Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Künstliche Intelligenz wird die Arbeitswelt grundlegend verändern. Schon jetzt zeichnet sich ab, wozu diese Technologie in der Lage ist, aber es ist nichts im Vergleich zu dem, was uns in Zukunft erwartet. Müssen wir Angst vor diesen Veränderungen haben oder dürfen wir sie begrüßen? Sind wir wirklich hilflos einer unaufhaltsamen Macht ausgeliefert? Nein, denn schließlich sind wir auch diejenigen, die diese Entwicklung herbeigeführt haben. Dieses Buch wird Ihnen helfen, das zu bewerten, was Sie befürchten, indem es die anstehenden Veränderungen auf eine solide Basis stellt. Es zeigt, woher wir kommen, um besser zu verstehen, wohin wir gehen, oder besser noch, wohin wir gehen wollen sollten, um unsere Zukunft willentlich zu gestalten.
Klaus Kornwachs betrachtet mithilfe von Szenarien die Felder der Arbeitswelt, auf denen die größten KI-bedingten Umwälzungen zu erwarten sind, und zeigt, dass auch in der Vergangenheit schon oft große Brüche stattgefunden haben. Sie erfahren, was die heutigen Entwicklungen bedeuten, und lernen, diese einzuordnen, ohne vorwitzig neue Zeitalter auszurufen.
Gleichzeitig wird eine mögliche Arbeitswelt der Zukunft entworfen. Diese Arbeitswelt wird voraussichtlich aus kreativeren, weniger routinelastigen Tätigkeiten bestehen. Das bisherige Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverhältnis wird sich in Richtung einer freigestalteten Übernahme von Aufgaben, also hin zu Tätigkeiten anstelle von Jobs, verändern. Dies ist keine Prognose, sondern ein mögliches Spektrum dessen, was wir aus den absehbaren Folgen der Technikentwicklung wollen könnten. Hier gibt es immer mehrere Alternativen. Um herauszufinden, was wir wollen, lohnt ein Blick auf die Bedeutung von Arbeit als Teil des menschlichen Daseins. Auch hier gibt es völlig unterschiedliche Auffassungen, die Ihnen Klaus Kornwachs vor Augen führt.
Wenn Sie dieses Buch gelesen haben, wird Ihnen manches an der derzeitigen Diskussion über die Auswirkungen von KI auf die Arbeitswelt übertrieben vorkommen. Sie werden besser verstehen, wo die Grenzen von KI liegen, wo unsere Grenzen liegen, die wir mit KI überwinden können und wo wir uns selbst Grenzen setzen müssen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 734
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Klaus Kornwachs
KI und die Disruption der Arbeit
Tätig jenseits von Job und Routine
Der Autor:Klaus Kornwachs, Argenbühl
Alle in diesem Buch enthaltenen Informationen wurden nach bestem Wissen zusammengestellt und mit Sorgfalt getestet. Dennoch sind Fehler nicht ganz auszuschließen. Aus diesem Grund sind die im vorliegenden Buch enthaltenen Informationen mit keiner Verpflichtung oder Garantie irgendeiner Art verbunden. Autoren und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und werden keine daraus folgende oder sonstige Haftung übernehmen, die auf irgendeine Weise aus der Benutzung dieser Informationen – oder Teilen davon – entsteht, auch nicht für die Verletzung von Patentrechten, die daraus resultieren können.Ebenso wenig übernehmen Autor und Verlag die Gewähr dafür, dass die beschriebenen Verfahren usw. frei von Schutzrechten Dritter sind. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt also auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benützt werden dürften.
Bibliografische Information der deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt.Alle Rechte, auch die der Übersetzung, des Nachdruckes und der Vervielfältigung des Buches, oder Teilen daraus, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren), auch nicht für Zwecke der Unterrichtsgestaltung, reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
© 2023 Carl Hanser Verlag Münchenwww.hanser-fachbuch.deLektorat: Julia SteppHerstellung: Melanie ZinslerTitelmotiv: Tom West, unter Verwendung von Grafiken von © stock.adobe.com/sabidaCoverkonzept: Marc Müller-Bremer, www.rebranding.de, MünchenCoverrealisation: Max KostopoulosSatz: Eberl & Koesel Studio, Kempten
Print-ISBN: 978-3-446-46272-4E-Book-ISBN: 978-3-446-46598-5ePub-ISBN: 978-3-446-47954-8
Titelei
Impressum
Inhalt
Vorwort
1 Einführung
1.1 Fragen und Thesen
1.1.1 Wir müssen Arbeit und Technik miteinander denken
1.1.2 Fragen
1.1.3 Thesen
1.1.4 Zum Aufbau des Buches
1.2 Arbeit kann man buchstabieren – ein erster Zugang
1.2.1 Ganz kurz
1.2.2 Anstrengung
1.2.3 Recht auf
1.2.4 Belohnung und Eigentum
1.2.5 Identität
1.2.6 Teilhabe
2 Ist das noch Arbeit? Von zwei sogenannten Eroberungen
2.1 Die erste Eroberung: der „Siegeszug des Computers“
2.1.1 Von der Lochkarte zum Rechner
2.1.2 Was hat der Computer mit der Arbeit zu tun?
2.2 Zu Besuch
2.2.1 . . . auf dem Feld: von Ernterobotern, Nahrungsmitteln und armen Schweinen
2.2.2 . . . in der Werkstatt: vom Handwerk, vom Reparieren und von 3D-Druckern
2.2.3 . . . in der Fabrik: von Industrie 4.0 und Wertschöpfungsketten
2.2.4 . . . im Büro I: von Schreibtischen und Bildschirmen
2.2.5 . . . im Büro II: überhastete Digitalisierung
2.2.6 . . . unterwegs: von Mobilität, Tourismus und Pendlern
2.2.7 . . . im smarten Haus: von Energie und Sicherheit
2.2.8 . . . beim Kunden: von Logistik und Dienstleistungen
2.2.9 . . . beim Lernen: von Hänschen, Hans und dem Edutainment
2.2.10 . . . beim Spiel: von Unterhaltung, Langeweile und Aufmerksamkeit
2.2.11 . . . am Krankenbett: von Ärzten, Pflegern und Kliniken
2.2.12 . . . im Labor: von Forschern, Erfindern und Designern
2.2.13 . . . beim Staat: von Regierungen, Richtern und Gesetzen
2.2.14 . . . im Atelier: von Komponisten, Künstlern und Beethovenimitaten
2.2.15 . . . im Netz: von Arbeitsorten, Arbeitszeiten und virtuellen Realitäten
2.3 Die zweite Eroberung: der Siegeszug der Algorithmen
2.3.1 Von geschickten und ungeschickten Algorithmen
2.3.2 Algorithmen resultieren aus den Modellen und brauchen Programme zur Umsetzung
2.3.3 Modelle erfordern eine Formalisierung
2.3.4 Der Siegeszug der Algorithmen verlangt andere Qualifikationen
2.4 Zusammenfassung
3 Was ist Arbeit? Früher sah man das anders
3.1 Unklarer Beginn
3.2 Die Verachtung der Arbeit
3.2.1 Sklavenleben
3.2.2 Die Verachtung der Arbeit: der Mythos
3.2.3 Die philosophische Verachtung der Arbeit
3.3 Arbeit in den außereuropäischen Religionen
3.3.1 China: die Arbeit für Harmonie
3.3.2 Indien: der rechte Pfad
3.3.3 Jüdischer Kulturkreis
3.3.4 Arbeit im islamischen Kulturkreis
3.4 Arbeit im Christentum
3.4.1 Die Quellen
3.4.2 Der Arbeitsbegriff der Scholastik
3.4.3 Die Auflösung der ordo
3.4.4 Reformation
3.5 Meiner Hände Arbeit gehört mir
3.5.1 Aufklärung
3.5.2 Der Aufstieg der Technik
3.5.3 Das Nachdenken über Ökonomie
3.5.4 Die gesellschaftliche Bestimmtheit der Arbeit
3.5.5 Die soziale Frage
3.5.6 Vor und nach dem Ersten Weltkrieg
3.5.7 Zwangs- und Kriegswirtschaft
3.5.8 Nachkriegszeit: die politische und wirtschaftliche Teilung
3.5.9 1989 und danach
3.6 Telearbeit – vom Fernschreiber zum Netz
3.6.1 Vorgeschichte
3.6.2 Formen der Telearbeit
3.6.3 Substitutionseffekte
3.7 Vom Ende der alten Fabrik – Arbeit und Solidarität
3.7.1 Die Gründe für eine Fabrik fallen weg
3.7.2 Flexibilisierung und Entgrenzung
3.8 Zusammenfassung und Übergang
4 Wenn Logik siegt – Arbeit und Abstraktion
4.1 Ersetzung der Arbeit – je nachdem
4.1.1 Nochmals: Mechanisierung – Automatisierung – Informatisierung der Arbeit
4.1.2 Technik ersetzt Arbeit und verändert sie
4.1.3 Flexibilisierung der Inhalte
4.1.4 Abstraktion – Trennung von Prozess und Objekt der Arbeit
4.2 Weshalb der Computer und die KI Arbeit ersetzen können
4.2.1 Die Folgen für die Arbeitswelt
4.2.2 Der Kern: die Automatisierung
4.3 Die technische Erzählung: Konvergenz und Universalisierung
4.3.1 Konvergenz
4.3.2 Universalisierung
4.3.3 Entwicklung
4.4 Zusammenfassung
5 „Digitalisierung“ der Arbeit
5.1 Fahrlässiger Sprachgebrauch: Digitalisierung ist nicht Digitalisierung
5.2 Systemarbeit und Arbeitssysteme: die Verheißungen von Industrie 4.0
5.2.1 Die Nachkriegszeit
5.2.2 Der Beginn der neuen Arbeitswelt
5.2.3 Das System Industrie 4.0
5.2.4 Vom Personalwesen zum Human Resource Management
5.3 Information, die mit Maschinen arbeitet
5.3.1 Abstraktion als Fertigkeit
5.3.2 Das Mathematisierbare ist das Ersetzbare
5.3.3 Beispiel Instandhaltung
5.4 Warum wir nicht wissen, welche und wie viele Jobs wegfallen und welche und wie viele neue Jobs entstehen
5.4.1 Zur Dynamik von Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt
5.4.2 Was kommt auf die Beschäftigten zu?
5.4.3 Strukturwandel
5.4.4 Welche Tätigkeiten sind gefährdet?
5.4.5 Mehr Arbeitsplätze für wen?
5.5 Veränderte Tätigkeitsformen
5.5.1 Eine Frage der Distanz
5.5.2 Das Problem der Qualifikationsverschiebung
5.5.3 Sockelarbeitslosigkeit
5.5.4 Rationalisierungseffekt: die Reduktion der Arbeitszeit
5.5.5 Spezialfall Deutschland: der Mittelstand
5.5.6 Prekäre Arbeitsverhältnisse
5.5.7 Die Rolle der Experten
5.6 Eine Zusammenfassung in Thesen
5.7 Der Rebound-Effekt
6 Die Veränderung der Arbeit durch neue Maschinen
6.1 Erleichterung ist noch keine Erlösung
6.2 Die Arbeit der Maschinen: Erleichterung – Ersetzung – Verdrängung?
6.3 Die Automatisierung der Automatisierung: die Steuerung der Steuerung
6.3.1 Die Rolle des Modells und wie man sich dann behilft
6.3.2 Mit welchen Modellen steuern wir? CIM revisited
6.3.3 Datenanalyse als Modellersatz
6.4 Lernende Maschinen
6.5 Roboter: Maschinen oder mehr?
6.5.1 Zum Begriff der Autonomie
6.5.2 Autonome Maschinen?
6.5.3 Roboter – cui bono?
6.6 Zusammenfassung
7 Die neue Entfremdung
7.1 Eigentum und Ausbeutung
7.2 Zahltag
7.2.1 Im Weinberg geht es ungerecht zu
7.2.2 Lohn als Tausch für Arbeitszeit × Arbeitsintensität?
7.2.3 Faktoren für die Vergütung von Arbeit
7.3 Anerkennung als Währung
7.3.1 Faktoren der anderen Art
7.3.2 Die Idee der Äquivalenz gilt nur bei niedrigen Löhnen
7.3.3 Bemühung oder Ergebnis?
7.3.4 Ort und Zeit: 4 × 7 × 24 oder: „Nur ein Knecht ist immer erreichbar“
7.3.5 Gemeinschaft: von Arbeitsnomaden, Belegschaften und Crowd-Workern
7.3.6 Lohn und Belohnung: Ein Grundeinkommen verschärft das Problem einer gerechten Belohnung
7.3.7 Kleiner ironischer Zwischenruf
7.4 Geld und Künstliche Intelligenz
7.4.1 Arbeit als Information?
7.4.2 Mehr- oder Weniger-Wert der Arbeit
7.4.3 Geld als Information
7.4.4 Totale Gerechtigkeit und laboristische Ökonomie
7.5 Zusammenfassung
8 Triebfedern der KI
8.1 Technische Faktoren
8.1.1 Mooresches Gesetz
8.1.2 Zur Vernetzung
8.2 Kapital und/oder Arbeit?
8.2.1 Globalisierung: warum und wie sich Kapital und Arbeit entkoppeln
8.2.2 Digitalisierung: wie sich das Kapital seine Technik sucht
8.2.3 Der Mensch – zu langsam und zu teuer?
8.3 Innovation und Qualifikationsangebot
8.3.1 Qualifizierungslücke
8.3.2 Low Tech und einfache Arbeitsplätze
8.4 Zusammenfassung
9 Von der Arbeit zur Tätigkeit
9.1 Arbeitswelten
9.2 „Kollege“ Roboter?
9.2.1 Der Roboter als Werkzeug und Bestimmer
9.2.2 Intelligente Roboter sind keine Subjekte und sollten es auch nicht werden
9.2.3 Verantwortung für Roboter – Fragen
9.2.4 Verantwortung für Roboter – Antworten
9.3 Bedingungen verantwortlichen Handelns: Smart Ethics
9.3.1 Mögliche negative Folgen des Einsatzes von Intelligenten Robotern
9.3.2 Asimovs Irrtum
9.3.3 Was sollen wir tun?
9.3.4 Handlungsanleitungen
9.3.5 Roboter und Daten
9.4 Vorschlag von acht Regeln für den Umgang mit Intelligenten Robotern
9.5 Zusammenfassung
10 Sollen wir zu Hause bleiben? Corona, der Krieg und die Diffusion der Arbeit
10.1 Lektionen aus Pandemien
10.2 Die Pandemie und ihr Einfluss auf technische Entwicklung und Arbeitsorganisation
10.2.1 Die Effekte
10.2.2 Corona und die Arbeitswelt
10.3 Arbeiten unter Bedrohung – Anmerkungen zu 2022
11 Neue Arbeit ist Tätigkeit
11.1 Das scheinbare Ende der Arbeit und unser Arbeiten an deren Ersetzung durch KI
11.2 Szenarien zum tätigen Gestalten – nochmals zu Besuch
11.2.1 . . . auf dem Feld: Nahrungsmittelproduktion für bald 10 Milliarden Menschen
11.2.2 . . . in der Werkstatt: von Individualtechnik und dem Baumarkt im Keller
11.2.3 . . . in der Fabrik: globale Wertschöpfungsketten und verteilte Steuerung
11.2.4 . . . im Büro: wo, wenn nicht überall?
11.2.5 . . . unterwegs: das Ende des Wagenlenkers
11.2.6 . . . im smarten Haus: vom Recht, in Ruhe gelassen zu werden
11.2.7 . . . beim Verbraucher: Das Produkt kontrolliert sich selbst und wen noch?
11.2.8 . . . beim Lernen: Lernen bleibt eine soziale Veranstaltung
11.2.9 . . . beim Spiel: Der Mensch ändert sich nicht
11.2.10 . . . am Krankenbett: automatisiert, personalisiert, selektiert?
11.2.11 . . . im Labor: kreative KI oder „Geschwindigkeit ist keine Hexerei“
11.2.12 . . . beim Staat: Gerechtigkeit bleibt eine Frage der Modellbildung
11.2.13 . . . im Atelier: von der Kunst im Zeitalter der maschinenintelligenten (Re-)Produzierbarkeit
11.2.14 . . . im Netz: alles mit allem vernetzt und nichts funktioniert
11.3 Entwicklungen und Trends – wirkt KI als Beschleuniger?
11.3.1 Wie geht’s weiter?
11.3.2 . . . und dann kam ChatGPT
11.3.3 Doch ein Szenario?
11.4 KI als Fehlerverstärker
11.5 Die Stärke der natürlichen Dummheit
12 Waches Steuern
13 Anhang
13.1 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
13.2 Literaturverzeichnis
Der Verlag und die Autoren haben sich mit der Problematik einer gendergerechten Sprache intensiv beschäftigt. Um eine optimale Lesbarkeit und Verständlichkeit sicherzustellen, wird in diesem Werk auf Gendersternchen und sonstige Varianten verzichtet; diese Entscheidung basiert auf der Empfehlung des Rates für deutsche Rechtschreibung. Grundsätzlich respektieren der Verlag und die Autoren alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Sexualität, ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft und ihrer nationalen Zugehörigkeit.
Es war im Jahr 1982, als Ralf Dahrendorf (1929 – 2009), früherer hoffnungsvoller FDP-Einsteiger am Polithimmel und später Präsident der renommierten London School of Economics in der Wochenzeitung DIE ZEIT die Frage stellte, ob uns die Arbeit ausginge.1 Seine Frage zielte auf die Rationalisierungsverlierer des industriellen Arbeitslebens. Zwei Faktoren könnten seiner Analyse nach zum Verlust von Arbeitsplätzen führen: zum einen die angestiegenen Qualifikationsanforderungen, die dafür sorgen könnten, dass bisher gut qualifizierte Arbeitskräfte trotzdem aus dem Arbeitsmarkt herausfallen, und zum anderen die Fortschritte in der Automatisierung, die das Angebot an Arbeitsplätzen drastisch verringern könnten.
Spätere Schlagworte wie Dienstleistungs- oder Wissensgesellschaft waren noch nicht in Umlauf. Doch was hatte Dahrendorf damals für Vorstellungen über Arbeit? Meinte er die tariflich abgesicherte Erwerbsarbeit jener Zeit, die zum Bruttosozialprodukt westlicher Staaten hauptsächlich in Form von Tätigkeiten in der Produktion beitrug? Oder meinte er eine grundlegende Veränderung der Arbeit selbst und ihren Stellenwert in der Biographie eines Menschen? Dahrendorf stellte eher die Frage, ob es bei der Veränderung der Arbeitswelt mehr oder weniger vom Gleichen geben oder etwas völlig Neues auf den Plan treten würde.
Die Frage nach der Arbeit wurde nach den Ereignissen von 1989 aktueller als je zuvor: Hatte doch die Auflösung des „Ostblocks“, wie man es nannte, die Auffassungen über eine noch als möglich gedachte human-sozialistische Gestaltung der Arbeitswelt abrupt verändert. Der Westen schien über den Sozialismus in praxi wie auch über den utopischen Entwurf einer solchen Arbeitswelt „gesiegt“ zu haben, und mit dem Westen begannen die marktliberalen Ideologien und deren Spielarten zu dominieren. Was folgte, war eine Diskussion um das „Ende der Geschichte“, wie ein viel diskutiertes Buch2 titelte, und um die Globalisierung, die jedoch längst schon vor 1989 eingeleitet worden war. Es ging um die Privatisierung öffentlicher Betriebe und Dienstleistungen und um erste Überlegungen zur Virtualisierung (damals e-work genannt) von Arbeit. Die „Zukunft der Arbeit“ wurde zu einem der meistgenannten Titel in Veröffentlichungen und Büchern.3
Die Diskussionen drehten sich in den 90er-Jahren nach der Vereinigung in Deutschland um Themen wie
das Recht auf (bezahlte Lohn-)Arbeit,
die Frage, ob die neuen Bundesländer die „verlängerte Werkbank des Westens“ sind,
die Arbeitslosigkeit in den Industrieländern,
die Verlagerung von Arbeitsplätzen weltweit in Billiglohnländer,
die Auseinanderbewegung der Einkommensschere innerhalb der einzelnen Staaten wie der Staaten untereinander, oft als Nord-Süd-Gefälle bezeichnet,
den in Industrieländern zu beobachtenden faktischen Rückzug des Staates aus wesentlichen Bereichen der Daseinsfürsorge,
den Aufstieg des neoliberalen Denkens in Wirtschaft und Politik,
die Frage nach der Solidarität bei einem internationalen Arbeitsmarkt und danach,
ob ein bedingungsloses Grundeinkommen eine Lösung oder eine Potenzierung der mit diesen Themen angesprochenen Grundprobleme sein würde.
All das kontrastierte seltsam mit der Tatsache, dass über Arbeit und ihre Gestaltung – gerade im Zusammenhang mit dem groß angelegten Programm der Bundesregierung über die „Humanisierung der Arbeit“ – zwar viel geschrieben wurde, jedoch kaum eine philosophische Auseinandersetzung um die Arbeit stattfand, die in der Öffentlichkeit nennenswert wahrgenommen worden wäre. Der Wunsch aber war damals schon da: Diese philosophische Auseinandersetzung, also das hartnäckige Nachfragen und Beleuchten der begrifflichen Voraussetzungen unseres Redens über Arbeit und unseres Lebens mit der Arbeit, müsste doch angesichts der rasanten Änderungen immer wieder stattfinden, und sie müsste in breiter Öffentlichkeit geführt werden. Dominiert wurde die Auseinandersetzung bis heute überwiegend von der Frage, ob die Rationalisierung durch Automatisierung eher zur Arbeitslosigkeit oder zu deren Überwindung beitrage.
Mittlerweile hat sich die technische Entwicklung sowohl in der Arbeitswelt, in der privaten sowie der globalen Kommunikation, aber auch in Hinsicht auf die Indikatoren des Zustands unseres Planeten4 mit einer Wucht beschleunigt, wie sie – phänomenologisch – an exponentielle Wachstumsprozesse gemahnt. Hinzu kamen die politisch gewollten globalen Deregulierungen der internationalen Finanz- und Kapitalströme schon in den 70er-Jahren,5 und damit die Internationalisierung der Märkte und folgerichtig auch der Arbeitsmärkte. Diese Entwicklungen haben in den beiden Jahrzehnten um die Jahrtausendwende (also etwa 1990 – 2010) zu massiven Koordinatenverschiebungen in der Arbeitswelt wie in unserer allgemeinen Lebenswelt geführt, die eine solche philosophische Auseinandersetzung berücksichtigen müsste. Höchste Zeit also, um nochmals und doch wiederum neu über Arbeit nachzudenken.
Nun hat sich in den Jahren zwischen 2010 und 2020 die Entwicklung der modernen Kommunikations- und Informationstechnik nochmals verändert, die Schlag- und Stichworte lauten nun Industrie 4.0, Big Data, Algorithmen und Künstliche Intelligenz. Diese etwas unpräzise als „Digitalisierung“ bezeichnete Transformation der technischen und organisatorischen Bedingungen der Arbeit hat die Inhalte und Formen der Arbeit bereits jetzt schon sehr stark verändert und sie wird dies weiterhin in einem beschleunigten Maße tun. Gerade die Nutzung der technischen Möglichkeiten durch die immens angestiegene Verfügbarkeit von Rechenkapazität und neuen Programmiertechniken, die man ebenfalls etwas ungenau Künstliche Intelligenz (KI) nennt, verstärkt den Eindruck, KI buchstabiere die Arbeit neu.
Um 2005 herum war zu beobachten, dass es Trends gab, die Trennung zwischen Arbeitszeit und Freizeit aufzulösen. Diese Trennung wurde bis dato – außer bei Künstlern – als wesentliche Scheidelinie innerhalb des individuellen Rasters für Lebensgestaltung angesehen, mit Konsequenzen, die bis in den Bereich der Moral und der Pflichten reichten. Kategorien der Arbeit begannen nun, in die Freizeit, und Momente der Freizeitgestaltung in die Arbeitswelt einzudringen.6 Dabei fiel auf, dass durch die technische Entwicklung viele organisatorisch-gesellschaftliche Entwicklungen angestoßen wurden – nicht zuletzt die Frage nach einer Entgrenzung und damit neuen Bestimmung von Arbeitsort und Arbeitszeit. Die Schlagwörter Flexibilisierung, Telekooperation und Telearbeit kamen auf, später als Anglizismen aus der Sprache der Betriebswirtschaftler und Controller der e-commerce, das e-business und das Homeoffice. Die Forderung nach einem vernünftigen Verhältnis von Arbeitszeit und eigenbestimmter Zeit (nunmehr Work-Life-Balance genannt), die veränderten Mobilitätsanforderungen und eine zunehmende arbeitsbiografische Segmentierung beschleunigten den gefühlten Wegfall vertrauter Berufsbilder und lebenslang verwertbarer Qualifikationen. Es entstanden neue Tätigkeitsprofile, die man meist mit englischen Bezeichnungen versah. Und wieder verschoben sich die Koordinaten einer Diskussion um die Arbeit.
Da Arbeit nicht ohne Technik und Technik nicht ohne Arbeit gedacht oder begriffen werden kann, müsste eine Erörterung des Themas Arbeit auch die technikphilosophischen Diskussionen der letzten Jahre miteinbeziehen. Hier hat sich in der Deutung und dem Verstehen von Technik angesichts ihrer Informatisierung (nunmehr Digitalisierung genannt) und zunehmenden Biologisierung ein Wandel vollzogen, der bis heute im vollen Gange ist und der sich in der Pandemie der Jahre 2020 und folgende beschleunigte.
Vielfach verstehen wir bei der Arbeit, die wir durchführen, nicht mehr vollständig alle Schritte und Griffe, selbst wenn wir es wollten und alle erforderlichen Informationen zur Verfügung hätten. Die Arbeit ist abstrakter denn je geworden. Dies hat zwei Ursachen: Zum einen ist es die Abhängigkeit der Arbeit vom geeigneten Wissen und Können und damit die Abhängigkeit von der Verfügbarkeit geeigneter Informationen zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Zum anderen verschwindet die sinnliche Wahrnehmung des Arbeitsprozesses – also das, was man mit der Hand getan hat – hinter der Oberfläche der Technik, die den Arbeitsprozess unterstützt oder gar ersetzt. Auch dies hat schon in den 80er-Jahren zu einer Koordinatenverschiebung geführt, die Soziologen mit dem Begriff der Wissensgesellschaft zu analysieren versucht haben.
Mittlerweile dürfte klar geworden sein: Der Einsatz formaler, d. h. letztlich mathematischer Mittel verändert die Inhalte, Formen und Prozesse der menschlichen Arbeit. Das reicht von der Vermessung des Tunnelbaus von Samos in der Antike bis hin zur heutigen Künstlichen Intelligenz. Schon jetzt zeichnet sich ab, wozu diese Technologie in der Lage ist, aber das ist wohl nichts im Vergleich zu dem, was uns wahrscheinlich erwartet. Müssen wir Angst vor diesen Veränderungen haben oder dürfen wir sie begrüßen? Sind wir wirklich hilflos einer unaufhaltsamen Macht, die uns als Fortschritt verkauft wird, ausgeliefert? Meine Antwort ist schon an dieser Stelle ein klares Nein, schließlich sind wir alle, die Experten wie Konsumenten, auch diejenigen, die diese Entwicklung entfesselt haben und deshalb auch als Käufer solcher Technik für ihre Gestaltung mit verantwortlich. Nicht die Künstliche Intelligenz selbst, sondern einige der Geschäftsmodelle, die KI erst möglich machen, sind zu fürchten.7
Gerade deshalb gibt es vielleicht eine große Unsicherheit und das allgegenwärtige Gefühl des Kontrollverlusts. Dieses Buch wurde geschrieben, um etwas gegen dieses Gefühl zu tun. Es versteht sich als ein Versuch, durch Denkanstöße und historische wie systematische Klärungsversuche einen begrifflichen Grundriss zu zeichnen, der für die künftige Gestaltung der Arbeitswelt und unseres Umgehens mit Arbeit eine – wenn auch immer nur vorläufige – Orientierungsfunktion haben könnte.
***
Auch dieses Buch hat eine Vorgeschichte. Es verwertet Vorlesungen und Seminare, die ich seit 1985 in Stuttgart, Cottbus, Budapest, Wien und Ulm über dieses Thema abgehalten habe. Es nimmt die in dieser Zeit veröffentlichten Arbeiten und gehaltenen Vorträge inhaltlich nochmals auf und kann daher auf die Beobachtung der Veränderungen der Arbeitswelt, die sich seit dieser Zeit ergeben haben, zurückgreifen. Die Analyse der anstehenden Veränderungen wird demnach auf eine Basis gestellt, die sich schon oft bewährt hat: Wenn wir uns ansehen, woher wir kommen, verstehen wir besser, wohin wir gehen – besser noch, wohin wir gehen sollten. Wenn man verantwortlich mitgestalten will, darf man nicht wie das Kaninchen vor der Schlange verharren, so faszinierend oder erschreckend das alles sein mag.
Seit ich mich als damaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart in den 80er-Jahren mit der Veränderung der Arbeit, sei es in Produktion, Dienstleistung oder Technikgestaltung, zu beschäftigen begann, hat die menschliche Arbeit nicht nur andere Organisationsformen angenommen und weiterentwickelt, sondern es wurde auch immer wieder die Frage gestellt, was Arbeit eigentlich sei, ob man sie überhaupt noch bräuchte, und was sie denn von einer menschlichen Tätigkeit ganz allgemein unterscheide.
Auch Karl Marx hatte diese Frage zu beantworten versucht, und er war wohl der Erste, der die Arbeit in den Mittelpunkt seiner philosophischen Anthropologie stellte: Der Mensch schaffe sich erst durch seine Arbeit selbst. Und damit sei er auch ein Produkt der Umstände seines Arbeitens. Diese Umstände seien aber durch die ökonomischen Verhältnisse wie Besitz und Macht bestimmt. Deshalb müsse man diese Verhältnisse ändern. Seine Antworten waren, auch wenn er es nicht wollte, von der Philosophie des Deutschen Idealismus geprägt und basierten auf einem gewissen deterministischen Geschichtsverständnis. Spätestens 1989 wurde deutlich, dass die Geschichte einen anderen Verlauf genommen hatte als den der permanenten Klassenkämpfe und dass seine Antworten für eine moderne technisierte Welt nicht mehr ausreichen würden. Das Bild des Menschen ist heute nicht mehr laboristisch,8 sprich ausschließlich durch seine Arbeit geprägt, sondern durch wissenschaftliche Erkenntnisse und ethische wie weltanschauliche Überzeugungen, durch die Möglichkeiten, die er aktual technisch-organisatorisch zur Verfügung hat, und durch Einsichten in die gesellschaftliche wie kulturelle Dynamik, in die seine Lebenswelt eingebettet ist.
Da sich die Welt der Arbeit fortlaufend verändert, hat sie dies auch während des Schreibens dieses Buches getan. Die Entwicklungen, die die Corona-Krise seit 2020 auf die Weise unseres Arbeitens genommen hat, habe ich versucht zu berücksichtigen. Die Ereignisse des 24. Februar 2022 mit dem Beginn des Ukraine-Krieges sind noch so unüberschaubar, dass sich vor Drucklegung nur einige vorsichtige Anmerkungen ergeben haben. Die Vorstellung des natürlichsprachlichen Chatbots ChatGPT durch die Firma OpenAI im November 2022 hat zu einer Flut von Diskussionsbeiträgen und Artikeln geführt, die vor Drucklegung nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Da die Einschätzung der Leistungsfähigkeit dieses Systems sowie rasch nachfolgender verbesserter Versionen noch sehr uneinheitlich ist, können mögliche Folgen für die Arbeitswelt ohne weitere Forschung noch nicht in wünschenswerter Weise dargestellt werden. Auch hier muss ich es bei einigen vorsichtigen Hinweisen, die nachträglich eingefügt wurden, belassen.
Im Sinne einer besseren Lesbarkeit der Texte wird in diesem Buch verallgemeinernd das generische Maskulinum verwendet. Die Angaben beziehen sich daher auf Angehörige beider Geschlechter. So haben es schon die Römer praktiziert.9
Wenn man sich mit einem Thema über den vorangehend angedeuteten Zeitraum beschäftigt, hat man immer Gesprächspartner, die einem weiterhelfen, die diskutieren, kritisieren und Hinweise geben. Sie hier aufzuzählen, würde das Buch noch umfangreicher machen, und so sei allen gedankt, die sich die Mühe gemacht haben, sich auf meine Gedanken einzulassen und die darauf konstruktiv-kritisch reagiert haben.
Dieses Buch möchte ich meiner Frau Irma widmen, mit der ich die persönlich vielleicht interessantesten Auseinandersetzungen um den philosophischen wie praktischen Arbeitsbegriff hatte und gelegentlich noch habe. Denkt sie über Arbeit und ihre alltägliche Gestaltung doch völlig anders als ich. Und das ist gut so. Dafür gilt ihr mein herzlicher Dank.
Frühjahr 2023
Klaus Kornwachs
1 Dahrendorf (1982).
2 Fukuyama (1992).
3 Das ist bis auf den heutigen Tag so geblieben. Erstaunlich kritisch vorausschauend: Makowsky (1984).
4 Steffen et al. (2015) haben die weltweiten Trends von 1750 bis 2010 der sozial-ökonomischen Entwicklungen aggregiert. Die Verläufe der Werte für Weltbevölkerung, Bruttosozialprodukt, Energieverbrauch, Düngerverbrauch, Papierproduktion, Transportaufkommen, Telekommunikation und internationalen Tourismus weisen spätestens ab 1950 erkennbar exponentielles Wachstum auf. Bei den Indikatoren wie dem Bau von Dämmen und dem Wasserverbrauch sind schwache Sättigungsverläufe ab den 80er-Jahren erkennbar. Die global aggregierten Trends der Indikatoren für den Zustand des Planeten Erde wie Kohlendioxid, Stickoxide, Methan, stratosphärisches Ozon, Oberflächentemperatur, Säuregrad der Ozeane, Verlust von tropischen Wäldern oder Degradation der Oberflächen-Biosphäre auf der Erdoberfläche zeigen dasselbe Muster exponentieller Zunahme. Dabei nehmen die Urbarmachung von Landflächen und der maritime Fischfang nicht mehr in dem Maß zu, wie dies bis ca. 1960 der Fall war.
5 Ein erster Schritt auf dem Wege des grenzenlosen und unbeschränkten Geldverkehrs war 1973 die Aufkündigung des Vertrags von Bretton-Woods, der seit 1944 die Wechselkurse der Währungen mit 44 Teilnehmerstaaten regelte. Dieser Vertrag war die Antwort auf die chaotischen Entwicklungen der zwanziger und dreißiger Jahre und der Weltwirtschaftskrise. Jedoch sahen die stark expandierende Industrie und vor allem die großen Banken die bürokratische Kontrolle als lästige Bremse an. Bereits 1970 gaben die USA, Deutschland, Kanada und die Schweiz die Kapitalkontrollen auf. Das Resultat war der Zusammenbruch des Festkurssystems, da nun Spekulanten, die den Wert der Währungen nach den verschiedenen Anlagemöglichkeiten taxierten, die Kurse unter sich ausmachen konnten. Vgl. auch Martin/Schumann (1996), S. 73.
6 Erst propagiert, dann halbwegs solide beschrieben, z. B. bei Opaschowsky (1991): Werte, die in der Arbeitswelt vorherrschend waren und sind, wie Fleiß, Pünktlichkeit, Sauberkeit, korrekte Pflichterfüllung, planungs- und erfolgsorientiertes Handeln, Unterstellung innerhalb einer Hierarchie und Akzeptanz von Aufgabenteilung und -zuweisung und andere diffundieren in den Freizeitbereich hinein. Urlaub, Vergnügen, Vereine und dergleichen werden heute generalstabsmäßig geplant und manch Arbeitnehmer würde die Zumutung an Belastung und Stress, die er bei der Organisation einer Vereinsfete auf sich nimmt, im Arbeitsleben nicht akzeptieren. Umgekehrt diffundieren die Wertevorstellungen aus der Freizeit wie Hedonismus, Spaß haben wollen, Selbstverwirklichung, freie Bestimmung der eigenen Tätigkeit nach Umfang, Belastung und Dauer und weitere freizeitorientierte Vorstellungen in die Arbeitswelt hinein. Man spricht von Spaßarbeit, von der Lust an der Arbeit, bis hin zum Workaholic, also zum zur Sucht werdenden Befriedigungsverhalten durch Arbeit.
7 Kornwachs (2019 KIG).
8 Von labor (lat.), Arbeit, Anstrengung, Mühe.
9 „Pueri appellatione etiam puella significatur“ (mit dem Begriff Jungen werden auch Mädchen bezeichnet). Vgl. Corpus Iuris Civilis, Digestae, Buch 50, Titel 16, Lex 163, § 1. Zitiert nach http://www.thelatinlibrary.com/justinian/digest50.shtml. Eine Ausweitung auf weitere denkbare Geschlechter im Sinne einer sozialkonstruktivistischen Definition sei damit gelassen impliziert.
Das Verhältnis der menschlichen Arbeit zur Natur, zur Technik, zur Information, zur sozialen Teilhabe und zum Selbstverständnis des Menschen hat sich schon immer und ständig verändert. Globalisierung und Digitalisierung, insbesondere aber der Neuaufstieg der Künstlichen Intelligenz im Rahmen der Digitalisierung, haben begonnen, diese Veränderungen zu beschleunigen. Dies wird von den Menschen, die die Entwicklung nicht ständig beobachten, als disruptiv erlebt: Die Schnecke des Fortschritts kriecht langsam, und man schaut nicht mehr genau hin. Plötzlich hat sie mehrere Meter zurückgelegt. Neben dieser fast trivialen Erfahrung gesellt sich aber nun der Umstand, dass von interessierter Seite der Begriff der Disruption gleichzeitig als positiver Wert propagiert wird.
Das Forschungs- und Entwicklungsprogramm der Künstlichen Intelligenz hat sich nach einigen Stagnationen (sogenannte KI-Winter) in den 90er- und 00er-Jahren neu entfaltet.1 Treibende Faktoren hierfür waren die neue Verfügbarkeit von schneller Rechenleistung und die immense Erweiterung der Speicherkapazitäten und damit einhergehend deren Preisverfall.2 Nach beeindruckenden Erfolgen auf ursprünglich eher spielerischen (Schach, Go-Spiel etc.) oder erkenntnisorientierten Feldern (Neuroinformatik, Cognitive Science) schickt sich die Künstliche Intelligenz als technologisches Entwicklungs- und Anwendungsprojekt nun an, Steuer-, Kontroll- und Gestaltungsleistungen in der Arbeitswelt und nicht nur dort zu unterstützen und zum Teil zu übernehmen. Dies hat zu einer breiten Neuauflage der Debatte um die zukünftige Entwicklung der Arbeitswelt und damit auch unserer sozialen Strukturen geführt.
Viele Tätigkeiten des Menschen, die bisher als notwendig erschienen, würde es, so die Befürchtungen, in naher Zukunft gar nicht mehr geben, und weiterhin würden viele Tätigkeiten, die wir bisher als Arbeit bezeichnet haben, gar keine Arbeit im herkömmlichen Sinne mehr sein. Diese Diskussion bringt immer wieder neue Bücher hervor, und schon allein dieses Phänomen zeugt von einer großen Unsicherheit und lässt eine Neubestimmung des Begriffs von Arbeit ratsam erscheinen. Denn es geht bei all diesen Diskussionen letztlich um den Stellenwert der Arbeit für den Entwurf eines menschenwürdigen Lebens, also der conditio humana.
Allerdings sind Technikentwicklungen und Veränderungen der Arbeitsformen und -weisen sowie, darauf aufbauend, die allmählichen Veränderungen des Arbeitsbegriffs weder praktisch, historisch noch philosophisch verstehbar, wenn man sie ohne Bezüge zueinander isoliert betrachtet. Die Wechselwirkungen zwischen Technik, Organisation und Arbeit sind zwar soziologisch und betriebswirtschaftlich oft untersucht worden, diese Untersuchungen sind aber bisher kaum dazu herangezogen worden, eine gemeinsame Deutung der Dynamik von Technik und Arbeit zu leisten. Dies gilt umso mehr, als es erst die Einführung des Computers in Produktion und Büro in den 80er-Jahren war, welche die Abläufe und Strukturen des betrieblichen Arbeitens massiv veränderte. Hinzu kam die allmähliche Automatisierung der Dienstleistungen, die bis heute noch andauert und noch lange nicht abgeschlossen ist. Nun kommen lernfähige Systeme der Künstlichen Intelligenz (KI) mit Robotern, Bearbeitungszentren und ausgelagerten Büros zusammen. Diese so ausgerüsteten, verteilten Arbeitssysteme schicken sich an, die Prozesse, in denen sie wirken, mehr oder weniger selbstständig zu optimieren.
Bisherige Ansätze der Diskussion um Begriff, Praxis und Zukunft der Arbeit verbleiben meist in den jeweiligen Disziplinen.3 Das vorliegende Buch versucht daher, in einem systematischen Ansatz, der überwiegend von der Philosophie und Wissenschaftstheorie der Informatik, der KI und der Technikwissenschaften ausgeht, einen integralen Blick zu entwickeln, der eben diese conditio humana, aber auch die gesellschaftlichen Auswirkungen und Wünschbarkeiten im Auge hat.
Ausgangspunkt für einen solchen systematischen Entwurf des Verstehens einer veränderten Arbeitswelt, die eine Tätigkeitswelt sein wird, muss daher ein konsequentes Zusammendenken der Veränderungen der Arbeit mit den Veränderungen der Technik sein. Was die sogenannte Digitalisierung bewirkt hat und noch bewirken wird, kann man weder aus einseitigen soziologischen, kulturphilosophischen oder gar politischen Analysen von Arbeit heraus bestimmen noch durch Ansätze, die durchaus verdienstvoll, aber jeweils isoliert in den technischen und wissenschaftlichen Disziplinen zu finden sind. Den Blick jeweils allein vom Standpunkt der Technikwissenschaften, der Informatik, selbst vom Standpunkt der Arbeitswissenschaften oder der Wirtschaftswissenschaften auf die Arbeit zu richten, greift zu kurz. Letztlich kann ein Blick auf die philosophische Anthropologie hilfreich sein, wird aber ebenfalls nicht genügen.
Bisherige Auseinandersetzungen um den Begriff und Stellenwert der Arbeit gingen aus
von den Diskussionen in den 80er-Jahren um das disziplinär aufgesplitterte Selbstverständnis der Arbeitswissenschaften wie Ergonomie, Arbeitsorganisation, Arbeitspsychologie, Arbeitsmedizin etc., Arbeitsökonomie und Arbeitssoziologie,
von makroökonomischen Konzeptionen der Arbeit als Produktionsfaktor neben Boden und Kapital sowie mikroökonomischen Konzeptionen als monetär quantifizierbare, tauschbare Leistung und Wertschöpfung,
von begriffshistorischen Analysen der Bedeutungsgeschichte von Arbeit, die aber die Zeit nach 1970 kaum mehr abdecken,
von anthropozentrischen Sichtweisen der Arbeit als Konstituens des Menschseins, wie z. B. bei Karl Marx,
von ethischen bis religiösen Deutungsmustern von Arbeit, z. B. Arbeit als Schöpfertum, Erfüllung, Pflicht und Sühne,
von den direkten Arbeitserleichterungen und -veränderungen durch die technische Entwicklung
und nicht zuletzt, aber aktuell, von der wieder aufkommenden Angst, dass intelligente Roboter und Systeme (IR) viele klassische Beschäftigungsverhältnisse (Jobs wie Berufsbilder) verdrängen oder ganz überflüssig machen könnten.
All diese Ansätze sind zweifelsohne von hohem, auch problemlösendem Wert, verbleiben aber zum großen Teil innerhalb ihres jeweiligen disziplinären Deutungsrahmens. Die im Folgenden angestrebte Analyse der Veränderung der menschlichen Arbeit durch Künstliche Intelligenz (KI) hin zu steuernder und gestaltender Tätigkeit versucht, über einen Arbeitsbegriff hinauszugehen, bei dem Arbeitsprozess wie Arbeitsergebnis lediglich als naturalisierbare und monetär quantifizierbare Faktoren gesehen werden, also etwas, was man leisten, verkaufen, brauchen und kaufen kann. Arbeit hat sich sowohl als Prozess wie als Ergebnis schon immer mit Technik verändert, und die Entwicklung und Herstellung der für die Arbeit notwendigen Technik war ebenfalls Arbeit. Deshalb müssen diese Veränderungen im Zusammenhang mit einer Deutung von Technik neu bestimmt werden, denn auch die Deutung von Technik hat sich gewandelt.
Zu diesem neuen Verständnis von Technik, das auch das organisatorische Umfeld, die technischen Handlungen sowie die Ziele und Auswirkungen umfasst,4 haben viele Entwicklungsstränge beigetragen: in den Informations- und Kommunikationstechnologien, in der Bio- und Medizintechnik wie z. B. auch in der Nanotechnik und bei den neuen Werkstoffen, aber auch in der Theorienbildung in der Soziologie, in der Organisationstheorie und auch in der Philosophie.5 Schließlich ist die Tatsache zu berücksichtigen, dass die genannten und weitere Technologiezweige zu neuen, noch nicht prognostizierbaren Technologien konvergieren, d. h. funktional zusammenwachsen6 können, und Überraschungen bei zukünftigen Entwicklungen nie ausgeschlossen werden können. Das bedeutet auch, dass die heute so intensiv diskutierte Künstliche Intelligenz nicht die letzte technische Entwicklungsmöglichkeit sein wird, um deren Auswirkungen und Tragweite wir streiten werden.
Um die angesprochene Analyse leisten zu können, müssen Aspekte, die sich in den jeweiligen disziplinären Bereichen alleine kaum finden, mitberücksichtigt werden:
Das Verhältnis von Arbeit und Natur, zuerst aufgenommen durch die Marxsche Frage nach der Arbeit als Kampf gegen die Natur, hat sich unter einem gewandelten Naturverständnis verändert. Dies hängt eng mit der Frage zusammen, wie Wissenschaft und Technik in der Natur überhaupt möglich sind. Die Antwortversuche auf diese Frage bestimmen wiederum das Verhältnis von Arbeit und Technik.
Die Frage nach der Bestimmung der Arbeit im Rahmen einer philosophischen Anthropologie und ihrer individuellen wie gesellschaftlichen Gestaltung in Abhängigkeit vom jeweiligen Menschenbild wird kulturell bedingt unterschiedlich beantwortet. Das hat zu verschiedenen Arbeitskulturen geführt, die sich im Rahmen der Globalisierung zwar als einzelne Kulturen in ihrer Unterschiedlichkeit – auch mit Konflikten – begegnen. Es ist aber auch zu beobachten, dass sich die Differenzen zwischen den Arbeitskulturen aufzulösen beginnen, um letztlich in eine globale Arbeitskultur zu münden.
Arbeit ist, zumindest in der Neuzeit, mit Notwendigkeit und Pflicht einerseits, andererseits aber auch mit sozialer Teilhabe, mit sozialem und gesellschaftlichem Status und mit individuell wie gesellschaftlich vermittelter Anerkennung verbunden. Deshalb wirkt sich ein Mangel an „Erwerbs“-Arbeit im Rahmen der Arbeitslosigkeit nicht nur im Bereich empfindlicher Einkommens- und Besitzeinbußen aus. Sie verursacht auch einen Mangel an Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und einen Entzug an Anerkennung bis hin zur Verachtung. Die Frage nach der Begründbarkeit eines Rechts auf Arbeit macht diese Kopplung ungewöhnlich deutlich.
1.1.2FragenDie zu stellenden Fragen sind daher in einem Grenzbereich angesiedelt, der sich zwischen den Technikwissenschaften einerseits, die bei der Gestaltung von Arbeitsbedingungen eine große Rolle spielen, und der Philosophie andererseits aufspannt. Neue Technologien haben schon immer veränderte Arbeitsformen ermöglicht und erzwungen. Doch in der gegenwärtigen Phase des Umbruchs, den man hartnäckig und ungenau Digitalisierung nennt, ist diese Veränderung nicht nur schneller als sonst, sondern auch radikaler. Man bezeichnet dies gerne als disruptiv. Nach den Gründen dieser veränderten Dynamik sollte ebenfalls gefragt werden. Ein dadurch erzwungenes neues Nachdenken über die Rolle und Funktion der Arbeit für Individuum, Wirtschaft und Gesellschaft verändert jedoch nicht nur die Sicht auf mögliche Optionen technischer Gestaltungen am Arbeitsplatz wie in der Freizeit, sondern es kann auch die Entwicklung neuer Technik und deren Rezeptionsbedingungen selbst anregen. Daher werden wir auch Veränderungen hinsichtlich der Akzeptanz oder Nicht-Akzeptabilität der neuen technischen Möglichkeiten und des Vertrauens oder Misstrauens in die technische Entwicklung erwarten können.
Weitere Fragen stellen sich:
In der Ethik, welche unter anderem auch die Gerechtigkeitsfrage nach der Verteilung der Güter stellt, ergibt sich das Problem, ab welchem Grad der Automatisierung und der sie beschleunigenden Künstlichen Intelligenz die menschliche Arbeit noch als Pflicht zu einem Gesamtbeitrag zur Lebensbewältigung einer Gesellschaft angesehen werden muss. Weiterhin liegt die Frage nach der Gestaltung einer Lebenswelt durch die Technik auf dem Tisch, die auch Menschen, die weniger qualifizierbar sein werden als es dereinst erforderlich sein könnte, eine sinnstiftende Teilhabe durch einfache Tätigkeiten erlaubt.
Die Informatik im Sinne von Computer-Science – und dazu kann man auch die KI zählen, wenn man sie als Programmiertechnik versteht – hat zur Informatisierung und damit völligen Veränderung der Arbeitsinhalte, -formen, -abläufe und -bedingungen geführt und wird dies weiterhin tun. Gerade die angewandte Informatik hat die Frage nach den Bedingungen der Organisation von Arbeit aufgeworfen, aber noch nicht befriedigend beantwortet.7 Gerade die Informations- und Kommunikationstechniken beschleunigen die Entwicklung hin auf einen globalen Arbeitsmarkt, ohne dass ein Absicherungsmechanismus auf der globalen Ebene in Sicht wäre, wie er teilweise auf der nationalen Ebene entwickelt wurde. Man denke hier an die sozialstaatliche Abfederung zu großer Asymmetrien bei marktwirtschaftlichen Entwicklungen.
In der philosophischen Anthropologie müsste die bisherige Identifikation des Menschen mit der Arbeit (Arbeit im Sinne des Prozesses wie des Ergebnisses) kritisch hinterfragt werden. Ist der Mensch nur das, was er arbeitet? Versucht man die bisherigen Voraussetzungen für diese Identifikation zu klären, so muss man diese Überlegungen nicht nur mit kulturellen, ethischen oder theologischen Deutungen konfrontieren, sondern auch mit Ansätzen der Technikphilosophie und den praktischen Erfahrungen, die in diesem Veränderungsprozess gemacht werden.
In den Wirtschaftswissenschaften mit ihrem Hang zur totalen Ökonomisierung aller Lebensvollzüge und Gegenstandsbereiche werden menschliche Verhältnisse und andere, emotionale Aspekte zum großen Teil ausgeblendet. Hier wird die Frage gestellt werden müssen, ob es auch nicht-monetär quantifizierbare Tätigkeitsverhältnisse und Ent- respektive Belohnungssysteme gibt, ohne die es vermutlich weder eine sonderliche Motivation zur Leistung, zur Technikentwicklung noch zur Weiterentwicklung neuer Organisationsformen geben wird.
1.1.3ThesenZu Beginn möchte ich zur Anregung folgende Arbeitsthesen vertreten:
1. Vermutlich wird sich die herkömmliche Arbeit vermöge der technischen Möglichkeiten, insbesondere der Anwendung von KI-Systemen, von bewegenden Tätigkeiten8 weg hin zu überwiegend kommunikativen, gestaltenden, korrigierenden und steuernden Tätigkeiten verlagern. Ob diese Tätigkeiten bereits sinnstiftend sind, ist damit nicht gesagt. Dadurch werden einfachere Qualifikationen entwertet, was die Teilnahme größerer Bevölkerungsanteile an wertschöpfenden Prozessen erschweren wird. Für den dadurch entstehende Identitäts- und Statusverlust (kulturell, gesellschaftlich wie ökonomisch) müssten Lösungen zur Kompensation entwickelt werden. Außer dem Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens sind noch keine weiteren Lösungen in Sicht, wenn man einmal die sich abzeichnenden Entwicklungen eines Metaversums außen vor lässt. Es sieht aber nicht danach aus, dass wir uns – global gesehen – angesichts von Klimawandel, Pandemien und kriegerischen Auseinandersetzungen auf die faule Haut werden legen können. Die Arbeit im Sinne eines Berges von Aufgaben, der vor uns steht, wird uns also nicht ausgehen. Doch wir werden die Aufgaben anders bewältigen als bisher.
2. Die Erleichterung des Lebens durch die technisch mögliche Reduktion von Anstrengung und Belastung hat ihren Preis: Es droht einerseits die Transparenz jeder professionellen wie privaten Tätigkeit durch die Preisgabe der Daten, die zur „Errechnung“ eben dieser Erleichterung notwendig sind. Andererseits könnte die Gefahr einer Sachzwangskultur entstehen, die nur noch geringe Spielräume zulässt, wenn Ergebnisse und Entscheidungen von Systemen der Künstlichen Intelligenz (KI) nicht mehr nachvollziehbar sein würden.
3. Die klassischen Arbeitsformen9 werden nicht mehr zu retten sein – daher müssen wir uns um die gesellschaftlich stabilisierenden Bedingungen kümmern, die bisher durch diese herkömmlichen Arbeitsformen aufrechterhalten und garantiert wurden. Diese sind unter anderem das Recht auf Eigentumserwerb, Recht auf Ausbildung und Bildung, Ausbildung von Identität, Ermöglichung sozialer Teilhabe, Organisation von Solidarität sowie ein transparentes Management von Erwartungen und Anerkennungsregimes.
4. Die automatisierte Arbeitswelt kann systemisch gesehen durchaus den Grad der Automatisierung der Automatisierung erreichen. Das bedeutet, dass sich hochautomatisierte bis selbstoptimierende Produktions- und Dienstleistungssysteme entwickeln können. Über die Kriterien der Ausrichtung dieser Optimierung hat bisher noch keine Diskussion stattgefunden, die über eine ökonomische Bewertung von Wertschöpfungsketten hinausginge. Wir müssen besser lernen, was wir wollen.
5. Es ist auch zu befürchten, dass solche Produktions- und Dienstleistungssysteme, die weltweit verteilt sein können, durch Firmen angeboten werden, die durch Verschmelzungsprozesse zu monopolartigen Strukturen neigen. Diese werden durch nationale Gesetze kaum zu kontrollieren sein und sie werden vermutlich in weitem Umfang unsere Bedarfe, wenn nicht sogar unsere Bedürfnisse bestimmen. Dies ist dann sicher keine Arbeitswelt im herkömmlichen Sinne mehr, wonach idealerweise das produziert würde, was auch gebraucht wird. Daher werden wir neue Regeln für internationale Arbeitsmärkte, die im Ansatz schon sichtbar sind, weiterentwickeln müssen.
1.1.4Zum Aufbau des BuchesDas Buch buchstabiert zunächst den Begriff der Arbeit und beginnt dann mit einem narrativen Blick auf die gegenwärtigen Veränderungen in der Arbeitswelt in verschiedenen Bereichen, von der Landwirtschaft bis hin zum Netz als neuem Arbeitsort. Dabei soll gezeigt werden, dass sich jetzt schon die Veränderungen der Arbeitswelt durch den Siegeszug des Computers durch die Betriebe angebahnt haben, aber nun ein neuer „Siegeszug“, nämlich derjenige der Algorithmen, ansteht. Das ist aber nur eine etwas unscharfe Redeweise. Hier ist bereits wichtig, den Begriff des Algorithmus zu präzisieren und aus der Zone der journalistischen und betrieblichen Kampfbegriffe herauszuholen: Algorithmen setzen letztlich mathematisch formulierte Modelle über die Gegenstandsbereiche voraus, in denen sie eingesetzt werden sollen. Diese Modelle sind von Menschen gemacht und spiegeln deren begrenzte Erkenntnisse, aber auch Interessen wider.
Ein kurzer Blick auf die Veränderungen des Stellenwerts der Arbeit im Menschen- und Weltbild zeigt: Die hauptsächlichen Faktoren dieser Veränderung waren die ökonomischen Bedingungen, die technischen Möglichkeiten und nicht zuletzt die durch Bildung und Ausbildung verfügbare Qualifikation der Menschen, weniger die philosophischen oder religiösen Überzeugungen. Diese wurden meist als nachträgliche Rechtfertigung für die bestehenden Verhältnisse dem Erklärungsbedarf angepasst.
Um zu verstehen, dass informationsverarbeitende und -erzeugende Maschinen menschliche Arbeit überhaupt unterstützen und ersetzen können, wird gezeigt, dass Modellbildung, darauf aufbauend Algorithmen und Programmierung, letztlich eine „Re-Strukturierung von Arbeit mit formalen Mitteln“10 darstellt. Diese Digitalisierung, die primär eine Formalisierung ist, führt zur Auflösung dessen, was wir bisher als herkömmliche Arbeitsformen angesehen haben. Dies ist vermutlich der Auslöser für eine neue Form von Entfremdung, die in der Debatte um die Künstliche Intelligenz eine immer größere Rolle spielt.
Der Siegeszug der KI ist aus den Triebfedern dieser Entwicklung zu verstehen: Ökonomischer Druck führt in der Regel zu Rationalisierung unter Ausschöpfung der technischen Möglichkeiten. In welche Richtung rationalisiert wird, hängt nicht nur von gesetzlichen Regelungen, sondern auch massiv davon ab, welches Qualifikationspotenzial zur Verfügung steht. Dies gilt bei jeder Innovation und damit auch bei jeder Rationalisierung. Dabei ergeben sich weitere Perspektiven der Mehrfachnutzung (sogenannter dual use): Komplizierte Handhabungssysteme in Produktionssystemen, Pflegeroboter oder teil-autonom arbeitende Minenräumsysteme, um nur ein paar auseinanderliegende Beispiele zu nennen, können nach ähnlichen Modellen mit vergleichbaren Algorithmen programmiert werden.
Die Ersetzung der früheren menschlichen Arbeit, sprich körperlicher Arbeit durch Maschinen und automatisierte Systeme, führt zur Verschiebung der Tätigkeiten hin zur Beobachtung, zum Steuern, zum Entscheiden und dazu, Anweisungen zu erteilen und neue Systeme und Abläufe zu gestalten. Dies ist schon früh diskutiert worden und nichts Neues. Als Arbeit im eigentlichen Sinne verbleibt vielleicht noch die Entwicklungsarbeit an der Automatisierung der Automatisierung, der Aufbau der physikalisch-materiellen Komponenten und die Gestaltung der Selbstoptimierung der Systeme. Die Programmierung der Programmierung ist davon nur noch ein Teil.11 Der neuentwickelte Chatbot ChatGPT, der auch auf Anforderung Programme schreiben kann, ist hier nur eine weitere konsequente Entwicklung.12
Es ist allerdings voreilig, einer weitgehenden Entmaterialisierung der Arbeit das Wort zu reden.13 Sicherlich werden Maschinen von Maschinen gebaut werden, die uns die Arbeit „abnehmen“, aber es werden nach wie vor Dinge von einem Ort zum anderen gebracht werden müssen, und der zeitliche wie systemische Beginn der Arbeit in der Produktion liegt letztlich in der Verfügbarmachung von Material und Rohstoffen. Daher wird es unvermeidbar sein, den einen oder anderen Handgriff selbst durchzuführen. Dies gilt insbesondere bei nicht gelingender Technologie, sprich bei Havarien und bei ihrer Entsorgung.
Das Buch schließt mit einem prospektiven Ausblick auf die Bereiche, über die am Anfang berichtet wurde. Es zeigt, dass die Grenzen und möglichen Gefahren der KI weniger in ihren logischen Möglichkeiten, sondern in unseren Fähigkeiten liegen, Technik in einer Weise weiterzuentwickeln und zu gebrauchen, die nicht im Sinne des Erfinders war. KI kann sich so als Fehlerverstärker erweisen. KI und ihre Möglichkeiten rehabilitieren auf diese Weise jedoch auch die Stärke der menschlichen Unzulänglichkeit als möglichen Korrekturfaktor. Deshalb müssen wir im Sinne eines wachen Steuerns unsere technischen Geschöpfe an die Hand nehmen, und zwar mit festem Griff. Damit will sich das Buch an die Diskussionen anschließen, wie wir leben und tätig sein wollen, und stellt sich den neuen, nicht nur organisatorischen, sondern letztlich auch ethischen Herausforderungen einer sich rasch verändernden Welt.
1.2Arbeit kann man buchstabieren – ein erster Zugang1.2.1Ganz kurz . . .Wir beginnen mit einer naiven Frage: Was macht Arbeit aus? Mein Antwortversuch steht unter dem Motto „A.R.B.E.I.T.kann man buchstabieren“.14 Was sagen diese sechs Buchstaben?
Der erste Buchstabe A sagt, dass Arbeit mit Anstrengung zu tun hat. Wir könnten aber auch den Begriff Anerkennung nehmen. Dieser Begriff wird in diesem Buch wichtig werden. Der zweite Buchstabe R verweist auf Rechte: Recht auf Arbeit, Recht auf Eigentum, Recht auf Teilhabe. Der dritte Buchstabe B könnte für Belohnung stehen, die man beim Arbeiten erfährt, die leistungsgerecht sein sollte und die immer auch in ihrer Bedeutung über den Lohn hinausgeht, weil es um Anerkennung und Achtung geht. Der Buchstabe E könnte für Einkommen und damit Eigentum stehen, das man durch Arbeit erzielen kann, I kann dann für Identität stehen, die man aus einer befriedigenden und erfüllenden Arbeit gewinnen kann. Dies gilt für die Tätigkeit der Arbeit wie für das Ergebnis der Arbeit. Der Buchstabe T verweist schließlich auf die Möglichkeit der Teilhabe, denn das Arbeiten ist ein sozialer Prozess, und indem wir arbeiten, haben wir an solchen sozialen Prozessen teil und gestalten sie mit.
Mit diesen sechs Buchstaben A.R.B.E.I.T haben wir ein ganz grobes Gerüst, was Arbeit für den Menschen und für die Gesellschaft ausmacht. Dies können wir nun etwas aufschlüsseln.
1.2.2AnstrengungWenn man sich über Arbeit im Alltag unterhält, dann fällt in der Diskussion auf, dass es den meisten Menschen nicht nur darum geht, die Arbeit erträglicher zu gestalten oder sie in ihrem Umfang zu reduzieren, sondern dass die große Angst umgeht, dass man die Arbeit verlieren könnte. Nun ist Arbeit eine anstrengende Sache und früher sagte man so schön: „Wer die Arbeit kennt und sich nicht drückt, der ist verrückt“. Das Problem ist aber, dass Arbeit eben nicht nur eine anstrengende Sache ist, sondern im Gegensatz zum Spiel immer auch ein Moment der Notwendigkeit hat. Und dabei geht es nicht nur um den gerechten Lohn, sondern um die Bedingungen, unter denen wir arbeiten. Noch kommen wir um Arbeit nicht herum, aber wollen wir das wirklich?
Unsere Sprache verrät, wie wir denken. Das ist auch so, wenn wir über Arbeit reden. Wir meinen es gleich doppeldeutig: Der Seufzer „Das war ein gehöriges Stück Arbeit“ meint das Ergebnis einer anstrengenden Tätigkeit wie den Prozess des Arbeitens selbst. „Das artet ja in Arbeit aus“ meint der Organisator einer Party, wenn es ihm zu anstrengend wird. „Wer macht denn hier die Arbeit?“ lautet die wütende Frage, wenn sich jemand ausgebeutet fühlt, was heißen soll, dass der eine schuftet und der andere die Früchte der Arbeit einheimst. Die eher im Osten unseres Landes übliche Bezeichnung „Ich bin auf Arbeit“ zeigt an, dass man nicht zu Hause ist, sondern einer Arbeit nachgeht, die bezahlt wird, und zwar von einem Arbeitgeber, sei dies eine staatliche Institution oder eine Firma – kurzum ein Arbeitsverhältnis. Der Sprachgebrauch wurde auch in Zeiten der Corona-Pandemie und des Homeoffice beibehalten.
Arbeit ist anstrengend, und wir versuchen durch immer neue Erfindungen und Technik, diese Anstrengungen so gering wie möglich zu halten. So hat allein die Automatisierung sowohl die durchschnittliche Lebensarbeitszeit als auch die jährliche Arbeitszeit seit 1900 bis heute ungefähr halbiert. Wir kommen darauf in Abschnitt 4.2.2 zurück. Doch Automaten und Roboter zu erfinden, zu konstruieren und zu bauen ist auch Arbeit, und diese Tätigkeit ist ebenfalls anstrengend. Diese Arbeit ist jedoch anders als die Arbeit, wie sie vor der Technik der großen Maschinen auf dem Bau, auf dem Feld oder im Bergwerk einmal war. Wir arbeiten also ganz gehörig, um nachher weniger und leichter arbeiten zu können.15
1.2.3Recht auf . . .Nun wird in der modernen Diskussion ja befürchtet, dass die Digitalisierung, genauer gesagt die Durchdringung aller Produktions- und Dienstleistungsbereiche mit neuen Programmierungsmöglichkeiten (um zunächst einmal das Wort Künstliche Intelligenz zu vermeiden), viele Jobs überflüssig machen könnte und dass damit letzten Endes viele Leute in den kommenden Jahren ihren Job verlieren würden. Es gibt, wie für alles im Leben, auch hierfür Studien, und die kommen, wen wundert es, zu unterschiedlichen Ergebnissen. Viele Jobs werden überflüssig werden, es werden neue entstehen, aber welche, wie viele, wann und für wen?
Das alles wird davon abhängen, wie viel Kapital in die neuen Technologien tatsächlich investiert wird, und es wird davon abhängen, wie diese Technologien dann gestaltet werden, zum Beispiel, welchen Qualifizierungsdruck sie auf den Arbeitsmarkt ausüben. Das könnte zum Beispiel bedeuten, dass nur noch Jobs eine Chance haben, bei denen man mindestens auf dem Niveau eines Abschlusses einer Fachhochschule sein muss, um am Arbeitsmarkt überhaupt noch mithalten zu können. Noch härter ausgedrückt: Die Qualifizierungsanforderungen werden sich mit der Digitalisierung in Richtung auf höhere Abstraktionsfähigkeit und mathematischformales Denken verschieben. Es sind aber nicht alle Menschen in dieser Hinsicht gleich begabt, und so haben wir die paradoxe Situation, dass wir Digitalisierungsverlierer auf den unteren Qualifikationsstufen haben werden und Fachkräftemangel auf den höheren Qualifikationsstufen. Dies ist der Grund, weshalb sich steigende Arbeitslosigkeit mit Arbeitskräftemangel jetzt schon paart.
Wie aber, wenn durch weitere Automatisierung, durch den Vormarsch der intelligenten Robotik (IR) immer mehr die Arbeit, auch Jobs mittlerer Qualifikationsstufe, ersetzt wird? Es gibt keine Garantie, dass selbst hoch qualifizierte Jobs eines Tages nicht durch Künstliche Intelligenz ersetzt werden könnten.16 Das wiederum hängt in empfindlicher Weise von zwei Bedingungen ab: Wird man zum einen die Grundzüge menschlich kognitiver Fähigkeiten, die bei sehr hohen Anforderungen zum Tragen kommen, in Zukunft nachbilden können? Und kann man zum anderen die Prozesse der Produktion, Dienstleistung, der Verwaltung so formal durchdringen, dass man sie auf Rechner mittels mathematischer Modelle und Algorithmen abbilden kann? Denn nur dann kann man sie durch Computerprogramme – wie „intelligent“ diese auch immer sein mögen – steuern. Wenn beide Faktoren zutreffen, dann könnte man in der Tat sehr viele Tätigkeiten des Menschen durch Algorithmen, Computer und die damit gesteuerten Geräte ersetzen.17
Andere Studien sehen weitgehend eine Ersetzbarkeit der menschlichen Arbeit durch intelligente Robotik voraus. Wie weit wird das gehen? Nehmen wir eine solche künftige Entwicklung einmal an – es gäbe, als Szenario, eine Welt, in der 20 % der Bevölkerung höchst qualifiziert arbeiten (also überwachen, steuern, Roboter bauen etc.) und damit ihre eigenen und die Bedürfnisse der restlichen 80 % der Menschen befriedigen könnten.18
1.2.4Belohnung und EigentumWas hieße das für das Leben der Menschen? Gehen wir wieder zu dem Wort Arbeit, mit dem Buchstaben A für Anstrengung, aber auch Anerkennung, mit dem Buchstaben R, der auf Rechte verweist, mit dem Buchstaben B wie Belohnung, E wie Eigentum, I wie Identität und schließlich T für Teilhabe. Wenn Arbeit in diesem klassischen Sinne der Erwerbsarbeit wegfällt, müssen wir uns überlegen, wie wir diese Grundfunktionen ersetzen können, d. h. Grundfunktionen, die für das Individuum, aber auch für den Zusammenhalt einer Gesellschaft eine große und wichtige Rolle spielen. Das haben nicht nur Karl Marx, sondern auch viele andere gewusst.
Mit der Arbeit würde dann für die 80 % derer, die nicht arbeiten werden, die Anstrengung wegfallen, aber auch die bisherigen Möglichkeiten, Anerkennung, Belohnung und Einkommen zu erwerben. Fällt dann auch die Notwendigkeit ihrer Ausbildung und der Bildung weg?
Wenn es nun die Arbeit wäre, mithilfe derer ein einzelnes Individuum zu Eigentum gelangen kann – eine Idee, die erst John Locke (1632 – 1704) explizit formuliert hat –, dann sind auch Rechte damit verbunden, z. B. das Recht am Eigentum, das durch Arbeit erworben oder geschaffen wurde. Wenn Arbeit angesehen wird als etwas, womit man Anerkennung, Identitätsbildung und soziale Teilhabe gewinnen kann, und diese Bedingungen menschenwürdigen Lebens nur durch Arbeit zu erreichen sind, dann muss es auch ein Recht auf Arbeit als Menschenrecht geben. Wenn aber nun die Möglichkeit zur Arbeit für alle schwindet und es vielleicht noch andere Möglichkeiten gibt, zu Eigentum, Anerkennung, Identitätsbildung und sozialer Teilhabe zu kommen, was dann?
Als angebliches Allheilmittel wird zuweilen das bedingungslose Grundeinkommen ins Gespräch gebracht. Dann bräuchte man ja auch über ein Recht auf Arbeit nicht mehr nachzudenken. Das Verdächtige an der Sache ist, dass fast alle Parteien, egal welcher Couleur, diese Vorstellung eines Grundeinkommens (manchmal Bürgergehalt oder negative Steuer genannt) zwar mit unterschiedlichen Ausprägungen, aber letzten Endes doch unterstützen, allerdings aus völlig unterschiedlichen Motivationen. Lassen wir die Frage, ob ein solches Grundeinkommen bei der gegenwärtigen oder späteren Produktivität finanzierbar ist, zunächst beiseite. Es gibt hierüber eine ganze Reihe von Modellrechnungen, die aber empfindlich davon abhängen, wie hoch dieses Grundeinkommen angesetzt werden soll.19
Die andere Vorstellung, was in einer Gesellschaft, die weitgehend ohne Arbeit ist, vor sich gehen könnte, hatte schon der römische Dichter Juvenal gekannt: Brot und Spiele,20 oder wie amerikanische Ökonomen dies genannt haben: Tittitainment, also Ernährung und Unterhaltung.21
Nehmen wir an, dass die Ernährung und darüber hinaus die Befriedigung aller notwendigen Bedürfnisse gesichert sei, ohne arbeiten zu müssen, dann ist die Frage, was wir noch tun müssen, damit wir zu Anerkennung und zur Ausbildung einer Identität gelangen, und wie wir an den kulturellen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Prozessen in unserer Gesellschaft noch teilhaben können.
Karl Marx (1818 – 1883) hatte im 19. Jahrhundert bereits eine vielzitierte Idee hierzu:
„Sowie nämlich die Arbeit verteilt zu werden anfängt, hat jeder einen bestimmten ausschließlichen Kreis der Tätigkeit, der ihm aufgedrängt wird, aus dem er nicht heraus kann; er ist Jäger, Fischer oder Hirt oder kritischer Kritiker und muß es bleiben, wenn er nicht die Mittel zum Leben verlieren will – während in der kommunistischen Gesellschaft, wo jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.“22
Das ist die schöne Utopie und etwas von dieser Utopie erscheint konkret in der Vorstellung des bedingungslosen Grundeinkommens. Doch diese Utopie hat ihre Tücken: Sie unterschlägt die begrenzte menschliche Fähigkeit, sich der von ihm selbst geschaffenen Technologie vernünftig zu bedienen. Es wird also immer qualifizierte Leute geben, die für das Funktionieren der Technik da sein müssen und die diese paradiesischen Zustände erst ermöglichen können und auch sollen. Viehzucht zu treiben und Kritiker zu sein, setzt ebenfalls eine gewisse Kompetenz voraus, die zuerst erworben werden muss. Darauf werden wir in Abschnitt 5.5.2 und Abschnitt 8.3 zurückkommen.
1.2.5IdentitätNun mögen Brot und Spiele für römische Herrscher ein geeignetes Mittel gewesen sein, die Leute ruhig zu halten. Ob dies mit Hartz IV (heute Bürgergeld genannt) und Netflix aber auf Dauer funktioniert, ist fraglich. Wer nichts zu tun hat, kommt irgendwann einmal auf dumme Gedanken – dies ist zumindest eine zutiefst westliche christliche Überzeugung.23 Man wird mit dem bedingungslosen Grundeinkommen auch keine Reichtümer anhäufen können, es sei denn, es wird so organisiert, dass man etwas dazuverdienen kann und dieses zusätzliche Einkommen nicht wieder von dem bedingungslosen Grundeinkommen abgezogen wird. Bleibt es beim „etwas“, ist dies wohl immer noch kein Programm, wie man finanziell wirklich unabhängig werden könnte.
Wie steht es mit der Ausbildung der Identität? Viele Menschen definieren sich und ihre soziale Rolle, aber auch ihr Selbstbewusstsein durch ihre Arbeit und die daraus resultierende Anerkennung. Wenn dem so ist, dann ist die Höhe des Gehalts zwar interessant, aber für die Arbeitszufriedenheit nicht entscheidend. Im Mittelalter wusste man schon, dass der Tätige sich in seinem Tätigsein erfüllt – es ist das Bild des Künstlers, der sich in seinem Werk widerspiegelt und wiederfindet. Es ist der Idealfall, dass Arbeit in der Tat glücklich macht, wenn sie unter den richtigen Bedingungen geleistet werden kann. Das gilt nicht nur für diejenigen, die aus ihrem Hobby oder brennenden Interesse einen Beruf machen können, wie für viele, die in der Wissenschaft oder der Kunst tätig sind, sondern auch für all diejenigen, die in ihrer Tätigkeit einen Sinn sehen. Sie wissen, dass die Ergebnisse ihrer Tätigkeit in einem größeren Zusammenhang gebraucht werden. Dies vermittelt die Anerkennung – ohne Anerkennung ist eine Ausbildung der eigenen Identität und eines Selbstbewusstseins nicht möglich. Jedes Selbstbewusstsein ist immer ein Bewusstsein, das von anderen gesehen, anerkannt wird und bestätigt wird – das hat schon Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831) gewusst.24
Wie bilden wir also unsere Identität aus, wenn wir keine Arbeit mehr haben? Definieren wir sie mithilfe der Zahl der Likes bei den sozialen Medien im Netz? Blicken wir in die Zukunft: Identität kann sich durchaus auch durch sinnvolle Tätigkeit, die nicht Erwerbsarbeit sein muss, ausbilden. Dies kann zum Beispiel Eigenarbeit handwerklicher oder künstlerischer Art sein, im Garten, zu Hause oder bei Freunden. Doch auch das Ehrenamt in der Gemeinschaft, in der Kommune, in der Stadt, der Gemeinde, in der Politik, in Verbänden, wo auch immer, kann identitätsbildend, sinnstiftend und sozial befriedigend sein. Trotzdem: Dieser Art von Arbeit scheinen Unternehmer, Politiker und vor allem Ökonomen immer noch sehr skeptisch gegenüberzustehen – ist sie doch nicht Teil der produktiven oder systemerhaltenden Tätigkeiten, zu denen man die Produktion und die Verwaltung zählt.
1.2.6TeilhabeZu guter Letzt soll auch auf das T wie Teilhabe eingegangen werden. Das Schlimme an der gegenwärtigen Arbeitslosigkeit ist nicht nur, dass man deutlich weniger Geld verdient. Das ist schlimm genug, aber das Schlimmste ist, und das sagen die Betroffenen immer wieder, dass man aus dem System „herausfällt“. Wir müssen hier nicht die Phänomenologie der Arbeitslosigkeit, wie sie heute existiert, ausführlich beschreiben. Diese ist traurig genug, denn sie ist weniger durch den finanziellen Absturz, sondern durch den Entzug von Anerkennung gekennzeichnet. Man ist nicht mehr „drin“, es fehlt Kommunikation und Herausforderung, Kontakt und Beziehungen mit Menschen und Orten, man ist höchstens noch im Netz präsent. Nicht nur die Identitätsfindung leidet darunter, sondern auch die eigene soziale Rolle. Es fehlt das, was wir eben Partizipation nennen, also Teilhabe an etwas, einen Anteil haben, und damit die Möglichkeit, auch mitreden und mit verfügen zu können. Heute spricht man gerne von der Erfahrung der Selbstwirksamkeit. Das ist etwas, was Arbeit, zumindest bis zum heutigen Tage, wohl immer noch gibt.
Wenn wir also Arbeit abschaffen wollten im radikalen Sinne, was sicher nicht für jedermann der Fall sein würde, dann müssten wir uns überlegen, wie wir die Teilhabe derer, die dann nicht mehr im klassischen Sinne der Erwerbsarbeit arbeiten, in Zukunft gestalten. Das bedeutet dann auch, dass wir darüber ganz heftig nachdenken müssen, wie wir unsere Gesellschaft gestalten wollen. Dieses Nachdenken ist aber auch schon Arbeit und von daher geht uns die Arbeit wohl nicht aus.
Arbeit hat sich schon immer verändert und wird sich verändern – und sie wird vielleicht auf lange Sicht und breiter Ebene keine Erwerbsarbeit mehr im klassischen Sinne sein. Sie wird im Idealfall eine sinnvolle Tätigkeit mit dem Moment der Notwendigkeit sein,25 sie wird Tätigkeit sein für die Stabilisierung und effiziente Verbesserung des Zusammenlebens und nach wie vor für die Sicherung unserer materiellen Grundlagen und für die Organisation der Befriedigung unserer Bedürfnisse, aber auch für die Bewahrung der Umwelt. Man darf sich wünschen, dass sie friedensförderlich sein sollte. Vielleicht wird, durch eine wie auch immer geartete Innovation, der Zwang, Geld und Brötchen verdienen zu müssen, für viele eines Tages wegfallen.
Ob dies nun zum Verludern einer Gesellschaft führt, wie manche befürchten, oder zu einer Ära einer selbstbestimmten, freieren Gesellschaft, in der sich Individuen in freier Tätigkeit, in einer vita activa, besser entfalten können,26 das hängt von uns ab. Es hängt nämlich davon ab, wie wir die Technik gestalten, wie wir die Organisationsformen aufbauen und ob wir in der Lage sind, auch den Geschäftsmodellen, die uns im Augenblick gerade etwas unkontrolliert um die Ohren rauschen, ein bisschen genauer auf die Finger schauen.
Deshalb sollten wir Technik und ihre Entwicklung nicht von vornherein bekämpfen, sondern unsere technischen Geschöpfe an die Hand nehmen und vorsichtig führen. Wir sollten die smarten Roboter eben nicht alles machen lassen, sondern nur das, was wir auch wollen. Deshalb sollten wir das Heft in der Hand behalten. Solidarität, Entwicklung und Zusammenarbeit muss auch in einer digitalisierten Gesellschaft möglich sein. Das geht nur in einer gut funktionierenden Demokratie und mit einer klugen Technologiepolitik. Diese Demokratie zu erhalten und kluge Technologiepolitik, die immer auch Ordnungspolitik ist, zu betreiben, ist wiederum eine Menge Arbeit.
1 Die KI-Winter bezeichnen zwei Zeitfenster (Beginn der 70er-Jahre und Ende der 80er-Jahre), in denen die finanzielle Förderung wie die Publikationszahlen in der KI-Forschung massiv zurückgingen. Das hing in der zweiten Periode auch mit der Enttäuschung über die sogenannten Expertensysteme zusammen (Bullinger/Kornwachs 1990). Zur Geschichte der KI vgl. z. B. Nilsson (2014).
2 Überträgt man den Preisverfall der Rechenleistung und damit auch die Herstellungskosten eines Rechners auf die Preise eines Autos, würde heute ein Rolls Royce etwa 4 Cent kosten.
3 Die Literatur weist zahlreiche Untersuchungen auf verschiedenen Gebieten auf, z. B.: Soziologie, Wirtschaftswissenschaften, Technikwissenschaften wie Ergonomie, Produktionstechnik und Arbeitswissenschaften, Philosophie wie Marxismus, Postmoderne, Globalisierungs- und Kapitalismuskritik, zunehmend auch Qualifizierungsaspekte und ethische Fragen der KI.
4 Ropohl (2009).
5 Paradigmatisch hierfür Ropohl (2009) und sein Technikbegriff der mittleren Reichweite, der auch die nachfolgende Diskussion bestimmte. Vgl. auch Hubig et al. (2013).
6 Unter Konvergenz in der Technologie versteht man das Zusammenwachsen unterschiedlicher Technologiezweige, die sich getrennt entwickelt haben. So sind Schallplattentechnik und Stummfilmtechnik zum Tonfilm konvergiert, die analoge Nachrichtentechnik und die digitale Computertechnik sind zur vernetzten Informations- und Kommunikationstechnik (IKT, heute Digitaltechnik) konvergiert. Mechanik, Sensorik und Computersteuerung ermöglichen den Roboter. Zum Konvergenzbegriff siehe Roco/Bainbridge (2002), Roco et al. (2013). Siehe auch Abschnitt 4.2.
7 Coy et al. (1992).
8 Verallgemeinert ist damit in der Produktion das Transportieren, Umformen, Fügen, Zusammensetzen, Trennen, Abtragen, Auftragen, Reinigen etc. von materiellen Konstellationen gemeint. Früher nannte man dies körperliche Arbeit.
9 Tariflich gebundene, vertraglich unbefristete Arbeitsverhältnisse aufgrund einer beruflichen Zertifikation mit langer Zugehörigkeitsdauer zu einem Arbeitgeber.
10 Coy (1992).
11 Bereits von Pollock (1966) diskutiert.
12 Zu den bisherigen Möglichkeiten und Grenzen vgl. Gerwirtz (2023).
13 Ropohl (2002b).
14 Die Frage wurde bei einer Veranstaltung in einem Münchener Lokal gestellt, die einen Wissenschafts-Slam unter dem Motto: „Wissenschaft ins Wirtshaus“ auf die kleine Bühne brachte. Science Slam „Arbeitswelten der Zukunft, Bayerische Akademie der Wissenschaften, Deutsche Akademie der Technikwissenschaften – acatech München; Wirtshaus am Bavaria-Platz, 13. 11. 2028, 20.30 Uhr. Dieses Kapitel stellt eine Ausarbeitung des Vorgetragenen dar.
15 Auf dieses Paradox hat schon Aristoteles hingewiesen: „Denn wir arbeiten (opfern unsere Muße), um dann Muße zu haben . . .