Iron Flame – Flammengeküsst - Rebecca Yarros - E-Book
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Iron Flame – Flammengeküsst E-Book

Rebecca Yarros

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Beschreibung

Wem kannst du vertrauen, wenn der größte Verräter dein eigenes Herz ist? Jetzt fast 1000 Seiten spannendes Lesevergnügen! Violet muss entscheiden, ob sie ans tödliche Basgiath War College zurückkehren will … und inwieweit sie Xaden vertrauen kann. Alle hatten erwartet, dass Violet Sorrengail während ihres ersten Jahres am Basgiath War College sterben würde – Violet eingeschlossen. Doch sie hat überlebt. Das richtige Training beginnt erst jetzt und Violet fragt sich, wie sie das überstehen soll. Die Herausforderungen sind zermürbend, extrem brutal und dafür gedacht, die Schmerzgrenze der Reiter ins Unermessliche zu treiben, aber das größte Problem ist der neue Vizekommandeur, der Violet brechen will – es sei denn, sie hintergeht den Mann, den sie liebt. Auch wenn Violets Körper schwächer und fragiler ist, hat sie immer noch ihren Verstand – und ihren eisernen Willen. Und die wichtigste Lektion, die sie bisher gelernt hat, scheinen alle anderen zu vergessen: Drachenreiter machen ihre eigenen Regeln ... Die Fortsetzung des fulminanten Fantasy-Erfolgs ›Fourth Wing‹.

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Seitenzahl: 1385

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Über das Buch

Eigentlich hatten alle erwartet, dass Violet während ihres ersten Jahres am Basgiath War College sterben würde – Violet eingeschlossen. Doch sie hat überlebt.

Die richtigen Herausforderungen beginnen erst jetzt und Violet ist sich nicht sicher, wie sie diese überstehen soll. Das Training ist zermürbend, extrem brutal und dafür gedacht, die Schmerzgrenze der Reiter ins Unermessliche zu treiben. Das größte Problem ist jedoch der neue Vizekommandeur, der Violet brechen will – es sei denn, sie hintergeht den Mann, den sie liebt.

Violets Körper mag schwächer und fragiler als der anderer Reiter sein, doch sie hat immer noch ihren Verstand – und einen eisernen Willen. Und die wichtigste Lektion, die das Basgiath War College sie gelehrt hat, scheinen alle anderen zu vergessen: Drachenreiter machen ihre eigenen Regeln …

 

 

Von Rebecca Yarros ist bei dtv außerdem lieferbar:

Fourth Wing – Flammengeküsst

Rebecca Yarros

Iron Flame

Flammengeküsst

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Michelle Gyo und Michaela Kolodziejcok

 

 

Anmerkung der Autorin

 

Iron Flame – Flammengeküsst behandelt Themen, die potenziell belastend wirken können. Dieses Buch ist ein spannendes Fantasyabenteuer, das in dem brutalen und von Konkurrenz bestimmten Militärcollege der Drachenreiterinnen und -reiter spielt. Es kommen darin Kriegselemente vor, psychische und physische Folter, Inhaftierung, Gewalt, schwere Verletzungen, lebensgefährliche Situationen, Blut, Verlust von Gliedmaßen, Verbrennungen, Mord, Tod, sterbende Tiere, derbe Sprache, Verlust von Familienmitgliedern, Trauer und sexuelle Handlungen. Leserinnen und Leser, die solchen Dingen gegenüber empfindlich sind, mögen dies bitte zur Kenntnis nehmen und sich wappnen, um sich der Revolution anzuschließen.

 

 

Für meine Mit-Zebras.

Stärke bedeutet nicht immer physische Kraft.

 

 

Der folgende Text wurde von Jesinia Neilwart, Kuratorin des Quadranten der Schriftgelehrten am Basgiath War College, originalgetreu aus dem Navarrianischen in die moderne Sprache übertragen. Alle Ereignisse sind wahr und die Namen wurden beibehalten, um die Gefallenen und ihre Tapferkeit zu ehren. Möge Malek ihren Seelen gnädig sein.

1

In diesem 628. Jahr unserer Vereinigung wird hiermit festgehalten, dass – in Einklang mit dem Vertrag über die Beendigung der Separatistenbewegung – Aretia von Drachen niedergebrannt wurde. Diejenigen, die flohen, haben überlebt. Jene, die nicht flohen, liegen unter Ruinen.

ÖFFENTLICHE BEKANNTMACHUNG 628.85, protokolliert von Cerella Neilwart

 

 

Der Geschmack der Revolution ist überraschend … süß.

Ich starre meinen großen Bruder über den zerschrammten Holztisch der riesigen geschäftigen Küche der Festung von Aretia an und verleibe mir dabei das honiggetränkte Hefebrötchen ein, das er auf meinen Teller gelegt hat. Das schmeckt verdammt gut. Unglaublich gut sogar.

Was unter Umständen auch daran liegen könnte, dass ich drei Tage lang nichts gegessen habe, seit mir ein nicht-so-sagenhaft-wie-gedachtes Wesen eine vergiftete Klinge in die Seite gerammt hat. Es hätte mich fast umgebracht, wäre da nicht Brennan gewesen, der mir jetzt, während ich vor mich hin kaue, gegenübersitzt und nicht aufhört zu lächeln.

Das hier ist vermutlich die mit Abstand surrealste Erfahrung meines Lebens. Brennan lebt. Veneni, dunkle Magier, von denen ich dachte, dass sie nur in Märchen existieren, sind real. Brennan lebt. Aretia steht noch, obwohl es nach der Tyrrischen Rebellion vor sechs Jahren niedergebrannt wurde. Brennan lebt. Meinen Bauch ziert eine neue, siebeneinhalb Zentimeter lange Narbe, aber ich bin nicht gestorben. Brennan. Lebt.

»Die Dinger sind lecker, oder?«, fragt er und angelt sich selbst eins der Brötchen von dem Teller, der zwischen uns steht. »Sie erinnern mich irgendwie an die, die der Koch immer gemacht hat, als wir in Calldyr stationiert waren. Weißt du noch?«

Ich starre ihn an und kaue.

Er ist so … durch und durch er. Und doch ganz anders als in meiner Erinnerung. Seine rotbraunen Locken sind jetzt kurz geschnitten, anstatt ihm in die Stirn zu fallen. Die Konturen seines Gesichts sind schärfer geworden, mit kleinen Fältchen in den Augenwinkeln. Aber dieses Lächeln? Diese Augen? Er ist es wirklich.

Und dass er zur Bedingung gemacht hat, dass ich erst etwas essen muss, bevor er mich zu meinen Drachen bringen will? Das ist so was von absolut Brennan.

Nicht dass Tairn jemals auf eine Erlaubnis von irgendwem warten würde, was bedeutet …

»Ich bin ebenfalls der Meinung, dass du etwas essen musst.« Tairns tiefe, arrogante Stimme erfüllt meinen Kopf.

»Ja, ja«, entgegne ich und unternehme einen erneuten Versuch, Andarna in meinem Geist zu erreichen, als eine der Küchenhilfen vorbeieilt und Brennan ein flüchtiges Lächeln zuwirft.

Von Andarna kommt keine Antwort, aber ich spüre das schimmernde Band zwischen uns deutlich, obwohl es nicht länger golden ist wie ihre Schuppen. Es gelingt mir nicht, ein klares mentales Bild heraufzubeschwören, aber mein Gehirn ist auch noch etwas vernebelt. Sie schläft wieder, was nicht ungewöhnlich ist, wenn sie all ihre Macht zum Zeitanhalten aufgebraucht hat, und nach dem, was in Resson passiert ist, wird sie vermutlich auch noch mindestens die ganze nächste Woche schlafen müssen.

»Du hast bisher kaum ein Wort gesagt.« Brennan neigt den Kopf zur Seite, so wie früher, wenn er versuchte eine Lösung für ein Problem zu finden. »Das ist irgendwie gruselig.«

»Mich beim Essen zu beobachten ist noch viel gruseliger«, kontere ich, nachdem ich heruntergeschluckt habe. Meine Stimme klingt immer noch etwas heiser.

»Na und?« Er zuckt ungeniert mit den Schultern und als er grinst, bildet sich ein kleines Grübchen in seiner Wange. Das ist das einzig verbliebene Jungenhafte an ihm. »Noch vor wenigen Tagen habe ich gedacht, ich könnte dich nie wieder bei irgendwas beobachten.« Er nimmt einen Riesenbissen von seinem Gebäck. Offenbar ist sein Appetit noch unverändert groß, was auf seltsame Weise tröstlich ist. »Gern geschehen übrigens. Betrachte das Heilmachen als mein unerwartetes Geschenk zu deinem Einundzwanzigsten.«

»Danke.« Stimmt, ich habe meinen Geburtstag verschlafen. Aber bestimmt hat der Umstand, dass ich haarscharf dem Tod entkommen bin, ohnehin für genug Trubel gesorgt in dieser Burg oder diesem Haus oder wie auch immer es genannt wird.

Xadens Cousin Bodhi kommt in Uniform in die Küche marschiert, den einen Arm in einer Schlinge und mit frisch gestutztem schwarzem Lockenschopf.

»Lieutenant Colonel Aisereigh«, sagt er und reicht Brennan ein zusammengefaltetes Schreiben. »Das kam soeben aus Basgiath. Der Reiter wird bis heute Abend warten, falls Sie eine Antwort schicken wollen.« Er schenkt mir ein Lächeln und wieder einmal fällt mir auf, wie sehr er einer sanfteren Version von Xaden ähnelt. Mit einem knappen an meinen Bruder gerichteten Nicken dreht er sich um und geht weg.

Basgiath? Ein weiterer Reiter hier? Wie groß ist diese Revolution eigentlich genau?

Die Fragen schießen mir schneller durch den Kopf, als ich meine Zunge bewegen kann. »Moment mal. Du bist jetzt Lieutenant Colonel? Und wer ist Aisereigh?«, frage ich. Na klar, weil das die brennendsten Fragen sind, die im Moment geklärt werden müssen.

»Ich musste mir aus naheliegenden Gründen einen neuen Nachnamen zulegen.« Er wirft mir einen kurzen Blick zu, faltet das Schreiben auseinander und bricht dabei das blaue Wachssiegel. »Und du wärst erstaunt, wie schnell man befördert wird, wenn alle Ranghöheren sterben wie die Fliegen«, sagt er. Dann liest er den Brief und flucht leise, ehe er ihn in seiner Hosentasche verschwinden lässt. »Ich muss jetzt zu einer Sitzung des Revolutionsrats, aber du isst in Ruhe auf. Wir treffen uns in einer halben Stunde draußen in der Halle, damit ich dich zu deinen Drachen bringen kann.« Sämtliche Spuren des Grübchens, des lachenden großen Bruders sind mit einem Mal wie weggewischt und stattdessen sitzt ein Mann vor mir, den ich kaum wiedererkenne, ein mir unbekannter Offizier. Brennan könnte genauso gut ein völlig Fremder sein.

Ohne eine Antwort von mir abzuwarten, schiebt er unter lautem Scharren seinen Stuhl zurück, steht auf und geht aus der Küche.

An meiner Milch nippend starre ich auf den leeren Platz, den mein Bruder zurückgelassen hat, der Stuhl steht so vom Tisch abgerückt, als würde er jeden Moment zurückkommen. Ich schlucke mühsam die Reste des Brötchens herunter, die mir hinten am Gaumen kleben, und recke das Kinn. Eins steht für mich fest: Niemals wieder werde ich herumsitzen und auf die Rückkehr meines Bruders warten.

Ich stehe vom Tisch auf und folge ihm, lasse die Küche hinter mir und stiefele den lang gestreckten Gang hinunter. Offenbar hatte er es ziemlich eilig, denn er ist nirgendwo mehr in Sicht.

Der aufwendig gemusterte Teppich dämpft meine Schritte in dem breiten Flur mit der hohen Gewölbedecke, als sich vor mir eine – oh wow! Die polierte zweiflügelige Treppe mit den kunstvoll geschnitzten Geländern windet sich vor mir drei – nein sogar vier – weitere Stockwerke nach oben.

Vorhin war ich noch zu sehr auf meinen Bruder fokussiert, um meine Umgebung wahrzunehmen, aber jetzt starre ich mit offenem Mund auf die Architektur dieser gewaltigen Halle. Jeder Treppenabsatz ist leicht versetzt zu dem jeweils darunterliegenden positioniert, als würde die Treppe eben den Berg hinaufklettern, in den diese Festung gehauen ist. Das Morgenlicht strömt durch Dutzende kleine Fenster, die ins Mauerwerk oberhalb der mächtigen Flügeltür des Festungseingangs eingelassen das einzig schmückende Element an der fünf Stockwerke hohen Wand sind. Sie scheinen ein Muster zu bilden, aber ich stehe zu nah dran, um es in Gänze erkennen zu können.

Meine Position bietet mir nicht die allerbeste Perspektive, was mir im Moment wie die Metapher für mein ganzes Leben erscheint.

Mit Adleraugen beobachten zwei Wachen jeden meiner Schritte, unternehmen aber keinerlei Anstalten, um mich aufzuhalten, als ich an ihnen vorbeigehe. Offenbar bin ich wenigstens keine Gefangene.

Ich setze meinen Weg durch die Haupthalle des Hauses fort, bis ich schließlich Stimmen vernehme, die aus einem Raum auf der gegenüberliegenden Seite dringen, einer der großen mit Schnitzwerk verzierten Türflügel steht sperrangelweit offen. Während ich darauf zuhalte, erkenne ich sofort Brennans Stimme, und beim Klang des vertrauten Timbres zieht sich meine Brust zusammen.

»Das wird nicht funktionieren«, dringt Brennans dunkler Bass an mein Ohr. »Nächster Vorschlag.«

Ich durchquere das gewaltige Foyer, wobei ich den zwei weiteren sich rechts und links von mir auftuenden Gebäudeflügeln keine großartige Beachtung schenke. Dieser Ort ist in der Tat bemerkenswert. Halb Palast, halb Heimstatt und doch vom Fundament bis zum Dach eine Festung. Ihre dicken Steinwände waren es, die sie vor sechs Jahren vor ihrem vermeintlichen Untergang bewahrt haben. Soweit ich gelesen habe, wurde Riorson House nie von einer Armee eingenommen, auch nicht während der drei Belagerungen, von denen ich weiß.

Stein brennt nicht. Das hat Xaden mir gesagt. Die einstige Stadt Aretia – jetzt nur noch ein kleinerer Ort – wird seit Jahren heimlich, still und leise direkt unter General Melgrens Nase wiederaufgebaut. Dank der Male, mit denen die Kinder der hingerichteten Rebellionsführer gezeichnet wurden, sind sie vor Melgrens Siegelkraft sicher, sobald sie sich in Gruppen von drei oder mehr von ihresgleichen befinden. Melgren kann von keiner Schlacht, bei der sie anwesend sind, den Ausgang vorhersehen, deshalb hat er auch nie »sehen« können, wie sie sich hier formieren.

Bestimmte Merkmale von Riorson House – etwa dass es in den Berghang gehauen ist, seine mit Kopfstein gepflasterten Böden und die stahlverstärkten Flügeltüren am Eingang – erinnern mich an Basgiath, das War College, das ich mein Zuhause nenne, seit meine Mutter dort als Oberbefehlshaberin stationiert wurde. Aber da hören die Ähnlichkeiten dann auch schon auf. Hier gibt es richtige Kunstwerke, nicht nur Büsten von Kriegshelden, die auf Sockeln platziert sind, und ich bin mir ziemlich sicher, dass das ein echter poromischer Wandteppich ist, der dort an der Wand hängt gegenüber von Bodhi und Imogen, die nebeneinander in der offenen Tür stehen.

Imogen legt einen Finger auf die Lippen, dann winkt sie mich zu ihnen. Ich schlüpfe in die Lücke zwischen sie und Bodhi und bemerke, dass Imogens Haare während meiner Auszeit ein knalligeres Pink verpasst bekommen haben. Sie fühlt sich hier sichtlich wohl. Und Bodhi anscheinend auch. Die einzigen Anzeichen, die darauf hindeuten, dass sie beide vor Kurzem in einen Kampf verwickelt waren, sind die Schlinge, in der Bodhis gebrochener Arm hängt, und eine Schnittwunde an Imogens Lippe.

»Jemand muss die Dinge beim Namen nennen«, sagt ein älterer Mann mit Habichtnase und einer Augenklappe am anderen Ende des Tisches, der die gesamte Länge des zweigeschossigen Raums einnimmt. Schütteres, graues Haar rahmt sein hellbraunes, von tiefen Falten durchzogenes, wettergegerbtes Gesicht ein und seine Wangen hängen herunter wie der Bart bei einem Gnu. Er lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und legt eine kräftige Hand auf seinen beleibten Bauch.

An dem Tisch könnten ohne Weiteres dreißig Personen Platz finden, aber es sitzen nur fünf dort, alle auf einer Seite und in Reiterschwarz gekleidet, allerdings leicht versetzt zur Tür und in einem Winkel, bei dem sie sich ganz umdrehen müssten, um uns zu entdecken – was sie nicht tun. Brennan geht vor dem Tisch auf und ab, doch auch er kann uns von seiner Position aus nicht sehen.

Mein Herz hüpft mir in die Kehle und mir wird bewusst, dass es wohl noch eine ganze Weile dauern wird, bis ich mich an den Anblick meines quicklebendigen Bruders gewöhnt habe. Er ist irgendwie derselbe und doch ganz anders als in meiner Erinnerung. Aber er ist hier – am Leben, atmend – und starrt gerade konzentriert auf eine Karte des Kontinents, die in ihrer Größe durchaus mit der im Gefechtskundesaal von Basgiath konkurrieren kann.

Und vor ebendieser Karte steht, den Arm lässig auf die Rückenlehne eines wuchtigen Stuhls gestützt, Xaden und schaut in die Runde am Tisch.

Er sieht blendend aus, selbst mit diesen bläulichen Schatten, die sich unterhalb seiner Augen auf seiner hellbraunen Haut abzeichnen und vom Schlafmangel zeugen. Seine hohen Wangenknochen, die dunklen Augen, deren Ausdruck immer ganz sanft wird, sobald sein Blick mich erfasst, die Narbe, die seine linke Augenbraue schneidet und bis zum Wangenansatz reicht, das sich windende, schimmernde Rebellionsmal, das an seiner Kinnpartie endet, und die geschwungenen Linien seines Mundes, den ich mindestens genauso gut kenne wie meinen eigenen. All das zusammen macht ihn äußerlich vollkommen für mich und das ist nur sein Gesicht. Denn sein Körper? Der ist eine regelrechte Offenbarung, vor allem die Art, wie er ihn zum Einsatz bringt, wenn ich in seinen Armen liege …

Nein. Ich schüttele den Kopf und beende sämtliche Gedanken in diese Richtung. Xaden mag umwerfend sein und mächtig und erschreckend tödlich – was nicht so antörnend sein sollte, wie es ist –, aber ich kann ihm einfach nicht vertrauen, dass er mir über … nun ja, irgendwas die Wahrheit sagt. Was verdammt wehtut angesichts der Tatsache, wie elendig verliebt ich in ihn bin.

»Und welche Dinge wollen Sie beim Namen nennen, Major Ferris?«, fragt Xaden in abgrundtief gelangweiltem Tonfall.

»Das ist eine Sitzung des Revolutionsrats«, flüstert Bodhi mir zu. »Für eine Abstimmung ist ein Quorum von lediglich fünf Stimmen erforderlich, da selten alle sieben Mitglieder zur gleichen Zeit hier sind, und vier Stimmen reichen, um einen Antrag durchzubringen.«

Ich speichere diese Information in meinem Kopf ab. »Ist es uns gestattet zuzuhören?«

»Die Sitzungen stehen allen offen, die teilnehmen wollen«, antwortet Imogen ebenfalls im Flüsterton.

»Und wir nehmen … vom Flur aus teil?«, frage ich.

»Ja«, erwidert Imogen knapp und ohne weitere Erklärungen.

»Zurückzugehen ist die einzige Option«, fährt Habichtnase fort. »Es nicht zu tun würde alles gefährden, was wir hier aufgebaut haben. Es werden Suchpatrouillen kommen und wir haben nicht genug Reiter …«

»Es ist etwas schwierig neue Leute zu rekrutieren, wenn man gleichzeitig unauffindbar bleiben will«, kontert eine zierliche Frau mit glänzendem, rabenschwarzem Haar, ihre dunkelbraune Haut kräuselt sich um die Augenwinkel, als sie den älteren Mann über den Tisch hinweg wütend anstarrt.

»Wir schweifen vom Thema ab, Trissa«, sagt Brennan und reibt sich den Nasenrücken. Er hat die Nase unseres Vaters. Ihre Ähnlichkeit ist geradezu unheimlich.

»Es ist zwecklos unsere Anzahl von Reitern zu erhöhen, wenn wir keine funktionierende Schmiede haben, um sie auch zu bewaffnen.« Die Stimme von Habichtnase erhebt sich über die aller anderen hinweg. »Uns fehlt nämlich immer noch ein Luminarium, falls das noch nicht aufgefallen ist.«

»Und wo stehen wir in den Verhandlungen mit Viscount Tecarus für seins?«, fragt ein stämmiger Mann mit tiefer, ruhiger Stimme, während er sich mit einer ebenholzfarbenen Hand über seinen dichten silbernen Bart streicht.

Viscount Tecarus? Diese Adelsfamilie taucht nirgendwo in den navarrianischen Annalen auf. In unserer Adelsrangfolge gibt es ja nicht mal Viscounts.

»Wir arbeiten weiterhin an einer diplomatischen Lösung«, entgegnet Brennan.

»Es gibt keine Lösung. Tecarus ist immer noch nicht über die Schmach hinweg, die Sie ihm letzten Sommer zugefügt haben.« Eine ältere Frau mit der Statur einer Doppelaxt durchbohrt Xaden mit ihrem Blick, ihr blondes Haar umspielt ihr kantiges Alabasterkinn.

»Ich sagte doch bereits, der Viscount wäre so oder so nicht damit rausgerückt«, erwidert Xaden. »Der Mann sammelt nur Dinge. Er handelt nicht mit ihnen.«

»Tja, jetzt wird er ganz bestimmt nicht einmal mehr mit uns handeln wollen«, kontert sie, die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen. »Vor allem, wenn Sie sein letztes Angebot gar nicht erst in Betracht ziehen wollen.«

»Er kann sich sein Angebot sonst wohin schieben.« Xadens Stimme ist ruhig, aber seine Augen strahlen eine Härte aus, angesichts derer sich alle am Tisch Versammelten anscheinend jeglichen Widerspruch verkneifen. Wie um diesen Leuten seine Gleichgültigkeit zu demonstrieren, tritt er um die Lehne des wuchtigen Stuhls herum, lässt sich hineinfallen, streckt seine langen Beine von sich und legt die Arme auf die Samtpolster der Seitenlehnen – als gebe es nichts auf der Welt, worüber er sich Sorgen machen müsste.

Die Stille, die sich über den Raum senkt, spricht Bände. Xaden genießt hier in dieser Versammlung genauso viel Respekt wie in Basgiath. Bis auf Brennan kenne ich keinen der anderen anwesenden Reiter, aber in Anbetracht ihres Schweigens würde ich wetten, dass Xaden der mächtigste im Raum ist.

»Für den Moment«, erinnert Tairn mich mit einer Arroganz, die sich nur leisten kann, wer seit hundert Jahren einer der furchterregendsten Drachen des gesamten Kontinents ist. »Sag den Menschen, sie sollen dich ins Tal bringen, sobald sie fertig sind mit Politisieren.«

»Es muss eine Lösung her. Wenn wir die Greifenflieger nicht mit ausreichend Waffen versorgen können, damit sie im nächsten Jahr richtig kämpfen können, wird das Blatt sich so wenden, dass keine Hoffnung mehr besteht den Vormarsch der Veneni aufzuhalten«, bemerkt Silberbart. »Dann war alles vergebens.«

Mir sackt der Magen in die Knie. Ein Jahr? Wir sind so kurz davor, einen Krieg zu verlieren, von dem ich vor ein paar Tagen nicht mal etwas wusste?

»Wie gesagt, ich arbeite bereits an einer diplomatischen Lösung, was das Luminarium angeht«, Brennans Ton verschärft sich, »und inzwischen sind wir so meilenweit vom eigentlichen Thema entfernt, dass ich nicht mehr weiß, ob das hier noch dieselbe Zusammenkunft ist.«

»Ich stimme dafür, uns das Luminarium von Basgiath zu schnappen«, schlägt Doppelaxt vor. »Wenn wir so kurz davor sind, diesen Krieg zu verlieren, haben wir gar keine andere Wahl.«

Xaden schießt Brennan einen Blick zu, den ich nicht deuten kann, und als mir die plötzliche Erkenntnis dämmert, ziehe ich scharf die Luft ein: Er kennt meinen Bruder wahrscheinlich besser als ich.

Und er hat ihn vor mir verborgen gehalten. Von allen Geheimnissen, die er vor mir hatte, ist das dasjenige, an dem ich am schwersten zu schlucken habe.

»Und was hättest du mit dem Wissen angefangen, wenn er es dir gesagt hätte?«, fragt Tairn.

»Hör auf, Gefühlen mit Logik begegnen zu wollen.« Ich verschränke meine Arme vor der Brust. Es ist mein Herz, das meinem Kopf verbietet Xaden restlos zu verzeihen.

»Darüber haben wir doch schon gesprochen«, erklärt Brennan mit Nachdruck. »Wenn wir uns die Schmiedeausrüstung von Basgiath unter den Nagel reißen, kann Navarre die Lager seiner Außenposten nicht mit Nachschub versorgen. Zahllose Zivilisten werden sterben, wenn der Schutzzauber zusammenbricht. Will irgendeiner unter uns dafür verantwortlich sein?«

Es herrscht Stille.

»Dann sind wir uns also einig«, sagt Habichtnase. »Die Kadetten müssen nach Basgiath zurückkehren, bis wir in der Lage sind die Greifenschwärme zu versorgen.«

Oh.

»Sie reden über uns«, flüstere ich. Darum stehen wir also außerhalb ihrer Sichtlinie.

Bodhi nickt.

»Du bist ungewöhnlich still, Suri«, sagt Brennan und schaut dabei die breitschultrige Brünette mit dem olivfarbenen Teint und der einzelnen Silbersträhne im Haar an, die neben ihm sitzt. Ihre Nase zuckt wie bei einem Fuchs.

»Ich schlage vor, wir schicken alle zurück bis auf die zwei.« Ihre Nonchalance jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken, als sie mit knochigen Fingern auf den Tisch trommelt, wobei ein riesiger Smaragdring an ihrer Hand funkelnd das Licht einfängt. »Sechs Kadetten können genauso gut lügen wie acht.«

Acht.

Xaden, Garrick, Bodhi, Imogen, drei Gezeichnete, die ich nicht die Gelegenheit hatte kennenzulernen, bevor wir in die Schlacht hineinkatapultiert wurden, und … ich.

Übelkeit brandet in mir auf. Die War Games. Eigentlich sollten wir gerade den letzten Wettkampf des Jahres zwischen den Geschwadern des Reiterquadranten in Basgiath beenden. Doch stattdessen sind wir in eine tödliche Schlacht mit einem Feind geraten, von dem ich noch letzte Woche glaubte, er wäre lediglich eine Legende, und jetzt sind wir … na ja, hier, in einer Stadt, die gar nicht existieren sollte.

Aber nicht alle von uns.

In meiner Kehle bildet sich ein Kloß und ich blinzele schnell gegen die Tränen an. Soleil und Liam haben nicht überlebt. Liam. Ein blonder Haarschopf und ein Paar himmelblaue Augen drängen sich in meine Erinnerung und ein scharfer Schmerz explodiert hinter meinen Rippen. Sein aufbrausendes Lachen. Sein blitzendes Lächeln. Seine Loyalität und Freundlichkeit. Es ist alles weg. Er ist weg.

Nur, weil er Xaden das Versprechen gab, mich zu beschützen.

»Keiner der acht ist entbehrlich, Suri.« Silberbart lehnt sich zurück und balanciert auf den hinteren beiden Beinen seines Stuhls, während er die Karte hinter Xaden studiert.

»Was schlägst du vor, Felix?«, entgegnet Suri. »Sollen wir vielleicht unser eigenes War College betreiben, mit der vielen freien Zeit, die uns hier zur Verfügung steht? Die meisten von ihnen haben doch noch nicht mal ihre Ausbildung abgeschlossen. Sie sind bis auf Weiteres für uns noch vollkommen nutzlos.«

»Als ob irgendeiner von Ihnen darüber bestimmen könnte, ob wir zurückkehren«, fährt Xaden dazwischen und zieht die Aufmerksamkeit aller auf sich. »Wir werden die Empfehlung des Revolutionsrats bei unseren Überlegungen sicherlich in Betracht ziehen, aber mehr als das ist es für uns nicht – nur eine Empfehlung.«

»Wir können es uns nicht leisten, Ihr Leben aufs Spiel zu setzen«, entgegnet Suri.

»Mein Leben ist genauso viel wert wie ihrs.« Xaden deutet mit dem Finger auf uns.

Brennans Blick trifft auf meinen und seine Augen werden groß.

Sämtliche Köpfe im Raum drehen sich zu uns um und ich unterdrücke den Impuls zurückzuweichen, als sich alle Blicke auf mich heften.

Wen sehen sie? Liliths Tochter? Oder Brennans Schwester?

Ich recke das Kinn empor, denn ich bin beides … und fühle mich wie keins von beidem.

»Nicht jedes Leben«, sagt Suri und sieht mir dabei direkt ins Gesicht. Autsch. »Wie konnten Sie zulassen, dass sie das Gespräch der Versammlung mit anhört?«

»Wenn Sie nicht wollten, dass sie es hört, hätten Sie die Tür schließen müssen«, bemerkt Bodhi lapidar und betritt den Raum.

»Sie ist nicht vertrauenswürdig!« Suris Wangen mögen rot sein vor Wut, aber in ihren Augen spiegelt sich blanke Angst.

»Xaden hat bereits die Verantwortung für sie übernommen.« Imogen rückt mit einem Schritt zur Seite näher an mich heran. »So brutal dieser Brauch auch sein mag.«

Ich blicke Xaden an. Was zur Hölle meint sie damit?

»Besagte Entscheidung kann ich übrigens immer noch nicht nachvollziehen«, fügt Habichtnase hinzu.

»Die Entscheidung lag auf der Hand. Sie ist ein Dutzend meiner Sorte wert«, sagt Xaden und sein Blick ist so intensiv, dass mir der Atem stockt. Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte ich glatt glauben, dass er es ernst meint. »Und damit spiele ich nicht auf ihre Siegelkraft an. Ich hätte ihr eh alles erzählt, was wir hier besprechen, also erübrigt sich die Diskussion um eine offene Tür.«

Ein Funken Hoffnung entzündet sich in meiner Brust. Vielleicht will er ab jetzt wirklich keine Geheimnisse mehr vor mir haben.

»Sie ist die Tochter von General Sorrengail«, stellt Doppelaxt fest und ihre Frustration ist ihr deutlich anzuhören.

»Und ich bin General Sorrengails Sohn«, hält Brennan dagegen.

»Und du hast in den letzten sechs Jahren deine Loyalität mehr als unter Beweis gestellt!«, ruft Doppelaxt. »Aber sie nicht!«

Die Wut schießt mir heiß den Nacken hoch und bringt mein Gesicht zum Glühen. Sie reden über mich, als wäre ich Luft.

»Sie hat in Resson an unserer Seite gekämpft«, wirft Bodhi mit anschwellender Stimme ein.

»Sie sollte eingesperrt werden!« Suris Gesicht läuft hochrot an, als sie sich vom Tisch wegstößt und aufsteht, den Blick demonstrativ auf die silbernen Enden meines zur Flechtkrone frisierten Haars gerichtet. »Mit dem, was sie weiß, kann sie uns alle ins Verderben schicken.«

»Das sehe ich genauso!«, pflichtet Habichtnase ihr bei und macht keinerlei Hehl aus seiner Abscheu, die er mir gegenüber empfindet. »Sie ist zu gefährlich. Wir müssen sie einsperren.«

Mein Bauch spannt sich an, aber ich setze eine gleichmütige, ausdruckslose Maske auf – so wie ich es Xaden bereits etliche Male habe tun sehen –, während ich die Hände an meinen Seiten lasse, ganz nah an den Scheiden mit meinen Dolchen. Mein Körper mag zerbrechlich sein, meine Gelenke instabil, aber meine Treffsicherheit ist tödlich präzise. Ich werde verdammt noch mal auf keinen Fall zulassen, dass sie mich hier irgendwo einsperren.

Ich betrachte nacheinander jedes Revolutionsratsmitglied und wäge ab, wer von ihnen die größte Bedrohung darstellt.

Brennan richtet sich zu seiner vollen Größe auf. »Mit dem Wissen, dass sie an Tairn gebunden ist, der mit jedem neuen Reiter immer tiefere Bindungen eingeht und dessen vorherige bereits so stark war, dass Naolins Tod ihn fast umgebracht hätte? Mit dem Wissen, dass er sterben würde, wenn sie jetzt stürbe? Dass deshalb Riorsons Leben an ihrs geknüpft ist?« Er deutet mit einem Nicken auf Xaden.

Der bittere Geschmack der Enttäuschung legt sich auf meine Zunge. Ist das alles, was ich für ihn bin? Xadens Schwachstelle?

»Ich allein stehe für Violet ein.« Xadens Stimme klingt düster. »Und sollte ich nicht genügen, dann gibt es nicht nur einen, sondern sogar zwei Drachen, die sich bereits für ihre Integrität verbürgt haben.«

Okay, jetzt reicht’s.

»Sie steht direkt hier«, fauche ich und verspüre ein schon fast unanständiges Maß an Genugtuung beim Anblick ihrer vor Verblüffung offen stehenden Münder. »Also hören Sie auf über mich zu reden und versuchen Sie mit mir zu reden.«

Einer von Xadens Mundwinkel hebt sich und der Anflug von Stolz in seiner Miene ist unverkennbar.

»Was wollen Sie von mir?«, frage ich und marschiere in die Mitte des Raums. »Wollen Sie, dass ich den Viadukt überquere und meinen Mut unter Beweis stelle? Erledigt. Wollen Sie, dass ich mein Königreich verrate, indem ich poromische Bürger verteidige? Erledigt. Wollen Sie, dass ich seine Geheimnisse bewahre?« Mit der linken Hand deute ich auf Xaden. »Erledigt. Ich habe alle verdammten Geheimnisse für mich behalten.«

»Bis auf das eine, das von Bedeutung war.« Suri wölbt eine Augenbraue. »Wir alle kennen die Umstände, unter denen Sie alle in Athebyne gelandet sind.«

Ein brennendes Schuldgefühl schnürt mir die Kehle zu.

»Das war nicht …«, hebt Xaden an und steht von seinem Stuhl auf.

»… ihre Schuld.« Der Mann, der uns am nächsten sitzt – Felix –, erhebt sich und versperrt mir die Sicht auf Suri. »Kein Rookie könnte einem Erinnerungsseher standhalten und erst recht keinem, den man für einen Freund hält.« Er fährt zu mir herum und sieht mich an. »Aber Sie müssen wissen, dass Sie jetzt Feinde in Basgiath haben. Sollten Sie zurückkehren, müssen Sie sich bewusst sein, dass Aetos nicht zu Ihren Freunden zählt. Er wird alles daransetzen, um Sie für das zu töten, was Sie gesehen haben.«

»Ich weiß.« Die Worte fühlen sich in meinem Mund klebrig an.

Felix nickt.

»Wir sind hier fertig«, erklärt Xaden, bevor sein Blick erst den von Habichtnase einfängt, dann den von Suri, die daraufhin die Schultern sinken lassen, als würden sie sich geschlagen geben.

»Ich erwarte morgen früh einen Lagebericht zu Zolya«, sagt Brennan. »Die Sitzung des Revolutionsrats wird vertagt.«

Die Ratsmitglieder schieben ihre Stühle zurück und erheben sich, während wir aus dem Weg treten, als sie hintereinander an uns vorbei den Raum verlassen. Imogen und Bodhi weichen mir nicht von der Seite.

Als Xaden die Tür erreicht, bleibt er vor mir stehen. »Wir gehen hoch ins Tal. Komm dorthin, wenn du hier fertig bist.«

»Ich gehe jetzt gleich mit dir mit.« Das hier ist der letzte Ort auf dem Kontinent, an dem ich zurückgelassen werden möchte.

»Bleib hier und rede mit deinem Bruder«, sagt er leise. »Wer weiß, wann ihr dazu wieder die Chance bekommt.«

Ich blicke an Bodhi vorbei zu Brennan, der in der Mitte des Raums steht und auf mich wartet. Brennan, der sich immer die Zeit genommen hat mir die Knie zu bandagieren, als ich noch ein Kind war. Brennan, der das Buch geschrieben hat, das mir half das erste Jahr zu überstehen. Brennan, den ich sechs Jahre lang vermisst habe.

»Geh«, drängt Xaden. »Wir werden nicht ohne dich fortgehen und wir lassen uns vom Revolutionsrat nicht vorschreiben, was wir zu tun haben. Wir acht werden gemeinsam über die nächsten Schritte entscheiden.« Er schenkt mir einen langen Blick, der mein Herz, diesen miesen kleinen Verräter, heftig zum Klopfen bringt, dann geht er weg. Bodhi und Imogen folgen ihm.

Und ich drehe mich zu meinem Bruder um, bewaffnet mit einem sechsjährigen Arsenal von Fragen.

2

Das wertvollste Gut von Riorson House ist das oberhalb von ihm liegende Tal, das durch natürliche thermische Energie erwärmt wird. Denn dort befindet sich die Brutstätte der Dubhmadinn-Linie, von der zwei der mächtigsten Drachen unserer Zeit – Codagh und Tairn – abstammen.

Colonel Kaori

HANDBUCH DER DRACHENKUNDE

 

 

Bevor ich auf Brennan zugehe, schließe ich langsam die hoch aufragende Tür hinter mir. Dieses Treffen ist definitiv nicht öffentlich.

»Hast du genügend gegessen?« Er lässt sich auf der Tischkante nieder, so wie er es früher immer getan hat, als wir noch Kinder waren. Diese Geste ist so was von typisch für ihn. Und was seine Frage angeht? Die ignoriere ich komplett.

»Hier hast du also die letzten sechs Jahre gesteckt?« Meine Stimme droht zu brechen. Ich bin so froh, dass er am Leben ist. Das ist alles, was zählen sollte. Dennoch kann ich die vielen Jahre, in denen er mich um ihn hat trauern lassen, nicht so einfach abschütteln.

»Ja.« Seine Schultern sacken nach unten. »Tut mir leid, dass ich dich in dem Glauben gelassen habe, ich sei tot. Aber es war der einzige Weg.«

Prompt setzt betretene Stille ein. Was soll ich dazu sagen? Schon okay, aber eigentlich doch nicht? Es gibt so viel, was ich ihm sagen will, so viel, was ich fragen muss, aber plötzlich erscheinen die Jahre, die wir getrennt waren, so … alles bestimmend. Keiner von uns ist noch dieselbe Person.

»Du siehst anders aus.« Er lächelt, doch es wirkt traurig. »Nicht auf negative Weise. Einfach nur … anders.«

»Ich war vierzehn, als du mich zum letzten Mal gesehen hast«, erwidere ich und ziehe eine Grimasse. »Ich schätze, ich bin noch genauso groß wie damals. Ich habe immer gehofft, dass ich auf den letzten Drücker noch einen Wachstumsschub bekomme, aber na ja … hier bin ich.«

»Hier bist du.« Er nickt bedächtig. »Ich habe mir dich immer in den Farben der Schriftgelehrten vorgestellt, aber Schwarz steht dir ganz ausgezeichnet. Bei den Göttern …« Er seufzt. »Meine Erleichterung, als ich hörte, dass du das Dreschen überlebt hast, lässt sich nicht beschreiben.«

»Du hast es gewusst?« Ich horche auf. Er hat Informanten in Basgiath.

»Ich wusste es. Und dann tauchte Riorson mit dir hier auf, deine Seite aufgeschlitzt und halb tot.« Er wendet den Blick ab und räuspert sich, dann holt er tief Luft, bevor er fortfährt. »Ich bin so verdammt froh, dass du wieder genesen bist und dein erstes Jahr überstanden hast.« Die Erleichterung in seinem Blick nimmt meiner Wut die Schärfe.

»Mira hat mir dabei geholfen.« Das ist noch milde ausgedrückt.

»Die Weste?«, mutmaßt er richtig. Die leichte Drachenschuppenrüstung unter meinem Flugleder ist ein wahrer Lebensretter.

Ich nicke. »Sie hat sie für mich anfertigen lassen. Mira hat mir auch dein Buch gegeben. Das, was du für sie geschrieben hast.«

»Ich hoffe, es war hilfreich.«

Ich denke zurück an das naive, wohlbehütete Mädchen, das den Viadukt überquerte, und an alles, was es in seinem ersten Collegejahr überstanden hat, um zu der Frau zu werden, die ich heute bin. »Ja, das war es.«

Sein Lächeln bröckelt und er blickt aus dem Fenster. »Wie geht es Mira?«

»Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es ihr sehr viel besser gehen würde, wenn sie wüsste, dass du am Leben bist.« Wozu ein Blatt vor den Mund nehmen, wenn wir nur so wenig Zeit haben?

Er zuckt zusammen. »Schätze, das habe ich verdient.«

Womit diese Frage wohl geklärt wäre: Mira weiß nicht Bescheid. Aber sie sollte.

»Wie hast du’s eigentlich geschafft, dass du noch am Leben bist, Brennan?« Ich verlagere mein Gewicht auf mein anderes Bein und verschränke die Arme vor der Brust. »Wo ist Marbh? Was tust du hier? Warum bist du nicht nach Hause gekommen?«

»Langsam, immer schön der Reihe nach.« Er nimmt die Hände hoch, als wollte er sich ergeben, und ich erhasche einen Blick auf eine runenförmige Narbe auf seiner Handfläche, bevor er die Tischkante ergreift. »Naolin … Er war …« Sein Kiefer zuckt.

»Tairns vorheriger Reiter«, souffliere ich vorsichtig, während ich mich frage, ob er für Brennan möglicherweise mehr als nur das war. »Er war der Siphonierer, der laut Professor Kaori bei dem Versuch, dich zu retten, gestorben ist.« Mir wird schwer ums Herz. »Tut mir leid, dass dein Reiter bei der Rettung meines Bruders ums Leben gekommen ist.«

»Wir werden nicht mehr über jenen sprechen, der vor dir kam.« Tairns Stimme ist rau.

Einer von Brennans Mundwinkeln zuckt. »Ich vermisse Kaori. Er ist ein guter Mann.« Seufzend hebt er den Kopf und begegnet meinem Blick. »Naolin hat nicht versagt, doch es kostete ihn alles. Ich erwachte nicht weit von hier an einer steilen Felswand. Marbh war verletzt, aber am Leben und die anderen Drachen …« Seine bernsteinfarbenen Augen suchen meine. »Es gibt noch andere Drachen hier und die haben uns gerettet. Erst versteckten sie uns in dem Höhlennetz im Tal und anschließend bei den Zivilisten, die das Niederbrennen der Stadt überlebt hatten.«

Ich runzele die Stirn, während ich versuche mir auf seine Worte einen Reim zu machen. »Und wo ist Marbh jetzt?«

»Er ist schon seit Tagen im Tal und hält zusammen mit Tairn, Sgaeyl und – seit du wach bist – Riorson bei deiner Andarna Wache.«

»Da war Xaden also? Er hat Andarna bewacht?« Auf der Stelle bin ich etwas weniger sauer darüber, dass er mich offensichtlich gemieden hat. »Und warum bist du hier, Brennan?«

Er zuckt mit den Schultern, als läge die Antwort auf der Hand. »Ich bin aus dem gleichen Grund hier, warum du in Resson gekämpft hast. Weil ich nicht einfach danebenstehen und aus der Sicherheit von Navarres Schutzzauber heraus dabei zuschauen kann, wie unschuldige Menschen durch die Hand von dunklen Mächten sterben, weil unsere Führung zu selbstsüchtig ist, um zu helfen. Aus demselben Grund bin ich auch nicht nach Hause gekommen. Ich konnte nicht nach Navarre zurück in dem Wissen, was wir getan haben – was wir immer noch tun –, und ich konnte nicht einfach unserer Mutter in die Augen sehen und zuhören, wie sie unsere Feigheit rechtfertigt. Ich weigerte mich die Lüge zu leben.«

»Stattdessen hast du Mira und mich sie leben lassen.« Es kommt etwas schärfer heraus, als beabsichtigt, oder vielleicht bin ich wütender, als mir bewusst ist.

»Das ist eine Entscheidung, die ich seither jeden einzelnen Tag infrage gestellt habe.« Das Bedauern in seinen Augen besänftigt kurz meine innere Aufgewühltheit. »Ich dachte mir, ihr habt Dad …«

»Bis wir ihn nicht mehr hatten.« Mir droht die Kehle eng zu werden, deshalb wende ich mich zur Karte und gehe näher heran, um die Details genauer zu betrachten. Anders als die Karte in Basgiath, die täglich bezüglich der Greifenangriffe an der Grenze aktualisiert wird, zeigt diese hier die nackte Wahrheit, die Navarre verstecken will. Dort liegen die Ödlande – jene ausgetrocknete, von Wüste bedeckte Halbinsel im Südosten, die von der Drachenwelt aufgegeben wurde, nachdem General Daramor das Land während des Großen Krieges verdorben hatte. Und die gesamte Region ist karmesinrot eingefärbt. Die farbige Fläche zieht sich bis nach Braevick und über den Dunness hinaus.

Offenbar sind neuere Schlachtfelder mit einer beängstigenden Anzahl leuchtend roter und orangefarbener Fähnchen markiert. Die roten erstrecken sich nicht nur entlang der Bucht von Malek an der östlichen meerseitigen Grenze der Provinz Krovla, sondern ballen sich auch in den Ebenen im Norden, breiten sich aus wie eine Seuche und sprenkeln sogar Teile von Cygnisen.

Die orangefarbenen hingegen sind vor allem entlang des Stonewater zu finden, der direkt bis zur navarrianischen Grenze führt.

»Dann sind die Fabeln also wahr. Veneni kommen aus den Ödlanden, entziehen dem Land die Magie und ziehen von Stadt zu Stadt.«

»Du hast es mit eigenen Augen gesehen.« Er tritt an meine Seite.

»Und die Wyvern?«

»Wir haben seit einigen Monaten von ihrer Existenz gewusst, die Kadetten hatten jedoch keine Ahnung. Um ihrer eigenen Sicherheit willen hatten wir Riorson und die anderen nur eingeschränkt über die Lage informiert, was im Nachhinein betrachtet vermutlich ein Fehler war. Wir wissen, dass es mindestens zwei Arten gibt – eine, die blaues Feuer produziert, und eine schnellere, die grünes Feuer spuckt.«

»Wie viele?«, frage ich ihn. »Und wo erschaffen sie sie?«

»Du meinst wohl: Wo brüten sie sie aus?«

»Nein, erschaffen«, wiederhole ich. »Erinnerst du dich nicht mehr an die Fabeln, die Dad uns früher vorgelesen hat? Darin heißt es, dass die Wyvern von den Veneni erschaffen werden. Sie kanalisieren Energie zu Wyvern. Ich glaube, deshalb sind die unberittenen Wyvern gestorben, nachdem ich ihre dunklen Magier getötet hatte. Ihre Kraftquelle war plötzlich verschwunden.«

»An all das erinnerst du dich noch aus der Zeit, als Dad uns vorgelesen hat?« Er schaut mich verblüfft an.

»Ich habe das Buch noch.« Zum Glück hat Xaden mein Zimmer in Basgiath mit einem Abwehrzauber belegt, so kann das Buch während meiner Abwesenheit nicht in fremde Hände gelangen. »Willst du mir etwa sagen, dass ihr nicht nur nicht wusstet, dass sie erschaffen werden, sondern auch keine Ahnung habt, woher sie kommen?«

»Das ist … richtig.«

»Wie beruhigend«, murmele ich, wobei mir ein elektrisches Kribbeln über die Haut läuft. Ich schüttele kräftig die Hände aus und betrachte wieder die großformatige Karte. Die orangefarbenen Fähnchen befinden sich in erschreckender Nähe zu Zolya, der zweitbevölkerungsreichsten Stadt Braevicks und Standort ihrer Fliegerakademie Cliffsbane. »Der mit dem silbernen Bart sagte, wir hätten ein Jahr Zeit, um das Ruder herumzureißen?«

»Felix. Er ist der abgeklärteste unter den Revolutionsratsmitgliedern, aber ich persönlich glaube, dass er sich irrt.«

Mit einer Handbewegung zeigt Brennan auf die Grenze zwischen Braevick und den Ödlanden entlang des Dunness. »Die roten Fähnchen stammen alle aus den vorangegangen Jahren und die orangefarbenen aus den letzten paar Monaten. Bei der Geschwindigkeit, mit der sie sich ausbreiten, einerseits hinsichtlich der Anzahl der Wyvern, aber auch flächenmäßig? Ich glaube, die Veneni bewegen sich geradewegs am Stonewater entlang und dass uns noch etwa sechs Monate oder sogar weniger bleiben, bis sie stark genug sind, um gegen Navarre vorzurücken – nicht dass der Revolutionsrat darauf hören will.«

Sechs Monate. Ich schlucke gegen die aufsteigende Galle in meiner Kehle an. Laut unserer Mutter war Brennan schon immer ein brillanter Stratege. Ich vertraue seiner Einschätzung. »Die allgemeine Bewegungsrichtung geht nach Nordwesten – gen Navarre. Resson ist die Ausnahme, zusammen mit dem, wofür dieses Fähnchen da steht …« Ich zeige auf einen Ort, der schätzungsweise eine Flugstunde östlich von Resson entfernt liegt. In meiner Erinnerung blitzt die verödete Landschaft rund um den ehemals blühenden Handelsposten auf. Diese beiden Fähnchen sind allerdings mehr als bloße Ausreißer; sie sind zwei orangefarbene Flecken in einem ansonsten unberührten Gebiet.

»Wir glauben, dass die Eisenkiste, die Garrick Tavis in Resson gefunden hat, irgendeine Art Köder war, aber wir mussten sie zerstören, bevor wir sie näher untersuchen konnten. Eine ähnliche Kiste wurde auch in Jahna gefunden, die war jedoch bereits in Trümmern.« Er wirft mir einen Blick zu. »Aber die Machart war eindeutig navarrianisch.«

Ich atme tief und lang ein und lasse diese Information sacken, während ich mich frage, welchen Grund Navarre haben könnte einen Köder auszulegen außer dem, um uns in Resson zu töten. »Glaubst du wirklich, die Veneni holen sich Navarre, bevor sie den Rest von Poromiel einnehmen?« Warum sich nicht zuerst die leichteren Ziele schnappen?

»Ja, das tue ich. Ihr Überleben hängt im gleichen Maß davon ab, wie unseres davon abhängt, sie aufzuhalten. Von der Energie in der Brutstätte von Basgiath könnten die Veneni jahrzehntelang zehren. Aber Melgren hält den Schutzzauber für so sicher und stabil, dass er die Bevölkerung nicht warnen will. Oder er hat Angst, die Öffentlichkeit ins Bild zu setzen, weil den Leuten dann klar würde, dass wir doch nicht ganz zu den Guten gehören. Nicht mehr. Und Fens Rebellion hat die Führung gelehrt, dass es sehr viel leichter ist glückliche Bürger zu kontrollieren als unzufriedene – oder gar verängstigte.«

»Und trotz allem schaffen sie es, die Wahrheit verborgen zu halten«, flüstere ich. An irgendeinem Punkt in unserer Vergangenheit hat eine Generation von Navarrianern die Geschichtsbücher bereinigt und die Existenz der Veneni aus dem Bildungsschatz und dem allgemeinen Wissensfundus ausgelöscht. Nur weil wir nicht bereit sind unsere eigene Sicherheit zu riskieren, indem wir das einzige Mittel zur Verfügung zu stellen, das dunkle Magier töten kann: jene besondere Legierung aus Metall und Magie, die auch unseren Schutzzauber bis in die entlegensten Winkel mit Energie versorgt.

»Tja, na ja, Dad hat immer versucht es uns zu sagen.« Brennans Stimme wird sanft. »In einer Welt von Drachenreitern, Greifenfliegern und dunklen Magiern …«

»… sind die Schriftgelehrten diejenigen, die die ganze wahre Macht besitzen.« Sie sind diejenigen, die die öffentlichen Bekanntmachungen herausgeben. Sie führen die Dokumentationen. Sie schreiben unsere Geschichte nieder. »Glaubst du, Dad wusste es?« Die Vorstellung, dass mein Vater meine ganze Existenz auf einem Fundament aus Fakten und Wissen aufbaute, nur um mir das Wichtigste überhaupt zu verschweigen, ist unbegreiflich.

»Ich ziehe es vor zu glauben, dass er es nicht wusste.« Brennan schenkt mir ein trauriges Lächeln.

»Je näher diese Truppen an die Grenze heranrücken, desto mehr wird es sich herumsprechen. Sie können die Wahrheit nicht unter Verschluss halten. Jemand wird es sehen. Jemand muss es sehen.«

»Ja, und auf diesen Moment muss unsere Revolution vorbereitet sein. Sobald das Geheimnis gelüftet ist, besteht kein Grund mehr, die Gezeichneten unter gezielter Aufsicht der Führung zu halten, und damit werden wir den Zugang zu Basgiaths Schmiede verlieren.«

Da ist es wieder, dieses Wort: Revolution.

»Ihr glaubt, ihr könnt gewinnen.«

»Wie kommst du darauf?« Er dreht sich zu mir um.

»Ihr nennt es Revolution, nicht Rebellion.« Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Tyrrisch ist nicht das Einzige, was Dad uns beiden an Sprachwissen beigebracht hat. Ihr glaubt, ihr könnt gewinnen – im Gegensatz zu Fen Riorson.«

»Wir müssen gewinnen, sonst sind wir tot. Wir alle. Navarre wähnt sich hinter seinem Schutzzauber in Sicherheit, aber was passiert, wenn der Zauber versagt? Wenn wir nicht so mächtig sind, wie die Führung glaubt? Der Schutzzauber ist bereits bis zum Maximum ausgedehnt. Mal ganz abgesehen von den Menschen, die außerhalb davon leben. So oder so, wir sind unterlegen, Vi. Noch nie haben wir erlebt, dass die Veneni sich organisieren und einem Anführer folgen wie in Resson. Und wie Garrick berichtet hat, ist einer von ihnen entkommen.«

»Der Lehrmeister.« Ich erschaudere und schlinge mir die Arme um die Taille. »So hat diejenige, die auf mich eingestochen hat, ihn genannt. Ich glaube, er war ihr Lehrer.«

»Sie unterrichten einander? So, als hätten sie eine Art Schule für Veneni gegründet? Das wird ja immer besser.« Er schüttelt fassungslos den Kopf.

»Obendrein befindet ihr euch hier in Aretia außerhalb des Schutzzaubers«, stelle ich fest. Der schützende magische Schild, der von der Brutstätte der Drachen im Tal ausgeht, reicht nicht bis zu den offiziellen Gebirgsgrenzen Navarres, sodass die gesamte Südwestküste Tyrrendors – einschließlich Aretia – ungesichert ist. Eine Tatsache, die nie groß ins Gewicht fiel, solange wir glaubten, Greife wären die einzige Bedrohung da draußen, da diese nicht hoch genug fliegen können, um die Klippen von Dralor zu überwinden.

»Ja, das ist richtig«, stimmt er zu. »Obwohl Aretia merkwürdigerweise sogar einen inaktiven Obelisken hat. Zumindest glaube ich, dass es einer ist. Ich habe mich dem von Basgiath nie so weit nähern können, dass ich die beiden irgendwie vergleichen könnte.«

Ich runzele die Stirn. Ein zweiter Obelisk? »Ich dachte, im Zuge der Vereinigung wurde nur ein einziger erschaffen?«

»Ja, und ich dachte, Wyvern wären ein Mythos und Drachen der einzige Schlüssel zur Aufrechterhaltung des Schutzzaubers.« Er zuckt mit den Schultern. »Aber das Wissen, wie man neue Schutzzauber kreiert, zählt ohnehin zu den verloren gegangenen Magien, der Obelisk ist also im Grunde nicht mehr als ein überschätztes Kultobjekt. Allerdings hübsch anzusehen.«

»Ihr habt einen Obelisken«, murmele ich und schon beginnen meine Gedanken zu kreisen. Die Aretianer bräuchten nicht so viele Waffen, wenn sie einen Schutzzauber hätten. Wenn sie einen eigenen Schutz errichten könnten, wäre es vielleicht sogar möglich diesen bis nach Poromiel auszuweiten, so wie unser Schutzzauber auch maximal ausgedehnt wurde. Möglicherweise könnten wir so wenigstens ein paar unserer Nachbarn in Sicherheit bringen …

»Einen unnützen, ja. Was wir brauchen, ist dieses verdammte Luminarium. Damit kann die Hitze von Drachenfeuer so erhöht werden, dass man aus der Legierung die einzige Art von Waffe schmieden kann, mit der Veneni getötet werden können. Das ist unsere einzige Chance.«

»Aber was, wenn der Obelisk gar nicht unnütz ist?« Mein Herz rast. Uns wurde immer erzählt, es gebe nur einen einzigen Obelisken, dessen Wirkungsreichweite so stark wie möglich ausgedehnt wurde. Aber wenn es nun doch noch einen weiteren gibt … »Nur weil heutzutage niemand mehr weiß, wie man einen neuen Schutzzauber erschafft, heißt das nicht, dass das Wissen nicht irgendwo noch vorhanden ist. Zum Beispiel im Archiv. Diese Art von Information hätten die Schriftgelehrten definitiv nicht ausgelöscht. Sie hätten sie um jeden Preis bewahrt, nur für alle Fälle.«

»Violet? Was auch immer du gerade ausheckst – vergiss es.« Brennan reibt sich mit dem Daumen über das Kinn, was schon immer sein Anzeichen von Nervosität war. Schon erstaunlich, an was ich mich von ihm erinnere. »Betrachte das Archiv als Feindgebiet. Dieser Krieg kann einzig und allein mit Waffen gewonnen werden.«

»Aber ihr habt weder eine funktionierende Schmiede noch ausreichend Reiter, um euch zu verteidigen, wenn Navarre spitzkriegt, was ihr vorhabt.« Panik kriecht mir wie eine Spinne die Wirbelsäule hinauf. »Und ihr glaubt nicht ernsthaft, ihr werdet diesen Krieg mit einem Haufen Dolche gewinnen?«

»Bei dir klingt es, als wären wir dem Untergang geweiht. Aber das sind wir nicht.« Ein Muskel an seinem Kiefer zuckt.

»Die erste Separatistenrebellion wurde in weniger als einem Jahr zerschlagen und bis vor wenigen Tagen habe ich geglaubt, dass du auch unter den Opfern wärst.« Er begreift es nicht. Das kann er auch nicht. Er hat kein Familienmitglied beerdigt. »Ich habe schon einmal dabei zugesehen, wie deine Sachen verbrannt wurden.«

»Vi …« Er zögert eine Sekunde, dann schlingt er seine Arme um mich und zieht mich an seine Brust, wiegt mich sanft hin und her, als wäre ich wieder ein kleines Kind. »Wir haben aus Fens Fehlern gelernt. Wir werden nicht Navarre angreifen, so wie er es getan hat, oder unsere Unabhängigkeit erklären. Wir kämpfen direkt vor ihrer Nase und wir haben einen Plan. Etwas hat vor sechshundert Jahren während des Großen Krieges die Veneni getötet und wir sind auf der Suche nach dieser Waffe. Die Dolche zu schmieden wird uns ermöglichen den Kampf so lange aufrechtzuerhalten, bis wir diese Waffe gefunden haben, vorausgesetzt, wir können dieses Luminarium beschaffen. Im Moment sind wir vielleicht noch nicht bereit, aber wir werden es sein, wenn Navarre etwas merkt.« Sein Ton ist nicht gerade überzeugend.

Ich entwinde mich ihm und weiche zurück. »Mit welcher Armee denn? Wie viele sind an dieser Revolution beteiligt?« Wie viele werden dieses Mal sterben?

»Es ist das Beste, wenn du nichts Genaues weißt …« Sein ganzer Körper spannt sich sichtlich an und er streckt die Hand erneut nach mir aus. »Ich habe dich schon genug in Gefahr gebracht, indem ich dir zu viel erzählt habe. Zumindest bis du dich erfolgreich gegen Aetos abschirmen kannst.«

Ein Stich durchzuckt meine Brust und ich ducke mich unter seiner Umarmung weg. »Du klingst wie Xaden.« Ich kann die Bitterkeit in meiner Stimme nicht verbergen. Diese von Dichtern beschriebene Glückseligkeit beim Verliebtsein stellt sich offenbar nur ein, wenn der Gegenpart einen zurückliebt. Und wenn dieser Geheimnisse hat, die alles, was einem lieb ist, gefährden? Liebe hat nicht einmal so viel Anstand zu sterben. Sie verwandelt sich einfach in ein jämmerliches Elend. Und genau das ist dieser Schmerz in meiner Brust: ein Elend.

Denn Liebe ist im Grunde nichts anderes als Hoffnung. Hoffnung auf ein Morgen. Hoffnung auf das, was sein könnte. Hoffnung, dass die Person, der man sein ganzes Sein anvertraut hat, es hegen und beschützen wird. Und Hoffnung? Diesem Zeug kann man schwerer den Garaus machen als einem Drachen.

Ein leises Summen kribbelt unter meiner Haut und Wärme fährt mir in die Wangen, als Tairns Macht in Reaktion auf meine gesteigerten Emotionen in mir anschwillt. Zumindest weiß ich, dass ich immer noch Zugang dazu habe. Das Veneni-Gift hat mich dessen nicht für alle Zeit beraubt. Ich bin immer noch ich.

»Ah!« Brennan wirft mir einen Blick zu, den ich nicht recht zu deuten vermag. »Ich habe mich schon gefragt, warum Xaden vorhin hier so rausgestürmt ist, als hätte sein Hintern plötzlich Feuer gefangen. Ärger im Paradies?«

Ich starre Brennan einfach nur an. »Es ist besser, wenn dudas nicht weißt.«

Er lacht kurz auf. »Hey, ich frage meine kleine Schwester, nicht Kadettin Sorrengail.«

»Du bist gerade mal vor fünf Minuten wieder in mein Leben getreten, nachdem du die letzten sechs Jahre deinen Tod vorgetäuscht hast, also entschuldige bitte, wenn ich nicht sofort mein gesamtes Liebesleben vor dir ausbreite. Wie steht’s denn mit dir? Bist du verheiratet? Kinder? Irgendjemand, den du mehr oder weniger für die gesamte Dauer eurer Beziehung belogen hast?«

Er zuckt sichtlich zusammen. »Nein, niemand. Keine Kinder. Die Botschaft ist angekommen.« Seufzend schiebt er die Hände in die Hosentaschen seines Reiterleders. »Ich will kein Arsch sein, aber du solltest keinerlei Details erfahren, bis du dich immer und überall gegen Erinnerungsseher abschirmen kannst.«

Ich winde mich innerlich bei der Vorstellung, dass Dain mich mit seinen Händen berühren und das alles hier sehen könnte, dass er Brennan sehen könnte. »Du hast recht. Sag’s mir nicht.«

Brennan kneift skeptisch die Augen zusammen. »Du hast viel zu schnell eingewilligt.«

Ich schüttele stumm den Kopf und gehe zur Tür.

»Ich muss von hier verschwinden, bevor wegen mir noch irgendwer ums Leben kommt«, rufe ich über meine Schulter. Je mehr ich sehe, eine desto größere Gefahr stelle ich für ihn dar … für das alles hier. Und je länger wir hier sind … Himmel. Die anderen.

»Wir müssen zurückkehren«, verkünde ich Tairn.

»Ich weiß.«

Mit wenigen Schritten hat Brennan mich eingeholt und sein Gesicht ist voll angespannter Sorge. »Ich bin nicht sicher, ob die Rückkehr nach Basgiath wirklich das Beste für dich ist.« Trotzdem öffnet er die Tür.

»Nein, aber es ist das Beste für euch.«

*

Ich bin höllisch nervös, als Brennan und sein Orangefarbener Dolchschwanz Marbh sowie Tairn und ich Xadens imposanten Dunkelblauen Dolchschwanz Sgaeyl erreichen, die im Schutz des Blätterdachs einiger sie sogar noch überragender Bäume steht, wo sie allem Anschein nach etwas bewacht. Andarna. Sgaeyl knurrt Brennan an, bleckt die Reißzähne und macht einen bedrohlichen Schritt auf ihn zu, die Krallen ihrer Klauen voll ausgefahren.

»Hey! Das ist mein Bruder«, warne ich sie und dränge mich zwischen die beiden.

»Das weiß sie«, murrt Brennan. »Sie kann mich nur nicht leiden. Das konnte sie noch nie.«

»Nimm’s nicht persönlich«, erwidere ich, während ich Sgaeyl mit meinem Blick festnagele. »Sie kann niemanden leiden außer Xaden. Mich toleriert sie lediglich, obwohl ich den Eindruck habe, dass ich ihr langsam ans Herz wachse.«

»Ja, so wie ein aggressives Geschwür«, entgegnet sie über unsere mentale Verbindung. Im nächsten Moment schwingt ihr Kopf herum und da spüre ich es.

Das umschattete, schimmernde Band am Rand meines Geistes erstarkt und zieht sich einen Hauch straffer. »Apropos, Xaden ist gerade hierher unterwegs«, sage ich zu Brennan.

»Das ist wirklich abgefahren.« Er verschränkt die Arme vor der Brust und blickt suchend hinter sich. »Könnt ihr die Gegenwart des anderen immer wahrnehmen?«

»Gewissermaßen. Das kommt von der Verbindung zwischen Sgaeyl und Tairn. Ich würde gern behaupten, dass man sich daran gewöhnt, aber das stimmt nicht.« Ich trete zwischen die Baumgruppe und Sgaeyl tut mir einen unerwarteten Gefallen, indem sie, ohne dass ich sie darum bitten muss, von sich aus zur Seite rückt, sodass ich zwischen ihr und Tairn stehe, unmittelbar vor …

Was. Zum. Henker?

Das kann nicht … Nein. Unmöglich!

»Bleib ruhig. Sie wird auf deine Aufregung reagieren und dann ganz übellaunig aufwachen«, warnt Tairn.

Ich starre auf den schlafenden Drachen – der fast doppelt so groß ist wie noch vor ein paar Tagen – und versuche das, was ich sehe und dank des Bandes zwischen uns im Grunde meines Herzens auch schon längst weiß, mit meinem Verstand in Einklang zu bringen. »Das ist …« Ich schüttele den Kopf, während mein Puls zu rasen beginnt.

»Das habe ich nicht erwartet«, sagt Brennan leise. »Da hat Riorson in seinem Bericht heute früh aber einige Details unter den Tisch fallen lassen. Ein derart rapides Wachstum habe ich noch nie zuvor bei einem Drachen erlebt.«

»Ihre Schuppen sind schwarz.« Okay, es laut zu äußern sorgt kein bisschen dafür, dass es sich realer anfühlt.

»Drachen sind nur als Schlüpflinge golden und gefiedert.« Tairns Ton klingt ungewöhnlich nachsichtig.

»Rapides Wachstum«, wiederhole ich flüsternd Brennans Worte und keuche auf. »Wegen des Energieeinsatzes. Wir haben sie zum Wachsen gezwungen. In Resson. Sie hat zu lange die Zeit angehalten. Wir – ich – habe sie zum Wachsen gezwungen.« Ich kann anscheinend nicht aufhören es zu sagen.

»Es wäre so oder so passiert, Silberne, wenn auch langsamer.«

»Ist sie ausgewachsen?« Ich kann den Blick nicht von ihr abwenden.

»Nein. Ihr würdet sie vermutlich als Jugendliche bezeichnen. Wir müssen sie zurück ins Vale bringen, damit sie in den Traumlosen Schlaf eintreten und den Wachstumsprozess abschließen kann. Bevor sie aufwacht, sollte ich dich jedoch warnen, dass dies ein notorisch … gefährliches Alter ist.«

»Für sie? Ist sie in Gefahr?« Für die Dauer eines panikgetriebenen Herzschlags blicke ich zu Tairn.

»Nein, nur jeder in ihrer Umgebung. Es gibt einen Grund, warum Jungdrachen nicht binden. Sie haben nicht die Geduld für Menschen. Oder Ältere. Oder logisches Denken«, brummt er.

»Also so wie bei uns Menschen.« Ein Teenager. Fantastisch.

»Nur mit Reißzähnen und – irgendwann – Feuer.«

Andarnas Schuppen sind so tiefschwarz, dass sie im Sonnenlicht, das durch die Blätter der Bäume filtert, beinahe wie ein sehr dunkles Lila wirken – sie changieren geradezu. Die Schuppenfarbe eines Drachen wird vererbt …

»Moment mal. Ist sie etwa von dir?«, frage ich Tairn. »Ich schwöre bei den Göttern, wenn sie ein weiteres Geheimnis ist, das du mir verschwiegen hast, dann werde ich …«

»Ich sagte dir doch bereits letztes Jahr, dass sie nicht unser Abkömmling ist«, erwidert Tairn und reckt den Kopf in die Höhe, als wäre er beleidigt. »Schwarze Drachen sind zwar in der Tat selten, aber auch kein absolutes Ausnahmephänomen.«

»Und ich wurde zufällig gleich von zwei von ihnen gebunden?«, entgegne ich und starre ihn unverhohlen an.

»Streng genommen war sie golden, als sie dich gebunden hat. Nicht einmal sie wusste, welche Farbe ihr Schuppenkleid annehmen würde. Nur die Ältesten unserer Höhlen können die Pigmentierung eines Schlüpflings erspüren. Tatsächlich sind laut Codagh im letzten Jahr zwei weitere schwarze Drachen geschlüpft.«

»Nicht hilfreich.« Ich lausche auf Andarnas gleichmäßige Atemzüge, um mich zu versichern, dass sie wirklich in Ordnung ist. Riesig, aber gesund. Ich erkenne sie immer noch wieder – ihre etwas rundere Schnauze, die spiralförmige Zeichnung an ihren gewundenen Hörnern, sogar die Art, wie sie ihre Flügel im Schlaf an ihren Körper zieht – das ist eindeutig sie, vom Kopf bis zur Schwanzspitze, nur größer. »Wenn sie einen Morgensternschwanz hat …«

»Die Wahl der Schwanzform hängt vom persönlichen Geschmack sowie den Bedürfnissen ab.« Er schnaubt empört. »Bringen sie euch denn gar nichts bei?«

»Eure Spezies ist nicht gerade für ihre Offenheit bekannt.« Professor Kaori würde sich nach einem Informationsbröckchen wie diesem alle zehn Finger lecken.

Das schattenumflorte Band schlingt sich fester um meinen Geist.

»Ist sie schon wach?« Wie jedes Mal lässt das dunkle Timbre von Xadens Stimme meinen Puls in die Höhe schnellen.

Als ich mich umdrehe, sehe ich ihn neben Brennan im hohen Gras stehen, flankiert von Imogen, Garrick, Bodhi und noch drei anderen Reitern. Mein Blick wandert zu den mir unbekannten Kadetten. Zwei Männer und eine Frau. Schon mehr als seltsam, dass ich zusammen mit ihnen in den Kampf gezogen bin und sie doch nur vom Vorbeigehen auf den Fluren kenne. Ich könnte nicht mal eine Vermutung abgeben, wie sie heißen, ohne mich lächerlich zu machen. Allerdings ist Basgiath auch nicht gerade darauf ausgelegt, dass man außerhalb der eigenen Staffel Freundschaften eingeht.

Oder Beziehungen.

Ich werde jeden einzelnen Tag meines Lebens damit verbringen, dein Vertrauen zurückzugewinnen. Die Erinnerung an Xadens Worte füllt den Raum zwischen uns aus, während wir einander anstarren.

»Wir müssen zurückkehren.« Ich verschränke die Arme vor der Brust und wappne mich für die zu erwartende Auseinandersetzung. »Mir egal, was dieser Revolutionsrat sagt. Wenn wir nicht zurückkehren, werden sie alle Kadetten mit Rebellionsmal töten.«

Xaden nickt, als wäre er in seinen Überlegungen bereits zu dem gleichen Schluss gekommen.

»Sie werden jede Lüge, die ihr ihnen serviert, durchschauen und euch hinrichten, Violet«, erwidert Brennan scharf. »Laut unserem Geheimdienst weiß General Sorrengail bereits, dass ihr vermisst werdet.«

Sie stand nicht mit auf dem Podium, als die Befehle für die War Games ausgegeben wurden. Dieses Jahr war Colonel Aetos, ihre rechte Hand, für die Games zuständig.

Sie wusste es nicht.

»Unsere Mutter würde nicht zulassen, dass sie mich töten.«

»Sag das noch mal«, sagt Brennan sanft. Er neigt den Kopf zur Seite und ähnelt dabei so sehr unserem Vater, dass ich zweimal hinsehen muss. »Aber versuch dieses Mal, dich selbst davon zu überzeugen, dass du es ernst meinst. Die Loyalitäten der Generalin sind so was von eindeutig, dass sie sich genauso gut ›Ja, es gibt Veneni, und nun zurück ins Klassenzimmer‹ auf die Stirn tätowieren lassen könnte.«

»Das heißt aber nicht, dass sie mich töten wird. Ich kann ihr unsere Geschichte glaubhaft verkaufen. Sie wird sie glauben wollen, wenn ich sie erzähle.«

»Du glaubst nicht, dass sie dich töten wird? Sie hat dich in den Reiterquadranten gesteckt!«

Na schön, ein Punkt für ihn. »Ja, das hat sie und weißt du was? Ich wurde eine Reiterin. Sie mag vieles sein, aber sie wird nicht zulassen, dass Colonel Aetos oder Markham mich ohne irgendwelche Beweise töten. Du hast sie damals nicht erlebt, Brennan, als du nicht nach Hause zurückkamst. Sie war … am Boden zerstört.«

Seine Hände ballen sich zu Fäusten. »Ich weiß, welche grauenvollen Dinge sie in meinem Namen getan hat.«

»Sie war nicht anwesend«, sagt einer der mir unbekannten Kadetten und hebt beschwichtigend die Hände, als alle ihn anstarren. Er ist kleiner als der Rest, mit einem Abzeichen der Dritten Staffel, Flammenschwarm, auf der Schulter, hellbraunem Haar und einem rosigen, runden Gesicht, das mich an die Putten erinnert, die für gewöhnlich in die Sockel der Amari-Statuen geschnitzt sind.

»Im Ernst, Ciaran?« Die Brünette mit der blassen Haut aus dem zweiten Jahrgang, die ihrem Schulterabzeichen nach der Ersten Staffel, Flammenschwarm, angehört, hebt eine Hand, um ihr Gesicht gegen die Sonne abzuschirmen, und wölbt eine gepiercte Augenbraue. »Du verteidigst General Sorrengail?«

»Nein, Eya, das tue ich keinesfalls. Aber sie war nun mal nicht anwesend, als die Befehle ausgegeben wurden.« Er hält kurz inne, als sich der Blick der Brünetten wie zur Warnung an ihn verengt. »Aetos war dieses Jahr für die War Games zuständig«, fügt er schnell hinzu.

Ciaran und Eya. Ich blicke zu dem verbliebenen hageren Kerl, der neben Garricks bulliger Gestalt steht und sich gerade mit einer dunkelbraunen Hand die Brille die spitze Nase hochschiebt. »Entschuldige bitte, wie ist dein Name?« Es fühlt sich irgendwie falsch an, sie nicht alle zu kennen.

»Masen«, antwortet er und ein Lächeln huscht über seine Züge. »Und wenn du dich dadurch besser fühlst …« Er wirft rasch einen Blick zu Brennan hinüber. »Ich glaube auch nicht, dass eure Mutter mit den diesjährigen War Games irgendwas zu tun hatte. Aetos hat ziemlich lautstark damit geprahlt, dass sein Dad das Ganze geplant hat.«

Dain, der Mistkerl.

»Danke.« Ich wende mich Brennan zu. »Ich würde meinen Hals drauf verwetten, dass sie keine Ahnung hatte, was uns erwarten würde.«

»Bist du auch bereit die Hälse von uns allen drauf zu verwetten?«, fragt Eya eindeutig nicht überzeugt und blickt zu Imogen auf der Suche nach Zustimmung – doch die bleibt aus.