Honor Harrington: Ein neuer Krieg - David Weber - E-Book

Honor Harrington: Ein neuer Krieg E-Book

David Weber

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Beschreibung

Die Waffen ruhen, aber die Messer werden gewetzt. Nach dem Siegeszug der Achten Flotte unter Admiral Hamish Alexander hat die neue Regierung Manticores ein Waffenstillstandsangebot der Volksrepublik Haven angenommen, und seit über drei Jahren ziehen sich die Friedensverhandlungen nun schon hin, ohne auch nur einen Schritt voranzukommen. Aber nicht die Haveniten sind an diesem Stillstand interessiert, sondern die neue manticoranische Regierung unter dem Baron von High Ridge, welche die hohen Kriegssteuereinkünfte für eigene Zwecke verwendet, während sie gleichzeitig die Flotte abbaut. Als Admiral Lady Dame Honor Harrington politisch dagegen vorgehen will, bläst die Regierung zur Hexenjagd auf Honor...

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Seitenzahl: 798

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Einneuer Krieg

Roman

Ins Deutsche übertragenvon Dietmar Schmidt

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Deutsche Erstveröffentlichung

Titel der amerikanischen Originalausgabe: War of Honor, Teil 1

Copyright © 2002 by David M. Weber

Für die deutschsprachige Ausgabe

Copyright © 2004/2014 by Bastei Lübbe AG, Köln

Published by arrangement with

BAEN PUBLISHING ENTERPRISE

This book was negotiated through Literary Agency

Thomas Schlück GmbH; 30827 Garbsen

Lektorat: Ruggero Leò / Stefan Bauer

Titelillustration: David Mattingly / Agentur Schlück

Umschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg

E-Book-Produktion: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-8387-0967-3

Sie finden uns im Internet unterwww.luebbe.de

Bitte beachten Sie auch: www.lesejury.de

Für alle Adoptiveltern,die den echten Herzenshunger kennen.Gott segne sie.

PROLOG

»Signalstation hat es soeben bestätigt, Herr Kapitän.« Korvettenkapitän Engelmann klang, als könnte er nicht ganz glauben, was er gerade gemeldet hatte.

»Sie scherzen wohl.« Kapitän Huang Glockauer von der Kaiserlich-Andermanischen Weltraumflotte, Kommandant des Schweren Kreuzers SMS Gangying, blickte seinen Ersten Offizier erstaunt an. »Code Siebzehn-Alfa?«

»Eindeutig, Herr Kapitän. Ruihuan ist sich sicher. Seit dreizehn Uhr sechs senden sie es.« Engelmann blickte auf das Chronometer am Schott. »Das geht jetzt schon über sechs Minuten so, deshalb glaube ich nicht, dass es ein Irrtum ist.«

»Dann wird es wohl eine Fehlfunktion sein«, brummte Glockauer, während er den Blick wieder auf seinen Hilfsplot richtete. Er musterte den vier Megatonnen maßenden Frachter, der unter andermanischer Flagge lief und den die Gangying soeben routinegemäß um Identifikation ersucht hatte. »Niemand kann so dumm sein, dass er versucht, an uns vorbeizukommen, indem er einen Siebzehn-Alfa sendet - noch dazu als Antwort auf eine konkrete Anfrage!«

»Dem kann ich nichts entgegenhalten, Käpt'n«, sagte Engelmann. Er wusste zwar, dass der Kommandant ihn eigentlich gar nicht angesprochen hatte, aber als Erster Offizier hatte er hin und wieder das Alter Ego des Vorgesetzten zu spielen. In erster Linie trug der I.O. die Verantwortung für den reibungslosen Ablauf des Schiffbetriebs, doch das war nicht alles: Immer, wenn der Kommandant eines Publikums bedurfte, das auf seine Überlegungen reagierte, hatte der I.O. es ihm zu stellen, und die augenblickliche Lage war so eigenartig, dass Glockauer dringend Resonanz benötigte.

»Andererseits«, fuhr der I.O. fort, »habe ich im Laufe der Jahre schon ziemlich oft erlebt, dass Piraten auf dämliche Ideen kommen.«

»Ich auch«, räumte Glockauer ein. »Aber das hier setzt doch dem Fass die Krone auf.«

»Das sehe ich auch so, Herr Kapitän«, sagte Engelmann zurückhaltend, »und deshalb frage ich mich, ob die da wirklich so dumm sind oder eher ziemlich gerissen.«

»Wie meinen Sie das?«

»Nun, jeder weiß, wie ein Kaperer sich verhält, der ein Handelsschiff in seine Gewalt gebracht hat: Er versucht, jedem Militärschiff, das seinen Weg kreuzt, Sand in die Augen zu streuen. Die meisten Flotten haben wenigstens die Schiffsliste ihrer eigenen Sternnation abgespeichert - komplett mit Transpondercodes und Emissionssignatur. Piraten wissen also, dass es nicht ungefährlich ist, einen gefälschten Transpondercode zu benutzen, da eine aufmerksame Ortungs-­ und Signalabteilung jederzeit die Signatur überprüfen und die unvermeidbaren kleinen Abweichungen vom Original bemerken könnte.« Der I.O. zuckte mit den Schultern. »Deshalb benutzen Piraten in der Regel den echten Code weiter, bis sie ihre Prise irgendwo in Sicherheit gebracht haben, statt einen neuen, gefälschten zu erzeugen.«

»Ja, natürlich«, murmelte Glockauer, als sein Stellvertreter schwieg. Seine Erwiderung hätte durchaus ungeduldig klingen können, denn Engelmann hatte ihm soeben etwas erklärt, was sie beide sehr genau wussten. Der Kommandant erkannte jedoch am Tonfall seines Eins-O, dass er auf etwas Bestimmtes hinauswollte, daher ließ Glockauer ihm gern die Zeit, die Voraussetzungen für seine Darlegung auszubreiten.

»Und ich frage mich nun, Käpt'n«, fuhr der Korvettenkapitän fort, »ob bei Reichenbach vielleicht jemand eine Möglichkeit gefunden hat, diese Tendenz auszunutzen. Angenommen, man stellt die Sendersoftware so ein, dass der Transponder insgeheim einen Siebzehn-Alfa anhängt, sobald das Schiff gekapert wird? Wer auf so eine Idee kommt, der manipuliert auch die Software so, dass sie den Siebzehn-Alfa wieder herausfiltert, sobald die Brückenbesatzung sich den Transpondercode vorspielen lässt.«

»Sie wollen sagen, dass jemand in der Schiffsführung eine Art Falle im Transponderprogramm aktiviert hat, als ihm klar wurde, dass das Schiff jeden Moment gekapert werden könnte?«

»Ich will nur sagen, dass es vielleicht so gewesen ist«, entgegnete Engelmann. »Überlegen Sie mal. Gegen ein Piratenschiff hat ein normaler Frachter nicht den Hauch einer Chance. Er ist unbewaffnet, und wenn er versucht, sich gegen die Entermannschaft zu verteidigen, erreicht er damit nur eins: dass seine Besatzung massakriert wird, sobald die Piraten an Bord sind. Wenn die Schiffsführung also eine Falle im Transponderprogramm eingebaut hat, dann wäre die Versuchung für sie sicher ziemlich groß gewesen, diese Falle auch auszuprobieren.«

»Hm.« Glockauer rieb sich nachdenklich die Oberlippe. »Sie könnten Recht haben. Besonders, wenn die Piraten die Besatzung am Leben gelassen haben und die Leute dazu zwingen, im Schiff für sie zu arbeiten. Ihre größte Chance auf Rettung - eigentlich sogar ihre einzige - wäre, dass die Piraten einem Kriegsschiff über den Weg laufen, das irgendwie bemerkt, dass der Frachter gekapert worden ist.«

Er rieb sich die Lippe noch stärker, während er das Szenario überdachte, das Engelmann und er besprachen. Code Siebzehn war ein allgemein verbreiteter Standard-Transpondercode für Handelsschiffe, der jedoch bedeutend häufiger in schlechten Abenteuergeschichten eingesetzt wurde als in der Wirklichkeit. Im Klartext bedeutete Code Siebzehn: ›Ich werde von Piraten geentert‹, doch hatte es keinen Sinn, diesen Code zu senden - es sei denn, es hätte sich in dem Moment, in dem die Piraten andockten, ein befreundetes Kriegsschiff sozusagen auf Griffweite des Frachters befunden. Ein Pirat würde angesichts eines Code Siebzehn seinen Angriff dann abbrechen, wenn er befürchten musste, dass tatsächlich ein Kriegsschiff in Abfangreichweite war, das den Notruf empfangen und darauf reagieren könnte. Das jedoch kam so selten vor, dass sehr viele Frachterkapitäne es vorzogen, unter gar keinen Umständen Code Siebzehn zu senden. Jeder wusste, dass Piraten an allen Handelsfahrern, die Gegenwehr leisteten - oder um Hilfe riefen -, blutige Rache nahmen.

Siebzehn-Alfa wurde indessen noch seltener benutzt als ein reiner Code Siebzehn. Siebzehn-Alfa bedeutete nicht ›Ich werde von Piraten geentert‹, sondern: ›Ich bin von Piraten geentert und gekapert worden.‹ Glockauer hatte noch nie gehört, dass außerhalb einer Raumkampfübung jemand je einen Siebzehn-Alfa gesendet hätte.

»Trotzdem«, fuhr er fort, »wäre das gefährlich. Wenn die Prisenmannschaft der Piraten den Transponder aktivieren würde, solange ihr eigenes Schiff noch in Reichweite ist, würde der Siebzehn-Alfa sofort entdeckt, ganz gleich, wie umfassend die Software des Frachters manipuliert wurde. Selbst wenn sie den Transponder erst einschalten, wenn ihre Komplizen außer Empfangsreichweite sind, laufen sie irgendwann einen Hafen an, und dann hört jemand anders den Code. Das würde für den, der die Falle aktiviert hat, mit Sicherheit einige sehr unangenehme Konsequenzen bedeuten.«

»Keine Frage«, räumte Engelmann schulterzuckend ein. »Anderseits steckt vielleicht folgende Überlegung dahinter: Entweder massakrieren die Piraten die Besatzung gleich nach der Kaperung oder spätestens dann, wenn der Frachter seinen neuen Bestimmungsort erreicht. Da ist es doch das Risiko wert, wenn man versucht, etwaigen Überlebenden wenigstens eine kleine Chance auf Rettung zu verschaffen.«

»Das stimmt schon«, pflichtete Glockauer seinem Eins-O bei. »Und ich könnte mir vorstellen, dass sie noch ein paar zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen in diese Software eingebaut haben, über die wir spekulieren. Was zum Beispiel, wenn das Programm den Siebzehn-Alfa verspätet aktiviert? Wenn der Frachter nach dem Entern noch, sagen wir, vierundzwanzig oder sechsunddreißig Stunden lang einen sauberen Transpondercode abstrahlt und dann erst den Siebzehn-Alfa anhängt? In diesem Fall stehen die Chancen ganz gut, dass der Piratenkreuzer, von dem die Enterer kamen, längst außer Reichweite verschwunden ist. Und das Programm könnte sogar so intelligent eingerichtet sein, dass es den Code Siebzehn nach einer bestimmten Zeitspanne oder unter bestimmten Umständen einstellt - zum Beispiel, nachdem das Schiff zum ersten Mal wieder aus dem Hyperraum transistiert ist.«

Engelmann nickte. »Das wäre möglich. Es ginge sogar noch einfacher. Der Frachter hat nur aus dem Grund gesendet, weil wir seine Identifikation angefordert haben, Käpt'n. Und dabei haben wir uns als Kriegsschiff zu erkennen gegeben.«

»Na, Binyan, das ist ja ein ausgezeichneter Gedanke«, lobte Glockauer ihn. »Wenn die Software programmiert ist, den Siebzehn-Alfa automatisch anzuhängen, wenn ein Kriegsschiff eine Identifikation verlangt, aber unter allen anderen Umständen nicht ...«

»Genau«, sagte der Erste Offizier. »Aber falls überhaupt etwas an unserer Theorie dran ist, hätte Reichenbach uns wenigstens darüber informieren können, dass er mit solchen Tricks arbeitet.«

»Vielleicht war es keine Entscheidung auf Linienebene«, entgegnete Glockauer. »Vergessen Sie nicht, wie halsstarrig der alte Reichenbach ist. Er leitet seine Firma, wie es ihm passt. Es sähe ihm ähnlich, wenn er auf so eine Idee gekommen wäre und das Programm in all seine Schiffe implementiert hätte, ohne sich auch nur mit seinen Kapitänen abzustimmen. Andererseits könnte es genauso gut die brillante Idee eines einzelnen Kapitäns sein. Eine einmalige Extratour, von der Reichenbach überhaupt nichts weiß.«

»Oder«, wandte Engelmann ein, indem er eine der anderen Rollen jedes vorbildlichen Eins-O einnahm und den Advocatus Diaboli spielte, »hier geht überhaupt nichts Ungewöhnliches vor. Es wäre auch denkbar, dass der Signaloffizier des Frachters Mist gebaut hat und unwissentlich einen Notruf abstrahlt, ohne es zu ahnen.«

»Möglich«, sagte Glockauer, »aber nicht sehr wahrscheinlich. Wie Sie schon sagten, unser eigenes Signalgerät müsste den Unterschied mittlerweile bemerkt haben ... und da dem nicht so ist, muss es einen besonderen Grund dafür geben. Auf jeden Fall müssen wir vorerst davon ausgehen, dass der Notfallcode begründet ist, und entsprechend haben wir uns zu verhalten.«

»Jawohl, Herr Kapitän«, stimmte Engelmann ihm zu, und sie wandten ihre Aufmerksamkeit wieder dem Taktischen Display zu.

Das grüne Icon des Frachters zeigte noch immer den alphanumerischen Transpondercode, welcher AHS Karawane zugeordnet war. Umgeben von dem scharlachroten Kreis, der für Code Siebzehn-Alfa stand, bewegte sich das Icon kontinuierlich durch den Plot. Glockauer studierte bedachtsam die Datenfelder, dann drehte er den Kopf und blickte den Taktischen Offizier der Gangying an.

»Was macht Ihre Lösung, Shilan?«

»Wir können ohne Probleme zu ihm aufschließen, Herr Kapitän«, versicherte ihm Kapitänleutnant Shilan Weiss. »Und wir schaffen fast das Doppelte seiner Maximalbeschleunigung.« Sie zuckte mit den Achseln. »Er hat keine Chance, uns auszuweichen. Selbst wenn er in diesem Augenblick wendet und auf die Hypergrenze zuhält, fangen wir ihn mindestens eine volle Lichtminute davor ab.«

»Shilan hat Recht, Käpt'n«, sagte Engelmann. »Trotzdem wäre es natürlich eine sehr plumpe Lösung, den Kurs zu ändern und den Frachter zu hetzen.« Er verzog die zusammengepressten Lippen zu einem gehässigen Lächeln. »Ich muss zugeben, mir wäre es lieber, wenn wir uns irgendeinen genialen Schachzug einfallen ließen, durch den wir ohne eine mühselige Abfangjagd dichter an die Bastarde herankommen.«

»Nicht in diesem Universum, Binyan«, schnaubte Glockauer. »Wenn die Piraten jemanden an Bord haben, der mit Zahlen so gut umgehen kann wie Shilan, wissen sie in dem Augenblick, in dem wir auf sie zuhalten, dass sie nicht entkommen können. Ihre einzige logische Reaktion würde also darin bestehen, unverzüglich beizudrehen und zu hoffen, dass wir Gefangene machen, anstatt sie standrechtlich zu erschießen. Aber ob die Piraten das nun begreifen wollen oder nicht: Mit keinem Trick der Galaxis kann man eine Piratenmannschaft davon überzeugen, es sei eine gute Idee, einen Schweren Kreuzer auf Gefechtsentfernung an sich heranzulassen. So blöde können die gar nicht sein.«

»Ich fürchte, da haben Sie Recht, Käpt'n«, gab Engelmann zu. »Und die Mistkerle können uns auch nicht übersehen, wenn wir kommen.«

»Wohl kaum«, stimmte Glockauer ihm trocken zu. Er blickte noch einige Sekunden lang in den Plot, dann nickte er.

»Also gut, Shilan. Wenn es keine Möglichkeit gibt, clever vorzugehen, dann machen wir's eben mit brutaler Direktheit. Bringen Sie uns auf einen Abfangkurs mit fünfhundert Gravos. - Ruihuan«, wandte er sich an Kapitänleutnant Hoffner, den Signaloffizier, »rufen Sie den Frachter. Identifizieren Sie uns und weisen Sie ihn an, zu einem Rendezvous beidrehen.«

»Aye, aye, Herr Kapitän!«, bestätigte Hoffner grinsend den Befehl.

»Wir wollen Ruihuans Worten ein wenig Nachdruck verleihen, Shilan«, fuhr Glockauer fort. »Warum fahren Sie nicht mal unsere Feuerleitsysteme hoch? Ein paar Treffer mit Radar und Lidar überzeugen die Burschen vielleicht eher, dass wir's ernst meinen.«

»Aye, aye, Herr Kapitän.« Weiss lächelte wenigstens genauso gehässig wie Engelmann. Sie wandte sich wieder ihrer Konsole und der Ortungsmannschaft zu, während der Kreuzer schon den Kurs änderte.

Glockauer erwiderte ihr Lächeln und winkte Engelmann an seine Station, dann setzte er sich wieder in den Kommandosessel und wartete ab, wie die Karawane auf Hoffners Aufforderung zum Beidrehen reagierte. Seine Augen kehrten zu dem Icon zurück, das in seinem Plot brannte, und sein Lächeln verblasste.

In der Silesianischen Konföderation war Piraterie von je her ein großes Problem gewesen. Politisch gesehen ging es in Silesia sogar in den besten Zeiten kaum stabiler zu als in einer Kernschmelze, und auch die gegenwärtige Lage - 1.918 Jahre nachdem die Menschheit zu den Sternen aufgebrochen war - war alles andere als rosig. Im Gegenteil, in den letzten fünfzehn T-Jahren hatte sich alles nur zum Schlechteren entwickelt, selbst gemessen an Silesias miserablen Standards.

So ungern Glockauer oder irgendein anderer andermanischer Offizier es zugegeben hätte, die wichtigste Stütze für die Bekämpfung der Piraterie innerhalb des Konföderationsgebiets war seit mehr als zweihundert Jahren die Royal Manticoran Navy. Erst während des letzten Jahrhunderts war die Flotte des Andermanischen Reiches so weit angewachsen, dass sie sich zumindest den Anschein geben konnte, eine bedeutsame, langfristige Ordnungsfunktion in diesem Raumgebiet auszuüben. Noch vor fünfzig bis fünfundsiebzig T-Jahren war die andermanische Handelsflotte so unbedeutend gewesen, dass man die Kosten für den Ausbau der leichten Flottenverbände nicht rechtfertigen konnte, schon gar nicht auf eine Stärke, mit der man den blutigen Raubzügen der Piraten und Freibeuter innerhalb der Konföderation wirklich einen gewissen Dämpfer hätte versetzen können.

Zwar gehörte die Unterdrückung der Piraterie zu den Grundpflichten jedes Raumoffiziers, doch war das Interesse des Kaiserreichs an Silesia nie lediglich auf die Verluste seiner Frachtschifflinien begrenzt gewesen; vielmehr konzentrierte sich das Andermanische Reich auf die Grenzsicherungsmaßnahmen der Konföderation, und zwar stets mit dem Hintergedanken, die eigenen Reichsgrenzen zu erweitern. Das offen einzugestehen wäre (um es vorsichtig auszudrücken) undiplomatisch gewesen, doch innerhalb des Kaiserreichs, der Konföderation und des Sternenkönigreichs von Manticore machte sich niemand, der einen höheren IQ hatte als ein Felsbrocken, diesbezüglich irgendwelche Illusionen. Ganz gewiss waren die Manticoraner stets schnell bei der Hand, wenn es darum ging, andermanischen Annexionsbestrebungen innerhalb der Konföderation entgegenzutreten, denn sie betrachteten Silesia mit ernüchternder Arroganz als ihre privaten Fischgründe.

Wegen der zermürbenden Belastung durch den manticoranischen Krieg gegen die Volksrepublik Haven hatte die RMN jedoch von ihrer traditionellen Rolle als Polizist der silesianischen Schifffahrtswege Abstand nehmen müssen. In den letzten fünfzig bis sechzig T-Jahren war dieser Abstand zunehmend ausgeprägter geworden, denn um den Haveniten überhaupt gegenübertreten zu können, hatte die Royal Manticoran Navy sich gewaltig vergrößern müssen. In den letzten fünfzehn Jahren seit Ausbruch der offenen Feindseligkeiten war die Verlagerung der Kräfte besonders deutlich zu spüren gewesen. Sowohl in der Flotte als auch im Außenministerium debattierte man über die Frage, wie das Kaiserreich auf die sich stetig verschlechternde Lage in der Konföderation und auf die Tatsache reagieren sollte, dass Manticore durch den Krieg gegen Haven abgelenkt war - und eigentlich hätte Glockauer nichts davon ahnen sollen. Allerdings wäre sich nur ein Idiot nicht im Klaren darüber gewesen, dass solche Überlegungen angestellt wurden. Einerseits war die Inanspruchnahme der Manticoraner durch Haven eine fast unwiderstehliche Verlockung für das Kaiserreich - denn solange die RMN nicht angemessen reagieren konnte, bot sich dem Kaiser die Möglichkeit, den eigenen territorialen Ehrgeiz zu befriedigen. Andererseits war das Sternenkönigreich schon immer der Puffer des Kaiserreichs gegen das unersättliche Expansionsstreben der Volksrepublik gewesen.

Am Ende trug die Realpolitik den Sieg davon, was in der Außenpolitik des Kaiserreichs durchaus Tradition hatte. Obwohl es für das Kaiserreich schön gewesen wäre, innerhalb der Konföderation ungehindert den eigenen Interessen nachgehen zu können, hätte es sich durchaus als fatal erweisen können, dem Sternenkönigreich ausgerechnet in dem Moment in den Rücken zu fallen, in dem es seinen Überlebenskampf gegen einen Feind führte, der auch das Andermanische Reich nur allzu gern verschlungen hätte. Daher hatte der Kaiser entschieden, zugunsten des Sternenkönigreichs ›neutral‹ zu bleiben.

Der plötzliche, phänomenale Sieg der RMN über die Volksflotte war umfassender gewesen, als irgendjemand je hätte ahnen können. Soweit Glockauer wusste, hatte im Kaiserlichen Geheimen Nachrichtendienst niemand auch nur vermutet, auf was für einen Vernichtungsschlag die Manticoraner sich vorbereitet hatten. Der Geheimdienst hatte ansatzweise in Erfahrung gebracht, auf welchem Stand die manticoranische Forschung und Entwicklung war. Das bewiesen sowohl die gegenwärtigen als auch die geplanten Aktualisierungen der technischen Anlagen an Bord Seiner Majestät Schiffe hinlänglich, besonders, wenn man sie im Lichte der Berichte über die neuen Waffen und Taktiken der Manticoraner betrachtete, die Glockauer studiert hatte. Trotzdem bezweifelte er sehr, dass irgendjemand im Kaiserreich das volle Ausmaß der manticoranischen Überlegenheit schon vor Admiral White Havens Vernichtungsschlag begriffen hatte.

Von Rechts wegen hätte die RMN mittlerweile ihre Vorkriegspräsenz in der Konföderation wiederhergestellt haben sollen. Doch das hatte sie nicht getan, ja, in mancherlei Hinsicht war die Situation sogar schlechter als vor dem Krieg. Die Manticoraner hatten ihre leichten Verbände nicht auf die traditionelle Stärke nachgerüstet, und infolge dessen trieb die Piraterie in weiten Teilen der Konföderation ungehemmt Blüten. Des Weiteren hatten einige ›Piraten‹ weitaus kampfkräftigere Schiffe erworben. Keines davon war größer als ein Kreuzer, doch bisher hatten die Manticoraner und die Kaiserlich-andermanische Weltraumflotte wenigstens drei davon vernichtet - allesamt Schiffe, die den Dienst der Volksrepublik Haven ›verlassen‹ hatten und geflohen waren, um sich nach etwas Besserem umzusehen. Infolgedessen stieg nicht nur der Grad der ungesetzlichen Umtriebe an, sondern auch ihr Ausmaß, denn zu den üblichen Piratenangriffen auf Handelsschiffe gesellten sich Überfälle auf bewohnte Planeten. Nach jüngsten Geheimdienstschätzungen waren dabei allein im vergangenen Jahr wenigstens eine Viertelmillion Silesianer umgekommen. In Relation zu der Gesamtbevölkerung der Konföderation stellte diese Zahl nur einen Nadelstich dar, für sich allein betrachtet war sie jedoch beängstigend.

Doch während die Manticoraner ihre leichten Verbände nicht wieder aufgerüstet hatten, waren sie immerhin einen Bündnisvertrag mit der Republik Sidemore im Marsh-System eingegangen. Im Laufe der letzten acht T-Jahre war Sidemore Station zu einer recht schlagkräftigen Flottenbasis ausgebaut worden, und das, obwohl die Manticoraner ihre Hauptanstrengungen gegen die Haveniten richten mussten. Das Marsh-System lag knapp außerhalb der schwammigen Grenzen, die die Konföderation festgelegt hatte, an der Teilstrecke Kaiserreich-Konföderation in der ›Dreiecksroute‹ der Manticoraner, und das machte das System zur idealen logistischen Basis für alle manticoranischen Operationen in ganz Südwest-Silesia.

Glockauer empfand keinerlei Vorbehalt dagegen, dass die Manticoraner Piraten abschossen, abgesehen von einem gewissen Verlangen, selbst den Abzug durchzudrücken. Mit Hilfe der im Marsh-System stationierten Flottillen hatten die Manticoraner immerhin gut ein Zehntel der gesamten Konföderation befriedet - ein bemerkenswerter Erfolg. Dazu jedoch hatten sie eine manticoranische Präsenz in einem Raumsektor geschaffen, in dem sie früher keine andermanische geduldet hatten. Wenn es eine Sternnation gab, die ein legitimes Interesse besaß, die Situation in Silesia zu kontrollieren, um die eigenen Grenzen und territoriale Unversehrtheit zu schützen, so war es das Andermanische Reich - nicht aber das Sternenkönigreich von Manticore. Zudem hatten die Manticoraner einen kompletten Kampfverband zu ihrer neuen Flottenstation Sidemore verlegt: zwei unterbesetzte Schlachtgeschwader mitsamt Schlachtkreuzer- und Kreuzerunterstützung.

Vorgeblich sollte dieser Verband (der weit schwerer war als zu jeder erdenklichen Operation gegen die Piraterie erforderlich) das konföderierte Raumgebiet gegen ein neuerliches Vordringen havenitischer Handelsstörer schützen. Offiziell vertrat Manticore die Position, dass der eigentliche (und einzige) Grund für ihr Bündnis mit der Republik Sidemore darin bestehe, jede Wiederaufnahme havenitischer Handelsstöroperationen im Konföderationsgebiet zu unterbinden - eine Behauptung, der die ›freischaffenden‹ Aktionen desertierter Schiffe der Systemsicherheit und der Volksflotte eine gewisse Stichhaltigkeit verliehen. Im Anderman-Reich glaubte das niemand auch nur einen Augenblick lang, und während der letzten fünf T-Jahre war der Unwille gegen die manticoranische Anmaßung beständig angewachsen. Nun, da Haven militärisch geschlagen war, wurde dieser Vorwand für die manticoranische Präsenz im Marsh-System zusehends fadenscheiniger, mochte ein endgültiger Friedensvertrag geschlossen sein oder nicht. Entsprechend hatte die andermanische Verstimmung zugenommen, und Glockauer vermutete, dass die außenpolitischen Erwägungen, die im Umgang mit Manticore zu Mäßigung statt Konfrontation rieten, mit steigendem Tempo untergraben wurden.

Er konnte nicht sagen, wohin das letztendlich führen würde. Nein, das stimmte so auch nicht. Er konnte sehr wohl sagen, wohin es führen konnte ... Er hoffte nur inbrünstig, dass es doch anders käme. Obwohl der Kampfwert der kaiserlichen Flotte jüngst gestiegen war und weiterhin erhöht wurde, und obwohl der neue manticoranische Erste Lord der Admiralität offenbar ein Schwachkopf war, spürte Kapitän Glockauer keinerlei Verlangen, einer Navy gegenüberzutreten, die eben erst eindrucksvoll bewiesen hatte, dass sie die einst so mächtige Volksflotte Havens mühelos bezwingen konnte.

Im Augenblick brauchst du dir um die Mantys keine Sorgen zu machen, ermahnte er sich, während er auf dem Display beobachtete, wie die Karawane abdrehte und vergeblich einen neuen Kurs einschlug, um Glockauers viel schnellerem Schiff zu entrinnen.

Jetzt musst du dich allein mit der Frage beschäftigen, welche Greueltaten dein Enterkommando an Bord des fliehenden Frachtschiffs entdecken wird.

Aus Erfahrung wusste der Kreuzerkommandant, dass ihn keine angenehme Überraschung erwartete.

»Signal von Commodore Zrubek, Sir.«

Admiral Lester Tourville, der nach wie vor ungeniert genoss, nicht mehr Bürger Admiral Tourville zu sein, blickte auf Lieutenant Eisenbergs Meldung hin von seinem Plot auf. Noch immer erschien es ihm merkwürdig, sie auf seinem Flaggdeck zu sehen, doch er nahm an, dass Tom Theisman Recht behielt. Die reibungslos funktionierenden Stäbe, die Javier Giscard und er sich in den vergangenen Jahren aufgebaut hatten, waren ein ausschlaggebender Faktor für die Erfolge ihrer Kampfverbände und Flotten gewesen. Doch so wertvoll diese gefechtserprobten Führungsmannschaften auch gewesen waren, sie hatten sich als ersetzbar erwiesen. Wenn Javier und er es einmal geschafft hatten, sich solch effiziente Stäbe aufzubauen, dann würden sie sich notfalls auch neue heranziehen können. Die großartig geschulten Offiziere der alten Stäbe aber waren viel zu kostbar, als dass die Admirale sich selbstsüchtig an sie klammern durften. Aus diesem Grunde hatten die Untergebenen, mit denen Tourville fast zehn T-Jahre lang gegen die Manticoraner gekämpft hatte, ihre längst überfälligen Beförderungen und neue Verwendungen erhalten.

Der neue Signaloffizier, Lieutenant Anita Eisenberg, gehörte dem Stab noch kürzer an als die meisten anderen Ersatzleute. Noch keine sechs T-Monate war sie bei ihm, und bisher hatte er sich nicht an ihre wirklich außerordentliche Jugendlichkeit gewöhnen können. Immer wieder musste er sich vor Augen halten, dass die stämmig gebaute blonde Frau mit ihren gerade einmal achtundzwanzig T-Jahren überhaupt nicht die Puppe mit Pistole war, an die sie so erinnerte. Dass sie als Prolong-Empfängerin der dritten Generation wie eine Zwölfjährige aussah, trug sein Übriges zu Tourvilles Problemen bei, und gleichfalls der Umstand, dass sie nur einen Meter fünfzig groß war. Für ihren Dienstgrad war sie tatsächlich sehr jung, doch das galt momentan für viele Offiziere in Havens Navy. Tourville rief sich zu Gedächtnis, dass sie trotz einer ausgeprägten Vorliebe für das militärische Zeremoniell in einem Maße tüchtig und selbstsicher war, das überhaupt nicht zu ihrer unleugbaren Jugend passen wollte.

Ob es wohl dieser jugendliche Eindruck war, der in ihm die überwältigende Müdigkeit weckte, durch die er jeden einzelnen Monat seines weit höheren Alters spürte? Er schob den Gedanken beiseite und winkte den Lieutenant näher. Sie reichte ihm das elektronische Klemmbrett, und als er die Abspieltaste drückte, blickte ihn aus dem kleinen Bildschirm ein dunkelhaariger Mann an.

»Sie hatten Recht, Sir«, sagte Commodore Scott Zrubek ohne Einleitung. »Sie haben versucht, uns zu übertölpeln, ganz wie Sie vermutet haben. Deshalb habe ich den Rest des Geschwaders auf maximaler Entfernung gehalten und zwo Zerstörerdivisionen hineingeschickt, damit sie sich ihre ›Frachtschiffe‹ mal näher ansehen. Ich glaube, dort hat es eine kleine Veränderung beim Management gegeben, als sie sahen, was wir tun.«

Zrubek kann wirklich sehr unangenehm grinsen, dachte Tourville anerkennend.

»Sieht ganz so aus, als hätten sie die Frachträume mit Raketengondeln vollgestopft«, fuhr der Commodore fort. »Offensichtlich haben sie darauf gehofft, dass wir uns ihnen auf Raketenreichweite annähern, damit sie die Gondeln absetzen können. Aber als sie begriffen, dass wir die schweren Schiffe nicht in ihre Reichweite bringen würden, muss sich wohl jemand gesagt haben, dass es uns nur wirklich sauer machen würde, wenn sie unsere Zerstörer abknallen. Da wir uns nicht in den Hinterhalt locken ließen und diese Frachter uns nie im Leben davonlaufen konnten, beschlossen sie, die Hände zu heben und sich zu ergeben, solange wir noch in der Stimmung waren, Gefangene zu machen. Den vorläufigen Berichten zufolge hatte ihr Kommandeur allerdings andere Pläne, und so musste sein Erster Offizier ihm leider einen Genickschuss verpassen, um ihn umzustimmen.«

Tourville verzog das Gesicht. In letzter Zeit hatte es zahllose Zwischenfälle dieser Art gegeben, und das sollte er wohl als gutes Zeichen betrachten. Das nahm jedoch dem Szenario, das Zrubek beschrieb, nichts von seiner profunden Hässlichkeit.

»Auf jeden Fall, Sir«, fuhr der Commodore fort, »haben wir die Frachter aufgebracht. Wir haben hier anscheinend den Großteil von drei SyS-Sondereingreif-Bataillonen gefangen genommen, die als Marineinfanterie fungiert haben - mehr oder weniger jedenfalls. Ein paar von diesen SyS-Schergen könnten noch eingezogen worden sein, nachdem Saint-Just sich die schwarzen Essensmarken abgeholt hat, aber mir scheint's, als gehörten die meisten von ihnen zum harten Kern. Ein paar wollten tatsächlich kämpfen, als wir enterten, und mein Stabsspion durchsucht gerade die Datenbank nach ihnen. Würde mich nicht wundern, wenn einige von ihnen auf der Liste mit der schönen Überschrift ›Bei Verhaftung zu exekutieren‹ stehen.

Inzwischen haben wir alle sechs Schiffe in unserer Gewalt. An Bord hatten sie genügend Raketengondeln, um zwo bis drei Superdreadnoughts zu bestücken. Meine Leute saugen gerade die Computer leer, deren Vorbesitzer viel zu sehr damit beschäftigt waren, sich zu ergeben und um ihr Leben zu feilschen, als dass sie irgendwelche Daten hätten löschen können. Unsere Kryptografen versuchen sich schon an den verschlüsselten Sektionen, und ich habe komplette Datensätze fertig, die ich dem Flaggschiff übermittle.

Ich vermute im Moment, dass Carson uns diese armen Schweine vor die Nase gesetzt hat, damit sie uns bremsen, denn er hat nicht mehr besonders viele richtige Kampfschiffe in der Hinterhand. Mich würde es nicht überraschen, wenn wir auch die Erkennungssignale für seine Minenfelder in die Hand bekämen. Allerdings ist er so gerissen, dass er uns vielleicht gefälschte Codes unterjubelt, deshalb beabsichtige ich nicht, ohne Ihre Genehmigung plötzliche Eingebungen zu haben. In fünf bis sechs Stunden müssten wir hier alles erledigt haben. Ich setzte Prisenbesatzungen in die Frachter und schickte sie nach Haven, und sollte nichts Ungewöhnliches geschehen, stoße ich am 23. spätestens um siebzehn Uhr zum Rest der Flotte. Die Einheimischen scheinen ziemlich froh zu sein, uns zu sehen, deshalb glaube ich nicht, dass wir eine starke Garnison auf dem Planeten stationieren müssen. Daher wird mich wohl nichts aufhalten.

Zrubek aus.«

Der Schirm wurde dunkel, und Tourville nickte anerkennend. Zrubek gehörte zu den jungen Flaggoffizieren, die Javier Giscard und er sich während der letzten drei Jahre herangezogen hatten. Der Auftrag, das Montague-System von dem Gesindel zu säubern, dass Bürger General Adrian Carsons Truppen dort zurückgelassen hatten, war der erste wirklich selbstständige Einsatz des Commodore gewesen, und es klang, als habe er seine Abschlussprüfung mit Bravour bestanden. Tourville hatte nichts anderes erwartet, als er den Jungen losgeschickt hatte. In mancherlei Hinsicht war das Montague-System eine Art Übungsoperation mit spitzen Zähnen gewesen, doch wenn Zrubek großspurig geworden wäre und sich in Reichweite der Raketen begeben hätte, wäre das Gefecht wahrscheinlich ganz anders ausgegangen. Deshalb hatte Tourville sich unbedingt vergewissern wollen, ob Zrubek wirklich so reif für ein unabhängiges Kommando war, wie er es angenommen hatte.

Seltsam, dachte er. Da habe ich all die Jahre unter der Knute der SyS verbracht und geglaubt, das Schlimmste, was mir passieren kann, wäre, erschossen zu werden. Jetzt sitzt die SyS in der Scheiße, und ich muss mir Sorgen machen, ob die Leute, die ich mit einer Kampfgruppe losschicke, mir meine Schiffe in einem Stück zurückbringen oder nicht. Komisch, wie viel weniger Schlaf mich die Gefahr gekostet hat, an die Wand gestellt zu werden.

Er schnaubte, als er ein Auflachen unterdrückte, dann runzelte er nachdenklich die Stirn.

Nach der Befreiung Montagues hatte Carson nur noch zwei Sonnensysteme in der Gewalt. Bürger Admiral Agnelli, theoretisch mit Carson verbündet, kontrollierte drei Sonnensysteme mehr, doch Agnellis und Carsons Partnerschaft basierte von Anfang an auf gegenseitigem Misstrauen. Beide waren sie ehrgeizig, doch Carson blieb wenigstens marginal der Neuen Ordnung treu, die das Komitee für Öffentliche Sicherheit ins Leben gerufen hatte. Vielleicht hing das mit dem hohen SyS-Dienstgrad zusammen, den er unter dem damaligen Regime erlangt hatte; jedenfalls war er ein außerordentlich unangenehmer Zeitgenosse, der unbeirrbar der Brutalität und dem Terror als Mittel zur Beherrschung der Massen anhing. Immerhin gab es bei Carson wenigstens hier und da ein Anzeichen, dass ihn noch etwas anderes als persönlicher Profit zu seinen Taten motiviert hatte.

Niemand wäre je so töricht gewesen zu glauben, dass das in irgendeiner Weise auf Federico Agnelli zutreffen könnte. Tourville rief sich vor Augen, dass er vielleicht voreingenommen war, denn er kannte Agnelli seit vielen Jahren und hatte ihn seit ihrer ersten Begegnung verabscheut. Diese Selbstermahnung war allerdings nur Pro Forma, denn so sehr Tourville es auch versuchte, ihm fiel nicht eine einzige versöhnliche Charaktereigenschaft ein, die Agnelli vielleicht besessen haben könnte. Der Mann war ein Taktiker mit kaum erwähnenswertem Können, aber ausgesprochen überzeugt von seiner eigenen Unfehlbarkeit. Agnelli hatte sich der Politik des Komitees nicht etwa deswegen angeschlossen, weil er von den Zielen eines Rob Pierre oder Oscar Saint-Just überzeugt gewesen wäre, sondern weil sich ihm dadurch ein Weg zu persönlichem Machtgewinn eröffnet hatte. Er hatte das politische Spiel mit einer Versiertheit gespielt, die ihm auf dem Gebiete der Flottentaktik abging. Soweit Tourville wusste, waren wenigstens zwei andere Flaggoffiziere an die Wand gestellt worden, weil sie Agnelli im Weg gestanden hatten. Um sie loszuwerden, hatte er die Systemsicherheit davon überzeugt, dass es sich bei ihnen um ›Volksfeinde‹ handele.

Wenn Carson nun - besonders nach dem Fall des Montague-Systems - wirklich in so großen Schwierigkeiten steckte, wie Tourville annahm, so würde Agnelli keine Sekunde zögern, die eigenen Verluste abzuschreiben und den ›Bundesgenossen‹ seinem Schicksal zu überlassen. Das wäre zwar außerordentlich dumm von ihm, denn dann musste er sich, sobald Tourville sich ihm zuwandte, der Zwölften Flotte ganz allein stellen, doch ohne Zweifel hoffte Agnelli darauf, dass jemand anderes auftauchen würde, den er gegen die Zentralregierung ausspielen konnte. Bisher war es ihm schließlich immer gelungen, und er hatte sich auf diese Weise sowohl die innere Opposition als auch die Republican Navy für mehr als dreieinhalb T-Jahre vom Hals gehalten.

Nur geht das nicht mehr lange gut, dachte Tourville mit tiefer und völlig unkomplizierter Genugtuung. Er, Giscard und Thomas Theisman hatten sich einer entmutigenden Herausforderung gegenübergesehen, als sie damit begonnen hatten, die zahlreichen hydraköpfigen Bedrohungen für die Sicherheit der neuen Regierung zu beseitigen. Hätte Tourville eine Wahl gehabt, er hätte sich nie mit solch heimtückischen Leuten wie Carson und Agnelli auseinandergesetzt - denn Leute dieses Schlages neigten zu Verrat und kurzlebigen Bündnissen. Sie glaubten, einen ebenso großen Anspruch auf die Regierungsgewalt in der ehemaligen Volksrepublik Haven zu haben wie die Menschen, die das Komitee für Öffentliche Sicherheit gestürzt hatten. Leider hatte Tourville ebenso wenig wie Tom Theisman eine andere Wahl gehabt, als sich um dieses Problem zu kümmern. Die gute Nachricht lautete, dass von den Kriegsherren und Möchtegern-Kriegsherren, die nach der Macht greifen wollten, nur noch sehr wenige im Rennen waren. Und darum würde es Federico Agnelli sehr, sehr schwer fallen, einen neuen Verbündeten als Ersatz für Carson zu finden.

Es könnte durchaus sein, dass wir den Sektor schon bald gesäubert haben, gestattete sich Tourville zu denken. Und wenn uns das hier gelingt, haben wir nur noch zwo oder drei andere Krisenherde zu bewältigen. Mein Gott. Tom und Eloise hatten von Anfang an Recht. Wir werden diesen Kampf wirklich gewinnen.

Er schüttelte den Kopf, darüber erstaunt, dass er sich so etwas Verwegenes auch nur ausmalte. Dann blickte er auf und reichte das Klemmbrett an Eisenberg zurück.

»Vielen Dank, Anita«, sagte er ernst. »Sorgen Sie bitte dafür, dass eine Kopie der Depesche des Commodore an unseren nächsten Bericht nach Nouveau Paris angehängt wird.«

»Selbstverständlich, Sir.« Der weibliche Signaloffizier klemmte sich das Brett unter den Arm, nahm Haltung an, als stehe sie auf dem Exerzierplatz, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte zurück an ihre Station.

Tourville blickte ihr nach und versuchte, nicht allzu breit zu grinsen.

Admiral Michel Reynaud vom Manticoranischen Astro-Lotsendienst vermisste sein altes Büro. Nicht, dass er damit bei irgendjemandem allzu großes Mitleid erweckte, und er war auch bereit einzuräumen, dass das, was er nun hatte, ganz in Ordnung war. Schließlich war sein neues äußerst luxuriöses Büro an Bord Ihrer Majestät Raumstation Hephaistos nur eine der Vergünstigungen, die mit seiner jüngst erfolgten Beförderung einhergingen - darum sollte er wohl lieber mit dem Jammern aufhören und es genießen. Doch so herrlich es sein mochte, es war nicht mehr das alte Büro, das er sich im Laufe der vergangenen fünfzehn T-Jahre genauso hergerichtet hatte, wie er es wünschte.

Außerdem hatte ihm seine alte Aufgabe besser gelegen als die neue. Das heißt, so ganz stimmte das auch nicht; er war nur auf die Leute, für die er gearbeitet hatte, besser zu sprechen gewesen.

Er lehnte sich in den sündigen Komfort des sich automatisch konturierenden Sessels zurück und legte die Stiefelfersen demonstrativ auf die Schreibunterlage seines riesigen Arbeitstischs. Dann verschränkte er die Hände hinter dem Kopf, blickte zur Decke und begann, über die Perversität des Erfolgs nachzusinnen.

Als man ihn als verhältnismäßig untergeordneten Offizier ins Basilisk-System geschickt hatte, war er nicht gerade mit einer prestigeträchtigen Aufgabe betraut gewesen. Damals konnte man sich nicht einmal sicher sein, ob das Sternenkönigreich von Manticore das Sonnensystem überhaupt behalten würde - und wäre es nach den Freiheitlern und dem Bund der Konservativen gegangen, so wäre die Annexion rückgängig gemacht worden. Doch diese schlecht zusammenpassenden Partner, die nur in ihrem Isolationismus übereinstimmten, hatten sich nicht durchsetzen können, und im Laufe der Jahre war das Basilisk-System zu einem wertvollen und außerordentlich wichtigen Besitz geworden. Der Verkehr durch den Basilisk-Terminus des Manticoranischen Wurmlochknotens war sprunghaft angestiegen, bis fast ein Drittel des gesamten Durchsatzes dort entlang lief, und Lieutenant Reynaud war kontinuierlich aufgestiegen, zunächst zum Commander, dann zum Captain bis hin zum Vizeadmiral, dem Kommandeur der Astro-Lotsenstation im Basilisk-System.

Und dann natürlich hatten die Havies die gesamte Infrastruktur des Basilisk-Systems in Fetzen geschossen.

In schmerzlicher Erinnerung verzog Reynaud das Gesicht, als er an den vernichtenden havenitischen Überfall dachte, bei dem ein halbes Jahrhundert an Aufbau und Entwicklung zum Teufel gegangen war. Lagerhäuser, Reparaturwerkstätten, Bauwerften, Solarenergiesatelliten, Orbitalfarmen, Durchgangsquartiere, Orbitalfabriken und Orbitalraffinerien - der Raid auf das Basilisk-System war der erfolgreichste havenitische Angriff des gesamten Krieges gewesen, und Reynaud hatte ihn aus viel größerer Nähe beobachtet, als ihm lieb gewesen war. Tatsächlich hatte auch die Astro-Lotsenstation auf der havenitischen Zielliste gestanden, und sie war nur durch die rechtzeitige Ankunft der 8. Flotte gerettet worden. Vermutlich, so sagte sich Reynaud, war auch er selbst nur dank White Havens Eintreffen überhaupt noch am Leben.

Doch der havenitische Überfall lag nun schon fünf T-Jahre zurück. Basilisk war wiederaufgebaut worden, und zwar rascher, als irgendjemand (einschließlich Reynaud) es vor dem Angriff für möglich gehalten hätte. Zum Teil lag das wohl daran, dass man die ursprüngliche Infrastruktur nach wachsendem Bedarf ergänzt hatte, während der Ersatz von vornherein darauf ausgelegt gewesen war, genau bekannte Bedürfnisvorgaben zu erfüllen. Ein weiterer Faktor, so musste Reynaud widerwillig zugeben, bestand darin, dass die Regierung High Ridge den Wiederaufbau Basilisks als perfekte Gelegenheit betrachtete, gewaltige Summen in öffentliche Projekte zu pumpen. Dadurch entstanden nicht nur Arbeitsplätze - keineswegs ein untergeordneter Punkt, seit das Militär schrumpfte und entlassene Navyangehörige den Arbeitsmarkt überschwemmten -, es passte auch hervorragend zum High Ridge'schen Slogan: ›Den Frieden aufbauen‹.

Das kann man wohl sagen, dass sie ›den Frieden aufbauen‹, dachte Reynaud voll Abscheu. Den Krieg hätten diese Idioten jedenfalls nicht führen können! Trotzdem ist Basilisk wahrscheinlich noch weit weniger eine Gaunerei als gewisse andere Programme, die sie ins Leben gerufen haben.

Und aus diesem Grunde - das gestand er ein, wenn auch nur vor sich selbst -, gefiel ihm seine augenblickliche Aufgabe nicht. Nicht nur, weil man ihn von Basilisk abgezogen hatte, während das Sonnensystem noch darum kämpfte, wieder auf die Beine zu kommen, sondern vor allem, weil das gesamte Programm, das er befehligen sollte, offenbar allein aus einem Grund genehmigt worden war: weil High Ridge und seine Handlanger es als überaus öffentlichkeitswirksam ansahen - ganz gleich, wie sinnlos es aus objektiver Sicht sein mochte.

Sei fair, schalt er sich. Sie blähen vielleicht das Budget auf und spielen ihre Kopfgeburt mit allen politischen Finessen aus, aber es ist wirklich an der Zeit, dass sich jemand hinter Kare stellt und ihn anschiebt. Ich kann nur das ganze Getue nicht ausstehen. Und außerdem finde ich, dass es nicht gerade die Regierung sein sollte, die das Anschieben übernimmt. Vor allem aber kann ich's überhaupt nicht leiden, wenn mir jemand wie Makris im Nacken sitzt - oder wenn jemand die Leute schikaniert, die für mich arbeiten. Und ...

Er zwang sich, damit aufzuhören, immer mehr auf die Liste der Dinge zu setzen, die ihm an seiner Situation nicht passten. Zudem gestand er sich ein, dass unter dem Strich alles auf eines hinauslief: Reynaud war es zutiefst zuwider, dass Baron High Ridge und seine Kreaturen jeden Verdienst einheimsen würden, der aus der Sache entstünde.

Er funkelte die Kabinendecke noch ein Weilchen an, dann blickte er aufs Chrono, seufzte, setzte die Füße wieder auf die Decksohle, wohin sie gehörten, und stellte die Sessellehne aufrecht. Wo er schon an Professor Kare dachte ...

Die Tür (sie war einfach zu prächtig, als dass man sie selbst hier auf Hephaistos als ›Luke‹ hätte bezeichnen können) öffnete sich absolut pünktlich. Das lag, wie Reynaud wusste, keineswegs an Professor Dr. Jordin Kare, der nur selten irgendwo rechtzeitig eintraf, sondern an Trixie Hammitt, Reynauds Sekretärin, die von Pünktlichkeit so besessen war, dass sie ein ganzes Regiment von Kares auszugleichen vermochte.

Der Admiral erhob sich hinter seinem Schreibtisch und streckte lächelnd die Hand vor, während Trixie den Mann hereingeleitete - den Mann, auf dessen Arbeit alle Anstrengungen basierten, die Reynauds Dienststelle mit dem grandiosen Namen Royal Manticoran Astrophysics Investigation Agency (Königlich-Manticoranisches Astrophysikalisches Erkundungsamt) gegenwärtig unternahm. Kare war mittelgroß und hatte schütteres bräunliches Haar; seine Augen schienen sich unschlüssig zu sein, ob sie grau oder blau sein wollten. Er war gut fünfzehn Zentimeter kleiner als Trixie, und die fast schon zwanghaft hektische Energie von Reynauds rothaariger Sekretärin schien den distinguierten Astrophysiker nur zu verwirren. Das war in Ordnung. Trixies Energie verwirrte selbst Reynaud, ja, sie schüchterte ihn sogar manchmal ein.

»Professor Kare ist jetzt da, Sir«, verkündete sie forsch, und Reynaud nickte.

»Das sehe ich«, stellte er milde fest. In Kares Augen zeigte sich ein humoriges Funkeln, als der Besucher dem Admiral fest die Hand schüttelte. »Könnten Sie uns Erfrischungen kommen lassen, Trixie?«, bat Reynaud.

Hammitt bedachte ihn mit einem harten, scharfen Blick, als wolle sie ihn daran erinnern, dass sie für die Büroarbeit zuständig sei und nicht für die Verköstigung. Doch dann nickte sie und verließ den Raum. Reynaud seufzte erleichtert auf.

»Ich glaube nicht, dass wir sie noch oft so leicht loswerden«, sagte er zu Kare.

»Wir sind beide intelligente, hochmotivierte Männer«, entgegnete der Astrophysiker grinsend. »Ich bin mir sicher, dass uns etwas einfällt, wie wir sie ... ablenken können - erst Recht, wenn wir uns die Alternative ausmalen.«

»Ich sollte mich schämen«, gab Reynaud zu. »Ich habe noch nie jemanden gehabt, der härter oder länger gearbeitet hätte als Trixie Hammitt. Irgendwo tief in mir weiß ich ihre Leistungen auch zu schätzen. Aber mit dem Getue, das sie um jede einzelne Besprechung macht, treibt sie mich noch in den Wahnsinn.«

»Sie macht nur ihren Job - glaube ich wenigstens«, erwiderte Kare. »Natürlich habe ich auch schon überlegt, ob sie vielleicht von einem Konkurrenten des Sternenkönigreichs bezahlt wird und den Auftrag hat, das Projekt permanent entgleisen zu lassen, indem sie den zuständigen Direktoren den Verstand raubt.«

»Sie sind schon wieder paranoid, Jordin«, schalt Reynaud.

»Nicht paranoid, nur gequält«, verbesserte Kare ihn.

»Ja, natürlich«, schnaubte Reynaud und lud seinen Gast mit einer Handbewegung ein, sich zu setzen.

Hinsichtlich des Projekts empfand Reynaud auch deshalb zwiespältige Gefühle, weil er Jordin Kare gut leiden konnte. Natürlich war der Professor in seiner geistesabwesenden Art ein überaus liebenswerter Mensch und, davon abgesehen, einer der brillantesten Astrophysiker, die das Sternenkönigreich hervorgebracht hatte; soweit Reynaud wusste, besaß Kare fünf akademische Titel, doch es konnten durchaus mehr sein - zwei oder drei, die Kare einfach anderen Menschen gegenüber zu erwähnen vergaß. Das hätte ihm ähnlich gesehen.

Und so ungern Reynaud es auch zugab - nachdem das Erkundungsamt aus dem Astro-Lotsendienst ausgegliedert worden war, hatte die Regierung High Ridge mit Kare genau die richtige Wahl getroffen, als sie ihm die wissenschaftliche Leitung des Amtes übertrug. Hoffentlich würde die Regierung sich nun aus der Sache heraushalten und ihn ungehindert walten lassen.

»Und welche wunderbaren neuen Entdeckungen haben Sie mir heute zu melden, Jordin?«, erkundigte sich der Admiral.

»Nun«, entgegnete Kare, »vielleicht gibt es diesmal wirklich etwas zu berichten.«

Sein Lächeln war verschwunden, und Reynaud beugte sich vor, als er den unerwartet ernsten Tonfall des Astrophysikers bemerkte.

»Tatsächlich?«

»Es ist noch zu früh, um sicher zu sein, und ich bete zu Gott, dass ich die Schreibtischhengste heraushalten kann, während wir der Sache nachgehen, aber ich glaube, wir stehen kurz davor, den geometrischen Ort des siebten Terminus zu finden.«

»Sie wollen mich auf den Arm nehmen!«

»Nein, keineswegs.« Kare schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Wir haben noch immer nur vorläufige Werte, Mike, und werden uns noch lange nicht auf ein eingrenzbares Raumvolumen festlegen können. Selbst dann dauert es noch wenigstens ein T-Jahr, wenn nicht sogar zwei oder drei, bis wir wesentlich mehr wissen als lediglich wo die Schnur endet. Aber wenn ich mich nicht sehr irre, haben wir endlich genügend Messwerte miteinander korreliert, um mit Sicherheit sagen zu können, dass es tatsächlich einen siebten Terminus des Wurmlochknotens gibt.«

»Du lieber Himmel«, sagte Reynaud leise. Er lehnte sich kopfschüttelnd wieder zurück. »Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, aber ich hatte nie damit gerechnet, dass wir wirklich so weit kommen. Nach all den Jahren erschien es mir dermaßen unwahrscheinlich.«

»Es war eine Prüfung«, stimmte Kare zu, »und ich kann wenigstens ein halbes Dutzend Veröffentlichungen über die Jagd schreiben - vielleicht sogar mehr. Sie wissen ja selbst, dass die zugrunde liegende Mathematik immer hochgradig nebulös gewesen ist. Wir haben erst seit zwanzig T-Jahren Warshawski-Segel, die empfindlich genug sind, um die für uns erforderlichen Daten zu sammeln. Wir haben währenddessen die Grenzen der Wurmlochtheorie stärker erweitert als irgendwer sonst im letzten Jahrhundert. Trotzdem ist der Terminus da draußen, und zum ersten Mal bin ich absolut sicher, dass wir ihn finden werden.«

»Haben Sie das sonst noch jemandem gesagt?«, fragte Reynaud.

»Wohl kaum!« Kare schnaubte heftig. »Nachdem diese publicitygeilen Presseagenten das letzte Mal direkt zu den Medien gerannt sind?«

»Sie waren nur ein bisschen voreilig«, räumte Reynaud ein.

»Ein bisschen?« Kare starrte ihn ungläubig an. »Sie haben mich wie einen geltungsbedürftigen, selbstsüchtigen Irren klingen lassen, der verkünden will, dass er das Letzte Geheimnis des Universums entdeckt hat! Ich habe fast ein ganzes T-Jahr gebraucht, um alles wieder ins Lot zu bringen, und trotzdem glaubte die Hälfte meiner Kollegen beim letzten astrophysikalischen Kolloquium in der Royal Society, ich hätte diese hirnrissigen Presseverlautbarungen verbrochen!«

Reynaud setzte zu einer Erwiderung an, besann sich jedoch eines Besseren. Er konnte Kare nicht widersprechen, denn er war davon überzeugt, dass der Astrophysiker auf ganzer Linie Recht hatte. Vorfälle wie dieser waren der Hauptgrund, weshalb Reynaud solch große Einwände gegen die Regierungsbeteiligung an der RMAIA hatte. Die Arbeit war sehr wichtig, ja lebenswichtig, und es mussten ein Dutzend Forschungsschiffe finanziert werden, darüber hinaus Labors und Computerzeit, und nur wenige Privatkonzerne hätten sich solche Posten leisten können. Doch soweit es die gegenwärtige Regierung betraf, war das Projekt nichts weiter als ein großes Vehikel der Öffentlichkeitsarbeit. Nur deshalb hatte sie das Amt gegründet, anstatt einfach den Etat des Vermessungskommandos im Astro-Lotsendienst zu erhöhen, das seit Jahrzehnten nach dem siebten Wurmlochterminus suchte. Die RMAIA war mit großem Fanfarengetön als eine der ›längst überfälligen friedenswahrenden Institutionen‹ ins Leben gerufen worden, deren Gründung durch den Krieg gegen Haven herausgezögert worden war. Doch die Wirklichkeit unterschied sich ein wenig von der glänzenden Fassade, mit der sich die Regierung solche Mühe gab.

Nichts hätte die Berechnung hinter der friedenswahrenden Institution‹ offenkundiger machen können als die unverhohlene Art, mit der die Politikos versuchten, aus der Arbeit des wissenschaftlichen Personals Publicity zu gewinnen. Offizielle Sprecher, die ›vergaßen‹, ihr Manuskript mit Kare oder Reynaud abzustimmen, waren schon schlimm genug, aber wenigstens konnte man ihnen für ihre Sünden eins auf den Deckel geben. Bei den politischen Oberherren des Projekts wie High Ridge und Lady Descroix hingegen sah die Sache anders aus, und genau diese beiden waren es, über die sich Kare vor allem ereiferte.

»Ich stimme zu, dass wir den Deckel zuhalten müssen, bevor wir etwas Definitives berichten können«, sagte der Admiral schließlich. »Ich nehme an, Sie haben Ihren Leuten gesagt, dass sie die Klappe halten sollen?«

»Beim Forschungspersonal geht das ja«, entgegnete Kare. »Das Problem kommt immer aus der Ecke der Verwaltung und Finanzierung.«

Reynaud nickte. Die im Projekt beschäftigten Wissenschaftler teilten Kares Meinung über die PR-Leute fast einmütig. Einige von ihnen hätten es wahrscheinlich sogar mit deutlicheren Worten ausgedrückt als der Professor. Die RMAIA stöhnte indes unter einer gewaltigen Last schriftlicher Formalitäten, was der andere Hauptgrund dafür war, dass Reynaud meinte, die Regierung hätte besser jemand anderem als ihm die Amtsleitung übertragen. Im Astro-Lotsendienst, der trotz seiner militärischen Hierarchie einer Zivilbehörde oblag, war der Papierkram schlimm genug gewesen, bei der RMAIA jedoch war es ungleich schlimmer. Die Schreibtischtäter der Regierung (die etwa drei Prozent von Kares Fähigkeiten hatten und nur halb so intelligent waren wie er) bestanden nicht nur darauf, seine Anstrengungen zu ›lenken‹, sie beharrten auch auf einem Grad an Beaufsichtigung, durch den sich nach Reynauds Schätzungen der Zeitbedarf des Projekts verdoppelte. Wissenschaftler, die sich der Forschung widmen sollten, verbrachten wenigstens die Hälfte ihrer Arbeitszeit damit, endlos lange Formblätter auszufüllen, Aktennotizen zu lesen und zu schreiben und Verwaltungskonferenzen abzuhalten, die überhaupt nichts mit dem Auffinden von Termini an Wurmlochknoten zu tun hatten. Fast ebenso schwer wog, dass die Projektleiter nicht nur wissenschaftlich ahnungslos, sondern zudem allein aufgrund von politischen Verbindungen ernannt worden waren, wodurch ihre Loyalität in erster Linie den Politikern galt, denen sie ihre prestigeträchtigen, gut bezahlten Stellungen verdankten. So war es zum Beispiel bei Dame Melina Makris, der Repräsentantin des Schatzkanzlers im Verwaltungsrat der RMAIA. Obwohl sie technisch zu den Leuten der Gräfin von New Kiev gehörte, wusste jeder, dass der Premierminister sie persönlich ernannt hatte. Selbst wenn es die Gerüchte nicht gegeben hätte, Makris sorgte dafür, dass jede arme Seele, die ihr in die Quere kam, sich dessen sehr schnell bewusst wurde. Sie war übereifrig, anmaßend, arrogant, herablassend und herausfordernd - und das waren in Michel Reynauds Augen noch ihre positiveren Eigenschaften.

Im Spiel der bürokratischen Intrige allerdings kannte sie alle Tricks. Sie kannte sie besser als Reynaud. Und sie hatte Zugriff auf alle Dokumente des Amtes. Darum würde sie in dem Augenblick, in dem Kare und sein wissenschaftliches Team zusätzliche Mittel für Vermessungsfahrten beantragten, zum Premierminister - und dessen Public-Relations-Abteilung - laufen und verkünden, Prof. Dr. Jordin Kare habe schon wieder das Letzte Geheimnis des Universums entdeckt.

Und wenn das geschah, würde Professor Jordin Kare auf sie schießen. Und er würde nicht auf ihre Kniescheibe zielen.

»Denken Sie noch einen Tag lang darüber nach, Jordin«, riet Reynaud ihm nach einem Augenblick. »Es muss eine Möglichkeit geben, die Mittel irgendwo im Gestrüpp zu verlieren.« Er wackelte mit dem Stuhl von einer Seite auf die andere und trommelte mit den Fingern auf die Schreibunterlage, während er nachdachte. »Vielleicht kann ich Admiral Haynesworth dazu bewegen, uns zu helfen«, überlegte er laut. »Sie mag bürokratische Einmischung ebenso wenig wie ich und ist noch immer stinksauer, dass das Projekt ihren Leuten entzogen wurde. Außerdem steckt sie gerade mitten in einer routinemäßigen Bakenvermessung des Wurmlochknotens. Vielleicht lässt sie sich erweichen, uns ein bisschen von ihrem Etat abzutreten. Dann könnten wir unsere Sondermessungen durchführen und gleichzeitig Daten sammeln, die sie benötigt.«

»Viel Glück.« Kare klang skeptisch.

»Das wäre zumindest eine Möglichkeit.« Reynaud zuckte mit den Achseln. »Vielleicht fällt mir noch was anderes ein. Womöglich aber - und das gebe ich nicht gerne zu - kommen wir nicht um die amtlichen Kanäle herum. Aber ich verspreche Ihnen, dass ich mein Bestes tue, denn Sie haben Recht. Die Angelegenheit ist einfach zu wichtig, als dass man sie vorzeitig offenbaren sollte.«

»Ich würde sagen, das war eine wirklich gewaltige Untertreibung«, entgegnete Kare nüchtern. Dann grinste er. »Andererseits, überlegen Sie mal, Mike. Obwohl diese bürokratische Beaufsichtigung uns so ungeheuer auf die Nerven geht, werden wir einen neuen Terminus des Wurmlochknotens entdecken. Und keiner von uns - ich schon gar nicht - hat auch nur die leiseste Ahnung, wohin er führt!«

»Das weiß ich.« Reynaud grinste zurück. »O Mann, und ob ich das weiß!«

1

»Steeeee-riiiike onnnnne!«

Der kleine weiße Ball flog an dem jungen Mann im weißen Trikot mit grünem Besatz vorbei und landete mit einem satten Geräusch im flachen Lederhandschuh des hinter ihm hockenden Mannes im grauen Trikot. Der dritte Mann in der Szene - er hatte gebrüllt - trug eine anachronistische schwarze Jacke, eine schwarze Mütze und, ebenso wie der hockende Mann, eine Gesichtsmaske sowie einen Brustschutz. Unzufriedenes Gemurmel und einige Buhrufe erhoben sich aus der Menge, die fast alle bequemen Sitze im Stadion besetzte, und der Mann in Weiß senkte den langen, schlanken Schläger und funkelte den Mann in Schwarz an. Es half ihm nichts. Der schwarz gekleidete Schiedsrichter hielt seinem Blick ruhig stand und wandte sich schließlich dem Spielfeld zu, während der Mann, der den Ball gefangen hatte, ihn seinem Mannschaftskameraden zuwarf, welcher etwa zwanzig Meter entfernt auf einer kleinen Erhebung stand.

»Warte mal«, fragte Commodore Lady Michelle Henke, die Gräfin von Gold Peak, und drehte sich auf ihrem Platz in der prachtvollen Besitzerloge ihrer Gastgeberin zu. »Das war ein Strike?«

»Aber natürlich«, erwiderte Lady Dame Honor Harrington, Herzogin und Gutsherrin von Harrington, würdevoll.

»Ich dachte, ein Strike wäre, wenn er schlägt und nicht trifft«, beschwerte sich Henke.

»Das stimmt auch«, pflichtete Honor ihr bei.

»Aber er hat doch gar nicht ... geschlagen, meine ich.«

»Es ist ein Strike, ob er schlägt oder nicht, solange der Pitch in der Strike Zone ist.«

Einen Augenblick lang trug Henke den gleichen Gesichtsausdruck zur Schau, mit dem sich der Schlagmann an den Schiedsrichter gewandt hatte, doch Honor erwiderte ihren Blick mit völliger Unschuld. Als die Gräfin wieder das Wort ergriff, schwang in ihrem Ton jene vorsichtige Geduld mit, wie man sie übt, wenn man jemandem die Genugtuung eines kleinlichen Triumphes vorenthalten will.

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