Die Dame. Sie rang über deine Trennung mit der Verzweiflung. Kaum warst du wenige Wochen entwichen als in unsrer Monarchie ein fürchterliches Wetter los brach. Lohnstohn ihr Vater ward einiger Verbrechen wegen in die Jammerburg gesezt, die beiden Kinder nebst der ganzen Familie des Landes verwiesen. Marlon hatte einen Knaben gebohren; und ehe ihr Bruder noch als Geächteter das Land verließ, war sie bereits mit ihrem Kinde fort. Niemand wußte wohin? Man sprach, sie sey dir nachgefolgt, du hättest ihr den Vorschlag schriftlich gethan, mit dir in einem andern Lande sich zu vermählen, darüber ward dein Vater wüthend, und zog sich eine dreijahrwährende Krankheit zu. Seit dem wußt ich kein Sterbenswörtchen von euch Allen.

Jehnson. Barmherziger Himmel! Wo irrt nun Marlon mit dem Geschöpf herum, das meiner Schwachheit sein kümmerlich Leben verdankt! Wo soll ich sie finden? Ich hörte nie von ihr! Aber suchen will ich die Leidende! Suchen in aller Welt! Vielleicht führt mir ein seeliger Augenblik die Unvergeßliche zu, und ich kann den Kummer, den ich ihr bereitet habe, in Freude verwandeln! Aber — ach! vielleicht hat er sie schon lange getödtet!

Das ist nicht der Vater! unterbrach die Schwätzerinn Jadilla die Pause, nachdem sie lange Jehnson scheu angeblikt, und die Dame beim Kleide gezerrt hatte. — Gelt, du bist nicht Vater?

Liebliche Unschuld! — sprach Jehnson und nahm sie auf seine Arme, und küßte Jadillchen, die sich mit kindlichen Unwillen sträubte.

Du bist nicht Väterchen! — küssen — ey!

Die Dame lächelte, und Jehnson fragte:

Meine Mutter — du scherzest — ist das wirklich mein Schwesterchen?

Nein, lieber Jehnson!

Jehnson. Als ich damals England verließ, war Sara schon zehn Jahr alt. Was macht Schwester Sara?

Die Dame. Sie vermählte sich mit einem braven Manne, und ist bereits Mutter von zwei Kindern, vielleicht wenn ich sie in acht Tagen wieder sehe, treffe ich sie zum Drittenmale im Wochenbette.

Jehnson. O meine Mutter — Sobald willst du wieder von mir. Kaum sind es ja zwei Stunden, seit wir uns fanden. Bleibe, bleibe bei deinem Jehnson — theile mit ihm! Ich will dein Sohn, nur dir, nur dir leben! Will kindlich und so gut wie Sara dich pflegen, den Kummer, die Tage des Alters dir erfreulich machen, will all meine Kraft anwenden, deine mütterliche Sorgfalt einigermassen zu vergelten. Bleibe bleibe bei deinem Jehnson!

Die Dame. Dringe nicht in mich Lieber! So gerne ich dir willfahren möchte —

Jehnson. O was kann dich abhalten? Du sollst sehen, wie froh mein neues Leben —

Die Dame. Hör auf! Man stirbt so gerne da wo man gebohren ist, und Mutterherzen hängen doch immer mehr an Töchtern. Sara bedarf meiner — drei Monde schon bin ich fern. Ich bin überdies schon sehr schwach — krank — vielleicht folg ich bald dem Vater.

Jehnson. Das wird der Himmel verhüten! Aber eben weil du alt und schwach bist — meine Mutter! bleibe, die Reise möchte dir schaden!

Die Dame. Laß ab, ich kann von Sara fern nimmer ruhig seyn. Morgen zeitlich muß ich fort, vermehre meine Sorgen nicht.

Jehnson. Das ist traurig — und darf ich nicht mehr bitten. Aber sobald es möglich, sehen wir uns wieder.

Sie verplauderten noch die kurze Zeit, und als der Morgen den Osthimmel röthete, lauer der kühle Nachtwind wehte, und die Schwalben ihr Morgenlied schmetterten, trennten sie sich bewegt. Jehnson führte seine Mutter und Jadillchen, um die er in seiner Wonne gar nicht mehr gefragt hatte, auf die Strasse. Sieh da! Die Kutsche war nicht hier, aber eine Luftgondel flatterte mit den ausgespannten Seegeln.

In diesem Reisewagen, wirst du bequemer und schneller heim kommen, meine Mutter! — sprach Jehnson und schied tief gerührt von seiner geliebten Mutter! Leb wohl! mein Sohn! leb wohl, meine Mutter! riefen sie sich nochmal zu, und die Gondel trug auf den Fluthen des Aethers die Dame und Jadilla fort. Jadilla — so nannte sich das verlohrne Mädchen, wenn es die Dame um ihren Namen fragte. — Die Fluren Germaniens dämmerten allmählig wie durch einen Flor, und der unten nachsehende Jehnson bemerkte bald nichts, als einen schwarzen Punkt von der hohen Gondel, bis sie endlich ganz verschwand.

Jadilla weinte und rief. Mutter! Vater! Salassin! Ach wo sind sie denn? — Die Dame tröstete das arme Kind, so gut sie konnte.

Sechstes Kapitel.Die Abreise.

Mit stillem Schmerze betrauerten indessen Welly und Jadilla, den unersezlichen Verlust des hoffnungsvollen Kindes. Der Graf hatte Jadillchens Beschreibung in alle Zeitungen sezen lassen; aber vergebens! Die Laune des Schicksals, fand es einmal für besser, daß das Mädchen getrennt von seinen Eltern unter fremden Menschen leben müsse. Alsdann alle Nachfrage unbeantwortet, alles Forschen fruchtlos blieb, hielten die Eltern ihr Kind für todt, errichteten ihm eine Urne, und beweinten an diesem Denkmale Jadillchens Andenken. Die edlen Unterthanen halfen treulich die Betrübten erheitern; aber in eben dieser allgemeinen Theilnahme, wenn sich das gepreßte Herz auch noch so sehr erleichterte, fühlten sie ihren Verlust nur noch mehr. Selbst als der Balsam der Zeit ihre Wunde vernarbt hatte, galt noch manche ernste Miene Wellys, noch manche stille Thräne Jadillas dem Andenken der verlohrenen Tochter.