Leistungsstarke Lacke formulieren - Ulrich Poth - E-Book

Leistungsstarke Lacke formulieren E-Book

Ulrich Poth

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Beschreibung

Heutige Lacksysteme müssen eine Vielzahl von Anforderungen erfüllen: vom stabilen Farbeffekt bis hin zum Korrosionsschutz. Ein umfassendes Verständnis, sowohl über die in einer Formulierung verwendeten Komponenten als auch über die Wechselwirkungen dieser untereinander, ist dazu unabdingbar. Auch der Produktionsprozess, das Beschichtungsverfahren und die Bedingungen bei der Filmbildung bestimmen das Eigenschaftsprofil der Beschichtung. In diesem Buch werden Lackchemikern oder Formulierungsspezialisten Prinzipien an die Hand gegeben, wie die Eigenschaften einer Beschichtung gezielt beeinflusst werden können. Ebenso soll dieses Wissen dazu dienen, Fehler zu vermeiden oder diese schnell zu korrigieren.

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Seitenzahl: 437

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Ulrich Poth

Martin Winkler

Leistungsstarke Lacke formulieren

Umschlagsbild: Evgenii Iakovenko – stock.adobe.com

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Ulrich Poth und Martin Winkler

Leistungsstarke Lacke formulieren

Hannover: Vincentz Network, 2022

Farbe und Lack Bibliothek

ISBN print: 9783748603580

ISBN online: 9783748603597

 

© 2022 Vincentz Network GmbH & Co. KG, Hannover

Vincentz Network, Postfach 6247, 30062 Hannover, Germany

Das Werk einschließlich seiner Einzelbeiträge aus Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar.

Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Gebrauchtnamen, Warenzeichen und Handelsnamen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um geschützte, eingetragene Warenzeichen.

 

Das Verlagsverzeichnis schickt Ihnen gern:

Vincentz Network, Plathnerstr. 4c, 30175 Hannover, Germany

Tel. +49 511 9910-033, Fax +49 511 9910-029

E-mail: [email protected], www.farbeundlack.de

 

Satz: Vincentz Network, Plathnerstr. 4c, 30175 Hannover, Germany

Druck: Qubus Media GmbH, Hannover, Germany

Auf ein Wort

 

Heutige Lacksysteme müssen eine Vielzahl von Anforderungen erfüllen: vom stabilen Farbeffekt bis hin zum Korrosionsschutz. Auf unterschiedlichsten Substraten soll ein möglichst breites und optimal eingestelltes Eigenschaftsverhältnis erreicht werden. Ein umfassendes Verständnis, sowohl über die in einer Formulierung verwendeten Komponenten als auch über die Wechselwirkungen dieser untereinander, ist dazu unabdingbar.

Aber nicht nur die stoffliche Zusammensetzung des Beschichtungsstoffs sind für dessen endgültige Eigenschaften verantwortlich. Auch der Produktionsprozess, das Beschichtungsverfahren und die Bedingungen bei der Filmbildung bestimmen das Eigenschaftsprofil der Beschichtung. All diese relevanten Größen stehen in Wechselwirkung miteinander und beeinflussen sich gegenseitig.

Aufgrund dieser Komplexität gilt die Entwicklung und Formulierung eines Lacksystems als von Empirie geprägt. Trotzdem liegen den Eigenschaften einer Beschichtung chemische und physikalische Ursachen zugrunde. Diese Ursachen zu definieren und zu kennen ist vor allem deshalb wichtig, wenn es gilt, bestimmte Eigenschaftsanforderungen zu erfüllen, mögliche Fehler zu vermeiden oder aufgetretene Fehler zu beseitigen.

In diesem Buch wird deshalb versucht, dem Lackchemiker oder Formulierungsspezialisten Prinzipien an die Hand zu geben, wie die Eigenschaften einer Beschichtung gezielt beeinflusst werden können. Ebenso soll dieses Wissen dazu dienen, Fehler zu vermeiden oder diese schnell zu korrigieren.

Damit soll das vorliegende Buch gerade auch für den Quereinsteiger eine Hilfe sein, das so umfangreich vorhandene Wissen über Lacke zu strukturieren und sich schnell einen Überblick zu verschaffen. Aber auch dem erfahrenen Lacktechniker und -chemiker kann es einen neuen Blick auf viele bekannte Phänomene seiner täglichen Arbeit eröffnen.

 

Münster in 2018, Ulrich Poth

Winterthur in 2021, Martin Winkler

Redaktionelle Anmerkung

Ulrich Poth, der auch in seinem Ruhestand weiter auf dem Gebiet der Farben und Lacke aktiv mitwirkte und sein Wissen gerne weitergab, konnte dieses vorliegende Buch Leistungsstarke Lacke formulieren nicht mehr beenden und so übernahm Martin Winkler, Professor an der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, das Manuskript und rundete es mit seinem Wissen ab.

Inhaltsverzeichnis

Auf ein Wort

1 Einführung und Definitionen

1.1 Bestandteile von Lacken

1.2 Abscheidung von Lacken

2 Verarbeitungsfähiger Zustand

2.1 Der flüssige Zustand: Lösungen und Dispersionen

2.1.1 Viskosität

2.1.2 Lösemittel

2.2 Wässrige Lösungen

2.3 Wässrige Dispersionen: Suspensionen und Emulsionen

2.4 Methoden zur Stabilisierung von Dispersionen

2.4.1 Elektrostatische Stabilisierung

2.4.2 Sterische Stabilisierung

2.5 Herstellung von Dispersionen

2.6 Viskosität wässriger Dispersionen

2.7 Nichtwässrige Dispersionen

2.8 Aerosole

2.9 Viskosität und Applikationsfestkörper

2.10 VOC-Regelungen

2.11 Verringerung des Lösemittelanteils

2.11.1 High-Solids

2.11.2 Wasserbasierte Systeme

2.11.3 100 %-Systeme

3 Herstellung und Lagerung von Lacken

3.1 Dispergieren

3.1.1 Dispergieren von Pigmenten und Füllstoffen

3.1.2 Dispergieraggregate

3.1.3 Pigmentpasten

3.1.4 Pulverlacke

3.1.5 Dispergieren von Effektstoffen

3.2 Mischprozesse

3.2.1 Rührvorgänge

3.2.2 Modulare Fertigungskonzepte

3.3 Lagerung

3.3.1 Flokkulation

3.3.2 Absetzen

3.3.3 Viskositätsänderung

3.3.4 pH-Wert-Änderung

3.3.5 Vermeidung der Hautbildung

3.3.6 Konservierung wässriger Beschichtungsstoffe

4 Applikation

4.1 Substrate

4.2 Applikationsverfahren

4.2.1 Tauchlackieren

4.2.2 Fluten, Gießen

4.2.3 Rakeln

4.2.4 Spritzen

4.2.5 Walzen

4.3 Benetzung

4.3.1 Oberflächenspannung, Oberflächenenergie

4.3.2 Spreitung

4.3.3 Einflüsse auf die Benetzung

5 Applikationseigenschaften

5.1 Verlauf

5.1.1 Orangenhaut

5.1.2 Bénard-Zellen

5.1.3 Einfluss der Viskosität

5.1.4 Verlaufsadditive

5.2 Ablaufverhalten

5.2.1 Applikationstechnik

5.2.2 Rheologie

5.3 Kantenflucht

5.4 Glanz

5.5 Appearance

5.6 Fülle

5.7 Überlackierbarkeit

5.8 Krater

5.9 Entlüftung/Kocher

6 Filmbildung

6.1 Physikalische Trocknung

6.1.1 Physikalische Trocknung Lösemittel enthaltender Beschichtungsstoffe

6.1.2 Physikalische Trocknung Wasser enthaltender Beschichtungsstoffe

6.1.3 Filmbildung bei wässrigen Dispersionen

6.1.4 Filmbildung bei nichtwässrigen Dispersionen

6.2 Chemische Filmbildung (Vernetzung)

6.2.1 Voraussetzung für die Vernetzung

6.2.2 Aufbau vernetzter Moleküle

6.3 Struktur-Eigenschaftsbeziehungen in Beschichtungsstoffen

6.3.1 Molekularer Aufbau von Polymeren

6.3.2 Schmelzpunkt und T

6.3.3 Beeinflussung der Glasübergangstemperatur

6.4 Physikalische Beschreibung von Netzwerken

6.4.1 Mechanische Eigenschaften von Netzwerken

6.4.2 Unter- und Übervernetzung

6.4.3 Interpenetrierende Netzwerke

6.4.4 Vernetzung bei wässrigen Bindemitteln

6.5 Wichtige Vernetzungsreaktionen und deren Anwendung

6.5.1 Molmasse und Molmassenverteilung

6.5.2 Einteilung der Vernetzungsreaktionen

6.5.3 Kondensationsreaktionen

6.5.4 Additionsreaktionen

6.5.5 Polymerisationsreaktionen

7 Farbe und Effekte

7.1 Farbe

7.2 Absorption und Streuung

7.3 Anorganische und organische Pigmente

7.3.1 Anorganische Pigmente

7.3.2 Organische Pigmente

7.4 Dispergierung von Pigmenten

7.5 Pigmentkonzentration

7.6 Effektpigmente und Effektbildung

7.6.1 Aluminiumpigmente

7.6.2 Interferenzpigmente

8 Gebrauchseigenschaften von Lackfilmen

8.1 Härte und Flexibilität

8.1.1 Ausdehnung der molekularen Netzwerke

8.2 Mechanische Beständigkeiten

8.3 Haftung

8.3.1 Haftungstests

8.3.2 Vorbehandlung

8.3.3 Zwischenhaftung

8.4 Lösemittel- und Chemikalienbeständigkeit

8.5 Korrosionsschutz-Eigenschaften

8.5.1 Grundsätzliches zur Korrosion

8.5.2 Korrosionsschutzbeschichtungen

8.6 Wetterbeständigkeit

8.6.1 Belastung durch UV-Strahlung

8.6.2 Lichtschutzmittel

8.7 Temperaturbeständigkeit

9 Versuchsplanung und Fehleranalyse

10 Neuere Entwicklungen in der Lackchemie

10.1 Effektpigmente

10.2 Funktionelle Beschichtungen – Selbstheilung

10.2.1 Selbstheilung durch Verkapselung von reaktiven Komponenten

10.2.2 Selbstheilung durch (reversible) physikalische oder chemische Vernetzung von Polymeren

10.3 Funktionelle Beschichtungen – Selbstreinigung

10.3.1 Lotus-Effekt

10.3.2 Superhydrophile Beschichtungen und Photokatalyse

10.4 Antifog-Beschichtungen/hydrophile Beschichtungen

10.5 Antifouling-Beschichtungen

10.5.1 Aktive Antifouling-Beschichtungen

10.5.2 Hydrophobe, ablösungsfördernde Beschichtungen

10.5.3 Hydrophile, anhaftungsverhindernde Oberflächen

10.5.4 Trends in der Antifouling-Beschichtung

10.6 Flüssigkeitsgefüllte Beschichtungen – SLIPS

10.7 Bioabbaubare Beschichtungen und Beschichtungsmaterialien aus nachwachsenden Rohstoffen

10.7.1 Öle

10.7.2 Cellulose und Stärke

10.7.3 Lignin

10.7.4 Proteine

11 Ausblick

Literaturverzeichnis

Autoren

Stichwortverzeichnis

1Einführung und Definitionen

Beschäftigt man sich mit Beschichtungstechnologie und insbesondere Lacktechnologie trifft man auf einige zentrale Begriffe, die in diesem Kapitel zum Einstieg kurz definiert werden sollen. Der zu definierende Begriff ist dabei in fett gedruckt.

Der Begriff „Lack“ stammt vermutlich von dem altindischen Begriff „lākṣá“(1). Der Begriff Lack bezog sich ursprünglich nur auf glänzende Klarlacke, wird jetzt aber verallgemeinernd angewandt.

Lackiert wird schon seit langer Zeit. Lackschichten hatten dabei zwei Funktionen zu erfüllen: Dies war und ist zum einen „Schutz“ z.B. vor Korrosion und zum anderen „Dekoration“, insbesondere die Farbgebung von zu beschichtenden Objekten.

Erst in neuester Zeit wurde dieses Eigenschaftsspektrum um die sogenannten „funktionalen Lacke“ erweitert. Darunter versteht man Lacke, die andere Funktionen als Schutz und Dekoration erfüllen müssen. Dies können z.B. Gleiteigenschaften sein, Easy-to-clean- oder auch Antibeschlagbeschichtungen.

Vor allem im Bereich der Bautenlacke wird für einige der Materialien der Begriff „Farbe“ anstatt von Lack verwendet. Hier kommt der Aspekt der Dekoration auch sprachlich zum Ausdruck. Trotzdem ist „Farbe“ im physikalischen Sinn etwas anderes, er beschreibt den subjektiven Sinneseindruck, den das menschliche Auge durch die Remission von unterschiedlichen Wellenlängenbereichen des sichtbaren Lichts von Objekten erhält. Unter Remission wird die Rückstreuung oder Reflexion von eingestrahltem Licht an einer Oberfläche verstanden, nachdem diese mit dem eingestrahlten Licht gewechselwirkt hat [2].

Ein Beschichtungsstoff kann unterschiedlich aufgetragen werden. Bei Lacken dominiert die Auftragung aus der flüssigen Phase. Selbst bei den als Pulver abgeschiedenen Pulverlacken geschieht die Fixierung des Lackes über einen flüssigen Zustand, der Schmelze. Im Gegensatz zu anderen Beschichtungsstoffen, werden bei Lacken im Wesentlichen organische Polymere aufgetragen. Diese bilden nach der Trocknung des Lackes einen Film. Der Begriff „Film“ leitet sich aus dem Englischen von dem Begriff für „dünne Haut“ ab und ist verwandt mit dem Begriff „Fell“ [3]. Den Prozess der Ausbildung der Lackschicht nennt man „Filmbildung“.

Der Film kann durch physikalische Trocknung, chemische Reaktionen von Polymermolekülen untereinander, der sogenannten „Vernetzung“, oder auch durch den Aufbau von vernetzten Makromolekülen aus kleinen Molekülbausteinen ausgebildet werden. Beschichtungen können auch aus mehreren Filmschichten aufgebaut sein. In der Regel liegen die Filmdicken im Bereich von wenigen Mikrometern (z.B. bei Sol-Gel-Schichten) über wenige zig Mikrometer bei Flüssiglackschichten bis hin zu einigen hundert Mikrometern im Fall von Pulverlacken.

1.1Bestandteile von Lacken

Lacke bestehen aus unterschiedlichen Komponenten in wechselnden Anteilen: aus „Bindemitteln“, ggf. Pigmenten, Füllstoffen, und Effektstoffen, aus Lösemitteln, Dispersionsmitteln und aus Additiven.

Die „Bindemittel“ (heute eher „Filmbildner“ genannt) bilden dabei nicht nur – wie der Name ursprünglich aussagt – das Verteilungsmedium für die Pigmente, Füllstoffe und ggf. noch für die Effektstoffe, sondern sind mit ihren unterschiedlichen Zusammensetzungen und Strukturen die Basis für die Eigenschaften des Films: So beeinflusst das Bindemittel z.B. die Haftung, die Flexibilität, die Härte, den Glanz, die Beständigkeiten gegen Lösemittel oder Chemikalien, Wasser und Bewitterung. Es bildet den eigentlichen Träger der Filme. Die Bindemittel in den Filmen bestehen aus „Polymeren“. Polymere sind Großmoleküle, die aus mindestens einigen oder vielen kleineren Bausteinen, den „Monomeren“, aufgebaut werden. Dabei sind die Polymere so groß, dass eine weitere Hinzufügung eines Monomers zum Polymer keine wesentliche Änderung der Eigenschaften mehr hervorruft.

Nach Auftragung des Beschichtungsstoffes muss dieser getrocknet werden. Dazu unterscheidet man zwei grundsätzliche Arten der Trocknung: Bei der physikalischen Trocknung werden die Lösemittel oder die Dispersionsmittel abgegeben (siehe Kapitel 6.1). Die chemisch nicht veränderten Bindemittel (Polymere) bilden die Filmmatrix, in der nichtflüchtige Additive, dabei auch Weichmacher, ggf. Pigmente und Füllstoffe eingebettet sind.

Bei der chemischen Trocknung gibt es auch Bindemittel, die erst nach der Applikation durch chemische Reaktionen Großmoleküle (Polymere) bilden. Dabei ist es das Ziel, die einzelnen Moleküle in alle Raumrichtungen untereinander zu verbinden. Dieser Vorgang wird als „Vernetzung“ (chemische Filmbildung) bezeichnet (siehe Kapitel 6.2). Lacksysteme, die auf Bindemitteln aufbauen, welche durch Vernetzung Filme bilden, werden hier als „Reaktionslacke“ bezeichnet. Die Bindemittel für Reaktionslacke können durchaus aus vergleichsweise kleinen Molekülen bestehen. Dies können Monomere, Oligomere oder Präpolymere sein. Als „Monomer“ bezeichnet man den kleinsten Baustein eines Polymers. Finden sich mehrere Monomere zu einem größeren Molekül zusammen, spricht man von einem „Oligomer“. Wachsen die Oligomere weiter und werden die Kettenlängen so groß, dass die weitere Anlagerung eines Monomers oder Oligomers keinen Unterschied in den physikalischen Eigenschaften des resultierenden Moleküls mehr ausmacht, spricht man von einem „Polymer“. Ein Polymer, dessen Molekülgröße (Molmasse) noch relativ klein ist und das in einem weiteren Vernetzungsschritt zu einem dreidimensional vernetzten Polymer aufgebaut werden kann, bezeichnet man auch als „Präpolymer“. Die Begriffe werden allerdings in der Literatur nicht scharf gegeneinander abgetrennt.

„Pigmente“ sind im Gegensatz zu „Farbstoffen“ Feststoffe, die weder in den üblichen Lösemitteln noch in wässrigen Medien oder Polymeren löslich sind. Als Feststoffe besitzen sie, vor allem bei anorganischen Pigmenten, in der Regel von der Matrix verschiedene Brechungsindizes. Deshalb werden Teile des eingestrahlten Lichts (bestimmte Wellenlängenbereiche zwischen 400 und 750 nm) im Partikel absorbiert, andere dagegen am Partikel gestreut, was zur Deckkraft und zum Farbeffekt beiträgt. Farbstoffe dagegen sind löslich und absorbieren bestimmte Farben des sichtbaren Lichts, während die anderen vom Untergrund reflektiert werden und damit den Eindruck von Farbe ergeben (siehe Kapitel 7.1 bis 7.2).

„Füllstoffe“ sind pigmentähnliche Produkte, die aber sichtbares Licht weder absorbieren noch streuen, weil sie Brechungsindizes besitzen, die denen der Bindemittel der Filmmatrix ähnlich sind. Sie ergeben „Fülle“ (Tiefenwirkung) oder erfüllen bestimmte andere Funktionen, die zu den geforderten Eigenschaften der Lackfilme beitragen.

„Effektstoffe“ (Effektpigmente) sind pigmentähnliche Stoffe, die das einfallende Licht in Abhängigkeit des Betrachtungswinkels (und der Wellenlänge des Lichts) unterschiedlich reflektieren (Kapitel 7.6).

„Lösemittel“ sind organische Flüssigkeiten, die mit den Bindemittelmolekülen in Wechselwirkung treten können und sich so zwischen diese schieben können, das Polymer quasi „lösen“ und in einen flüssigen Zustand bringen, aus dem die Applikation erfolgen kann. Bei der Ausbildung von Filmen sollen diese Lösemittel effektiv verdampfen (siehe physikalische Trocknung, Kapitel 6.1).

„Dispergiermittel“ sind Moleküle, die helfen, die Bindemittelteilchen in einer anderen Phase(2), dem Dispersionsmittel wie z.B. Wasser, effektiv und stabil zu verteilen. Sie helfen damit, die Polymere im anderen Medium zu dispergieren. In einer Dispersion liegt das Bindemittel nicht gelöst, sondern als Feststoff (Suspension) oder als Flüssigkeit (Emulsion) im Dispersionsmittel vor. Das wichtigste Dispersionsmittel ist Wasser. Es gibt auch nicht wässrige Dispersionen (NADs, non-aqueous dispersions). Natürlich sollen auch die Dispersionsmittel bei der physikalischen Trocknung effektiv verdampfen.

Zur Verbesserung des Eigenschaftsprofils einer Lackformulierung werden dieser „Additive“ zugesetzt, die in meistens kleineren Anteilen positiv auf die Eigenschaften der Lacke und die Bildung oder die Eigenschaften von Lackfilmen wirken. Neben den erwähnten Dispergiermitteln zählen auch Netzmittel, Verlaufsmittel, Entlüftungsmittel, Rheologiemittel, Vernetzungskatalysatoren und Initiatoren, Antiabsetzmittel und Mittel zur Vermeidung des Ablaufens, Inhibitoren und Lichtschutzmittel zu den Additiven. „Weichmacher“ sind Additive, die in größeren Anteilen zugesetzt werden und sich dann zwischen die Polymerketten der Filmmatrix einlagern und dort auch verbleiben.

1.2Abscheidung von Lacken

Lacke werden normalerweise aus der flüssigen Phase abgeschieden. Dies können z.B. Lösungen oder Dispersionen von Polymeren sein.

Typische Auftragsmethoden sind: Rakeln, Sprühen, Rollen, Pinseln, Tauchen, Fluten (siehe Kapitel 4.2). Eine Besonderheit stellen die „Pulverlacke“ dar, die im dem festen Zustand als Pulver auf dem Substrat appliziert werden, dann in die Schmelze überführt werden und so über die flüssige Phase (Schmelze) einen Film bilden.

Im Weiteren werden die verschiedenen Phänomene beschrieben, die bei der Herstellung von Lacken bei der Filmbildung für die Eigenschaften von Filmen eine Rolle spielen. Dabei sollen hauptsächlich die chemischen und physikalischen Hintergründe beleuchtet werden, die zur Ausbildung bestimmter Eigenschaften des erhaltenen Films führen.

(1)Die Herkunft des Wortes ist nicht ganz sicher. Wahrscheinlich gelangte es über das Sanskrit-Wort lākṣā „roter Lack“ in den deutschen Sprachraum. Dieses geht auf dieindoeuropäische Wurzel *reg- „färben, röten“ zurückführt. Vgl. altindisch ráyjati „färbt sich, rötet sich“[1].(2)Unter einer „Phase“ versteht man einen chemisch und physikalisch einheitlichen Stoff. Eine Phase zeichnet sich gegenüber einer anderen Phase durch eine w„Phasengrenze“ aus. Z.B. Wasser/Öl oder Lösemittel/Pigment oder im oben beschriebenen Fall Wasser/Bindemittelteilchen

2Verarbeitungsfähiger Zustand

2.1Der flüssige Zustand: Lösungen und Dispersionen

Auch wenn Kunststoffe fest erscheinen, so sind Polymere normalerweise im physikalischen Sinn keine Festkörper mit geordneten Kristallstrukturen und einem klaren Schmelzpunkt. Da die Molekülketten in einem Polymer ungeordnet vorliegen, lassen sie sich eher als Flüssigkeiten mit sehr hohen (bis zu praktisch unendlich hohen) Viskositäten beschreiben [4]. Dies hat Auswirkungen auf die Eigenschaften von ausgehärteten Lackfilmen, auf die im Kapitel 8 näher eingehen wird.

Will man Polymere als Lacke verarbeiten, muss man sie in eine verarbeitungsfähige Form bringen. Dies ist in der Regel der flüssige Zustand. Dazu gibt es im Wesentlichen drei Möglichkeiten:

Auflösen des Polymers in einem geeigneten Lösemittel.

Dispergieren des Polymers in einem geeigneten Dispersionsmittel, meistens Wasser.

Fluidisieren von Polymerpartikeln in einem Luftstrom.

Alle drei Möglichkeiten sowie die nötigen Voraussetzungen dazu sollen im Folgenden näher betrachtet werden.

Beim Auflösen eines Festkörpers in einem Lösemittel (z.B. Salz oder Zucker in Wasser) dringt das Wasser in die geordnete Gitterstruktur des Feststoffs ein, wenn das Lösemittel in der Lage ist, starke Wechselwirkungen mit den Ionen oder Molekülen des Festkörpers auszubilden. Dabei lagern sich die Lösemittelmoleküle um die Ionen oder Moleküle des Festkörpers so an, dass diese Wechselwirkungen maximal werden. Man spricht von der „Solvatation“ eines Festkörpers durch das Lösemittel. Dabei entstehen vom Lösemittel umgebene Solvate von Ionen oder Molekülen, die dann in freien Lösemittelmolekülen beweglich sind. So gebildete Lösungen erscheinen optisch als homogene Flüssigkeiten. Durchgestrahltes Licht wird daran nicht gestreut. Auch bei Polymeren können geeignete Lösemittel mit den Polymerketten Wechselwirkungen ausbilden. Dies führt in einem ersten Schritt dazu, dass sich die Lösemittelmoleküle zwischen die Polymerketten schieben, es kommt zur Quellung des Polymers. Bei weiterer Zugabe von Lösemittel dringt so viel Lösemittel zwischen die Polymerketten, dass sich diese teilweise voneinander lösen. Im Unterschied zu Lösungen von niedrig molekularen Verbindungen sind Lösemittel nicht in der Lage, den Molekülverband der Polymeren vollständig aufzulösen und mit einzelnen Molekülen Solvate zu bilden. So bleiben in Polymerlösungen Cluster von Polymermolekülen (Assoziate) bestehen, die von Lösemittelmolekülen umhüllt und zum Teil auch durchdrungen werden. Diese sind in den Lösemittelmolekülen frei beweglich. Die in solchen Lösungen enthaltenden Molekülknäuel werden als Kolloide bezeichnet und die sie enthaltenden Lösungen als „kolloidale Lösungen“ (siehe Abbildung 2.1).

Abbildung 2.1: Modell einer kolloidalen Lösung

 

Obwohl kolloidale Lösungen homogen erscheinen, wird durchgestrahltes Licht aufgrund der Größe der Assoziate an diesen gestreut. (Tyndall-Effekt).

2.1.1Viskosität

Die Viskosität kolloidaler Lösungen verhält sich oft anders als die der molekularen Lösungen. Unter der „Viskosität“ versteht man die „Fließfähigkeit“ eines Stoffes [5]. Man kann sich dies an Abbildung 2.2 verdeutlichen.

Abbildung 2.2: Herleitung des Viskositätsbegriffs über die Scherung von Moleküllagen

 

Dabei wird davon ausgegangen, dass jeder fließfähige Stoff aus Moleküllagen besteht, die sich gegeneinander verschieben lassen. Schert man nun das Material zwischen zwei Platten mit einer definierten Kraft, so werden sich die Moleküle des Stoffes beginnen gegeneinander zu verschieben.

Unter der „Schubspannung“τ versteht man also die aufgewandte Scherkraft (F) über der gesamten Fläche (A).

τ F⃗A

Gleichung 2.1

 

Die Moleküllagen direkt an der Platte werden sich dabei schneller verschieben als die Lagen weiter im Inneren des Stoffes. Es entsteht damit innerhalb des Stoffes ein „Schergefälle“ (γ̇ ). Heute wird statt Schergefälle lieber der Begriff „Scherrate“ verwendet. Unter der Scherrate versteht man die differentielle Änderung der Fließgeschwindigkeit (dv) der einzelnen Moleküllagen über die Schichtdicke der Flüssigkeit (dh).

γ̇ dvdh

Gleichung 2.2

 

Für Moleküllösungen (Newton’sche Lösungen) beobachtet man, dass die Kraft F (und damit τ ) proportional zur Scherrate ist.

τ∝ dvdx γ̇

Gleichung 2.3

 

Die Proportionalitätskonstante bezeichnet man mit η und nennt sie die dynamische Viskosität. Unter der dynamischen Viskosität versteht man damit den Quotienten aus der Schubspannung (τ) und dem Schergefälle (γ̇). Ihre Einheit ist Pa⋅s.

η τγ̇

Gleichung 2.4

 

Gleichung 2.4 wird auch Newtonsches Gesetz(3) genannt. Bei reinen Flüssigkeiten und Lösungen niedrigmolekularer Verbindungen ist die Viskosität (η) unabhängig von der Scherrate (γ̇). D.h., die Viskosität ändert sich bei unterschiedlichen Scherraten nicht. Solche Flüssigkeiten werden als newtonisch bezeichnet. Allerdings folgt die Viskosität kolloidaler Lösungen meistens nicht dem Newtonschen Gesetz, ist also nicht von der Scherrate unabhängig. Aufgrund der Wechselwirkung der vergleichbar großen Kolloidteilchen untereinander, zeigen diese Lösungen eine Strukturviskosität (pseudoplastisches Verhalten), bei der die Viskosität mit steigendem Schergefälle fällt. Die Lösung wird also bei stärkerem Scheren immer dünnflüssiger. Das beruht darauf, dass durch die Scherung die Wechselwirkungen zwischen den Molekülknäueln mehr und mehr überwunden werden. Dieses Verhalten begegnet einem im täglichen Leben z.B. in der Küche, wenn man eine Sauce abbindet oder Pudding aufrührt. In diesen Fällen wird die hohe Viskosität von langen Stärkepolymermolekülen hervorgerufen.

Bestimmte kolloidale Lösungen besitzen eine Fließgrenze. Unterhalb dieser sind die Polymerknäuel nicht in Bewegung, es ist erst eine bestimmte Scherung notwendig, bevor solche Lösungen überhaupt beweglich werden. Dies kennt man z.B. von Joghurt oder Quark. Unterhalb einer gewissen Schergeschwindigkeit fährt der Löffel durch die Substanz, ohne dass diese gerührt wird. Dies ist erst ab hohen Schergeschwindigkeiten (z.B. Mixer) der Fall. Der Zustand der zunächst unbeweglichen Lösung wird als Gel bezeichnet.

Bei Zurücknahme der Scherung stellen sich die Wechselwirkungen zwischen den Molekülknäueln der kolloidalen Lösung wieder ein und die Viskositätswerte steigen wieder an. Wenn dies mit einer bestimmten merklichen zeitlichen Verzögerung stattfindet, wird dieses Verhalten als Thixotropie bezeichnet. Abbildung 2.3 zeigt das unterschiedliche Viskositätsverhalten kolloidaler Lösungen.

Abbildung 2.3: Unterschiedliches Viskositätsverhalten kolloidaler Lösungen

 

Neben der dynamischen Viskosität η wird oft auch noch die kinematische Viskosität ν benutzt:

ν ηρ

Gleichung 2.5

 

Messtechnisch werden die Viskositäten meistens in sogenannten Rheometern oder auch Viskosimetern untersucht. Dabei erlauben Rheometer in der Regel genauere Aussagen und werden deshalb gern in Entwicklungslabors eingesetzt, während Viskosimeter eher in der Qualitätssicherung Verwendung finden.

In der Produktion wird die Viskosität meistens über die „Auslaufzeit“ aus einem „Auslaufbecher“ gemessen. Ein Auslaufbecher ist ein Becher mit einem definierten Volumen, in dessen Boden ein Loch mit einem definierten Durchmesser gebohrt ist. Wird das Loch nun verschlossen und der Becher mit Lack gefüllt, kann beim Lösen des Verschlusses die Zeit bis zum Leerlaufen des Bechers gestoppt werden. Dies erlaubt damit einen Rückschluss auf die Viskosität des Füllmaterials. Angegeben wird die Auslaufzeit als Synonym für die Viskosität.

Je nach Branche und Viskositätsbereich werden unterschiedliche Auslaufbecher benutzt. So gibt es DIN-, ISO-, und FORD- (ASTM) Becher. Die Auslaufzeiten können näherungsweise ineinander umgerechnet werden (siehe Abbildung 2.4).

Die Viskositätswerte sind deutlich von der Temperatur abhängig. Die Standardtemperatur war in Deutschland zunächst 20 °C und ist jetzt 23 °C. Auf alle Fälle sollte die Temperatur bei den Messwerten angegeben werden.

Abbildung 2.4: Zusammenhang zwischen kinematischer Viskosität, der DIN-Viskosität und ISO-Viskosität

 

Die Angaben der Auslaufviskosität nach der zurückgezogenen Norm DIN 53211[6] werden aktuell noch immer benutzt. Ersetzt wurde diese Norm durch ISO 2431 [7]. Damit wird die Viskosität aber nur bei einer sehr tiefen Scherrate erfasst. Dies ist für die Produktionsprozess aber meistens ausreichend.

Für Flüssigkeiten, deren Viskositäten deutlich von der Scherrate abhängig sind, ist die Angabe einer Auslaufviskosität daher unpräzise. So sollten z.B. für wässrige Lacke Rotationsviskosimeter verwendet und bei unterschiedlichen Scherraten gemessen werden. Das ist natürlich mit einem besonderen Aufwand für das Gerät und die Interpretation der Messwerte verbunden.

Das Viskositätsverhalten der Lösungen ist insbesondere für die Applikation wichtig. Bei vielen Applikationsverfahren wirken hohe Scherkräfte. Verhält sich die Polymerlösung strukturviskos, kommt es aufgrund der geringeren Viskosität bei hoher Scherkraft zu einer besseren Verteilung der Flüssigkeit. Höhere Viskositäten sind von Vorteil, wenn eine große Menge Polymermaterial aufgetragen werden soll, ohne dass sich Läufer bilden. (siehe Kapitel 5.2). Setzt man ein thixotropes Material als Beschichtungsstoff ein, kann bei der Applikation aufgrund der bei hohen Scherraten tiefen Viskosität während der Applikation ein guter Verlauf erreicht werden. Fällt die Scherung des Materials nach der Applikation weg, baut sich die Viskosität mit einer zeitlichen Verzögerung wieder auf, was Läuferbildung des Materials verhindert. So kann guter Verlauf mit hoher Viskosität bei tiefer Scherung erreicht werden.

Die Viskosität organischer Lösungen ist generell stark von der Temperatur und der Konzentration des Polymers abhängig. Lacktechnisch wird die Konzentration des Polymers im Lösemittel immer noch nach der Bestimmungsmethode der Differenzwägung vor und nach einem Trocknungsvorgang bis zur Gewichtskonstanz, als Festkörper bezeichnet, obwohl inzwischen der Begriff 'nichtflüchtiger Anteil' (nfA) der offiziell gültige ist [8]. Allerdings gehören in einem formulierten Lacksystem zum nfA ebenfalls Pigmente und Füllstoffe. Der nfA einer Harzlösung wird in Prozent angegeben.

2.1.2Lösemittel

Die für Beschichtungsstoffe verwendeten Lösemittel sind durch ihre Verdunstungsgeschwindigkeit, und vor allem durch ihre Lösefähigkeiten charakterisiert. Die „Lösefähigkeit“ beschreibt die Fähigkeit der Lösemittelmoleküle, mit den Bindemittelmolekülen in Wechselwirkung zu treten, d.h. Solvate auszubilden. Je mehr Lösemittelmoleküle sich an die Bindemittelmoleküle anlagern, desto größer ist deren Lösefähigkeit. Die Größe dieser Wechselwirkung ist sowohl von der Struktur der Bindemittelmoleküle als auch von der Struktur der Lösemittelmoleküle abhängig.

Bereits im späten Mittelalter soll Paracelsus den berühmten Satz "Similia similibus solvuntur" ("Gleiches [eigentlich Ähnliches] löst sich in Gleichem") geprägt haben [9]. Es ist immer wieder versucht worden, diese Aussage zu präzisieren oder sogar zu quantifizieren.

Ein sehr gebräuchliches Einordnungsprinzip der Lösefähigkeit erfolgt nach der Polarität der Moleküle. Die Ursache für die Polarität liegt in der unterschiedlichen Elektronegativität von Atomen. Elektronegative Atome ziehen Bindungselektronen mehr zu sich, so dass an diesen Atomen ein negativer Pol (Elektronenüberschuss) entsteht, an den daran gebundenen Atomen ein positiver Pol (Elektronenunterschuss). Damit erhält das Molekül zwei unterschiedliche Pole (positiv und negativ), es ist ein Dipol. Die Messgröße stellt das Dipolmoment dar. Je größer das Gesamtdipolmoment eines Moleküls ist, desto polarer ist es.

Lösemittel und auch Bindemittel lassen sich nach ihrer (fallenden) Polarität ordnen, aufgelistet in Tabelle 2.1. Es versteht sich, dass sich die Bereiche der Polaritäten überschneiden.

Tabelle 2.1: Relative Polaritäten wichtiger Löse- und Bindemittelklassen

Lösemittel, geordnet absteigende Polarität

Bindemittel geordnet absteigende Polarität

N-Methylpyrrolidon

Polyether

Dimethylformamid

Phenolharze

Phenole

Aminoharze

Alkohole

Polyurethane

Glykolether

Epoxidharze

Ketone

gesättigte Polyester

Glykoletherester

Acrylatharze

Ester

ungesättigte Polyester

Aromatische Kohlenwasserstoffe

Alkydharze

Terpenkohlenwasserstoffe

Öle

Aliphatische Kohlenwasserstoffe

 

Polare Bindemittel benötigen demnach polare Lösemittel, um stabile Lösungen zu erzeugen und unpolare Bindemittel benötigen unpolare Lösemittel.

Zur Quantifizierung des Löseverhaltens wurden sogenannte Löslichkeitsparameter entwickelt: Joel H. Hildebrand befasste sich schon seit 1916 mit der Löslichkeit von Nichtelektrolyten und definierte 1936 die nach ihm benannten Löslichkeitsparameter [10], [11]. Da die Polarität sowohl die Siedetemperatur eines Stoffes als auch dessen Lösevermögen stark beeinflusst, leitete er das Löslichkeitsvermögen von der Kohäsionskraft der Moleküle untereinander ab, die sich in der Verdampfungsenthalpie (und damit dem Siedepunkt) äußert. Dieser Kohäsionsindex (δ) ist nach Hildebrand die Quadratwurzel aus der Verdampfungsenthalpie (ΔHυ) bis in den Zustand eines idealen Gases (R · T) bezogen auf das Volumen (Vm) eines Stoffes (Gleichung 2.6):

δ ΔHν-R ∙TVm

Gleichung 2.6

 

Die dabei erhaltenen Zahlenwerte können in zwei verschiedenen Dimensionen angegeben werden. Beispiele für einige Lösemittel finden sich in Tabelle 2.2.

Tabelle 2.2: Beispiele von Löslichkeitsparametern nach Hildebrand, geordnet von unpolar nach polar. In der zweiten Spalte ist δ in der Form von Energiedichten angegeben, in der dritten Spalte in der neueren Form (Si-Einheiten) des kohäsiven Drucks. Praktischerweise sind die Zahlenwerte der Si-Einheiten ungefähr doppelt so hoch wie die der älteren Einheiten [11]

Lösemittel

δ [cal1/2 cm−3/2]

δ[MPa1/2]

Lösemittel

δ [cal1/2 cm−3/2]

δ[MPa1/2]

n-Pentan

7,00

14,4

Aceton

9,77

19,9

n-Hexan

7,24

14,9

Propanol-2

11,60

23,8

Diethylether

7,62

15,4

Ethanol

12,92

26,5

Ethylacetat

9,10

18,2

Ethylenglykol

29,90

33,0

Dichlormethan

9,93

19,8

 

Nach Hildebrand lösen sich am besten die Stoffe ineinander, die eine vergleichbare Größe des Löslichkeitsparameters haben. Leider lassen sich aufgrund dieser Annahmen die Löslichkeiten von Polymeren in Lösemitteln nicht immer zufriedenstellend voraussagen.

Später stellte Charles M. Hansen in seiner Doktorarbeit 1967 eine dreidimensionale Definition des Löslichkeitsparameters auf [11], [12], [13]. Im Gegensatz zu Hildebrand führt Hansen die Löslichkeit auf alle bekannten Arten der zwischenmolekularen Kräfte zurück. Diese sind: 1. DispersionswechselwirkungenδD (van-der-Waals-Kräfte, London’sche Kräfte), 2. Dipol-Dipol-WechselwirkungenδP, 3. WasserstoffbrückenδH. Das Quadrat des Löslichkeitsparameters (δ) nach Hansen resultiert aus der Summe der Quadrate dieser Wechselwirkungen.

Definition der Löslichkeitsparameter nach Hansen:

δ δD2+δp2+δH2

Gleichung 2.7

 

Durch Vergleich der δ-Werte kann man nun voraussagen, ob sich zwei Stoffe ineinander lösen, oder nicht. Ist der Unterschied Δδ der beiden Stoffe gering, so lösen sie sich ineinander. Ist er groß, bilden sich zwei Phasen.

Bei Lösungsmittelgemischen errechnet sich der δ-Wert des Gemisches anteilig aus den δ-Werten der einzelnen Stoffe. Tabelle 2.3 enthält die Hansen-Parameter einiger wichtiger Lösemittel[11].

Tabelle 2.3: Beispiele von Löslichkeitsparametern nach Hansen

Lösemittel

δD

δP

δH

Lösemittel

δD

δP

δH

n-Heptan

15,3

0

0

Dichlormethan

18,2

6,3

6,1

n-Hexan

14,9

0

0

Chloroform

17,8

3,1

5,7

Cyclohexan

16,8

0

0,2

Nitromethan

15,8

18,8

5,1

MIBK

15,3

6,1

4,1

NMP

18,0

12,3

7,2

MEK

16,0

9,0

5,1

DMF

17,4

13,7

11,3

Aceton

15,5

10,4

7,0

Methanol

15,1

12,3

22,3

Cyclohexanon

17,8

6,3

5,1

Ethanol

15,8

8,8

19,4

Ethylacetat

15,8

5,3

7,2

Propanol-2

15,8

6,1

16,4

n-Butylacetat

15,8

3,7

6,3

1-Butanol

16,0

5,7

15,8

Tetrahydrofuran

16,8

5,7

8,0

Ethylenglykol

17,0

11,0

26,0

Diethylether

14,5

2,9

5,1

Glycerin

17,4

12,1

29,3

Benzol

18,4

0

2,0

Butylglykol

16,0

5,1

12,3

Toluol

18,0

1,4

2,0

Butyldiglykol

16,0

7,0

10,6

o-Xylol

17,8

1,0

3,1

Wasser

15,5

16,0

42,3

Styrol

18,6

1,0

4,1

 

Trotz der offensichtlich hohen Bedeutung der Hansen-Parameter für die Lacktechnologie, werden diese Parameter bei der Lackformulierung oft nur wenig berücksichtigt. Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen sind in der Regel keine Löslichkeitsparameter von Bindemitteln für Beschichtungsstoffe verfügbar. Diese könnte man sich experimentell zumindest größenordnungsmäßig selbst bestimmen, wenn man die Polymere in Reinform isoliert und auf die Löslichkeiten in Lösemitteln mit bekannten Hansen-Parametern testet [14]. Der wichtigere Grund ist, dass Lösemittel für Beschichtungsstoffe nicht nur nach ihrer physikalischen Lösefähigkeit ausgewählt werden. Denn die lacktechnisch besten Lösemittel sind nicht die, die mit den Bindemittelmolekülen die größte Wechselwirkung eingehen, sondern die, die zwar lagerstabile Lösungen ergeben, aber bei einem gegebenen Festkörper (nfA) eine möglichst niedrige Viskosität aufweisen. Niedrige Viskositäten bei gegebenem Festkörper bedeuten im Umkehrschluss, dass für eine gegebene Viskosität ein hoher Gehalt an Festkörper erzielt werden kann. Dies bedeutet wiederum, dass ein hoher Auftragswirkungsgrad erzielt und der Anteil an organischen Lösemitteln (VOC, siehe Kapitel 2.10) gesenkt werden kann). Die physikalisch besten Lösemittel gehen jedoch mit den Bindemitteln die meisten Wechselwirkungen ein und bilden daher sehr viele und relativ große Kolloidteilchen, da die Lösemittelmoleküle in die Kolloidteilchen eindiffundieren können und diese quellen lassen („auffluten“). Da das Lösemittel mit den Polymerketten gut verträglich ist, können die Polymerketten leicht miteinander interagieren. Solche Lösungen haben dann bei einem gegebenen Festkörper die höchsten Viskositäten.

Neben der Einordnung der lacktechnisch verwendeten Lösemittel nach ihrer Polarität, kann man diese auch in die Kategorien „Löser“ und „Nichtlöser“ einteilen. Auch Nichtlöser finden in einer Lackrezeptur Anwendung: Gibt man zu einer stabilen organischen Lösung einen Nichtlöser hinzu, fällt die Viskosität der Lösung stärker ab, als wenn die gleiche Menge des ursprünglichen (guten) Lösemittels zugegeben wird. Die Nichtlöser werden deshalb auch als „Verdünnungsmittel“ bezeichnet. Der Effekt kommt zustande, da sich die Nichtlöser zwischen die Solvate aus Lösemitteln und Polymer schieben können und diese auf Abstand halten. Damit werden die Wechselwirkungen zwischen den Polymermolekülen minimiert, was in einer tieferen Viskosität resultiert. Dies ist in Abbildung 2.5 dargestellt.

Abbildung 2.5: Viskositätseffekte bei Zugaben von Löser und Nichtlöser

 

Bei Zugabe von zu viel Nichtlöser kann die Lösung allerdings instabil werden, das Bindemittel fällt aus. Eine Lackformulierung sollte also Lösemittel enthalten, die einerseits stabile Lösungen ergeben und andererseits bei einer gegebenen Viskosität (Applikationsviskosität) einen möglichst hohen Festkörper (nfA) besitzen. Es werden daher meistens Lösemittelmischungen verwendet.

Für die Auswahl der Lösemittel spielt auch das Applikationsverfahren eine große Rolle. Je nach Applikationsverfahren (Einbrennlacke, lufttrocknende Lacke) werden Lösemittel mit dazu passenden „Verdunstungszahlen“ ausgewählt. Die Verdunstungszahl beschreibt, um wieviel langsamer eine bestimmte Menge Lösemittel unter Standardbedingungen verdunstet als die gleiche Menge Diethylether, was eine sehr flüchtige Verbindung darstellt. Je höher also die Verdunstungszahl, desto schwerer flüchtig ist ein Lösemittel. Dadurch ist die Anzahl der verwendbaren Lösemittel ziemlich eingeschränkt, so dass aus diesem Grund die Lösemittelzusammensetzung meistens aus Erfahrungswerten besteht und ein Rechnungsverfahren aufwendig erscheint.

Die Verdunstungsgeschwindigkeit steht im Zusammenhang mit dem Siedebereich des Lösemittels (siehe Tabelle 6.1 in Kapitel 6.1.1). Dies bedeutet, dass unterschiedliche Lösemittel bei erhöhten Temperaturen auch unterschiedlich schnell verdunsten. Damit ändert sich aber auch die Polarität der Lösemittel während des Trocknungsprozesses. Dies kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass das Polymer während des Trocknungsprozesses nicht mehr mit dem Restlösemittel kompatibel ist, was zu Fehlern in der ausgehärteten Beschichtung führt.

Viele der früher häufig verwendeten Lösemittel sind inzwischen als gesundheitsschädlich, toxisch oder umweltgefährdend eingestuft. Ihre Verwendung ist deshalb nicht länger möglich oder die Verwendungsmengen sind eingeschränkt. Einige Lösemittel müssen ab einem bestimmten Gehalt in einer Formulierung gekennzeichnet werden. Deshalb wird man im Alltag häufig vor die Aufgabe gestellt, diese Lösemittel durch Mischungen von einigen erlaubten Lösemitteln zu ersetzen. Hier kann der oben erwähnte Ansatz der Rechnung über Hansen-Parameter gute Dienste leisten.

Außerdem besteht die Auflage, die Emission sämtlicher organischer Lösemittel zu begrenzen (VOC-Regelungen). Das führte zur Entwicklung festkörperreicher Lacke (High-Solids), wasserverdünnbarer Lacke und so genannter 100 %-Systeme (flüssige Lacke ohne Lösemittel und Pulverlacke).

2.2Wässrige Lösungen

Es gibt nur wenige Bindemittelbestandteile, die als solche wasserlöslich sind.(4) Trotzdem können alle Polymere prinzipiell über eine Funktionalisierung mit hydrophilen Gruppen wasserlöslich, bzw. zumindest wasserverdünnbar gemacht werden. Unter „hydrophilen Gruppen“ versteht man chemische Struktureinheiten, die aufgrund ihrer Polarität hohe Wechselwirkungen mit Wassermolekülen eingehen können. Dies sind Gruppen, die entweder selbst ein hohes Dipolmoment aufgrund der beteiligten Atome besitzen (z.B. Polyethylenglycol-Einheiten), Gruppen die Wasserstoffbrücken ausbilden können (wie z.B. die OH-Gruppe) oder Gruppen, die eine Ladung tragen (Ionen), da Ionen von Wasser sehr gut gelöst werden, man denke nur an die gute Wasserlöslichkeit von Salzen.

Unter „wässriger Löslichkeit“ wird verstanden, dass die Bindemittel als solche in einer wässrigen Phase gelöst werden können. „Wasserverdünnbarkeit“ dagegen bedeutet, dass das Bindemittel als solches nicht in Wasser löslich ist. Unter Verwendung von sog. „Colösemitteln“ kann jedoch zu solch einer (lösemittelhaltigen) Bindemittelpräparation Wasser hinzugegeben werden, ohne dass das Bindemittel ausfällt. Diese Lösemittel sind dabei wassermischbar und in der Lage, die Löslichkeit einer Bindemittelpräparation in Wasser zu vermitteln.

Die eingebrachten hydrophilen Gruppen werden hier als „Trägergruppen“ bezeichnet, weil sie das an sich hydrophobe Polymermolekülknäuel in der wässrigen Phase tragen. Sie bestehen entweder aus ionischen oder polaren, sterisch wirkenden Gruppen. Ionische Gruppen tragen entweder eine positive (Kationen) oder negative (Anionen) Ladung. Am häufigsten werden anionische Trägergruppen eingesetzt. Insbesondere sind dies Carboxylatgruppen ober Sulfonatgruppen. Als Gegenionen werden meistens Ammoniumionen oder Alkalikationen ausgewählt. Amine als die basische Form der Ammoniumionen besitzen den Vorteil, dass die beim Trocknen entstehenden Amine flüchtig sind und somit nicht im Polymer verbleiben (siehe Gleichung 2.8). Auch sind die dadurch im Polymer entstehenden Carboxylgruppen (Carbonsäuregruppen) deutlich weniger hydrophil als die ursprünglich vorhandenen (anionischen) Carboxylatgruppen. Beides wirkt sich positiv auf die gewünschte Wasserbeständigkeit der Filme aus.

Polymer-COO- + R`NH3+ ↓ Polymer-COOH + R`NH2↑

Gleichung 2.8

 

Kationische Trägergruppen werden durch eine Funktionalisierung der Bindemittel mit Aminogruppen (fast immer tertiäre Aminogruppen) gebildet, die dann mit flüchtigen organischen Säuren umgesetzt werden, wodurch sich Ammoniumgruppen bilden. Oder sie werden direkt als quartäre Ammoniumsalze in das Polymer eingeführt. Als Gegenionen fungieren bei der kationischen Funktionalisierung die deprotonierten Säuren (Carboxylate). Die Verdunstung der Säuren (z.B. Essigsäure) ist langsamer als die der meisten Amine. Sie werden daher in Einbrennlacken verwendet, die höhere Einbrenntemperaturen erfordern (z.B. Automobil-OEM-Grundierungen/Elektrotauchlacke).

Nichtionische Trägergruppen werden fast immer aus Polyethylenglykolen als polare Einheiten gebildet. Diese haben den Nachteil, dass sie nach der Filmbildung ihre Hydrophilie behalten.

Abbildung 2.6: Grundsätzliche Möglichkeiten, ein Polymer wasseraffin zu modifizieren

 

Die Möglichkeiten, ein Polymer hydrophil zu modifizieren sind in der Abbildung 2.6 nochmals zusammengefasst.

Dabei gilt es noch folgendes zu beachten: Anionische Gruppen sind als deprotonierte Säuren (konjugierte Basen der Säuren) aufzufassen. Dies bedeutet, dass sie je nach ihrem pKs-Wert im sauren Milieu protoniert werden und damit Ihre Ladung verlieren. Deshalb sind anionisch modifizierte Polymere im Basischen formuliert. Dasselbe gilt in umgekehrter Weise für die kationische Stabilisierung. Diese ist in saurer Umgebung stabil. Die nichtionische Stabilisierung ist dagegen weitgehend pH-unabhängig.

Die Struktur der Teilchen wässriger, kolloidaler, ionisch stabilisierter Lösungen unterscheidet sich nur wenig von denen in organischer Lösung. Sie bestehen aus Molekülknäueln, die gegebenenfalls mit Molekülen des Colösemittels aufgeflutet sind und dann meistens nur wenige Wassermoleküle enthalten. An der Oberfläche der Teilchen tragen sie ionische Gruppen. Diese ionischen Gruppen bilden Solvate mit Wassermolekülen, die dann das Kolloidteilchen in der äußeren Phase (Wasser und Anteile an Colösemittel) stabilisieren. Das Verteilungsgleichgewicht des Colösemittels wird beeinflusst durch dessen Hydrophilie und der Lösefähigkeit gegenüber dem Polymeren. Die Gegenionen sind in der wässrigen Phase weitgehend frei beweglich.

Abbildung 2.7: Vergleich der Teilchenstruktur organischer und wässriger kolloidalen Lösungen

 

Die Teilchen der wässrigen kolloidalen Lösungen können durchaus die gleiche Ausdehnung besitzen wie die Teilchen einer organischen kolloidalen Lösung. Ein Vergleich der beiden Lösungen ist schematisch in Abbildung 2.7 dargestellt.

Wenn die Teilchen einer wässrigen kolloidalen Lösung eine hohe optische Dichte und ausgeprägte Grenzflächen aufweisen, was vor allem dann der Fall ist, wenn die Teilchen nur wenig aufgeflutet sind, und groß genug sind (im Bereich der halben Wellenlänge des sichtbaren Lichts) können sie optisch wahrgenommen werden, die Lösungen sind dann trüb.

Viele kolloidale wässrige Lösungen zeigen ein anormales Viskositätsverhalten bei der Verdünnung mit Wasser. Während sich die Viskosität einer organischen Lösung bei Zugabe von Lösemittel stetig verringert, verhalten sich einige wässrige kolloidale Lösungen völlig anders: Bei der Zugabe von Wasser zu einer wässrigen kolloidalen Lösung steigt dabei die Viskosität zunächst an und erreicht ein Maximum. Dann fällt die Viskosität steil ab. Das Verhalten wird als „Wasserberg“ der Viskosität bezeichnet. Bei hoher Verdünnung kann dann die kolloidale Lösung instabil werden, sie wird deutlich eingetrübt und das Bindemittel fällt aus.

Abbildung 2.8: Viskositätsanomalie wässriger kolloidaler Lösungen

 

Es wurde versucht, dieses Verhalten mit einer Inversion einer Wasser-in-Öl-Emulsion in eine Öl-in-Wasser-Emulsion zu vergleichen. Allerdings handelt es ich dabei um ein fest/flüssig Phasengemisch (Suspension) im Gegensatz zu einem flüssig/flüssig Gemisch [15]. Zur Erklärung nimmt man an, dass bei geringem Wasseranteil ein Wasser-in-Bindemittel-Gemisch vorliegt. Hier dominieren die intramolekularen Anziehungskräfte der (hydrophilen) Polymerketten. Bei hohem Wasseranteil dagegen, liegt die gegenteilige Situation vor: Das kolloidal gelöste Bindemittel liegt verdünnt in einer Wasserphase vor. Hier sehen sich die einzelnen Polymerteilchen praktisch nicht mehr, das Solvat kann sich im Wasser frei bewegen, die Viskosität ist tief. Zwischen diesen Extremen kommt es nun zur Einlagerung von Wasser aufgrund der ionischen Struktur des Bindemittels. Dies führt zu einer Aufweitung der Polymerknäuel, die Viskosität steigt. Sind alle ionischen Anteile maximal solvatisiert, führt eine weitere Zugabe von Wasser dazu, dass es für das Gesamtsystem energetisch günstiger wird, wenn sich die Polymerketten maximal einander zukehren und die hydrophilen Gruppen zum Wasser zeigen. Dann drückt das aufgequollene Polymerteilchen das Wasser aus dem Knäuel heraus, die Ion/Wasser-Wechselwirkung erfolgt jetzt hauptsächlich außerhalb des Polymerknäuels, was dazu führt, dass die Viskosität schlagartig sinkt. Je nach der Anzahl der hydrophilen Trägergruppen kann dann die Wassertoleranz verloren gehen – das Bindemittel fällt aus.

Dieses Verhalten kann sowohl für die Herstellung des Lackes als auch für das Applikationsverhalten nachteilig sein. Es ist dann ein besonderer Aufwand notwendig, diese wässrigen Bindemittellösungen zu verdünnen oder mit den weiteren Bestandteilen der wässrigen Lackformulierung zu mischen. Meistens wird versucht, die negativen Auswirkungen des Wasserberges durch Kombination mit entsprechenden Colösemitteln zu vermindern.

Auch bei der physikalischen Trocknung (Kapitel 6.1) durchläuft die Viskosität der Filme ein Maximum, was sich nachteilig auf den Verlauf auswirken kann. Die negativen Effekte durch das anormale Viskositätsverhalten kann durch die Wahl des Neutralisationsmittels, des Neutralisationsgrads, die Art und den Mengenanteil der Colösemittel und durch „Kombinationsbindemittel“, also einem zweiten Bindemittel, das zugemischt wird, kompensiert werden.

2.3Wässrige Dispersionen: Suspensionen und Emulsionen

Wässrige Dispersionen von Bindemitteln entstehen durch die feine Verteilung von Polymeren in wässriger Phase. Unter einer „Suspension“ versteht man die Verteilung von Teilchen in einer flüssigen Phase, während man bei der Verteilung von Flüssigkeiten in einer nicht mischbaren Flüssigkeit von „Emulsionen“ spricht. Sowohl die Suspension als auch die Emulsion werden unter dem Begriff „Dispersion“ zusammengefasst. Allerdings hat es sich in der Lackindustrie eingebürgert, unter dem Begriff „Dispersion“ meistens eine chemische Suspension zu verstehen.

Die Verteilung der Polymere in der wässrigen Phase wird durch „Emulgatoren“ und ggf. durch Schutzkolloide stabilisiert. Emulgatoren bestehen aus Molekülen, die einen hydrophilen Molekülteil und einen oleophilen/hydrophoben Molekülteil enthalten. Damit entsprechen sie vom chemischen Aufbau her den Tensiden, wenn auch die Kettenlängen bei den Emulgatoren in der Regel länger sind. Da Polymere in der Regel eher hydrophob sind, assoziiert der hydrophobe Teil mit den Bindemittelmolekülen, der hydrophile mit dem das Teilchen umgebenden Wasser. Schutzkolloide sind wasserlösliche Polymere, die eine Strukturviskosität der wässrigen Phase ergeben und damit eine Agglomeration und ein Absetzen der Teilchen verhindern. Dies sind z.B. Polyvinylalkohol oder Celluloseether.

2.4Methoden zur Stabilisierung von Dispersionen

Grundsätzlich gibt es zwei Methoden, ein Teilchen (Polymer, Pigment, Füllstoff) in einer flüssigen Phase zu stabilisieren, d.h. zu verhindern, dass die Teilchen agglomerieren:

Elektrostatische Stabilisierung

Sterische Stabilisierung

Beide Methoden sind indirekt bei der hydrophilen Modifikation von Polymeren erklärt worden (siehe Kapitel 2.2 Wässrige Lösungen).

2.4.1Elektrostatische Stabilisierung

Man verwendet ionische Gruppen nicht nur deshalb, weil sie als hochpolare Gruppen vor allem mit Wasser gut verträglich sind, sondern auch, weil sie auf das Teilchen Ladung aufbringen. Bringt man auf ein Teilchen z.B. durch anionische Modifikation überall negative Ladung auf, werden sich die Teilchen aufgrund der gleichnamigen Ladung abstoßen, was verhindert, dass sie agglomerieren können. Dies ist insbesondere wichtig, wenn man Teilchen in einer Dispersion stabilisieren möchte.

2.4.2Sterische Stabilisierung

Bringt man lange Ketten auf die Oberfläche eines Teilchens auf, so werden diese versuchen, einen möglichst großen Abstand voneinander einzunehmen. In die Zwischenräume, also zwischen die Ketten, kann das Lösemittel eindringen und die Konzentration der Ketten „verdünnen“. Kommt ein zweites Teilchen in die Nähe, das ebenfalls lange Ketten auf der Oberfläche trägt, kommen sich die Ketten nahe, die Ketten müssten sich durchdringen, was aber zu weniger Beweglichkeit der Ketten und einer höheren Konzentration an Kettensegmenten im Bereich um die Teilchen führt. Dies würde jedoch eine Abnahme der Entropie entsprechen, was deshalb aus thermodynamischen Gründen nicht günstig ist. Deshalb bleiben die Teilchen auf Abstand, die Dispersion ist stabilisiert.

Die Emulgatoren einer Dispersion wirken nun nach diesen beiden Mechanismen. Sie bestehen aus einem hydrophoben, polymeraffinen Teil, der sich auf dem Polymerpartikel verankern kann und einem hydrophilen Teil, der mit Wasser verträglich ist. Dieser trägt entweder eine Ladung (kationische oder anionische Stabilisierung), oder lange, hydrophile Ketten (sterische, nichtionische Stabilisierung).

Die Teilchen einer Suspension unterscheiden sich von den Teilchen einer wässrigen (kolloiden) Lösung dadurch, dass in einer Suspension die Teilchen nur aus dem polymeren Bindemittel bestehen und kein Lösemittel oder Wasser enthalten und die Emulgatoren eine Hülle und damit eine Barriere bilden. Die strukturellen Unterschiede zwischen Lösung und Dispersion sind modellhaft in Abbildung 2.9 dargestellt.

Abbildung 2.9: Teilchenstruktur wässriger kolloidaler Lösungen und wässriger Dispersionen

 

2.5Herstellung von Dispersionen

Wässrige Dispersionen (Suspensionen) werden aus Lösungen oder Schmelzen der Polymere hergestellt, die in eine wässrige Phase eingetragen werden. Eine Polymerschmelze wird unter hoher Scherung in eine wässrige Phase eingetragen, die eine bestimmte Menge geeigneter Emulgatoren enthält. Die Teilchengröße ist von der Art und Menge des Emulgators abhängig. Je größer die Menge und die Wirksamkeit des Emulgators sind, desto kleiner sind die Teilchen der gebildeten Dispersion. Wenn Lösungen von Polymeren in wasserverträglichen Lösemitteln in Wasser mit einem Emulgatoranteil eingerührt werden, entsteht eine vergleichbar feinteilige Dispersion. Das Lösemittel kann dann abdestilliert werden.

Es ist jedoch auch möglich, Polymerisationsreaktionen direkt in der wässrigen Phase herzustellen; die Produkte werden als Primärdispersionen bezeichnet. Primäre Dispersionen entstehen meistens durch Emulsionspolymerisation direkt in der wässrigen Phase, z.B. durch die Polymerisation von Acrylaten mit ihren Comonomeren und von anderen Vinylverbindungen (Vinylester, Styrol, Ethylen, Butadien, Maleinsäureester).

2.6Viskosität wässriger Dispersionen

In Abhängigkeit vom Festkörper (nfA) verhält sich der Viskositätsverlauf von wässrigen Dispersionen anders als von organischen oder wässrigen, kolloidalen Lösungen. Die Viskositäten konzentrierter wässriger Dispersionen sind aufgrund von starken Teilchen-Teilchen-Wechselwirkungen meistens sehr hoch. Nur die Emulgatoren verhindern eine Koagulation der Polymerteilchen. Bei Zugabe von Wasser fällt dann die Viskosität deutlich auf ziemlich niedrige Werte ab, da die Polymerteilchen sich weiter voneinander entfernen können und deren Wechselwirkungen deshalb untereinander gering werden. Die beschriebenen Unterschiede sind in der Abbildung 2.10 dargestellt.

Abbildung 2.10: Viskositäten organischer und wässriger, kolloidaler Lösungen und wässriger Dispersionen in Abhängigkeit vom Festkörper

 

Wässrige Emulsionen unterscheiden sich von wässrigen Suspensionen nur dadurch, dass die emulgierte Phase flüssig, aber unverträglich mit der sie umgebenden Flüssigkeit ist. Sie werden genauso wie Suspensionen über Emulgatoren stabilisiert. Aufgrund der niedrigen Viskosität fließen die emulgierten Tröpfchen allerdings relativ schnell zusammen und bilden geschlossene Filme. Damit feste Filme mit ausreichenden Beständigkeiten entstehen, müssen die Bindemittel von Emulsionen chemisch vernetzt werden. Dies ist allerdings in der Praxis auch bei Filmen aus wässrigen Suspensionen der Fall, um die benötigten Beständigkeiten zu erhalten. Auf die Vernetzungsreaktionen werden wir in Kapitel 6.2 näher eingehen.

2.7Nichtwässrige Dispersionen

Auch die sterische Modifikation wird zur Stabilisierung der Polymerteilchen eingesetzt. So werden z.B. Polyacrylatharze aus polaren Methacrylaten ggf. zusätzlich mit Anteilen von Methacrylamid oder Acrylnitril mit Seitenketten aus unpolaren Polyestern dotiert(5). Die äußere Phase besteht aus aromatenfreien Benzinen, Isoparaffinen oder hydrierten Naphthafraktionen.

Ein Vorteil der Verwendung solcher NADs liegt zum einen darin, dass die in der äußeren Phase verwendeten Lösemittel zu den Verbindungsklassen gehören, die unter den Aspekten Gesundheits- und Umweltschutz relativ positiv abschneiden. Zum anderen zeigen NADs bei höheren Feststoffgehalten niedrigere Viskositäten als die vergleichbaren kolloidalen Lösungen der Polymere in Lösemitteln. Der Festkörper ist dabei mit den wässrigen Dispersionen vergleichbar. Dies stellt somit eine Möglichkeit dar, die Emission organischer Komponenten (VOC) zu verringern.

Spezielle nichtwässrige Dispersionen sind Organosole und Plastisole.

Organosole sind Dispersionen von schwer löslichen, polaren Polymeren in unpolaren Lösemitteln, die kleinere Anteile höhersiedender, polarer Lösemittel enthalten. Wenn bei einem Einbrennvorgang die unpolaren Lösemittel verdunstet sind, bleiben die höhersiedenden, polaren Lösemittel zunächst zurück, die dann die Polymere anlösen und zur Bildung geschlossener Filme beitragen.

Plastisole enthalten dagegen Weichmacher als äußere Phase der Dispersion, die in der Lage sind, das Polymer bei höheren Temperaturen anzulösen, um dann geschlossene Filme zu bilden. Plastisole weisen daher praktisch keine Emission organischer Bestandteile auf.

2.8Aerosole

Ein Aerosol ist die feinste Verteilung eines festen (Staub) oder flüssigen (Nebel) Stoffes in einem Gas. Deshalb lassen sich auch feste Polymere zerstäuben und als Beschichtung applizieren, wenn die Teilchengröße nur fein genug ist. Dies ist bedeutsam für die sogenannten Pulverlacke. Die Verteilung der Partikel wird dynamisch stabilisiert, indem die Teilchen durch einen Luftstrom aufgewirbelt werden. Ein Aerosol erweckt dabei den Eindruck einer siedenden Flüssigkeit.

Zur Herstellung eines (Staub-) Aerosols werden Polymere (Pulverlack-Bindemittel) bzw. ihre Mischungen mit Vernetzern, Pigmenten und Additiven auf eine bestimmte Teilchengröße vermahlen. Weil beim Mahlprozess die aufgewendete Energie auch in Wärme umgesetzt wird, müssen die Bindemittel Erweichungstemperaturen von über 75 °C besitzen. Gebräuchliche Pulverlacke haben mittlere Teilchengrößen (Durchmesser) von ca. 18 bis 30 µm. Dies erklärt, warum die Schichtstärken von Pulverlacken in der Regel deutlich höher sind als die von flüssigen Lacken. Die Abbildung 2.11 zeigt eine typische Teilchengrößenverteilung eines Pulverlacks.

Abbildung 2.11: Typische Teilchengrößenverteilung eines Pulverlacks

 

2.9Viskosität und Applikationsfestkörper

Die unterschiedlichen Applikationsverfahren erfordern eine unterschiedliche Viskosität, um das Lackmaterial optimal auf dem Substrat zu verteilen. Besonders die Spritzverfahren erfordern relativ niedrige Viskositäten. Tabelle 2.4 führt die üblichen Applikationsviskositäten für verschiedene Lacksysteme auf.

Tabelle 2.4: Applikationsviskositäten verschiedener Lacksysteme

Lacksystem

Applikationsverfahren

Auslauf-Viskosität

DIN 532114 mm, 23 °C

ISO 243123 °C

DüseØ mm

Effektlacke

Spritzen

15

65

4

Einbrennfüller

Spritzen

35 – 45

120 – 155

4

Decklacke, Klarlacke

Spritzen

25 – 35

85 – 120

4

Coil-Coating, Can-Coating

Walzen

60 – 70

35 – 45

6

Korrosionsschutzlacke

Spritzen

50 – 70

25 – 45

6

Korrosionsschutzlacke

Streichen

90 – 110

60 – 75

6

Malerlacke

Streichen

100 – 140

65 – 105

6

 

Natürlich ist die Viskosität einer Lösung zuerst von der Konzentration der Lösung abhängig. Zum Erreichen der geforderten niedrigen Viskositäten müssen für lösemittelhaltige Formulierungen entsprechende Mengen Lösemittel verwendet werden und der Applikationsfestkörper (nfA im applikationsfähigen Zustand) kann dann relativ niedrig sein.

2.10VOC-Regelungen

Das Verdünnen mit Lösemitteln hat jedoch für die Umwelt gravierende Nachteile, da diese bei der Trocknung an die Umgebung abgegeben werden. Deshalb hat der Gesetzgeber beschlossen, den Anteil an Lösemitteln zu begrenzen und Maßnahmen zum Emissionsschutz von den Anwendern zu fordern.

Für die Emmisionsbegrenzungen sind je nach Verwendung und Industriezweig unterschiedliche Regelungen in Kraft. So gibt es z.B. unterschiedliche Regelungen für die industrielle Applikation von Lacken [18], [19], [20] und für das „in den Verkehr bringen“ von Lacken für den handwerklichen Bereich [22].

Die Begrenzungen im industriellen Bereich gelten für den Ausstoß flüchtiger Bestandteile in der Abluft eines verarbeitenden Betriebes (z.B. Beschichter) bezogen auf die verarbeitete Menge an Beschichtungsstoffen. Für die industrielle Applikation von Lacken besteht damit die Möglichkeit – neben der Reduktion der Anteile der Lösungsmittel in den Materialien – die Lösemittel erst in der Abluft zu reduzieren, z.B. durch Rückgewinnung oder Nachverbrennung.

Die erlaubten Werte beziehen sich dabei auf die beschichteten Flächen und gelten für bestimmte Mengen des Lösemittelverbrauchs pro Jahr. Des Weiteren gelten Begrenzungen für den gesamten Ausstoß von Lösemitteln aus den Abluftanlagen. Die Angaben beziehen sich auf die Menge Kohlenstoff in den Abgasen [mg C/m³] aus der Applikation, aus dem Trockner, aus der Lösemittelrückgewinnung und der thermischen Abgasreinigung (TAR). Außerdem gibt es einen Grenzwert in Massenprozent der verwendeten Lösemittel, die nicht in den Anlagen aufgefangen werden.

Tabelle 2.5 zeigt die Emissionsbegrenzungen für solche Anlagen.

Tabelle 2.5: Emissionsbegrenzungen für Anlagen der Lackverarbeitung nach [23]

Tätigkeitsbereich

Emissionsgrenzwerte für gefasstes behandeltes Abgas

Lsm.-Verbr.

[t/a]

Grenzwert diffuse Emissionen2

[%]

Nr.1

Anlagen­bezeichnung

Applika­tion

[mg C/m3]

Trockner

[mg C/m3]

TAR

[mg C/m3]

Rück-gewin.

[mg C/m3]

2.1

Oberflächen­reinigung

> 1–10

75

75

20

> 10

75

75

15

5.1

Reparatur­lackierung

> 0

50

50

25

6.1

Bandblech

> 10

50

50

20

75

3

8.1

Metall-, Kunststoff-beschichtung

> 5–15

100

100

253

> 15

50

50

20

203

9.2

Holz-, Holzwerkstoffbeschichtung

> 15–25

100

100

25

> 25

50

50

20

20

10.1

Textil-, Gewebebeschichtung

> 5-15

100

100

15

10.2

Folien-, Papier-beschichtung

> 15

50

50

20

75

10

14.1

Klebebeschichtungen

> 5-15

50

50

100

253

> 15

50

50

20

203

1 bezieht sich auf Nr. im Bundesgesetzblatt Jahrgang 2001 Teil I Nr. 44 als Überführung der EU Richtlinie 1999/13/EG in deutsches nationales Recht

2 diffuse Emission: Lösemittel in unbehandeltem Abgas, Abwasser, Lackiergut, ungefasster Abluft u.ä.

3 10 % weniger bei automatischer Beschichtung bahnförmiger Materialien

 

Für nicht industriell applizierte Beschichtungsstoffe und Hilfsmittel sind die Mengen im Material selbst begrenzt. Die Berechnung des VOC-Gehaltes wird für die EU nach ISO 11980-1 durchgeführt.

VOCISO 11890gl Masse flüchtiger Anteileg-Masse WassergVolumen Lack l-Volumen Wasser ll

Gleichung 2.9

 

Für die USA und die Schweiz [24] wird der Anteil des Wassers nicht subtrahiert, wie Gleichung 2.10 zeigt(6).

VOC (ASTM D 3960 und 10.1.1)glMasse flüchtiger Anteile g-Masse Wasser gVolumen Lack [l]

Gleichung 2.10

 

Für Bautenlacke (Wandfarben, Fassadenfarben, Holzlacke [Lasuren], Primer und Effektlacke) gelten nach der EcoPaint-Richtlinie [21] für die wässrigen Systeme relativ niedrige Grenzwerte. Für lösemittelhaltige Systeme gelten vergleichbar höhere Grenzwerte. Diese Werte sind in Tabelle 2.6 gelistet.

Tabelle 2.6: VOC-Grenzwerte der Lösemittelemission für Bautenlacke [21]

Produktunterkategorie

Typ

VOC [g/l]ab 1.1.2010

1.

Innenanstriche (Glanz < 25 % [60°])

Wasserbasis

30

Lösemittelbasis

30

2.

Innenanstriche (Glanz > 25 % [60°])

Wasserbasis

100

Lösemittelbasis

100

3.

Außenanstriche (Mineralsubstrat)

Wasserbasis

40

Lösemittelbasis

430

4.

Holz-, Metalllacke, Dekoration, innen + außen

Wasserbasis

130

Lösemittelbasis

300

5.

Lacke + Holzbeizen, Dekoration, innen + außen

Wasserbasis

130

Lösemittelbasis

400

6.

Holzbeizen mit Mindestschichtdicke

Wasserbasis

130

Lösemittelbasis

700

7.

Grundierungen

Wasserbasis

30

Lösemittelbasis

350

8.

Haft-Primer

Wasserbasis

30

Lösemittelbasis

750

9.

Einkomponenten-Speziallacke

Wasserbasis

140

Lösemittelbasis

500

10.

Zweikomponenten-Speziallacke

Wasserbasis

140

Lösemittelbasis

500

11.

Multicolorlacke

Wasserbasis

100

Lösemittelbasis

100

12.

Lacke für Dekorationseffekte

Wasserbasis

200

Lösemittelbasis

200

 

2.11Verringerung des Lösemittelanteils

Seit Längerem werden auch aufgrund des Drucks durch den Gesetzgeber Maßnahmen zur Veringerung der Umweltbelastung durch Lösemittelemissionen getroffen. Zuerst wurden festkörperreichere Lacke, die sogenannten High-Solids, entwickelt. Die konventionellen Lacksysteme nennt man dementsprechend Low-Solids. Lacke mit einem mittleren Festkörpergehalt werden als Medium-Solids bezeichnet. Der Begriff Medium-Solids und High-Solids ist nicht einheitlich definiert, sondern bezieht sich auf die Ausgangssituation gebräuchlicher Lacksysteme (Low-Solids), wie Tabelle 2.7 zeigt.

Tabelle 2.7: Definitionen festkörperreicherer Lacksysteme

Verarbeitungsfestkörper

low-solid

medium-solid

high-solid

Effekt-Basislacke.

10 – 15 m-%

20 – 25 m-%

30 – 40 m-%

Füller

50 – 60 m-%

60 – 70 m-%

> 70 m-%

Decklacke

45 – 55 m-%

55 – 65

> 65 m-%

Klarlacke

40 – 45 m-%

50 – 55 m-%

60 – 70 m-%

Coil-Coating, Can-Coating

50 – 60 m-%

> 70 m-%

Korrosionsschutzlacke

45 – 55

55 – 70

> 70 m-%

Malerlacke

55 – 65 m-%

65 – 75 m-%

> 75 m-%

 

Ein weiterer Schritt zur Einschränkung der Emission von Lösemitteln war die Entwicklung und Formulierung wässriger Lacksysteme. Gerade wässrige Lacksysteme bedürfen jedoch besonderen Aufwands, um optimale Filmbildung und Filmeigenschaften zu erreichen (siehe Kapitel 6.1.2).

Als neueste Entwicklung gelten die sogenannte 100 %-Systeme, die keine Lösemittel und keine Dispersionsmittel enthalten. Dies sind Lacksysteme aus flüssigen Bestandteilen, die als solche appliziert werden können, im weiteren Sinne gehören dazu auch die Plastisole. Und natürlich gehören zu dieser Gruppe der 100 %-Systeme auch die Pulverlacke.

2.11.1High-Solids