Kommissar Lavalle - Der vierte Fall: Der Kopf der Schlange - Stefanie Koch - E-Book
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Kommissar Lavalle - Der vierte Fall: Der Kopf der Schlange E-Book

Stefanie Koch

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Beschreibung

Das kalte Messer des Verrats: »Der Kopf der Schlange« aus der erfolgreichen »Kommissar Lavalle«-Krimireihe von Stefanie Koch als eBook bei dotbooks. Wie gut kennst du den Menschen an deiner Seite wirklich? Kaum ist seine Freundin Ann Stahl zu einer Konferenz nach Italien abgereist, wird Kommissar Henri Lavalle zu einem Tatort gerufen. Der Anblick trifft ihn eiskalt: Eine Journalistin, mit der er oft gearbeitet hat, wurde auf grausame Art zu Tode gefoltert. Ist sie bei ihren Recherchen um einen Bankenskandal den falschen Leuten zu nah gekommen? Die Spuren führen Lavalle zu dem mächtigen Konzern, für den Ann arbeitet – die noch dazu Kontakt zum Mordopfer hatte. Doch bevor er mit ihr darüber sprechen kann, erhält Lavalle die Schocknachricht: Anns Hotel in den Tiroler Alpen ist in der Gewalt eines Unbekannten, der droht, alle Gäste zu ermorden! Wurde Lavalles große Liebe unschuldig in ein dunkles Geschäft verwickelt, für das sie nun mit dem Leben bezahlen muss – oder ist sie die Drahtzieherin? Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Kommissar Lavalle: Der Kopf der Schlange« von Stefanie Koch – die Bestseller-Serie um den Düsseldorfer Kommissar mit französischer Lebensart geht weiter. Wer liest, hat mehr vom Leben! dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Wie gut kennst du den Menschen an deiner Seite wirklich? Kaum ist seine Freundin Ann Stahl zu einer Konferenz nach Italien abgereist, wird Kommissar Henri Lavalle zu einem Tatort gerufen. Der Anblick triff t ihn eiskalt: Eine Journalistin, mit der er oft gearbeitet hat, wurde auf grausame Art zu Tode gefoltert. Ist sie bei ihren Recherchen um einen Bankenskandal den falschen Leuten zu nah gekommen? Die Spuren führen Lavalle zu dem mächtigen Konzern, für den Ann arbeitet – die noch dazu Kontakt zum Mordopfer hatte. Doch bevor er mit ihr darüber sprechen kann, erhält Lavalle die Schocknachricht: Anns Hotel in den Tiroler Alpen ist in der Gewalt eines Unbekannten, der droht, alle Gäste zu ermorden! Wurde Lavalles große Liebe in ein dunkles Geschäft verwickelt, für das sie nun unschuldig mit dem Leben bezahlen muss – oder ist sie die Drahtzieherin?

Über die Autorin:

Stefanie Koch, geboren 1966 in Wuppertal, studierte in Frankreich, arbeitete in Italien, Thailand und Bangkok und lebt heute in Düsseldorf, wo sie unter anderem als Datenschutzbeauftragte in einem Stromkonzern tätig ist. Seit 2003 veröffentlicht sie erfolgreich Thriller und Kriminalromane, sowohl unter ihrem echten Namen als auch unter dem Pseudonym Mia Winter.

Die Autorin im Internet: www.stefanie-koch.com

Bei dotbooks erschienen bereits Stefanie Kochs Thriller »CROSSMATCH – Das Todesmerkmal«, der Kriminalroman »Hurenpoker«, der rabenschwarze Kurzroman »TRULLA – Mord ist immer eine Lösung« sowie die erfolgreiche Krimiserie rund um den Düsseldorfer Kommissar Lavalle:

»KOMMISSAR LAVALLE – Der erste Fall: Im Haus des Hutmachers«

»KOMMISSAR LAVALLE – Der zweite Fall: Die Karte des Todes«

»KOMMISSAR LAVALLE – Der dritte Fall: Die Stunde der Artisten«

»KOMMISSAR LAVALLE – Der vierte Fall: Der Kopf der Schlange«

***

Originalausgabe Juli 2019

Copyright © 2019 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Annika Krummacher

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von shutterstock/Mapics

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96148-223-8

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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***

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Stefanie Koch

KOMMISSAR LAVALLE: Der Kopf der Schlange

Der vierte Fall Kriminalroman

dotbooks.

Für Brigitte

Prolog

»If it be your will that I speak no more and my voice be still as it was before, I will speak no more …« In seinen Gedanken hörte Henri Lavalle den Song von Leonard Cohen. Wenn es dein Wille ist, dass ich nicht mehr spreche und dass meine Stimme stillschweigt, wie früher, dann werde ich nicht mehr sprechen …

Tränen brannten auf seinem Gesicht, aber er konnte sie nicht abwischen, weil seine Töchter Alberta und Christa rechts und links neben ihm standen und seine Hände fest umklammert hielten. Graue Wolken krochen wie flüssiges Blei über den Himmel und verdichteten sich am Horizont zur Schwärze einer mondlosen Nacht. Seine Brust schmerzte, und jeder Atemzug drückte auf sein erstickendes Herz.

Dort in der Erde lag sie, die erste Frau, die er wirklich geliebt hatte. Die Blumen taumelten in einem kurzen Tanz auf sie hinab, um dann mit ihr begraben zu werden. Immer noch wollte seine Seele nicht begreifen, dass er nicht einfach die Hand nach ihr ausstrecken konnte und sagen: Komm, gehen wir …

Anns ausgestreckte Hand − eine Geste der Versöhnung und der Verführung, eine Geste der Liebe und Freundschaft.

Wenn seine Töchter ihn doch loslassen würden, damit er ihr in den Abgrund folgen könnte! Er zerrte an seinen Händen, versuchte, sich zu befreien. Sein Herz drohte zu zerspringen, wenn er jetzt nicht endlich seinen Schmerz, seine Wut, seinen Hass hinausschreien konnte. Nein, er wollte nicht still sein, er musste brüllen, um irgendwann wieder atmen zu können: »Nein, bitte, Ann, sei nicht still, nicht jetzt, noch nicht jetzt, bitte …!«

Kapitel 1

Henri Lavalle schreckte hoch. Das Adrenalin schoss durch seinen Körper, schlagartig war er hellwach. Er hörte Schreie, die nicht seine waren. Henri stellte fest, dass er in seinem Bett lag und nach langer Zeit mal wieder davon geträumt hatte, an Anns Grab zu stehen. Er schob die durchgeschwitzte Decke zur Seite. Noch einmal zuckte er zusammen, denn schon wieder erklang dieser durchdringende Schrei. Er seufzte. Die 11-jährige Alberta und ihre 19-jährige Schwester Christa übten auf dem Dachboden über ihm Karate. An diesem Morgen zusammen mit Ann. Sie hatte seine Töchter als Lehrerinnen für ein Managementmeeting rekrutiert. Die karriereorientierten Geschäftsleute sollten von Kindern lernen. Und das probten sie seit einigen Wochen auf dem Dachboden.

Sein Smartphone gackerte. Henriette, seine Exschwiegermutter, bei der er seit vier Jahren lebte, hatte ihm eine Nachricht über WhatsApp geschickt. »Falls du auch von den Kampfschreien aufgewacht sein solltest − hier unten ist das Frühstück fertig.« Henri zögerte einen Moment. Es war nicht einmal fünf Uhr, und er hätte am liebsten weitergeschlafen, um sich von dem Albtraum zu erholen. Doch dann donnerte über ihm erneut der Dachboden, und er gab auf. Auch Kater Poseidon, der passend zu Henris Einzug in das alte Haus sein Streunerdasein aufgegeben hatte, war von den Kampfschreien aufgewacht und machte sich gähnend bereit, ihm zu folgen.

Henri strich seine schwarzen Locken zurück, zog sich den Morgenmantel über, nahm einen kurzen Umweg über das Bad, um sich kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen und die Zähne zu putzen, und öffnete die Wohnungstür. Er ließ dem Kater den Vortritt, der die Stufen hinunterglitt und durch den offenen Türspalt in Henriettes Wohnküche schlüpfte. Noch bevor Henri unten angekommen war, stieg ihm der Duft von frisch gemahlenem Kaffee und gebratenen Eiern in die Nase. Sein Magen knurrte vernehmlich.

»Die Mädels und Ann werden auch Hunger haben, wenn sie mit ihrem Morgentraining durch sind«, sagte Henriette, die am Herd stand und mit der Pfanne herumhantierte. Auch zu dieser frühen Stunde war sie in bunte Tücher gehüllt und trug einen senfgelben Turban. Henri rutschte auf die Eckbank, widerstand dem Wunsch zu rauchen und goss sich Kaffee ein.

»Warum bist du so früh schon fix und fertig angezogen? Bist du überhaupt im Bett gewesen?«

Henriette drehte sich zu ihm um. »Du hast es also vergessen?«

Henri zuckte mit den Schultern: »Hast du heute Geburtstag?«

Henriette schmiss das Küchenhandtuch nach ihm. »Meine Tochter Penelope kommt heute an, und ich muss die Souterrainwohnung noch sauber machen.«

Henri kam es so vor, als verfügte das kleine Haus in der Düsseldorfer Carlstadt über jede Menge geheime Zimmer, die je nach Bedarf allmählich zum Vorschein kamen. Beim Einzug hatte er sich für die kleine Wohnung im ersten Stock entschieden, von der er nie etwas geahnt hatte. Irgendwann hatte er hinter dem Schrank zwei Türen zu weiteren Zimmern entdeckt, in denen jetzt zwei seiner vier Töchter wohnten. Henriette nutzte die Hochparterrewohnung als ihr Reich. Und als sich ihre jüngste Tochter Penelope vor zwei Wochen ankündigte, stellte sich heraus, dass der Keller gar kein Keller war, sondern eine Souterrainwohnung mit eigenem Eingang über den Hinterhof.

Henri griff nun doch nach den Zigaretten. »Natürlich erinnere ich mich, aber so früh am Morgen denke ich normalerweise noch nicht an den Tag, der vor mir liegt. Sie kommt um fünfzehn Uhr am Flughafen an, und ich soll sie abholen, stimmt’s?«

Henriette trat lächelnd an den Tisch. »Genau. Ehrlich gesagt, bin ich ein bisschen aufgeregt. Ich habe Penelope fünf Jahre nicht gesehen. Montreal war mir immer zu weit«, sie zögerte, »und ihr wohl auch.«

Henri zog die Stirn kraus. Seine ehemalige Schwiegermutter pflegte komplizierte Beziehungen zu ihren fünf Kindern, die aus drei Ehen stammten. Die Söhne aus ihrer ersten Ehe mit einem amerikanischen Soldaten lebten in den USA und führten gemeinsam eine Ranch, die ihr Vater ihnen hinterlassen hatte. Sie schickten regelmäßig Postkarten und luden ihre Mutter immer wieder ein, sie zu besuchen. Henris Exfrau Lisa war die einzige Tochter aus Henriettes Ehe mit einem deutschen Mann. Anschließend hatte sie sich mit einem schwedischen Rentierzüchter zusammengetan und noch zwei Kinder bekommen. Obwohl Julian inzwischen die Rentierzucht übernommen hatte, kam er immer wieder nach Deutschland, um Henriette zu besuchen, während Penelope durch die Welt tingelte und sich mitunter monatelang nicht bei ihrer Mutter meldete. Henri hatte immer gespürt, dass die beiden jüngsten Kinder für Henriette etwas Besonderes waren, obwohl sie nur selten über sie redete.

»Warum kommt Penelope noch mal hierher?« Henri blickte Henriette über den Rand seiner Kaffeetasse hinweg an.

»Sie wird es uns sicher erzählen, wenn sie hier ist«, entgegnete seine Exschwiegermutter.

Über ihnen donnerte der Dachboden, und sie hörten die drei synchron schreien. Sie gingen jetzt die Katas durch, vermutete Henri.

»Ich weiß wirklich nicht, ob es eine so gute Idee war, Alberta als Karatetrainerin für Manager zu engagieren«, brummte Henri.

Henriette stand auf, öffnete den Backofen, nahm das Brot heraus und kam zum Tisch zurück. »Ich finde es großartig. Und für Alberta und Christa wird das eine gute Erfahrung.«

Auf der Treppe wurde es laut, dann flog die Tür auf. Seine Töchter trugen ihre Karateanzüge und Ann einen normalen Trainingsanzug. Ihre Gesichter leuchteten. Henri lächelte sie an und rückte ans andere Ende der Bank, damit alle Platz fanden. Es versetzte ihm einen Stich, dass die drei ihn für ganze fünf Tage allein lassen würden.

Ann streckte die Hand nach ihm aus, zog ihn von der Bank und flüsterte ihm ins Ohr: »Komm, geh mit mir duschen.« Er roch ihre Haut, die irgendwie immer nach Vanille und Jasmin duftete, selbst jetzt, als sie völlig verschwitzt war.

»Lasst uns noch was über«, ermahnte Henri seine Töchter, die wie Wölfe über das reichhaltige Frühstück herfielen.

Später chauffierte Kommissar Henri Lavalle seine Töchter und Ann zum Flughafen. Zunächst würden sie nach München fliegen und von dort mit dem Heli des Reuss-Konzerns weiter nach Meran. Per Bus sollte es ins Schnalstal gehen, wo sie mit einer Seilbahn in das exklusive Parrothotel schweben würden, das auf 3200 Metern Höhe lag. Der Reuss-Konzern, dessen europäische Dependancen in Anns Verantwortung lagen, hatte sein weltweites Management zusammengerufen und das kleine Hotel mit nur zwanzig Zimmern exklusiv für fünf Tage gebucht. Man leistete es sich, dass an diesen fünf Tagen auch die Seilbahn nicht fuhr und somit den Touristen der Weg zur Aussichtsplattform ebenso versperrt blieb wie den Managern der Weg nach unten. Denn zu Fuß würde man mindestens einen halben Tag benötigen, um in den nächsten Talort zu gelangen, und acht Stunden wieder hinauf. So ließ sich verhindern, dass sich jemand am frühen Abend ausklinkte und verschwand.

»Bei einer so wichtigen Teambildungsmaßnahme«, hatte Ann ihm erklärt, »muss sich jeder der Situation stellen, ohne Fluchtmöglichkeit oder Ablenkung. Ich muss sehen können, wie sie aufeinander reagieren, wenn sie sich auf die Nerven gehen, und das passiert frühestens nach 24, spätestens nach 48 Stunden.« Sie hatte die Fernsehgeräte aus den Zimmern entfernen lassen und dem Hotelpersonal verboten, den Managern das WLAN-Passwort zu verraten. Smartphones und Laptops mussten spätestens vor Trainingsbeginn abgegeben werden. Seine beiden Töchter ahnten noch nichts von der Fernseh- und Smartphonediät, weil Ann befürchtet hatte, sie würden dann nicht mitkommen.

Obwohl er sie nun schon einige Zeit kannte, hatte Henri noch immer gewisse Schwierigkeiten mit dem Luxus, den ihre Gehaltsklasse mit sich brachte. Ann Stahl flog nur Businessclass, und wenn sie in Berlin im Europasitz des Konzerns arbeitete, verfügte sie über eine riesige Wohnung mit Blick auf den Potsdamer Platz und dazugehörendem Chauffeur. Seit sie in sein Leben getreten war, kannten seine Töchter die Kö, die Prachteinkaufsmeile der Düsseldorfer Schickeria, die Champagnerstände der Innenstadt und nahezu jedes Sternelokal in Nordrhein-Westfalen. Henri wusste, dass Ann die Kinder nicht kaufte. Es war ihr einfach nur lästig, in ihrer Freizeit darauf Rücksicht zu nehmen, dass Henri und seine Töchter einen anderen finanziellen Hintergrund hatten als sie. Wenn sie darüber stritten, redete Henri sich mit seinen sozialistischen französischen Wurzeln heraus. Das brachte Ann stets zum Lachen, und meistens landeten sie mit einer Flasche Champagner im Bett. Er lächelte bei der Erinnerung an das letzte Mal vor zwei Tagen, als Alberta und Christa mit zwar wunderschönen Schultaschen nach Hause gekommen waren, deren Preis bei Henri einen Schluckauf hervorgerufen hatte. Er tastete nach dem dunkelblauen Pashminaschal, den Ann ihm mitgebracht hatte, und musste zugeben, dass er sich wunderbar leicht anfühlte und perfekt wärmte. »Und er betont das klare Blau deiner Augen«, hatte Ann versucht, ihm zu schmeicheln.

Henri beobachtete Alberta und Christa, die hinter seiner Freundin durch die Sicherheitsschleuse gingen, bis das Gewühl der Menschen sie verschluckt hatte.

Henri Lavalle verließ das Flughafengebäude durch den vorderen Ausgang. Der Oktober hatte Düsseldorf zunächst mit mildem Spätsommerwetter verwöhnt, doch vor zwei Tagen war der eisige Nordwind gekommen, der auch jetzt die Herbstblätter über die Bürgersteige und zwischen den Füßen der Menschen hindurchtrieb. Henri zog den blauen Schal enger um seinen Hals. Die Luft roch nach Laub und Kerosin. Er zündete sich gerade eine Zigarette an, als sein Smartphone gackerte. Eine Nachricht aus dem BKA: »Leichenfund Düsseldorf, Kaiser-Wilhelm-Ring 25 c.« Henri zuckte zusammen, ließ seine Zigarette fallen und trat sie aus. Dann rief er im Bundeskriminalamt an und landete bei Monika Heimer, der Vorzimmerdame seines Chefs.

»Guten Morgen, Moni, hier ist Henri. Bitte gib Xaver Bescheid, dass ich in Düsseldorf bin und mir die Leiche ansehe. Wissen wir schon mehr?«

»Nein, bisher keine Infos.«

Henri stutzte. Das war der Code für eine Straftat mit möglicherweise politischem Hintergrund. Seit dem NSA-Abhörskandal galt keine Leitung mehr als sicher.

»Ich melde mich, sobald ich da bin«, versprach er. »Ist jemand von der Düsseldorfer Polizei vor Ort?«

»Alex Sanders, dein früherer Kollege.«

Henri beendete das Gespräch und suchte in den Kontakten seines Smartphones. Er kannte gleich zwei Frauen, die in dem alten Eisenbahnhaus im Kaiser-Wilhelm-Ring 25 c wohnten: Anns engste Freundin Marie und Joyce Darlington, eine Journalistin, mit der er gelegentlich zusammenarbeitete. Ob er Joyce kurz anrufen sollte? Doch noch bevor er auf den entsprechenden Button auf seinem Smartphone drückte, überlegte er es sich anders, sprang in sein Auto, setzte das Blaulicht aufs Dach und fuhr los.

Im Kaiser-Wilhelm-Ring hielt Henri Lavalle seinen BKA-Ausweis aus dem Auto, damit der Beamte ihn durch die Absperrung ließ. Dann schloss er den Wagen ab und rannte die Treppen hinauf. Die Tür zu Joyce Darlingtons Wohnung stand offen, drinnen erwartete ihn das grelle Licht der Tatortscheinwerfer.

Am Boden lag eine große, schlanke Frau in einem Businessanzug, ihr Gesicht war hinter blutverschmierten kurzen, schwarzen Haaren verborgen. Ann, durchzuckte es Henri panisch. Der Traum von heute Morgen holte ihn ein.

»Ich habe es auch im ersten Moment gedacht«, sagte Alex Sanders, der neben ihn getreten war. »Aber die schwarzen Haare sind nur eine Perücke.«

»Eine Perücke«, wiederholte Henri lahm. Wie in Zeitlupe nahm sein Gehirn die Wahrheit auf. Vor ihm auf dem Teppich lag mit gespaltenem Schädel die Journalistin Joyce Darlington, die aussah wie Ann Stahl.

»Was hast du gedacht?« Henri sah seinen ehemaligen Mitarbeiter finster an.

»Dass die Tote deine Ann Stahl ist.«

»Das kann sie gar nicht sein. Die habe ich nämlich vor einer halben Stunde in den Flieger gesetzt«, erklärte Henri, ohne zuzugeben, dass er im ersten Moment dasselbe gedacht hatte.

»Was will das BKA hier?«, wollte Alex wissen.

»Bei Journalisten sind wir immer mit im Boot«, behauptete Henri und reichte Alex die Hand. »Guten Morgen überhaupt. Wie geht es dir?«

»Zorro und sein Superteam vom LKA haben gerade erst angefangen, die Spuren zu sichern. Er hat auch gleich den Rechtsmediziner mitgebracht, da unsere Gräfin im Urlaub ist.«

Zorro kam auf Henri zu und grinste ihn breit an. »Das ist ja wie ein Klassentreffen der Ehemaligen«, rief er und reichte Henri weiße Überschuhe und eine Haube für die Haare. »Nicht, dass du uns den Tatort verunreinigst.«

Henri streifte die Sachen mechanisch über und ging langsam um die Leiche herum. Sein Herz tat weh, denn er hatte Joyce wirklich gerngehabt. Gleichzeitig überschlugen sich seine Gedanken. Die Spurensicherung würde hier in der Wohnung seine Fingerabdrücke finden, die Computerforensik würde seine Nummer in den Anruflisten von Joyce’ Smartphone entdecken und außerdem seine − wenn auch verschlüsselten − eMails, die sie entschlüsseln würden.

Henris Blick wanderte zu Joyce’ Schreibtisch, doch die Tischplatte war leer. Er ging in ihr Schlafzimmer, doch auch auf dem Nachttisch war nichts zu sehen. »Sag mal, Zorro.« Henri beugte sich zu dem Spurensicherer hinunter. »Habt ihr ihr Laptop, Smartphone und Tablet schon eingetütet?«

Zorro schüttelte den Kopf, schob eine widerborstige Haarsträhne wieder unter seine Kapuze und nuschelte: »Nein, nichts dergleichen.«

»Vielleicht nur ein verunglückter Raub?«, schlug Alex vor.

»Es gibt keine Einbruchsspuren, also muss sie den Täter eingelassen haben. Davon mal abgesehen, klaut heutzutage nur ein Depp oder ein Superprofi ein Apple-Gerät«, sagte Zorro und richtete sich auf. »Schneller, als du gucken kannst, hat die Polizei dich gefunden. Ein Profi baut alles noch vor Ort auseinander, lässt den Passwortknacker durchlaufen, lädt die Daten runter und schmeißt das Zeug in den Rhein, wo selbst der beste GPS-Tracker es nicht mehr orten kann.«

Wie Henri hatte auch Zorro vor zwei Jahren die Düsseldorfer Polizei verlassen. Im Gegensatz zu ihm war er allerdings ins Kompetenzcenter des LKA gewechselt. Henri traf ihn ab und zu in ihrer Stammkneipe Uerige in der Düsseldorfer Altstadt und hatte seine rasante Entwicklung zum Chef der Spurensicherung begleitet. »Suchen deine Leute schon danach?«

Zorro grinste. »Musst du mich das fragen?« Er tütete Haare von der schwarzen Perücke ein. »Hattest du mit Joyce noch was laufen?«

»Laufen nicht gerade. Es gab noch alte Baustellen, die uns beide nicht losgelassen haben. Du wirst also auch Spuren von mir finden.«

»Gut zu wissen«, murmelte Zorro. »Unser Rechtsmediziner Maxim Winter ist der beste in Europa. Wenn einer was finden kann, dann er.«

»Soll mich das trösten?«, fragte Henri düster. Joyce Darlington war Chefredakteurin des Düsseldorfer Tages- und Nachtkuriers gewesen. Dieses Klatschblatt, so hatte Henri erst nach einer Weile bemerkt, war jedoch nur ein Deckmäntelchen gewesen, und dazu ein äußerst nützliches, denn es hatte ihr ermöglicht, mit den begehrtesten Promis zu Tisch zu sitzen, dort, wo auch die Reichen und Mächtigen sich gern aufhielten.

»Wieso denken selbst wir, die wir es besser wissen müssten, es trifft nur die anderen?« Henri kramte eine Schachtel Zigaretten aus seinem Jackett hervor.

»Hier nicht«, brummte Zorro.

»Schon gut. Hast ja recht.« Henri packte die Zigaretten wieder ein und wandte sich an Alex Sanders, der gerade eine Liste abhakte. »Sag mal, Alex, wo treffen wir uns gleich? Im LKA oder im Polizeipräsidium?«

»Wir sind noch Baustelle, wie du vielleicht weißt. Zorro, habt ihr Platz für uns?«

Zorro zog einen Handschuh aus und rief seine Chefin an. Er gab ihr die Fakten bekannt, nannte die Anwesenden, nickte und legte wieder auf.

»Ihr seid nicht gerade herzlich willkommen, aber ich schätze, das Zauberwort war BKA. So jemandem weist man nicht die Tür.« Zorro grinste breit und widmete sich wieder seinen Spuren.

Als der Rechtsmediziner die Leiche umdrehte, hatte Henri das Gefühl, als würde Joyce Darlington ihn unvermittelt anstarren. Er senkte den Kopf, um dem Blick aus den klaren graugrünen Augen zu entgehen, die ihn so oft über einer Tasse Kaffee, einem aufgeklappten Laptop, einem Glas Wein angesehen hatten.

»Der Schlag auf ihren Kopf hat sie nicht getötet«, erklärte Maxim Winter, dem die exaltierte Haltung eines Florettfechters anhaftete. »Aber ihre Augen haben eine seltsame Grünfärbung.«

»Könnte das von ihren bunten Kontaktlinsen kommen?«, schlug Henri vor.

»Danke für den Hinweis, aber die Farbe stammt von den Petechien in ihren Augen. Sie wissen schon, die Einblutungen im Augapfel«, erklärte Maxim Winter, ohne sich umzudrehen.

»Wenn ich mich nicht irre, bedeutet das Auftreten von Petechien, dass das Opfer sich gewehrt hat«, sagte Henri. »Die entstehen doch, wenn nur die Halsvenen gequetscht wurden, nicht aber die Halsschlagader, oder?«

Er wagte sich einen Schritt weiter auf den Kopf von Joyce zu.

»Das Opfer wurde aber nicht stranguliert«, antwortete Winter knapp, legte den makellosen und unverletzten Hals der Toten frei und stand mit einer federnden Bewegung auf. »Und das ist gut für Sie, denn so ein Fall ist für das Kompetenzcenter durchaus interessant.« Winter zog seine Handschuhe aus und reichte Henri die Hand. »Ich freue mich wirklich, mit Ihnen zusammenarbeiten zu dürfen. Ich habe schon viel von Ihnen gehört.«

Henri nickte, und Zorro zwinkerte ihm zu. Wäre es nicht um die Journalistin Joyce Darlington gegangen, hätte Henri die Freude der beiden geteilt. In diesem Moment gackerte sein Smartphone. Winter blickte sich überrascht um.

»Ach, das ist Ihr Handy«, sagte er dann. »Das Smartphone von Tanni, der Leiterin unserer IT-Abteilung, hat nämlich den gleichen Klingelton.«

Henri nahm das Gerät aus der Innentasche seines Jacketts. Eine SMS von Ann: Die drei waren sicher in München gelandet und warteten jetzt auf den Heli.

»Wir sehen uns gleich im LKA, ich fahr schon mal voraus«, meinte Henri und verließ das Haus eiliger, als es nötig gewesen wäre. Draußen stellte er fest, dass der Kaiser-Wilhelm-Ring zumindest einspurig wieder für den Verkehr freigegeben war. Direkt dahinter floss gemächlich der Rhein vorbei und ließ die Containerschiffe an Düsseldorf vorbeischweben. Der Leichenwagen der Rechtsmedizin fuhr gerade auf das Haus zu. Henri lehnte sich an sein Auto, zündete sich eine Zigarette an und starrte auf das Display seines Smartphones.

Er fragte sich, ob er Ann gleich erzählen sollte, dass Joyce tot war. Die beiden kannten sich schon ewig, allerdings ohne befreundet zu sein. In ihrer Schulzeit waren sie auf dem gleichen Internat gewesen wie Marie. Während Ann und Marie in dieser Zeit enge Freundinnen geworden waren, hatten Ann und Joyce wenig miteinander zu tun gehabt. Henri entschied, dass es keinen Grund gab, Ann zu diesem Zeitpunkt mit dem Mord zu belasten, und schrieb nur kurz zurück: »Wir haben einen neuen Fall, lass uns am Abend telefonieren.«

Auf dem Weg zum LKA in der Völklinger Straße telefonierte Henri mit seinem Chef Xaver Bernhard und holte sich das Okay, in diesem Fall sowohl mit der Düsseldorfer Kriminalabteilung als auch mit dem LKA zusammenzuarbeiten. »Dieses Kompetenzcenter hätte ich nur zu gern in meinem Stall«, meinte Xaver Bernhard, »aber die wollen nicht.«

»Warum eigentlich nicht?«, fragte Henri, während er von der vierspurigen Straße in die Einfahrt bog.

»Die haben eine Leiche im Keller des Innenministers von NRW, die offenbar sehr hilfreich ist.« Xaver lachte über seinen eigenen Witz. »Halt mich auf dem Laufenden.« Es klickte in der Leitung.

Über die Gegensprechanlage vor der Schranke des LKA erfuhr Henri, dass nur die direkten Mitarbeiter des Kompetenzcenters direkt vor dem Haus parken durften. Er möge bitte einen der weiter hinten gelegenen Parkplätze anfahren und sich dann beim Pförtner melden, um einen Besucherausweis zu erhalten.

»Frau Dr. Rac erwartet Sie in ihrem Büro«, schnarrte der Pförtner und schob Henri den Besucherausweis hin. »Sie hat gesagt, ich soll ihn gleich für eine Woche ausstellen. Von 7 bis 19 Uhr kommen Sie damit durch die Tür. Außerhalb dieser Zeiten nur in Begleitung. Ich heiße Wolf und der Nachtpförtner Otto.«

Henri dankte, klemmte sich den Besucherausweis an den Gürtel und ließ sich auf dem Weg in den ersten Stock ein bisschen Zeit. Er kannte Dr. Natalia Rac und war sich nicht sicher, wie sie auf ihn reagieren würde. Langsam ging er am ersten Büro vorbei, dessen Tür mit der Aufschrift »Leitung Kompetenzcenter« versehen war, und klopfte dann an die Bürotür, auf dem »Stellvertretende Leitung Kompetenzcenter« stand.

»Herein, der Pförtner hat dich schon angemeldet«, scholl es von der anderen Seite der Tür. Henri trat ein und blieb abwartend stehen. Natalia saß an ihrem Schreibtisch und telefonierte. Sie war zierlich und drahtig zugleich und trug ein hellgrün geblümtes figurbetontes Kleid zu einer farblich passenden Strickjacke. Unter dem Tisch spielte sie mit ihren hochhackigen Schuhen, die sie mit den Füßen hin und her schob.

»Alles klar, Maxim, dann verschieben wir das Kick-off auf 12 Uhr«, sagte sie in den Hörer. »Bis dahin arbeite ich mit Henri Lavalle und Tanni im Konferenzraum. Zorro ist eh noch am Tatort und wird auch nicht so früh hier sein. Bis gleich.« Natalia legte auf, rutschte zurück in ihre Schuhe und stand auf. Mit einem Lächeln kam sie auf ihn zu, reckte sich hoch und küsste ihn rechts und links. Er sah ihr an, dass sie an damals dachte.

»Wie lange haben wir uns nicht gesehen?«, fragte Henri und wich Natalias Blick aus.

»Drei Jahre und zwei Monate, um genau zu sein. Deine Tochter Christa macht sich übrigens sehr gut.«

In ihrer knapp bemessenen Freizeit gab Natalia Karateunterricht und trainierte Henris Töchter. Christa bereitete sich gerade auf die zweite Dan-Prüfung vor und sparte für eine Japanreise.

»Ich fürchte, sie will später einmal in deine Fußstapfen treten.« Natalia blickte ihn freundlich von unten an.

»Red’s ihr aus, wenn es geht«, antwortete Henri und ging einen halben Schritt zurück. »Du siehst gut aus, wie geht es deiner Familie?«

Als einer von nur wenigen Menschen wusste er von der umfangreichen Familie, die Natalias Leben umgab: unzählige Geschwister, Cousinen und Cousins, Tanten und Onkel. Sie stammte aus dem ehemaligen Vielvölkerstaat Jugoslawien und war mit dem Dienst an der Waffe groß geworden. Nach dem Abitur hatte sie einige Jahre Militärdienst absolviert.

Natalia winkte ab. »Ein weites Feld. Davon erzähle ich dir ein andermal. Lass uns jetzt lieber in den Konferenzraum gehen, Tanni arbeitet bereits seit sieben Uhr daran, alle Informationen von dieser Darlington zusammenzutragen, und wird einiges für uns haben. Dein früherer Kollege ist auch schon da. Komm.« Auf dem Weg zum Konferenzraum zeigte Natalia nach links und rechts und erklärte ihm den Aufbau des Kompetenzcenters. »Meine Chefin Leana Meister hat gerade zwei Wochen Urlaub, um Zeit mit ihrer Familie zu verbringen, sonst hättest du auch sie kennengelernt.«

Im Flur wartete Alex schon auf sie. Henri stellte die beiden einander vor. Natalia trat auf Alex zu und reichte ihm die Hand. »Ich bin Natalia. Wir nennen uns hier beim Vornamen.«

Sie betraten den Konferenzraum, und obwohl Henri vom BKA einiges gewohnt war, staunte er. Am Kopfende des hundert Quadratmeter großen Raums hing ein riesiger Bildschirm, an den übrigen Wänden eine Kette kleinerer Monitore. Eine junge Frau mit einem bunten Make-up, das an einen Papagei erinnerte, stand an einem Multitouch-Tisch und schickte Bilder, Listen und Zeitungsartikel, die entweder von Joyce verfasst worden waren oder von ihr handelten, auf die kleineren Bildschirme. Henri kam sich vor wie in einer Joycegalerie.

»Darf ich vorstellen? Das ist Tanni, unser Küken. Sie leitet mit nur 28 Jahren die Computerforensik und Recherche im Kompetenzteam.«

»Hi Fools«, begrüßte die junge Frau Henri Lavalle, Alex Sanders und Natalia. Dann machte sie eine ausladende Geste: »Darf ich vorstellen? Das nicht geheime oder vielleicht doch geheime Leben der Joyce Darlington. Setzt euch.«

Henri nahm auf dem Stuhl neben Natalia Platz, Alex setzte sich gegenüber hin, und alle blickten nach vorn. Auf dem großen Bildschirm erschien ein Lebenslauf von Joyce Darlington. »Fangen wir wie immer mit den Flöckchen an«, begann Tanni.

»Flöckchen bedeutet was?«, hakte Alex nach.

Tanni präzisierte: »Schickes Gehalt von brutto zwölf Riesen monatlich, ein Unterkonto mit 40 000 geparkten Schleifen, ein paar Aktientäschchen und ein Haus in Benrath, das ihr gehört und vermietet ist.«

Natalia, Henri und Alex erfuhren, dass Joyce vor 37 Jahren im irischen Belfast zur Welt gekommen war. Ihrem Vater Joseph Mac Flaherty, der beim Geheimdienst gewesen war, hatte sie eine illustre Kindheit in verschiedenen Ländern zu verdanken. Sie hatte einen IQ von 156 und sprach Englisch in verschiedenen Varietäten, darunter in der des britischen Königshauses und der dunkelsten Londoner Kneipenszene. Italienisch, Französisch und Arabisch konnte sie genauso akzentfrei wie Russisch und Irisch.

Henri erinnerte sich, dass er das schon einmal gehört hatte, und zwar von Ann. Gerade wollte er fragen, warum Joyce einen anderen Nachnamen trug als ihr Vater, da machte Tanni schon weiter. »Ihr Vater war erst beim irischen, dann beim britischen Geheimdienst tätig und wurde vor 20 Jahren vermisst gemeldet. Zum Schutz von Mutter und Kind erhielten die beiden den Nachnamen Darlington und einen deutschen Pass sowie das Haus in Düsseldorf-Benrath. Joyce studierte Politik und Journalistik in München und Hamburg und kehrte vor zehn Jahren nach Düsseldorf zurück, um beim Düsseldorfer Tages- und Nachtkurier Karriere zu machen. Vor drei Jahren übernahm sie die Chefredaktion.«

Natalia drehte sich zu Henri um. »Wenn ich mich recht erinnere, weil sie exklusiv und als Erste darüber berichtet hat, wie du deinen Chef Dr. Pahl und diesen Braukönig ins Gefängnis geschickt hast.«

»Eins zu null«, feixte Tanni und strich sich durch die raspelkurzen blonden Haare.

»Und wenn ich mich recht erinnere, erholt ihr euch gerade noch davon, dass vor zwei Wochen der Leiter des LKA Nordrhein-Westfalen seinen Hut nehmen musste«, konterte Henri.

»Das stand aber nicht in der Presse, und im Knast ist Köhler auch nicht«, bemerkte Alex.

Tanni zeigte auf die Bildschirme hinter Henri und Natalia. »Dort seht ihr Joyce Darlington mit Stadtpromis − vor drei Monaten mit dem Bürgermeister und vor zwei Monaten mit dem Düsseldorfer Polizeipräsidenten Holger Edler. Gemeinsam verteilen sie bei der Düsseldorfer Tafel Lebensmittel an Bedürftige. Und hier sind Fotos von Joyce im Rotary Club, beim Filmball München, bei der Verleihung der Goldenen Palme in Cannes … Wirklich ein Jetset-Leben.«

Natalia stand auf und ging an den Bildschirmen entlang. »Und fast immer haben Journalisten, gerade die aus den Klatschblättern, ein bisschen zu viel Wissen über Promis. Und damit hätten wir zahllose Motive und Verdächtige.«

»Offenbar sind ihr Laptop, ihr Tablet und ihr iPhone verschwunden«, sagte Henri und stand ebenfalls auf. »Wer hat euch eigentlich heute Morgen an den Tatort geschickt, Alex?«

»Es gab einen anonymen Anruf«, erklärte Tanni. »Die Nummer kam von einer öffentlichen Telefonzelle am Düsseldorfer Flughafen, Ankunft C. Die Kameras haben leider dort einen toten Winkel.« Sie zeigte auf einen Bildschirm, wo eine Kameraaufzeichnung zu sehen war. »Dunkelbraune Schuhe, Doc Martens, Größe 39 bis 40. Die Person hat um 7.21 Uhr telefoniert – also exakt der Zeitpunkt, als der Hinweis bei der Notrufzentrale einging.«

Alex Sanders hob die Arme. »Meine Leute haben gerade erst angefangen zu ermitteln.«

»Ihre Leute haben jetzt Pause«, sagte Natalia freundlich, aber bestimmt. »Das gibt ihnen Zeit, sich um andere Fälle zu kümmern. Die werden mit unserem Tempo ohnehin nicht Schritt halten können. Weiter, Tanni!«, kommandierte sie.

»Mit Vergnügen. Wir haben mit der Redaktion gesprochen, Joyce Darlington hatte sich eine Woche freigenommen, um in Ruhe an einer neuen Story zu arbeiten. Sie hätte heute Morgen wieder zum Dienst erscheinen sollen. Unsere Kollegen waren schon bei der Zeitung und konnten erwirken, dass der Todesfall bis Ende dieser Woche nicht in der Presse auftaucht. Die offizielle Variante lautet, dass sie ihren Arbeitsurlaub verlängert hat. Die Redaktion hat uns per Kurier schon die gespiegelte Festplatte von Joyce Darlingtons Büro-PC zukommen lassen. Mein Team hat sie in der Prüfung, aber bisher nichts Relevantes gefunden, sonst wüsste ich es. Derzeit gehen meine Mitarbeiter die Metadaten auf der Festplatte des PCs im Büro durch. Die Kameras vor dem Wohnhaus löschen leider alle 48 Stunden ihre Aufzeichnungen, auch hier versuchen wir, in den Metadaten noch etwas zu finden.«

Natalia trat ganz nah an das Standbild der Aufnahme am Flughafen: »Diese verdammte Doc-Martens-Mode«, sagte sie. »Es könnte ein Mann oder eine Frau sein.«

Henri nickte zustimmend. Nicht nur Ann, sondern auch seine Töchter Christa und Alberta trugen diese angeblich so coolen Männerschuhe.

Er blickte von Natalia zu Tanni und wieder zu den Bildschirmen zurück. Beeindruckend, wie schnell dieses Team offenbar arbeiten konnte. Er verstand seinen Chef, der auch gern so einen Apparat zur Verfügung hätte. Henri wusste, dass das Kompetenzcenter mit einigen besonderen Möglichkeiten ausgestattet war, beispielsweise Blankoschecks der Staatsanwaltschaft mit der uneingeschränkten Erlaubnis, diese auch zu nutzen. Nichts davon drang an die Öffentlichkeit. Die fütterte man ganz im Gegenteil geschickt mit Erfolgsgeschichten.

»Wie wollen wir vorgehen?«, wandte sich Henri an Natalia. »Bei dieser Fülle von Informationen würde ich mit den letzten Sachen anfangen, an denen Joyce gearbeitet hat. So ein Mord stellt nur selten eine späte Rache dar. So etwas geschieht gewöhnlich zeitnah und im Affekt.«

Natalia setzte sich wieder. »Kommt darauf an. Bei einer Frau ist eine späte Rache durchaus denkbar.«

»Schädel einschlagen ist eher Männersache«, mischte Alex sich ein.

Natalia drehte sich langsam zu ihm um: »Das könnte an Ihrem Frauenbild liegen, Alex. Ich brauchte nicht mal ein Werkzeug, um Ihren Schädel zu spalten.« Sie lächelte und wandte sich wieder dem Hauptbildschirm zu. »Trotzdem dürfte es schwer sein, die Wut, die man braucht, um einem Menschen den Kopf zu zertrümmern, Monate oder gar Jahre zu konservieren. Tanni, zeig uns bitte, woran Joyce Darlington zuletzt gearbeitet hat.«

Tanni platzierte ein aktuelles Bild der Journalistin oben links in der Ecke des Bildschirms. In der Mitte erschienen nacheinander ihre Leitartikel in den letzten fünf Monaten. Einer handelte von einem Ehepaar, das immer wieder neue Frauen zu sich ins Haus gelockt, gequält und dann ermordet hatte. Joyce hatte den Anwohnern vorgeworfen, einfach weggesehen zu haben. Ein anderer Leitartikel befasste sich mit dem Eurovision Song Contest. Joyce hatte monatelang recherchiert und herausgefunden, dass es Absprachen gab, wer für wen stimmte. Dabei war sie der Zahlung von größeren Geldsummen auf die Spur gekommen. Außerdem hatte sie über Attentate in ganz Europa geschrieben: Paris und Rom, Berlin, Frankfurter Flughafen, Moskau und Stockholm.

»Politischer, als man diesem Käseblatt zutraut«, bemerkte Alex.

»Sie war ein sehr politischer Mensch«, meinte Henri. »Der Kurier war nur ihre Tarnung.«

»Kann es sein, dass sie durch ihren Vater für einen Geheimdienst gearbeitet hat und es ein Auftragsmord war?«, schlug Alex vor.

»Wenn Geheimdienste jemanden umbringen lassen, sehen die Leichen anders aus.« Natalia blickte auf ihre Uhr und stand auf. »Kurz vor zwölf. Machen wir eine kleine Pause, das restliche Team schlägt gleich auf. Henri, kommst du kurz mit in mein Büro?«

Henri sehnte sich nach einer Zigarette. Wenn er sich recht erinnerte, rauchte auch Natalia immer noch. Kurz vor ihrem Büro fragte er: »Kannst du nicht ein bisschen netter zu Alex sein?«

Natalia grinste ihn an. »Er wollte vor drei Jahren, als wir den Laden aufgemacht haben, unbedingt hier landen. Und wir wollten dich. Er hat damals den Fehler gemacht, dich schlechtzumachen. Solche Leute kann ich grundsätzlich nicht leiden.«

»Du weißt genau, warum ich nicht wollte«, antwortete Henri und betrat hinter Natalia das Büro.

»Das würde mich allerdings auch interessieren«, sagte ein Mann, der an Natalias Schreibtisch stand und offenbar gerade eine Notiz geschrieben hatte. Er kam auf Henri zu und gab ihm die Hand. »Ich bin Sven. Schön, Sie kennenzulernen. Also, warum haben Sie sich von Natalia nicht überreden lassen?« Sein runder Kopf war kahl rasiert, seine dünnen Lippen wirkten hart, sein durchtrainierter Körper steckte in einer engen schwarzen Jeans und einem Muskelshirt. »Sie ist nämlich sehr gut darin, Menschen zu überreden«, fuhr Sven grinsend fort.

»Darf man hier irgendwo rauchen?«, fragte Henri statt einer Antwort und strich seine schwarzen Locken zurück.

»Willkommen im Raucherzimmer des LKA.« Natalia nahm Zigaretten aus ihrem Schreibtisch, stellte die Alarmanlage aus und öffnete das große Fenster. »Warum bist du hier, Sven?«

»Ich habe dir schon geschrieben, dass die Biologie noch nichts hat. Wir kommen also erst zur 17-Uhr-Besprechung. Den Rest hören wir mit.«

Natalia nickte, und Sven verschwand wieder.

»Mithören?«, fragte Henri, während er erst Natalia und dann sich selbst Feuer gab.

»Was wir gerade auf den Bildschirmen hatten, sehen alle anderen in ihren Großraumbüros auf ihren Bildschirmen und über den PC. Mit ihren Kopfhörern können sie sich in den Konferenzraum einklinken und mithören. So vermeiden wir lange Briefings. Ich erwarte von jedem, der im Konferenzzentrum erscheint, dass er oder sie weitgehend up to date ist.« Natalia inhalierte tief. »Wie gut kanntest du Joyce?«

Henri blies den Rauch in die kalte Luft. »Wir hatten nichts miteinander, wenn du das meinst. Aber es gibt zwei alte Baustellen. Da ist der Organhandel mit den Artisten und ja, immer noch Dr. Pahl und Holger Edler, unser Polizeipräsident. Joyce und ich haben die Hartnäckigkeit für ungelöste Fälle geteilt, die bei der normalen Polizei irgendwann in der Statistik landen und bei einer Zeitung im Archiv. Wann immer einer von uns was Neues herausfand, trafen wir uns.«

»Wann zuletzt?«

»Vor zwei Monaten.«

»Ganz sicher?«

»Ist das eine Vernehmung?«

»Sag es!«

»Ja, ganz sicher. Ich müsste in meinen Einzelverbindungsnachweisen checken, ob wir danach noch einmal telefoniert haben.«

»Das macht Tannis Team bereits.«

Henri wollte gerade seine Zigarette hinausschnippen, als Natalia blitzartig seine Hand festhielt: »Nicht auf den Parkplatz! Ausmachen und in den Müll.« Er drückte die Kippe auf der Fensterbank aus und ging zum Mülleimer neben der Tür. »Der gläserne Mensch also«, sagte er.

»Willkommen bei Big Data.« Natalia reichte ihm ihre ausgedrückte Kippe und schloss das Fenster. »Ich kann dir sagen, wie oft du Alkohol kaufst, welche Käufe du online erledigst, welche Zeitungen und Bücher du kaufst und wann du sie liest, deine Wiederverkäufe. Und wir tun das immer und mit jedem, auch wenn es nicht erlaubt ist. Für uns ist das Datenschutzgesetz tatsächlich nur ein Papier und eine Erklärung auf unserer Website.«

»Ob ich das gut finde, weiß ich nicht.« Henri schob die Zigarettenschachtel in seine linke Jacketttasche.

Natalia lächelte und trat dicht an ihn heran: »Darum geht es hier nicht.«

Henri erwiderte ihren Blick.

»Ich sehe erste graue Strähnen in deinem Haar, die sind neu«, fuhr sie fort. »Bekommt dir das neue Leben beim BKA nicht?«

»Das ist Weisheit, derzeit läuft in meinem Leben alles perfekt.«

Natalia blieb noch einen Moment dicht vor ihm stehen, als wollte sie prüfen, wie wahr diese Worte seien, dann drehte sie sich um, nahm ihren Block vom Schreibtisch und sagte: »Komm, wir holen uns auch noch einen Kaffee, und dann sehen wir mal, was Maxim herausgefunden hat. Ich glaube, er hat eine Überraschung für uns.«

Auf dem Rückweg zum Konferenzraum kamen sie an der Küche mit der Kaffeemaschine vorbei. Henri ließ sich von Natalia die Tasse füllen und griff mit der anderen in die Keksdose, denn er hatte das sichere Gefühl, dass das Mittagessen heute ausfallen würde.

»Wow«, rutschte es ihm heraus, als er den Konferenzraum betrat und die vielen Menschen sah. Es waren mindestens 40 Leute. Wie auf ein geheimes Kommando nahmen sie alle Platz, als Natalia den Raum betrat. Aus dem lärmenden Durcheinander wurde Stille. Natalia wies auf den Stuhl neben sich, und Henri gehorchte.

Am Bildschirmtisch standen Tanni und der Rechtsmediziner Maxim Winter nebeneinander und warteten auf ein Zeichen von Natalia, das in Form eines kaum wahrnehmbaren Kopfnickens erfolgte. Tanni fasste kurz zusammen, woran ihr Team derzeit arbeitete, und schloss damit, dass es seit dem Vormittag im Bereich der IT keine neuen Einsichten gebe. Die Bildschirme wurden kurz dunkel, dann erschien auf dem großen Monitor der Leichnam von Joyce, wie Henri ihn am Tatort gesehen hatte. Direkt daneben wurde ein Foto aus der Rechtsmedizin gezeigt. Henri fröstelte. Der schlanke, fast magere Körper war an den Extremitäten übersät mit Einstichen. Auf den anderen Bildschirmen folgten Großaufnahmen von ihren Händen. Die Fingernägel wiesen tiefe Kanäle auf, offenbar hatte der Täter auch dort Nadeln hineingetrieben. Es war offensichtlich: Joyce hatte eine lange Folterung über sich ergehen lassen müssen, bevor sie starb.

»Fangen wir mit den Petechien an«, sagte Maxim und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr, die sich aus seinem kurzen Zopf gelöst hatte. »Auffällig ist, dass sie grün leuchten.« Er schob die anderen Fotos der Leiche an den unteren Rand des Bildschirms und zeigte dann eine Nahaufnahme vom Auge der Toten. »Das Grün weist darauf hin, dass Joyce Darlington eine große Menge eines Medikaments mit einer Schwefelverbindung zu sich genommen hatte. Die Schwefelatome haben sich mit dem roten Blutfarbstoff Hämoglobin verbunden, was zu dunkelgrünem Blut und damit auch grünen Einblutungen in den Augen geführt hat. Wir konnten das Medikament Sumatriptan im Blut nachweisen. Triptane, die Schwefelverbindungen enthalten, werden bei Migräne und Clusterkopfschmerzen eingesetzt. Die Frage, wie es zu der hohen Dosierung kam, haben wir noch nicht beantworten können, es ist also nur eine Annahme, dass das Medikament oral eingenommen wurde. Weiterhin zeigt das Opfer in nahezu allen Organen die Vergiftung mit Formalin. Wir konnten eine 37-prozentige Formaldehydlösung aus den Leichenteilen extrahieren.«

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Henri ungeduldig.

Maxim sah ihn irritiert an.

Natalia legte ihre Hand auf Henris Oberschenkel und flüsterte: »Nicht unterbrechen, erkläre ich dir später.«

»Wie schon die 87 Einstiche an den Extremitäten zeigen, war auch die Zufuhr von Formalin Teil der Folterung. Wir haben in den Armbeugen die Einstiche von Kanülen gefunden. Formalin führt letztlich zum Erstickungstod, was der Täter durch die langsame Gabe zum einen und durch das Migränemedikament zum anderen hinausgezögert hat.« Maxim verschob weitere Bilder auf den Hauptbildschirm. »Wir sehen hier den Magen und Abschnitte des Darms. Die Läsionen ebenso wie die Perforierung der Blase ähneln denen durch eine Laugenverätzung. Wir nehmen an, das Formalin wurde ihr in einer Art Dialyseverfahren zugeführt. Denn sonst hätten wir in den Schleimhäuten von Mund und Rachen Schädigungen finden müssen, die an Verletzungen durch Säure erinnern. Es ist davon auszugehen, dass Joyce Darlington nach der Resorption des Formalins eine metabolische Azidose erlitten hat, die zu Schwindel und Benommenheit führt. Sehr wahrscheinlich ist sie immer wieder bewusstlos geworden.«

Das kann ich ihr nur wünschen, dachte Henri und wäre am liebsten aufgestanden, um den Raum zu verlassen. Aber Maxim war noch nicht fertig.