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In den 70er-Jahren löste Adolf Holls Buch über den wahren Menschen Jesus einen Kirchenskandal aus: Holl wurde als Ketzer gebrandmarkt und seines Priesteramtes enthoben. Sein Bild von Jesus als sanftem Revolutionär und Außenseiter, der Grenzen überschritt und Dogmen in Frage stellte, als Kritiker der Kirche und Freund der Ausgestoßenen, galt als inakzeptabel. Heute ist Holls Klassiker aktueller denn je: Er spricht all jenen aus der Seele, die sich mit den verkrusteten Strukturen des Vatikans, mit strengen Hierarchien und Erstarrung nicht mehr abfinden wollen, die zu Ungehorsam und Erneuerung der Kirche aufrufen. Mit einem vom Autor aktualisierten Vorwort und einem Nachwort von Josef Haslinger.
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Seitenzahl: 262
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Adolf Holl
Jesus in schlechter Gesellschaft
Für I. S.
Im Juli 1971, einen Monat nach dem Erscheinen der Erstauflage meines Buches über Jesus als sozialen Außenseiter, erhielt ich ein Schreiben des Erzbischofs von Wien, Franz Kardinal König. Ich las: „Sie lehnen in diesem Buch das Priestertum ab, ebenso die institutionelle Kirche, die Ihrer Meinung nach Jesus nicht gewollt hat. Für Sie ist Jesus ein hervorragender Mensch, der nach seinem Tod zu einem Gott gemacht wurde. Das haben andere auch schon vor Ihnen gesagt. Sie sind aber der erste Priester, der dies tut. Als Priester müssen Sie wissen, dass mit der Gottessohnschaft Jesu das gesamte Christentum steht und fällt. Sie leben von der Kirche, leben Sie aber auch noch in der Kirche?“
Das, was ich vor 40 Jahren über Jesus schrieb, hat mein Leben verändert. Die ursprüngliche Inspiration dazu hatte ich in den ersten Tagen des Jahres 1968, am Schreibtisch meiner Kaplanswohnung in Wien-Neulerchenfeld, während der Vorbereitung einer Predigt über den Halbsatz aus dem Prolog des Johannesevangeliums: „Die nicht aus dem Blute, nicht aus dem Begehren des Fleisches, nicht aus dem Begehren des Mannes, sondern aus Gott gezeugt sind.“ Ich war gewohnt, den Vers als Absage an die Fleischeslust zu verstehen. Dann hatte ich einen befreienden Einfall. Was wäre, so dachte ich, wenn der Evangelist nicht die geschlechtliche Liebe denunzieren wollte, sondern eine radikale Kritik an der ehrwürdigen Einrichtung der Familie formulierte?
Erst später wurde mir klar, dass ich aus Jesus Christus einen heiligen Anarchisten gemacht hatte, wie Friedrich Nietzsche in seiner StreitschriftDerAntichristvon 1888. Zu diesem Jesus lässt sich nicht beten. Er ist fremd, irritierend, wild und schön, eine Stimme von einem anderen Stern, ein kosmischer Pilger, der in der Wüste gelandet ist, zur Verwunderung der Nomaden. Wer ihm einmal begegnet ist, fühlt sich auf der Erde nicht mehr ganz heimisch.
Das Buch wurde ein Bestseller und in zehn Sprachen übersetzt. In Brasilien wurde es zu einer Grundschrift der Befreiungstheologie. Wer es heute in die Hand nimmt, wird mit dem Schock eines jungen Priesters konfrontiert, der zu seiner Bestürzung erkennen musste, dass sein Amt mit den Absichten seines geliebten Meisters nichts zu tun hatte.
In den letzten Jahren sind allein im deutschsprachigen Raum Dutzende Bücher über Jesus Christus erschienen. Gleichwohl habe ich darauf verzichtet, dieser Ausgabe eine aktualisierte Bibliographie anzuhängen. Warum auch. Die Einsichten und Themen meines Buches sind nie wiederlegt worden, und auch die exegetische Forschung der letzten Zeit hat sie eher bestätigt als entkräftet.
Mittlerweile fühle ich mich wie ein Priester, der in Frühpension geschickt wurde. Zwar besuche ich keine Gottesdienste, aber gelegentlich setze ich mich am Nachmittag in eine schöne Kirche und weiß, warum ich von Jesus noch immer nicht in Ruhe gelassen werde. Das verrate ich aber lieber nicht, aus Gründen der politischen Korrektheit.
Jesus wurde einige Jahre vor Christi Geburt geboren, weil sich ein Kalendermacher aus dem Mittelalter geirrt hat. Die heutige Wissenschaft setzt die Geburt Jesu zwischen 4 und 6 vor Christi Geburt an, und das ist zusammen mit seiner Hinrichtung um 30 nach Christi Geburt so ziemlich alles, worüber unter den Erforschern des Lebens Jesu Einigkeit herrscht.
Manche Gelehrte bestreiten sogar die Tatsache, daß Jesus überhaupt gelebt hat, und fassen ihn als Mythe auf. Dessenungeachtet beten heute rund eine Milliarde Menschen zu diesem Jesus; rund ein Drittel der Weltbevölkerung nennt sich Christen.
Bestenfalls drei Jahre, wahrscheinlich jedoch nur zwei Jahre, möglicherweise nur einige Monate hat Jesus gepredigt. Was vorher war, wird weitgehend verschwiegen von jenen schriftlichen Quellen, auf die allein wir angewiesen bleiben, nämlich den vier „Evangelien“ nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Wohl erzählen Matthäus und Lukas einige wundersame Begebenheiten rund um die Geburt des göttlichen Kindes im Stall von Bethlehem, doch wird das Interesse an genaueren biographischen Angaben über die Person Jesu dadurch nicht zufriedengestellt.
Jesus ist sozusagen plötzlich da: Da kam Jesus von Nazaret in Galiläa zu Johannes an den Jordan, um sich von ihm taufen zu lassen (Matthäus, Markus); als Jesus auftrat, war er ungefähr 30Jahre alt und war, wie man glaubte, der Sohn Josephs (Lukas); am folgenden Tage sieht der Täufer Jesus auf sich zukommen (Johannes).
Nur das Johannesevangelium nennt in diesem Zusammenhang einen Ortsnamen: Betanien, jenseits des Jordan. Dorthin also, in die Gegend der Einmündung des Jordanflusses in das Tote Meer, unweit der alten Stadt Jericho, mag Jesus gegangen sein, um sich der Bußtaufe des Johannes zu unterziehen. Bald danach wird man von ihm zu reden beginnen; jedoch selbst in den Evangelien ist jene Frage stehengeblieben, die sich jedem Interessierten ganz von selbst stellt: Wieso kennt dieser die Schriften, ohne Unterricht erhalten zu haben?
Unbekanntes Vorleben
Die Lücke zwischen den Kindheitsgeschichten Jesu und dem Einsetzen der Berichterstattung von seinem Auftreten in der Öffentlichkeit ist groß. Lediglich Lukas unterbricht dieses allgemeine Schweigen ein einziges Mal: Und seine Eltern zogen jedes Jahr am Osterfest nach Jerusalem; als er zwölf Jahre alt war, gingen sie der Festsitte gemäß hinauf.
In dieser Legende bleibt Jesus von seinen Eltern unbemerkt bei den „Lehrern“ im Tempel, erregt dort allgemeines Staunen durch seine Antworten, wird schließlich entdeckt und kehrt folgsam nach Nazaret zurück: Und Jesus nahm zu an Weisheit und Alter und Gnade vor Gott und den Menschen.
Mehr zu berichten, hält selbst Lukas nicht für notwendig. Offenbar liegt ihm lediglich daran, seinen Lesern klarzumachen, daß Jesus in keine Schule zu gehen brauchte. Seine Kenntnisse in den jüdischen Schriften, ja Lesen und Schreiben überhaupt hätte er demzufolge von anderswo bezogen: von „oben“, also von Gott.
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