Höcke II – Deutsche Selbstveredelung & männliche Führung -  - E-Book

Höcke II – Deutsche Selbstveredelung & männliche Führung E-Book

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Beschreibung

Dieser zweite Band zu Björn Höcke nimmt sein Frauen-/ Männerbild in den Blick, seine anti­semitischen Anspielungen und seinen Bezug auf die Nazis. Höcke, der die AfD darauf eingeschworen hat, ihn zum Parteivorsitzenden zu machen, prophezeit seinen politischen Gegnern, sie zu vernichten. Auch seine Rede vom reinen deutschen Volk und der »Remigration« der Fremden ist von Vernichtungsgedanken geprägt. Vaterland, Heimat, die Phrase vom homogenen Volk sowie die mittelalterliche Idee von männlich-ritterlicher »Minne« und weiblicher »Huld« weisen auf den deutschen Faschismus. Diskursanalytisch und mit Geschichtsbezügen werden hier Höckes Reden, Interviews und Parolen inspiziert. Wie erkennen wir, was einem neuen Faschismus Vorschub leistet? Dazu muss das Zusammenspiel von ökonomischen, juristischen, kulturellen und weiteren Faktoren analysiert werden – aber es gibt auch konkrete Personen, die an der Etablierung neuen faschistischen Denkens mitwirken. Die Reihe ›gestalten der faschisierung‹ untersucht aktuelle Tendenzen und aktive Ideolog/innen in Philosophie, Literatur und Politik anhand ihrer Reden und Schriften.

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Klaus Weber (Hg.)

 

höcke II – deutsche selbstveredelung & männliche führung

 

gestalten der faschisierung 3

 

Argument

Deutsche Originalausgabe

Alle Rechte vorbehalten

© Argument Verlag 2023

Glashüttenstraße 28, 20357 Hamburg

Telefon 040/4018000 – Fax 040/40180020

www.argument.de

Umschlag: Martin Grundmann

ISBN 978-3-86754-800-7 (E-Book)

ISBN 978-3-86754-533-4 (Buch)

Inhaltsverzeichnis

 

Klaus Weber: Der deutsche »Wahn« erzeugt Vernichtung – von Hitler zu Höcke und zurück
Maria Mayr: Von der Verflüssigung der volksgemeinschaftlichen Ordnung – Höckes Frauenbild
Jakob Hoffmann: »Wenn die Deutschen aufstehen …«
Luisa Taubert und Klaus Weber: Liebe zum Vaterland und Kampf für die Volksgemeinschaft – Die Umwertung aller Werte in Höckes Dresdner Rede
Zu den Autor_innen

Klaus Weber

Der deutsche »Wahn« erzeugt Vernichtung – von Hitler zu Höcke und zurück

So lange aber ein einziger Mensch durch die

bloße Einrichtung der Gesellschaft elend ist,

enthält die Identifikation mit dieser Ordnung

im Namen der Menschlichkeit einen Widersinn.

(Horkheimer 1939, 135)

I

Als Björn Höcke im Januar 2017 seine Dresdner Rede gehalten hatte, wurden Gutachten in Auftrag gegeben mit der Frage, ob Inhalte seiner Rede denen Goebbels’ oder Hitlers glichen. Auch wenn Höcke sich am Tag seines Dresdner Auftritts dem Wall Street Journal gegenüber durchaus positiv zu Adolf Hitler äußerte (»Wissen Sie, das größte Problem ist, dass man Hitler als das absolut Böse darstellt1. Wir wissen aber natürlich, dass es in der Geschichte kein Schwarz und kein Weiß gibt. Und dass es viele Grautöne gibt«; zit.n. Hamburger Abendblatt, 7.3.2017), so ist der schlichte Abgleich von Äußerungen, die Ähnlichkeiten mit Goebbels- oder Hitler-Zitaten aufweisen, problematisch. Nicht nur, weil ein Höcke-Bashing die möglichen aktuellen Gefahren seiner politischen Aktivitäten nicht »einfangen« könnte, sondern auch, weil der pure Zitaten-Vergleich die ideologischen Logiken, die in den Texten und Reden wirksam sind, vernachlässigt und damit weder die veränderte historische Situation noch die damit zusammenhängenden ideologischen Raster richtig eingeschätzt werden. Eine ideologiekritische Analyse von Äußerungen Hitlers und Höckes muss ein theoretisches Gerüst zur Grundlage haben, das die zitierten Texte in den jeweiligen historischen, soziokulturellen und propagandistischen Kontext einordnen kann und darüber hinaus die Verbindungen des alten und neuen Faschismus zum jeweiligen herrschenden Machtblock benennt. Außerdem ist das jeweilige »Feld der gesellschaftlichen Kämpfe« (Rehmann 2004, 705) und Auseinandersetzungen um eine Gesellschaft, in der alle glücklich leben können, ohne an ihr leiden zu müssen, mit zu bedenken beim Versuch, die ideologischen Grundannahmen des alten und neuen Faschismus »aufzudecken«. Ohne eine befreiende Perspektive verkommt Ideologiekritik zur realitätsabgehobenen philosophischen Wahrheitssuche oder larmoyanten Attitüde von »Gesellschaftskritiker_innen«, die sich in den gemütlichen Nischen der bürgerlichen Welt eingerichtet haben. Eine gelingende politische Arbeit für eine »andere Welt« sollte »mit der Theorie des Ideologischen als begrifflichem Hinterland operieren, statt von dieser abgelöst zu werden: Jede Analyse ideologischer Vergesellschaftung eröffnet zugleich nicht-ideologische Alternativen, etwa die eines Abbaus von Hierarchien, einer Übersetzung imaginärer Kompensation in Befreiungsimpulse und die Arbeit an real allgemeinheitsfähiger Politik« (ebd., 710). Gerade an Höckes Interventionen in den politischen Diskurs ist zu prüfen, wie er eine die Subjekte entmündigende Hierarchisierung der Gesellschaft forciert, historisches Material, das Befreiungspotenziale in sich trägt, in affirmative Gebilde »umwandelt« und eine Politik von, mit und für alle umfunktioniert in eine völkisch-nationale und elitistische Politik »von oben« für die deutsche Volksgemeinschaft.

 

Für die Frage nach der propagandistischen Funktion nach innen (Partei, parteinahe Bewegungen etc.) eines Textes sind Hitlers Mein Kampf sowie Höckes Nicht zweimal in denselben Fluß2 außerordentlich bedeutsam: Hitlers Mein Kampf entstand nicht ganz hundert Jahre vor Höckes Interview-Buch. Während Höcke sein politisches Programm gemeinsam mit einem Gesprächspartner, dem völkisch-nationalistischen Journalisten Sebastian Hennig3, entwickelt, war Hitler beim Schreiben seines politischen Manifests weitgehend alleine in seiner Gefängniszelle4. Die Funktion beider »Manifeste« ist jedoch dieselbe: die Vorstellung eines umfassenden Konzepts, wie die Neugestaltung Deutschlands und der Welt vonstattengehen soll – verflochten mit biografischen Anekdoten und Selbststilisierungen der Autoren. Zielgruppe sind die Anhänger der eigenen Partei, die sich mit einem sich als zukünftigen Führer imaginierenden Kämpfer, der das jeweilige »verrottete System« einer demokratischen Gesellschaft vernichten muss, um gemeinsam mit den Deutschen die nationale Befreiung erleben zu können5, identifizieren können sollen.

Auch wenn die kommentierte »kritische« Ausgabe von Mein Kampf aus dem Jahr 2016 (Institut für Zeitgeschichte) tausende von Belegstellen und Verweisen sammelt, um Hitlers Ausführungen »einzuordnen«, sind die beteiligten Fachhistoriker (mit ihrem bürgerlich-idealistischen Standpunkt und einem auf Zehnpfennigs Hetzschrift Hitlers Mein Kampf. Eine Interpretation6 basierenden antikommunistischen Grundkonsens) kaum in der Lage, die faschistischen Ideologeme Hitlers in Zusammenhang mit der ökonomischen Formation (Kapitalismus) oder gar der bürgerlichen Gesellschaft und ihren liberal-konservativen Apologeten zu bringen. Im Gegenteil: Es wird behauptet, deutscher Idealismus und ökonomisch liberale Konzepte hätten in radikalem Widerspruch zur faschistischen Ideologie und Praxis der Nazis gestanden, was in der Historikerzunft der BRD gängige Münze ist, da die Arbeiten von linken BRD-Historiker_innen (z.B. Opitz 1977, 1999; Roth 2004 etc.) sowie DDR-Expert_innen schlicht übergangen werden7. Nicht erst Ishay Landas aktuelles Werk über die gegenseitige Durchdringung von Liberalismus und Faschismus zeigt, wie ähnlich die ideologischen und praktisch-politischen Interventionen der beiden Denk- und Handlungslogiken sind (2021); schon in Georg Lukács’ Zerstörung der Vernunft und in Domenico Losurdos Gegengeschichte des Liberalismus (2011) wird beschrieben, »wie sehr der Liberalismus den Machtstrukturen der jeweiligen Epoche verhaftet war« (Lafontaine 2011, 442) und also sich als »Hüter und Bewahrer des kapitalistischen Eigentums [verstand]«: »Er stellte in ökonomisch-politischer Perspektive eine spezifische Entwicklungsvariante des kapitalistischen Weltsystems dar, die sich seit der Wende zum 20. Jahrhundert und insbesondere nach dem ersten Weltkrieg im Kampf der imperialistischen Großmächte um die Welthegemonie herausgebildet hatte« (Roth 2004, 42f.).

So wie in der Weimarer Zeit die liberalen Kräfte (Parteien, Institutionen und Medien) die Teilhabe der »Massen« durch demokratisch motivierte parlamentarische Einflussnahme und andere Aktivitäten (Streiks, Betriebsbesetzungen, Mieter- und Hungerdemonstrationen etc.) zu delegitimieren versuchten, so erleben wir heute, wie der neofaschistische Block um Höcke die demokratischen Rechte auszuhebeln wünscht. Doch auch die FAZ wirkt als liberal-bürgerliche Brückenbauerin ins neofaschistische Lager (u.a. durch den lange Zeit auf ihrer Gehaltsliste stehenden Mitarbeiter Alexander Gauland). Seit Jahrzehnten untermauert sie mit Darlegungen unzähliger akademisch Gelehrter, wie wichtig – und unschuldig – die faschistischen Denker und Unterstützer der Nazis, Carl Schmitt8, Ernst Jünger sowie Martin Heidegger9, gewesen sein müssen, weil sie doch bis heute gerne und von vielen (auch und gerade im demokratischen Ausland) gelesen würden. Als neue deutsche Märtyrer linker Hetzkampagnen werden Bernhard Schlink, Monika Maron10 und Uwe Tellkamp mit ihren Dauerausflügen ins völkisch-autoritäre Lager wohlwollend in Szene gesetzt; ihre rassistischen und menschenverachtenden Sprüche und Parolen dagegen werden von der »Zeitung für Deutschland« bagatellisiert und als Möglichkeit der Inanspruchnahme freier Meinungsäußerung im demokratischen Diskurs verteidigt (den jene gerne abschaffen würden). In den Redaktionsstuben wird völkischer Nationalismus im Dienste des deutschen Kapitals durchbuchstabiert: Der für »Gegenwart« zuständige Redakteur Reinhard Müller schreibt von »deutschen Stämmen«, die »geeint sind durch Sprache und Schicksal« und »bei aller Verschiedenheit das Gefühl haben, eins zu sein« – und das »darf man auch von allen erwarten, die einwandern wollen« (zit.n. Weber 2018, 146). Der Deutschland-Experte Jasper von Altenbockum dagegen weiß, dass dieses einige Deutschland auch einen Kapo benötigt, der die Einheit gewährleistet; sie sei nämlich am besten durch »einen Führer wiederherzustellen«, den es vielleicht »brauche« (ebd., 28). Die »Frankfurter Allgemeine [Zeitung hat also] bereits vor Beginn des [Ukraine-]Krieges Züge eines rechten Kampfblatts angenommen« (Haug 2021, 360). Und es wäre problemlos zu belegen, dass zur Bejahung eines neuen deutschen Militarismus vor allem die Hetze gegen all diejenigen, die sich pazifistisch bzw. antimilitaristisch äußern, für das wichtigste Medium des bundesdeutschen Kapitals (aber auch für die Süddeutsche Zeitung und fast alle anderen bundesdeutschen Medien) in einem Akt der Selbstgleichschaltung zur Hauptaufgabe geworden ist.

Demokratisches Handeln, also die Möglichkeit der Bundesbürger_innen, ihre Belange selbst in die Hand zu nehmen, wird heute – wie in der Weimarer Zeit durch Liberale und Faschisten – problematisiert. Das Paradebeispiel dafür liefert der ehemalige CSU-Finanzminister Theo Waigel, der in der FAZ über die einstmals emanzipatorisch agierende grüne Partei den entlarvenden Satz fallen lässt: »Sie hatten eine eher überzogene demokratische Einstellung« (zit.n. Weber 2018, 388).

Hitlers und Höckes Manifeste stellen keine extremen Beispiele für das damalige oder heutige »rechtsextreme« oder »böse« Gedankengut zweier Psychopathen dar. Sie sind »eingebettet« in den Mainstream der bürgerlich-konservativen Vorstellungswelt vom (Um-)Bau der deutschen zu einer autoritären Gesellschaft. Wenn überhaupt, dann sind sie die Spitze eines Eisbergs, dessen Großteil unter der Wasseroberfläche liegt; doch das Wasser ist insgesamt sehr kühl …

 

II Zur faschistischen Sprache und Ideologie: Hitler und Höcke als Katalysatoren

Als Vorbild seiner ideologischen Begriffsarbeit an »neurechter Sprache« wählt sich der Germanist und Kulturjournalist Enno Stahl Victor Klemperers 1947 erschienenes LTI (Lingua Tertii Imperii), weil es den »nationalsozialistischen Populismus« (2019, 26) klug beschreibe. Dass Winckler bereits 1970 in seiner Studie zur faschistischen Sprache darauf hinwies, wie selbst »in kritischen Untersuchungen […] die sprachliche Verwandtschaft mit dem Faschismus [überrasche]« (1970, 23) und dass gerade Klemperer, »dessen Arbeiten zeitlich unmittelbar auf den Faschismus folgten, […] ohne Scheu von sprachlichem und geistigem ›Gift‹ und […] ›Gegengift‹, […] von ›Seuche‹ am ›deutschen Volkskörper‹ [spreche und den Faschismus] als ›eine wuchernde Entartung des Fleisches‹, als ›Entartung des deutschen Wesens‹« (ebd.) bezeichne, ist Stahl nicht der Rede wert. Mit dieser Orientierung ist er nicht in der Lage, ein kohärentes Erklärungsmuster für das Erstarken der völkisch-nationalistischen Bewegung im heutigen Deutschland zu finden. Er ist davon überzeugt, dass die Rechte »keinen freien Zugang zu den Medien [habe]«, ihre Protagonisten »gesellschaftlich geächtet« und ausgegrenzt würden; ja, »tatsächlich versucht die Demokratie alles, um die missliebigen Stimmen mundtot zu machen« (ebd., 119), haben doch die »68er […] im Verlauf der 1970er/1980er Jahre eine vollkommene Kontrolle über die gesellschaftliche Rede erlangt« (ebd., 55). Inhalt und Form rechter Propaganda zeigten, dass die »Neurechten« dieses Terrain »zurückzuerobern« versuchen. Dabei nennt er die Gewährsmänner der »Konservativen Revolution«, Friedrich Nietzsche, Armin Mohler, Ernst Jünger, aber auch Gottfried Benn, der den Führer als »höchstes geistiges Prinzip« feierte – was Stahl, selbst Schriftsteller, damit entschuldigt, Benn habe es »so wahrscheinlich nicht gemeint« (ebd., 79). Die »neurechte Spracharbeit« (ebd., 81) bestehe darin, Begriffe zu lancieren und permanent zu wiederholen, um dem übermächtigen liberalen und linken Diskurs etwas entgegenzusetzen: Ethnopluralismus, »great replacement«, »Reconquista« als Rückeroberung des eigenen Volksgebiets, Volk, Volksgemeinschaft11 etc. seien die Schlüsselwörter, die den Inhalt der Reden Gaulands, Weidels und Höckes bestimmen; vorgedacht und eingespeist durch die Denkfabrik der Neonazis, Götz Kubitscheks Institut für Staatspolitik. Stahls Ideologiekritik reduziert sich weitgehend darauf, die Aussagen der Neofaschisten um Gauland und Höcke als »Verblendung«, »ungeheuerlich«, »amüsant, salopp, sprachlich freimütig« oder »unhaltbar« zu qualifizieren, was zwar die ehrliche Empörung Stahls zum Ausdruck bringen mag, eine diskursanalytische oder gar ideologiekritische Auseinandersetzung jedoch nicht ersetzt. Der Zusammenhang von völkisch-nationalistischer Politik mit den Subjekten wird in denselben biologistischen und naturalistischen Metaphern hergestellt – die er den Neofaschisten vorwirft: So würden Weidel und Gauland »Reflexe bedienen«, andere AfD-Politiker an »niedere Instinkte« appellieren. Wenn Stahl fordert, die eigene »politische Meinung öffentlich potent zu vertreten«, ohne die neofaschistischen Gegner zu denunzieren, so hält er selbst sich keineswegs daran: Er schreibt von der »unsäglichen Geröllpropaganda« aus einer »verblendeten Perspektive« (ebd., 124) bei den »Neurechten«; die Linke bezichtigt er, sie führe »moralische Veitstänze auf« (ebd., 135) und übe ebenfalls eine »Form des Rassismus«, weil sie »sämtlichen Flüchtlingen nur positive menschliche Eigenschaften unterstelle« (ebd., 174). Belege für diese Urteile finden sich nicht. Stahl nimmt es auch sprachlich nicht allzu genau. Er weiß von einem »massenhaften Zuzug syrischer Flüchtlinge« zu berichten, was die »organische Form der Integration« (ebd., 122) erschwere. Durchgängig schreibt er vom »Nationalsozialismus« und übernimmt damit die Eigenbezeichnung der Nazis12. Für den »größten Teil der spezifischen Gräueltaten des Regimes« waren nicht die SS, nicht die Nazis, sondern »der Antisemitismus verantwortlich« (ebd., 109). Diese Fehlgriffe sind umso bemerkenswerter, als Stahl großen Wert auf die Wirkung des »Einzelworts« legt: »Unter dem Einzelwort erschließt sich das Denken einer Epoche, das Allgemeindenken, worin der Gedanke des Individuums eingebettet […] ist« (ebd., 144).

Im Gegensatz zum »Linken« Stahl legt der nicht als Antifaschist geltende Literaturwissenschaftler Heinrich Detering mit dem Bändchen Zur Rhetorik der parlamentarischen Rechten (2019) eine Arbeit vor, die an wenigen, aber prägnanten Diskursfragmenten der AfD zeigt, wie diese bedauern, dass die Nazis unter Hitler »erfolglos« waren. Trotz langwieriger Ausflüge in die deutsche Literaturgeschichte und einem moralisierenden Schluss (»Gaulands Sprache […] ist wahrhaftig nicht die Sprache Goethes und Fontanes. Sie ist bloß der schlecht verkleidete Jargon von Gangstern« [ebd., 49]) kann er belegen, mit welchen Schlagwörtern sich die AfD – vor allem Gauland und Höcke – die Zeit vor 1945 zurückwünscht: Der NS-Staat sei ein »einst intakter Staat« gewesen mit einer »einst hochgeschätzten Kultur« und einer »einst geachteten Armee« – eine »umfassende Amerikanisierung« und eine »nach 1945 begonnene systematische Umerziehung« hätten dieses nationale Idyll zerstört (vgl. ebd., 24ff.)13. Die in diesem Zusammenhang von Höcke angeprangerte »deutsche Schande […] hat für ihn nicht 1945 geendet, sondern begonnen. Nicht die von Deutschen unternommene Vernichtung der europäischen Juden, der Vernichtungskrieg im Osten ist für ihn eine Schande, sondern die Entmachtung derjenigen, die diesen Terror betrieben haben« (ebd., 28).

Die überzeugendsten Arbeiten zum Komplex faschistischer Ideologie legte das Projekt Ideologie-Theorie (PIT) um Wolf Haug (Erstausgabe 1980; Neuauflage 2007) vor. In der Standardliteratur zum Thema Faschismus wird der Band selten erwähnt. Das ist deshalb erstaunlich, weil viele Widersprüche, Fragestellungen und Problematiken einer Faschismusanalyse, deren theoretische Durchdringung als Zukunftsaufgabe von Historiker_innen behauptet wird, in den Arbeiten des PIT – wenn auch nicht immer zu Ende gedacht – in einem Ausmaß thematisiert werden, dass die Ignoranz gegenüber diesem Projekt andere Gründe haben muss denn fachliche. Wenn man die Kontroverse zwischen Intentionalisten und Funktionalisten nachvollzieht – also die Auseinandersetzung darüber, ob die Ideenwelt Hitlers und der Nazis oder die strukturellen Eigendynamiken des Systems den Holocaust besser erklären kann (vgl. Browning 2020, 11ff.); wenn man in der aktuellen Literatur zu Faschismus die Überlegungen zum Primat von Ideologie oder Handeln, zu subjektiven Handlungsvoraussetzungen und objektiven Bedingungen oder Ausführungen zum Verhältnis von Ökonomie zu Politik und Ideologie liest, dann kann die theoretische Leistung des PIT als bislang uneingeholt bezeichnet werden. Zwei Punkte dieser Leistung scheinen mir besonders erwähnenswert.

1. Da ist zum einen die Fähigkeit, die oben genannten scheinbar unvereinbaren Widersprüche in der Analyse faschistischer Ideologie und Praxen über die kluge Fassung des Ideologiebegriffs in einen komplexen Rahmen zu integrieren, sodass diese Widersprüche der faschistischen Politik nicht als sich ausschließende, sondern als sich geradezu bedingende und damit das faschistische System stabilisierende Pole gedacht werden können. Ideologie wird nicht als Ideengebäude verstanden, sondern das Ideologische wird begriffen als die »Dimension einer Vergesellschaftung von oben, die sich durch unterschiedliche gesellschaftliche Ebenen hindurchzieht [und als utopischen] Gegenbegriff […] die Perspektive einer ›Selbstvergesellschaftung der Menschen im Sinne einer gemeinschaftlich-konsensuellen Kontrolle der gesellschaftlichen Lebensbedingungen‹« (Rehmann 2004, 750) erheischt. Im Mittelpunkt des Ideologiebegriffs steht also der Zusammenhang von subjektiver Aneignung gesellschaftlicher Prozesse und der herrschaftsförmigen Ausprägung dieser Prozesse selbst. In den Untersuchungen des PIT zu diesen Vergesellschaftungsprozessen im Faschismus werden deshalb die »ideologischen Dispositive, Praxen und Rituale« (ebd., 753) des faschistischen Partei- und Staatsapparats in den Mittelpunkt gestellt, weil sie die Bedingungen darstellen, die den Umbau der psychosozialen Verfassung der Subjekte ermöglichen und nahelegen.

2. Zum anderen gibt die ideologietheoretische Analyse des (deutschen) Faschismus die sozialistische Zielvorstellung einer gemeinschaftlichen Aneignung unserer Welt nicht preis zugunsten einer Propagierung des autonomen Individuums als Bollwerk gegen faschistische Verführung. Die von vielen bürgerlichen Autor_innen gezogene Schlussfolgerung, dass Autonomie (die wiederum als Folge einer geglückten und bindungsorientierten Erziehung dargestellt wird) immun mache gegen faschistisches und grundsätzlich gegen verbrecherisches Handeln, entspringt zum einen dem Kardinalfehler, den deutschen Faschismus ohne ökonomische und gesellschaftstheoretische Zusammenhänge erklären zu wollen, und zum anderen dem Glauben, die Nazis hätten die »Volksgemeinschaft« anti-individualistisch artikuliert. An Hitlers und Höckes Schriften (und Reden) lässt sich zeigen, dass Faschismus – auch verstanden als »entfremdete Protestform gegen Entfremdung« (Haug 1986, 44f.) – viele Facetten aufweist, die sowohl mit bürgerlichen Autonomievorstellungen als auch mit rebellischem »Geist« kompatibel sein können.

 

III Faschistische Ideologeme – Materialanalysen

 

Am Material machen wir die Erfahrung,

was sich nicht machen lässt.

(Haug 2016, 877)

 

Das Material liegt vor: Hitlers Streitschrift, die – nicht wie andere Bücher seiner Zeit – »dem herrschenden ›System‹ den Gesamtentwurf eines neuen deutschen Reichs entgegenzusetzen versuchte« (Hermand 1988, 148); Höckes Interviewband, der den faschistischen Flügel der AfD mit den gewaltbereiten Neonazis der NPD und anderer Organisationen (Reichsbürger, Heimattreue Deutsche Jugend etc.) anspricht und sich gleichzeitig an die rechtsintellektuellen Kräfte um den neofaschistischen Thinktank Institut für Staatspolitik14 sowie die Zeitschrift Compact wendet.

Aus Hitlers und Höckes Texten müssen nun – ohne »das untersuchte Material ins Ordnungsschema fix und fertiger [Theorien]« (Loheit 2018, 113) zu pressen – die zentralen Ideologeme durch eine Zitierarbeit destilliert werden, wobei »der historische Gegenstand aus seinem Zusammenhang gerissen wird« (Benjamin, zit.n. ebd., 116), um zu zeigen, dass durch eine »Verrückung« des Materials in ein anderes Licht eine »Wiederherstellung der Wahrheit« (Brecht) möglich ist, welche die Ideologen mit ihrer Wirklichkeitskonstruktion vernebeln und verschleiern. Es wäre jedoch vermessen, so zu tun, als gäbe es nicht bereits Vorarbeiten zum faschistischen und neofaschistischen Material. So hat Karl Heinz Roth »spezifizierende Kriterien zur Abgrenzung des Faschismus von anderen diktatorischen Regimes« (Roth 2004, 38) ausgearbeitet; Wolfgang Pohrt hat mit seiner Studie Der Weg zur inneren Einheit – Elemente des Massenbewußtseins BRD 1990 (aufbauend auf Adornos Studien zum autoritären Charakter) untersucht, »ob das Bewusstsein schon existiert, welches gegen den Faschismus als großen Problemlöser wenig einzuwenden hätte« (2020, 17); seine M-Skala soll »den hiesigen Sozialcharakter« (ebd., 244) abbilden, wobei mit M der »deutsche Michel« gemeint ist15. Für die nun folgende Materialanalyse werden bereichsspezifische Studien zu den Themen »Volk und Volksgemeinschaft«, »Arbeit« etc. herangezogen, die z.T. erst in den letzten Jahren entstanden sind.

 

Volk & Gegenvolk

Im Inhaltsverzeichnis16 von Mein Kampf ist der Begriff »Volk« nicht als einzeln stehender Eintrag zu finden; mit »Volk und Rasse« wird bereits signalisiert, dass »Volk« nicht als »demos, für das Rechtsgenossenschaft und staatsbürgerliche Gleichheit kennzeichnend sind« (Wildt 2017, 46), sondern als »geschichtliche Blutsgemeinschaft [sowie] als Züchtungsgemeinschaft, als biopolitisch herzustellendes Kollektiv« (ebd., 47f.) zu denken ist. Die biopolitische Konnotation wird offensichtlich, wenn Hitler von der »allgemeinen Gesundheit des Volkskörpers« (Hi 18917) schreibt, die herzustellen sei »durch Beseitigung sozialer Krebsschäden, sowohl geistigen als aber auch körperlichen Krankheitserregern« (ebd.). Der »Volkskörper« wird im zweiten Band von Mein Kampf genauer erläutert: »Jeder Volkskörper kann in drei große Klassen gegliedert werden: in ein Extrem des besten Menschentums auf der einen Seite […], andererseits ein Extrem des schlechtesten Menschenauswurfes […] Zwischen beiden Extremen liegt als dritte Klasse die große, breite, mittlere Schicht, in der sich weder strahlendes Heldentum noch gemeinste Verbrechergesinnung verkörpert« (Hi 1309–1311). In der Darstellung seiner »Wiener Lehr- und Leidensjahre« stellt Hitler angesichts seiner (behaupteten) Erfahrungen mit Marxisten und Sozialisten auf dem Bau die Frage, ob »solche[r] Auswurf« (Hi 177) zur »Volksgemeinschaft« gehören könne: »Damals rang ich mit meinem Inneren: Sind dies noch Menschen, wert, einem großen Volke anzugehören?18« (Ebd.) Und nicht nur die inneren Volksfeinde trügen zur »Entdeutschung des Staats« (Hi 263) bei, auch »volksfremde« Subjekte19 seien als »Keimzellen des Entdeutschungsprozesses« (Hi 333) zu betrachten.

Die Konstruktion von »Volk« als biologisches geht einher mit dem, was Hitler »völkische Weltanschauung« nennt: »Sie glaubt keineswegs an eine Gleichheit der Rassen, sondern erkennt mit ihrer Verschiedenheit auch ihren höheren oder minderen Wert« (Hi 981). Anknüpfend an Nietzsche verschiebt Hitler diese Rassenkonstruktion (die für »Völker« gelten soll) gleichzeitig auf die intersubjektive Ebene: »Sie huldigt […] prinzipiell dem aristokratischen Grundgedanken der Natur und glaubt an die Geltung dieses Gesetzes bis herab zum letzten Einzelwesen« (ebd.). Damit wird die »natürliche« Ordnung einer kapitalistischen Gesellschaft mit ihren scheinbar gerecht nach den jeweiligen Talenten zugewiesenen (Arbeits-)Plätzen ebenso anerkannt wie die »Hierarchie der herrschenden Klasse und der Machtelite« (PIT 2007, 93). So wie der »Arier« und seine Rasse »als das höchste Ebenbild des Herrn« (Hi 983) nichts anderes sind als Ausdruck einer göttlich-natürlichen Ordnung, so findet sich der Wirtschafts- und Staatsführer als Vertreter des »besten Menschentums« im gesellschaftlichen Gefüge zu Recht ganz oben.

Diese völkische Ordnung anzugreifen sei nun das »fluchwürdigste Verbrechen« (ebd.), weil es »am Schöpfer dieses Wunders frevelt« (ebd.) und nicht nur das »deutsche Volk«, sondern die gesamte »menschliche Kultur« (981) vernichten will. Als Träger dieses Vernichtungswillens sieht Hitler das Gegenvolk der Juden und »den Juden Karl Marx« (Hi 979), der »die wesentlichsten Giftstoffe erkannte, herausgriff, um sie nun, einem Schwarzkünstler gleich, in eine konzentrierte Lösung zu bringen zur schnelleren Vernichtung des unabhängigen Daseins freier Nationen dieser Erde« (ebd.). Marx steht sinnbildlich für alle Juden und alles »Jüdische«, das Hitler stets bemüht, wenn er »beweisen« will, wie einzigartig und bewundernswert, schön und erhaben das deutsche Volk ist. Was deutsch und völkisch genau sein soll20, das bleibt eine Leerstelle21. Sie wird gefüllt mit den dem Gegenvolk (den Juden) unterstellten Charakter- und Rasse-Eigenschaften (»dreckig, verlogen, verlaust, hinterhältig« etc.). Dessen Macht zur Vernichtung der arischen Rasse und damit der ganzen Welt kann nur als Wahnidee bezeichnet werden: »Siegt der Jude […] über die Völker dieser Welt, dann wird seine Krone der Totentanz der Menschheit sein, dann wird dieser Planet wieder wie einst vor Jahrtausenden menschenleer durch den Äther ziehen« (Hi 231). Aus dieser wahnhaften Vernichtungsphantasie (verbunden mit einem potenziellen Opferstatus) ergibt sich die deutsche Pflicht zur Vernichtung des Juden – im Inneren wie im Äußeren22.

 

Höcke leitet das biologisch-organische »Wesen« des Volks dadurch her, dass er eine Gleichheit von Mensch und Volk postuliert: Für ihn sind Völker »leib-seelische Einheiten« (Hö 131), weil wir »den Körper nicht einfach von der Seele trennen [können] und Körper haben nun einmal bestimmt Erscheinungsformen« (ebd.). Für das deutsche Volk heißt das, dass es eine »germanische Grundsubstanz« (Hö 129) gebe, die durch zwei Entwicklungen verschwinden könnte.

1. Neben dem »Biologismus« (Hö 132), den er einer Antifa unterstellt (welche für die »Vernichtung rein-deutschen Erbguts plädiert« [Hö 131f.]), gebe es »ganz andere wichtige Faktoren wie Sprache, Kultur und gemeinsame Geschichte« (ebd.): »Ein Volk ist nicht nur Verwandtschaft, sondern auch Verbandschaft und zu dessen Grundlage gehört der Wunsch oder zumindest die Bereitschaft dazu zu gehören« (ebd.). Das größte Problem bestehe heute darin, dass sich das deutsche Volk in Luft auflösen könne, weil »sich niemand mehr mit dem eigenen Volk innerlich-willentlich verbunden fühlt« (ebd.).

2. Da ein Volk aus »Rassen-Legierungen« (Hö 133) bestehe, könne es durch weitere Vermischungen dazu kommen, dass dieses »in einer Masse« aufgeht (wie in den USA), was unbedingt verhindert werden muss: »Diesen Abstieg sollten wir Europäer vermeiden und die Völker bewahren« (ebd.). Auch Hitler kommt nicht umhin festzustellen, dass die »arische Rasse« im Grunde nicht mehr existiert. Und auch er nennt »Nordamerika« als Bezugspunkt, um von einer »Niedersenkung des Niveaus der höheren Rasse« (Hi 743) zu sprechen. Um das deutsche Volk zu erhalten und es auf ein rassisch wertvolleres Niveau zu bringen, sind Maßnahmen gegen »körperlich verkommene und verkrüppelte, im Charakter willensschwache, schwankende und feige Subjekte« (Hi 1043) sowie »erblich Belastete« ebenso notwendig wie das Verbot der »Blutsünde und Rassenschande« (Hi 657). Auch Höckes Ziel ist die Bewahrung deutschen Volkstums, allerdings benutzt er den Begriff der »Selbstveredelung« (Hö 285)23, was die Nazis weniger elegant als »Aufartung« bezeichnet hätten.

Auf die Frage, was denn nun ein Volk definiere, weicht Höcke ins Ungefähre aus: »Man kann das Phänomen des Volkes nur umschreiben, um es fassbarer zu machen. Das heißt nicht, dass es nicht existiert. An einer genauen Definition der Liebe knobeln wir Menschen auch seit ewigen Zeiten erfolglos herum, aber keiner wird deshalb deren Existenz bestreiten« (Hö 127). Selbstverständlich ist das Phänomen, das viele Menschen als »Liebe« bezeichnen, nicht bestreitbar. Unbestreitbar ist aber auch, dass der Begriff der »Liebe« sich mit den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen so verändert hat, dass er heutzutage etwas völlig anderes bezeichnet als in Homers Ilias oder dem sumerischen Gilgamesch-Epos. Doch Höcke geht in seinem Beweis für die empirische Wirklichkeit des »Volks« noch weiter. Er setzt die Existenz von Menschen mit ihrer Volkszugehörigkeit gleich: »Fragen Sie einmal spaßeshalber einen Polen, Dänen oder Türken, ob es ihn überhaupt gibt oder ob seine Volkszugehörigkeit nicht nur ein Hirngespinnst (sic!) ist« (ebd.). Für ihn ist die reale menschliche Existenz nicht gebunden an die Vorstellung, dass wir als Menschen gleich seien, sondern daran, dass wir uns durch die nationale bzw. völkische Zugehörigkeit erst als Subjekte konstituieren. Das gilt auch für Menschen, die das nicht wahrhaben wollen: »Auch als Linker steht man in einer Schicksalsgemeinschaft mit seinem Volk« (Hö 135).

Als Gegner seines völkischen Denkens ist »der universalistische Kosmopolitismus« (Hö 127) benannt, der weder Heimat noch Volksverbundenheit kennt. Die volksfeindlichen Kräfte, denen es an »liebevolle[r] Verbundenheit […] zum eigenen Land und eigenen Volk« (Hö 122) fehle, seien ebenso zu bekämpfen wie jene Kräfte, bei denen »der Wunsch nach Selbstabschaffung« (Hö 69) überhandgenommen habe. Als Paradebeispiel für eine hassenswerte »Volksgegnerin« nennt er die »Migrationsbeauftragte der letzten Bundesregierung, Aydan Özoğuz«, die »in unserem Land tatsächlich nichts verloren hat« (Hö 198). Andere Gegner_innen, allen voran Antifaschist_innen, bezeichnet er als »hässlich, böse und dumm« (Hö 140). Sie seien psychisch Kranke und erinnerten ihn an eine »bittere Humoreske mit dem Irrenhaus, in dem sich der Patient für den Arzt hält24« (Hö 136).

Höcke spricht nicht – wie Hitler – von »Vernichtung« der politischen Gegner bzw. der Gegner seiner völkischen Reinheitsideologie; und nur in Anklängen ist eine antisemitische Konnotation zu vernehmen (»Die Krisen der Moderne […] hinterließen Trümmerfelder, auf denen sich der zersetzende Materialismus […] ausbreiten konnte25« [Hö 261]). Doch wenn er sagt, »auch wenn wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen« (Hö 257), so sind damit reale Menschen gemeint, die nach einer Machtergreifung der AfD sterben müssen. Das sei geschichtlich auch nichts Besonderes: »Abgesehen von diesem […] Aderlass haben wir Deutschen in der Geschichte nach dramatischen Niedergängen eine außergewöhnliche Renovationskraft gezeigt. Denken Sie an den […] Zusammenbruch nach 1945« (ebd.).

Die Funktion der ideologischen Figur von »Volk«, »Volkskörper« und »Volksgemeinschaft« besteht – sowohl bei Hitler als auch bei Höcke – darin, zum einen die real existierenden gesellschaftlichen Widersprüche (arbeitende Klassen gegenüber Besitzern von Produktionsmitteln sowie Immobilien, Geschlechterverhältnisse, Generationenunterschiede etc.) zu entnennen; zum anderen können die jeweiligen politischen Gegner_innen (Juden, Kapitalisten, Marxisten, Antifa, emanzipierte Frauen etc.) durch die biologisch oder kulturell hergestellte Exklusion aus der »imaginierten Gemeinschaft« des Volks ausgeschlossen und – wenn es in Zukunft nötig sein sollte – vernichtet werden.26

 

Staat & Nation