Kollegiale Beratung und Supervision für pädagogische Berufe - Jörg Schlee - E-Book

Kollegiale Beratung und Supervision für pädagogische Berufe E-Book

Jörg Schlee

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Beschreibung

Entscheidend für die Qualität und die Wirksamkeit der pädagogischen Arbeit sind die Handlungsfähigkeit, der Elan und das Ethos der Pädagogen. Dass es damit oft nicht zum Besten steht, beweisen Alltagsbeobachtungen ebenso wie Forschungsergebnisse. Wie kaum ein anderer Beruf ist das Lehrerdasein anfällig für Burnout-Syndrome. Für Sozialpädagogen ist es schon seit langem selbstverständlich, sich bei der Bewältigung der beruflichen Schwierigkeiten durch Beratung und Supervision Unterstützung zu holen. Für die Pädagogen anderer Arbeitsbereiche wird der unterstützende Nutzen zunehmend entdeckt. Kollegiale Beratung und Supervision bildet dabei so etwas wie eine Hilfe zur Selbsthilfe. Das Buch stellt die theoretischen Grundlagen sowie die praktischen Verfahrensschritte für ein kollegiales Beratungs- und Supervisionsmodell in ihrer äußeren Form und ihrem Ablauf anschaulich und leicht nachvollziehbar vor. Zahlreiche Evaluationsstudien und Erfahrungsberichte aus allen Bereichen der Lehrerbildung stellen seine Leistungsfähigkeit unter Beweis und belegen die Übertragbarkeit seiner Prinzipien auf pädagogische Arbeitsfelder.

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Der Autor

 

Jörg Schlee engagiert sich streitbar für eine humanistische Lehrerbildung im Sinne der Aufklärung. Dabei bildet das »Forschungsprogramm Subjektive Theorien« seinen theoretischen Bezugspunkt.

Jörg Schlee

Kollegiale Beratung und Supervision für pädagogische Berufe

Hilfe zur Selbsthilfe Ein Arbeitsbuch

4., erweiterte Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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4., erweiterte Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-032958-4

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-032959-1

epub:    ISBN 978-3-17-032960-7

mobi:    ISBN 978-3-17-032961-4

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

Vorwort zur vierten Auflage

Thesen zur pädagogischen Arbeit

Lese- und Bearbeitungshinweise

1 Zur Bedeutung von Beratung und Supervision für pädagogische Berufe

1.1 Zur Ausgangslage: Belastungen im beruflichen Alltag

1.2 Was ist unter Supervision zu verstehen?

1.3 Zur Bedeutung von Beratung

1.4 Modelle kollegialer Supervision

1.5 Die Entstehungsgeschichte der Kollegialen Beratung und Supervision

2 Die theoretischen Grundlagen der Kollegialen Beratung und Supervision

2.1 Zur Bedeutung von Gegenstandsverständnis und Zielvorstellungen

2.2 Die Menschenbildannahmen im Forschungsprogramm Subjektive Theorien

2.3 Folgerungen aus den Menschenbildannahmen

2.3.1 Probleme als Interpretationsmuster

2.3.2 Respekt vor anderen Sichtweisen

2.3.3 Beratung und Supervision als Veränderung Subjektiver Theorien

2.4 Hypothesen zur Veränderung über die Parallelitätsannahme

2.4.1 Unterschiedliche Veränderungsarten bei wissenschaftlichen Theorien

2.4.2 Beratung als Anregung zur Selbsterforschung

2.5 Weitere theoretische Bezugspunkte

2.5.1 Personenzentrierter Ansatz

2.5.2 Themenzentrierte Interaktion

2.5.3 Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation

3 Die Praxis der Kollegialen Beratung und Supervision

3.1 Funktionen und Aufgaben in der Unterstützungsgruppe

3.2 Hilfsmittel und Rituale

3.3 Phasen und Schritte im Ablauf

3.3.1 Vorbereitende und hinführende Tätigkeiten

3.3.2 Die erste Phase im KoBeSu-Verfahren: »Sicherheit und Vertrauen«

3.3.3 Die zweite Hauptphase: »Skepsis und Konfrontation«

3.3.4 Abschließende Tätigkeiten

3.3.5 Ein Sitzungsablauf im Überblick

4 Nachfragen und Verständniskontrolle

5 Anteilnehmendes Zuhören – Einüben der ersten Schritte

5.1 Paraphrasieren

5.2 Nonverbales Verhalten und Rezeptionssignale

5.3 Reflektieren

6 Transfer und andere Nützlichkeiten

6.1 Das Bilden von festen Arbeitsgruppen

6.2 Rotierende Verteilung von Aufgaben in der Klasse

6.3 Transparenz und Strukturierung

6.4 Anteilnehmendes Zuhören

7 Erfahrungsberichte zur Kollegialen Beratung und Supervision

7.1 Erfahrungen innerhalb der Lehrerbildung

7.1.1 Kollegiale Beratung und Supervision im Referendariat

7.1.2 Kollegiale Beratung und Supervision in der Berufseinstiegsphase

7.1.3 Kollegiale Beratung und Supervision in der Lehrerfortbildung

7.1.4 Kollegiale Beratung und Supervision im Lehramtsstudium

7.2 Bilanzierung der Erfahrungen und Auskunftmöglichkeiten

7.3 Erfahrungen bei anderen Berufsgruppen

7.3.1 Kollegiale Beratung und Supervision bei Sozialarbeitern und Angehörigen aus Pflegeberufen

7.3.2 Kollegiale Beratung und Supervision bei Polizeibeamten

8 Grundlagen für Kompetenz und Professionalität durch geklärte Menschenbildannahmen

8.1 Zur Bedeutung von Haltungen, Einstellungen und Sichtweisen

8.2 Der Bezug zu Menschenbildannahmen ermöglicht eine kohärente Sicht.

9 Literaturverzeichnis

Vorwort zur vierten Auflage

 

 

 

Seit der ersten Auflage dieses Buches sind 15 Jahre vergangen. Doch besteht das KoBeSu-Verfahren bereits viel länger. Im Anschluss an eine längerfristige Lehrerfortbildung wurde es vor 28 Jahren zum ersten Mal eingesetzt und erprobt. Das sind Zeiträume, die es ermöglichen, aus Anlass der 4. Auflage eine dreifache Bilanz zu ziehen. Dabei geht es zunächst um die Praktikabilität und um den Nutzen des KoBeSu-Verfahrens, somit auch um die Frage nach der Bewährung seiner besonderen Eigenschaften. Da es viele Unterstützungsgruppen gibt, die das KoBeSu-Verfahren schon über viele Jahre praktizieren, wird es außerdem möglich, nach seinen Langzeiteffekten zu fragen. Und schließlich ist daran zu erinnern, dass seine Durchführung keinerlei berufliche Feldkompetenz voraussetzt. So konnten in den vergangenen Jahren auch solche Personen durch die KoBeSu-Arbeit Klärungshilfe und Unterstützung erhalten, die nicht aus dem pädagogischen Arbeitsfeld stammten. Auch aus dieser Erfahrung kann man Konsequenzen ziehen. Auf diese drei Aspekte generelle Bewährung, längerfristige Wirkungen und Berufsungebundenheit möchte ich im Folgenden etwas näher eingehen.

Dass Ratschläge auch als Schläge erlebt werden können, ist allgemein bekannt. Und das gilt auch für den Sachverhalt, dass Hilfs- und Unterstützungsangebote insofern »Gift im Schlepptau« mit sich führen können als sie zu Abhängigkeitsverhältnissen führen können. Ebenfalls kann es äußerst unangenehm sein, sich selbst in einer Klemme zu fühlen, wenn andere Personen einen davon – gutmeinend – überzeugen wollen, dass sie in dieser Situation »doch ganz einfach« dieses oder jenes unternehmen würden. Derartige Risiken einer ungewollten Bevormundung, eines Unverständnisses oder einer Kränkung tauchen bei der Durchführung des KoBeSu-Verfahrens nicht auf. Und zwar deshalb, weil im Vergleich zu anderen Kollegialen Beratungs- oder Supervisionsverfahren die so genannten Ratsuchenden von den anderen Gruppenmitgliedern nicht »gefüttert« oder »getröstet« werden. Denn im KoBeSu-Verfahren sollen die Teilnehmer der Unterstützungsgruppe keine eigenen Ideen und Lösungsvorschläge einbringen. Stattdessen ist es ihre Aufgabe, nach einer längeren Phase des empathischen Zuhörens die Ratsuchenden mit vorgegebenen Fragen und Impulsen zu einer inneren Auseinandersetzung anzuregen. Hierbei haben sie ausgesprochen wenige persönliche Freiheitsgrade, vielmehr müssen sie sich nicht nur strikt an die Prinzipien und Regeln des Verfahrens, sondern auch an vorgegebene sprachliche Formulierungen halten. Dieses recht strenge Reglement ermöglicht es, dass der innere Auseinandersetzungs- und Klärungsprozess der Ratsuchenden nicht durch Beziehungs-Botschaften, die unklar oder missverständlich sein können, gestört wird. Durch deren Ausbleiben werden sie nicht durch die Unsicherheit abgelenkt, wie wohl die anderen Gruppenmitglieder über sie denken werden. Auf diese Weise können sie sich ganz auf die sachlich-inhaltliche Auseinandersetzung konzentrieren. Und das ist eben ihre eigene Selbstklärung. Die Tatsache, dass durch die hohe Ritualisierung des KoBeSu-Verfahrens das Entstehen ungünstiger Beziehungssignale verhindert wird, wirkt sich außerdem ausgesprochen positiv auf das Kommunikations- und Arbeitsklima in der Gruppe aus. Erstaunlich schnell entwickeln sich in ihr Offenheit, Vertrauen und Nähe sowie gegenseitiger Respekt und Wertschätzung.

Personen, die das KoBeSu-Verfahren noch nicht genauer kennen und seine Wirkungsweise noch nicht am eigenen Leibe erfahren haben, mögen es bedauern, dass in ihm ihre Lebenserfahrungen, ihre Kreativität, ihre Analysefähigkeit sowie andere Stärken bei der Suche nach Problemlösungen nicht gefragt sind. Deshalb möchte ich auf eine weitere – in meinen Augen erfreuliche – Auswirkung der hohen Ritualisierung aufmerksam machen: Wenn wir in Alltagssituationen in kleinen Gruppen über Schwierigkeiten, Probleme oder Konflikte sprechen, dann liegt es nahe, dass wir Gegebenheiten, Prozesse und/oder Personen beurteilen und bewerten. Da Bewerten und Beurteilen nicht nur nicht verwerflich, sondern für die Orientierung im Leben dringend notwendig sind, ergibt sich allein daraus kein Problem. Ausgesprochen zwiespältig wird es aber, wenn die an der Diskussion beteiligten Personen den Unterschied zwischen Beschreibungen und Beurteilungen nicht erkennen und daher unter der Annahme, sie würden Sachverhalte, Prozesse oder Personen charakterisierend beschreiben, diese in Wirklichkeit bewerten und beurteilen. Dann kann aus der Be-urteilung eine Ver-urteilung werden. Da man Darstellung und Bewertung nicht erkennbar von einander trennt, glaubt man die jeweiligen Sachverhalte, Prozesse oder Personen zu be-schreiben, während man ihnen tatsächlich aus eigenen Bewertungen heraus etwas zu-schreibt. Oft gehen solche unbemerkten Beurteilungen mit einer Wir-Die-Unterscheidung zwischen Personengruppen einher, ohne sich selbst oder seine Maßstäbe dabei in Frage zu stellen. Diese Form der Kommunikation wird häufig als » judgen« bezeichnet. Im Judgen sind Differenzierungen nicht gefragt, vielmehr lässt sich die Welt recht einfach in schwarz und weiß bzw. in gut und schlecht einteilen. Durch die hohe Ritualisierung des KoBeSu-Verfahrens wird das Risiko zum Judgen jedoch völlig unterbunden. Die Mitglieder der KoBeSu-Gruppe werden angehalten, den Ausführungen der Ratsuchenden mit dem Selbstkundgabe-Ohr zuzuhören und darauf empathisch einzugehen. Sie werden aber nicht animiert, Wertungen und Beurteilungen abzugeben. Auch von den Ratsuchenden werden keine bestimmten Bewertungen oder Beurteilungen erwartet. Sehr wohl werden sie aber durch mehrfachen Perspektivenwechsel sowie durch konsequentes Nachfragen in ihrer Abwägungs- und Urteilsfähigkeit gefordert und gestärkt. Das Ausbleiben von Judgen trägt dazu bei, dass sich die Gruppenmitglieder miteinander klar und frei fühlen können.

Ferner bekommen durch die Regeln und Prinzipien der Kollegialen Beratung und Supervision die so genannten Ratsuchenden keine Chance, sich in der Position von Hilflosen und Ratlosen einzurichten. Auch wenn sich ihre Situation als sehr schwierig und nahezu ausweglos darstellen sollte, ergibt sich keine Versuchung, allein ins Klagen zu verfallen. Denn sie werden immer als – zumindest potentielle – Akteure angesprochen. Da die jeweils anderen Gruppenmitglieder durch das stark strukturierte Reglement für ihr Vorgehen kaum über Freiheitsgrade für eigenes Handeln verfügen, sind bei KoBeSu die Ratsuchenden die eigentlichen Akteure – trotz der vorgegebenen Regeln und Rituale. Denn sie bestimmen letztlich die Thematik, das Tempo sowie die Tiefe ihrer inneren Auseinandersetzung.

Das KoBeSu-Verfahren entspricht also in mehrfacher Hinsicht nicht den geläufigen Vorstellungen, wie man anderen Menschen mit Rat und Tat Unterstützung anbieten sollte. Dennoch oder gerade deshalb bewährt es sich als ein Instrument der Hilfe zur Selbsthilfe. Damit ermöglicht es den beteiligten Personen Beobachtungen und Erlebnisse, die sich in mehrfacher Hinsicht von ihren bisherigen Alltagserfahrungen in zwischenmenschlichen Situationen abheben können. Je mehr sie mit dem KoBeSu-Verfahren vertraut werden und je häufiger sie seine Wirksamkeit an sich selbst wie an den anderen Gruppenmitgliedern erleben können, desto mehr können sie zu neuen Erfahrungen, Sichtweisen und Überzeugungen gelangen.

Und damit komme ich auf die längerfristigen Auswirkungen des KoBeSu-Verfahrens zu sprechen. Denn tatsächlich berichten Personen, die über einen längeren Zeitraum Mitglied in einer aktiven KoBeSu-Gruppe waren, dass sie Veränderungen an sich selbst wahrnehmen würden. Und zwar betrifft dies in der Hauptsache ihre Sichtweise und Haltung zu anderen Menschen und zu zwischenmenschlichen Situationen. So betonen etliche von ihnen, dass sie sich als verständnisvoller erleben. Es würde ihnen viel besser als früher gelingen, in Gesprächen und Auseinandersetzungen die Perspektive der Anderen herauszuhören und ggf. auch stehen zu lassen. Manche berichten, dass sie eine Zunahme ihrer Empathiefähigkeit bemerkt hätten, ohne dass sie deshalb ihren eigenen Standpunkt aufgeben würden. Als ihnen klar geworden sei, dass Verstehen und Billigen etwas Unterschiedliches sind, würde ihnen das Verständnis für die Situation anderer Menschen leichter fallen. Insgesamt sprechen die Selbstzeugnisse von Personen mit einer längeren KoBeSu-Erfahrung dafür, dass die Beobachtungen und Erlebnisse mit der Kollegialen Beratung und Supervision sich auf die Haltungen und Einstellungen der Teilnehmer auswirken können. Offensichtlich ergibt sich aus der KoBeSu-Praxis eine Art learning by doing. Es handelt sich um einen Effekt, von dem ich bislang aus der Beratungs- und Supervisionsliteratur nichts erfahren habe.

Da Einstellungen und Haltungen für das zwischenmenschliche Zusammenleben aber von erheblicher Bedeutung sind und da die positiv-konstruktive Beeinflussung von ihnen kein einfaches Unterfangen ist, werde ich auf diese Auswirkungen des KoBeSu-Verfahrens in einem eigenen, neu verfassten Kapitel näher eingehen.

Und nun zu dem dritten Aspekt der Bilanz: Um das KoBeSu-Verfahren zufriedenstellend und erfolgreich durchführen zu können, benötigen die Teilnehmer einer Unterstützungsgruppe keinerlei berufliche Feldkompetenz. Daher sind seine Brauchbarkeit und die Nützlichkeit keineswegs auf pädagogische Berufe beschränkt. Vielmehr ist es so, dass sich eine Unterstützungsgruppe aus Personen mit einer ganz unterschiedlichen beruflichen Herkunft zusammensetzen kann. Oder um es noch eindeutiger zu formulieren: Ob und welchen Beruf die Teilnehmer haben, spielt überhaupt keine Rolle. Damit muss der Kreis von Interessenten und Anwendern des Verfahrens nicht auf Angehörige pädagogischer Berufe beschränkt werden.

Oldenburg im Frühjahr 2019Jörg Schlee

 

Thesen zur pädagogischen Arbeit

 

 

 

1.  Für eine engagierte und produktive pädagogische Arbeit ist es wichtig, nicht nur gegen etwas zu sein, sondern auch positive Utopien und Zielvorstellungen zu entwickeln.

 

2.  Für engagierte Pädagoginnen und Pädagogen ist es wichtig, dass sie ein gutes Verhältnis zu sich selbst haben.

 

3.  Eine engagierte Pädagogin darf nicht vergessen, sich ausreichend um Kraftquellen, Unterstützung und Ermutigung zu kümmern.

 

4.  Keiner kann an seinem Arbeitsplatz alle Probleme allein lösen, sondern jeder bedarf der Mitarbeit und Unterstützung anderer.

 

5.  Bei der gegenseitigen Unterstützung können alle mithelfen und etwas zu Lösungen beitragen. Das können nicht nur Experten.

Lese- und Bearbeitungshinweise

 

 

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

mit diesem Lern- und Arbeitsbuch möchte ich Ihnen die theoretischen Grundlagen sowie die praktischen Verfahrensschritte für ein Beratungs- und Supervisionsmodell in Gruppen vorstellen. Damit möchte ich Sie befähigen, sich selbst und anderen Menschen durch die Kollegiale Beratung und Supervision Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Diese Selbsthilfe kann sich konkretisieren in

•  Unterstützung bei einer Selbstklärung,

•  Stärkung der Selbstsicherheit,

•  Förderung von Reflexivität und Rationalität,

•  Förderung des Autonomiepotentials,

•  Entwicklung neuer Handlungsperspektiven,

•  Steigerung der Professionalität.

In seiner Abfolge ist das Arbeitsbuch folgendermaßen aufgebaut: Zunächst werde ich kurz die Bedarfslage für eine Kollegiale Beratung und Supervision schildern. Anschließend möchte ich einige allgemeine Ausführungen zum Thema Beratung und Supervision machen, damit Sie das Verfahren der »Kollegialen Beratung und Supervision (KoBeSu)« in seiner Bedeutung in einen größeren Rahmen einordnen können.

Es folgt dann die Beschreibung der theoretischen Grundlagen. Sie charakterisieren das KoBeSu-Verfahren. Sie begründen seinen Ablauf und seine Regeln. Daher werde ich sehr ausführlich auf sie eingehen. Hierzu gehört es auch, dass ich ausführlich auf die Bedeutung der Zielvorstellungen und der Menschenbildannahmen für Beratungs- und Supervisionsprozesse eingehen werde.

Der Kollegialen Beratung und Supervision liegen (als Gegenstandsverständnis) die Menschenbildannahmen des Forschungsprogramms Subjektive Theorien zugrunde. Daher sollen dessen wichtigsten Aussagen dargestellt werden. Mit Hilfe dieser theoretischen Grundlagen möchte ich das Anliegen und die Wirkungsweise der Kollegialen Beratung und Supervision darstellen und begründen. Erst im Anschluss daran werde ich das Verfahren in seiner äußeren Form und in seinem Ablauf schildern.

Ich erhoffe mir, dass Sie die Zusammenhänge zwischen den theoretischen Grundlagen und den praktischen Konsequenzen erkennen können. Vor allem wünsche ich mir, dass Ihnen diese Zusammenhänge einleuchten. Deshalb werde ich in einem weiteren Kapitel durch Fragen und Anmerkungen auf die Begründungszusammenhänge noch einmal eingehen.

Wenn Sie dies alles durchgearbeitet haben, dann sind Sie an der Reihe. Nun müssen Sie mit dem Ausprobieren und Anwenden der Kollegialen Beratung und Supervision beginnen. Zwar werde ich Ihnen hierfür viele Hinweise geben, doch der entscheidende Schritt liegt bei Ihnen. Bitte nehmen Sie also möglichst frühzeitig Kontakt mit Berufskollegen oder anderen interessierten Personen auf, damit Sie von der Idee der Kollegialen Unterstützungsgruppen nicht nur lesen, sondern sie in ihrer Wirkungsweise durch praktisches Ausführen auch erfahren können.

Richtig kennen (und schätzen) können Sie das Verfahren der Kollegialen Beratung und Supervision (KoBeSu) erst, wenn Sie es als Ratsuchende erlebt haben.

In dieser, von mir als Autor vorgegebenen Abfolge liegt eine Systematik. Jedoch vollzieht sich Lernen in vielen Fällen nicht systematisch, sondern folgt einer subjektiven Psycho-Logik. Daher möchte ich Sie ermuntern, durchaus auch zwischen den einzelnen Abschnitten und Kapiteln hin- und herzuspringen. Denn Sie selber können an vielen Stellen besser bestimmen, welche Informationen bzw. welche Schritte für Ihren Lernerfolg jeweils günstig sind.1

1     Ich werde in meinem Text mal die weibliche, mal die männliche Geschlechtsform verwenden. Ich hoffe, dass ich dabei insgesamt zu einem ausgewogenen Verhältnis kommen werde.

 

1          Zur Bedeutung von Beratung und Supervision für pädagogische Berufe

 

 

Zusammenhänge verdeutlichen

In diesem Einleitungskapitel möchte ich Ihnen Bezugspunkte, Hintergründe und Zusammenhänge der Kollegialen Beratung und Supervision verdeutlichen. Die Besonderheiten und das Anliegen des Selbsthilfeverfahrens KoBeSu sollen verständlich werden. Hierzu gehört es auch, die Ähnlichkeiten und Unterschiede zu anderen Supervisionsverfahren darzustellen.

Kurzform: KoBeSu

»Kollegiale Beratung und Supervision« versteht sich nämlich als Bezeichnung für ein Supervisionsverfahren, das durch seine theoretische Fundierung und seine äußere Form charakterisiert wird. Es handelt sich um ein spezielles Verfahren, das von anderen mit ähnlichen Bezeichnungen abgegrenzt werden muss. Im folgenden Text werde ich nicht nur diese ausführliche Bezeichnung, sondern ab und zu auch die Abkürzung »KoBeSu« verwenden.

 

1.1       Zur Ausgangslage: Belastungen im beruflichen Alltag

 

Angesprochen sind Pädagoginnen und Pädagogen aller Berufsbereiche.

Mit diesem Lern- und Arbeitsbuch wende ich mich an Menschen, die in Schulen, Heimen, Förderzentren, Kindergärten, Werkstätten, Pflegestationen und weiteren pädagogischen Einrichtungen zusammen mit anderen Menschen für ihnen anvertraute Personen arbeiten, indem sie diese unterrichten, anleiten, pflegen, beschützen, herausfordern, ermutigen, befragen, begleiten und indem sie ihnen zuhören und antworten. All diese Handlungen können jedoch nie wirksamer werden als es die Kräfte, die Einstellung und das Engagement der Pädagoginnen und Pädagogen einerseits und deren kollegiale Zusammenarbeit andererseits zulassen. Obwohl – oder vielleicht auch gerade weil – dies eine Binsenweisheit ist, wird über diese Beschränkung selten nachgedacht.

Ich möchte mit diesem Arbeitsbuch alle Personen ansprechen, die mit und für Menschen arbeiten. Dazu zählen sehr viele Berufsgruppen. Um sie nicht immer alle aufzählen zu müssen, spreche ich zusammenfassend von Pädagoginnen und Pädagogen. Hin und wieder werde ich auch von Lehrerinnen und Lehrern bzw. von Schülerinnen und Schülern sprechen. Doch sind dann alle anderen Berufe immer mitgemeint.

Entscheidend sind Handlungsfähigkeit und Ethos.

Es reicht also nicht aus, dass pädagogische Einrichtungen an Mobiliar, Geräten und didaktischen Materialien gut ausgestattet sind. Auch die besten Lehrpläne und Förderkonzepte oder fortschrittliche Erziehungsprogramme garantieren keinen pädagogischen Erfolg. Denn weder diese noch jene agieren unmittelbar im pädagogischen Kontakt mit den Kindern und Jugendlichen. Entscheidend für die Qualität und für die Wirksamkeit der pädagogischen Arbeit sind vielmehr die Handlungsfähigkeit, der Elan und das Ethos der Pädagoginnen und Pädagogen. Ohne die Bedeutung von guten Ausstattungen und Konzeptionen schmälern zu wollen, was letztlich zählt, ist die konkrete Gestaltung der zwischenmenschlichen Beziehungen.

Pädagogische Arbeit ist oft mühselig und kräftezehrend.

Doch diejenigen, die tagtäglich diese (Beziehungs-)Arbeit leisten sollen und wollen, wissen, dass dieses leichter gesagt als getan ist. Allzu oft müssen sie nämlich erfahren, dass sie im Umgang mit ihren ›Klienten‹ die selbstgesteckten Ansprüche nicht oder nur unzulänglich erreichen können. Hierfür gibt es vielfältige Gründe. Zum einen wirken sich die meist knappen Zeitressourcen ungünstig auf die pädagogische Arbeit aus. Zum anderen erfolgen Lern- und Entwicklungsprozesse nicht immer gradlinig und im Sieben-Meilen-Stiefel-Tempo. Vielmehr sind sie oft mit Verunsicherungen, Schwierigkeiten, Fragen, plötzlichen Einsichten und Sprüngen verbunden, die jeweils ganz individuell erfolgen. So kann es in den pädagogischen Anforderungen leicht zu Unverträglichkeiten kommen. Während die eine Schülerin gerade dieses (Anstoß, Aufmunterung, Frage, Zurechtweisung, Feedback usw.) benötigt, würde eine andere in derselben Situation für ihren Lernprozess vielleicht gerade jenes brauchen. Allen Schülerinnen und Schülern zur gleichen Zeit gerecht zu werden, ist daher ein schwieriges Unterfangen. Wenn sich deshalb Unlustgefühle oder Vermeidenshaltungen bei den Betroffenen entwickeln, fällt es nicht immer leicht, diese nicht persönlich zu nehmen, sondern freundlich und verständnisvoll als pädagogische Aufgabe aufzugreifen.

Kein freiwilliger Besuch der pädagogischen Einrichtungen

Zu bedenken ist ferner, dass in den allermeisten Fällen Kinder und Jugendliche bzw. die betreuungs- und unterstützungsbedürftigen Erwachsenen die jeweiligen pädagogischen Einrichtungen nicht freiwillig aufsuchen. Vielmehr erfolgt die Sicherstellung des pädagogischen Arrangements in aller Regel unter der Androhung von Sanktionen. Wie sollen aber unter Zwang Lernen und persönliche Entwicklung als eigenständige und konstruktive Prozesse gelingen?

So gibt es im pädagogischen Alltag immer wieder genügend Anlässe für Irritationen, Missstimmungen, Missverständnisse und Kränkungen. Obwohl es niemand möchte, können pädagogische Situationen auf diese Weise zur »organisierten Lernstörung« (Schlee 1977) geraten, unter der dann alle Beteiligten leiden.

Die kollegiale Zusammenarbeit könnte in vielen Fällen besser sein.

Ebenso ist für Pädagoginnen und Pädagogen der Umgang mit Kolleginnen und Kollegen nicht immer einfach. In der Zusammenarbeit mit ihnen gibt es ebenfalls ausreichend Anlässe für Enttäuschungen und (meist ungewollte) Verletzungen. Diese beeinträchtigen in der Regel das Wohlbefinden viel stärker als die Schwierigkeiten mit Schülerinnen und Schülern bzw. mit den Kindern und Jugendlichen. Die Qualität der kollegialen Beziehungen am Arbeitsplatz ist ausschlaggebend, ob Pädagoginnen ihren Beruf mit Lust und Freude oder mit Missmut und Verdruss ausüben. Jedoch werden Pädagoginnen in ihrer Berufsausbildung kaum auf die kollegiale Zusammenarbeit vorbereitet und in der Bearbeitung von Konflikten geschult. So haben sie diesbezüglich zwar viele gute Absichten, verfügen aber über wenig Know-how. Zur Kollegialen Zusammenarbeit empfangen sie reichlich moralische Appelle, erhalten für ihre Gestaltung hingegen selten konkrete Hinweise.

Reibereien und Vergeblichkeiten führen zu Belastungen.

Oft kumulieren sich im pädagogischen Berufsalltag kleinere und größere Beeinträchtigungen auf und führen zu Teufelskreisen. Lehrerinnen und Lehrer kommen dann an die Grenzen ihrer Belastungsfähigkeit. Sie fühlen sich physisch und psychisch erschöpft, nicht wenige brennen aus. Dabei sind es eigentlich nicht die körperlichen Anstrengungen, die an den Kräften zehren, sondern es ist die Tatsache, dass aufgrund der vielen Reibereien und Vergeblichkeiten sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Lehrerinnen und Lehrer die Sinnhaftigkeit ihres Handelns nicht mehr erkennen können.

Der Schulbetrieb kann krank machen.

Wie Alltagsbeobachtungen und Forschungsergebnisse in den letzten Jahren aufweisen, zeigen viele Pädagoginnen an ihrem Arbeitsplatz Anzeichen für das Burn-out-Syndrom. Und nicht wenige Schülerinnen werden durch die Schule krank bzw. bekommen durch sie lebenslange psychische Beeinträchtigungen. Die Tatsache, dass es an vielen Schulen sog. Gesundheitsbeauftragte gibt, ist einerseits erfreulich, weist andererseits aber auch auf den unerfreulichen Hintergrund hin. So gibt es zu denken, dass man mit dem Motto »Gesunde Schule« auf ein besonderes Profil verweisen kann. Denn wenn in einer Schule das Arbeitsklima erfreulich und solidarisch ist und wenn die Arbeitsstrukturen die kollegiale Kommunikation unterstützen sowie den Aufgaben angemessen sind, dann wird man sich um den Gesundheitszustand der Lehrkräfte und Schüler keine besonderen Sorgen machen müssen.

Nun will ich aber nicht ein Klagelied anstimmen und düstere Stimmung verbreiten, zumal diese Problematik an anderer Stelle beschrieben und diskutiert wurde (Barth 1997, Gudjons 1993, Spanhel & Hüber 1995). Vielmehr geht es in diesem Lern- und Arbeitsbuch ja gerade darum, wie man aus den Teufelskreisen wieder herauskommen und für sein Arbeitsfeld neue Perspektiven und Kräfte gewinnen kann.

Supervision als Hilfe für den Berufsalltag

Damit bin ich beim Themenkomplex Beratung und Supervision. Für Sozialpädagogen ist es schon seit langem selbstverständlich, sich bei der Bewältigung der beruflichen Schwierigkeiten durch Beratung und Supervision Unterstützung zu holen. Für Pädagoginnen anderer Arbeitsbereiche (z. B. Lehrerinnen, Sonderpädagoginnen, Erzieherinnen, Hochschullehrerinnen) schien das aber nicht erforderlich zu sein. Doch wird nun zunehmend (ein)gesehen, dass auch diese von Supervision großen Nutzen haben.

Im nächsten Kapitel möchte ich schildern, was unter Supervision zu verstehen ist und wie man sich die aus ihr resultierenden Vorteile vorstellen kann. Anschließend möchte ich auf die Besonderheiten einer Kollegialen Supervision eingehen.

 

1.2       Was ist unter Supervision zu verstehen?

 

Supervision stößt auf Misstrauen und Skepsis.

Im vorangehenden Kapitel hatte ich geschrieben, dass bei Pädagogen die Bereitschaft zur Supervision wächst, da sie deren Nutzen zunehmend zu schätzen wissen. Das ist richtig. Doch ebenso richtig ist es auch, dass für viele Pädagoginnen Supervision immer noch ein Fremdwort ist. Andere haben zwar davon gehört, hegen jedoch aufgrund unangemessener Vorstellungen erhebliches Misstrauen. Sie befürchten beispielsweise, dass Supervision mit Aufsicht und Kontrolle gleichzusetzen sei und möchten sich deshalb einer vermuteten Bevormundung oder Besserwisserei nicht aussetzen. (»Das hab’ ich doch nicht nötig! Ich komme auch so klar! Mir soll niemand reinreden!«) Manche Unsicherheit und Skepsis mag auch daran liegen, dass angenommen wird, in einer Supervision könnten durch einen akribischen Seelenerkundungsprozess persönliche Unzulänglichkeiten oder Peinlichkeiten ans Licht befördert und vor anderen Personen öffentlich breit getreten werden.

Supervision hat eine Entwicklungsgeschichte.

Dass es derartige Miss-Verständnisse von Supervision gibt, kommt allerdings nicht von ungefähr. Sie können vor dem Hintergrund der Entwicklungsgeschichte von Supervision verständlich werden (Weigand 1991). Denn zum einen hatte Supervision in den frühen Jahren der Sozialarbeit tatsächlich einen kontrollierenden Zweck, welcher dann aber sehr bald zugunsten einer beratenden und unterstützenden Funktion aufgegeben wurde. Zum anderen spielt Supervision auch in den Ausbildungsgängen einiger Therapiekonzeptionen eine wichtige Rolle. Sie soll dort insbesondere den Berufsanfängern helfen, die ersten Klippen der neuen und ungewohnten Berufstätigkeit besser zu bewältigen. Verständlicherweise werden dann in diesen Zusammenhängen überwiegend therapiespezifische Zusammenhänge thematisiert. Doch darf daraus nicht gefolgert werden, dass Therapie und Supervision gleichzusetzen wären. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Therapie ist der Inhalt, Supervision ist die Bearbeitungsform. Diese sind weder zu verwechseln noch zu vermengen. Außerdem hat sich dadurch der Eindruck ergeben können, Supervision sei etwas für Anfänger und (Noch-)Nichtkönner.

Supervision als eine Sonderform von Beratung

Supervision sollte als eine Sonderform von Beratung für den beruflichen Bereich verstanden werden. Durch eine Reflexion der beruflichen Arbeit können die Ratsuchenden neue Perspektiven gewinnen und ihr persönliches Handlungswissen für die eigene Praxis weiter entwickeln. Supervision verfolgt als Ziel die Förderung der beruflichen Handlungssicherheit, die Stärkung des professionellen Selbstverständnisses und die Erweiterung der Selbstbestimmung im Berufsalltag. Es geht vornehmlich um Reflexions- und Klärungsprozesse. Damit ist in aller Regel ein erheblicher psychohygienischer Effekt verbunden. Wer sich in seinem Berufsalltag als wirksam(er) erlebt, kann verständlicherweise eine größere Zufriedenheit entwickeln, die sich ihrerseits wiederum auf andere Bereiche förderlich auswirken kann. Nicht zuletzt auf die eben erwähnte (psychische) Gesundheit. Ebenfalls ist durch Supervision eine Verbesserung der kollegialen Zusammenarbeit zu erwarten. Dies gilt insbesondere, wenn mehrere oder gar alle Kolleginnen gemeinsam an einer (Team-)Supervision teilnehmen.

Supervision als Chance für Lern- und Qualifizierungsprozesse

Es geht in der Supervision nicht um Seelenmassagen und nicht um Beschönigungen, Tröstungen oder Beschwichtigungen. Auf diese Art können keine Probleme gelöst werden. Supervision soll den Blick nicht trüben oder verklären, sondern schärfen. Es geht also um Erkennen und Begreifen, um Einsehen und Lernen. Da Supervision in der Regel nicht als einmaliges Ereignis erfolgt, sondern über einen längeren Zeitraum in einem kontinuierlichen Zusammenhang geschehen sollte, kann sie auch als eine Form der Erwachsenenbildung gesehen werden. Sie richtet sich vornehmlich an solche Menschen, die in Berufen mit hohen psychischen Anforderungen einerseits und sich immer wieder verändernden Anforderungen andererseits tätig sind. Dazu zählen insbesondere auch Pädagoginnen und Pädagogen (Fürstenau 1969).

Supervision ermöglicht distanzierte Betrachtung.

In der Supervision sind die Supervisanden (so werden die Ratsuchenden genannt) von dem unmittelbaren Handlungsdruck befreit und können in relativer Ruhe und Distanz ihre Aufgaben, Handlungen und Erfahrungen am Arbeitsplatz reflektieren. Dabei werden sowohl die äußeren Gegebenheiten als auch die strukturellen Rahmenbedingungen sowie die persönlichen Sichtweisen in den Blick genommen und in ihrer wechselseitigen Bedingtheit näher untersucht. Hierdurch können sich neue Bewertungen, Bedeutungen und Handlungsperspektiven ergeben.

Gefühle als Indiz für tiefgehende Prozesse

Solche Erkenntnis- und Lernprozesse können manchmal von starken Gefühlen begleitet sein. Diese reichen von Trauer und Erschrecken bis zur befreienden Heiterkeit. Sie stellen die Ernsthaftigkeit des Supervisionsprozesses nicht in Frage, sondern können als Indiz dafür angesehen werden, dass tiefgreifende Lern- und Veränderungsprozesse stattfinden. Diese Veränderungen haben Bernler & Johnson (1993) näher beschrieben. In einem Phasenmodell stellen sie die kurz-, mittel- und längerfristige Wirksamkeit von Supervision auf die Erlebnisweisen und Handlungsfähigkeiten näher dar:

Handeln ohne Verständnis

1.  Phase: Aktion ohne Verständnis. Ohne Supervision oder am Beginn einer Supervision erleben sich Pädagoginnen in einem anstrengenden und hektischen Berufsfeld eher als Getriebene und Opfer, nicht jedoch als Akteure des Geschehens. Unvorhergesehene Ereignisse können von ihnen in ihrem Zustandekommen und Ablauf nur schwer durchschaut werden, sondern werden zumeist als schicksalhaft oder als zufällig interpretiert. Die von außen gesetzten Gegebenheiten geben das Gefühl, nur reagieren zu können.

Handeln nachträglich verstehen

2.  Phase: Verständnis nach der Aktion. Die Reflexion der beruflichen Ereignisse und deren Bearbeitung in der Supervision verhilft den Pädagoginnen zunehmend zu größerer Einsicht in deren Zustandekommen und Abläufe. Immer besser können sie durch die nachträgliche Bearbeitung Gegebenheiten und Bedingungen erkennen und in ihrem Zusammenwirken verstehen. Auch das eigene (evtl. ungewollte) Mitwirken kann allmählich deutlicher gesehen werden.

Verständnis vor Handeln

3.  Phase: Verständnis vor Aktion. Aus dem rückblickenden Verständnis entwickeln sich langsam Kategorien und Kriterien, die sich dann auch vorausschauend und planend – zunächst hypothetisch – verwenden lassen. Somit können Prognosen erstellt und Handlungsstrategien entwickelt werden. Es werden die kurz- und langfristigen Folgen des Handelns gesehen und schlagen sich in überarbeiteten Handlungsentwürfen nieder. Aus den Wenn-Dann-Beziehungen entwickeln sich Konzepte und Theorien. Handlungen werden immer seltener als Re-Aktionen erlebt. Statt dessen kommt es immer häufiger zu durchdachten Vorsätzen und zielorientierten Planungen.

Handeln im Verstehen, durch Supervision die Ratlosigkeit überwinden

4.  Phase: Gleichzeitigkeit von Verständnis und Aktion. Die Supervisanden werden durch Reflexionen und Erfahrungen zu Akteuren. Sie werden nicht mehr von den Ereignissen mitgerissen, sondern sie bestimmen durch überlegte Handlungen das Geschehen. In unvorhergesehenen Situationen behalten sie den Überblick, weil ihnen sowohl Kategorien zu deren Verständnis als auch geeignete Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Die Chancen, die eigene Professionalität durch vertiefte Einsichten weiter zu entwickeln, werden dadurch immer größer. Innerhalb der vorgegebenen Rahmenbedingungen nimmt das reflektierte und selbstbestimmte Handeln zu.

Mit diesen Phasen beschreiben Bernler & Johnson (1993) sehr anschaulich den durch eine Supervision angeregten und unterstützen Veränderungsprozess. Die permanente und systematische Reflexion des eigenen Handelns und seiner situativen Umstände ermöglicht es, eine Rat- und Hilflosigkeit zu überwinden und auch in schwierigen Situationen zu ebenso bewussten wie angemessenen Handlungen zu gelangen.

Abgrenzung von anderen Interventionsformen

Wenn man nun Supervision von anderen Interventionsformen wie Beratung, Erziehung, Therapie oder Organisationsentwicklung abgrenzen möchte, dann ist das nicht ganz einfach. Denn einerseits gibt es zu ihnen Unterschiede, andererseits bestehen auch fließende Übergänge. Diese Unschärfen ergeben sich hauptsächlich daraus, dass für alle Interventionen keine einheitlichen Bedeutungen festgelegt werden können. Da sie mit unterschiedlichem Verständnis gebraucht werden (können), schillern sie alle in ihrem Bedeutungsgehalt. Die theoretische Fundierung wie das praktische Anwendungsfeld führen zu jeweils spezifischen Definitionen von Therapie, Erziehung, Beratung usw. Das gilt natürlich auch für die Bedeutung von Supervision (Pallasch 1991, Schreyögg 2004, Fatzer 1993), deren Verständnis – wie oben gerade betont – im Verlauf ihrer Geschichte außerdem einen Wandel vollzogen hat.

Beschreibungs- und Abgrenzungskriterien:

Inhalte und Themen

Beziehung der Personen

Dennoch – oder gerade deshalb – möchte ich in der Abbildung 1 anhand von zwei Beschreibungsmerkmalen eine vorsichtige und vorläufige Ein- und Zuordnung von Supervision vornehmen. Bei dem einen Beschreibungsmerkmal handelt es sich um die Inhalte, die in der jeweiligen Interventionsform hauptsächlich thematisiert werden. Dieses Merkmal soll mit den beiden Polen »privat/persönlich« und »beruflich/öffentlich« bezeichnet werden. Beim anderen Merkmal geht es um das Beziehungsverhältnis der Personen im jeweiligen Setting. Seine Pole sollen einerseits mit »abhängig/kontrolliert« und andererseits mit »unabhängig/autonom« bezeichnet werden. So kann man sich Kinder in starkem Maße von ihren Erziehern und Lehrern als abhängig denken. Hingegen sind Supervisanden in der Supervision von ihrem Supervisor weitgehend unabhängig. Obwohl die in der Abbildung vorgenommene Ein- und Zuteilung zugegebenermaßen sehr grob ist, vermag sie doch die Eigenart von Supervision in dem Feld unterschiedlicher Interventionen, die alle Veränderungen bei Menschen intendieren, einigermaßen zu verdeutlichen. Danach werden in Supervisionen schwerpunktmäßig berufliche Fragen thematisiert. Das schließt die Bearbeitung privater Probleme und Schwierigkeiten nicht aus. Doch werden diese in der Supervision nur dann angesprochen, wenn sich aus ihnen Beeinträchtigungen innerhalb des berufliches Arbeitsfeldes ergeben. Auf dem anderen Beschreibungsmerkmal gilt das Beziehungsverhältnis zwischen Supervisand und Supervisor als gleichwertig, d. h. der Supervisand ist von seinem Supervisor nicht abhängig und handelt daher selbstbestimmt und selbstverantwortlich.

Supervision in unterschiedlichen Settings

Hier und Jetzt in der Teamsupervision

Es muss noch ergänzt werden, dass das äußere Setting von Supervision unterschiedliche Formen kennt. Und zwar kann Supervision sowohl für Einzelpersonen als auch für Gruppen konzipiert und durchgeführt werden. Wenn jedoch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Gruppe alle von einem gemeinsamen Arbeitsplatz stammen (z. B. als Belegschaft einer Pflegestation, als Kollegium einer kleinen Schule, als Mitarbeiter eines Heimes usw.), dann ergibt sich innerhalb der Gruppensupervision noch einmal die Besonderheit der Teamsupervision (Rappe-Giesecke 1994). Diese Besonderheit der Teamsupervision resultiert nicht aus der Zahl der Supervisanden, sondern aus deren Fragen und Problemen. Während in der Einzel- und Gruppensupervision die berufsspezifischen Fragen in der Regel als sogenannte Dort-und-Dann-Probleme bearbeitet werden können, wird es in Arbeitsteams nicht selten erforderlich sein, auch Missstimmungen und Konflikte zwischen den Teammitgliedern als sogenannte Hier-und-Jetzt-Probleme zu besprechen. Da deren erfolgreiche Bearbeitung weitaus schwieriger und diffiziler ist, macht es einen Sinn, die Teamsupervision als besondere Arbeitsform in der Supervision auszuweisen.

Abb. 1: Die Stellung von Supervision im Feld unterschiedlicher Interventionsformen

Aufgaben und Kompetenz von Supervisorinnen

In allen drei Supervisionsformen sind die Supervisorinnen für die Gestaltung des Settings sowie für die Auswahl und Durchführung geeigneter Methoden verantwortlich. Sie haben dafür zu sorgen, dass sich durch entsprechende Interaktions- und Kommunikationsformen ein Prozess ergibt, der den Supervisanden größtmögliche Reflexion und Klärung ermöglicht und dabei ethische Standards nicht verletzt. Die hierfür erforderlichen Kenntnisse und Kompetenzen erwerben sie in speziellen Ausbildungen. Oder sie gewinnen diese durch langjährige Erfahrungen in der Erwachsenenbildung und Beratungsarbeit.

Kollegiale Supervision als Hilfe zur Selbsthilfe

Allerdings kann erfolgreiche Supervision auch in ganz anderen Formen stattfinden. In einer sogenannten Kollegialen Supervision können Personen für einander Supervisionsprozesse organisieren, ohne in besonderer Weise als Supervisorin oder Supervisor ausgebildet und geschult worden zu sein. In diesem Fall wird die Sicherung einer ertragreichen Supervision nicht durch die persönlichen und fachlichen Kompetenzen der Supervisorin gewährleistet, sondern durch die Vorgaben eines Supervisions-Modells. Da durch das Modell Verfahrensschritte und Regeln vorgegeben werden, können auch Supervisionslaien im Sinne einer Selbsthilfe ohne Qualitätsverlust fruchtbare Supervisionsprozesse gestalten. Nach Ausführungen zum Thema Beratung möchte ich im darauf folgenden Kapitel auf die Besonderheiten von Kollegialer Supervision näher eingehen, um damit das Anliegen des Arbeitsbuches genauer zu beschreiben.

 

1.3       Zur Bedeutung von Beratung

 

Zahlreiche Bedeutungen von Beratung

Im vorangehenden Kapitel hatte ich Supervision als eine Sonderform von Beratung bezeichnet. Diese Formulierung mag vermuten lassen, dass es über das Verständnis von Beratung keine Unstimmigkeiten oder Unklarheiten gibt. Dieser Eindruck würde zu der Erfahrung passen, dass sich im privaten wie im beruflichen Bereich so viele Beratungen ereignen, dass eigentlich jeder Mensch wissen müsste, was damit gemeint ist. Denn wenn von Beratung so oft die Rede ist und wenn Beratung so häufig praktiziert wird, müsste man doch auf ein einheitliches Verständnis rückschließen können.

Doch trügen diese Vermutungen. Der Beratungsbegriff hat vielmehr ein sehr großes Bedeutungsfeld. Er wird nicht nur in unterschiedlichen Nuancen verwendet, sondern das Spektrum der Vorstellungen ist so groß, dass man unter Beratung sogar Vorgehensweisen verstehen kann, die in ihrer Art und in ihrer Zielvorstellung untereinander regelrecht unverträglich sind. Die Tatsache, dass Beratung immer wieder zum Themenschwerpunkt – nicht nur – in der Pädagogik gemacht wird, konnte an dieser Bedeutungsvielfalt nichts ändern. Die vielen, kaum noch zu überblickenden Veröffentlichungen zu diesem Thema zeigen immer wieder neue Einteilungen und Unterschiede auf. Trotz aller Kombinationen, Vergleiche und Integrationsversuche ist es aber bislang nicht zu einer geschlossenen Gesamtkonzeption für Beratungstätigkeiten gekommen.

Einteilung nach Personengruppen

Einteilung nach der Persönlichkeitstheorie

Einteilung nach dem Aufgabenfeld

Einteilung nach der Persönlichkeitstheorie

Wegen der Bedeutungsvielfalt wurde versucht, das Verständnis von Beratung durch Unterteilungen zu präzisieren. Die Kategorien für derartige Präzisierungen sind ganz unterschiedlich ausgefallen. Beispielsweise wird Beratung häufig adressatenspezifisch konzipiert. Man spricht dann etwa von Schülerberatung, Elternberatung, Kundenberatung, Einwandererberatung, Familienberatung oder auch von System- bzw. Organisationsberatung (König & Vollmer 1994). Eine häufig vorgenommene Einteilung von Beratung orientiert sich an dem Aufgabenfeld. So kann man etwa Schullaufbahnberatung, Berufsberatung (Appelhans 1990), Erziehungsberatung, Eheberatung, Anlageberatung, Gesundheitsberatung, Ernährungsberatung usw. voneinander unterscheiden. Anderen Autoren ist die Sozialform ein wichtiges Kriterium. Sie beschreiben die Unterschiede und Eigenarten von Einzel- und Gruppenberatung. Und nicht zuletzt spielt die Orientierung an unterschiedlichen Persönlichkeitstheorien bzw. Menschenbildern für Beratung eine wichtige Rolle. So kann man etwa Gestaltberatung (Rahm 1990), Psychoanalytische Beratung (Seiß 1976), Transaktionsanalytische Beratung (Stewart 1991) und Klientenzentrierte Beratung (Rogers 1985) unterscheiden. Diese letzten Unterscheidungen gehen weit über äußerliche Einteilungen hinaus, denn die Orientierung an unterschiedlichen Menschenbildern oder Persönlichkeitsvorstellungen führt konsequenterweise zu unterschiedlichen Zielvorstellungen und Methoden im Beratungsgeschehen.

Insgesamt sind die Einteilungsversuche von Beratung jedoch kaum miteinander zu verbinden. In den meisten Fällen liegen sie quer zueinander, sodass Vielfalt und Unübersichtlichkeit eher größer als geringer werden.

Viele Überschneidungen zu anderen Interventionsformen

Keinesfalls möchte ich missverstanden werden. Die Darstellungen in der Abbildung 1 sind nicht mit Definitionen zu vergleichen oder sollen diese gar ersetzen. Dennoch können sie hoffentlich einen Eindruck davon vermitteln, wie die Bedeutungen der einzelnen Interventionsformen – auch im gegenseitigen Vergleich – zu verstehen sind. Das die Beratung repräsentierende Feld ist von mir bewusst recht groß dargestellt worden. Damit möchte ich einerseits die Übergänge und Wechselbeziehungen zu Therapie, Erziehung und Unterricht darstellen. Zum anderen soll damit auch die Breite des Bedeutungsfeldes von Beratung veranschaulicht werden.

Zentrale Merkmale für Beratung:

Durchdachtes Setting

Freiwilligkeit

Ethische Prinzipien

Das Fehlen einer einheitlichen Beratungstheorie schließt aber nicht aus, dass es unter den Autoren eine Reihe von Gemeinsamkeiten gibt. Mehrere Merkmale charakterisieren Beratung, die immer wieder übereinstimmend genannt werden. Danach handelt es sich bei Beratung um einen sozialen Interaktionsprozess zwischen zwei ›Parteien‹ (denn es können ja auch Gruppen sein). Dieser Interaktionsprozess sollte nicht beliebig sein, sondern erfordert ein durchdachtes Setting. Denn es geht in ihm um zielgerichtete Veränderungsbemühungen. Und zwar soll der einen Partei bei Entscheidungsfindungen und/oder bei der Lösung von Problemen geholfen werden. Die Freiwilligkeit der Teilnahme ist hierfür eine notwendige Voraussetzung. Die Ratsuchenden werden daher zu nichts verpflichtet. Es liegt in ihrer Freiheit und Verantwortung, wie sie den Prozess und das Ergebnis der Beratung nutzen. Die Berater tragen für das Setting und die Prozeduren die Verantwortung. Dabei darf sich der Beratungsprozess nicht in der Ausführung bloßer Techniken und Fertigkeiten erschöpfen, sondern muss von theoretischen Überlegungen und ethischen Haltungen getragen werden. Gerade im letzten Punkt herrscht bei den Autoren trotz unterschiedlicher Beratungskonzeptionen eine große Übereinstimmung.

Problematische Beratungsverständnisse

Beratung in hierarchischen Strukturen

An diesen Bestimmungspunkten lassen sich die Unterschiede und Unverträglichkeiten im Beratungsverständnis verdeutlichen, die ich oben kurz angesprochen hatte. Ich will dabei nicht nur auf geläufige Alltagsverständnisse hinweisen, die sich in Redewendungen wie etwa »Und das rate ich dir im Guten! Wenn du nicht sofort…, dann wirst du schon…« äußern. Hier wird beispielsweise Raten mit Drohen verwechselt. Sondern es geht auch um Beratungsverständnisse, die sich im professionellen Kontext entwickelt haben. Hier sind zunächst alle sogenannten Beratungen zu nennen, die in hierarchischen Strukturen erfolgen. Beispielsweise haben innerhalb unseres Schulsystems Fach- und Seminarleiterinnen die Aufgabe, Lehramtsanwärterinnen innerhalb ihrer Berufsausbildung zu beraten. Sie sollen ihnen in schwierigen Situationen hilfreich beistehen. Zugleich haben sie aber auch Vorgesetztenfunktionen und müssen die Anwärter bzw. Referendare ebenfalls prüfen und benoten. Aus der Unverträglichkeit dieser beiden Aufgaben, die von einer Person zu erfüllen sind, resultieren delikate und teilweise quälende Interaktionen. Offenheit und Vertrauen, als notwendige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Beratung, können sich – auf beiden Seiten – nicht oder nur schwer entwickeln. Von Freiwilligkeit oder von Freiheitsgraden kann ebenfalls keine Rede sein. Von fast allen Beteiligten werden diese offiziell angeordneten Beratungsgespräche als schwierig und belastend erlebt. Obwohl in diesem Zusammenhang die Verwendung des Beratungsbegriffs als Schönfärberei schon längst durchschaut worden ist, wird an ihm festgehalten. Dadurch entsteht – entgegen der Intention von Beratung – mehrfacher Schaden. Zum einen leiden beide Parteien – Fachleiterinnen wie Anwärterinnen – unter dieser Situation. Zum anderen können die innerhalb der Ausbildung notwendigen Aufgaben Beratung und Beurteilung wegen ihrer Konfundierung nicht angemessen erfüllt werden.

Die Beratungspraxis, wie sie in hierarchischen Strukturen anzutreffen ist, hat noch weitere ungünstige Folgen. Und zwar werden durch sie unangemessene, wenn nicht gar falsche Vorstellungen über Beratung transportiert und weiterverbreitet. Ich denke hier besonders an die Gestaltung des Settings und an die erforderlichen Zeitressourcen. Da deren Bedeutung bei sogenannten Beratungen in einem hierarchischem Zusammenhang fast keine Rolle spielt, kann sich immer wieder die verhängnisvolle Ansicht durchsetzen, Beratungsprozesse und -ergebnisse ließen sich im Hau-Ruck-Verfahren zwischen Tür und Angel organisieren.

Interessenslage bei Beratungen

Verletzung ethischer Standards

Zum anderen gibt es Beratungsangebote innerhalb des öffentlichen Dienstleistungsbereichs, deren Durchführung nicht allein im Interesse der Ratsuchenden liegt. Beraten hat dann viel mit Lenken, Steuern und kontrollierender Einflussnahme zu tun. Extrem wird es insbesondere bei Beratungen, die im Auftrag von Profit-Organisationen durchgeführt werden. Wenn also die Vertreter von Banken oder Versicherungen Beratungen durchführen, für die sie ebenfalls professionell vorbereitet und geschult werden, geht es in Wirklichkeit um Verkaufsgespräche. Bei diesen mögen zwar Freiwilligkeit und Freiheitsgrade der Ratsuchenden gesichert sein, doch wird die Interessenlage und Zielorientierung der Berater beschönigt oder gar verschleiert werden. Teilweise gerät die sogenannte Beratung an die Grenze zur Täuschung. Dies wirft erhebliche ethische Probleme auf.

Ein grundlegender Unterschied im Beratungsverständnis

Vertikale und horizontale Beratung

Ich möchte nun noch kurz auf eine weitere Unterscheidung im Beratungsverständnis eingehen, die ich indirekt schon mehrmals thematisiert habe. Diese Unterteilung wird von vielen Autoren vorgenommen, jedoch mit unterschiedlichen Begriffen bezeichnet. Manchmal wird eine direkte einer indirekten, manchmal eine informative einer klärenden Beratung gegenübergestellt. Kleber (1980) und Mutzeck (1996) sprechen in diesem Zusammenhang von vertikaler und horizontaler Beratung. Damit wird in erster Linie das Beziehungsverhältnis zwischen Beraterin und Ratsuchenden thematisiert.

Beraterin als Sach- und Fachexpertin

Beraterin als Begleiterin

In einer vertikalen Beratung besteht nach den Autoren Kleber und Mutzeck zwischen den Beratern als Experten und den Ratsuchenden ein deutliches Gefälle. Legitimiert durch seine Fachkompetenz steuert hauptsächlich der Berater das Geschehen, dem sich die Ratsuchenden weitgehend anvertrauen (müssen). Ein Beratungserfolg kommt dann zustande, wenn es dem Berater gelingt, mit Hilfe seines Fachwissens bei den Ratsuchenden Defizite auszugleichen. Anders in der horizontalen Beratung. In ihr bemüht sich der Berater, die Kräfte und Ressourcen der Ratsuchenden zu stärken und sie in ihrer eigenen Problemlösungsfähigkeit zu unterstützen. Damit versteht sich der Berater nicht so sehr als Experte, sondern mehr als Begleiter und Klärungshelfer. Bildlich gesprochen steht er nicht über den Ratsuchenden, sondern neben ihnen.

Horizontales Beratungsverständnis bei KoBeSu

Ich halte diese Unterscheidung bzw. Präzisierung im Beratungsverständnis für hilfreich und werde im Kapitel 2.4.1 näher auf sie eingehen. Das KoBeSu-Verfahren fühlt sich dem horizontalen Beratungsverständnis verpflichtet. Die Gründe dafür werde ich an späteren Stellen dieses Arbeitsbuches darstellen. Dazu gehört auch, dass ich es ausführlicher erläutern und anders benennen möchte. Das KoBeSu-Verfahren beansprucht ferner, den oben genannten Kriterien für eine theoretisch fundierte und ethisch vertretbare Beratung zu genügen. Hinsichtlich des Personenkreises oder der zu bearbeitenden Themen gibt es im KoBeSu-Verfahren keine Einschränkungen.

Resümee: Der Beratungsbegriff ist nicht eindeutig.

In diesem Kapitel wollte ich Ihnen einen stark gerafften Überblick zu Beratungsvorstellungen ermöglichen. Insgesamt zeigt sich, dass der Beratungsbegriff nicht eindeutig ist, sondern viele und auch unterschiedliche, teils widersprüchliche Verständnisse verkraften muss. Das Beratungsverständnis des KoBeSu-Verfahrens konnte ich in diesem Zusammenhang nur kurz andeuten. Daher möchte und muss ich es unten ausführlicher beschreiben. Die hierfür erforderlichen Voraussetzungen, die an dieser Stelle noch fehlen, werde ich im Kapitel 2 beschreiben.

 

1.4       Modelle kollegialer Supervision

 

Kollegiale Supervision bedarf eindeutiger Verfahrensvorgaben.

Nach diesem ersten Überblick möchte ich Ihnen die Besonderheiten von Kollegialer Supervision darstellen. Wie bereits erläutert, wird sie nicht von professionellen oder hauptamtlichen Supervisorinnen angeleitet und verantwortet, sondern kann von Personen durchgeführt werden, die weder über besondere Supervisionserfahrungen noch über eine spezielle Supervisionsausbildung verfügen. Was sie vereint, ist allein der Wille, sich gegenseitig bei der Bewältigung ihrer beruflichen Schwierigkeiten helfen und unterstützen zu wollen. Sie können diese anspruchsvolle Aufgabe leisten, weil sie sich dabei an die Regeln und Schritte von ausgearbeiteten Verfahren halten. Mit anderen Worten, auch in einer Kollegialen Supervision gehen die beteiligten Personen nicht zufällig oder beliebig vor, sondern folgen einem Leitfaden (Ehinger & Henning 1994). Indem sie sich an diesem orientieren, gestalten die Teilnehmer einer Kollegialen Supervisionsgruppe ein bestimmtes Setting, innerhalb dessen ihnen durch das Verfahren bzw. durch dessen Autor(en) eindeutige Vorgehensweisen empfohlen oder vorgeschrieben werden.

Kollegial bedeutet: Alle Beteiligten sind gleichberechtigt.

Da sich alle Teilnehmer einer solchen Supervisionsgruppe in gleicher Weise an die Regeln und Verfahrensschritte halten müssen, gibt es unter ihnen keine fachlich begründeten Unterschiede oder Befugnisse. Ihre Kenntnisse und Fähigkeiten bezüglich der Supervision liegen alle mehr oder weniger auf dem gleichen Stand. Daher bezeichnet kollegial in diesem Zusammenhang das gleichwertige Beziehungsverhältnis der Supervisanden untereinander. Kollegiale Supervision meint daher nicht