Kurze Geschichten - Klaus Muller - E-Book

Kurze Geschichten E-Book

Klaus Müller

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Beschreibung

Kurze Geschichten‹ beinhaltet eine Sammlung von neun Kurzgeschichten, die über einen Zeitraum von mehreren Jahren entstanden sind. Es sind skurrile Geschichten von Personen, die sowohl fiktives als auch unterhaltsames, lustiges und mörderisches beinhalten. Alle Protagonisten haben aber eins gemeinsam: Sie versuchen auf unterschiedlichste Weise, ihr Leben zu meistern oder gar in den Griff zu bekommen. Und wie es nun mal im Leben so zugeht: Einigen gelingt es, und einigen nicht … Das Yin gibt es nicht ohne das Yang. Wenn einer gewinnt, muss ein anderer verlieren.

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Seitenzahl: 341

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Klaus Muller

Kurze Geschichten

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Der kleine König

Die galaktische Wärmflasche

Hobo

Eine kleine Geschichte mit Gott

Wer dreimal lügt …

Dreck

Bruder Dattreo

Roberto & Carlita

Später Besuch

Impressum neobooks

Der kleine König

Kurze

Geschichten

von

Klaus Muller

Inhalt

Geschichte 1 Der kleine König

Geschichte 2 Die galaktische Wärmflasche

Geschichte 3 Hobo

Geschichte 4 Eine kleine Geschichte mit Gott

Geschichte 5 Wer dreimal lügt …

Geschichte 6 Dreck

Geschichte 7 Bruder Dattreo

Geschichte 8 Roberto & Carlita

Geschichte 9 Später Besuch

»Ich hasse Scheidungsjobs!«

Dieser Gedanke drückte sich schon seit Stunden in Floyd Carlos Kopf von einer Ecke in die andere.

Es gab nie wirklich etwas aufzuklären. Wie ein Schwein wühlte man nur tagelang im Dreck von fremden Leuten. Fand man schließlich in der untersten Schublade einer Beziehung doch noch etwas Brauchbares, konnte man sich nie sicher sein, wer in dem Spiel der Gute oder wer der Böse ist. Und was noch wichtiger war, man wusste nie, für welchen von beiden man gerade arbeitete.

»Aber hätte ich den Auftrag nicht übernehmen sollen?«, fragte er sich schon zum wiederholten Mal an diesem Tag.

In dieser Stadt war John Tatzio schließlich nicht irgendwer. Und schon lange nicht jemand, dessen Auftrag man einfach mit einer Handbewegung ablehnen konnte und dann den Telefonhörer aufknallte.

Es sei denn, man hatte ohnehin gerade vor, sich an einem weit entfernten Ort niederzulassen oder nahe Verwandte mit der schnellen Auszahlung seiner Lebensversicherung zu beglücken.

John Tatzios Arm war lang, sehr lang. Er reichte bis an die gewichtigen Stellen in dieser Stadt.

Er war der König, ein kleiner König in New York.

Von einflussreichen Politikern hin zu namenlosen Nutten war alles auf seiner Lohnliste, was vielleicht einmal nützlich werden könnte, oder es für ihn schon gewesen ist.

Nun waren solche Listen nichts Ungewöhnliches. Davon gab es sicherlich einige in dieser Stadt. Vielleicht war die eine oder andere sogar noch länger als die von Tatzio.

Seine jedoch unterschied sich von allen anderen durch eine erlesene, ausgesuchte Qualität. Bei ihm fraß ein Name von der letzten Seite, glatt zehn, auf der Ersten eines Konkurrenten.

Sein Geld floss, um zu wirken, und kam niemals aus der Gießkanne. Es erreichte präzise und wohldosiert, wie durch eine akkurat geführte Injektionsnadel, immer genau die richtigen Stellen.

Er war bekannt dafür, Qualität zu lieben und duldete keine Mittelmäßigkeit.

So zeichnete sich seine Liste nicht nur dadurch aus, dass sie die Namen diverser zwielichtiger Personen enthielt. Auf ihr ließ John Tatzio sowohl Liebe und Gewalt, Genialität und Dummheit, Macht, Reichtum und Fantasie wie in einer ausgewogenen Partitur zusammenfließen. Nicht ohne Grund gibt es in einem Schachspiel die unterschiedlichsten Figuren. Jede davon hatte ihre eigene, ganz spezielle Aufgabe und folgte einem großen, übergeordneten Plan. Er war es, der dafür sorgte, dass die richtige Person, zur richtigen Zeit, immer am richtigen Ort war.

Durch seine gewissenhafte Auswahl entstand jenes gefährliche Gemisch der Macht, das Politiker so gerne, aber leider meist vergeblich, in ihren Parteien suchten.

Da Gift bekanntlich immer nur eine Frage der Dosierung war, konnte Tatzio ganz allein bestimmen, für wen sein Gebräu tödlich oder für wen es nützlich sein würde.

Wie ein Metronom gab er gnadenlos den Takt der Stadt vor.

Seinen Takt!

Er war der Koch, der das Menü mit den ausgesuchten Zutaten seiner eigenen Liste zubereitete.

Ich war immer gut davongekommen und musste bisher keinen Kontakt zu ihm haben. Und er hatte auch keinen zu mir gesucht, wofür ich überaus dankbar war.

Weiß der Teufel, wer so blöd oder berechnend gewesen ist und meinen Namen in seiner Gegenwart genannt hatte.

Sicher, das Geld für diesen Job war weder knapp berechnet noch zu verachten.

Tatzio war alles, aber nicht kleinlich.

Ich hatte das unbestimmte Gefühl, mich in einer irreparablen Weise an seinem Geld zu infizieren. Es kam mir vor, als würden Bakterien, aus der grünen Farbe der Banknoten heraus, direkt in meine Blutbahn kriechen und dort, wie ein langsames Gift, ihre Arbeit aufnehmen.

»So etwas ist nicht mein Job«, hatte ich versucht zu entkommen.

»Dann mache ich es jetzt zu Ihrem, Mister Carlo«, hatte er geantwortet und sich eine viel zu große Zigarre, statt eines Schnullers, in sein kindliches Mondgesicht gestopft.

Dabei klopfte er einem geifernden Dobermann, der zu seinen Füßen lag, mit der flachen Hand in die Flanke. Nicht etwa, wie ich vermutete, weil er den Hund liebte, sondern weil er es konnte.

Jeden seiner Schläge spürte auch ich deutlich in meinem Nacken.

»Ich kann Ihnen unzählige Adressen von Privatdetektiven mit schief gelaufenen Absätzen geben, die mit Vorliebe solche Aufträge übernehmen würden, Sir.«

Ohne den Hauch einer Erregung glotzte er mich an, während er weiter schmatzend an seiner überproportionierten Zigarre sog.

»Floyd«, begann er betont leise, »wir beide wissen doch, dass Sie ein verdammtes Arschloch sind. Aber Sie sind in Ihrem Job nun mal das beste Arschloch, das man für Geld bekommen kann. Und lassen Sie es mich einmal so sagen: Wenn Sie noch länger etwas Spaß mit dem haben wollen, was zwischen Ihren Beinen baumelt, dann machen Sie sich an die Arbeit! – Ito …«, er zeigte dabei auf einen würfelförmigen Chinesen, der hinter seinem Sessel grinste, »hat geschickte Finger. Er macht Ihnen sonst gerne, schnell und ohne viel Mühe, eine kleidsame Halskette daraus.«

Da ich Männer mit Kettchen hasste und wollte, dass alles bei mir an seinem gewohnten Platz blieb, setzte ich mich und nahm den schon eingeschenkten Whisky dankend an.

Wie ich bemerkte, hatte Ito sein Grinsen eingestellt. Vielleicht nahm er es mir übel, dass ich ihn um eine interessante Bastelarbeit gebracht hatte.

»Okay, dann also zur Sache«, sagte ich und leerte mein Glas. »Ich bekomme 50 Dollar am Tag, plus Spesen – zahlbar eine Woche im Voraus.«

Tatzio verzog seinen kleinen Mund zu einem milden, bedauernden Lächeln. Es war das Lächeln eines Mannes, der wusste, dass allein der Whisky, den ich gerade trank, schon erheblich mehr gekostet hatte.

Mit seiner Zigarre fuchtelte er dicht unter der Nase von seinem chinesischen Leibwächter herum und deutete in eine bestimmte Richtung.

Der Würfelmensch hatte sein Signal sofort verstanden. Mit kraftvollen, aber für seine Leibesfülle erstaunlich federnden Schritten ging er zu einem kleinen Tisch unterhalb des Fensters. Dort nahm er einen länglichen, schwarzen Block aus einer Schublade, umschloss ihn mit seinen kurzen Wurstfingern und brachte ihn zu seinem Chef an den Sessel. Er hatte dabei denselben, herzigen Blick eines Hundes, der im Central Park Stöckchen apportiert.

Wie ich nicht unschwer erkennen konnte, handelte es sich bei diesem Stöckchen allerdings um Tazios Scheckheft.

Unbeeindruckt nahm ich zur Kenntnis, dass es ungefähr die Dicke von Manhattans Telefonbuch hatte.

»Immer schön zeigen, was man hat«, dachte ich ohne nachhaltige Bewunderung.

Mit einer übertriebenen, schwungvollen Bewegung seiner Hand schrieb John Tatzio Zahlen in das dafür vorgesehene Feld und krönte das Ganze, wie ich seinem anmaßenden Gesichtsausdruck entnehmen konnte, mit einer Unterschrift.

Er riss den ausgefüllten Scheck heraus und legte ihn, wie ein welkes Blatt, vor mich auf den Tisch.

»Eintausend Dollar, Mister Carlo«, kommentierte er, »nicht schlecht für ein paar Tage Arbeit. – Länger wird es nicht dauern. – Ich hoffe, Sie sind zufrieden!«

Ich griff nach dem kleinen Stück Papier und schaute auf die beeindruckende Zahl in der oberen, rechten Ecke.

»Wie wär’s mit Bargeld?«, fragte ich übermütig und blickte ihm dabei fest in die Augen.

Sie wirkten klein, mit übertrieben langen Wimpern, strahlten aber hart und waren offensichtlich gewohnt zu pokern.

»Wie wäre es mit ein paar Schlägen in die Fresse? – Denkst du, verdammter Schnüffler, dass mein Scheck nicht gedeckt ist?«

Um ehrlich zu sein, war es nicht das, was ich befürchtete. Ich wollte lediglich vermeiden, dass Kollegen herausbekommen konnten, dass ich für John Tatzio arbeitete. So etwas sprach sich schnell herum in dieser Stadt.

Ich faltete den Scheck und steckte ihn anschließend in meine Jackentasche.

»Es geht um Ihre Frau?«

Ich nutzte die Zeit, in der Tatzio erkennbar seinen Groll aufbaute und steckte mir eine Zigarette an.

Er stand auf und ging betont langsam um den Tisch herum.

Als er in seinen lautlosen Filzlatschen vor mir angekommen war, stützte er sich mit beiden Händen auf die Lehne des Sessels, auf dem ich saß und schob sein glattes Gesicht dicht vor meins.

Sein Blick und ein Schwall des aufdringlichen Rasierwassers drückten meinen Kopf nach hinten.

»Kennen Sie meine Frau, Mister Carlo?«, fragte er sehr leise und bemühte sich, seine Erregung und die leicht vibrierende Unterlippe, zu verbergen.

Ich verneinte.

Wie einen Stützbalken steckte er die Zigarre zwischen die Lippen und fingerte mit der rechten Hand gleichzeitig in der Innentasche seines blau schillernden Morgenmantels.

Achtlos, wie eine alte Bananenschale, warf er eine Fotografie neben mein Glas auf den Tisch.

»Schauen Sie sich das Gesicht darauf gut an, Floyd, es wird nicht mehr lange so schön und makellos sein, das verspreche ich.«

Ich blies Rauch zwischen den Zähnen hindurch und griff nach dem Foto, um es zu betrachten.

»Sie gehen hoffentlich nicht davon aus, dass ich irgendwelche Schlachterjobs übernehme«, stellte ich unmissverständlich klar.

John Tatzio lachte und ging zu seinem Sessel zurück. Sein Lachen hörte sich an, wie eine defekte Babyrassel. Es passte zu ihm.

»Jeder nach seinen Fähigkeiten, Floyd.«

Es klang mir zu vertraut, wie er meinen Namen aussprach. Am liebsten hätte ich diesem kleinen Wicht seine Zigarre quer in den Hals befördert.

Allein der Umstand, dass sie es schaffte, diesen Drecksack in Rage zu bringen, machte mir die Frau auf dem Foto sympathisch.

»Ich bin Privatdetektiv, Sir« warf ich ein. »Ich liefere für Ihre private Rache, berechtigt oder nicht, niemanden ans Messer.«

Die Lady auf dem Bild war verdammt blond. Und bei allem, was ich erkennen konnte, eine echte Schönheit. Allerdings wusste ich bei genauerer Betrachtung auch noch etwas, – diese Frau bedeutete Ärger auf High Heels.

Das Kleid, das sie trug, lief an ihrem Körper herunter wie Honig an einem Finger. Ihre Augen strahlten nicht unbedingt das aus, was man liebevoll oder zärtlich nennen würde. Aber, das waren Eigenschaften, die für Mütter reserviert waren. Sie waren ein kühler, lockender Strudel, der sicher schon manchen in den Abgrund gezogen hatte.

Auch Tatzio war, wie es schien, irgendwann einmal an ihr gestrandet. Aber allem Anschein nach hatte sich das Blatt in diesem Spiel gewendet. Und es war offensichtlich, dass nicht er es gewesen ist, der dieses Mal die Karten neu verteilt hatte. Denn in dem Fall wäre die hübsche Kleine mit einem Tritt auf die Straße geflogen und kein Hahn hätte nach ihr gekräht. Aus einem bestimmten Grund aber muss sie es geschafft haben, ihre lackierten Krallen in sein Genick zu bekommen.

»Okay, John, worum geht’s?«

Seine kleinen, hängenden Mundwinkel begannen leicht zu vibrieren.

»Ich sage dir, Floyd, die Welt ist voller undankbarer Schweine!«

»Er musste es wissen«, dachte ich. Denn nach Aussagen von ein paar Hundert seiner ehemaligen Partner war er davon eines der größten.

»Dieses undankbare Miststück hat die Hand gebissen, die sie aus der Gosse gezogen hat!«

Mit einer übertriebenen, theatralischen Geste hielt er seine kleinen, milchigen Finger nach oben.

Für mich war das, was er beklagte, eine angenehme Vorstellung.

Beim Betrachten ihres Bildes fielen mir allerdings noch ein paar weitaus schönere Tätigkeiten für ihren Erdbeermund ein, als in Hände zu beißen.

Er riss meine abschweifenden Gedanken mit seinem Gekeife von ihren Lippen zurück.

»Diese Schlampe hätte nichts mehr verdient, als dass man ihr Gesicht mit einer 45er bearbeitet!«, tobte er.

Er rannte wie ein kleines, aufgeregtes Schwein um den Tisch herum.

»Und warum tun sie es nicht?«

»Warum ich es nicht tue?«

»Ja, was hält sie ab, sie sind doch sonst nicht so zimperlich?«

Er setzte sich wieder zurück in seinen Sessel, während ihm der Schweiß wie geschmolzenes Blei über die Wangen lief.

»Ich will dir eins sagen, Floyd Carlo, ich habe dich engagiert, weil du der Beste auf deinem Gebiet sein sollst. – Aber dir fehlt ganz offensichtlich das Hirn für die größeren Zusammenhänge!«

Er tippte mit dem Zeigefinger gegen seine Stirn, um zu unterstreichen, dass er genau an dieser Stelle jenes Organ vermutete, von dem er sprach.

So wie es aussah, waren es aber eher seine Speicheldrüsen, die momentan auf Hochtouren liefen. Er war so aufgebracht, dass bei jedem Satz, den er aussprach, Spucke über seine Lippen lief und auf das Kinn tropfte.

Seine Knopfaugen fixierten mich.

»Leute wie du verstehen nicht, dass es Dinge gibt, die man leider nicht so endgültig klären kann, wie man es gerne würde. – Ein paar Konzessionen«, erklärte er auffällig sanft, »muss selbst ich machen.«

Ich lächelte ihn an und beugte mich etwas nach vorn.

»Soll ich Ihnen sagen, was ich glaube, John?«, fragte ich und fuhr fort, ohne auf seine Antwort zu warten. »Die Lady«, wobei ich auf das Bild deutete, »hat mit etwas Ihren Schwanz in der Hand. Und jetzt haben Sie Angst, dass, wenn Sie sie zu hart schubsen, sie Ihnen das Prachtstück herausreißt.«

Es wurde beängstigend still im Raum. Lediglich die schneller werdenden, keuchenden Atemzüge Tatzios wehten, wie die Vorboten eines Sturms, durch die Stille.

»Verdammter, kleiner Klugscheißer!«, giftete er lautstark in meine Richtung.

»Hören Sie, Mr. Tatzio, Sie haben mich sicher nicht hier herbestellt, damit ich Ihrem Vortrag über Frauen lausche. Wenn ich etwas für Sie tun soll, dann müssen Sie mir schon sagen, was es ist. Und ich möchte alles ganz genau wissen, jede verdammte schmutzige Kleinigkeit, sonst kann ich nicht arbeiten.«

Nach meinen Worten hatte ich den Eindruck, als würde er im nächsten Moment über den Tisch springen und mich erwürgen.

»Du wirst genau so viel erfahren, wie ich für richtig halte!«

Mir war instinktiv klar, dass von diesem Augenblick an jedes weitere Wort gefährlich sein würde. Aber ein untrügliches Gefühl riet mir, möglichst aus etwas herauszugehen, bevor ich zu weit drin war.

»Dann wird es wohl besser sein, unsere Geschäftsbeziehungen hier zu beenden«, versuchte ich mein Glück.

Bei meinen letzten Worten brach mir der Schweiß aus. Man spielte nicht ungestraft mit einer Kobra.

Leute, die es wagten, so mit Tatzio zu reden, pflegten üblicherweise ein unfreiwilliges Bad im East River zu nehmen – mit einem wenig kleidsamen Betonklotz an den Füßen.

Zu meinem Erstaunen hellten sich seine Gesichtszüge jedoch etwas auf und er ließ sich zurück in den Sessel sinken.

Die Färbung seiner Stimme nahm jetzt eine gefährliche Süße an.

»Ich mag Sie, Floyd, ja wirklich, glauben Sie mir, ich mag Sie. Vielleicht gerade, weil Sie so ein verdammter Schmerz in meinem Arsch sind!«

»Sparen Sie sich ihre Dankbarkeit bis zum Trinkgeld. – Also, worum geht’s?«

Er steckte sich die Zigarre wieder in sein gerötetes Milchgesicht.

»Floyd«, begann er bedeutungsvoll, »Ihnen brauche ich sicher nicht zu sagen, dass wir Männer unserem Schwanz gelegentlich …«, er schien nach den passenden Worten zu suchen, »… zu sehr nachlaufen. Doch es gibt eben gewisse Dinge, an die habe ich mich gewöhnt und beabsichtigt, sie nicht mehr aufzugeben.«

»Also will sie weg«, kombinierte ich.

Jedes Mal, wenn er den dicken Rauch seiner Havanna herausblies, verformten sich seine Lippen, als würde er jeden Moment kotzen. 

»Ich werde dieser undankbaren Hure alle Knochen brechen«, geiferte er.

Ich hielt das Bild, das er auf den Tisch geworfen hatte, wieder etwas höher ins Licht.

»Sie sieht nicht aus wie eine Hure«, stellte ich sachlich fest.

Seine Zigarre wurde zum Zeigestock.

»Ich rede nicht von meiner Frau, du Schwachkopf, sondern von Theresa Vargas, der gottverdammten Teufelin!«

Es schien mir, als würde er ihren Namen nur widerwillig über seine Lippen würgen.

»Dann ist das hier auf dem Foto nicht Ihre Frau?«

»Natürlich ist sie das, verdammter Idiot«, keifte er ungehalten.

»Ich hatte bis jetzt gedacht, dass es um Ihre Frau geht, die Sie verlassen will.«

»Will sie auch!«

Ich ließ meine Gedanken einen Augenblick sacken und versuchte, alles, was ich bis jetzt gehört hatte, neu zu ordnen.

»Und wer ist dann Theresa Vargas?«, wollte ich von ihm wissen.

»Eine Bekannte.«

»Von Ihnen oder Ihrer Frau?«

Eine Pause entstand, die so scharf war, als hätte man sie mit einem Messer in die Zeit geschnitten.

»Von mir.«

»Eine Geliebte, wie ich vermute?«

Er wand sich in seinem Sessel wie ein Wurm auf einer heißen Kochplatte.

»War sie«, betonte er auffällig zurückhaltend. »Aber diese verdammte, nichtsnutzige Hure hat mich auch verraten!«

Ich fuhr mit der Hand durch meine Haare. Es fiel mir schwer, ein Problem zu entdecken, für dessen Lösung er unbedingt meine Hilfe gebraucht hätte.

»Dann hatten Sie eine Geliebte, ihre Frau ist dahintergekommen und will Sie deswegen jetzt verlassen«, versuchte ich eine Zusammenfassung. »Und um Ihr Unglück perfekt zu machen, will nun auch die Geliebte keine Geliebte mehr sein. Das ist wirklich tragisch, passiert aber jeden Tag tausendmal in dieser Stadt. Wo ist das Problem?«

Tatzio rieb sich mit beiden Händen die Augen, als wäre er gerade erwacht.

»Denken Sie doch einfach mal nach, Floyd, würde ich einen verdammten Schnüffler wie Sie benötigen, wenn alles so einfach wäre?«

Ich zuckte nur mit den Schultern, verneinte aber innerlich.

»Hör zu, du … du«, bekräftigte er das, was ich schon wusste. »Ich hasse Leute deines Standes, weil man euch immer nur benötigt, wenn es um Dreck geht!«

Ich lächelte ihn an.

»Aber nicht um meinen.«

»Nein, aber du gehörst zu den Aasgeiern, die sich daran weiden.«

Ich ergriff mein Glas, stand auf und ging hinüber zu den Flaschen, um mir noch einen weiteren, exzellenten Drink zu genehmigen.

Ich hatte das untrügliche Gefühl, dass Tatzio kurz davor stand, sich in die Karten schauen zu lassen. Seine Zurückhaltung befand sich schon im Todeskampf.

Auf gewisse Weise hatte er aber recht, wenn er wollte, dass ich ihm half, müsste er einen seelischen Striptease hinlegen. Bis hin zur Unterhose würde er alle Hüllen fallen lassen müssen. Und ich dachte gar nicht daran, es ihm zu ersparen oder gar zu erleichtern.

»Heißt das, ich kann gehen?«, fragte ich betont ruhig und schenkte mir noch ein Glas ein.

Wie ein präzise getroffener Baseball sprang er aus seinem Sessel nach vorn und landete dicht vor meiner Nase.

Wohl, um dem, was er zu sagen hatte, Ausdruck zu verleihen, tippte er mit seinem kleinen Zeigefinger aufgeregt gegen meine Brust.

»Zum letzten Mal, Mister Carlo«, und es lag eine bedrohliche Betonung darin, wie er meinen Namen aussprach, »Sie werden diese Sache für mich erledigen, oder ich werde Sie erledigen, – muss ich wirklich noch deutlicher werden?«

Die Adern an seiner Schläfe pochten bedenklich.

»Schon gut«, bemerkte ich und machte sicherheitshalber einen Schritt zurück. »Aber wie wäre es mit ein paar Details? Seit wann lässt John Tatzio sich von einer Frau unterkriegen, wenn er mit seiner Geliebten erwischt wird? – Es ist doch nicht das erste Mal, dass Ihnen das passiert ist«, behauptete ich.

Sein Blick senkte sich und er trottete langsam zurück zu seinem Sessel.

Dort angekommen, schaute er mich mit feucht schimmernden Augen an. Es war ein Blick, den ich sonst nur von Hunden kannte, die getreten wurden.

Aber wer wäre so dumm und würde nach John Tatzio treten, fragte ich mich im Stillen.

»Die beiden planen, mich fertig zu machen, Floyd!«, sagte er leise.

»Welche beiden?«

Er gab jetzt nur noch das Bild eines erbärmlichen, kleinen Mischlings ab, der im Regen auf der Suche nach seinem Herrchen war. So wie er aussah, wären sogar die Flöhe von ihm geflüchtet und hätten sich etwas Neues gesucht.

»Meine Frau und Theresa Vargas«, antwortete er flüsternd.

Da ich immer noch keinen Fall für mich sah, beschloss ich, vorsichtig etwas tiefer zu graben.

»Kannten sich die beiden?«

»Meine Frau«, schilderte er, »hat Theresa auf mich angesetzt.«

Mit der Flasche und dem Glas machte ich es mir in meinem Sessel wieder bequem.

Ich entzündete eine Lucky und nahm einen tiefen Zug.

»Angesetzt?«, hakte ich nach.

Ohne auf meine Frage einzugehen, redete er weiter.

»Vielleicht war ich nicht immer ein vorbildlicher Ehemann – mag sein«, versuchte er jovial zu erklären. »Aber sie bekam doch alles, was sie wollte! Ich habe sie verwöhnt, Floyd. Aber jede Frau, die mit einem Mann in meiner Position befreundet ist, muss auch gewisse Abstriche machen«, behauptete Tatzio. »Eine Freundin hat doch heutzutage jeder, ist keine große Sache.«

»Vielleicht hatten Sie zu viele?«

»Sie hören sich schon an wie meine Frau. Verdammt, ich habe es doch immer diskret gemacht. Sie musste nie darunter leiden.«

»So diskret«, erwiderte ich vorsichtig, »dass es jede Woche in der Klatschpresse auf Seite eins stand.«

»Verdammte, elendige Schmierer!«

Ich betrachtete die kurze Glut meiner Zigarette und fand, dass sie mit Tatzio etwas gemein hatte.

»Aber wenn sie vorhatte, sich von Ihnen scheiden zu lassen, braucht sie nicht noch eine gedungene Geliebte aufzufahren. Sie hätte sich problemlos aus einem recht ansehnlichen Fundus bedienen können. Es dürften, wenn man den Zeitungen glaubt, wahrscheinlich an die hundert sein.«

Sein Lächeln wirkte so unecht wie das eines Politikers nach einer Wahlniederlage. Und doch glomm auch ein gewisser Stolz in seinen Augen.

»Scheidung, wer redet von Scheidung? Sie hat nicht vor, sich scheiden zu lassen.«

»Nicht? Aber worum geht es denn sonst, um Geld etwa?«

Erneut schoss er über den Tisch auf mich zu und deutete mit dem ausgestreckten, dicklichen Zeigefinger an seine eigene Kehle.

»Mich will sie, Floyd, kannst du Idiot das nicht begreifen? Es geht ihr nur um mich. Es geht beiden nur um mich. Diese gottverdammten Hexen haben vor, mir das Herz herauszureißen!«

Die Worte kamen so stoßweise aus seinem Mund, dass ich den Eindruck bekam, als wäre seine Kehle schon durchtrennt worden.

»Was soll das heißen?«

Tatzio setzte sich schlaff zurück in seinen Sessel.

»Vielleicht ist es für einen Schnüffler, wie Sie einer sind, schwer zu verstehen. Aber es geht hier um meine Ehre«, sagte er matt.

Langsam, aber immer deutlicher, verstärkte sich bei mir die Vermutung, dass die beiden Frauen etwas gegen ihn in der Hand hatten. Es müsste allerdings etwas so Brisantes sein, dass er es nicht, wie sonst üblich, durch ein Bündel Dollarnoten oder ein paar gezielte Schüsse mit einer 45er aus der Welt schaffen konnte.

»Womit haben die Frauen Sie in der Hand, John?«, konfrontierte ich ihn direkt mit meiner Vermutung.

»Mit meiner Ehre, Floyd, mit meiner gottverdammten, beschissenen Ehre«, antwortete er theatralisch und ließ den Kopf dabei nach vorn sinken. »Ein Begriff«, ergänzte er höhnisch, »der Ihnen wahrscheinlich nicht viel sagt.«

»Hören Sie endlich auf, solch einen Scheiß zu reden! Raus mit der Sprache, was ist es?«

Er wischte sich seinen Schweiß mit einem aufdringlich nach Rasierwasser stinkenden Tuch von der Stirn.

»Theresa Vargas ist nicht nur eine Frau«, stammelte er. »Sie ist …, sie ist die Geliebte …«

»Das hatten wir doch schon – sie ist Ihre Geliebte. Aber was weiter?«

Das Tuch, das er in der Hand hielt, führte einen aussichtslosen Kampf gegen den Schweißfluss auf seinem Gesicht.

»Nichts wissen Sie, verdammt noch mal. Theresa Vargas war nicht meine Geliebte, Sie Schwachkopf«, brauste er auf, »sondern … die von meiner Frau!«

Ich blies den Rauch meiner Zigarette hörbar über den Tisch.

»Und ich habe gedacht, sie wäre Ihre Geliebte gewesen und Ihre Frau hätte sie bei intimen Spielchen überrascht«, erwiderte ich verblüfft.

»Sie war auch meine Geliebte«, polterte er, »und Gott ist mein Zeuge, sie hat es genossen! Aber das dreckige Luder hat ein abgekartetes Spiel mit mir durchgezogen, weil die beiden Hexen es vorher so verabredet haben.«

Als ich Tatzio in seinem lächerlichen Bademantel vor mir sitzen sah, konnte ich nachvollziehen, warum die beiden nichts mehr mit Männern zu tun haben wollten. Zumindest nichts mehr mit diesem prachtvollen Exemplar vor mir.

»Und nur weil Ihre Frau eine andere Frau liebt, machen Sie solch einen Aufstand? Geben Sie ihr ein paar Dollar, einen Tritt und alles ist erledigt.«

Er hatte sich wieder gefangen und glotzte mich abschätzig an.

»Keiner verlässt John Tatzio«, zischte er, »wenn er es nicht will! Und erst recht nicht wegen einer anderen … Frau. Bei John Tatzio kündigt man nicht!«, stellte er ultimativ fest. »Entweder man wird hinausgeworfen oder aber herausgetragen.«

Er schnaufte hörbar vor Zorn.

»Okay, soll ich ihr jetzt einen Strauß Blumen bringen oder was ist meine Aufgabe in der ganzen Angelegenheit?«

Er stand auf, stellte sich vor mich und hielt mir demonstrativ seine Handgelenke entgegen.

»Schauen Sie sich das an, Floyd!«, jaulte er weinerlich, »meine Hände sind gebunden und hilflos. Ich kann nichts mehr machen. Können Sie sich das Gefühl vorstellen, wenn man bereits spürt, dass dreckige Ratten an einem nagen und man nichts tun kann, weil einem die Hände gebunden sind?«

Ich nahm einen großen Schluck aus meinem Glas und ließ seine Frage unbeantwortet.

»Ich frage mich schon die ganze Zeit«, bemerkte ich stattdessen, »warum Sie die ganze Angelegenheit nicht durch eine Kugel oder einen netten kleinen, tragischen Unfall lösen. Ihre auffällige Zurückhaltung ist nicht sehr typisch.«

„Ich kann nicht“, erwiderte er knapp.

Das Bedauern in seinen Augen sprach Bände.

»Nun, ich behaupte, dass es sicher nicht der Grund ist, weil Sie ihre Frau noch lieben. Also kommen Sie und zeigen Sie mir den Strick, mit dem die beiden Ladys Sie an den Eiern halten.«

Seine Hände zitterten deutlich und er griff in die Seitentasche seines Bademantels.

Mit einer langsamen, zögerlichen Bewegung zog er einen kleinen, braunen Umschlag hervor und warf ihn achtlos vor sich auf den Tisch.

Ich verstand seine Geste als Aufforderung, ließ meinen Blick von seinen Augen hinunter auf den Umschlag gleiten und beugte mich langsam vor.

Als ich gerade nach dem Kuvert greifen wollte und meine Finger es schon fast berührten, legte er patschend seine kleine, schwitzige Hand auf meine und drückte sie hinunter auf das Papier.

Tatzios kleine Pupillen bohrten sich fest in meine Augen. Panik, aber auch eine gefährliche Kälte, waren jetzt deutlich in seinem Blick erkennbar.

»Wenn Sie diesen Umschlag öffnen«, flüsterte er, »und sich den Inhalt anschauen, dann werden Sie keine dumme oder unüberlegte Gesichtsregung zeigen. Wenn doch«, betonte er bedrohlich, »schieße ich Ihnen eigenhändig, direkt hier und jetzt, den Kopf von den Schultern!«

Eine Hand von ihm drehte sich, als hätte es noch einer Bestätigung seiner Worte bedurft, nach hinten zu seinem Leibwächter. Schweigend legte der Würfelmensch eine stattliche Kanone hinein. Dann klappte die Hand wieder nach vorn, machte vor meiner Stirn Halt und wartete auf Arbeit.

»Und sollte aus Ihrem Maul auch nur das allerkleinste Wort über den Inhalt des Umschlags nach draußen dringen«, formulierte er äußerst glaubwürdig, »selbst wenn Sie es nur Ihrer Mama auf dem Sterbebett, oder einem verschissenen Priester erzählen sollten, werde ich Sie bis ans Ende ihrer Tage verfolgen, zu Brei verarbeiten und dann an Schweine verfüttern. Sie können sicher sein, Floyd Carlo, es wird auf dieser ganzen Welt keinen sicheren Platz mehr für Sie geben. – Habe ich meinen Standpunkt in etwa klarmachen können?«

Ich nickte und glaubte jedes seiner Worte.

Er zog seine Hand langsam wieder von meiner herunter und bedeutete mir, mit einer sparsamen Kopfbewegung, jetzt den Umschlag zu öffnen.

Ich griff in das Kuvert und zog kurz darauf vier Fotos hervor.

Tatzios Augen hatten sich, abwartend wie die Mündung seiner Waffe, an meinem Gesicht festgekrallt. Ihm entging keine Regung.

Ich lehnte mich gespannt im Sessel zurück und betrachtete die Bilder.

Eins nach dem anderen. Ich nahm mir viel Zeit dafür.

Als ich erfasste, was ich vor mir sah, war mir, entgegen seinen Befürchtungen, nicht zum Lachen zumute. Die Details auf den Fotos bahnten sich nur bruchstückhaft und äußerst zögerlich den Weg bis in mein Gehirn.

»Okay, ganz langsam«, forderte ich mich selbst auf.

Auf dem ersten Bild sah man John Tatzio in den Armen einer gut gebauten Frau.

Theresa Vargas, wie ich vermutete. Das allein wäre nichts Besonderes gewesen, wenn er noch mit etwas anderem bekleidet gewesen wäre, als nur mit einer großen Babywindel und einer rosa Babyhaube. Er lag mit dem Rücken auf ihren Oberschenkeln, drückte sich seitlich gegen ihren Bauch und sog sichtlich verzückt, mit seinen Lippen an ihren üppigen Brüsten.

Auf dem nächsten Foto ließ er sich, unbekleidet und angebunden an ein Holzkreuz, von derselben Dame, mit einer Lederpeitsche, den nackten Hintern bearbeiten. Sein erregter Schwanz sagte nur zu deutlich etwas darüber aus, wie glücklich ihn diese Tortur gemacht haben muss.

Die Ledercorsage und die hohen Stiefel der Dame unterstrichen noch die beabsichtigte Wirkung ihrer Bemühungen.

Die anderen beiden Bilder waren von ähnlichem Inhalt.

»Ein Hoch auf Kodak Chrome«, dachte ich.

Ich hielt gut belichtetes TNT in meinen Händen, das wurde mir schlagartig klar.

Ohne große Anstrengungen konnte ich mir leicht vorstellen, dass einem Mann wie Tatzio der kalte Angstschweiß ausbrach, wenn er auch nur daran dachte, dass diese Fotos in die falschen Hände gelangen könnten.

Sie waren von größerem Kaliber als alles, was ich bisher kannte, und vernichtender als eine 45er.

Ich schaute in Tatzios regloses Gesicht. Sein Blick war starr und fragend an meine Augen geheftet. Nur langsam sank die Waffe in seinen kraftlosen Händen wieder nach unten.

Meine Reaktion schien dieses Mal für ein Weiterleben zu genügen.

Jeden auf dieser Welt, den Tatzio kannte, hätten die Bilder umgehauen wie einen morschen Baum.

Dieser Mann, der so vielen einen uneingeschränkten Respekt abverlangte, der Herr über eine ganze Stadt und mehr war, zappelte in den rot lackierten Krallen von zwei ausgeschlafenen Frauen.

Ich konnte ein gewisses Gefühl der Bewunderung nicht unterdrücken.

Denn eins war natürlich sofort klar: Diese vier Bilder waren mit Sicherheit nur der kleinere Teil einer größeren, vernichtenden Serie. Ein ›Amuse-Gueule‹ aus der Küche des Teufels, wenn man so wollte.

»Wie viel?«, fragte ich knapp.

»Wie viel was?«

»Wie viel verlangen die Frauen für die Negative?«

Er trottete zu seinem Sessel zurück und setzte sich. In diesem Augenblick erschien er mir noch kleiner als zuvor.

»Eine Million, – zehn Millionen, – eine Milliarde, was macht das für einen Unterschied?«

»Nun ja, auch wenn man, wie Sie, über genügend Barmittel verfügt, glaube ich, ist der Unterschied doch erheblich.«

»Sicher, aber ich wüsste doch nie, ob es wirklich die echten und einzigen Negative sind. Das muss ich Ihnen doch wohl nicht erklären.«

Er schaute resigniert an die Decke, als würde die Lösung für sein Problem dort auf ihn warten.

»Für einen kleinen Augenblick der Schwäche«, jammerte er, »muss ich jetzt ein Leben lang das Damoklesschwert über meinem Haupt ertragen!«

»Das werden Sie wohl müssen«, machte ich ihm wenig Hoffnung.

Ich warf die Fotos achtlos, ohne sie noch einmal zu betrachten, vor mich auf den Tisch.

Im selben Augenblick, als die Bilder die Tischplatte berührten, schnellte John Tatzio wie eine gespannte Sprungfeder aus seinem Sessel hoch, riss die Hand mit dem Schießeisen nach vorn und schoss dreimal auf die Fotos. Jeden der ohrenbetäubenden Feuerstöße aus seiner 45er begleitete er mit einem lustvollen Stöhnen.

Ich war instinktiv aufgesprungen und habe mich hinter dem Sessel in Sicherheit gebracht.

Die großkalibrigen Geschosse seiner Waffe machten Konfetti aus den Fotos und ließen die so geschredderten Teile wie Schnee durch die Luft schwirren. Das zersplitterte Holz der Tischplatte hatte sich auf dem Fußboden verteilt.

Tatzio stand mit zitternder Hand, rauchender Waffe und wirrem Haar wie ein gereizter Kater vor dem durchlöcherten Möbelstück.

Der Gürtel des Bademantels hatte sich bei seinem Wutausbruch gelöst und ließ einen Blick auf einen kleinen, rundlichen Speckbauch zu. Sein Schwanz und die Eier schlackerten ein paar Zentimeter unter dem Bauchnabel im Rhythmus seiner Knie.

»Das würde ich nur dann müssen, wenn es normale Menschen mit einem Herz aus Fleisch und Blut wären«, keuchte er atemlos. »Aber es sind gierige, teuflische Abgesandte der Finsternis! Sie lechzen danach, mit ihrer Beute zu spielen. Sie genießen es zu sehen, wie sie mich quälen.«

Er selbst hatte zweifellos das, worüber er sich jetzt aufregte, schon tausendmal mit anderen gemacht oder zumindest machen lassen. Es gab, so schien es, einige Dinge, die nur dann Wonne auslösten, wenn man auf der richtigen Seite des Vorhangs stand.

Der Pulverdampf, der ihn einhüllte, machte die Illusion des Fegefeuers, in dem er sich wähnte, komplett.

Ich kam langsam hinter dem Sessel hervor, wischte einige Holzsplitter von dem Sitzkissen und nahm wieder Platz.

Während eine Lucky zwischen meine Lippen wanderte und ich dankbar die ersten Züge inhalierte, war sein Leibwächter mit rührender Besorgnis seinem Chef dabei behilflich, den Bademantel wieder zu schließen.

»Also, was verlangen die beiden von Ihnen?«, wollte ich wissen, als er wieder in seinem Sessel saß.

Er blickte starr vor sich hin, wie am Morgen nach einer schlimmen, durchsoffenen Nacht.

»Sie planen, mir meine Stadt zu nehmen!«

Ich musste schlucken, um die Tragweite des Gehörten zu verarbeiten.

Die Frauen, so schien es zumindest, hatten Format und wollten gleich aufs Ganze gehen. Normalerweise würde man John Tatzio nicht einmal ungestraft einen Eiswürfel aus seinem Glas nehmen können.

»Und wie wollen die Ladys das bewerkstelligen?«, fragte ich ungläubig.

Tatzio wurde noch ein paar Abstufungen grauer im Gesicht und rang hörbar nach Luft.

»Auf dem Times Square.«

Die Zigarette schmeckte nicht wie gewohnt und ich drückte sie aus.

»Auf dem Times Square?«

Sein Kopf sank so weit nach vorn, dass sein Kinn die Brust berührte.

»Wenn ich nicht verschwinde, werden sie die Fotos als riesige Plakate auf dem Times Square aufhängen lassen!«

Ich pfiff durch die Lippen.

Langsam erahnte ich die Dramatik seiner Situation.

Das Erdbeben in San Francisco wäre gegen solch eine Erschütterung lächerlich klein erschienen.

»Besteht denn keine vernünftige Möglichkeit, es noch zu verhindern?«, wollte ich wissen. »Bieten Sie ihnen genug Geld an.«

»Wollen Sie dazu den Originaltext meiner abartigen Frau hören, Floyd?«, fragte er matt.

Ich wollte.

»Sie sagte zu mir, sie würde die Stadt von einem streunenden, geilen Köter befreien. Ihre letzten, überaus zärtlichen Worte waren: Schwing deinen Rentnerarsch nach Florida, sonst … na, den Rest kennen Sie.«

Er winkte mit einer Hand ab und ließ sich schlaff in den Sessel sinken.

»Starke Ansage«, bemerkte ich.

»Hilf mir, Floyd«, bat er flehentlich, »hilf mir, diese abartigen Nutten fertig zu machen!«

»Wie stellen Sie sich das vor?«, bohrte ich vorsichtig nach. »Was könnte ich tun, was Sie nicht auch könnten?«

»Ich denke, Sie taugen was?«, kreischte er hysterisch. »Lassen Sie sich gefälligst etwas einfallen, dafür bezahle ich Sie. – Aber machen Sie sie fertig, oder handeln Sie etwas aus. – Ja, handeln Sie ein Treffen mit ihnen aus, denn mit mir sprechen sie nicht mehr.«

»Und was soll bei einem Treffen herauskommen?«

Ich hatte immer stärker das Gefühl, dass hier ein großes Kind sein lieb gewordenes Spielzeug nicht hergeben wollte.

Ein Exil in Florida, mit Langusten und Golf, schien mir nicht die schlechteste Verbannung zu sein.

»Ich will meine Stadt behalten, egal, was es kostet«, beharrte er. »Sie gehört mir!«

Mein Magen krampfte sich immer dann zusammen, wenn er von seiner Stadt sprach.

»Es müsste doch leicht für Sie sein, die ganze Sache mit ihrem großen Einfluss zu verhindern.«

Ein resignierendes Zischen kam zwischen seinen Lippen hervor.

»Was wissen Sie denn schon, Sie Klugschnacker? Der Polizeipräsident ist einer meiner besten Freunde, ebenso wie der Bürgermeister. Und was denken Sie wohl, warum ich trotz solcher Freunde, ausgerechnet Sie, engagiere?« Er machte eine kunstvolle Pause nach seiner Frage. »Weil alle verdammten Zeitungsschmierer doch nur darauf warten«, antwortete er selbst, »mir ans Bein zu pissen. Sie wissen, wie sie mit meinem Namen ihre Auflage steigern! Was meinen Sie, würde dieser Abschaum tun, wenn man ihnen die Bilder zuspielt? – Vielleicht könnte ich die Sache mit dem Times Square verhindern, mag sein. Aber ganz sicher würde eine Zeitung die Sache bringen und die Bilder als Aufmacher groß auf Seite eins zeigen.«

Ich konnte es mir nur zu gut vorstellen, dass seine Vermutung richtig war. Allerdings ertappte ich mich bei dem Gedanken, es nicht wirklich zu bedauern, wenn es dazu käme.

Jedoch und das war leider eine bedrückende Zwangsläufigkeit, würde an die Stelle von John Tatzio wieder ein anderer treten und seine Stellung einnehmen. Und sicher würde es kein Besserer sein.

»Wo sind die Negative jetzt?«, wollte ich wissen.

»Können Sie sich doch denken, – bei einem Winkeladvokaten. Und falls den Huren auch nur das Geringste passiert, hängen die Bilder am nächsten Tag in Übergröße auf dem Times Square, oder was weiß ich wo!«

Ich lehnte mich zurück und strich mir mit der rechten Hand über die Haare.

»Tja, Mister Tatzio, wie ich die Sache sehe, wäre es vielleicht das Beste, Sie würden sich wirklich aufs Altenteil zurückziehen und sich in Florida ein nettes Häuschen mit Garten zulegen. Dort soll es doch ganz nett sein.«

Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, hing mir der schwitzende Kerl wie ein hungriger Löwe an der Kehle. Wie ein aufgebrachtes Tier stand er vor mir und hatte sich mit beiden Händen meine Krawatte gegriffen.

»Du wirst mir nie, nie wieder so etwas ins Gesicht sagen, Schnüffler! Du wirst John Tatzio keine miesen Ratschläge mehr erteilen. Dein elendiges Maul wird jetzt von mir ein für alle Mal gestopft!«

Der Geifer rann ihm aus den Mundwinkeln und tropfte von seinem Kinn auf den Bademantel.

Eine Ratte in der Enge.

Er musste sich um alles, was er besaß, sorgen. Seine panische Reaktion war berechtigt.

Aber dieser Zustand machte ihn ebenso gefährlich wie einen angeschossenen Tiger, der zu allem fähig war.

Im Nachhinein, so vermute ich, war es das Geräusch von der Tür, die sich hinter mir öffnete, dem ich mein Leben zu verdanken habe. Aus meiner Position und mit Tatzio über mir konnte ich nicht erkennen, wer den Raum betreten hatte. An seinen, sich weitenden Pupillen konnte ich aber erkennen, dass die Karten in diesem Spiel soeben neu gegeben worden waren.

Er sprang mit einer Geschwindigkeit, die ich ihm nie zugetraut hätte, von mir herunter und war mit einem einzigen Satz hinter seinem Sessel verschwunden.

»Julia«, röchelte er, als hätte ihm gerade jemand seine Krawatte zu eng gezogen.

Ich rappelte mich langsam wieder hoch und drehte mich zur Seite, um zu sehen, wer diese Julia war.

Das Erste, was ich zu meiner Überraschung erkennen konnte, waren vier formschöne Beine, über die ein dunkler Hauch aus schimmerndem Nylon lag.

Langsam, wie eine Laufmasche, lief mein Blick an ihnen hoch.

Zwei Frauen standen dicht nebeneinander vor meinem Sessel. Eine Blond, die andere, wie ein Kontrast dazu, mit einer schulterlangen, schwarzen Lockenpracht.

Die Blonde, so schloss ich, war zweifellos Tatzios Frau. Das Foto hatte zwar, was ihre Schönheit betraf, noch weit untertrieben, aber es gab keinen Zweifel daran, – sie war es.

Sie wäre mir mit Sicherheit ein paar Fotos auf dem Times Square wert gewesen. Ihr enges, rotes Kostüm wirkte wie ein Hinweisschild auf jede gefährliche Kurve ihres Körpers. Ich bin zwar kein Bergführer, aber an ihr gab es genug Kurven für eine ganze Serpentinenstraße. Ihre Augen waren nicht kühl, wie ich es vermutet hatte, sondern strahlten Energie und Wärme aus. Der Hut, den sie trug, und der von gleicher Farbe war wie das Kostüm, legte einen leichten, rosa Schimmer über ihr Gesicht.

Wenn das also Julia, Tatzios Ehefrau war, dann war die Lady in Schwarz neben ihr mit großer Sicherheit Theresa Vargas. Ihr dunkelroter Mund hob sich im Zusammenspiel zu ihren schwarzen Haaren, begehrlich ab. Er war wie das ersehnte Licht am Ende eines langen Tunnels.

Bisher hatte ich Tatzio um nichts beneidet, jetzt standen gleich zwei Dinge direkt vor mir.

»Möchtest du uns nicht vorstellen, John?«, hörte ich seine Frau fragen.

Tatzio hockte immer noch bewegungslos hinter seinem Sessel.

»Ja, natürlich«, stammelte er unbeholfen, »das ist Floyd Carlo.«

Ich stand auf und schaute die beiden Frauen an.

»Ich habe von Ihnen gehört, Mister Carlo«, lächelte die Blonde in meine Richtung. »Sie sind

Privatdetektiv, wenn ich richtig informiert bin.«

»Sie sind richtig informiert, Madame.«

»Hat mein Mann sie engagiert, um mich zum Schweigen zu bringen?«

Sie lächelte respektlos in Tatzios Richtung.

»Nun …«

»Es ist schon in Ordnung, Mister Carlo. Er ist noch nicht so weit, um zu begreifen, dass es aus ist. Mein liebender Mann versucht noch verzweifelt, eine letzte Möglichkeit zu finden, uns zum Schweigen zu bringen.«

Plötzlich war wieder Bewegung hinter Tatzios Sessel.

»Von wegen«, brüllte er aus sicherer Entfernung, »ich werde euch verdammten Flittchen fertig machen!«.

Die beiden Frauen lächelten überlegen.

Ich hatte zu keiner Zeit das Gefühl, dass sie die Situation nicht vollkommen unter Kontrolle hätten.

»Pack deinen Koffer, alter Mann«, forderte Theresa Vargas mit einem leichten, spanischen Akzent und machte einen Schritt auf ihn zu.

»Ihr Biester werdet mich kennenlernen«, keifte Tatzio.

»Sehr viele Menschen werden dich kennenlernen, John. Wenn du willst, sogar schon morgen.«

Er lief rot an.

Theresa stellte sich neben seine Frau und streichelte ihr liebevoll über den Hintern.

»Du warst in allem miserabel, John«, ließ sie ihn schonungslos wissen. »Meine Wasserrechnung war noch nie so hoch, wie während der Zeit mit dir. Ich hatte dauernd das Bedürfnis, mich waschen zu müssen.«

Der Goldfisch hinter dem Sessel schnappte hörbar nach Luft. Ein ehrenvoller Herzinfarkt wäre für ihn jetzt wahrscheinlich die beste Lösung gewesen.

»Ihr könnt haben, was ihr wollt!«, rief er ihnen, mit deutlich hörbarer Verzweiflung in der Stimme, entgegen.

»Gewiss können wir das, John. – Ganz gewiss. Also, verlass einfach die Stadt und gehe in Florida Golf spielen. Du bist Geschichte, deine Zeit ist vorbei.«

»Niemals!«, schrie er und hüpfte dabei von einem Bein auf das andere.

»Dann wird es morgen auf dem Times Square zu einem der größten kulturellen Ereignisse dieses Jahres kommen«, grinste seine Frau ihn an. »Willst du es darauf ankommen lassen, alter Mann?«

»Das werdet ihr nicht wagen!«, schrie er. »Ich werde euch die Eingeweide herausreißen!«

Bei seinen Worten schwang er seine kleine Faust drohend in ihre Richtung.

»Wir werden es wagen, Estúpido.«

Theresa legte ihren Arm noch etwas enger um seine Frau und küsste sie auf die Wange.

In mir kamen aufgrund seiner ungesunden Gesichtsfarbe zunehmend Sorgen hoch. Seine Augen starrten, wie hypnotisiert, unablässig auf die beiden Frauen.