INDOCHINA. Der lange Weg nach Dien Bien Phu - Thomas GAST - E-Book

INDOCHINA. Der lange Weg nach Dien Bien Phu E-Book

Thomas GAST

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Beschreibung

Von tiefer Freundschaft. Vom Überleben und vom Sterben. Von der Mutter aller Schlachten. Von DIEN BIEN PHU ! Das vorliegende Buch erzählt den Gefechtsverlauf dieser ´Mutter aller Schlachten´ indem es den langen Weg, von der Entstehungsgeschichte bis zur totalen Vernichtung einer Einheit der Fallschirmjäger der Fremdenlegion nachvollzieht.

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Seitenzahl: 422

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Thomas GAST

INDOCHINA. Der lange Weg nach Dien Bien Phu

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Widmung

Es sagte

Das Ende zu Beginn

Vorwort

TEIL EINS. Indochina, Vietnam. März 1945 – November 1953

Der Tambour - Honneur et Fidélité

Legionär Montag

Philippeville, Sétif

Die Geburt des Drachen von Annam

Adieu vieille Europe

Plaine des Joncs

Philippeville

Saigon im Jahr des Tigers

Tod im Reisfeld - Hieu-Tu

Phuoc Long (Opération Elisabeth)

Ba-Cum

La ´folie douce`, Mai 1950

Der Tod lauert in Xuan-Bo

Alarm im Norden

Einsatz am Roten Fluss

Operation Tiznit. Der Kreuzzug des 1. BEP

Raffalli

Tod im Morgengrauen

Delta / Nordvietnam

Die 2. CIPLE und Saint Marc

Nghia Lo

Anh

Tod am Schwarzen Fluss

Raffallis Tod

Na San

Phu Doan

Chieng Dong

Lebendig begraben

Plaine des Jarres

CRPJ, 22. April, 1953

Der lange Marsch

Operation Hirondelle

Loc Binh

Später Büffel trinkt dunkles Wasser

Thuan Chau. Warten auf Delta Bravo Papa

TEIL ZWEI. Dien Bien Phu. November 1953 – Mai 1954

Die vergessenen Gräber

Operation Castor

Béatrice

Sautons ensemble, Légionnaire!

Là-bas les ennemis t'attendent

Dominique-4

Will mir die Hand noch reichen!

Eliane

Huguette

Eliane-2

Rendezvous mit dem Tod

Irgendwo zwischen Huguette-5 und Huguette-3

Blutiges Camerone

07. Mai 1954. Krankenstation des 2. BEP

Epilog

Und danach?

Nachwort

Salih Gusic, Paris 2011

Berichte

Aufnahmen / Bilder.

Impressum

Impressum neobooks

Widmung

INDOCHINA.

Der lange Weg nach Dien Bien Phu.

Thomas Gast

Dieses Buch ist allen Legionären gewidmet, die in Indochina kämpften. ´MORE MAJORUM`

Das Monument ´Rolf Rodel` (Foto Matyas Rehak)

Es sagte

Die Überlebenden von Dien Bien Phu erzählten von der Schlacht, vom Versagen der Führung, von der schrecklichen Überraschung als plötzlich Artilleriefeuer auf ihre unzureichenden Stellungen trommelte. Ein Thai-Bataillon war sofort übergelaufen. Die übrigen farbigen Truppen hatten sich passiv verhalten und Deckung gesucht. Wirklich gekämpft bis zum letzten Erdloch und bis aufs Messer hatten lediglich die französischen Fallschirmjäger, und die Fremdenlegionäre, zu achtzig Prozent Deutsche, seien zum Sterben angetreten wie in einer mythischen Gotenschlacht. (Peter Scholl-Latour.)

Dien Bien Phu wird fälschlicherweise als die ´letzte Schlacht der Waffen-SS` bezeichnet. Grund dafür ist, dass unmittelbar vor, wie auch sofort nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht, am 7. Mai 1945, zahlreiche deutsche Soldaten der Legion beitraten. Das galt auch für Mitglieder der Waffen-SS. Sie waren in der Legion aber nicht explizit erwünscht. Der erste Vertrag in der Legion ist immer fünf Jahre, was uns zeitlich gegen Mitte, Ende 1950 führt. Nur die wenigsten verlängerten. Von einer letzten Schlacht der Waffen-SS kann also nicht die Rede sein. Diejenigen aber, die blieben und Indochina auch überlebten, fanden meist auf Lebenszeit in ihr (der Legion) ein Refugium. Sie wurden in die Légion étrangère eingesogen, von ihr aufgenommen, physisch und psychologisch integriert. Dieser ewige, freiwillige, immer abenteuerliche Prozess, dem auch ich in den Jahren zwischen 1985 und 2002 unterlag, hat einen einfachen Grund. Wir sind davon überzeugt, dass die Legion unsere Heimat ist, LEGIO PATRIA NOSTRA. (Der Autor.)

Die Franzosen flohen, die Japaner kapitulierten und der Kaiser Bao Dai entsagte dem Thron. Unser Volk zerschlug die Ketten der Kolonialsklaverei, die sie fast hundert Jahre lang gefesselt hielten und schuf das unabhängige Vietnam. Gleichzeitig stürzte unser Volk die Monarchie, die Jahrtausende bestanden hatte und errichtete eine republikanische demokratische Ordnung. Aus den dargelegten Gründen erklären wir, die Mitglieder der provisorischen Regierung des neuen Vietnams, die das gesamte vietnamesische Volk vertritt, dass wir alle Beziehungen zum imperialistischen Frankreich abbrechen. Wir erklären alle Verträge über Vietnam, die Frankreich unterzeichnet hat, für ungültig und annullieren alle Privilegien, die sich die Franzosen auf unserem Territorium angemaßt haben. (Auszug aus Ho Chi Minh's Deklaration der Unabhängigkeit Vietnams am 02. September, 1945 in Hanoi.)

Das Ende zu Beginn

Indochina. Dien Bien Phu. Nacht vom 06. auf 07. Mai, 1954. Irgendwo zwischen Huguette-2 und dem PC GONO. Leutnant le Cour Grandmaison, Kompanieführer der 7. Kompanie des 2. Bataillon Étranger de Parachutistes ist müde. Und er ist hungrig, kann sich nicht daran erinnern, wann er zum letzten Mal eine warme Mahlzeit zu sich genommen hat. Mit einigen wenigen Überlebenden soll er einen Gegenangriff auf Eliane-4 wagen. Zwei Kilometer Strecke liegen vor ihm und obwohl sein Auftrag aussichtslos ist, nimmt er ihn sehr ernst. Einen in aller Eile zusammengewürfelten Haufen Soldaten auf den Fersen, darunter viele Fallschirmjägerlegionäre des 2. BEP, springt er von einem Granattrichter und von einer Drecksgrube zur nächsten. Im Legionärsschritt eilt die kleine Gruppe nach Osten. Einmal die Bailey Brücke erreicht und vorbei an den Ratten des Nam-Youm, biegt sie scharf nach Nordosten ab und rennt wie von Sinnen weiter Richtung Eliane-4. Die Männer sind dreckig, unrasiert, viele sind verletzt. Munition ist Mangelware. Sie sind seit 30 Tagen ununterbrochen im Einsatz, einige sogar seit 170 Tagen. In einem Einsatz, in dem außer der Ehre nichts mehr auf dem Spiel steht. Der junge Offizier hebt seinen Blick und bekommt eine Gänsehaut. Der Hügel E-4 liegt eingehüllt in Feuer und Rauch, der Gefechtslärm ist ohrenbetäubend. Es ist eine Vision, die schlimmer anmutet als Dantes Inferno. Ob chef de bataillon Bréchignac vom 1. RCP den point d’appui solange halten kann, bis sie eintreffen? Le Cour Grandmaison glaubt fest daran. Er hastet weiter bis er das vermeintliche Angriffsziel erreicht hat. Bréchignac und Botella (letzterer ist der Kommandant der Bawouans) empfangen ihn wie einen Waffenbruder, fragen sich jedoch verwundert, mit welcher Armee er denn angerückt sei, sie vor den unablässigen Angriffen des Vietminh zu schützen. Le Cour Grandmaison sieht hinter sich. In der Tat: von den zwanzig Männern mit denen er den Angriff begonnen hat, sind nur noch der Funker Creis, ein Legionär und ein freiwilliger Vietnamese übrig. Alle anderen liegen auf der Strecke zwischen Huguette-2 und E4. Sie sind tot, zerfetzt von Giaps Artillerie. Als der Morgen graut, befindet Eliane-4 sich noch in französischer Hand. Punkt zehn Uhr an diesem denkwürdigen 07. Mai aber bebt die Erde. Die Luft ist plötzlich erfüllt mit donnernden, pfeifenden Geräuschen, wie sie die Verteidiger noch nie gehört haben. In Stalingrad, ja. Aber nicht hier in Dien Bien Phu. Zum ersten Mal seit dem Beginn der Bataille bringt Giap Stalinorgeln (Katjuscha) zum Einsatz. Kurz darauf verstummt Eliane-4. Kein Lebenszeichen erreicht den Hauptgefechtsstand GONO mehr. Doch nicht nur Eliane-4, sondern die ganze Schlacht ist verloren. Le Cour Grandmaison und seine Männer, sowenig es auch waren und was auch immer sie angetrieben hat, haben in Dien Bien Phu den letzten Gegenangriff der Franzosen geführt. Bezeichnenderweise waren fast nur Legionäre daran beteiligt.

Letzte Seite des Originals des JMO (Journal des marches et des opérations – Frontbericht) des Leutnant de Biré (2. BEP – 5. Kompanie), verfasst am 07. Mai, 1954, in Dien Bien Phu.

Leutnant de Biré, einer der Kompanieführer des 2. BEP, setzt diesen Angriff auf die allerletzte Zeile seines Frontberichts. Schwerverletzt geht er mit den spärlichen Resten seines Bataillons in die Gefangenschaft des Vietminh. Er und seine Männer ergeben sich dem Feind nicht. Auf Befehl stellen sie einfach den Kampf ein. Weiße Flaggen? Nein! Die Zeit des Kämpfens war einfach vorbei.

Vorwort

Im Jahr 1946 entbrannte in Französisch-Indochina ein mörderischer Konflikt. Wie ein Fluch fegte er über das Land. ´La guerre d’Indochine` führte das ´Französische Expeditionskorps im Fernen Osten` gegen die Guerilla des Vietminh. In den satten Reisfeldern Kambodschas, in den Sumpfgebieten Cochinchinas, in den schroffen, von Kalksteinfelsen durchzogenen Gebirgen der Regionen Tonkin und Annam sowie in den unübersichtlichen atemberaubend schönen Tälern von Laos hinterließen die Kämpfe verbrannte Erde, Kummer und Leid. Beendet wurde der Feldzug erst am 07. Mai 1954. In der vom Vietminh belagerten Urwaldfestung Dien Bien Phu erlitten die Franzosen eine vernichtende Niederlage. Das vorliegende Manuskript erzählt den Gefechtsverlauf dieser ´Mutter aller Schlachten` indem es den langen Weg, von der Entstehungsgeschichte bis zur totalen Vernichtung einer Einheit der Fallschirmjäger der Fremdenlegion nachvollzieht.

TEIL EINS. Indochina, Vietnam. März 1945 – November 1953

In der Abenddämmerung des 9. März 1945 fielen die Japaner über alle Garnisonen der Franzosen in Französisch Indochina her. Sie verschonten weder Saigon, noch Dong-Dang, Hanoi, Ha-Giang oder Lang-Son. Mancherorts verübten sie die abscheulichsten Massaker. Enthauptungen mit blanken Säbeln und einfachen Äxten waren an der Tagesordnung. Französische Soldaten und ihre Verbündeten wurden nackt ausgezogen und wie Tiere mit dem Knüppel erschlagen, ihre Frauen vergewaltigt. Die amerikanischen Truppen, stationiert in Yunnan (China), nur etwa eine Flugstunde von Hanoi entfernt, erhielten den strikten Befehl, die französischen Kräfte nicht zu unterstützen, sie ihrem Schicksal zu überlassen. Ho Chi Minh, übersetzt ´Der das Licht gibt`, erklärt die Unabhängigkeit Vietnams. Die Kolonialmacht Frankreich, noch gedemütigt vom Prestigeverlust den die Besetzung durch die deutschen Truppen im Zweiten Weltkrieg mit sich gebracht hatte, sowie von wirtschaftlicher Instabilität fürchterlich gezeichnet, konnte und wollte dies nicht hinnehmen. Auf Biegen und Brechen musste die französische Hoheit wiederhergestellt werden. Dies zu tun, entsandte die Vierte Republik ein gewaltiges Expeditionskorps, das CEFEO.

Die Speerspitze dieses Korps bildeten Soldaten der Légion étrangère, der französischen Fremdenlegion. Die Idee, eine Fallschirmjägertruppe aufzustellen hat ihre Wurzeln in Tsao Pa, einem Ort in der chinesischen Provinz Yunnan. Bis dorthin hatten sich die Legionäre des 5. REI nach der Invasion der Japaner durchgeschlagen. In nur 93 Tagen legten sie 1500 km zu Fuß zurück. Die Odyssee der KolonneAlessandri war ein aufreibendes, gewaltiges Rückzugsgefecht, geprägt von beschwerlichen Märschen im dichten, undurchdringlichen Dschungel Indochinas. Dieser Gewaltakt bot den Generälen Stoff genug zum Nachdenken. Das 5. REI war ein robustes Regiment aber keine Sturmtruppe im herkömmlichen Sinn. Gerade eine solche aber benötigte man nun dringend. Anfang des Jahres 1948 beschlossen Frankreichs Stabschefs die Gründung einer Luftlandetruppe innerhalb der Regimenter der Fremdenlegion im Extrem Orient. Vor Ort befanden sich das 3. REI, die 13. DBLE und das 2. REI. Sie sollten die Männer für die neue Einheit stellen.

Fahne einer Kompanie des 2. REI in Indochina, gefunden in Dien Bien Phu unmittelbar nach der Schlacht.

Das Resultat? Die Fallschirmjägerkompanie des 3. REI sah am 01. April 1948 in Hanoi (Tonkin) das Licht. Diese reine Legionseinheit um ihre charismatischen Führer, den Leutnants Morin (Kompaniechef), Arnaud de Foïard, Audoye und Camus (Zugführer), hat es in sich. In der Tat sind es nur Freiwillige. Den US-T5 Fallschirm auf dem Rücken, findet der erste Sprung der ´Compagnie-para` am 16. April 1948 in der Nähe des ´Canal des Rapides` statt. Auch die ersten Einsätze folgen schnell: beinharte Gefechte in der Region Son-Tay, ganz besonders in Tong, wo der nur 23-jährige Morin verletzt wird; offensive Aufklärung auf der Blutstraße RC-4 im Sektor That Khé - Cao Bang im Mai 1948; Sturm auf die von den Truppen Chiang Kai Scheks verteidigte Bastion Ta-Lung im Juli 1948; Verteidigung des Außenpostens Ban-Cao an der Seite des berüchtigten capitaine Mattei (siehe Frankreichs Fremde Söhne) im September 1948, um nur die wichtigsten zu nennen. Die ´Compagnie-para` ist an allen wichtigen Einsätzen beteiligt. Bald schon genügt eine Kompanie nicht mehr, man will, braucht und befiehlt zwei Bataillone und so wird die Aufstellung der famosen Bataillons Étrangers de Parachutistes beschlossen. Infolge dieser Überlegungen wird die ´Compagnie-para` der Legion des 3. REI am 21. Mai 1949 aufgelöst, die Männer komplett ins erste und später mit Teilen ins zweite Fallschirmjägerbataillon der Fremdenlegion eingereiht. In der gesamten Geschichte der Fremdenlegion waren nie Einheiten aus so grundverschiedenen Menschen zusammengesetzt wie das 1. und das 2. BEP. Draufgänger und Kämpfer aus aller Herrenländer strömten herbei. Von unterschiedlicher Herkunft und Nationalität, gehörten diese Abenteurer zu der Sorte Männer, die dem Teufel beim Essen in die Suppe spuckten nur um ihn dann zum Tanz zu fordern. Da waren Pastoren zu denen Gott nicht mehr sprach. Ehemalige Elitesoldaten der Waffen SS. Verzogene Söhne reicher Wirtschaftsbosse. Maurische Söldner aus dem spanischen Bürgerkrieg und junge Studenten, die außer den kahlen Wänden ihrer Lehrsäle nichts von der Welt kannten, die aber von einem irren Heißhunger auf exotische Abenteuer beseelt waren. Ein neuer Verband, eine wirkungsvolle ´Waffe` wurde in diesen Jahren geboren: Die Fallschirmjäger der Fremdenlegion!

Abzeichen des 2. BEP

Der Tambour - Honneur et Fidélité

Russland unweit von Stalingrad. Todeslager Beketowka, Anfang 1947. Joachim Wegener fror. Wie all seine Kameraden aß er Gras um zu überleben. Vor dem Fleckfieber, dem die Gefangenen zu Tausenden erlagen, schützte das kaum. Doch er war am Leben, konnte sich glücklich schätzen. Tausend andere hatten dieses Glück nicht. Sie waren bereits bei den brutalen Märschen durch die vereiste Steppe gestorben. Kein deutscher Soldat kommt hier jemals wieder weg. Beketowka wird euer Grab sein. Er dachte an das Versprechen des Kommandanten des Lagers. Es waren gleichzeitig die ersten Worte, die er zu hören bekommen hatte, bevor sich die Tore hinter ihm wieder schlossen. Nun starrte er an die Decke, die kaum fünfzig Zentimeter von seinem Gesicht entfernt war. Um ihn herum war es dunkel, eiskalt und trostlos. Sein Atem ging schwer. Er schloss die Augen, verfluchte sich innerlich. Ihr Fluchtversuch war gescheitert. Sie hatten Kamerad Hellwig und ihn zu einem Zeitpunkt erwischt, an dem sie sich längst schon in Sicherheit wiegten. Daraufhin folgte die übliche Prozedur. Sie wurden beleidigt, geschlagen und bespuckt und dann, als ob dies nicht genug wäre, auch noch ausgelacht. Doch dieses Mal war es anders. Hellwig, der bereits zum zweiten Mal bei einem Fluchtversuch erwischt wurde, hatte einen der Verfolger getötet. Man stand generell gut mit dem russischen Wachpersonal, besser zumindest als damals unmittelbar nach der Kapitulation vor Stalingrad. Doch für nicht korrigierbare Flüchtlinge und Mörder konnte es nur eine Strafe geben. Unweit des Erdlochs, in das man Wegener zur Strafe gesteckt hatte, fiel ein Schuss. Ein leises Wimmern folgte. Ein zweiter Schuss bereitete dem Jammern ein Ende.

Beketowka wird euer Grab sein!

Wegener hätte verzweifelt sein müssen, doch er verzog das Gesicht zu einem bitteren Grinsen. Er war jung, dachte nicht im Traum daran, sich von solchen Parolen von seiner Grundidee zu entfernen: dem absoluten Willen, frei zu sein! Sollte er in Russland sterben, dann bei einem weiteren Fluchtversuch. Doch ans Sterben dachte Joachim Wegener noch lange nicht. Darüber hingegen, wohin seine Flucht ihn führen sollte, falls sie ihm, woran er keine Sekunde zweifelte, eines Tages gelang, hatte er noch keinen einzigen Gedanken verschwendet. Ihn fröstelte es bei der Idee, nach Deutschland zurückzukehren. In ein Deutschland, das ihn belogen und das seine totale Entmachtung durch einen Verrückten zugelassen hatte. Zurück in ein Land, in dem Begriffe wie Treue und Pflichterfüllung nur in den Zeiten Sinn machten, in denen es den Verantwortlichen gut ging. Wieder schloss er die Augen während Hunger und Durst in seinen Eingeweiden wühlten und die Kälte ihm mit ihren eisigen Fingern langsam den Verstand raubte.

Treue und Pflichterfüllung.

Seine Gedanken schweiften in die Vergangenheit. Sie verweilten bei einem alten bärtigen nach Schnaps und Tabak stinkenden Mann, dem er einst im Hafen von Marseille begegnete. So geschehen im Jahr 1935. Seine Eltern machten mit der Familie Urlaub in der Provinz, der Abstecher in den Hafen war seit langem geplant. Joachim Wegener, damals knapp dreizehn Jahre alt, gab sich höchst interessiert über Land und Leute. Als er den Mann sah, richtete er voller Neugier seinen Blick auf den Tambour, den dieser behutsam in den Händen hielt. So behutsam, als wäre er zerbrechlich. Der Fremde grinste ihn an.

»Kannst wohl kein Französisch, hm?«

»Doch, oui, bien sure«, entgegnete Joachim und trat von einem Bein aufs andere. Er hatte Französischunterricht, war darin der Beste seiner Klasse. Dem alten Soldaten - denn es war ein alter Soldat, das sah man an seinen Narben im Gesicht und an den verschlissenen Uniformteilen die er versteckt, doch nicht versteckt genug trug, entging Joachims voller Neugier erfüllte Blick nicht. Mit einem Ruck stand er auf, nahm das Musikinstrument und streckte es dem Jungen entgegen.

»Le Maroc, c'est fini«, sagte er erleichtert. »Nimm, aber halt ihn in Ehren, genauso wie ich es die ganzen Jahre über gemacht habe. Mit Ehre und Treue, mein Junge, mit Honneur et fidélité.«

Honneur et fidélité!

Dieselben Worte standen auch auf dem grün-roten Wimpel, der sich um den Tambour schlang. Détachement du 2. Bataillon, Beni-Ounif avec Honneur et Fidélité! Der Mann stand auf, warf noch einmal einen Blick über seine Schulter hinunter zum Hafen, wo eine lange Reihe von Soldaten mit weißen Képis sich anschickte, ein Frachtschiff zu verlassen. »Fini«, sagte er noch einmal erleichtert und trat auf die Straße. Augenblicklich wurde er von einem Lastwagen erfasst. Zum ersten Mal in seinem Leben erlebte Joachim den Tod aus nächster Nähe. Was blieb, waren die Erinnerungen und der Tambour des alten Legionärs. Warum Joachim Wegener gerade jetzt, zwölf Jahre später an den Tambour dachte, der wohl noch im zerbombten Berlin auf seinem Schrank im Keller lag, das wusste er ganz genau. Er sehnte sich dorthin, wo Werte wie Treue, Ehre und Pflichterfüllung eben nicht nur Worte waren. Und dann dachte er daran, dass er bei seinem nächsten Fluchtversuch die Kräfte sparen musste, denn er hatte noch einen weiten Weg vor sich.

Legionär Montag

„Du willst Legionär werden? Dann erinnere dich meiner Worte. Lass dir von niemand den Schneid abkaufen. Respektiere deine Vorgesetzten, aber zeige immer, dass du ein Mann bist.” (Weisheit eines alten Legionsveteranen in Sidi Bel-Abbès gegen 1945, an einen jungen Rekruten kurz vor dessen Versetzung nach Indochina.). Karlheinz Montag war Saarländer. Geboren im Januar 1928 in der Nähe von Saarbrücken, hatte der gelernte Schlosser in seinem Leben nur eine einzige Dummheit begangen. Diese jedoch war, so fürchtete er, schlimm genug. So schlimm, dass er entschied fernab seiner Heimat ein neues Leben zu beginnen. Im August 1948 engagierte er in der französischen Fremdenlegion. Er unterschrieb einen fünf Jahresvertrag, nicht ahnend, dass er dieser Einheit zehn Jahre lang die Treue halten sollte. Im September desselben Jahres stieg er mit einer Handvoll anderer engagé volontaires in der Hafenstadt Marseille an Bord eines Passagierschiffs. Ihr Ziel war die Stadt Oran.

„Im Hafen kehren die Legionäre, bei der schwarzen Rose ein, sie pfeifen auf Geld und Ruhm und Ehre, denn schon bald kann alles anders sein.“

(Lied der Fremdenlegion: „Schwarze Rose von Oran“)

Von dort aus ging es auf Lastwägen weiter nach Sidi bel Abbès, dem Fiéf, der Hochburg der Fremdenlegion. Wie die meisten französischen Kasernen und Unterkünfte lag auch das Quartier Viénot entlang des Boulevards Général Rollet. Sidi bel Abbès - diese Stadt im Wadi Mékerra, die Napoleon auch sein ´Petit Paris` (kleines Paris) nannte und deren Devise Pax et Labor, Friede und Arbeit war, hatten die Legionäre im Jahr 1844 mit ihren eigenen Händen aus dem Nichts erschaffen. Aus Biscuitville, wie der trostlose Ort damals genannt wurde, entstand binnen kurzer Zeit eine florierende Handelsstadt, Wiege, Dreh und Angelpunkt der Fremdenlegion. Es war eine Perle die, mitten in der Wüste, eine Heimat für diese fremden Söhne Frankreichs darstellte. Sidi bel Abbès war weder Berlin noch Paris, es war weder New York noch London. Sidi bel Abbès war weit mehr. Die Stadt mit ihren breiten Straßen, in denen das Parfüm der Leichtigkeit wie ein ewiges Versprechen in der Luft schwebte, war Zuversicht. Für ihre Bauherren und zugleich Beschützer verkörperte Sidi bel Abbès Hoffnung und Karlheinz Montag klammerte sich an diese Hoffnung wie ein Ertrinkender an einem Strohhalm. Wie die meisten Bleus (neue Rekruten), so wurde auchMontag in die CP-3 versetzt. Die CP-3 war eine Übergangskompanie. Wer dort landete wurde rasch weitergeschleust nach Marokko, nach Agadir und Marrakesch oder eben in ein Regiment im Extrême-Orient. Der Mann in Khakiuniform und den drei goldenen Streifen auf der Schulter, die ihn als capitaine auszeichneten, musterte Montag abschätzend.

»Du warst Soldat?«

»Nein, Herr Hauptmann.«

Der sonst so wortkarge Offizier räusperte sich. Als Montag, der stramm und zackig wie ein Offizierskadett vor ihm stand, nichts weiter darauf sagte, erhob er sich und kam um seinen Schreibtisch hervor. Er überragte den Saarländer um einiges.

»Ich werde dir was sagen, Montag. Egal was du vorher getan oder verbrochen hast, mir ist es Wurst. Deine Vergangenheit geht nur dich was an. Das heißt aber nicht, dass du hier mit Samthandschuhen angefasst wirst oder dass ich dir jeden Wurm einzeln aus der Nase ziehen werde, compris?«

»Jawohl, Herr Hauptmann.«

»Falls du bei der Wehrmacht warst, umso besser, aber fang nicht an, damit zu prahlen, denn Prahlhans Küchenmeister sehen wir nicht gerne. »Außerdem«, fügte der capitaine nach einigen Sekunden des Schweigens hinzu, »weht hier ein anderer Wind als bei den Boches. Sieh es als Warnung, verstanden?«

»Boches?«

Der Hauptmann runzelte die Stirn. »Sag mal, Junge. Was hat man dir denn beigebracht? Boches ist der gebräuchliche Ausdruck für Deutsche.«

»Ich habe verstanden, mon capitaine.«

Der Hauptmann nickte zufrieden.

»Aber zuallererst werden wir einen Soldaten aus dir machen. Einen Fallschirmjäger. Das neuaufgestellte 2. BEP beginnt demnächst mit der Sprungausbildung in Philippeville. Die meisten Legionäre die auf der Liste des 2. BEP stehen, haben schon in Indochina gedient. Sie stammen aus den Reihen der Infanterie der Legion oder waren anderswo Soldat. Es sind keine Chorknaben. Viele Legionäre möchten gerne zu den Paras, können aber nicht weil sie schon für andere Regimenter vorgesehen sind. Was machen sie deiner Meinung nach?«

Obwohl er Montag ansah, gab er sich die Antwort selbst. »Richtig. Um hierbleiben zu können, drehen sie irgendwelche krummen Dinger. Vor allem die schon länger Gedienten reißen sich förmlich darum, zu den Fallschirmjägern zu kommen. Du weißt, was ich damit meine?«

Montag nickte. »Ich kneif die Arschbacken zusammen, Herr Hauptmann.«

»Schön. Heute Abend hat dein Zug frei. Im Foyer könnt ihr anschreiben lassen. Das Bier ist zwar nicht das Beste, aber es ist besser als gar kein Bier. Wegtreten, Montag.«

Als sich die Tür hinter Legionär Montag schloss, starrte der capitaine, Stellvertreter von Louis-le-Magnifique wie man Oberst Gaultier, seinen Chef, auch nannte, noch lange Zeit auf dessen Akte, die offen vor ihm auf dem Schreibtisch lag. In Gedanken war er jedoch längst woanders. Nicht der Deutsche beschäftigte ihn, sondern die neuen Entwicklungen innerhalb der Legion. Er glaubte nicht daran, dass es der Legion gelingen könnte, auf die Schnelle eine Fallschirmtruppe auf die Beine zu stellen. Eine, die was taugte. Mit dem Gedanken stand er übrigens nicht alleine da. Die alte Legion, so dachten viele Stabsoffiziere, war viel zu schwerfällig, zu unflexibel. Sie war genau das Gegenteil von dem, was man sich unter einer innovativen und modernen Fallschirmjägertruppe vorstellte. Na wenn das mal gut geht, flüsterte er und wandte sich wieder seinen Papieren zu. Ein paar Minuten später hatte er Montag aus seinem Gedächtnis gestrichen.

Das Bier im Foyer der Legionärskantine war lauwarm und fast ungenießbar. Hinter der Theke tat ein caporal-chef sein Bestes, um Bar und Laden gleichzeitig zu schmeißen. Es gab nur das Notwendigste und von dem nicht gerade viel: Zigaretten, Tabak und Zigarettenpapier, Wein, Zahnpasta und Schnürsenkel.

Anschreiben lassen?

Wohl ein Gerücht und Geld hatte Montag keins!

Die Legionärskantine war brechend voll. Hauptsächlich fanden sich hier Legionäre, die, wie Karlheinz Montag, für das Detachement EO ´Verstärkung Extrême Orient` vorgesehen waren. Von überallher hörte Montag immer wieder dasselbe Wort. Indochina.

L'Indo!

»Wusstest du etwa, dass hier irgendwo ein Kindergarten ist?«

Ein bulliger Legionär mit englischem Akzent deutete auf Montag, während der Unteroffizier zu dem er sprach, ein von der Sonne braun gebrannter hagerer sergent, fast unbeteiligt an seinem Bier nippte. Karlheinz Montag war nur 1,64 m groß, Er sah aus wie ein Schulbub, doch an Verwegenheit fehlte es dem Saarländer nicht. Er fühlte sich angesprochen.

»Meintest du mich?«

Der Brite reagierte genauso, wie Montag es erwartete. Er wollte zeigen, was er im Sack hatte, trat angriffslustig einen Schritt auf den Saarländer zu. Was danach kam, daran konnte er sich später nicht mehr erinnern, sehr wohl jedoch der sergent, der plötzlich gar nicht mehr lethargisch, sondern recht interessiert dreinschaute. Montag hatte den Briten mit einem gemeinen blitzschnellen Schlag gegen die Schläfe glatt aus den Stiefeln gehauen und wappnete sich auf einen weiteren Angriff. Der aber blieb aus. Hatte er erwartet, dass alle anderen nun über ihn herfallen, so wurde er herb enttäuscht. Das Gegenteil war der Fall. Manch einer klopfte ihm auf die Schulter und er erntete hier und da bewundernde Blicke. Und es regnete Komplimente.

Good job.

Très bien.

Nicht schlecht!

Nichtsdestotrotz wurden Montag und der Brite kurzerhand von der Militärpolizei abgeführt.

Philippeville, Sétif

Der Hügel dominierte den Hafen der Stadt Philippeville. Ein schmaler Weg, beidseitig gesäumt von Häusern mit blauen Fensterläden und weiß vom chaux, führte über Umwege bis zur Caserne de France, die mitten in der Stadt lag. Weit unten schimmerte das Meer blauweiß und in der milden Luft lag dieses typische Flair alter Hafenstädte Nordafrikas. Es roch nach Fisch, Salz und Rauch. Am azurblauen Himmel schrie eine Möwe, doch ihr Geschrei wurde von einer noch lauteren Stimme übertönt.

»Garde à vous ... Stillgestanden!«

Der adjudant-chef, klein und hager, stand auf einem Kilometerstein am Wegesrand damit man ihn nur nicht übersehen konnte. Die Legionäre rührten sich keinen Millimeter mehr vom Fleck, die Stille war absolut.

»Herhören, Bande Lustig. Dem Bürgermeister gefällt angeblich euer lieblicher Gesang so gut, dass er mehr davon hören will.«

Tatsache war, dass der Bürgermeister von Philippeville sich erst gestern wieder beim Kommandeur der Legion darüber beschwert hatte, dass die Legionäre in seiner Stadt deutsche Marschlieder sangen. Aber das sagte der adjudant-chef den Legionären natürlich nicht.

»Den Gefallen werden wir ihm tun«, polterte er stattdessen. »Ich möchte kein Gepiepe, sondern laute Männerstimmen. Montag!«

»Oui, mon adjudant-chef!«

»Gib den Ton für ´Schöner Westerwald`.«

Singend marschierten die Legionäre im Gleichschritt den Hügel hinunter in die Stadt. An jedem zweiten Fenster der Häuserallee zeigten sich die Bewohner mit einer Mischung aus Neugier, Begeisterung oder mit offen an den Tag gelegtem Hass.

…ei da pfeift der Wind so kalt.

Die nächsten Tage und Wochen sollte Karlheinz Montag nie vergessen. Weder das Gefühl peu à peu Teil einer großen Familie zu werden, noch den Geruch von Kerosin der sie einlullte, wenn sie wartend, den Schirm auf dem Rücken hinter den Flugzeugen standen. An der Sprungausbildung nahmen teil: ein adjudant, eine Handvoll Unteroffiziere und etwa fünfundfünfzig Legionäre. Die Ausbildung zum Fallschirmjäger übertraf alles, was diese Freiwilligen bisher erfahren hatten. Sie absolvierten sechs Sprünge im Eilverfahren, den ersten davon nervös, angespannt und mit der Frage im Hinterkopf: Werde ich den nötigen Mut aufbringen und wirklich aus der guten alten Tante Ju springen?

Junkers Ju 52.

Und wenn nicht? Spott und Hohn, eine Schande. Go! Hopp - einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig. Schock brutal. Herzschlag 180. Kappe überprüfen. Rundumschau halten, fertigmachen für den roulé-boulé, dem Abrollen am Boden. Kontakt. Alle Knochen heil? Gott sei Dank haben sich die Herren Offiziere von Sidi Bel-Abbès nicht durchsetzen können, als sie allen Ernstes der Meinung waren, Fallschirmjäger der Legion könnte man ohne Helm und nur mit dem Képi Blanc auf dem Kopf springen lassen. Auf, marsch, marsch. Die Zeit drängt. Brassage - den Schirm einholen, im Laufschritt zum Sammelpunkt. Und während die anderen dann bei Sonnenuntergang ihre wohlverdiente Bettruhe nahmen, führte die police militaire Montag und Bailey, den Briten, in ihre Zelle. Dreißig Tage Bau hatten sie für die Keilerei bekommen. Schlafen auf kalten Boden. Ohne Matratze, ohne Decke. Bekleidet nur mit Unterhosen. Das Ungeziefer, die Moskitos aber mehr noch die Wanzen sorgten dafür, dass sie kein Auge schlossen. Wecken vier Uhr morgens. Mit dem Rucksack auf dem Rücken umrundeten sie den Exerzierplatz. Eine Stunde, zwei Stunden lang. Die Trageriemen der Rucksäcke hatte die police militaire wohlweislich entfernt und durch Draht ersetzt, der tief in die Schultern schnitt und offene Blessuren hinterließ. »Das ist Draht von den verdammten Feldtelefonen«, stöhnte Bailey und röchelte um Luft. »Und was die Striemen angeht, so schwören die Alten von der compagnie montée (auf Maultieren aufgesessene Kompanien der Legion) darauf, dass die Pisse ihrer Maultiere die Wunden besser desinfiziert als das normale Zeug. Wer‘s glaubt, wird selig.«

Noch im Laufen reichte er Montag die Hand und grinste schief.

»Ich denke, dass wir dieses Drecknest bald verlassen. In meinem Zug brauchen sie Leute, die wissen, wie man mit faulen Eiern umgeht. Du wirst es in einem Jahr zum Gefreiten schaffen und stell dir vor, ich hab da ein Wörtchen mitzureden. Schlag ein.« Der stiernackige Brite und der Saarländer reichten sich die Hand.

Die Geburt des Drachen von Annam

La Légion marche vers le front. En chantant nous suivons. Héritiers de ses traditions. Nous sommes avec elle. - Die Legion marschiert zur Front. Ein Lied auf den Lippen folgen wir ihr. Wir, die Erben ihrer Tradition, halten die Reihen dicht geschlossen. (Auszug aus dem Lied der Fremdenlegion: ´La Légion marche. ` Ursprung: Wir zogen übers weite Meer, deutsche Luftwaffe, Legion Condor, Januar 1937.)

Mers-el Kébir. Am 13. Januar 1949 kletterten Montag und Bailey mit ihrer zukünftigen Einheit, dem 2. BEP, an Bord der Maréchal Joffre. Die Gesamtstärke des Bataillons belief sich auf 27 Offiziere, 90 Unteroffiziere und 625 Legionäre. Begleitet vom Geschmetter der Tambouren, von den Pauken und Trompeten der Musikkapelle der Fremdenlegion, legte die Maréchal Joffre pünktlich ab. Noch lange danach standen die Legionäre dicht gedrängt auf dem Vorderdeck. Jeder wollte seinen Gruß loswerden und zum letzten Mal ein Stück Heimat sehen. Das Schiff, das mit sechzehn Knoten Richtung Südosten in See stach, wirkte wie ein Vorbote auf den Krieg, der weit hinterm Horizont auf die hauptsächlich jungen Legionäre wartete. Es sollte die Männer des 2. BEP in ein Abenteuer führen, von dem sie nachher nicht sagen konnten, ob es ihre Seele in einen tiefen Abgrund gestürzt oder ihnen geholfen hatte, Mensch zu werden.

Adieu altes Europa, der Teufel soll dich holen.

Die Überfahrt dauerte 27 Tage. Kaum einer hatte eine Idee, was bei ihrer Ankunft geschehen würde und so war die Neugier eine Triebfeder für die Kameradschaft und für den Optimismus den die Legionäre an den Tag legten. Man lernte sich kennen, spielte Karten, Schafkopf und ´la belote`. Karlheinz Montag, der bereits einige Brocken französisch sprach, versuchte sich in Englisch und Bailey übte Worte wie la binouse et le pinard, aller en taule, creuser un trou et aller se faire foutre: Bier, Wein, Knast, ein Loch buddeln und zum Teufel gehen. Schöne Sache, very nice. Im ständigen Brummen der kräftigen Motoren der Maréchal Joffre wuchs der Zusammenhalt jede Minute. Zwischenfälle gab es nicht, nur die Ungewissheit war omnipräsent.

Adieu vieille Europe

Que le diable t'emporte. Adieu altes Europa. Der Teufel soll dich holen. Adieu altes Land.

Hatten die Legionäre davon geträumt, im wilden zerklüfteten Norden des Landes eingesetzt zu werden, wo außer dem Feind auch legendäreeinheimische Schönheiten von seltener Grazie und sanfter Anmut lockten, so wurden sie herb enttäuscht. Kaum legte die Maréchal Joffre im Hafen von Cap Saint-Jaques an, wurden sie auch schon darüber informiert, dass zunächst der Süden des Landes - Kambodscha und Cochinchina, auf sie warteten. Dennoch, die erste Begegnung mit dem Extrême-Orient war wie ein Schock der Kulturen. War in Europa alles grau, zerbombt und monoton, drehten sich die Gedanken dort in der alten Heimat nur darum, aus Häufen von Schutt und Asche und aus verbrannter Erde Neues entstehen zu lassen, so offenbarte sich den Legionären hier eine ganz andere Welt. Sie erfuhren eine Leichtigkeit des Seins, berauschten ihre Sinne an exotischen Parfüms, an bunten Farben und an der Vielfalt der Geräusche. Nie hatten sie Märkte gesehen, die so proppenvoll mit frischem Obst und Gemüse waren. Orangefarbene Papaya, rote Mango Früchte, wohlduftende reife Ananas und kleine sattgelbe Bananen. Garküchen mit fremden Gerichten waren an jeder Straßenecke zu sehen. Es gab Schlangenschnaps, Reissuppe, geräucherte Fischschwänze, Ingwer, Zitronengras und Klebreisbällchen. Die Männer lachten, waren freundlich, die Frauen grazil und zerbrechlich schön, die Temperaturen angenehm. Alles war rund, alles war aufregend. Cochinchina war aber auch Land des Vietminh. Bereits zehn Tage nachdem das Bataillon dieses Land betreten hatte, kam es zum ersten Feuergefecht mit den Rebellen. Die Legionäre Milos, Podharski und Deutch-Gustav wurden verletzt. Und es gab eine Zeremonie in der Stadt Phnom-Penh. Sie fand unter den Augen des Königs von Kambodscha statt. Besser konnte das Abenteuer Indochina gar nicht beginnen.

Plaine des Joncs

Die Ebene der Binsen

Diese Angelegenheit kann in drei Monaten geregelt werden oder in dreißig Jahren. Wenn ihr uns zum Krieg zwingt und ihr tötet zehn meiner Männer und ich töte einen von euch ... zu diesem Preis bleibe ich immer noch der Gewinner. Ho Chi Minh, September 1946.

Cochinchina, Kambodscha. 07. Juni, 1949. Es gab mehr als ein Dutzend Anzeichen dafür, dass das auf einem aufgeschütteten Hügel gelegene Dorf bewohnt war. Aus jeder der mit Stroh bedeckten Canhas (Bauernhütten), stieg Qualm empor. Schweine räkelten sich in den Schlammkuhlen, ein Hund kläffte und eine Obstplantage wartete nur darauf, dass man sich um sie kümmerte. Es war ein idyllischer Ort, in dem es nach Reis, Kaffee, Bohnen und gegarten Süßkartoffeln roch.

Und nach dem Tod.

»Eine Falle. Die verdammten Schweine planen einen Hinterhalt.«

Sergent Bouger rief sich den Auftrag in Erinnerung, den er aus dem Mund von Leutnant Caillaud persönlich erhalten hatte. Er war einfach, eine Interpretation kaum denkbar: Aufklären, aufstöbern, vernichten! Karlheinz Montag suchte vergeblich nach Anzeichen der Vietminh, doch alles war erstarrt. Alles war ruhig. Der sergent, der hinter Montag kniete und der angestrengt durch das Fernglas starrte, nickte.

»Die Einwohner verkrümeln sich, wenn Vietminh in der Nähe sind. Entweder das oder man zwingt sie, sich normal zu verhalten, als ob nichts wäre. Doch man sieht es ihnen an. Die Augen. Es sind die, gehetzter Tiere.«

Sergent Bouger wusste, von was er sprach. Er war ein alter Hase, dies hier bereits sein zweiter Aufenthalt in Indochina. Einen wie ihn konnte man nicht so einfach hinters Licht führen. Mit leiser Stimme gab er seine Befehle an die Gruppe. Er hatte beschlossen, zwei Scharfschützen und das MG unter der Obhut Montags zu lassen. Sie sollten den Angriff decken. Er legte Montag seine Hand auf die Schulter.

»Siehst du die Blende aus Bambus? Links von der ersten Hütte?«

Montag sah hinüber und bekam eine Gänsehaut. Er wusste sofort, was der sergent meinte. Es handelte sich um eine Art Pferch, hinter dem die Nhà Quês, die Bauern, normalerweise ihre Vorräte aufbewahrten. Auf Bodenhöhe und etwa in der Mitte konnte Montag einen Schatten, eine dunkle Stelle ausmachen, in der man, wenn auch nur mit Mühe, die Mündung eines Maschinengewehres erkennen konnte. Hätte Montag einen Blick durch das Fernglas getan, so hätte er bemerkt, dass die Stelle vor der vermeintlichen Mündung des feindlichen Maschinengewehrs feucht schimmerte.

Jemand hatte den Boden unmittelbar um die Mündung herum mit Wasser besprengt. Bei der Schussabgabe würde so der aufwirbelnde Staub die Position nicht verraten und dem Schützen wurde dadurch nicht die Sicht genommen.

Da waren erfahrene Guerilla am Werk!

Unmittelbar neben der Blende erhob sich die Fassade mehrerer abgelegener Hütten aus Bambus. Genau dort, so vermutete der sergent, hatte sich der Rest der feindlichen Guerilla, von deren Präsenz es außer dem vermeintlichen MG keinerlei Anzeichen gab, verschanzt.

»Gesehen«, sagte Montag und nickte.

»Gut. Wenn ich es dir sage, schießt du eine Gewehrgranate genau mitten rein. Wechsel danach sofort die Stellung und vergiss das Nachladen nicht, denn ich verspreche dir, es wird nach dem ersten Zusammenstoß richtig losfetzen. Gleichzeitig soll das MG Dauerfeuer schießen.«

Zum Zeichen, dass er verstanden hatte, streckte Montag seinen Daumen in die Höhe und zielte zwei Handbreit über dem Boden genau in die Mitte des Pferches. Dann wartete er mit angehaltenem Atem auf das Zeichen. Doch noch zögerte der sergent. Irgendetwas stimmte hier nicht. Er schob sich den chapeau de brousse, den von der Sonne ausgebleichten Dschungelhut tief in den Nacken und wirkte recht unentschlossen. Am liebsten hätte er sich eine Zigarette angesteckt, doch aus Erfahrung wusste er, dass dies seine Letzte hätte sein können. Ein feindlicher Scharfschütze konnte überall stecken. Der Qualm hätte nur seine Position verraten und vielleicht den ganzen Auftrag infrage gestellt. Normalerweise hätte er nicht gezögert, das Dorf einfach anzugreifen, doch an seinen Unterarmen sträubten sich die Haare, was für ihn ein deutliches Zeichen war, dass dieser Tag noch einige Überraschungen bergen sollte. Nguyen Van Day, ein freiwilliger vietnamesischer Fallschirmjäger, ging lautlos neben den beiden in Stellung. Montag hatte ihn weder kommen hören, noch hatte er eine Bewegung gesehen.

»Was denkst du, Nguyen?«

Der kleine Vietnamese zuckte mit der Schulter.

»Sie sind da! Sie beobachten uns!«

»Und was werden sie tun?«

Nguyen grinste. »Wenn wir uns nicht beeilen, werden sie das tun, was sie bisher immer getan haben. Sie liefern ein kurzes Feuergefecht und weichen dann aus. Sie nehmen den Kampf nicht an, weiß der Teufel warum, aber ...«

»Aber was? Sag schon.«

»Irgendwie hab ich das Gefühl, dass etwas geschieht. Heute. Hier. Kann ich nicht weiter erklären.«

Irritiert schaute der sergent auf seine Uhr. Es war genau Mittag, Zeit also, an die leeren Bäuche seiner Legionäre zu denken. Er blickte zurück, auf die von der Sonne gebräunten, ungeduldigen Gesichter, dachte daran, wie alles begonnen hatte. Sie waren am 02. Juni, 1949 in der Plaine des Joncs südöstlich von Phnom-Penh abgesprungen. Es war der erste Gefechtssprung einer Kompanie des 2. BEP im Extrême-Orient überhaupt. Die Plaine des Joncs, die Ebene der Riedgräser oder Ebene der Binse, lag teils trocken, teils schwammig in der rasch untergehenden Sonne. Nur einigen wachsamen Legionären fiel auf, dass ein Schwarm Saruskraniche sie dabei beobachtet hatte. Ihre blutroten Köpfe verhießen nichts Gutes. Saruskraniche waren Symbol für Glück und Langlebigkeit.

Glück und Langlebigkeit?

Sicher, aber nur für die Vietnamesen.

Fremdenlegionäre wurden in diesem Land scheinbar nicht alt. Nach dem Sprung ging alles sehr schnell. Man sammelte sich am Boden: die eigentliche Operation, die darauf abzielte Ausbildungslager und Waffen- und Munitionsdepots ausfindig zu machen und die Basiscamps der Vietminh im zugewiesenen Sektor zu zerschlagen, konnte beginnen. Das Gebiet, in dem der Feind lauerte und jede ihrer Bewegungen beobachtete, lag etwa fünfunddreißig Kilometer südwestlich von Saigon und war nur einen Katzensprung von Kambodscha entfernt.

Vorbereitung für einen Hinterhalt.

So marschierten sie die ganze Nacht und den Morgen darauf. Die Nerven gespannte wie Drahtseile, hatten die Legionäre nichts oder nur ganz wenig zu sich genommen, denn die Rationen, die man ihnen gegeben hatte, waren verfallen. Das ganze Zeug war verdorben, ungenießbar. Bis zum 07. Juni war es jeden Tag dasselbe Spiel. Wecken vor Sonnenaufgang. Ein schneller Kaffee, etwas trockenes Brot mit Hartkäse in Dosen und schon waren sie wieder unterwegs. Signalisierten ihnen die vietnamesischen Fallschirmjäger ein Dorf, schwärmte die Kompanie sofort aus. Ein Zug umging im Laufschritt weitläufig den Ort und sicherte Zufahrtswege und Pisten, die dem Feind dazu dienen könnten, sich zu lösen. Innerhalb von Minuten wurden in diesen Abschnitten Hinterhalte angelegt. Ein weiterer Zug brachte sich in Schussweite zum Dorf in Stellung und der Rest der Kompanie drang in dieses ein. Alles geschah ohne Hektik, schnell und lautlos. Die Kompanie funktionierte wie ein Mann, wie eine gut geölte Maschine. Aber der Vietminh wusste Bescheid. Bestens über ihr Kommen informiert, spielte er Verstecken. Da, wo gerade eben noch ganze Banden von Vietminh gemeldet waren, fanden sich nur noch vage Spuren. Der Feind löste sich jedes Mal in Luft auf, sobald man sich den Dörfern näherte. Man fand Karten, schwere Waffen und ganze Kisten mit Munition, Material also, dass den Vietminh auf seiner Flucht nur behindert hätte, doch bis dato war die Operation ein Schlag ins Wasser. Erst spät, als die Nacht längst fortgeschritten war, kamen die Legionäre zur Ruhe.

Legionäre des 2. BEP bei Kämpfen an der RC 6, (Kolonialstraße 6).

Des Nachts wurden rund um das Biwak Sonettes, vorgezogene Alarmposten ausgelegt, die gespannt in die Dunkelheit lauschten. Es war eine nervenaufreibende Angelegenheit, weil der Feind immer und zu jeder Zeit plötzlich vor einem stehen konnte und weil nachts sich alles zu bewegen schien. Nur man selbst durfte sich kaum von der Stelle rühren. Dann plötzlich änderte der Vietminh seine Taktik, fiel Tag und Nacht wie ein gereizter Wasserbüffel über die Kolonnen der Legion her, nur um dann doch wieder auszuweichen. Bereits bei den ersten Kämpfen in der Gegend um Cay-Vong gab es Tote und Verwundete. Die Toten wurden noch vor Ort begraben, jedoch mussten für die Verwundeten Tragbahren angefertigt werden. Das Vorankommen in den Sumpfgebieten erwies sich als extrem schwierig. Teilweise reichten das Wasser und der braune Schlamm den Legionären bis über die Hüften. Im Nachhinein konnte niemand sagen, für wen die Strapazen größer waren. Für die Träger, die mühsam das Letzte aus sich heraus holten um keinen Kameraden zurückzulassen oder für die Verwundeten, die mit dem Schmerz, hervorgerufen durch die teils schrecklichen Verletzungen zu kämpfen hatten. Hinzu kam die Ausrüstung. Die musetten, das kleine Sturmgepäck, vollgepackt mit Munition, Gewehr- und Handgranaten, die Waffen, Stahlhelme und Wasserflaschen, Verbandszeug, Zeltplanen, Funkgeräte und, und, und. Alles musste getragen werden. Dazu war es drückend heiß und die Moskitos waren Tag und Nacht eine Plage. Ganze Kolonnen roter bissiger Ameisen fielen über die Legionäre her und überall wuchs Schilfrohr, überall war Morast und Wasser, Wasser, Wasser. Am besagten 07. Juni wandte sich das Blatt. Unweit von Cai-Lay und das spürte der drahtige sergent, der so viel von Montag hielt, dass er ihn zum Gewehrgranatenschützen auserkoren hatte, waren sie da. Zwischen dem Kanal Tong-Doc-Loc und dem Ort Cai-Lay dominierten Reisfelder die Landschaft bis zum Horizont. Sumpf, Kanäle, weites offenes Gelände. Es war eine Affenhitze. Schwül, feucht drückend brachte auch der ständig wehende Ostwind nicht die erhoffte Erleichterung. Die Legionäre, noch nicht richtig akklimatisiert, waren erschöpft müde und hungrig. Wenn alles gut ging, würde wohl bald eines der Schweine die es im Dorf sicherlich gab, ihre Töpfe und danach die Bäuche füllen. Dann konnte man auch etwas Schlaf bekommen.

Der sergent stieß einen Pfiff aus, hob seine Hand und ließ sie im Bruchteil einer Sekunde wieder sinken.

»Vorwärts. À l'assaut!«

Karlheinz Montag riss am Abzug, während die beiden Scharfschützen nach jeder noch so kleinsten Bewegung Ausschau hielten und das MG losratterte. Gleichzeitig erhob sich der Sturmtrupp und sprang los. Caporal Koesiling hatte Pech. Sein Gewehrriemen verhedderte sich und noch während er versuchte, sich loszureißen, indem er an dem Strauch zerrte, an dem er hängengeblieben war, wurde er von einer Maschinengewehrsalve fast in zwei Teile zerrissen. Er war sofort tot, der Krieg, der noch gar nicht richtig begonnen hatte, für ihn zu Ende. Noch im Laufen warf sergent Bouger eine Handgranate und schoss dann eine Garbe aus seiner Mat-49 genau auf die Stelle, von der ihm plötzlich Mündungsfeuer entgegenschlug. Die Legionäre stürmten von Deckung zu Deckung, drangen gewaltsam in die Hütten ein, wo sie von einer brüsk eingetretenen Stille empfangen wurden. Die Gebäude waren leer, nur am Boden der Zimmer direkt unter den Fenstern sah man leere Patronenhülsen, Zeugen, dass nicht alles nur ein Traum war. Und überall diese Blutspuren. Ein Schrei, dem ein trockenes Würgen folgte, ertönte vom Hinterhof. Man stürmte hinaus, wollte sehen, was geschehen war. Der belgische Legionär, der draußen stand, hatte einen Gummizug um seinen Stahlhelm US-M1, doch anstatt des üblichen Verbandpäckchens war dort eine blaue Schachtel Gauloises de troupe zu sehen – schwarzer, starker Tabak, gerollt in gelben Papier, nach der er nun mit zitternden Fingern griff.

»Fuck it. Schaut mal da hin.«

Er nickte in eine dunkle Ecke, die im Schatten hoher Bäume lag. An Pfählen, die der Vietminh in den Boden gerammt hatte, standen aufrecht zwei Soldaten. Die Arme weit über ihren Köpfen hatte man sie mit Lederriemen festgebunden. Sie waren nackt und blutüberströmt. Die weit aufgerissenen Augen, in denen kaum ein Funke Leben mehr zu erkennen war, sprachen von unmenschlichen Qualen, von einer Barbarei ohnegleichen. Ihre Füße bis hoch zu den Oberschenkeln waren eine einzige zerfleischte Wunde, aus der zerfetztes Fleisch, zerrissene Venen und scharfe Knochensplitter hervorragten. Nguyen deutete auf ein halbes Dutzend schwarz-gelb gefleckter Schweine, die etwas weiter entfernt standen und neugierig zu ihnen herüber äugten.

Sergent Bouger dämmerte es.

»Sie haben die Schweine an ihren Füssen fressen lassen?«

Ein Legionär übergab sich ohne Scham, während der sergent seine Maschinenpistole auf die Tiere richtete und das Feuer eröffnete. Später sollten sie feststellen, dass zwei der gefleckten Vierbeiner jeweils eine Erkennungsmarke an einer Schnur um den Hals trugen. Wie zum Hohn.

Bouger trat näher und erkannte an der Gravur, dass es sich bei den Opfern um Soldaten der französischen Marine handelte. Die beiden galten bereits seit einigen Tagen als vermisst, gefangen während einer anhaltenden blutigen Operation in der Nähe des Vaico Oriental Flusses, 25 Kilometer westlich von Saigon. Ihr Landungsboot hatte während der Kämpfe die Granate einer Bazooka abbekommen. Die beiden Soldaten, noch jung und relativ unerfahren, waren vor lauter Angst in den Fluss gesprungen, wo die Vietminh sie nur noch herausfischen mussten.

Bouger rümpfte die Nase. »Dieser Krieg wird mir langsam unheimlich. Bindet sie los und begrabt sie.«

Eine gutturale Stimme ließ Montag, der neben Bouger getreten war, herumfahren. Die MAS-36 im Anschlag, den Finger am Abzug, schlug sein Herz heftig in der Brust. Die Frau war halb nackt. Hinter ihr drängten andere Frauen und Kinder aus ihrem Versteck, einer überdeckten gut getarnten Kuhle im Boden. Aus großen Augen starrten sie den Legionären entgegen. Sie hatten Angst, zitterten am ganzen Leib.

»Wo sind die Männer?«, fragte Bouger gereizt.

Als der sergent keine Antwort erhielt, zeigte er auf ein Mädchen von höchstens fünfzehn Jahren und gestikulierte wild.

»Du. Die Männer. Wo sind sie hin?«

Er dachte an die beiden toten Marinesoldaten und verzog hasserfüllt sein Gesicht. An Montag gerichtet, sagte er.

»Hey Boche, erschieß das Mädchen.«

Er hatte, während er dies sagte, seine Stimme kaum erhoben, meinte es jedoch ernst. Montag war, als hätte ihm jemand einen Schlag ins Gesicht versetzt. Er riss seine Augen weit auf und schüttelte schließlich ganz energisch den Kopf.

»Augenblick, sergent. Ich führe keinen Krieg gegen Weiber. Lieber fünf Jahre Toiletten schrubben oder mit zentnerschweren Rucksäcken Kreise drehen, als jemals Hand an eine Frau legen.«

Er wich keinen Zentimeter von seiner Position ab, auch dann nicht, als der sergent nach seinem Colt griff, diesen durchlud und sich damit vor den Saarländer aufbaute. Einige Legionäre hatten sich inzwischen genähert. Auch sie trauten ihren Augen und Ohren kaum. Schließlich war es Nguyen der die Lage entspannte.

»Sergent, zeigen Sie Großmut. Die Frauen wissen nicht, wo ihre Männer sind. Und wüssten sie es, würden sie es uns nicht auf die Nase binden.«

Seine Stimme drückte unmissverständlich aus, was alle dachten.

»Man wird uns alle nach Colomb Béchar schicken, wenn wir anfangen, Frauen zu erschießen«, meinte Karlheinz Montag, der den Lauf seiner Waffe inzwischen gesenkt hatte. »Wir sollten lieber nach Spuren suchen. Vielleicht…«

Er hielt inne und legte den Kopf weit in den Nacken. Zwei Maschinen der Luftwaffe donnerten über ihre Köpfe hinweg. Einige Kilometer weiter entfernt ertönten gewaltige Explosionen, die Erde bebte. Nguyen schüttelte langsam den Kopf.

»Sie brechen aus. Die Angst sitzt ihnen im Nacken. Niemand kann sie mehr einholen.«

Nguyen sollte Recht behalten. Unter heftigen Gefechten löste sich der Vietminh vor der Flut der heranrückenden Paras der Legion. Enorme Verluste einsteckend, brach er aus und verschwand im Nirgendwo. Nach Osten, wie man später besser wusste. Sämtliche Versuche, den Feind zu stellen, waren vergeblich und auch ein weiterer Gefechtssprung nahe Bao-Cong, am 16. Juni, brachte nicht den gewünschten Erfolg, den der französische Stab sich von dieser groß angelegten Operation mit dem klangvollen Namen Tan-My erhofft hatte. Nach der Operation folgte für das Bataillon eine Phase, die etwas ruhiger war. Eigentlich konnte man damals von einem Bataillon im herkömmlichen Sinn kaum reden, denn die Kompanien des 2. BEP operierten räumlich wie zeitlich voneinander getrennt. Untergebracht waren sie in Orten mit so klangvollen Namen wie Kompong-Speu, Kompong-Luong, Ta-Khmau oder Kep. Sie alle befanden sich im Großraum Phnom-Penh, Sihanoukville oder an den Ufern des Tonlé-Sap, eines fischreichen Sees nahe bei Ankor Wat, einer der größten Tempelanlage von Kambodscha. Diese südliche Region, ein einziges gewaltiges Gewächshaus, war das Einzugsgebiet des Mekong. Weiße, knorrige Ochsen mit Höckern grasten auf saftigen Weiden, bunte, auf Stelzen errichtete Hütten mit farbigen Geisterhäusern verzierten die Landschaft. Plantagen mit diversen orientalischen Früchten sowie auch Zuckerrohr und Kokospalmen waren omnipräsent, vermischten sich mit sanft grünen Hügeln. Die Hauptverkehrswege bildeten die Flüsse. Rachs, künstliche Kanäle prägten weit verzweigt die Landschaft. Auf stillen Seen wuchsen lilafarbene Lotusblumen, während an ihren Ufern teils noch unbekannte Vögel brüteten. Doch diese Idylle war irreführend, denn der immer brutaler werdende Guerillakrieg draußen in den Reisfeldern nahm wöchentlich zu. Ein Hinterhalt hier, ein Handstreich dort, den Legionären blieb kaum Zeit, ihre Kantinen und Seesäcke richtig auszupacken. Neben den Kampfeinsätzen stand auch der langweilige aber notwendige Dienst in den verschiedenen Garnisonen an: Wache, Aufräumarbeiten, Einrichten der Unterkünfte, O.S. (Ordre Serré, Marsch mit Gesang). Alte Mauern wurden hier abgerissen, andere dort neu hochgezogen und weiß angestrichen. Man schliff Ecken und Kanten rund, bediente sich der fast unerschöpflichen menschlichen Qualität und der verschiedenen Berufe und Erfahrungen der Legionäre. Es folgten fein ausgeklügelte Manöversprünge und Ausbildung an Waffen und Gerät. War die taktische Gefechtsausbildung aufgrund der Erfahrung der Gruppen- und Zugführer - viele hatten sich bereits im Zweiten Weltkrieg oder auf anderen Schlachtfeldern ihre Sporen verdient, zwar ein wichtiges Element, so sollte man nicht vergessen, hinzuzufügen, dass vor allem die jungen Legionäre sich ihre Erfahrungen doch fast ausschließlich im Einsatz holten und dies fast auf einer täglichen Basis. Sport wurde in den Einheiten betrieben, wann immer es ging. Im Gelände und um die kleinen Außenposten der Franzosen, sowie im Laufe der unzähligen Patrouillen tauchte der Vietminh immer dann auf, wenn man ihn am wenigsten erwartete. Er schlug blitzartig zu und verschwand ebenso schnell wieder im Gewirr der Kanäle, der Wälder und der bis zum Horizont reichenden Reisfelder. Dabei hinterließ er jedes Mal einen bitteren Nachgeschmack, Tote und Verletzte und das wiederum schürte Hass.

Das 2. BEP marschiert an zwei Aufklärungsflugzeugen ´Fieseler Storch` vorbei.

Es ist bitter zu sagen, doch für die Legionäre des 2. BEP war es im Grunde ein Segen, denn im Rhythmus, in dem die Zeit verging und die Zahl der Toten und Verletzten stieg, schmiedete sich eine homogene, im Kampf erprobte und solide Einheit zusammen. Man vertraute einander, wusste, es gab immer einen Kameraden, der einen aus einer verfahrenen Situation heraushaute. Und was noch wichtiger war: Es entstanden Freundschaften, die ein Leben überdauern würden. Die Solidarität unter Fallschirmjägern der Legion, dieses blinde Vertrauen und die enge Verbundenheit einer ganz speziellen Truppe, das waren plötzlich nicht nur mehr Worte, die einige verkalkte Stabsoffiziere gar nicht gerne aussprachen: Nein! All das wurde peu à peu Realität. Auch der Mantel der gemütlichen Gediegenheit alter Zeiten einer alternden Truppe wich, verdrängt von einer extremen Mobilität und einer Führergilde, die schnelle und richtige Entscheidungen traf. Was blieb, war eine Truppe, die den Feind überraschte. Die Kompaniechefs, durch die Bank erfahrene auch im Kampf erprobte Offiziere, hatten so viel Charisma, dass man nur von der Kompanie Caillaud, Cazaumayou oder der Kompanie Verguet sprach. Das war wahrhaftig ein Phänomen. Diese Offiziere, Leutnant Cabiro nicht vergessend, hauchten den Paras der Legion des 2. BEP einen dynamischen Geist ein, der schon bald darauf überall in Indochina von sich reden machen würde.

Anm. d. A: Es gab im Bataillon im Laufe der Jahre einige Umgruppierungen. 1951 wurde das 2. BEP zum ersten Mal reorganisiert. Weitere Umgruppierungen oder Reorganisationen folgten. Namen tauchen plötzlich auf und verschwinden wieder. Letzteres ist ein normaler, wenn auch bedauernswerter Prozess. Ein Legionär - egal welchen Dienstgrad er innehat - fällt, der Nächste rückt nach, füllt die entstandene Lücke.

Flughafen Tan Son Nhut, Saigon 1951.