Honor Harrington: Das Mesa-Komplott - David Weber - E-Book

Honor Harrington: Das Mesa-Komplott E-Book

David Weber

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Beschreibung

Für Honor Harrington hat es oberste Priorität, den vernichtenden Angriff der Mesaner abzuwehren, der mit einem Schlag das Schicksal des Sternenkönigreiches besiegeln könnte. Es ist an der Zeit, die Wurmloch-Portale zu deaktivieren: Sie bringen dem Sternenkönigreich Wohlstand und Macht und sind zugleich seine größte Schwäche. Doch die Schließung der Wurmlöcher hat einen Haken. Sie ist für die Solare Liga eine klare Kriegserklärung ... "Fesselnde Schlachten und mitreißende Charaktere vereint zu einem großartigen Weltraumabenteuer!" Locus

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Seitenzahl: 483

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Inhalt

Cover

Über den Autor

Titel

Impressum

Widmung

Juni 1922 P. D.

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Juli 1922 P. D.

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Personenverzeichnis

Glossar

Über den Autor

David Weber ist ein Phänomen: Ungeheuer produktiv (er hat zahlreiche Fantasy- und Science-Fiction-Romane geschrieben), erlangte er Popularität mit der HONOR-HARRINGTON-Reihe, die inzwischen nicht nur in den USA zu den bestverkauften SF-Serien zählt. David Weber wird gerne mit C. S. Forester verglichen, aber auch mit Autoren wie Heinlein und Asimov. Er lebt heute mit seiner Familie in South Carolina.

DasMesa-Komplott

Aus dem Amerikanischenvon Ulf Ritgen

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:

© 2010 by David Weber

Titel der Originalausgabe: »A Rising Thunder«, Teil 2

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2013/2014 by Bastei Lübbe AG, Köln

This work was negotiated through

Literary Agency Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen,

on behalf of St. Martin’s Press, L.L.C.

Textredaktion: Beate Ritgen-Brandenburg

Lektorat: Ruggero Leò

Titelillustration: © Arndt Drechsler, Regensburg

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München

E-Book-Produktion: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-8387-2664-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Für Bruce, Treysa, Mackenzie und – vor allem –Indiana Graham.

Es ist schwer, sich tapfer zu schlagen.

Doch erdverbundene Sterbliche lernen das Fliegen dadurch, dass sie nichts weiter tun als zuzuschauen.

Gottes Segen!

Juni 1922 P. D.

Ich möchte ihn so hart erwischen, dass selbst die Sollys eines begreifen: Das ist Krieg – ihr Krieg. Und Kriege haben nun einmal Konsequenzen!

Admiral Lady DameHonor Alexander-HarringtonGutsherrin und Herzogin Harrington

Kapitel 1

Flottenadmiral Massimo Filareta stand an Deck von SLNS Philip Oppenheimer. Er hatte seine bevorzugte Denkerpose eingenommen: Breitbeinig stand er da, die Hände tief in den Taschen vergraben, die Stirn in Falten gelegt. Er studierte die Details in der schematischen Darstellung des vor ihm liegenden Sonnensystems. Im Augenblick zeigte diese die beiden Komponenten des Doppelsternsystems von Manticore. Die zweite Komponente allerdings interessierte den Admiral nicht sonderlich. Noch nicht.

John dürfte wohl recht haben, sinnierte er. Vor allem seit den Ereignissen von Februar müssen die Mantys doch damit rechnen, dass ein plötzlich auftauchender Gegner Sphinx oder Manticore angreift! Also werden die dort ihre Flotte massieren. Auch der Großteil dessen, was ihnen an Systemverteidigungsraketen geblieben ist, wird zu deren Schutz aufgestellt sein. Die Mantys können es sich nicht leisten, auch nur einen Planeten ihres Heimatsystems zu verlieren. Aber notfalls ließe sich auf Gryphon sicher eher verzichten als auf Manticore oder Sphinx. Die Mantys wissen auch, welche Folgen es hätte, sich zu weit aufzuteilen …

Filareta verzog das Gesicht. Die Vorstellung, zuerst Gryphon anzugreifen – und damit den schwächsten Punkt in der Manty-Verteidigung –, war reizvoll. Man könnte auf diese Weise sozusagen mit einem Zeh prüfen, wie kalt das Wasser wirklich war: Denn für einen Angriff auf Gryphon müsste sich Filareta nicht übermäßig tief hinein in manticoranisches Territorium wagen. Militärisch kühn war das nicht. Andererseits galt Kühnheit, vor allem aber Tollkühnheit bei Flottenoffizieren als verzichtbar. Meist verhielt sich nämlich nur der so, der nach Strich und Faden Mist gebaut hatte und mit allen Mitteln versuchen musste, doch noch seinen Hals zu retten. Zudem musste sich Filareta eingestehen, dass er sich am falschen Ende des technischen Ungleichgewichts befand. Kalte Logik sprach daher für folgende Vorgehensweise: ein Zielobjekt einzunehmen, das die Mantys unbedingt würden zurückerobern müssen. Damit wären sie gezwungen, mit Filareta zu seinen Bedingungen zu kämpfen. So hätte er den Gegner im Sack, vor allem, wenn die Systemverteidigungsraketen der Mantys tatsächlich von Gondeln aus zum Einsatz gebracht wurden. Gondeln nämlich waren nichts anderes als ortsfeste Abwehranlagen, und nur mit ihrem Verteidigungssystem hätten die Mantys der mit einer gewaltigen Übermacht angerückten Liga etwas entgegenzusetzen.

Bedauerlicherweise lauteten Filaretas Befehle jedoch, sich umgehend der Hauptwelt des Sternenimperiums zu widmen. Also musste er Manticore-A angreifen.

Soweit meine Befehle. Nur sind die, die mir diese Befehle erteilt haben, jetzt nicht hier – ich aber schon. Wozu sich vormachen, ich würde meine Befehle nicht augenblicklich, nun … modifizieren, wenn ich der Ansicht wäre, das würde einen Unterschied machen!

Er verkniff sich ein abschätziges Schnauben. Ihm ging der Gedanke nicht aus dem Kopf, ob seine Vorgesetzten – seine offiziellen Vorgesetzten, nicht Manpower – ihn gerade deswegen für diese Mission ausgewählt hatten: weil er ihre Befehle lediglich als Vorschläge erachten würde, wenn es hart auf hart käme. Filareta hoffte darauf. Denn er hatte bereits beschlossen, so und nicht anders zu verfahren.

Sicher hatte auch Manpower gute Gründe, ausgerechnet mich hierherzuschicken. Nur werde ich den Teufel tun, für die noch so einen fantastischen Crandall-Triumph einzufahren! Sollte Rajampets genialer Einfall wirklich eine gute Idee sein – bitte, auch schön! Aber wenn nicht … Tja, tut mir furchtbar leid, Manpower, aber dann machen wir uns sofort vom Acker!

Filareta verspürte keine große Lust, darüber nachzudenken, wie seine ›Sponsoren‹ es wohl aufnähmen, wenn er sie enttäuschte. Aber er hatte noch viel weniger Lust, darüber nachzudenken, ob es eine bessere Idee war, ein paar Millionen Solarier in den Tod zu schicken – darunter auch einen gewissen Massimo Filareta.

»Also gut«, sagte er und wandte schließlich den Blick vom Display ab. »Noch jemand mit einer Eingebung in letzter Sekunde? Einem Katalog von Dingen, über die wir nachdenken sollten, bevor wir uns alle ein wenig aufs Ohr hauen?« Er lächelte dünn, zog eine Hand aus der Tasche und deutete auf das Chronometer, das stetig rückwärts zählte, um anzuzeigen, wann die Elfte Flotte wieder die Alpha-Transition zurück in den Normalraum durchführen sollte. »Immerhin haben wir noch ganze zehn Stunden Zeit, uns die Köpfe zu zerbrechen!«

Das rief die Erheiterung hervor, auf die Filareta gehofft hatte. Natürlich schwang darin unverkennbar Nervosität mit. Doch das ließ sich ja kaum vermeiden. Viel wichtiger aber: Etwas wie … nun, ja doch: Zuversicht schwang mit. Oder zumindest spürte Filareta bei seinen Untergebenen deutlich mehr Zuversicht als Angst oder Panik. Das war natürlich nicht zuletzt den Simulationen zu verdanken, in denen während der langen Überfahrt der Umgang mit den neuen Raketen trainiert worden war. Die Frage, woher diese Raketen eigentlich stammten, beschäftigte Filareta immer noch, oder besser: warum man sie ihm zur Verfügung gestellt hatte. Aber auf die Kampfkraft der Elften Flotte wirkte sich dieses unverhoffte Geschenk positiv aus – keine Frage! Filaretas vorsichtigen Schätzungen nach hatten allein schon die Gondeln die Schlagkraft seines Schlachtwalls in etwa verdreifacht. Unter der Voraussetzung, zwischen der Aktivierung der Antriebe eine hinreichend lange ballistische Phase einzulegen, erreichten selbst die aus den Werfern abgefeuerten Raketen nun eine Reichweite, die weit über das hinausging, womit Filaretas Feuerleitsysteme noch zurechtkamen. Das musste, es ging gar nicht anders, den Reichweitenunterschied doch ausgleichen!

»Ernsthaft jetzt«, fuhr Filareta fort und ließ das Lächeln auf seinem Gesicht wieder verschwinden, »die Initiative haben jetzt wir! Falls wirklich noch jemand eine Eingebung in letzter Sekunde hat, können wir den Einsatz lange genug aufschieben, um diese Eingebung zu durchdenken!«

Der Reihe nach blickte er seinen Stab und deren Adjutanten an, ernste Gesichter überall. Doch überall wurde sein Blick fest erwidert, desgleichen bei den Kommandeuren seiner Kampfverbände und Geschwader, deren Gesichter auf der Displaywand zu sehen waren. Einige wenige wirkten angespannt, doch niemand beunruhigt. Der Flottenadmiral nickte.

»Gut! Dann, John«, er wandte sich an Admiral Burrows, »gehen wir noch einmal die wichtigsten Punkte durch!«

»Selbstverständlich, Sir.«

Der untersetzte Stabschef erhob sich und trat an das Pult am Kopfende des Stabsbesprechungsraums heran. Normalerweise wäre Burrows für derartige Erklärungen auf seinem üblichen Platz sitzen geblieben. Doch heute war kein normaler Tag – und das wusste jeder hier, ob nun persönlich oder über Display zugeschaltet.

»Die Astrographie des Systems ist der Schlüssel zu unserem Plan«, begann er förmlich und gab währenddessen einige Befehle ein. Sofort zoomte das Holo-Display auf Manticore-A und die zugehörigen Planeten. »Genauer gesagt die aktuelle Position des Planeten Sphinx.« Ein weiterer Befehl, und um den G0-Stern herum erschien eine bernsteinfarbene Sphäre mit einem Radius von zweiundzwanzig Lichtminuten. »Wie Sie sehen können, bedeutet die Position von Sphinx für uns vor allem, dass …«

»Na, besser spät als nie, wie man so schön sagt!« Commodore Mercedes Brigham verzog das Gesicht. »Nicht, dass ich mich nicht über dieses Mehr an Vorbereitungszeit gefreut hätte! Aber man sollte doch annehmen, selbst Sollys wären in der Lage, ihren eigenen Einsatzplan mehr oder minder genau einzuhalten – wenigstens plus/minus ein paar Tage.«

»Na, na!«, schalt Honor ihre Stabschefin milde und betrachtete dabei die vorläufige Lageanalyse der OPZ. »Auch uns, Mercedes, ist es hin und wieder schon passiert, dass wir Einsatzpläne über den Haufen werfen mussten!«

»Wohl wahr, Hoheit«, stimmte Rafael Cardones zu. Honors Flaggkommandant hatte hinter ihr gestanden und den Flaggbrückenplot studiert. Jetzt aber hob er den Blick und sah die Stabschefin an. »Nun, es mag unverfroren von mir sein, Commodore, es in Worte zu fassen, aber momentan heißt es: Bühne frei für die Laienspieltruppe! Wir haben es hier mit der Schlachtflotte der Sollys zu tun, schon vergessen? Die von der Grenzflotte mögen ja fähig sein, ihren eignen Hintern zu finden, wenn sie für die Suche beide Hände benutzen dürfen – aber diese Gestalten da draußen?« Cardones schüttelte den Kopf. »Die sitzen doch nur auf der Bank, während die Grenzflotte die ganze Arbeit macht! Denken Sie doch nur an die Kinderkram-Simulationen, die Lady Gold Peak in deren Computern gefunden hat, Commodore! Dass jemand, der bislang keinerlei Einsatzerfahrung hat, aber eine schlichtweg miserable Doktrin fährt, seinen Zeitplan beinahe einhält, grenzt an ein Wunder!« Cardones lächelte säuerlich. »Um ehrlich zu sein, komme ich gar nicht darüber hinweg, dass die Solly-Superdreadnoughts es überhaupt bis nach hier draußen geschafft haben! Das hätte ich deren Maschinenraumhamstern gar nicht zugetraut!«

Unwillkürlich zuckten Honors Mundwinkel. Trotzdem warf sie Cardones einen strafenden Blick zu.

»Das mag ja wirklich eine Laienspieltruppe sein, Rafe, trotzdem: Vielleicht stehen die Sollys doch schon kurz davor, bei den Großen mitspielen zu können. Schließlich hatten sie deutlich Anreize dafür, ihre Ausbildungsstandards zu … überdenken. Andererseits, Mercedes«, Honor blickte die ältere Frau an, »muss ich Rafe recht geben: Für jemanden ohne echte Erfahrung ist es eine Leistung, den Zeitplan beinahe einzuhalten.«

Nach einem Augenblick des Schweigens nickte Brigham.

»Wahrscheinlich haben Sie recht, Hoheit – Sie und Rafe. Aber egal: Auf jeden Fall sind jetzt die Sollys hier.«

»Und zwar ziemlich genau da, wo wir sie erwartet haben«, meldete sich eine neue Stimme zu Wort.

Captain Jaruwalski klang zufrieden. Honor nickte. Obwohl: Eines Taktik-Genies bedurfte es nicht gerade, um auf den Annäherungsvektor zu kommen, den die Sollys wohl auswählen würden.

Normalerweise kannte Honor die tatsächlichen Einsatzbefehle des Gegners nicht schon, bevor die Schlacht angefangen hatte. Aber selbstredend war sie die Letzte, die sich darüber beschweren würde. Das hieß jedoch nicht, dass sie blindlings auf diesen Vorteil vertrauen wollte. Deswegen hatten sie sich Michelle Henkes Taktik vor Spindle zu eigen gemacht und zahlreiche Systemverteidigungsgondeln und einen Großteil der Schweren Kreuzer und Schlachtkreuzer zum Schutz von Gryphon abgestellt – nur für den Fall, dass Filareta sich dafür entscheiden sollte, seinen Angriff doch in diese Richtung zu führen. Es waren allerdings Vorsichtsmaßnahmen für einen Fall, den Honor selbst für sehr unwahrscheinlich hielt. Der Solarier würde sicher geradewegs Manticore-A ansteuern – genau wie es seine Befehle und die grundlegende Strategie-Doktrin der solarischen Navy verlangten.

Damit blieb nur die Frage, welchen der bewohnten Planeten von Manticore-A Filareta denn nun tatsächlich angreifen würde. In den elf T-Monaten, die seit Lester Tourvilles Operation Beatrice vergangen waren, hatte sich Sphinx aus der Resonanzzone hinausbewegt – aus dem konischen Raumabschnitt zwischen dem Wurmlochknoten und Manticore-A, in dem es praktisch unmöglich war, zwischen Hyperraum und Normalraum zu transistieren. Damit war der Planet nicht mehr vor einer direkten Annäherung geschützt. Honors Heimatwelt blieb also nur sehr wenig Verteidigungsraum. Denn Sphinx befand sich ja kaum 15,3 Millionen Kilometer hinter der Hypergrenze.

Gerade wegen dieser relativen Schutzlosigkeit wäre Honor an Filaretas Stelle sehr versucht gewesen, Manticore anzugreifen, nicht etwa Sphinx. Sie wäre nämlich dann davon ausgegangen, dass der Gegner nicht anders gekonnt hätte, als seine Verbände so zu verlegen, dass sie das exponiertere Ziel besser schützten. Bei der derzeitigen Planetenkonstellation hätte ein guter Astrogator tatsächlich eine Flotte dichter bei Manticore in den Normalraum zurückkehren lassen können als jede mobile Einheit positioniert sein könnte, die vor Sphinx stünde. Es wäre ein riskantes Unternehmen, zugegeben. Schließlich bedeutete es, für den Angriff tiefer hinter die Hypergrenze vorzustoßen, was es schwieriger machte, sich bei einem Hinterhalt wieder in den Hyperraum zurückzuretten. Andererseits konnte es schlachtentscheidend sein, befänden sich die Systemverteidigungsverbände in der ungünstigeren Position.

Honor aber hielt Filareta für schlauer als Crandall. Daher würde er nicht tiefer hinter die Hypergrenze vorstoßen als unbedingt nötig. Er würde sich die Rückzugsmöglichkeit in den Hyperraum nicht verbauen wollen. Denn er würde damit rechnen, dass die ungeheuerlichen Berichte über die Raketenreichweite der Manticoraner der Wahrheit entsprächen. Nein, Filareta würde Sphinx angreifen, nicht Manticore, gerade weil er von dort aus viel leichter die Flucht ergreifen könnte, sollte sein Plan schiefgehen.

Einen Angriff auf Sphinx aber wollte Honor keinesfalls zulassen.

Als ihr dieser Gedanke durch den Kopf ging, wurde ihr Blick hart. Sie spürte, wie Nimitz auf ihrer Schulter die Muskeln anspannte, und schmeckte bei ihm die gleiche, unbändige Entschlossenheit.

Ihre Miene blieb unbewegt. Doch innerlich nahm Honor sich zusammen und ging zu diesem weißglühenden Zorn auf Distanz.

Nur die Ruhe!, sagte sie sich fest. Es geht darum, Filareta zur Kapitulation zu zwingen, nicht die Sollys abzuschlachten. Was auch immer sie sonst getan haben mögen, hinter dem Yawata-Schlag stecken sie nicht!

»Wie sieht der prognostizierte Annäherungsvektor aus, Theo?«

Der Ton, den Honor anschlug, verriet nichts. Keine Spur von Hass oder Vorfreude war darin zu finden. Lieutenant Commander Theophile Kgari, Honors Stabsastrogator, überprüfte seine Daten zweimal, ehe er ihr antwortete.

»Sie sind etwa zwölf Lichtsekunden vor der Grenze aus dem Hyperraum ausgetreten, Hoheit«, meldete er. »Etwa 18,9 Millionen Kilometer bis Sphinx. Derzeitige Geschwindigkeit relativ zum Planeten dreizehnhundert Kilometer pro Sekunde. Es sieht so aus, als würden sie nicht übermäßig beschleunigen. Im Augenblick liegt ihr Delta Vau bei 3,3 Kps Quadrat. Bei diesen Werten könnten sie den Planeten in 73,6 Minuten erreichen. Der Schubumkehrpunkt liegt bei 33,6 Minuten, Distanz zum Planeten 9,57 Millionen Kilometer. Am Schubumkehrpunkt würde ihre Geschwindigkeit dann etwas mehr als 7.900 Kilometer pro Sekunde betragen.«

»Danke.«

Honor, die nur Augen für den Plot hatte, fand ihre eigenen Schätzungen durch Kgaris Zahlen bestätigt. Doch selbst jetzt, konzentriert auf den Plot und den Gegner, war sich Honor des dunkelhaarigen Offiziers gleich neben ihr bewusst, auf dessen Schulter ebenfalls eine Baumkatze in einem maßgeschneiderten Skinsuit hockte. Manch anderer hätte sich vielleicht Sorgen gemacht, ein Offizier vom Rang eines Thomas Theisman könnte versucht sein, sich ungebeten in die Einsatzvorbereitungen oder gar den Einsatz selbst einzumischen, ganz egal, auf wessen Flaggschiff er sich gerade befand. Doch in seinem Geistesleuchten schmeckte Honor Gelassenheit, mehr nicht. Sie fragte sich, ob sie auch die Ruhe in Person wäre, wäre sie im Angesicht einer Schlacht auf der Flaggbrücke eines anderen Offiziers, dazu verurteilt, selbst überhaupt nichts beitragen zu können.

Der Gedanke streifte sie nur – zu unbedeutend war er, jetzt, wo sie mit der Geometrie des bevorstehenden Gefechts beschäftigt war.

Die maximale Reichweite der SLN-Standard-Schiffskiller betrug aus dem Stand etwas weniger als 7 576 000 Kilometer. Bei einer Startgeschwindigkeit von 7900 Kps ergab sich so eine Reichweite von ziemlich genau neun Millionen Kilometern. Innerhalb der nächsten fünfunddreißig Minuten würde Filareta also alles in Reichweite seiner Raketen bringen, was sich im Orbit von Sphinx befand … vorausgesetzt, natürlich, die Parameter hätten sich nicht geändert.

Und vorausgesetzt, er hat in seinen Werfern tatsächlich Standard-Schiffskiller, rief sich Honor ins Gedächtnis zurück. Wir wissen doch immer noch nicht, was Mesa vor Congo gegen Rozsak zum Einsatz gebracht hat! Natürlich wissen wir auch nicht, ob das Alignment bereit war, den Sollys ihre fortschrittlichere Waffentechnik auch auszuhändigen.

Den ersten Planungsbesprechungen nach war es das Ziel der Defensivkräfte vor Manticore-A, Filareta kurz vor der Hypergrenze aufzuhalten und ihn dazu zu bewegen, sich wieder zurückzuziehen, lange bevor er dem Planeten selbst gefährlich nahekäme. Honor hatte immer noch die Absicht, genau das zu tun: ihn aufzuhalten, bevor er ihrer Heimatwelt zu nahekäme. Aber was den Rest betraf …

»Ich wüsste nicht, warum wir uns jetzt noch umentscheiden sollten«, sagte sie, und ihre Sopranstimme war ebenso ruhig wie eisig. »Wir halten uns an Cannae.« Sie blickte vom Plot auf und schaute Lieutenant Commander Brantley an. »Harper, geben Sie Hochadmiral Yanakov und der Timberlake das einleitende Signal!«

»Signal von Flaggschiff, Ma’am!«

»Und wie genau lautet das Signal, Vitorino?«, erkundigte sich Lieutenant Commander Jacqueline Summergate, Kommandantin von HMS Timberlake. Sie blickte vom kleinen taktischen Wiederholdisplay auf dem Sockel ihres Sessels auf.

»Verzeihung, Ma’am.« Ensign Vitorino Magalhes war jung für den leitenden Signaloffizier eines Schiffes, selbst für einen etwas älteren Zerstörer wie die Timberlake. Nun errötete der junge Offizier leicht. Ansonsten aber ließ er sich durch seinen Lapsus nicht aus der Ruhe bringen. »Ausführung Cannae Alpha, Ma’am.«

»Also gut.« Summergate nickte. Genau diesen Befehl erwartete sie schon, seit der erste solarische Superdreadnought seine Alpha-Transition ausgeführt hatte.

Ganz ruhig, Jackie!, hielt sie sich innerlich an. Du meinst den ersten unidentifizierten Superdreadnought. Schließlich gibt es noch keinerlei Beweise dafür, dass Sollys gerade versuchen, in dein Heimatsystem einzudringen – ganz ohne förmliche Kriegserklärung. Die Schiffe da vorn könnten ja auch aus dem Andromeda-Nebel gekommen sein!

Kaum merklich lächelte sie. Dann blickte sie zu Lieutenant Selena Kupperman hinüber, dem Taktischen Offizier der Timberlake.

»Sind Ihre taktischen Daten schon auf dem neuesten Stand, Waffen?«

»So gut wie, Ma’am«, erwiderte Kupperman. »Die letzten Daten treffen gerade ein.«

»Sehr gut.« Erneut nickte Summergate. »Astro, schaffen Sie uns hier weg! Wir müssen Post austragen.«

So weit, so gut. Unwillkürlich zuckten Filaretas Mundwinkel. Doch der Flottenadmiral riss sich zusammen, blieb reglos in seinem Kommandosessel sitzen und betrachtete den Plot. Was denen jetzt wohl gerade durch den Kopf geht?

»Gute Arbeit, Yvonne«, sagte er laut.

»Danke, Sir«, erwiderte Admiral Yvonne Uruguay.

Die Elfte Flotte hatte die Alpha-Transition so sauber hinbekommen, wie Filareta es bislang nur selten erlebt hatte. Die einzelnen Schiffe waren kaum versprengt, und der Gesamtkurs des Verbandes besaß Lehrbuch-Qualität. Gewiss, Uruguay hatte es nicht ganz hinbekommen. Eigentlich wäre Filareta gern noch dichter zur Hypergrenze aufgekommen. Aber nach einer derart langen Fahrt durch den Hyperraum ließen sich derlei kleine Fehler einfach nicht vermeiden. Mit Hilfe des Hyperlogs konnte ein Astrogator zwar leidlich gut eine aktuelle Position bestimmen, aber bei interstellaren Entfernungen konnte ›leidlich gut‹ zu wünschen übrig lassen. Die Unterschiede der intrinsischen Geschwindigkeiten zwischen Ausgangspunkt und Eintreffen im gewünschten System zu berücksichtigen, konnte zudem recht knifflig sein. Es galt immerhin, eine ganze Flotte zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Ort zu bringen, und das auch noch in der richtigen Formation. Diese Formation während der Alpha-Transition beizubehalten und gleichzeitig die gewünschte Geschwindigkeit über die Hypermauer mitzunehmen, war in vielerlei Hinsicht ebenso eine Kunst wie eine Wissenschaft.

Andererseits: Was hieß hier geschickt? Bei den meisten Navys hätte man Uruguays Dienstgrad für die Aufgabe einer Stabsastrogatorin als entschieden zu hoch angesehen, selbst wenn man bedachte, wie gewaltig die Flotte war, die Filareta derzeit unterstand. Das wusste der Flottenadmiral. Seit diese ganze Sache mit den Mantys so eskaliert war, dachte er immer wieder darüber nach, wie inflationär bei der Solarian League Navy Dienstgrade verteilt wurden. Aber genau diese Inflation war nun einmal integraler Bestandteil der Flotte, althergebrachte Tradition.

Angenommen, diese ganze Sache ist nicht einfach heute Nachmittag schon erledigt, dachte er, werden wir dagegen etwas unternehmen müssen. Unsere ganze Weisungskette ist zu aufgebläht! Kein Wunder, dass wir sozusagen unter Arterienverkalkung leiden. Aber ich muss schon sagen: Yvonne hat wirklich verdammt gute Arbeit geleistet.

»Was meinen Sie, wie lange es dauert, bis die dazu kommen, uns ein Signal zukommen zu lassen, Sir?«, erkundigte sich Admiral Burrows.

»Nun, dass wir hier sind, werden die schon gemerkt haben«, erwiderte Filareta trocken. »Wir haben uns ja nicht gerade bemüht, sonderlich unauffällig zu bleiben.«

Er schürzte die Lippen und dachte über Burrows Frage nach. Sein Befehle enthielten keine Anweisung zu der Form, in der er den Mantys die Forderungen der Liga zu überbringen hatte. Er sollte ganz nach eigenem Ermessen vorgehen. Darüber nun hatten Burrows und er schon gründlich nachgedacht. Die dämlichen Mätzchen, die Sandra Crandall vor Spindle aufgeführt hatte, wollte Filareta auf jeden Fall vermeiden. Er würde keine Gespräche mit dem Feind führen, bei denen man dank der Signalverzögerung immer zwei Minuten abwarten musste. Er würde auch nicht ein paar Tage lang nur tatenlos herumhängen, bis es endlich zur Sache ginge!

Andererseits hatte der Gedanke, die Gegenseite ein wenig zappeln zu lassen, durchaus etwas für sich. Deswegen hatte Filareta beschlossen, die Mantys den Eröffnungszug in der Kommunikation machen zu lassen. Wenn man mit mehr als vierhundert Superdreadnoughts plötzlich irgendwo auftauchte, sollte das ausreichen, um Aufmerksamkeit zu erregen … vor allem, wenn besagte Superdreadnoughts geradewegs auf die Hypergrenze des System-Hauptsterns zuhielten. Der psychologische Vorteil, der sich daraus ergab, der Gegenseite den ersten Schritt zu überlassen, mochte ja wie eine Kleinigkeit wirken. In seiner derzeitigen Lage jedoch war Massimo Filareta bereit, jeden Vorteil auszunutzen, den er sich verschaffen konnte – ganz egal wie.

»Wir sind noch mehr als eine Lichtminute von Sphinx entfernt«, fuhr er fort. »Und ob die Gegenseite wirklich einen ÜL-Kommunikator hat, wie es hin und wieder behauptet wird, ist eigentlich egal. Schließlich haben wir so etwas nicht. Geben wir denen ruhig vier oder fünf Minuten Zeit, die Ortungsberichte an ihre Vorgesetzten weiterzugeben! Für die eigene Restaurierung, nachdem die sich alle in die Hose gemacht haben, werden besagte Vorgesetzte auch noch ein bisschen Zeit brauchen. Am besten wir legen auch noch Zeit für das Informieren der Zivilbevölkerung oben drauf. Die Zivilbehörden werden dann ihrerseits kurz mit den Uniformträgern reden. Aber ich meine, da werden drei oder vier Minuten ausreichen. Und dann ist da immer noch diese Minute Signalverzögerung, die sich ergibt, wenn man uns von Sphinx aus ruft.« Filareta zuckte mit den Schultern. »Ehrlich gesagt wäre ich überrascht, hörten wir schon innerhalb der nächsten zehn Minuten etwas von denen.«

Burrows nickte bedächtig und blickte dabei sehr nachdenklich drein. Filareta erhob sich aus seinem Sessel und trat an Admiral Daniels’ Station heran. Konzentriert begutachtete der Operationsoffizier die Daten der OPZ; auf Filareta achtete er nicht. Doch dann blickte er ruckartig auf und lächelte entschuldigend.

»Verzeihung, Sir. Ich hatte Sie überhaupt nicht bemerkt.«

»Wenn Sie sich entscheiden müssen, ob Sie auf mich achten oder auf die Mantys, ist mir deutlich lieber, Sie nehmen die Mantys«, erwiderte Filareta trocken. Kurz verwandelte sich Daniels’ Lächeln in ein breites Grinsen. »Ich weiß, es ist noch früh am Tag, Bill«, fuhr der Flottenadmiral dann fort, »aber können Sie uns schon etwas berichten?«

»Eigentlich nicht, Sir.« Daniels zuckte mit den Schultern. »Die Aufklärungsplattformen steuern das Systeminnere an. Aber wir sind noch nicht lange genug hier, um von den lichtschnellen Systemen etwas aufzufangen. Die Gravitationsantennen haben ein paar Impellersignaturen geortet. Die sind aber über das gesamte Systeminnere verteilt oder fahren zwischen dem Systeminneren und dem Wurmlochknoten hin und her – weit genug weg von unserem Annäherungsvektor also und wahrscheinlich ausschließlich zivile Schiffe. Allerdings haben wir einige Gravitationsimpulse aufgefangen.«

Unaufgeregt begegnete er Filaretas Blick. Der Flottenadmiral nickte und musste unwillkürlich an seine Bemerkung zu überlichtschnellen Coms denken. Dass die Mantys anscheinend die Möglichkeit hatten, Daten mit Überlichtgeschwindigkeit zu übertragen, beunruhigte seinen Stab und ihn deutlich mehr, als sie sich eingestanden. Die Vorteile, die sich für kämpfende Verbände daraus ergäben, einander in Echtzeit taktische Daten zukommen zu lassen, mussten jeden, der diese Möglichkeit nicht hatte, zutiefst erschrecken. Aber als die Elfte Flotte von Tasmania aus aufgebrochen war, lagen Informationen leider nur äußerst fragmentarisch vor. Allerdings hieß es, die Mantys würden Gravitationsimpulse nutzen – möglicherweise, um damit modulierte Wellen entlang der Grenzfläche zwischen der Alpha-Mauer und dem Normalraum zu erzeugen. Gravitationstheorie gehörte nicht gerade zu Filaretas Fachgebiet. Er hatte keine Ahnung, wie den Mantys dieses Kunststück gelungen sein sollte. Allerdings hatte er den Eindruck, selbst Gravitationstheoretiker wüssten nicht, wie man derlei bewerkstelligen sollte – nicht einmal die Theoretiker der Liga, die Derartiges überhaupt für möglich hielten. Aber angesichts des hohen Preises, den die SLN bereits für die Arroganz hatte zahlen müssen, die für sie doch so typisch war, hatten Filareta und sein Stab beschlossen, Manty-Echtzeitkommunikation zumindest in Erwägung zu ziehen.

Na, wohl kaum erwähnenswert, dass ich mich trotz aller unkenmäßigen Vorsicht nicht besser fühle, obwohl sich unsere Vermutungen jetzt anscheinend bestätigen!, dachte er.

»Lässt sich in den Quellen dieser Impulse ein Muster erkennen?«

»Eigentlich nicht, Sir. Zumindest haben wir bislang noch keines entdeckt. Es sieht ganz so aus, als seien sie präzise gerichtet. Also stammt das, was wir uns genauer anschauen können, geradewegs von Quellen, die sich systemauswärts zu uns befinden. Es ist gut möglich, dass die über die gesamte Peripherie des Systems verteilt sind, ohne dass wir sie bislang geortet haben.« Entschuldigend verzog Daniels das Gesicht. »Wir sind immer noch damit beschäftigt, die Drohnen auszusetzen, Sir. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie gut die darin sind, derartige Größen überhaupt aufzufassen. Unsere Gravitationsantennen jedenfalls sind nicht darauf ausgerichtet oder dafür kalibriert, solche Signale zu orten oder voneinander zu unterscheiden.«

»Mehr als Ihr Bestes können Sie nicht tun«, meinte Filareta deutlich gelassener, als ihm eigentlich zumute war.

Daniels nickte und widmete sich wieder ganz seinen Displays.

Filareta kehrte zum Hauptplot zurück und studierte unauffällig das Diagramm auf einem Sekundärdisplay, das ihm den Status aller Hypergeneratoren der Elften Flotte meldete. Ein Hypergenerator in der Größe, wie ihn ein Superdreadnought wie die Oppenheimer benötigte, war ein Riesending. Deswegen brauchte der eine Zeit, um vollständig einsatzbereit zu werden. Um genau zu sein, hätte die Oppenheimer zweiunddreißig Minuten benötigt – eine geschlagene halbe Stunde! –, um vom heruntergefahrenen Zustand auf Hypertransition-Niveau zu gelangen. Zudem mussten sich nach jeder Transition die Generatoren eines Schiffes erst einmal erholen, auch wenn das nicht annähernd so lange dauerte. Die Generatoren der Oppenheimer etwa konnten innerhalb von zwölf Minuten wieder in den Standby-Betrieb versetzt werden. Doch bis die Transition dann wirklich eingeleitet werden konnte, mussten vier weitere Minuten abgewartet werden. Es ergab sich also insgesamt eine Zwangspause von sechzehn Minuten. Bedauerlicherweise waren Filaretas Schiffe etwa neunzehn Flugminuten von der Hypergrenze von Manticore-A entfernt gewesen, als sie ihre Alpha-Transition durchgeführt hatten. Deswegen sah der Einsatzplan vor, die Generatoren so rasch wie möglich wieder in Bereitschaft zu versetzen. Filareta verkniff sich ein zufriedenes Nicken, als er den Fortschritt seiner Schiffe sah. Dann schaute er auf das Zeitdisplay.

Vor fünf Minuten hatten sie die Alpha-Mauer überquert.

»Tja, das war’s jetzt wohl, Sir«, meinte Ensign Brynach Lacharn leise (und nach Lieutenant Hamilton Trudeaus Meinung gänzlich unnötigerweise).

Gerade eben war das gesamte Verkehrssteuernetzwerk am Wurmlochknoten völlig außer Kontrolle geraten: Zahllose Schwertransporter und Passagierschiffe hatten sich in die Warteschlange für den Transit eingereiht, kaum dass die ersten Meldungen eingetroffen waren, nur wenige Lichtstunden weit entfernt bei Manticore-A gehe äußerst Unerfreuliches vor. Nach allem, was dem System erst vor wenigen Monaten widerfahren war, konnte Trudeau den Skippern der Schiffe Panikreaktionen kaum verübeln. Die, die seinerzeit für den Angriff auf Manticore verantwortlich gewesen waren, mochten ja durchaus beschlossen haben, dem System erneut einen Besuch abzustatten. Andererseits war Trudeau nicht sonderlich erbaut darüber, wie rasch sich die Panikstimmung verbreitet hatte. Das bestätigte nur, was die Besatzung von SLNS DB 17025 und er bereits vermutet hatten: Die Mantys verfügten tatsächlich über Überlicht-Coms.

»Schon was vom Astro-Lotsendienst des Knotens?«, erkundigte sich Trudeau.

»Bislang noch nicht«, erwiderte Lacharn und zuckte dann mit den Schultern. »Na, abgesehen von der Meldung, unidentifizierte Sternenschiffe würden sich der Hypergrenze von Manticore-A nähern. Was den ganzen Kotzcluster ja überhaupt erst ausgelöst hat!« Er deutete in Richtung des sichtlich überarbeiteten Petty Officers, der sich nach Kräften mühte, den gesamten Funkverkehr zu überwachen. »Jetzt, wo anscheinend alle gleichzeitig quatschen, habe ich keine Ahnung, wie lange der ALD braucht, um für einen Hauch von Ordnung zu sorgen.«

»Na wunderbar!«

Angewidert schüttelte Trudeau den Kopf. Als man DB 17025 den Einsatz zugewiesen hatte, hatte er diesen Befehl für ganz besonders … unklug gehalten. Trudeau hatte das ausgesprochen – natürlich äußerst taktvoll und vorsichtig. Aber niemand hatte auf ihn gehört. Das zeigte nur wieder einmal, dass ein funktionsfähiges Gehirn nicht Voraussetzung war, bei der Solarian League Navy einen hohen Rang zu erreichen. Sie waren doch bloß ein armseliges kleines Kurierboot, verdammt! Selbst wenn der Astro-Lotsendienst des Wurmlochknotens bereit wäre, überhaupt jemandem zu einem solchen Zeitpunkt den Transit zu gestatten, würde ein jämmerliches kleines Kurierboot wohl kaum Priorität genießen! Und dabei war noch gänzlich außer Acht gelassen, dass DB 17025 unter solarischer Kennung fuhr. Natürlich hatten die Genies, denen dieser tolle Einfall gekommen war, den Plan gefasst, ehe sie begriffen hatten, dass die Mantys bei jedem Terminus in ihrer Reichweite solarischen Schiffen den Transit verwehrten. Trotzdem …

Andererseits sind wir ja nicht nur irgendein solarisches Kurierboot, dachte Trudeau.

»Bleiben Sie dran, Brynach!«, sagte er. »Früher oder später wird der ADL Gespräche annehmen müssen, also machen Sie denen ein bisschen Druck! Erinnern Sie die daran, dass wir für die INS hier sind.«

»Jawohl, Sir.«

Der Ensign nickte, obwohl er den an sie ergangenen Befehlen gegenüber noch skeptischer war als Trudeau. Eine von Lacharns Schwestern arbeitete im Ministerium für Bildung und Aufklärung. Deswegen wusste er ganz genau, wie die ›unabhängigen‹ Reportagen in den solarischen Medien zustande kamen. Das erklärte Lacharns Ansicht, solarische Reporter sollten so ziemlich die Letzten sein, denen die Mantys die Nutzung des Wurmlochknotens gestatten dürften. Gerade die Interstellar News Service Corporation stand bei den Mantys nicht sonderlich hoch im Kurs. Das hatte gewiss damit zu tun, dass die INS sich seinerzeit mit dem Amt für Öffentliche Information der Volksrepublik Haven ›arrangiert‹ hatte.

Trotzdem könnte der Plan immer noch funktionieren, sinnierte Lacharn.

Schließlich war bei den Mantys – ganz anders als in der Liga – das Konzept einer freien, unabhängigen Presse mehr als nur ein Lippenbekenntnis.

Aber sollte es nicht funktionieren, würde das Ensign Brynach Lacharn nicht sonderlich jucken.

»Admiral, wir orten Impellersignaturen!«, meldete William Daniels scharf. Filareta nickte, als auf dem taktischen Plot die scharlachrot markierten Icons der Impeller zahlreicher Sternenschiffe erschienen. Sie bewegten sich nicht, sondern standen reglos an Ort und Stelle.

»OPZ hat zwo voneinander unabhängige Gruppen identifiziert«, fuhr Daniels fort. »Die größere, bezeichnet als Tango-Eins, befindet sich etwa auf halber Strecke zwischen Sphinx und Manticore; Distanz zwo sieben null Komma neun Millionen Kilometer, also etwa fünfzehn Lichtminuten. Die kleinere Gruppe, bezeichnet als Tango-Zwo, ist uns deutlich näher. Abstand eins fünf Komma eins Millionen Kilometer, ungefähr zwo Millionen Kilometer diesseits von Sphinx. Bislang haben wir nur die Signaturen – die Keile wurden gerade erst hochgefahren. Aber der ersten Schätzung nach besteht Tango-Eins aus etwa sechzig Impellerquellen, Tango-Zwo aus etwa vierzig, und …«

Kurz hielt der Operationsoffizier inne und lauschte der Meldung, die ihn über den winzigen Ohrhörer aus der Operationszentrale der Oppenheimer erreichte. Er nickte.

»Tango-Eins beschleunigt in unsere Richtung, Admiral«, sagte er. »Beschleunigung liegt unterhalb von vierhundertsiebzig Gravos – ungefähr vier Komma sechs Kps Quadrat. Konstante Beschleunigung vorausgesetzt sollten sie unsere derzeitige Position in etwa vier Komma zwo Stunden erreichen. Auf dem kürzesten Anmarschvektor könnten sie schon in drei Stunden hier sein. Aber dann hätten sie eine Endgeschwindigkeit von beinahe fünfzigtausend Kps.«

»Verstanden«, bestätigte Filareta und kniff nachdenklich die Augen zusammen. Sein Blick galt den neuen Signaturen und den extrapolierten Vektoren auf dem Hauptplot.

Seit beinahe zwölf Minuten beschleunigte die Elfte Flotte in Richtung Sphinx. Mittlerweile hatte Filaretas Kampfverband annähernd 1,8 Millionen Kilometer zurückgelegt, etwa die Hälfte der Distanz bis zur Hypergrenze. Ihre Aufschließgeschwindigkeit zum Planeten in 17,1 Millionen Kilometern Entfernung betrug nun 3683 Kps. Doch Daniels Ortungsplattformen, die deutlich höhere Beschleunigungswerte erzielten, waren nur noch etwa 5,3 Millionen Kilometer von der näher gelegenen Manty-Formation entfernt und schlossen zu ihr mit 36 603 Kps auf. Das bedeutete, sie befanden sich 9,8 Millionen Kilometer vor den Schlachtgeschwadern der Elften Flotte. Entsprechend ergab sich für ihre Telemetrie eine Signalverzögerung von beinahe dreiunddreißig Sekunden. Solange würde es dauern, bis die mit Lichtgeschwindigkeit übertragene Bestätigung für die überlichtschnell ortbaren Impellersignaturen einträfe.

»Verband Tango-Eins ist zwar kleiner, aber Tango-Zwo befindet sich genau zwischen uns und dem Planeten, Sir«, bemerkte Burrows so leise, dass nur Filareta ihn hörte.

»Wie gesagt: Wir haben uns ja nicht gerade bemüht, sonderlich unauffällig zu bleiben«, erwiderte Filareta ebenso leise. »Es bedarf keines Genies, sich zu überlegen, dass dies der wahrscheinlichste Annäherungsvektor für einen Angreifer wäre, nicht wahr?« Er zuckte die Achseln. »Aber es sieht ganz so aus, als wären die Mantys da vorn so oder so im Eimer. Man braucht sich ja nur anzuschauen, wie weit Tango-Eins noch entfernt ist!« Mit dem Kinn deutete er in Richtung der größeren Ansammlung leuchtend roter Icons, die langsam der gewaltigen Armada der Solarier entgegenkrochen. »Mir ist völlig egal, ob deren Raketen eine Reichweite von vierzig oder fünfzig Millionen haben, verflucht! Außer Gott höchstselbst kann niemand ein Ziel in beinahe dreihundert Millionen Kilometer Entfernung treffen!« Filareta schüttelte den Kopf. »Nein, wir haben die in einer Position erwischt, in der sie sich nicht wechselseitig zu Hilfe kommen können. Tango-Zwo ist auf sich gestellt. Und der Kerl, der da drüben das Sagen hat, macht sich im Augenblick zweifellos schon in die Hose.«

»Meinen Sie denn nicht, es ist Harrington?«, fragte Burrows und verzog die Mundwinkel. Das angedeutete Lächeln stellte dezent in Frage, dass Filareta zumindest bei ›Kerl‹ wohl daneben lag.

»Wenn Harrington sich überhaupt im All befindet und nicht irgendwo auf der Oberfläche einer der Heimatwelten, dann befehligt sie Tango-Eins«, erklärte Filareta kategorisch. »Das ist schließlich der kampfstärkere der beiden Verbände.«

»Klingt logisch, Sir«, stimmte Burrows zu. Sein Lächeln wurde breiter. »Andererseits sieht es ganz danach aus, als hätte es die Mantys bei dem großen Angriff letztens heftiger erwischt, als unser Nachrichtendienst vermutet hat.«

»Möglich.«

Filareta blieb im Ton unverbindlich, obwohl Burrows recht haben mochte. Der Einschätzung des Flottennachrichtendienstes nach hatte der Schlachtwall der Mantys vor dem großen Schlag gegen sie aus etwa zweihundert Superdreadnoughts bestanden – doppelt so viele, wie sich hier gerade orten ließen. Natürlich konnte sich der Flottennachrichtendienst auch getäuscht haben. Filareta würde nicht einmal so tun, als wäre er nicht hocherfreut, wenn die Mantys deutlich schwächer waren, als die Analysen vor Beginn nahegelegt hatten. Aber wie sie ihre Verbände aufgeteilt hatten … das verwirrte den Flottenadmiral, und in Situationen wie dieser verwirrt zu werden, passte ihm überhaupt nicht.

Wie gesagt bedarf es keines Genies, sich zu überlegen, was der wahrscheinlichste Annäherungsvektor für uns wäre, richtig. Aber gesetzt den Fall, da draußen steht uns Harrington gegenüber – und wie könnte das anders sein, bedenkt man, wie sehr jeder die Deckplanken verehrt, auf denen sie wandelt: Wieso zum Teufel teilt sie ihre Schiffe so auf? Gut, jeder kann mal Mist bauen. Oder vielleicht hat Harrington ihren Verband massiert zum Einsatz bringen wollen, aber ist von den Zivilisten überstimmt worden. Das hier ist immerhin das Zentralsystem! Ich möchte gar nicht darüber nachdenken, wie Kolokoltsov und seine Mandarine jedem armen Schwein ständig über die Schulter blicken würden, der das Pech hätte, das Sol-System verteidigen zu müssen!

Nicht zum ersten Mal ertappte sich Filareta bei dem glühenden Wunsch, deutlich mehr über die ranghöchsten Offiziere der Gegenseite zu wissen. Burrows und Commodore Ulysses Sobolowski, sein Stabsnachrichtenoffizier, hatten natürlich ihr Bestes gegeben. Trotzdem hatte Filareta wenig in der Hand.

Es war bei dem eng kalkulierten Zeitfenster für diesen Einsatz nicht auch noch Zeit geblieben, sich aktualisierte Speicherauszüge von Alterde schicken zu lassen. Hätten die Planer hinter diesem Einsatz aber Kompetenz besessen, hätte ihnen klar sein müssen, dass wünschenswert gewesen wäre, aktualisierte Einschätzungen der wahrscheinlichsten Befehlshaber der Gegenseite vorliegen zu haben (und nicht bloß die Einsatzbefehle). Aber wahrscheinlich verlangte Filareta da zu viel. Oder er erwartete zu viel.

Nachdem der Elften Flotte also jegliche Updates verwehrt geblieben waren, hatte Sobolowski die vorhandenen Daten durchforstet. Für einen solarischen Stabsoffizier einer Streitmacht von der Größe der Elften Flotte bekleidete Sobolowski einen recht bescheidenen Dienstgrad. Das zeigte nur allzu deutlich, welche Bedeutung die SLN im Allgemeinen den Nachrichtendiensten beimaß. Trotzdem hatte Sobolowski selbst noch die kleinsten Informationsfetzen begutachtet, die ihm über Harrington vorlagen … und beklagenswert wenig herausgefunden. Schlimmer noch: Das Gros der Infos beschränkte sich auf Berichte der Standard-Medien … meist von Journalisten abgefasst, die keinen blassen Schimmer von Flotteneinsätzen hatten. Es waren oberflächliche Meldungen über den ›Salamander‹ (an schlechten Tagen gab das immer etwas her, womit sich die Auflagen steigern ließen). Aussagekräftige Informationen über Harringtons Taktiken oder operative Konzepte fanden sich nicht, dafür aber jede Menge maßlose Übertreibungen. Ach, wenn man sich an diesem Zeug orientierte, dann musste die Frau mindestens fünf Meter groß sein und Feuer spucken – und als Zahnstocher benutzte sie wahrscheinlich einen Leichten Kreuzer!

Der Gedanke ließ den Flottenadmiral kurz schnauben. Doch dann riss sich Filareta wieder zusammen. Ja, zweifellos fanden sich in diesen Berichten heillose Übertreibungen (und nur wenige Fakten), aber eines stand trotzdem fest: Harrington hatte wirklich Erfolge vorzuweisen. Es hatte Zeiten gegeben, da wäre Filareta ebenso wie seine Kollegen bereit gewesen, das alles einfach als Humbug abzutun. Wie gut musste denn eine Neobarbarin schon sein, um Neobarbaren zu erledigen? Doch das war vor der Schlacht von Spindle gewesen. Nach der Schlacht von Spindle hatte Filareta seine Meinung über das Können sämtlicher manticoranischen Offiziere deutlich revidiert. Nach oben.

Es stand anzunehmen, dass Haven und Manticore technisch in etwa gleichauf waren. Schließlich wäre der Krieg zwischen den beiden Sternnationen sonst schon längst vorbei gewesen. Auch diese Schlussfolgerung war alles andere als angenehm gewesen. Filareta nämlich erinnerte sich noch an eine Zeit, in der die technologisch hoffnungslos rückständige Volksflotte verzweifelt versucht hatte, sich jedwedes Stückchen solarischer Technologie anzueignen, das sie nur in die Finger bekommen konnte. Hier und jetzt aber zählte nur, dass Harrington, das beste Pferd im Stall der Mantys, einen Sieg nach dem anderen gegen einen Gegner errungen hatte, der annähernd ähnliche Leistungen an den Tag legte wie Gold Peak vor Spindle. Das vorausgesetzt durfte man Harrington wahrlich nicht auf die leichte Schulter nehmen. Also …

»Statusänderung!«, bellte Daniels plötzlich.

Filareta wirbelte rasch herum. So konnte er aus dem Augenwinkel gerade noch sehen, wie plötzlich hunderte weiterer Impellersignaturen auf dem Hauptplot aufflammten. Sie waren deutlich kleiner und schwächer als ihre Vorgänger: viel zu klein und zu schwach für Sternenschiffe. Doch sie waren der Elften Flotte auch mindestens zwei Millionen Kilometer näher, und …

»LACs, Sir«, erklärte Daniels kurz darauf bitter. »Verfügen wohl über verdammt gute Stealth-Systeme. Wir haben nichts mitbekommen, bis die ihre Keile hochgefahren haben … und von meinen Vorhut-Drohnen ist keine durchgekommen.«

»Verstehe.«

Filareta verstand Daniels Zorn nur zu gut. Aber als der Flottenadmiral die Datenkolonnen neben den schwächeren Impellersignaturen betrachtete, beunruhigte ihn etwas anderes deutlich mehr: das Timing des Gegners. Daniels hatte recht. Das mussten Leichte Angriffsboote sein. Nur waren diese Signaturen stärker als jeder LAC-Impellerkeil, den Filareta je gesehen hatte. Zudem hatten sie die vorderste Front von Daniels Aufklärungsplattformen in fünf Millionen Kilometern Entfernung zu Tango-Zwo zerstört. Das hatten sie mit Energiebewaffnung getan, was bedeutete, dass diese LACs für derart leichte Schiffe über eine immense Reichweite verfügten. Nun gut, Aufklärerdrohnen ließen sich leicht zerstören: Sie verließen sich mehr auf ihre Tarnsysteme denn auf Ausweichmanöver und wussten gar nicht, dass sich der Gegner vor ihnen befand. Das gab diesem ausreichend Zeit, sie zu orten und Feuerleitung aufzuschalten, während die Drohnen immer weiter fett, fröhlich und nichtsahnend durchs All sausten. Aber wenn die LACs in der Lage gewesen waren, Schusswinkel einzustellen, mit denen sie den Impellerkeilen der Drohnen auszuweichen vermochten …

Bei diesem Gedanken erschienen tiefe Sorgenfalten auf Filaretas Stirn. Ein solches Szenario verriete einiges über die Leistungsstärke der Manty-Sensoren und wie gut der Gegner auch schwer ortbare Ziele anvisieren konnte. Aber LACs waren immer noch LACs! Wie präzise sie auch zielen mochten, die Feuerkraft, um ein Wallschiff ernstlich zu bedrohen, brachten sie nicht auf, niemals! Immerhin waren Daniels’ Aufklärungsplattformen vor ihrer Zerstörung noch nah genug an den Gegner herangekommen, um die Superdreadnoughts von Tango-Zwo durchzuzählen: Dort draußen hielten sich also keine weiteren Wallschiffe mehr versteckt. Kein Admiral (außer Sandra Crandall und Josef Byng natürlich!) würde seine Verbände mit kalten Impellern herumstehen lassen, wenn auch nur die geringste Chance bestünde, bald könnten Raketen zum Einsatz kommen. Aber hochgefahrene Impeller eines Superdreadnoughts zu verdecken, nein, das könnten bei dieser geringen Distanz nicht einmal die Stealth-Systeme der Mantys schaffen!

Dicht genug an mir dran, aber viel zu weit von Tango-Eins entfernt für Hilfe von dort!

Vorfreude kam in Filareta auf, mehr als erwartet. Niemals hatte er damit gerechnet, Harrington werde ihm eine solche Gelegenheit bieten. Der Flottenadmiral zwang sich dazu, seine Vorfreude zu bezähmen und stattdessen erst einmal nachzudenken.

Alpha oder Bravo, Massimo?, fragte er sich selbst. Lassen wir’s langsam angehen, oder stürzen wir uns gleich mitten hinein?

Er warf einen Blick auf sein Chronometer. Der ursprüngliche Einsatzplan sah ohnehin für diesen Zeitpunkt die Entscheidung vor, ob sich die Elfte Flotte der Hypergrenze nähern sollte oder nicht. Aber durch die Tölpelhaftigkeit, mit der die Manty-Verbände aufgestellt worden waren, besaß die Entscheidung unerwartet Dringlichkeit. Bei Annäherung Alpha müsste die Elfte Flotte jetzt abbremsen und ihre Geschwindigkeit auf ein Minimum reduzieren. Denn das garantierte, mit minimalem Zeitaufwand im Notfall wieder zur Hypergrenze zurückkehren zu können. Annäherung Bravo hingegen ließe die Flotte bei derzeitigen Beschleunigungswerten so rasch wie möglich in effektive Reichweite zum Planeten (und etwaiger Verteidiger) gelangen. Das jedoch bedeutete, tiefer ins gegnerische System vorzustoßen, als Filareta lieb war. Denn die Aufschlussgeschwindigkeit könnte erst sehr viel später verringert werden – und entsprechend lange würde es dauern, wieder die Hypergrenze zu überqueren.

Eigentlich hielt Filareta Annäherung Bravo für eine aus der Not der Verzweiflung geborene Taktik – wie den Versuch eines Boxers, so dicht wie möglich an den Gegner heranzukommen. Das tat ein Boxer nur im Kampf gegen einen größeren, kräftigeren Gegner, um sicherzustellen, selbst auch ein paar Treffer landen zu können. Angesichts der größeren Reichweite der Manty-Raketen, über die berichtet worden war, war Filareta davon ausgegangen, ein solches Vorgehen würde nie funktionieren.

Doch nun hatte er Tango-Zwo kalt erwischt. Tatenlos standen die Schiffe des Gegners im All. Gewiss, die Beschleunigungswerte, die Tango-Eins derzeit vorlegte, nachdem die Impellerkeile hochgefahren waren, mussten Solarier trotz der gelegentlich darüber eingegangenen Berichte schockieren. Immerhin ließen die derzeitigen Werte einen Beschleunigungsvorteil von beinahe vierzig Prozent im Vergleich zu Filaretas Schiffen vermuten. Trotzdem war Tango-Eins noch mindestens drei Stunden weit entfernt. Die Elfte Flotte hingegen konnte die aktuelle Position von Tango-Zwo innerhalb von fünfunddreißig Minuten erreichen – und den Orbit von Sphinx in achtunddreißig Minuten. Tango-Zwo bräuchte selbst bei sofortiger Beschleunigung siebenundvierzig Minuten, um sich Filaretas Geschwindigkeit anzupassen. Noch ehe dies geschähe, betrüge der Abstand zwischen ihnen weniger als zehn Millionen Kilometer … und Filaretas Elfte Flotte wäre schon knapp sieben Millionen Kilometer innerhalb des Orbits von Sphinx.

Das ließe Tango-Zwo niemals zu. Filareta könnte so ja die gesamte Orbital-Infrastruktur von Sphinx einnehmen und rechtmäßig die Kapitulation des Planeten verlangen. Den Mantys bliebe also nur, sich zurückziehen, dichter an den Planeten heran, um den Abstand zum Gegner so groß wie möglich zu halten. Filareta bezweifelte allerdings, dass die Mantys ihn dichter zum Planeten aufkommen ließen, als sich gerade eben vermeiden ließe. Genau dann würden sie ihn angreifen. Beföhle Filareta aber die derzeitige Beschleunigung beizubehalten, könnten die Mantys den Abstand zu ihm nicht vergrößern. Ihr Zeitfenster für Reaktionen schlösse sich schneller, und sie müssten sich viel rascher zum Kampf stellen. Das war alles andere als unbedeutend für Filareta und seine Elfte Flotte. Was Treffgenauigkeit anging, legten die bisherigen Berichte nahe, dass die Mantys bei großen Distanzen um einiges besser waren als die Solarier. Also schien es Filareta sinnvoll, Tango-Zwo keine Gelegenheit zu bieten, Abstand zu ihm zu halten – und ihm so mit ihren Raketen größerer Reichweite die Lichter auszupusten. Tango-Zwo rasch zu erledigen hatte zudem ja auch den hübschen Nebeneffekt, dass Tango-Eins zu weit entfernt war, um seinen Kameraden zu Hilfe zu eilen.

Wenn sich was Neues ergibt, kann ich es mir immer noch anders überlegen und in den Hyperraum transistieren, bevor wir die Hypergrenze erreichen.

»Na ja, wenigstens wissen wir jetzt, dass sie uns bemerkt haben«, sagte Filareta. »Setzen Sie neue Ortungsplattformen aus, Bill! Und in der Zwischenzeit«, seine Nasenflügel bebten, als er endlich eine Entscheidung traf, »halten wir uns an Annäherung Bravo.« Ein dünnes Lächeln umspielte seine Lippen. »Ich rechne damit, schon bald etwas von denen zu hören!«

Kapitel 2

»Immer noch keine Signale von unserem Besuch, Harper?«

»Nein, Hoheit, bislang noch nicht«, erwiderte Lieutenant Commander Brantley.

»Bitte, Hoheit, korrigieren Sie mich, falls ich mich täusche«, meldete sich nun Cardones von seiner eigenen Brücke aus. Sein Gesicht erschien auf einem Display, das über eine Standleitung mit dem Kommandodeck der Imperator verbunden war. »Aber sind diese Leute nicht hier, um uns aufzufordern, zu kapitulieren?«

»So, Captain Cardones, habe ich deren Einsatzbefehl verstanden, ja«, erwiderte Admiral Honor Alexander-Harrington und betrachtete aus ihren Mandelaugen nachdenklich den taktischen Hauptplot.

»Sollten die das dann nicht … na ja, allmählich auch mal tun?«

»Ich bin mir sicher, früher oder später machen die das schon noch, Rafe. Wahrscheinlich warten sie nur auf den richtigen Zeitpunkt«, erklärte Honor ihrem Flaggkommandanten. »Bitte vergessen Sie nicht: Unseres Wissens hatte keiner von denen eine Ahnung, dass wir über Filaretas Kommen schon im Vorfeld informiert waren.« Kaum merklich zuckte Honor die Achseln. »Wahrscheinlich halten es die Sollys für eine gute Idee, uns erst noch ein bisschen in Panik geraten und im eigenen Saft schmoren zu lassen. Dann, so glauben sie sicher, sind wir hinreichend zermürbt, um uns Kapitulationsbedingungen diktieren zu lassen.«

»Vielleicht, ja. Aber, Hoheit, wir haben gerade einen ganzen Haufen ihrer Aufklärer-Drohnen zerstört«, gab Cardones zu bedenken. »Nicht einmal einem Solly hat entgehen können, dass wir die Keile hochgefahren haben. Gastfreundlichkeit sieht anders aus, oder etwa nicht? Die sind nur noch sechs Minuten von der Hypergrenze entfernt. An deren Stelle würde ich jetzt allmählich mal anfangen, große Reden zu schwingen, sonst ist’s dafür zu spät!«

»Das liegt nur daran, dass Sie von Natur aus sehr redselig sind«, erwiderte Honor, obwohl ihr eigentlich nicht der Sinn nach Scherzen stand. »Manch anderer ist da eher vom starken, schweigsamen Schlag!«

Cardones schnaubte, und Honor konnte nicht anders als lächeln. Der Gedanke an die sich gerade anbahnende Lage wischte ihr dieses Lächeln allerdings wieder vom Gesicht. Bislang lief noch alles nach Plan. Aber das machte es auch nicht besser. Cardones hatte recht: Allmählich wurde die Zeit knapp. Honors Nervosität stieg immer, wenn Dinge unerwartet gut liefen. Denn ihrer Erfahrung nach ließ sich Murphy früher oder später immer blicken. Sie rechnete daher fest mit seinem Aufkreuzen innerhalb der nächsten Minuten.

Das Timing bei diesem ganzen Unternehmen hatte Honor reichlich Kopfzerbrechen bereitet, vor allem das Timing bei diesem Teil des Einsatzes. Sie hatte sich gezwungen gesehen, bei ihren Überlegungen sowohl zu berücksichtigen, welche Beschleunigungswerte Filareta vermutlich vorlegen, als auch, was er mit seinen Aufklärungsplattformen anstellen würde.

Im Gegensatz zur RMN hielt sich die SLN immer noch an die Maximalschub-Grenze, was achtzig Prozent dessen war, was die Trägheitskompensatoren zu leisten vermochten. Die Kompensatoren von Filaretas Schiffen waren deutlich weniger effizient als Honors eigene. Nachdem sie sich eingestanden hatte, eigentlich zu wenig über Filareta zu wissen, wagte sie trotzdem anzunehmen, er würde die Sicherheitsgrenze ein wenig überschreiten und sich für eine Einstellung von fünfundachtzig Prozent entscheiden. Damit hätte er eine Beschleunigung von 3,5 Kps2 erreichen können. Nun war er auf nur 3.311 Kps2 angekommen, dem alten Achtzig-Prozent-Standard. Das beunruhigte Honor. Nicht, weil es einen nennenswerten Unterschied gemachte hätte, sondern weil Filareta anscheinend vorsichtiger war als gedacht. Hielte sich Filareta noch an den ursprünglichen Plan für seinen Besuch beim Gegner, hätte das Honor nur recht sein können. Aber angesichts der veränderten Ziele von Unternehmen Cannae hätte Honor es vorgezogen, einem etwas verwegeneren Gegner gegenüberzustehen.

Na ja, zumindest bis kurz vor dem Ende, rief sie sich ins Gedächtnis zurück, und ihre Mundwinkel zuckten unwillkürlich.

Besonders knifflig war das Timing jedoch im Hinblick auf die Aufklärungsdrohnen gewesen, und da sahen die Zahlenwerte für Honor deutlich besser aus. Da die solarischen Aufklärungsplattformen, anders als die Geisterreiter, nicht über bordeigene Fusionskraftwerke verfügten, fielen ihre Beschleunigungswerte recht niedrig aus. Auch bei Reichweite und Leistungsfähigkeit sahen die Plattformen im Vergleich zu ihren manticoranischen Gegenstücken erbärmlich aus. Fünftausend Gravos war das Beste, was sie zustande brachten, und selbst diesen Leistungspegel vermochten sie nicht allzu lange zu halten. Andererseits hatte man bei Unternehmen Heiliger Zorn offensichtlich einen sehr … direkten Ansatz gewählt. Allzu lange musste Filaretas Aufklärerdrohnenschirm gar nicht durchhalten. Vermutlich verfügte die Flotte der Solarier, sollte eine längere Verweilzeit erforderlich werden, noch über genügend Plattformen, um den Schirm nach Bedarf wieder aufzufüllen.

Deswegen hatte Honor angenommen, die Solarier würden mit maximaler Beschleunigung aufkommen. Genau darauf hatte sie die Aktivierung der Impellerkeile zeitlich abgestimmt. Ziel war, Filareta lange und damit deutlich genug sehen zu lassen, was sie ihn sehen lassen wollte, bevor ihre äußersten LAC-Verbände die Solly-Aufklärerdrohnen aus dem Weg räumten. Eigentlich war sich Honor sicher, dass ihr das gelungen war. Ihr Gegner wusste jetzt, dass ihr nur vierzig Superdreadnoughts direkt unterstellt waren – ohne Entsatz in Reichweite. Dass Filareta auch die ›Superdreadnoughts‹ zwischen Sphinx und Manticore gesehen hatte, darauf machte sich Honor berechtigte Hoffnung. Genug Zeit, um seine Aufklärerdrohnen dicht genug zu diesem zweiten Kampfverband aufkommen zu lassen, war dem gegnerischen Admiral hingegen nicht geblieben. Er hatte demnach nicht bemerkt, dass es sich bei dem zweiten Verband in Wirklichkeit nur um Versorgungsschiffe mit Impellern und Kompensatoren in Militärausführung handelte. Genau so sollte es sein – und auch bleiben.

Honors eigene äußerst gut getarnte Plattformen waren so ausgesetzt worden, dass sie eine Sphäre von mehr als zehn Lichtminuten Durchmesser abschirmten. Im Mittelpunkt dieser Sphäre befand sich HMS Imperator. Die Sensoren der Geisterreiter waren deutlich leistungsstärker als alles, was die RMN an solarischer Hardware nach Sandra Crandalls Kapitulation hatte untersuchen können. Mittlerweile hatten die Geisterreiter Honor mit detaillierten Informationen über Filaretas Superdreadnoughts, seinen Drohnen und Plattformen versorgt. Deswegen wusste Honor auch, dass Filaretas Reaktion auf die Zerstörung seiner Aufklärerdrohnen genau wie erhofft ausgefallen war. Der Solly-Admiral ließ die ihm noch verbliebenen, weiter entfernten Drohnen jetzt auf Honors Schiffe zuhalten. Er versuchte, sie so nahe wie die zuvor verlorenen an den Gegner heranzubringen. Wahrscheinlich hätte Honor an seiner Stelle genau das Gleiche getan.

Und es steht zu hoffen, dass sich das bei ihm genauso gewaltig rächen wird, wie es sich bei mir gerächt hätte, dachte sie mit grimmiger Belustigung. Wenn ich ihn jetzt nur noch irgendwie dazu bewegen kann, seine Beschleunigung aufrechtzuerhalten …

»Verzeihung, Hoheit«, meldete sich Andrea Jaruwalski. »Die vorderen Aufklärerplattformen bestätigen, dass die feindlichen Superdreadnoughts Gondeln abkoppeln.«

»Abkoppeln? Oder schleppen sie die Gondeln schon die ganze Zeit, und sie sind uns jetzt erst aufgefallen?«

»Abkoppeln, Hoheit«, beantwortete Jaruwalski die Frage entschlossen. »Die müssen mit Traktorstrahlen innerhalb der Keile verankert gewesen sein.«

»Fragen Sie sich gerade, ob das die Beschleunigungswerte des Gegners erklärt, Hoheit?«, erkundigte sich Brigham. Honor nickte.

»Genau. Gibt es schon Anzeichen dafür, dass der Gegner nach Abkopplung der Gondeln weiter Geschwindigkeit verliert, Andrea?«

»Bislang noch nicht, Hoheit«, erwiderte Jaruwalski. »Der Anzahl der Gondeln nach, die abgekoppelt werden, müssen die Sollys ihre Kompensatoren gute acht bis zehn Prozent über den Sicherheitsstandard hinaus belastet haben, um ihre derzeitige Beschleunigung zu erreichen. Wenn die also jetzt nicht den Energieausstoß vermindern, heißt das meines Erachtens, dass die’s ziemlich ernst meinen.«

»Das trifft’s wohl perfekt«, gestand Brigham ein. »Aber ich frage mich vor allem, was sich in diesen Gondeln befindet. Und wo kommen die so plötzlich her?«

»An was denken Sie? An die Technodyne-Gondeln, über die Terekhov in Monica gestolpert ist?«, fragte Jaruwalski nachdenklich.

»So in etwa. Oder was auch immer Mesa vor Congo gegen Rozsak zum Einsatz gebracht hat.« Brigham zuckte mit den Schultern. »Aber egal: Die Sollys würden sich nicht mit so was abmühen, wenn sich in diesen Gondeln nicht etwas befände, was sie für leistungsstärker halten als ihre aus Werfern abgefeuerten Standardvögelchen. Mir gefällt überhaupt nicht, sie könnten damit recht haben. Aber eines macht das klar: Sie haben das Zeug sehr bereitwillig – geradezu mustergültig in ihrem Eifer – hierhergeschafft.«

»Damit haben Sie den Nagel wohl auf den Kopf getroffen«, meinte Honor. »Und vor diesem Hintergrund ist es jetzt wohl an der Zeit, unseren Besuch willkommen zu heißen.« Sie blickte zu Brantley hinüber. »Bereit, Harper?«

»Jawohl, Hoheit.«

»Und? Sind Sie auch bereit?«, fragte Honor und wandte sich mit einem schiefen Grinsen Theisman zu.

»Oh, das könnte man so sagen, Hoheit«, erwiderte er. »Und für Lester gilt gewiss das Gleiche.«

»Dann achten Sie bitte darauf, dass Sie erst zum richtigen Moment in den Erfassungsbereich des Aufzeichners kommen!«

Honor wedelte mit den Händen, als wolle sie Theisman verscheuchen. Nimitz stieß ein bliekendes Lachen aus, als der Kriegsminister der Republik Haven der Aufforderung umgehend nachkam. Nimitz’ Skinsuit verhinderte, dass die ’Katz in der sonst üblichen Weise auch noch belustigt mit dem Schweif wedelte, doch sein Amüsement war dennoch unverkennbar. Springt-von-droben, dem man auch einen Skinsuit angepasst hatte, saß auf Theismans Schulter und lachte ebenfalls.

Honor wartete noch einen Moment, um sicherzustellen, dass sich alle dort befanden, wo sie auch hingehörten. Dann nickte sie Jaruwalski zu.

»Schicken Sie die Cantata zu Admiral Tourville, Andrea!«

»Wir haben die Freigabe erhalten, Skipper!«, meldete Brynach Lacharn unvermittelt. »Nummer sieben in der Warteschlange!«

Angesichts dieser Meldung blickte Hamilton Trudeau erstaunt auf. Er hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass die Mantys DB 17025 überhaupt den Transit gestatten würden, und ganz gewiss nicht derart vorrangig. Vielleicht waren die Leute, die sich diese INS-Tarngeschichte ausgedacht hatten, doch nicht so dämlich, wie er ursprünglich gedacht hatte.

»Also gut, Tommy«, meinte er munter und wandte sich Ensign Thomasina Tsiang zu, die als Astrogatorin der dritthöchste Offizier des Kurierbootes war, »dann reihen Sie uns ein! Wo wir jetzt einen freien Platz bekommen haben, wollen wir den doch nicht verpassen!«

»Aye, Skipper.«

Das Kurierboot war klein genug, dass Tsiang das Ruder persönlich übernehmen konnte, statt einfach nur einen entsprechenden Befehl weiterzuleiten. Tsiang genoss es, selbst Hand anzulegen, wann immer das möglich war. Nun beschleunigte DB 17025 behutsam und glitt gemächlich an den massigen Frachtern und Passagierschiffen vorbei, die ebenfalls auf die Transit-Freigabe warteten. Trudeau vermutete, zumindest auf den Brücken der Schiffe, die sie hier überholten, gäbe es jetzt einige Fälle von bedrohlichem Bluthochdruck, aber das war ihm egal. Er wünschte nur, er hätte bessere Informationen – oder überhaupt irgendwelche Informationen! – darüber, wie sich der Rest von Unternehmen Heiliger Zorn machte.

Und er wurde das Gefühl nicht los, dass es Admiral Tsang ganz genauso ging.

»Halten wir das wirklich für eine gute Idee, Ma’am?«

Christopher Dombroski klang unbestreitbar skeptisch, als er zuschaute, wie das Icon des Kurierbootes stetig auf den Beowulf-Terminus zuhielt.

»Definieren Sie ›gute Idee‹!«, erwiderte Admiral Stephania Grimm und grinste schief.

»Na ja, ich dachte, es wäre einfacher, die hier nur hinzuhalten«, gab Captain Dombroski zurück. »Ich meine, ohne unsere Freigabe säßen die hier fest – so lange, bis alles – auf die eine oder andere Weise – vorbei gewesen wäre. Eigentlich hätte man doch den Beowulf-Terminus überhaupt nicht in die ganze Sache zu verwickeln brauchen. Ich dachte, es wäre gar nicht schlecht, Beowulf sozusagen als Ass im Ärmel zu behalten – nur für den Fall der Fälle. Der Gedanke hätte doch wirklich etwas für sich.«

»In mancherlei Hinsicht gebe ich Ihnen sogar recht«, bestätigte Grimm. Angesichts ihrer Position und der Rolle, die man ihnen zugedacht hatte, waren Dombroski und sie recht gut über die Gedankengebäude informiert, die jetzt zur Freigabe für das Kurierboot geführt hatten. Alles war Teil eines größeren Plans. Trotzdem war Grimm der Ansicht, der Captain hätte recht, nur …

»Mir wäre es schwergefallen, so eine Entscheidung zu treffen«, sagte sie schließlich. »Genau wie den tatsächlichen Entscheidungsträgern. Mein Gefühl sagt mir, die Beowulfianer selbst haben diese Entscheidung getroffen, nicht einer von unserer Seite des Knotens. Ausschlaggebend ist wohl, dass man auf Beowulf so richtig sauer auf das Mesanische Alignment ist. Beowulf will also auf keinen Fall nur auf der Ersatzbank abwarten, während wir uns das Alignment vornehmen. Außerdem widert die Beowulfianer genauso wie alle anderen an, wie Kolokoltsov und die Mandarine die ganze Lage verbockt haben. Die Liga in einen Chaoshaufen zu verwandeln, ha! Auf diese Weise aber beziehen die Beowulfianer klar Stellung – und können allen beweisen, warum sie die Seite wechseln und sich uns anschließen mussten, meine ich: Die wollen auch noch Admiral Tsang ins Boot holen. Die wollen sie dazu bewegen, offen ihren Teil zu Unternehmen Heiliger Zorn beizutragen. Dann haben sie zusätzliche Beweise dafür, wie übel Kolokoltsovs Apparatschiks der Liga-Verfassung mitspielen.«

Nachdenklich schürzte Grimm die Lippen. Dann zuckte sie mit den Schultern.

»Aber egal, die Entscheidung haben ranghöhere und besser bezahlte Leute getroffen, nicht wir. Also werden wir uns daran halten müssen. Und«, ein flüchtiges Lächeln spielte um ihren Mund, »ich muss zugeben, ich bin verdammt neugierig, worauf das alles hinausläuft.«

»Also gut, Harper«, sagte Honor und schaute zu, wie das Icon von HMS Cantata von ihrem Plot verschwand, »würden Sie mich dann bitte zu Admiral Filareta durchstellen?«

»Admiral, gerade trifft eine Kommunikationsanfrage ein.«

Filareta blickte zu Admiral Burrows hinüber und hob angesichts der Meldung fragend eine Augenbraue. In 14 875 000 Kilometern Entfernung stand der zahlenmäßig hoffnungslos unterlegene Schlachtwall der Mantys reglos im All. Er behielt seine Position relativ zum Planeten bei, annähernd fünfzig Lichtsekunden von Filaretas eigener, deutlich größerer Formation entfernt. Der Flottenadmiral war erstaunt, dass die Mantys bislang noch nicht beschleunigt und sich zurückgezogen hatten. Aber beschweren wollte er sich darüber wahrlich nicht.

»Ich hatte mich schon gefragt, wie lange die noch brauchen würden«, sagte er.

»Ehrlich gesagt bin ich erstaunt, dass sie überhaupt so lange gewartet haben, Sir«, erwiderte Burrows mit einem rauen Lachen.

»Von wem stammt die Nachricht, Reuben?« Filareta wandte sich wieder dem Hauptplot zu und blickte Captain Reuben Sedgewick an, seinen Stabssignaloffizier.

»Von Admiral Harrington, Sir«, erwiderte Sedgewick. Sein Tonfall klang sonderbar, und Filareta runzelte die Stirn. Jegliche lichtschnell übertragene Kommunikationsanfrage, die derart rasch bei ihnen eintraf, musste von Tango-Zwo stammen. Der Flottenadmiral war ernstlich überrascht, dass sich Harrington bei diesem Verband aufhielt und nicht bei Tango-Eins. Doch das allein erklärte Sedgewicks sonderbaren Tonfall nicht.

»Gibt es ein Problem, Reuben?«

Filaretas Tonfall fiel deutlich kühler aus als zuvor.

»Es ist nur …« Sedgewick zögert, dann hob er entschuldigend die Achseln. »Sie hat ausdrücklich nach Ihnen gefragt, Admiral. Und sie … öhm … sie hat Sie ausdrücklich als den Kommandeur der Elften Flotte bezeichnet.«