Joe Horseman ermittelt in Tropische Gefahr - Tropische Vergeltung - B. M. Allsopp - E-Book

Joe Horseman ermittelt in Tropische Gefahr - Tropische Vergeltung E-Book

B. M. Allsopp

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  • Herausgeber: Atlantik
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Paradiesisches Flair und ein sympathischer Ermittler zwischen Mordfällen und Fernbeziehung. Für alle, die auf der Suche nach einem besonderen Krimi mit Lokalkolorit sind, ist dieser Sammelband ein  Geschenk. Gleich zwei spannende Fälle des sympathischen Kommissars Joe Horsemann laden zum mit Rätseln ein und entführen das Lesepublikum an die Strände der Fidschi-Inseln.  Band 1: Tropische Gefahr Die Fidschi-Inseln: Weiße Strände, exotische Cocktails und Sonne satt – das ist die Heimat von Kommissar Joe Horseman. Immer wenn es brenzlich wird, brüht er sich einen Tee auf – nach alter Fidschi-Manier, von der die Touristen keine Ahnung haben. Doch als Horseman die Inseln für eine Weile verlassen muss, wird es nach seiner Rückkehr alles andere als paradiesisch. In einem idyllischen Resort wird die Leiche einer jungen Frau gefunden. Joe muss schnell handeln, um weitere Opfer zu verhindern – und um seine eigene Stellung zu sichern; auf dem Revier gibt es mittlerweile so einige jüngere Kollegen, die eine steile Karriere anstreben. Band 2: Tropische Vergeltung Schon wieder ein Mord. Und das genau jetzt, wo Kommissar Horseman endlich Besuch von Melissa bekommt. Er hat genau fünf Tage Zeit, um den Fall zu lösen – und um seine Beziehung zu retten. Die Bewohner von Tanoa lieben die Abgeschiedenheit und die traditionelle Lebensweise im Hinterland der Fidschi-Insel Viti Levu. Doch dann rüttelt ein Mord die Gemeinde auf. Ein junger Mann liegt tot in der Dorfkirche. Er wurde mit einer traditionellen Zeremoniekeule erschlagen. Viliame war ein Außenseiter, der mit seinen Ideen zur Modernisierung des Dorfes, nicht nur auf Gegenliebe gestoßen ist. Joe Horseman übernimmt die Ermittlungen. Doch die Gemeinschaft ist verschlossen und Horseman gerät ganz schön unter Druck.

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Seitenzahl: 933

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B. M. Allsopp

Joe Horseman ermittelt in Tropische Gefahr – Tropische Vergeltung

Zwei Fidschi-Inseln-Krimis

Aus dem Englischen von Corinna Rodewald (Band 1) | Marie Rahn (Band 2)

In Gedenken an meine Freundin

Louise Esther Vakamocea

Karte der Fidschi-Inseln

Anmerkung der Autorin: Die Inseln Paradise und Delanarua sind frei erfunden. Alles andere auf dieser Karte existiert, aber fast dreihundert ausnehmend schöne kleine Inseln fehlen.

Prolog

SAMSTAG

Eine Eilseeschwalbe, angelockt vom Weiß, das in den Wellen an den freiliegenden Korallen dümpelte, stieß auf den Rand des Saumriffs herab. Enttäuscht flog sie wieder davon, denn das hier waren keine Fische, sondern nur ein Stück Stoff. Es war von der Dienstkleidung abgerissen, die alle Angestellten des Paradise Island Resorts anlässlich der Feier für das Meeresschutzgebiet getragen hatten: eine anliegende weiße Tunika, schwarz bedruckt mit Kokospalmen und Rugbybällen, kombiniert mit einem schwarzen Sulu, dem Wickelrock der Fidschi-Inseln.

Würde die Seeschwalbe das weiße Stück Stoff näher betrachten, so würde sie entdecken, dass es noch nicht ganz von der Tunika abgerissen war, die den Körper einer jungen Frau umhüllte. Die Frau war vom Meer angespült worden und hatte sich an dem zerklüfteten Grund unterhalb der vorspringenden Korallen verfangen. Unnachgiebig schürften deren spitze Enden an der goldbraunen Haut, während die Wellen den Körper vor und zurück warfen, bis schließlich die Ebbe eintrat.

So entdeckte als Erster ein kleiner Einsiedlerkrebs die Leiche von Akanisi Leletaku, die sich voller Stolz um den Blumenschmuck für die Feierlichkeiten gekümmert hatte. Der Krebs bahnte sich einen Weg über ihre Kleidung, huschte in ihren geöffneten Mund und begann das Weichgewebe zu fressen.

Sonntag

1

SUVA

Detective Sergeant Josefa Horseman blickte aus der Twin-Otter-Maschine hinab, die ihn von Nadi nach Suva brachte, Hauptstadt der Fidschi-Inseln. Um halb acht Uhr morgens stiegen Wolken aus den tiefen Tälern auf; weiße Schwaden, die sich verdichteten, je höher sie hinaufschwebten. Manche von ihnen mochten sich nicht lösen und klammerten sich an die Gipfel. Das Flugzeug zog über das Hochland hinweg und sank über dem breiten Flickenteppich des Rewa-Tals hinab, wo die Bewohner der Kleinbauernhöfe auf den überfluteten Feldern bereits ihrer Arbeit nachgingen.

Nun, da Horseman die silbernen Windungen des Rewa-Flusses sehen konnte, neigten sich auch seine Gedanken dem Leben auf dem Land unter ihm zu. Die neue Brücke in Nausori, schon mit dem Bau in Verzug, als er Fidschi vor einem Jahr verlassen hatte, sah zwar so aus, als wäre die Fahrbahn fertiggestellt, freigegeben aber war sie offenbar noch immer nicht. Der Verkehr führte nach wie vor über die klapprige alte Brücke. Das Flugzeug zog eine Kurve, bevor es sich wieder aufrichtete und auf die Landebahn zuhielt, und Horseman grauste es auf einmal davor, zu den alltäglichen Frustrationen der Polizeiarbeit zurückzukehren.

Die acht Passagiere stiegen aus. Horseman spürte, wie sein Körper heftig gegen das Klima seiner Heimat protestierte. Wo er herkam, war jetzt Winter, hier aber bekam er keine Luft und hatte das Gefühl, in schwülwarmem Dampf zu ertrinken. Ein paar angestrengte Atemzüge schienen seine Lungen jedoch zu weiten, und er humpelte über das Rollfeld zu dem kleinen baufälligen Terminal. Wenige Minuten später hatte er sein Gepäck und trat durch den Ausgang. Sofort wurde er von einer fröhlichen Empfangsgesellschaft aus Verwandten umringt.

»Oi le! Joe, Joe! Bula!«

Strahlendes Lächeln und feuchte Augen begrüßten ihn. Seine Taschen wurden ihm abgenommen. Er umarmte seine Mutter und neigte den Kopf, damit sie ihm einen süß duftenden Salusalu umhängen konnte. Hände klopften ihm auf die Schulter, als würden sie überprüfen wollen, dass er tatsächlich leibhaftig hier war. Schließlich schmückten ihn sechs Blumenkränze, und auf seinem Gesicht vermischten sich Tränen mit Schweiß. Seine Mutter nahm ihn am Arm.

»So, Josefa, Folgendes haben wir geplant. Wenn wir jetzt losfahren, sind wir rechtzeitig im Dorf für die Kirche um elf. Die Jungs bereiten die Grube für das Lovo vor, und der ganze Clan kümmert sich um das Festessen. Es wird etwas ganz Besonderes, alle deine Lieblingsgerichte! Wie lange hast du noch Urlaub?«

Nur zu gern hätte er getan, was alle von ihm erwarteten, wirklich. »Wahrscheinlich gar nicht mehr, Mum. Ich vermute, dass ich mich morgen zum Dienst melden muss. Ich rufe von der Flughafenwache aus im Präsidium an, bevor wir losfahren.«

»Was? Ich kann nicht glauben, dass du keinen Urlaub bekommst nach deiner langen Anreise, so viel, wie du gebüffelt hast, und dazu deine OP, dann die Reha …«

»Mum, wenn es nach den Leuten auf dem Revier geht, hatte ich einen sehr privilegierten Urlaub und bin ihnen eine Menge schuldig.«

Mrs Horseman straffte die Schultern; wenn nötig, würde sie es mit der gesamten Polizei von Fidschi aufnehmen. Mit einem Lächeln erinnerte Horseman sich daran, wie eindrucksvoll sie in seiner Kindheit Fehlverhalten, üblicherweise seines, gehandhabt hatte. Sein Vater war in der Hinsicht lockerer gewesen und hatte das Feld ihr überlassen.

»Entschuldige bitte, aber da bin ich anderer Ansicht, Josefa. Du hast dir das Bein ruiniert, weil du dem Rugbyteam der Polizei Ehre gemacht hast. Ganz zu schweigen von unserer Nationalmannschaft, den Sevens und zwei Weltmeisterschaften. Wenn das nicht die Ausübung deiner Pflichten war, dann weiß ich auch nicht weiter. Fünf Premierships hintereinander! Der Polizeipräsident hat sich im Ruhm gesonnt, als hätte er selbst all die Treffer erzielt! Wie geht es deinem Knie eigentlich inzwischen?« Sie warf den geschulten Blick einer Krankenschwester auf sein rechtes in einer Jeans steckendes Bein. »Das muss ich mir nachher noch genauer ansehen.«

»Es macht sich gut, Mum. Für die nächste Saison sollte ich wieder fit sein.«

»Moment mal, hat der Spezialist nicht gesagt …«

»Detective Sergeant Horseman? Bula, Sir. Es tut mir leid, wenn ich störe, Sir.« Ein schwitzender Polizist in Uniform stand vor ihnen stramm.

Erleichtert drehte Horseman sich zu ihm um. »Bula vinaka, Constable.« Er warf einen Blick auf das Namensschild. »Peni Dau. Stehen Sie entspannt, Peni.«

»Eine Nachricht vom Polizeivizepräsidenten, Sir.« Er reichte Horseman einen formellen braunen Umschlag.

Horseman las die Nachricht. Wieder einmal würde er seine Familie enttäuschen, und er konnte nichts dagegen tun.

»Mum, Leute, es tut mir furchtbar leid, aber ich wurde umgehend ins Präsidium bestellt. Ich habe keine Ahnung, wie es danach weitergeht, aber ich fürchte, ich kann jetzt nicht mit euch nach Hause fahren.«

Die Lippen seiner Mutter zitterten einen Augenblick, dann presste sie sie zu einem schmalen Strich zusammen. »Und welches Recht hat dieser Jungspund Rusiate, deine Heimkehr zu ruinieren? Ich bin mit seiner Schwester zur Schule gegangen! Er war zehn Jahre jünger als wir – ständig hat er sich zu uns aufs Schulgelände geschlichen, um sich hinter seiner Schwester zu verstecken und seine eigenen Klassenkameraden zu verpetzen!«

Ihre rechtschaffene Empörung brachte sie alle wieder zum Lächeln.

»Mum, ich habe dir doch erklärt, dass ich in den Augen der Polizei ein ganzes Jahr lang frei hatte.«

»Nun, dann fahren wir alle in die Stadt, und ich erzähle dem jungen Rusi, was ich davon halte! Dein Cousin Seru ist mit seinem Pick-up da. Da passen wir zu fünft rein. Nach dem Treffen mit Rusi bleibt uns dann genug Zeit, um zum Mittagessen im Dorf zu sein.«

»Ich fürchte, der Boss hat den Kollegen hier geschickt, um mich abzuholen. Ich fahre besser mit ihm, sonst bekommt er Schwierigkeiten. Ich weiß noch nicht, ob ich nach der Besprechung Zeit habe.« Er zuckte die Achseln. »Es tut mir leid, Mum.«

»Wir warten draußen, bis du aus der Besprechung rauskommst, Joe.« Ihre Augen funkelten schelmisch. »Keine Sorge, ich geb mir Mühe, dich nicht zu blamieren, mein Junge.« Es war eine Erleichterung, sie wieder scherzen zu hören. Er tätschelte ihr die Schulter.

Horseman winkte den Polizisten her, der sich diskret ein wenig von ihnen entfernt hatte. Umgehend war er wieder bei ihnen. »Sind Sie bereit zur Abfahrt, Sir? Ich hole den Wagen.«

»Nicht nötig, Peni, ich komme mit Ihnen.«

Sie stiegen ein, doch Constable Dau machte keine Anstalten, den Wagen zu starten. Er sah aus, als würde er sich für eine unangenehme Pflicht rüsten wollen.

»Stimmt etwas nicht?«, wollte Horseman wissen.

Constable Dau hielt den Blick aufs Lenkrad gerichtet. »Nein, Sir. Ich wollte Ihnen nur sagen, Sir, es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen. Wissen Sie, meinen Freunden und mir tut es unendlich leid, dass Sie kein Rugby mehr spielen werden.«

»Wo haben Sie das denn gehört, Peni? Ich habe vor, nächste Saison wieder dabei zu sein oder die übernächste. Und jetzt lassen Sie uns fahren. Wir können den Polizeivizepräsidenten an einem Sonntagmorgen nicht warten lassen.«

 

Es war erst neun Uhr dreißig, als Horseman am Polizeipräsidium oben auf einem Hügel über dem Zentrum von Suva eintraf. Das Gebäude sah aus wie früher, doch der weitläufige asphaltierte Parkplatz gegenüber war verschwunden. Der Fußweg war mit Sperrholzplatten abgetrennt, hinter denen ein Baugerüst gute zwanzig Meter in den Himmel ragte. Die darin eingefasste Struktur schien etwa vier Stockwerke hoch zu sein, was bereits höher war als die meisten Gebäude in Suva. Zu Horsemans Erstaunen waren die Arbeiten selbst am Sonntag im Gange. Ein gewaltiger Kran hob langsam eine Betonplatte an und schwang sie zu den wartenden Bauarbeitern, die sie dann vorsichtig in die richtige Position manövrierten. Eine gefährliche Arbeit, selbst mit den Schutzhelmen, die nicht gerade stabil aussahen, und eine Arbeit, in der die meisten Bauarbeiter auf Fidschi nicht besonders erfahren sein dürften.

»Sie kommen ziemlich schnell voran mit dem Hotel, was?«, bemerkte Constable Dau. »Angeblich soll es bis Weihnachten fertig sein, alle zehn Stockwerke, und die Geschäfte und das Café im Erdgeschoss machen schon im August auf.«

Horseman sah einen Augenblick zu und fragte sich, wo die Bauarbeiter wohl herkamen. Vielleicht waren sie aus dem Ausland zurückgekehrt, angelockt von saftigen Zulagen. Das kam vor, doch wenige, die ihr Glück woanders gesucht hatten, blieben dauerhaft hier, es sei denn, sie hatten in der Fremde eine Niederlage erlebt. »Hier entlang, Sir.« Der Constable führte ihn zur Treppe.

»Sitzt der Vizepräsident noch im zweiten Stock, Peni?«

»Io, Sir.«

»Dann weiß ich, wo ich hinmuss. Warum lassen Sie den diensthabenden Kollegen nicht wissen, dass Sie zurück sind?«

Constable Dau sah unglücklich aus, aber er würde es hinnehmen müssen. Horseman wollte die Treppenstufen unbeobachtet in Angriff nehmen. Die erste Etage bewältigte er mühelos, doch auf den letzten Absätzen rebellierte sein operiertes Knie. Er stützte sich am Geländer ab und trat gleichmäßig auf, das Gewicht auf beide Beine verteilt, so wie die amerikanischen Therapeuten es ihm beigebracht hatten. Oben angekommen blieb er stehen, um zu verschnaufen, bevor er zur einzigen Tür rechts der Treppe ging. Sie stand offen. Er klopfte an die Glasscheibe. Sein Vorgesetzter stand von seinem Schreibtisch auf und kam auf ihn zu.

»Ah, Detective Inspector Horseman, kommen Sie rein, kommen Sie rein. Bula vinaka. Willkommen zu Hause.«

»Vinaka vakalevu, Sir.« Horseman ging nicht auf das ein, was nur ein Versprecher bezüglich seines Rangs gewesen sein konnte.

»Wie geht es Ihnen, Joe, wie geht es Ihnen? Dem Knie geht es wohl besser, hm? Ich habe Sie die Treppe hochkommen gehört, das klang nicht verkehrt. Vielleicht ein bisschen langsam, hm? Wir haben natürlich Berichte von den Ärzten in Oregon bekommen. Sie sind der Meinung, Sie könnten zurück an die Front, solange Sie die Anweisungen befolgen, die Sie erhalten haben, und weiter Ihre Übungen machen. Aber das wissen Sie ja.«

»Ja, Sir. Die OP war erfolgreich, und in der Reha habe ich hart trainiert. Ich hoffe, hier weitere Fortschritte machen zu können.«

»Ein Sportler wie Sie weiß, was Training bedeutet, hm? Ich habe keinen Zweifel, dass Sie dranbleiben und sich wieder vollkommen erholen.«

»Ja, Sir. Ich kann es kaum erwarten, wieder für die Polizei im Einsatz zu sein.«

Der Vizepräsident nickte und lächelte, ein väterliches, mildes Lächeln. Irritierend. »Alles zu seiner Zeit, hm? Aber mir wurde gesagt, das neue Knie sollte für die Polizeiarbeit kein Problem sein. Die siegreichen Zeiten gehen wohl für jeden von uns einmal zu Ende, hm? Aber Sie sind ja noch jung und haben eine anständige Karriere bei uns in Aussicht, Detective Inspector. Sie wurden sicher heute früh von Ihrer Familie in Empfang genommen?«

Was war nur mit dem Vizepräsidenten los? Wurde er senil? Vor einem Jahr hätte er sich bei niemandem in seinem Rang geirrt. »Ja, Sir, es sind einige meiner Verwandten zum Flughafen gekommen, um mich für einen Kirchgang und ein Lovo ins Dorf meiner Mutter zu entführen. Sie waren einigermaßen betroffen, als Constable Dau auftauchte, um mich direkt hierherzubringen. Übrigens warten sie inzwischen draußen vorm Gebäude in der Hoffnung, dass ich nach unserer Besprechung frei habe und mit ihnen fahren kann.«

Sein Vorgesetzter runzelte die Stirn. »Das tut mir leid, Joe, aber in meinem Brief an Sie letzte Woche habe ich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Sie ab heute hier im Dienst gebraucht werden. Der übliche Mangel an Kollegen, hm?«

»Sir, es tut mir leid, aber ich habe Ihren Brief vor meiner Abreise nicht erhalten. Ich musste vorgestern aus Portland abfahren, um am Morgen den Flug von L.A. mit Air Pacific zu erwischen. Vielleicht ist das der Grund.«

Wieder ein väterliches Nicken. »Ach ja, das kann sein. Meine Sekretärin hat noch eine E-Mail geschrieben, als ich nichts von Ihnen gehört habe. Die haben Sie doch sicher bekommen?«

»Nein, Sir. Mein vorübergehender Account auf dem Server der Polizei von Oregon wurde einen Tag vor meiner Abreise aufgelöst – Sicherheitsvorschriften. Die Mail muss also an Sie zurückgegangen sein, oder …« Horseman verstummte wenig überzeugend und ging gedanklich die verschiedenen Möglichkeiten durch.

»Keine Sorge, Joe, die technischen Einzelheiten kümmern mich nicht, ich habe keinerlei Ambitionen, mich mit IT auszukennen, das ist ja einer der Gründe, weshalb wir Sie zu dieser Fortbildung nach Portland geschickt haben.«

»Ja, Sir.«

»In dem Fall haben Sie wohl auch die neuesten Ankündigungen nicht gesehen, hm.« Das war eine Feststellung.

»Nein, Sir, ähm, ich habe mich auch gefragt …«

Sein Vorgesetzter unterbrach ihn. »Warum ich Sie mit Detective Inspector anrede? Und ich habe mich gefragt, warum Sie nichts zu Ihrer Beförderung gesagt haben. Ist Ihnen bewusst, dass es diese Verwirrung in Zeiten des Telegramms nicht gegeben hätte?«

»Vinaka vakalevu, Sir. Das ist eine Überraschung, und eine Ehre.« Der Zeitpunkt war alles andere als günstig, um darum zu bitten, den Rest des Tages frei zu bekommen, aber er war es seiner Familie schuldig. Er bemühte sich um einen unbeschwerten Tonfall. »Sir, das ist umso mehr ein Grund für meine Familie, um zu feiern. Ich fürchte, meine Mutter wird heute kein Nein akzeptieren. Wenn es irgend möglich wäre, erst morgen zum Dienst anzutreten, oder selbst heute Abend …«

Der Vizepräsident blies die runden Wangen auf und ließ die Luft langsam wieder entweichen. »Joe, Ihnen scheint nicht klar zu sein, welche Privilegien Sie in Ihrer Laufbahn bisher genießen durften, weil wir Sie auf dem Rugbyfeld brauchten, damit Sie die Premierships für die Polizei gewinnen. Und selbstverständlich stellen wir auch immer gern die Kollegen frei, die für die Nationalmannschaft ausgewählt werden. In gewissem Maße sind Sie deswegen vor echter Polizeiarbeit bewahrt worden. Alles in unserem eigenen Interesse, ich weiß …«

»Sir, Sie übertreiben. Ein Spieler allein kann niemals ein Match gewinnen.«

»Lassen Sie mich offen reden, Joe. Auf Fidschi gibt es herausragende Spieler zuhauf, aber nur bei wenigen kann man sich darauf verlassen, dass sie eine komplette Saison durchhalten, geschweige denn Jahr für Jahr. Sie aber sind beständig, strategisch, fest entschlossen zu gewinnen. Sie waren, wer wir alle sein wollten. Sie sind ein Anführer. Jetzt ist es an der Zeit, dass Sie diese Eigenschaften für Ihre Karriere einsetzen. Sie sind ein guter Detective, sonst wären Sie nicht befördert worden. Aber jetzt, da Sie nicht mehr auf dem Spielfeld stehen, können Sie ein noch viel besserer sein. Und davon gehe ich auch aus.«

»Ich werde mein Bestes geben, Sir. Auch, wenn ich zurück auf dem Spielfeld bin.«

Es wäre wohl alles andere als hilfreich, jetzt noch weiter zu protestieren. Er und strategisch? Der Meister der Strategie war der Vizepräsident – manipulativer alter Fuchs! Horseman wartete ab. Der Vize schlug eine dünne Mappe auf.

»Gestern Abend kam ein Anruf vom Manager des Resorts auf Vula. Das Resort heißt jetzt Paradise Island – wussten Sie das? Wie absurd! Als wäre Vula so schwer auszusprechen, selbst für Ausländer. Jedenfalls ist der Manager dort aus Neuseeland, ein Kiwi. War gestern ein großer Tag dort, mit viel Tamtam für die Einweihung des Meeresschutzgebiets. Ratu, Presse, Wissenschaftler, alles. Bei Ebbe wurde draußen am Riff die Leiche eines jungen Zimmermädchens gefunden. Wahrscheinlich ein Unfall, aber bleiben Sie unvoreingenommen. Ratu Ezekaia, der Häuptling von Vula, ist ein Freund des Polizeipräsidenten, sie haben bereits gesprochen, es gibt also einen gewissen Druck, die Angelegenheit zu klären. Konnte gestern Abend niemanden mehr rausschicken – beschämend.«

»Wissen wir, wer die Leiche gefunden hat, Sir?«

»Ja, Dr. Vijay Chakra, ein Gast der Zeremonie, der über Nacht da war. Kennen Sie ihn? Er hat eine private Praxis hier in Suva. Meine Frau ist Patientin bei ihm. Sie finden alles, was wir bisher haben, in der Akte.«

Er reichte Horseman einen großen offiziellen Umschlag.

»Die Mitteilung über Ihre Beförderung, neuer Ausweis, Mobiltelefon et cetera. Unterschreiben Sie hier, dann sind Sie startklar. Der restliche Papierkram kann warten.«

Horseman unterzeichnete.

»Sie werden nach Navua gebracht. Ein Boot vom Resort holt Sie dort um elf Uhr dreißig ab – von unseren Booten ist keins verfügbar. Noch so eine Peinlichkeit. Detective Sergeant Singh erwartet Sie am Anleger. Zwei Constables sind bei Tagesanbruch rüber nach Vula beziehungsweise Paradise. Ich will Ihnen auch noch einen Detective Constable zur Seite stellen, hatte bisher aber kein Glück. Sie werden schon merken, wenn er da ist. Stellen Sie sich darauf ein, über Nacht zu bleiben, wenn es sein muss. Das Resort wird sich um Sie kümmern – es ist schließlich in deren Interesse, der Polizei zu helfen.«

»Hat Dr. Chakra einen Bericht zu seiner Untersuchung geschrieben, Sir?«

»Steht alles in der Akte, Joe, alles in der Akte. Melden Sie sich auf dem Revier in Suva, wenn Sie zurück sind. Polizeichef Navala dort wird mich auf dem Laufenden halten. Wo ist Ihr Gepäck?«

»Draußen bei meiner Familie, bei meinem Cousin im Wagen«, antwortete Horseman unwillig. »Ich hole es und verstaue es irgendwo, bis ich wieder da bin.«

»Tun Sie das – Sie werden nicht viel brauchen. Hoffentlich haben Sie ein Bula-Hemd dabei. Die sind in den Resorts anscheinend obligatorisch!« Der Vizepräsident gluckste über seinen Witz. Tatsächlich waren Bula-Hemden, hierzulande die etwas dezentere Version eines Hawaiihemds, bei den Einheimischen genauso beliebt wie bei den Touristen.

Der Vizepräsident redete weiter. »Nun gut, zumindest sollte ich Ihrer lieben Mutter die Lage erklären. Sie und meine Schwester waren in der Schule beste Freundinnen, wissen Sie? Ist das Mindeste, was ich tun kann, hm, Detective Inspector? Ich bin noch früh genug dran für den Gottesdienst oben in der Central Methodist um halb elf.« Der beleibte Mann trug seinen Sieg mit Würde, nahm seine abgegriffene schwarze Bibel und begleitete seinen neuen Detective Inspector zur Tür.

2

UNTERWEGS NACH VULA

Horseman saß tief in seinen Sitz versunken neben Constable Peni Dau. Der Wagen ließ die Siedlungen vor der Stadt hinter sich und wurde auf der Queen’s Road schneller. Horseman nahm die Landschaft, die in verwischtem Grün und dahinter einem strahlenden Blau an ihm vorbeirauschte, kaum wahr. Er hatte angenommen, dass er den Hals recken und gierig das glitzernde Licht, die Farben, die erdigen Gerüche seines Landes in sich aufsaugen würde. Doch jetzt, da er hier war, war es ihm gleich. Seit er aus dem Flugzeug gestiegen war, hatte er keine einzige Entscheidung selbst getroffen. Er war gefahren, begleitet, befördert, zurückgewiesen, angewiesen und weggeschickt worden. Bis hierhin hatte seine Rückkehr in seine Heimat den Menschen, die sich so sehr gewünscht hatten, dass er wiederkam – seiner Familie –, nichts als Enttäuschung und jede Menge vergebliche Liebesmüh beschert.

Er hob die Hand, um das übliche Winken der Leute zu erwidern, an denen sie vorbeifuhren: einzelne Männer, Familien, kleine Gruppen junger Leute, allesamt geschniegelt und im Sonntagsstaat, die Bibel in der Hand. Manche schützten sich mit Schirmen, andere liefen ohne Kopfbedeckung unter der sengenden Sonne. Sie lächelten und winkten, selbst wenn ein fremdes Polizeiauto sie auf dem Weg zur Kirche in eine Staubwolke einhüllte. Nicht umsonst wurde den Menschen auf Fidschi von den Werbetextern der Tourismusindustrie der Titel »freundlichste Menschen der Welt« verliehen. Horseman dachte, dass sie womöglich auch die waren, die am meisten ausgenutzt wurden.

»Haben Sie Lust auf ein paar ordentliche Fidschi-Bananen, Sir?«, fragte der Constable und deutete nach vorn. Hier führte die Straße an einem Strand entlang, dessen weißer Sand von einem Streifen aus Treibgut in zwei geteilt wurde: Seetang, Palmwedel, Holz, Kokosnussschalen, zerrissene Netze, Flaschen, Lebensmittel und unverwüstliche Verpackungsfolien von Knabberkram. Ein paar Hunde und ein kleines Schwein wühlten darin herum. Der beißende Geruch der See vermischt mit erdiger Verwesung attackierte Horsemans Sinne.

»Warum nicht? Diesen Stand gibt es schon, seit ich denken kann.«

Der Constable kaufte zwei Handvoll reifer Bananen vom behelfsmäßig gezimmerten Stand und kehrte zum Wagen zurück.

»Hätten Sie gern direkt eine, Sir?«

Horseman erinnerte sich, dass er seit dem Vorabend im Flieger nichts gegessen hatte. Er stieg aus, und die beiden Männer setzten sich auf das büschelige Gras, das an den Strand grenzte, hielten die Gesichter in die hier stets wehende Brise und aßen schweigend ihre Bananen. Obwohl amerikanische Bananen größer und vollkommener waren, schmeckten sie nicht so intensiv zuckrig wie die kürzeren, schmalen Exemplare mit schwarzgefleckter Schale, die es auf Fidschi gab. Er aß eine zweite und dann noch eine. Langsam fühlte er sich besser.

Zertrümmerte Knochen und Knorpel hatten sein Leben auf den Kopf gestellt. Zumindest für ein oder zwei Jahre. Die Medizin heutzutage war unglaublich. Er wusste nicht, wann, aber er war sicher, dass es nicht allzu lange dauern würde, bis er wieder auf dem Rugbyfeld stand. Jetzt musste er sich aber erst mal auf seine Polizeiarbeit konzentrieren, und dass er so unerwartet befördert worden war, stellte ihn vor die Herausforderung, sich nicht mehr über die Routine und den bürokratischen Frust zu ärgern und mit ganzem Herzen dabei zu sein. Eines der Geheimnisse seines Rugbyerfolgs war, dass er jedes Spiel schon in der ersten Runde so anging, als wäre es das Endspiel. Er heizte sich selbst an. Jetzt würde er es genauso machen. Er würde in dem Fall des Zimmermädchens ermitteln, als handelte es sich um den Tod des Präsidenten persönlich. Er wusste noch nicht, wer sie war, aber er wusste, dass sie das verdient hatte.

 

Constable Dau parkte an der Straße, die parallel zum Bootsanleger am Flussufer verlief. Horseman stieg aus und lief am Ufer entlang, entdeckte aber im geschäftigen Treiben auf dem Steg niemanden, der aussah, als könnte er Detective Sergeant Singh sein. Allerdings konnte er nun ausmachen, wie das elegante weiße Boot des Resorts in die Bucht einbog. Am Steg lagen die Kutter bereits in zweiter Reihe. Das könnte noch interessant werden. Zumindest konnte er seine Tasche schon einmal aus dem Wagen holen und wäre bereit.

Als er sich zum Auto umwandte, entdeckte er eine schmale Inderin, die mit seinem Fahrer sprach. Sie trug eine graue Baumwollhose, eine kurzärmelige gelbe Bluse und Sandalen. Die schwarzen Haare hatte sie glatt zu einem festen Dutt geknotet. Horseman musste lächeln. Was würden seine Mentoren in Portland wohl sagen, hätten sie ihn dabei erwischt, wie er in der zarten Frau niemals seinen Sergeant vermutet hätte. Hatte der Vizepräsident ihn nicht angewiesen, unvoreingenommen zu sein? Er ging auf die Frau zu, hielt ihr die Hand hin und sprach sie auf Englisch an.

»Guten Morgen, ich glaube, Sie müssen Detective Sergeant Singh sein. Joe Horseman.« Die Frau nickte förmlich und schüttelte kurz seine Hand. Hinter ihrer großen Sonnenbrille schaute sie ihn ernst an.

»Freut mich, Sir. Ich habe für jeden von uns eine Tasche mit Ausrüstung zur Tatortbegehung dabei.«

»Danke. Das Boot vom Resort ist gerade angekommen, machen wir uns auf den Weg. Die Akte schauen wir uns unterwegs zusammen an.« Er wandte sich zu Constable Dau um. »Wie lauten Ihre Anweisungen, Peni?«

»Zurück ins Präsidium, Sir. Vorher bringe ich noch Ihr Gepäck runter an den Steg.«

Horseman lächelte. »Nicht nötig. Danke übrigens für die Bananen. Genau, was ich gebraucht habe.«

Unten an den Stufen zum Steg wartete adrett in ein türkises Poloshirt und marineblaue Shorts gekleidet der Deckshelfer vom Resort auf die beiden Detectives. Das Boot lag vertäut in der Flussmitte neben zwei Fischerbooten.

»Bula, Bula, Ovisas. Ich bin Maika. Wir sollen eigentlich nicht an anderen Booten festmachen, wir legen gleich wieder ab. Hier entlang, bitte.« Sie kletterten über das Heck der Fischerboote, griffen nach der Hand, die der Skipper ihnen hinhielt, und schwangen sich an Deck. Horseman ärgerte sich, als er merkte, dass er die Hilfe tatsächlich brauchte. Sie stellten sich dem Skipper vor.

»Ich bin Jona. Oi le, ich hatte keine Ahnung, dass ich Josefa Horseman nach Vula bringen würde – oder Paradise, wie wir es jetzt nennen! Was für ein Privileg, Sie kennenzulernen, Sir. Aber die Umstände sind wirklich tragisch.« Jonas dunkle Wangen waren eingefallen.

»Wir sind hier, um zu untersuchen, was passiert ist, Jona.«

»Io, Sir. Ich weiß nur nicht, warum die Polizei sich mit einem tragischen Unfall befassen sollte.«

»Warum glauben Sie, dass es ein Unfall war, Jona?«

Der Skipper schüttelte langsam den Kopf. »Akanisis Leiche wurde bei Ebbe am Saumriff gefunden. Sie muss ertrunken sein, als das Wasser höher stand. Eine andere Erklärung gibt es nicht. Bitte setzen Sie sich, während wir ablegen«, sagte er und zeigte auf eine Kabine unter Deck.

Es würde unmöglich sein, den Fall während der Fahrt zu besprechen. Sie waren zwar die einzigen Passagiere, aber Jona steuerte das Boot von einem Hilfsruder in der Kabine aus, da war Privatsphäre gleich null. Als die beiden Außenbordmotoren dröhnend ansprangen, lächelte Horseman Sergeant Singh an und zuckte die Achseln. Er zog die Akte aus seiner Tasche, setzte sich und begann zu lesen. Sergeant Singh folgte seinem Beispiel, holte eine violette Plastikmappe aus ihrem Rucksack und tat es ihm gleich.

In Horsemans Akte befand sich das Transkript des Anrufs, den der Manager getätigt hatte, nachdem die Leiche des achtzehnjährigen Zimmermädchens Akanisi Leletaku bei Ebbe im Riff gefunden worden war. Außerdem hatte der ortsansässige Ratu seinem Freund, dem Polizeipräsidenten, einen Abriss ihres Hintergrunds gegeben. Sie war auf der nahe gelegenen Insel Delanarua, die um einiges größer war als die winzige Koralleninsel, die nun unter dem Namen Paradise lief, geboren worden und aufgewachsen. Horseman starrte in das schäumende Kielwasser und fragte sich, wie ein Mädchen von der Insel, das höchstwahrscheinlich schwimmen konnte wie ein Fisch, bloß ertrunken sein konnte, da hielt ihm seine Kollegin ihre Mappe hin.

»Sir?«, rief sie.

»Vinaka«, sagte er, nahm die Mappe entgegen und händigte ihr die Akte des Vizepräsidenten aus. Gut, dass seine Kollegin Initiative zeigte. Und sie verschwendete auch keine Zeit. Neben Kopien der Berichte, die er bereits gelesen hatte, fanden sich in Singhs Mappe ein Ausdruck mehrerer Internetseiten, die die Richtlinien des neuen Meeresschutzgebiets Vula aufführten, eine Doppelseite der aktuellen Fiji Times, auf der von den gestrigen Feierlichkeiten auf der Insel berichtet wurde, sowie ein ausgedruckter Download von der Website des Resorts selbst.

»Großartig!«, rief er ihr zu und lehnte sich zurück, um sich die Unterlagen genauer anzusehen. Singh hatte sie offensichtlich bereits gelesen, denn die Seiten waren mit akkuraten Markierungen in Neongelb und Pink übersät. Er begann mit dem Zeitungsartikel.

Meeresschutzgebiet Vula erhält Segen von Ratu

Das exklusive Paradise Island Resort auf der Insel Vula, vor der Südküste Viti Levus gelegen, empfing gestern eine ungewöhnlich hohe Zahl an Gästen, um die Einweihung des Meeresschutzgebiets Vula zu feiern. Unter den etwa hundert Versammelten befanden sich sowohl Dorfbewohner der benachbarten Inseln als auch Gäste aus Suva sowie Diplomaten aus Australien, Neuseeland und den Vereinigten Staaten, Delegierte der Universität, des Fidschi-Instituts für Meereswissenschaften (FIMS), einiger Umweltorganisationen sowie Touristen- und Medienverbänden. Ratu Ezekaia Tabualevu, Häuptling über Land und Wasser von Vula und benachbarten Inseln sowie leidenschaftlicher Befürworter des Schutzgebiets, reiste gemeinsam mit seinen offiziellen Begleitern im Boot des Resorts von seinem Zuhause auf Delanarua an. Bei seiner Ankunft um 10:30 Uhr schmückten die Resort-Angestellten den Ratu und andere VIPs mit ausnehmend schönen Salusalu, während der Chor der Angestellten traditionelle Lieder und Hymnen vortrug. Nach einer formellen Kava-Zeremonie zur Begrüßung erklärte Ratu Ezekaia Vula offiziell zum Meeresschutzgebiet, anschließend unterhielten die Gäste aus den Dörfern das Publikum mit lebhaften traditionellen Tänzen am Strand des Resorts.

Die Köche des Paradise Island Resort übertrafen sich selbst mit einem ausgezeichneten Büfett fidschianischer Spezialitäten. Ratu Ezekaia erläuterte die Bedeutung des neuen Meeresschutzgebiets und die von nun an geltenden Auflagen.

»Die Fischer waren zu habsüchtig, und so sind unsere Bestände inzwischen dezimiert. Von heute an darf niemand mehr innerhalb des Riffs fischen. Wir alle wissen, dass dort ohnehin nicht mehr viel zu holen ist. In den Gewässern vor dem äußeren Riff bestehen keinerlei Einschränkungen. Ich bin davon überzeugt, dass sich das Schutzgebiet mit unseren vereinten Kräften aufs Neue mit Leben erfüllen wird«, sagte Ratu Ezekaia.

Um den Tag abzuschließen, umschifften Ratu Ezekaia und Methodistenpfarrer Mosese die Insel im blumengeschmückten Boot des Resorts und beschrieben zeremoniell den Schutzkreis, der nun die gesamte Inselgruppe von Vula umfasst. Pfarrer Mosese betete für den Erfolg des neuen Schutzgebiets und dafür, dass wieder neues Leben ins Wasser zurückkehre. Wieder am Strand des Resorts angekommen, steuerte das Boot dicht auf das Ufer zu, während Ratu Ezekaia den wartenden Gästen die Absicht des Schutzgebiets demonstrierte. Eins nach dem anderen hob er Lebewesen des Riffgewässers in die Höhe: einen Tintenfisch, eine Seegurke, einen Papageifisch, eine gigantische Muschel, die er anschließend ins Wasser gleiten ließ. Doch gerade als der Ratu eine Schildkröte hochhielt, bekam das Boot gefährliche Schlagseite Richtung Strand. Die vorn in der Zuschauermenge stehenden Dorfbewohner stürzten augenblicklich auf das Boot zu, und es gelang ihnen, es wiederaufzurichten. Zur großen Freude der jubelnden Menge wurden Ratu Ezekaia und Pfarrer Mosese auf den Schultern der Dorfbewohner an Land getragen.

Faszinierend. Horseman wünschte, er hätte die letzte Szene miterleben können. Er fragte sich, ob wohl das tote Zimmermädchen dabei gewesen war. Auf einem der Zeitungsfotos sah man den strahlenden Ratu, sein dunkles Gesicht umrahmt von einem üppigen krausen weißen Afro, dazu ein dunkles Jackett, weißes Hemd und eine Krawatte mit dem Logo der Rugbynationalmannschaft. Es war ermutigend zu sehen, wie ein älterer Ratu sein Volk im Kampf gegen eine Bedrohung anführte, die in ihrem kleinen Inselstaat nur zu verbreitet war.

Horseman wandte sich dem Ausdruck der Resort-Website zu, der sich auf zwanzig bebilderte Seiten belief. Von besonderem Wert war die Vorstellung des Resortpersonals. Ihr Skipper Jona entpuppte sich als Chef der Resortflotte, in einem Inselresort eine Schlüsselstelle. Deckshelfer Maika hatte kein Porträtfoto erhalten, war aber auf einer Aufnahme der Paradise Voyagers zu sehen, eine kleine Band bestehend aus drei Männern in pinken Bula-Hemden und mit Blumen im Haar. Die tote junge Frau wurde nicht eigens erwähnt, aber vielleicht war sie irgendwo auf einem Gruppenbild der lächelnden Angestellten zu sehen.

Horseman war noch in die Akte vertieft, als Maika ihm auf die Schulter tippte und dann nach vorn deutete. Horseman trat an die Frontscheibe. Sie hielten auf einen grünen Klecks am Horizont zu.

»Paradise Island?«

Jona nickte. Sergeant Singh stellte sich zu ihnen. Während sie näher kamen, verwandelte sich der Klecks in einen buschigen Hügel, den wenige Minuten später grünes Flachland umringte. Schon bald konnten sie große wedelnde Palmen, einen Streifen hellen Sands, einen Wellenbrecher, vertäute Boote und einen hohen weißen Fahnenmast ausmachen. Einen Augenblick lang vergaß Horseman, weshalb er hier war, und gab sich seiner Freude hin. Wie magisch diese Anfahrt für einen Gast aus Osaka oder Houston sein musste! Jetzt konnte er Gestalten auf dem Anleger erkennen. Das Wasser wurde flacher, und das Boot verlangsamte.

Horseman konnte nicht widerstehen und ging hinauf an Deck, um besser sehen zu können, und Singh folgte ihm. Ihre Neugier war eine weitere vielversprechende Eigenschaft an ihr. Durch die Bäume hinter dem Fahnenmast erhaschte er einen Blick auf ein reetgedecktes Haus mit Wänden aus Schilfrohr. Das Boot wurde noch langsamer, als der Grund weiter anstieg. Vorsichtig steuerte Jona zwischen den unter ihnen verstreut liegenden Steinkorallen hindurch. Das Empfangskomitee lächelte und sang diesmal allerdings nicht. Horseman gab sich einen Ruck, um seine Gedanken wieder seinem Auftrag zuzuwenden, und holte seine Sachen aus der Kabine. Nach dem gleißenden Licht draußen wirkte es drinnen regelrecht düster. Sergeant Singh wühlte in ihrem Rucksack, die Sonnenbrille hatte sie sich oben auf den Kopf geschoben. Horseman reichte ihr die violette Mappe.

»Vinaka, Sergeant. Großartig, dass Sie die Hintergrundinfos so schnell zusammengestellt haben.«

Seine Kollegin kramte weiter in ihrem Rucksack. »Kein Problem, Sir. Sie können die Mappe behalten. Ich habe Kopien.«

Sie machte den Reißverschluss zu und sah zu ihm auf. Ihre Augen leuchteten so grün wie sonnenbeschienenes Wasser an einem seichten sandigen Ufer. Er versuchte, sie nicht anzustarren.

Sie lächelte. »Nennen Sie mich Susie, wenn Sie möchten.«

3

PARADISE ISLAND

Der stämmige Mann mit Strohhut musste der Manager sein, Ian McKenzie. Neben ihm, und erheblich größer als er, stand Adi Litia, die genauso aussah wie auf dem Foto der Webseite. Interessant. Stammte ihr Häuptlingstitel aus der Gegend hier, war sie vielleicht eine Tochter oder Nichte von Ratu Ezekaia aus Delanarua? Der uniformierte Constable neben ihnen hatte steif Haltung angenommen.

»Epeli Waqatabu, Sir. Constable Mocelutu ist bei der Leiche.« Horseman zuckte innerlich zusammen, als der Constable so beiläufig das Wort Leiche fallenließ. Als handele es sich um einen Gegenstand, eine Sache. Es war Horsemans erster Fall seit über einem Jahr, und der routinierte Gebrauch des Wortes tat ihm in den Ohren weh.

»Gut. Stehen Sie entspannt, Constable.«

McKenzie war unter seinen Sommersprossen blass. Er hielt Horseman eine zitternde Hand hin, und sie fühlte sich feucht an, als er sie schüttelte. »Wir stehen alle unter Schock, Inspector. Nisi war für uns wie eine kleine Schwester. Ein furchtbarer Unfall. Wir werden alles tun, was wir können, um der Polizei behilflich zu sein. Nisis Eltern sind heute Morgen gekommen und wollten sie mit nach Hause nehmen. Ich sah darin kein Problem, aber Litia hat mich darauf hingewiesen, dass die Polizei das nicht erlauben würde. Ist das richtig?« Er sah skeptisch aus.

»Das ist es, Mr McKenzie. Auf Fidschi braucht man für eine Beerdigung eine polizeiliche Beurkundung. Ich kann Ihnen versichern, dass Akanisis Eltern das auch genau wissen.« Er wandte sich an die große attraktive Fidschianerin. »Adi Litia, ich danke Ihnen, dass Sie Mr McKenzie über die Vorgehensweise informieren konnten.«

»Litia, bitte. Auf Paradise verzichten wir auf die Titel.« Sie lächelte und wurde um Jahre jünger.

»Ich vermute, Sie wollen als Erstes die arme Nisi sehen, Inspector?«, erkundigte sich McKenzie. Der nervöse Mann versuchte lediglich, sich nützlich zu machen.

»Noch nicht sofort. Constable Waqatabu teilte mir mit, dass ein Kollege bei dem Leichnam ist. Als Erstes müsste ich ein Ermittlungsbüro einrichten. Und weil es schon Mittag ist, fürchte ich, dass wir keine andere Wahl haben, als heute Abend Ihre Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen.«

»Natürlich, damit habe ich schon gerechnet. Ich dachte mir, das Büro hinter der Rezeption würde sich vielleicht eignen. Es ist eher klein, aber Litia und unsere Dame am Empfang könnten Anrufe für Sie entgegennehmen und die Leute zusammentrommeln, die Sie befragen möchten.«

»Vielen Dank, aber ich fürchte, wir brauchen unser eigenes Telefon, wenn wir denn einen Raum mit einem Festnetzanschluss bekommen können. Wie ist das Mobilfunknetz bei Ihnen?«

»Eher unzuverlässig. Und unsere Gäste-Bures haben nur Haustelefone – das gehört zum Weg-von-allem-Feeling. Aber ich vermute mal … Ja, es gibt keinen Grund, weshalb Sie nicht die Bure des Resortbesitzers nehmen können, da gibt es einen separaten Anschluss. Wir entfernen das Telefon, wenn Gäste darin übernachten, aber im Augenblick ist der Bungalow frei. Ich kann ihn Ihnen jetzt gleich zeigen, wenn Sie möchten.«

»Danke. Warten Sie mit unseren Sachen im Schatten, Constable.«

Der Manager öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, schloss ihn aber wieder. Am Fahnenmast begannen drei Sandwege, der auf der rechten Seite war mit »Naturpfad – 1 km« beschriftet. Sie nahmen den mittleren Weg, der sich durch schattige Gärten schlängelte. Linkerhand hinter den Büschen, die als Sichtschutz dienten, erhaschte Horseman einen Blick auf steile reetgedeckte Dächer, auf deren First jeweils der Stamm eines schwarzen Baumfarns wie ein waagerechter Schornstein über das Dach ragte.

McKenzie wedelte mit dem Arm in Richtung der Bungalows. »Zwölf Bures mit Seeblick, um die Landzunge herum und oberhalb der östlichen Hälfte des Strands. Die Bure des Resortbesitzers ist die letzte, direkt vor der Bar und den anderen gemeinschaftlichen Gebäuden. Der Pfad auf der linken Seite führt um die Bungalows herum – jeder hat einen eigenen Zugang vom Pfad aus und auf der anderen Seite eine Veranda mit Blick aufs Meer. Die Gäste laufen meistens über den Strand, den Pfad und die eigentlichen Eingangstüren nutzen sie kaum.«

»Nur die zwölf Bures?« Horseman fragte sich, wie das Resort überlebte.

»Nein, auf der anderen Seite des Anlegers stehen noch einmal vier, direkt hinter der Taucherhütte, mit Nordausrichtung, vielleicht haben Sie sie vom Meer aus gesehen. Sie eignen sich hervorragend für Feiern, große Familiengruppen und so weiter. Dort können sich die Leute ein bisschen austoben, ohne hier jemanden zu stören.«

Es passte alles zu den festen oder besser gesagt falschen Vorstellungen, die sich Ausländer von Fidschi, dem tropischen Inselparadies, machten. Ein paar Gäste kühlten sich in einem Freiformpool ab, der unter Palmen und einem Barringtonia-Baum lag, der mit seinen ausladenden Zweigen den verstreut um den Pool stehenden Holzliegen Schatten spendete.

Horseman staunte. »Ein Pool, hier? Mitten im Meer?«

Der Manager lächelte. »Verrückt, nicht wahr? Aber bei Ebbe ist es nicht so leicht, vom Strand aus loszuschwimmen. Das Wasser ist dann bis weit draußen flach und oft viel zu warm. Wir leiten Meerwasser in den Pool – natürlich gefiltert.«

Das Meer kam nun wieder in Sicht sowie eine Strandmauer. Die Gärten lichteten sich und gaben den Blick auf breitere Reetdächer frei.

McKenzie wedelte wieder mit der Hand. »Dort drüben sind die Bar, das Restaurant und so weiter. Aber sehen Sie sich erst einmal die Bure des Resortbesitzers an und sagen mir, was Sie davon halten.«

Ein sandiger Pfad führte auf eine Lücke in der wild wuchernden Hibiskushecke zu, die die Bure vor Blicken schützte. Hier konnte so ziemlich alles unbemerkt vor sich gehen – die ideale Umgebung für das perfekte Verbrechen. Wenige Meter vor dem Eingang führten zwei breite Stufen auf eine befestigte Veranda. Mit Wasser gefüllte Muschelschalen zu beiden Seiten der Stufen dienten als Fußbad. Baumstämme stützten das sanft abfallende Reetdach, das in Fransen bis über die Veranda reichte und kühlen Schatten spendete. Der Bungalow sah aus, als trüge er einen struppigen Strohhut.

Sie folgten McKenzie ins angenehm temperierte Halbdunkel. Er legte ein paar Lichtschalter um, und hoch über ihnen, von glatt geschliffenen und mit gefärbten Schnüren in aufwendigen Mustern zusammengebundenen Baumstämmen getragen, erstrahlte die Decke. Beeindruckt schaute Horseman nach oben. Die Unterseite des Reetdachs war wunderschön gestaltet – ein Kunstwerk, das es mit allem aufnehmen konnte, was Horseman bisher gesehen hatte. Das Zimmer war gemütlich eingerichtet mit einem Tisch und Stühlen aus Palmenholz, einem Sofa, Sesseln und einem Couchtisch. Einen Schreibtisch gab es ebenfalls. McKenzie öffnete mehrere geflochtene Paneele an der innen liegenden Wand, und zum Vorschein kamen auf der einen Seite eine Bar und ein Kühlschrank, Spülbecken und Mikrowelle, auf der anderen Seite Fächer mit Besteck, ein Toaster und ein Wasserkocher. Gar nicht mal so übel. Er setzte seinen Rundgang fort. Das Schlafzimmer wurde von einem breiten Doppelbett dominiert. Das daran angrenzende Bad zeigte auf einen mit Schilfrohr eingezäunten Garten mit einziehbarer Wäscheleine.

»Ist das das einzige Schlafzimmer?«, erkundigte sich Horseman.

»Es gibt noch ein zweites«, antwortete McKenzie und führte ihn zu einem weiteren Raum mit zwei Einzelbetten darin. Das zweite Bad hatte seinen eigenen kleinen eingezäunten Garten, war aber durch eine Tür aus Schilfrohr mit dem anderen Bad verbunden, wie Horseman nun bemerkte. Ein Schloss schien es nicht zu geben. Eher misslich bei einer weiblichen Kollegin. Er musste nach etwas Geeigneterem für sie fragen, ohne undankbar zu klingen.

»Wunderbar, Mr McKenzie. Das hier können wir gut als Arbeitsplatz nutzen und als Unterkunft für die Constables und mich. Sergeant Singh wird etwas mehr Privatsphäre brauchen.«

»In den Unterkünften für das Personal ist ein Zweibettzimmer frei. Das Bad müsste sich jedoch mit den weiblichen Angestellten geteilt werden«, bot Adi Litia an.

Horseman lächelte höflich. Das sollte wohl ein Witz sein. »Vinaka, aber unsere Arbeit wird besser vorangehen, wenn meine Kollegin eine Unterkunft für sich allein hat.«

Adi Litia reckte nur das Kinn vor, doch McKenzie zögerte keine Sekunde. »Eine Bure ist noch frei, die vierte am Pfad von hier. Ein Einzelapartment, natürlich mit eigenem Badezimmer. Würden Sie es sich gern ansehen?«

Singh schaltete sich ein. »Nicht nötig, Mr McKenzie. Das Angebot nehme ich gern an. Vielen Dank.«

»Haben Sie einen Lageplan von den Gebäuden? Vielleicht etwas, was Sie den Gästen mitgeben?«, wollte Horseman wissen.

McKenzies Miene erhellte sich. »Ja, wir haben auch noch ein paar andere Unterlagen, die Ihnen vielleicht weiterhelfen. Litia, kannst du bitte ein Infopaket für den Inspector zusammenstellen? Leg alle Broschüren dazu, die wir haben.«

»Sehr gern. Werden Sie zu Mittag essen, Inspector?«, wollte Adi Litia wissen.

»Wann sind denn die Gäste mit dem Essen fertig?«, fragte Horseman.

»Die meisten sind um zwei wieder weg. Manche bleiben aber auch noch länger sitzen«, antwortete Adi Litia.

»Vielleicht könnten Sie dann gegen zwei etwas von den Resten aus der Küche bringen lassen. Wir essen gemeinsam hier. Und bitte machen Sie sich keine großen Umstände.«

Wieder das hochmütig gereckte Kinn. »Tatsächlich würde es weniger Umstände machen, wenn Sie im Restaurant essen würden, Inspector. Aber das ist Ihnen überlassen. Unsere Köchin kann Ihnen sicher ein paar Tabletts zusammenstellen.«

Horseman beschloss, ihren ein klein wenig gereizten Tonfall nicht weiter zu beachten. »Vinaka, Adi Litia. Mr McKenzie, Sie erwähnten, dass Akanisi wie eine kleine Schwester für alle war. War sie denn deutlich jünger als die meisten anderen Angestellten?«

»Ja, das war sie. Paradise Island stellt grundsätzlich ältere Frauen ein, zum Teil, um zu verhindern, dass wir den Ruf einer sogenannten Partyinsel bekommen. Unsere Gäste sind hauptsächlich Pärchen, manche davon in den Flitterwochen, Familien, Leute, die sich fürs Tauchen und für Fische begeistern. Wir wollen keine jungen Singlemänner anlocken, die glauben, dass fidschianische Frauen, die in einem Resort arbeiten, Freiwild seien. Bei Nisi haben wir allerdings eine Ausnahme gemacht, weil sie von Delanarua stammt, Litias Insel, und weil sie die Nichte von Jona Vaturua ist, unserem Bootsführer. Aber nicht nur Jona hat auf sie achtgegeben – das haben wir alle getan.«

»Verstehe. Könnten Sie mich dann jetzt zu ihr bringen, Mr McKenzie, und mir erzählen, unter welchen Umständen sie gefunden wurde?«

»Ja, gehen wir vorne am Restaurant vorbei. Ich wusste, dass etwas nicht stimmte, als Bill Burgermeister Alarm schlug, er kam zur Strandmauer dort drüben gerannt.« McKenzie zeigte auf einen niedrigen Steinwall, der wohl fünfzig Meter vom Strand ins Meer führte.

»Bill Burgermeister? Ich dachte, Dr. Vijay Chakra habe die Leiche gefunden.«

»Bill ist Biologieprofessor am FIMS in Suva. Er leitet die Forschungsarbeiten im Zusammenhang mit dem Meeresschutzgebiet hier. Toller Typ. Amerikaner. Er und Vijay haben vor dem Abendessen Golf gespielt, und da haben sie die Leiche des armen Mädchens entdeckt.«

Horseman fragte sich, ob er richtig gehört hatte. »Golf?«

Der Anflug eines Lächelns erhellte McKenzies Gesicht. »Oh ja, Riffgolf bei Ebbe. Wir haben zwischen den Steinkorallen und dem Geröll neun Löcher angelegt. Ein Heidenspaß. Nun ja, normalerweise. Vijay ist bei Nisi geblieben und hat versucht sie wiederzubeleben. Als ich mit Unterstützung dort eintraf, war es schon dunkel. Vijay wollte nicht mit seinen Wiederbelebungsversuchen aufhören. Er muss unter Schock gestanden haben – er konnte einfach nicht akzeptieren, dass sie tot war.«

»Wie spät war es da?«

»Acht. Als wir uns auf den Rückweg machten, schlug gerade die Lali-Trommel zum Abendessen. Maika und Sai haben Nisi an den Strand hinter den Zaun bei den Personalunterkünften getragen. Da drüben.« McKenzie zeigte auf einen Bambuszaun. Er hielt inne, rieb sich über das Gesicht und schluckte schwer. »Wir wollten sie vor neugierigen Blicken und Tratsch schützen, so lange es ging. Abgesehen davon, dass es Angst und Panik unter den Gästen hätte auslösen können.«

»Klar, Sie wollten ihnen ja nicht das Abendessen vermiesen«, rutschte es Horseman heraus.

Der Manager sah ihm fest in die Augen. »Nein, das hätte ich nicht gewollt. Das ist ja auch meine Aufgabe.«

Horseman blickte missbilligend zurück. »Und, ist es Ihnen gelungen?«

McKenzie fuhr in dem gleichen kühlen Tonfall fort. »Ich hoffe es. Heute Morgen beim Frühstück habe ich verkündet, dass Nisi bei einem Unfall ertrunken ist und die Polizei eine Routineuntersuchung vornimmt.«

Horseman musste sich eingestehen, dass er an McKenzies Stelle vermutlich das Gleiche getan hätte. In Zukunft hielt er seine Zunge besser im Zaum und dachte nach, ehe er etwas sagte; er war definitiv eingerostet. Wahrscheinlich fragte sich Sergeant Singh schon, wie er es zum Inspector gebracht hatte, obwohl sie sich die Antwort schon denken konnte. Die allgemein verbreitete Meinung bei der Polizei war, dass sein Erfolg beim Rugby ihm stets Begünstigungen für seine Karriere eingebracht hatte. Bei neunundneunzig Prozent eingefleischten Rugbyfans unter den Polizisten missgönnten ihm das nur wenige. Dennoch würde er gern glauben, dass er sich seine Beförderung verdient hatte, deshalb sollte er besser damit anfangen, das auch unter Beweis zu stellen.

4

PARADISE ISLAND

»Wir würden jetzt gern Akanisi sehen, Mr McKenzie«, sagte Horseman.

Das besorgte Stirnrunzeln des Managers kehrte zurück. »Ja, natürlich. Wir wussten nicht, was am besten wäre. Dr. Chakra meinte, der Kühlraum, aber das schien nicht richtig mit den ganzen Lebensmitteln darin. Eine Klimaanlage gibt es nur im Büro, aber das ist alles andere als ein abgeschotteter Bereich, Gäste kommen und gehen, wissen Sie …« Der Mann geriet beinahe ins Stammeln.

Horseman unterbrach ihn. »Wo ist sie jetzt?«

McKenzie bekam sich wieder in den Griff. »Hier lang, bitte. Sie ist in einer Kammer im Hauswirtschaftsgebäude.«

Auf dem Weg dorthin fragte Horseman: »Haben Sie sie direkt in die Kammer gebracht?«

»Nein, erst haben wir sie im Pausenraum auf einen Tisch gelegt. Wir konnten sie wohl kaum in ihr Zimmer bringen – das teilt sie sich mit zwei anderen Zimmermädchen. Vijay hat seine Arzttasche geholt, und Maika hat Jona Bescheid gegeben, Nisis Onkel.«

»Und der Rest der Rettungshelfer?«

»Ledua, unsere Hausdame, hat die Angestellten, die nicht im Dienst waren, informiert. Anschließend bat ich Inoke, Litia zu suchen. Ich ging an die Bar, wo meine Frau arbeitete, und überbrachte ihr die Nachricht. Litia kam zu uns und rief ihren Vater an, Ratu Ezekaia – Nisi ist aus Delanarua, aus demselben Dorf wie der Ratu. Litia teilte mir mit, dass Ratu Ezekaia sich um Nisis Familie kümmern würde. Die nächste Stunde über gingen Anrufe hin und her.«

»Wer tätigte die Anrufe?«

»Litia. Wir warteten ab, dass ihr Vater sich meldete, nachdem er mit der Familie geredet hatte. Schließlich rief er an und sagte uns, er würde Nisis Eltern bei Tagesanbruch mit seinem Boot herbringen lassen. Das Restaurant brachte uns ein Tablett mit etwas zu essen. Wir waren in zehn Minuten mit dem Essen fertig, dann ging ich zurück zum Pausenraum. Vijay war noch da.«

»Hat er Ihnen seine Einschätzung mitgeteilt?«, fragte Singh.

»Er sagte, es sehe aus, als wäre Nisi ertrunken.«

Der Pfad endete am Restaurant, eine luftige reetgedeckte Konstruktion mit bodentiefen Fenstern zu drei Seiten, die auf den Strand und die Strandmauer zeigten. Die kleine Gruppe blieb stehen, den Blick von der Stelle angezogen, auf die McKenzie kurz zuvor gezeigt hatte und wo jetzt zarte Wellen das Riff säumten.

»Haben Sie sonst noch Fragen an Mr McKenzie, Sergeant Singh?«, fragte Horseman.

Singh nickte und wandte sich an den Manager. »Ja, ich würde gern wissen, wie Nisis Onkel reagiert hat.«

»Er kam gerade aus dem Pausenraum, als ich dorthin zurückkehrte. Er ging gebückt, wie ein alter Mann.« Mr McKenzie senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Jona macht immer so einen starken Eindruck. So habe ich ihn noch nie gesehen. Ich teilte ihm mit, was wir besprochen hatten. Er bedankte sich und ging.«

»War sonst noch jemand da?«

»Ledua. Sie hatte einen Plan für die Freiwilligen erstellt, die über Nacht Wache halten würden. Ich fand das nicht unbedingt notwendig, aber das ist wohl so Tradition. Ich hielt es für das Beste, es ihr zu überlassen.«

»Habe ich es richtig verstanden, dass Sie die Polizei verständigt haben, Mr McKenzie?«, fragte Singh.

»Ja, Vijay fragte, ob schon jemand die Polizei benachrichtigt hatte. War mir gar nicht in den Sinn gekommen. Seit ich hier bin, hatten wir noch nie die Polizei hier. Vijay, Dr. Chakra, meinte, es sei das Beste, wenn ich auf dem Hauptrevier in Suva anriefe, und das habe ich dann auch getan. Der Polizist dort sagte, sie würden versuchen, sofort jemanden herzuschicken. Dann rief er mich gegen halb elf aber zurück und teilte mir mit, dass bis zum nächsten Morgen keine Kollegen abkömmlich seien. Er habe zwei Constables und einen Fotografen beauftragt, um halb sechs Uhr morgens in Navua zu sein, die Detectives würden dann nachkommen. Weil kein Polizeiboot verfügbar war, bot ich an, unseres zu schicken, um Sie alle abzuholen. Ich muss zugeben, dass ich das für eine Menge Aufwand für jemanden hielt, der ertrunken war.«

Horseman erklärte: »Das ist Routine, Mr McKenzie. Gründliches Vorgehen ist unerlässlich, und dafür brauchen wir ein Team. Es tut mir leid, dass gestern Abend niemand abkömmlich war. Aber jetzt sind wir ja hier, dank Ihres Bootes.«

»Und das weiß ich sehr zu schätzen. Gleich da vorne ist das Hauswirtschaftsgebäude.«

 

Der Manager machte die Tür zu einem hübschen luftigen Raum auf, der für geselliges Nähen, Bügeln und das Binden von Blumen eingerichtet war. An einem großen Tisch in der Mitte saß der uniformierte Constable und trank Tee mit einer matronenhaften Fidschianerin. Der Constable sprang auf und nahm Haltung an.

»Constable Mocelutu? Detective Inspector Horseman. Und das hier ist Detective Sergeant Singh. Stehen Sie entspannt.«

Der untersetzte Constable wirkte ausgesprochen nervös.

McKenzie fuhr mit den Bekanntmachungen fort. »Das hier ist unsere Hausdame Mrs Ledua Marama. Sie ist verantwortlich für das Housekeeping.«

Mrs Marama war in ihren mittleren Jahren, klein und pummelig, und zwar so pummelig, dass das Oberteil ihres schwarzen Kleids vorne zwischen den Knöpfen etwas offen stand und der Saum ihrer kurzen Ärmel über den fleischigen Oberarmen spannte. Sie sprang von ihrem Stuhl auf und schüttelte Horseman kräftig die Hand, wobei sie ihn mit ihren strahlenden schwarzen Augen musterte, die von einer runden Brille vergrößert wurden.

»Die Umstände sind fürchterlich, Inspector, fürchterlich, aber es ist trotzdem eine Freude, Sie kennenzulernen. Du meine Güte, was haben Sie uns über die Jahre in Atem gehalten! Und jetzt ist Josefa Horseman höchstpersönlich hergekommen, um den Tod unserer lieben Nisi aufzuklären. Wir dachten, Sie seien noch in den Staaten! Lassen Sie sich anschauen – es hieß doch, Sie würden nie wieder laufen können! Bitte, lassen Sie mich Ihnen eine Tasse Tee einschenken.« Sie nickte und lächelte Sergeant Singh zu.

»Vinaka, Mrs Marama«, sagte Horseman, »wir nehmen nachher gerne einen Tee in unserer Bure, aber ich glaube, dass wir beide jetzt erst einmal etwas Wasser gebrauchen könnten. Heute Nachmittag würde ich mich auch gerne noch mit Ihnen unterhalten. Vorher möchte ich aber Mr McKenzie bitten, eine Personalversammlung anzuberaumen, damit ich alle über die Geschehnisse informieren kann.« Er wandte sich an den Manager. »Wäre fünfzehn Uhr dafür eine gute Zeit? Mit den Gästen reden wir noch gesondert.«

Der Manager antwortete augenblicklich. »Das sollte kein Problem sein, zu der Zeit haben nur wenige der Angestellten Dienst – sie gehen mit den Gästen fischen und haben ein Auge auf die Kajaks und Katamarane, die unterwegs sind. Kannst du das im Pausenraum organisieren, Ledua?«

»Ja, Ian, ich trommele alle zusammen.« Im Nu verschwand das Teegeschirr und wurde ersetzt von funkelnden Gläsern und einer Karaffe mit Wasser, in der Eiswürfel klimperten, dann eilte die Hausdame hinaus.

»Bitte setzen Sie sich doch einen Moment«, sagte Mr McKenzie.

Horseman streckte sein schmerzendes rechtes Bein unter dem Tisch aus. Dankbar tranken er und Singh ihr Wasser. McKenzie schenkte ihnen nach und deutete mit dem Kinn auf Mocelutu, der vor einer Tür an der rückwärtigen Wand stand.

»Sie ist da drin. Es macht Ihnen sicher nichts aus, wenn ich nicht mit reinkomme.« Er hielt den Blick auf die Tischplatte gesenkt und sprach kurzatmig weiter. »Und was sie mit ihr gemacht haben – Sie werden es gleich sehen –, damit habe ich nichts zu tun. Wenn Sie sonst nichts mehr brauchen, sehen wir uns um drei im Pausenraum.«

»Eine Sache wäre da noch, Mr McKenzie«, sagte Horseman. »Ich werde mit den Gästen sprechen müssen, die gestern hier waren. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie eine Liste mit Namen und Ankunftszeit aufstellen und die Gäste wissen lassen könnten, dass ich einzeln mit ihnen reden möchte. Wir fangen nach der Personalversammlung damit an.«

»Nun ja, ein paar der Gäste sind gestern Nachmittag abgereist, und zwei weitere heute Morgen.«

»Könnten Sie das mit auf die Liste schreiben, bitte, inklusive Kontaktdaten?«

Der Manager runzelte die Stirn; vermutlich war ihm nicht klar gewesen, wie viel Einsatz die Ermittlungen ihm tatsächlich abverlangen würden. »Aber sicher, ich lasse so schnell wie möglich eine Liste zu Ihrer Bure bringen. Ihnen ist aber schon bewusst, dass wir für die Feierlichkeiten gestern etwa siebzig Gäste hier hatten?«

»Und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir die persönlichen Daten dieser Gäste überlassen würden.« Horseman zog ein Taschentuch hervor und tupfte sich das Gesicht ab. »Als Erstes muss ich Dr. Chakra und Professor Burgermeister befragen. Könnten Sie ihnen Bescheid geben, dass wir sie um halb drei sehen möchten? Wir kommen jeweils zu ihnen in die Bure.«

McKenzie schüttelte den Kopf. »Dr. Chakra ist heute Morgen abgereist, Inspector. Er ist zusammen mit Ihrem Fotografen mit unserem Boot zurück nach Navua gefahren. Und Bill, also Professor Burgermeister, hat zwar hier übernachtet, ist aber heute Morgen zurück ins Camp gegangen.«

Horseman gab die Hoffnung auf, dass die Ermittlungen fein säuberlich vom Saumriff dieser kleinen Insel eingegrenzt werden würden. Er hätte es besser wissen müssen.

»Ins Camp?«, hakte er nach.

»Das Forschungscamp. Entschuldigen Sie, ich bin davon ausgegangen, dass Sie darüber im Bilde sind. Das FIMS, also das Institut für Meereswissenschaften, leitet auf der anderen Seite von Paradise eine ziemlich große Unternehmung. In den letzten zwei Jahren hatten sie jeweils für mehrere Monate Leute hier, die die Grundlagenerhebung für das Schutzgebiet und ein paar andere Projekte durchgeführt haben. Bill ist der Forschungsleiter und übernachtet im Camp, wenn er auf der Insel ist, aber er sucht auch gerne hin und wieder Zuflucht im Resort. In einer Woche wollen sie ihre Arbeit abgeschlossen haben und zusammenpacken.«

»Verstehe. Ist das Camp auch auf dem Lageplan, den wir von Ihnen bekommen?«

»Nein, aber ich kann Ihnen eine Karte von der ganzen Insel geben, auf der es eingezeichnet ist. Nicht weit hinter diesem Gebäude führt ein Pfad bis zum Camp. Wenn ein kleines Boot frei ist, kann Maika Sie bei Flut auch hinbringen, wenn Sie das wollen. Bei Ebbe ist man allerdings zu Fuß schneller.«

»Danke«, sagte Horseman. »Können Sie im Camp Bescheid geben, dass wir eine Versammlung abhalten? Ich hätte gerne alle dabei, die gestern auf der Feier waren.«

»In Ordnung. Ich glaube, sie waren gestern wirklich vollzählig hier. Das war der Höhepunkt ihrer Arbeit. Ich kann ihnen allerdings nicht vorschreiben, zu der Versammlung zu kommen.« In der Stimme des Managers schwang eine Spur von Herausforderung mit.

»Das erwarte ich auch nicht. Könnten Sie ihnen dann ebenfalls mitteilen, dass wir jeden befragen werden, der nicht zur Versammlung kommen kann – entweder später am Nachmittag oder morgen Vormittag?«

»Kein Problem«, entgegnete McKenzie. Dann stülpte er sich seinen Strohhut über und marschierte nach draußen ins gleißende Licht.

5

PARADISE ISLAND

Horseman legte die Hände auf den Tisch und stemmte sich hoch. »Dann mal los, Sergeant Singh.«

Sie reichte ihm Einweghandschuhe. Er wappnete sich für die Aufgabe, die ihn jedes Mal aus der Fassung brachte, und betrat den Lagerraum. Jemand hatte den Tisch darin mit einer aus Pandanus-Blättern gewebten Matte bedeckt, die so fein war, dass sie wie ein Tischtuch über die Kanten fiel und ihre Fransen aus leuchtend roter, grüner und blauer Wolle nach unten baumelten. Jemand hatte das längliche Bündel darauf in eine ähnliche Matte gewickelt und mit einer Kordel zugenäht. Kurz gesagt: Jemand hatte Akanisi Leletaku für ihre Beerdigung vorbereitet.

»Was um alles in der Welt! Wer hat das getan, Constable?«

Mocelutu studierte eingehend seine Füße, als er antwortete. »Die Eltern der Verstorbenen sind heute Morgen vor uns hier eingetroffen, Sir. Sie waren schon dabei, den Leichnam einzuwickeln, als wir ankamen. Sie hatten vor, ihn mit nach Delanarua zu nehmen, und haben mit uns diskutiert. Wir konnten den Leichnam nicht gewaltsam beschlagnahmen, Sir. Respekt, wissen Sie. Dann kam Adi Litia dazu. Sie erklärte den Eltern, dass sie ihre Tochter noch nicht mitnehmen dürften. Sie ist sehr bestimmt aufgetreten. Auf sie haben die Eltern dann gehört.«

»Wo sind die Eltern jetzt?«

»Sie sind noch ein paar Stunden geblieben. Der Bootsführer, Jona, ist der Bruder der Mutter. Er war eine ganze Weile bei ihnen. Ich habe gehört, dass sie gegen neun wieder abgefahren sind.«

»Der Fotograf war sicher nicht erfreut.«

Mocelutu nickte. »Jona hat die Eltern nach einer Weile mit zur Personalunterkunft genommen. Der Fotograf hat bis dann abgewartet, um seine Aufnahmen zu machen. Er meinte, sie würden nicht viel bringen, weil die Leiche gewaschen und geölt wurde. Gegen halb acht ist er wieder gegangen.«

Horseman rieb sich über die Stirn. Seine Hand war müde und zitterte, und er steckte sie in die Tasche. Schuldzuweisungen brachten sie nun auch nicht weiter. »Jetzt können wir nichts mehr daran ändern. Fragen Sie im Hauptrevier in Suva nach, wann sie Akanisi vom Anleger in Navua abholen können, Constable. Sie muss zur Obduktion ins Krankenhaus. In der Zwischenzeit sehen wir sie uns besser mal an, Sergeant.«

Horseman betrachtete Tote nicht gern genauer, hatte sich aber mit der Zeit daran gewöhnt. Trotzdem, es war weit über ein Jahr her, seitdem er das zuletzt hatte tun müssen. Er warf Sergeant Singh einen fragenden Blick zu, doch sie stellte sich sofort neben ihn, beinahe eifrig. Vielleicht war sie einfach froh, etwas zu tun zu haben, nachdem sie ihm seit ihrer Ankunft hier praktisch nur hinterhergedackelt war. Vergeblich versuchte er den sauberen Knoten zu lösen und schnitt die Kordel dann mit seinem Leatherman durch und schlug die Matte zurück. Darunter kam noch eine Matte zum Vorschein, diese dünner und leichter. Als er sie vorsichtig öffnete, stieg ihm ein schwerer süßer Duft entgegen. Er wich zurück.

Sergeant Singh beugte sich vor und schnupperte. »Mokosoi, Sir?«

Anscheinend brachte sie nichts so schnell aus der Fassung. »Ja, ganz eindeutig, nicht wahr?«, entgegnete er.

Unter der zweiten Matte war alles mit den stumpfgelben Blüten des Mokosoi-Baums bedeckt, deren spinnenartige Blätter ihren durchdringenden süßen Duft verströmten. Genau wie der Geschmack der Bananen vom Stand an der Straße löste auch dieser Geruch ein Gefühl von Heimat in Horseman aus. Der Duft durchdrang sämtliche Erinnerungen, die er an die Anlässe während seiner Kindheit auf der verschlafenen Insel Ovalau hatte. Ob Trauerfeier, Hochzeit, Gottes- oder Ratu-Huldigungen, dieser einzigartige Duft war stets der Begleiter.

Singh schob die Blumen zu Häufchen an den Rand der Matte und enthüllte ein zartes weißes Masi aus Tapa-Rindenbaststoff. Horseman legte die Hände aneinander und senkte den Kopf. Die Eltern des Mädchens hatten all diese Kostbarkeiten mitgebracht, damit ihre Tochter mit Anmut und Würde zum letzten Mal heimkehren konnte. Jedes Detail wie von den Bräuchen vorgeschrieben treu ausgeführt. Er bedauerte, dass er ihre aufwendige Handarbeit zerstören musste. Erinnerungen kamen in ihm hoch, und er wischte sich eine Träne von der Wange.

Das Masi war mit einer Kante aus braunen Kreuzen eingefasst. Er schluckte schwer, als er es zurückschlug. Akanisi trug ein weißes Baumwollkleid, wie es auf den Inseln seit viktorianischen Zeiten der typische Sonntagsstaat für die Kirche war. Es waren jedoch ältere Bräuche, die die Salbung des schlanken Leichnams mit duftendem Kokosöl und Kurkuma vorgeschrieben hatten. Die Abschürfungen, Schnittwunden und blauen Flecken konnte der goldene Schimmer auf Akanisis honigfarbener Haut nicht verdecken, aber sie traten weniger stark hervor. Horseman stellte sich vor, wie die Wellen Akanisi gegen das Riff warfen und harte Korallen ihr die Arme, die Beine und das Gesicht zerkratzten, doch die Verletzungen sahen oberflächlich aus. Er hoffte, dass der Rechtsmediziner bestimmen konnte, ob die Blutergüsse vor oder nach Eintritt des Todes entstanden waren. Die blauen Flecken auf ihren Armen mochten verursacht worden sein, als sie aus dem Wasser gezogen wurde, oder vorher, von einem gewalttätigen Angreifer.

Akanisis kurzes gekräuseltes Haar war mit Öl zurückgekämmt worden. Behutsam hob er ihren Kopf an und ertastete eine Vertiefung und eine offene Wunde links unter ihrem Haar. Vorsichtig bettete er ihren Kopf wieder auf das Blumenkissen. Er blickte auf zu Singh, die ihm aufmerksam zusah. Es war ein seltsam intimer Augenblick.

»Wir können hier nichts mehr ausrichten. Ihr Leichnam ist hoffnungslos kontaminiert. Schlimm genug, dass sie im Meer gelegen hat, womöglich stundenlang, aber das hier …«

Gemeinsam wickelten sie Akanisi wieder ein und umhüllten die Leiche mit einem Leichensack der Polizei.

Constable Mocelutu kehrte zurück. »Der Leichenwagen ist um fünfzehn Uhr am Anleger in Navua, Sir.«

»Vinaka