Lichtkrieger - Angela Mackert - E-Book

Lichtkrieger E-Book

Angela Mackert

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Beschreibung

Seit sechstausend Jahren strebt der Schwarzmagier Thamar nach der Macht der Götter und schreckt dabei vor nichts zurück. Um dem ein Ende zu setzen, machen sich Lili und ihre Begleiter vom Türkisland aus auf den gefährlichen Weg zur Nebelgrenze, denn dorthin hat Thamar sich zurückgezogen. Lili und ihre Mitstreiter glauben, das Mittel zum Sieg über den Schwarzmagier bereits in der Hand zu halten, doch in Wahrheit hängt alles von den Entwicklungen in Antiquerra ab. Dort suchen der Vampir Luczin und seine Gefährten nach dem Tor zur Steinwelt und dann ist da noch der Lichtkrieger Ardrel, mit dem einst alles begann. Lichtkrieger ist der 5. und letzte Band der Fantasy-Romanreihe: Antiquerra-Saga. Antiquerra-Saga Fantasy-Romanreihe, die in einer geheimen, magischen Welt spielt und von ungewöhnlichen Freundschaften sowie dem gefährlichen Kampf gegen die Schatten der Dunkelheit erzählt. Begegnen Sie göttlichen Königinnen, mutigen Feen, Lichtmagiern, Alraunen und Vampiren. Erleben Sie den Verlauf von Jahrzehnten und kommen Sie dem Geheimnis auf die Spur, das alle miteinander verbindet. Band 1: Die Farbe der Dunkelheit Band 2: Feenschwur Band 3: Vampirblut Band 4: Wächter der Schlange Band 5: Lichtkrieger

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Dieser Roman gehört zu einer fünfteiligen Saga. Jedes Buch beinhaltet eine eigenständige Geschichte, und kann unabhängig vom Vorgängerband gelesen werden.

Band 1: DIE FARBE DER DUNKELHEIT

Band 2: FEENSCHWUR

Band 3: VAMPIRBLUT

Band 4: WÄCHTER DER SCHLANGE

Band 5: LICHTKRIEGER

Hoffnung wächst

auf dem schmalen Grat

zwischen Dunkelheit und Licht

»Jetzt liegt alles in den Händen der Sterblichen« — Die Strahlenkönigin Alyssa zu ihrer Schwester, der Schattenkönigin Tahereh, während einem ihrer Gespräche im Lauf der Ereignisse.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Epilog

1. Kapitel

Ein wichtiger Auftrag ...

Von der Nordspitze Antiquerras aus hatten wir nach Karmand übergesetzt. Meine Herrin, die Strahlenkönigin Alyssa, griff nach meiner Hand, um mich auf dem geheimen Pfad zur Nebelgrenze zu führen, welche dieses Eiland in zwei Hälften teilte. Ich genoss ihre Berührung, empfand das wie einen Beweis ihrer Zuneigung, denn es war ja nicht nötig, mich zu führen. Ich kannte mich hier so gut aus wie sie selbst, schließlich hatte man mich oft genug mit einem Auftrag auf die andere Seite geschickt. Sogar die Nebelwand, welche die geheime alte Erde Antiquerra sowie die umliegenden Inseln vor neugierigen Blicken und unerwünschten Besuchern schützte, hätte ich selbst auseinandertreiben können. Aber wie immer ließ meine Königin es sich nicht nehmen, mich bis zu dieser Grenze zu begleiten.

Dennoch schien heute etwas anders zu sein. Alyssas übliche Ermahnungen, dass ich Stillschweigen über den verborgenen Teil unserer Welt bewahren und mich von den Sterblichen fernhalten sollte, blieben aus. Stumm lief sie neben mir her, ihre freie Hand auf die Uhr gepresst, die um ihren Hals hing und mit der sie die Zeit angehalten hatte, damit sie bei mir sein konnte.

Ich versuchte, die Stille zu durchbrechen. »Niemand wird erfahren, woher ich stamme, meine Königin.«

Alyssa blieb stehen, wandte mir ihr Gesicht zu und lächelte mich an. »Ich weiß, Ardrel.«

Sie setzte sich wieder in Bewegung, führte mich schweigend wie zuvor. Lag es daran, dass sie vor Kurzem mit ihrer Schwester, der Schattenkönigin Tahereh, in Streit geraten war und darüber noch grübelte? Tahereh hatte sich am Ende geweigert, mit uns zur Nebelgrenze zu gehen, obwohl mein Auftrag für sie genauso wichtig war, wie für Alyssa. Aber diesmal konnte ich die Schattenkönigin wenigstens verstehen, auch wenn ich ihre Temperamentsausbrüche verabscheute wie sonst nichts auf den Welten. Im Grunde war meine Königin auch gar nicht die Ursache von Taherehs Zorn. Sie hatte nur deren Wut abbekommen. Der Auslöser lag eher in der Entscheidung ihrer beider Mutter, der Sternengöttin, die es ablehnte, dass einer von Taherehs Dämonen den magischen Elfenbein-Jaspis, der »Stein der Ewigkeit« genannt wurde, bei ihr abholte. Die Sternengöttin bestand mit allem Nachdruck darauf, dass man einen Lichtkrieger schickte, vorzugsweise mich, vermutlich weil ich schon öfter bei ihr gewesen war. Sie hatte Tahereh dann ausrichten lassen, dass es wegen der Mystiks sei, die bei ihr lebten und denen der Anblick eines Dämons unter allen Umständen erspart bleiben musste. Diese Kindwesen könnten womöglich einen Schock erleiden, sodass ihre Haare nicht mehr wuchsen, aus denen für die Lebenden Bänder der Hoffnung gewebt wurden. Tahereh hatte sich furchtbar über diese Botschaft aufgeregt, gemeint, dass das eine Ausrede sei und dass die Mystiks sich eher über die Dämonen kringelig lachen würden als sich vor ihnen zu ängstigen. »Was wäre ihre Hoffnung denn sonst wert, wenn sie bereits beim Anblick eines Schattenwesens zusammenbräche«, hatte sie geschrien und vor Wut und Enttäuschung mehr Tränenperlen geweint als jemals zuvor. Mag sein, dass es ein Übriges tat, dass ihr die Botschaft in unserem Beisein überbracht worden war. Aber auch, wenn ich Taherehs Bemühung um die Anerkennung ihrer Dämonen verstehen konnte, jetzt stand zu befürchten, dass sie auf Rache sann. Zu oft hatte ich erlebt, wie sie ihren Zorn nährte und dann Dinge tat, die große Probleme nach sich zogen, und diesmal wäre ich nicht hier, um meine Königin vor ihren unberechenbaren Handlungen zu beschützen. Bestimmt dachte Alyssa genauso und verhielt sich deshalb so still.

Vor uns tauchten plötzlich die Nebel auf und ich spürte, wie Alyssa meine Hand drückte. »Du weißt, dass nichts schief gehen darf, Ardrel!«

»Ja, meine Königin. Ich werde den Stein sicher nach Hause bringen«, erwiderte ich, »… und ich werde mich mit der Rückkehr beeilen.«

Alyssa schüttelte den Kopf. »Vorsicht ist wichtiger als Eile. Mach dir keine Sorgen um mich, Ardrel. Zwar bist du mir von allen Lichtkriegern der Liebste, aber du bist nicht der Einzige, der auf mich aufpassen kann, und meine Schwester wird ihren Ärger bald vergessen.«

Ich nickte, obwohl ich nicht überzeugt war. Taherehs Zorn hielt oft zu lange an.

Alyssa stellte sich auf die Zehenspitzen und gab mir einen Kuss auf die Wange. »Zum nächsten vollen Mond erwarten wir dich in der Krypta von Skeletten. Nutze den Rückweg, um das Türkisland zu erkunden, so wie ich es mit dir besprochen habe. Aber denke daran, dass du keine Aufmerksamkeit erregen darfst!«

Ich lächelte und zupfte an meinen spitzen Ohren. »Selbst wenn mich die Magier durch einen dummen Zufall zu Gesicht bekommen, so werden sie mich für einen Elfen halten.«

»Geh ihnen aus dem Weg!«

»Natürlich. Du kannst dich auf mich verlassen. Hab ich nicht immer alle Aufträge zu deiner Zufriedenheit ausgeführt?«

»Ja, Ardrel, das hast du.« Alyssa strich mir zärtlich über die Wange und seufzte dann. »Es ist so weit! Vergiss nicht, dich vor der Rückkehr noch wegen der geheimen Rune zu erkundigen.«

Während Alyssa sich nun vor den Nebel stellte, die Arme hob und beschwörende Worte flüsterte, dachte ich an die geheime Rune. Das magische Zeichen, das sich als leuchtende Hieroglyphe zur Hälfte in Alyssas rechter Handfläche befunden hatte und zur Hälfte in Taherehs linker, schien verschwunden zu sein. Es war Alyssa aufgefallen, als ihre Schwester ihr am Ende des Streits abwehrend die Hände entgegengestreckt hatte und wutentbrannt in die Schattenwelt zurückgekehrt war.

Alyssas Murmeln verstummte. Sie senkte langsam ihre Arme in teilender Geste, und in dem Nebel bildete sich ein Korridor. Sie drehte sich zu mir um, sah mich auffordernd an. Ich verneigte mich vor meiner Königin, küsste zum Abschied ihre Hand und schritt in den Korridor hinein. Bald darauf erhob ich mich in die Luft und flog hinüber auf die andere Seite der Insel.

Als ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte, blickte ich mich um. Der Korridor schloss sich und ich sah bald nur noch den Nebel, der dicht und undurchdringlich vom Boden bis zum Himmel waberte.

Ich wandte mich ab, ging schräg links an der Blutbuche vorbei und bog dann rechts in einen nur vage erkennbaren Pfad ein, der durch dichten Wald bis hinunter zur Küste führte. Ich schritt stetig voran, immer abwärts, und ließ mich nicht von den seltsam schwirrenden Geräuschen ablenken, die zeitweise an- und abschwollen. Ich wusste, dass es auch auf dieser Seite von Karmand Geheimnisse gab, doch das hatte mich nicht zu kümmern. Sie waren durch die Elemente geschützt, die dafür sorgten, dass kein Sterblicher diese Insel erreichte. Ich sandte lediglich meine Sinne aus, um herauszufinden, ob mir jemand folgte. Aber ich roch weder den Schweiß von gewöhnlichen Dämonen noch den süßlich-schweren, an Jasmin und Moschus erinnernden Duft der Afektis, die Tahereh mir wohl noch am ehesten nachschicken würde, falls sie mich aus ihrem Zorn heraus bei der Erfüllung meines Auftrags sabotieren wollte. Ich nahm alles um mich herum wahr, sog die Energien meiner Umgebung auf wie ein Schwamm. Aber da war nichts, nur der frische Duft und der natürliche Klang einer bewaldeten, vom Meer umspülten Insel und ab und zu diese eigenartigen Geräusche, die mir von früher her vertraut waren. Dennoch blieb ich misstrauisch, zumal ich nicht genau wusste, welche Möglichkeiten einem Afektis-Dämon zur Verfügung standen, um mich zu täuschen. Sie waren keine Kämpfer, daher hatte ich bisher nur wenig mit ihnen zu tun gehabt und wusste nur, dass sie im Gegensatz zu den meisten Schattenwesen von sinnenbetörender Gestalt waren und durch Einflüsterungen heftige Begierden auslösen konnten. Tahereh hatte Jaron, den mächtigsten aller Afektis-Dämonen schicken wollen, um den »Stein der Ewigkeit« zu holen. Ihn kannte ich, da er Tahereh stets begleitete und in Zukunft sollte ich wohl besser mit ihm rechnen. Er war sicher eifersüchtig, da die Sternengöttin mich vorgezogen hatte.

Aus der Ferne hörte ich bereits das Donnern des Wassers, das sturmgewaltig an die Felswände schlug. Ich blieb stehen, schickte noch einmal all meine Sinne aus. Aber ich nahm nichts Ungewöhnliches wahr. Es schien alles in Ordnung zu sein. Vielleicht hatte ich ja Glück und blieb von Tahereh und diesem Jaron verschont, zumindest solange bis ich meinen Auftrag erledigt hatte.

Ich ging noch ein kleines Stück und wählte dann eine Stelle zwischen den Bäumen, die mir einen problemlosen Start in die Luft ermöglichte. Ich wollte schon aufsteigen, um auf dem Luftweg bis zur Regenbogeninsel im Eismeer des Coagulum zu fliegen, auf der die Sternenkönigin mit den Mystiks lebte. Aber dann besann ich mich anders. So gern ich mich auch durch die Lüfte bewegte, — für mich gab es keine größere Freude —, heute war der kurze, magische Weg sicherer.

Auf Karmand gab es keine Transport-Tore wie in Antiquerra. Aber ich kannte andere Möglichkeiten, um dahin zu kommen, wo ich hin wollte. Nach einem kurzen Rundumblick wählte ich eine kräftige Fichte aus, die für meine Reise geeignet schien. Ich sah mich noch einmal um und lauschte, aber ich war eindeutig alleine hier. Also streckte ich meine Hand aus und legte sie auf den Baumstamm. Lautlos, nur in Gedanken, sprach ich die Zauberformel, die mich auf die Regenbogeninsel bringen sollte, danach nahm ich meine Hand wieder zurück. Als ein Licht aus dem Baum herausbrach, das sich zu einem Tor formte, lief ich darauf zu. Dann ging alles schnell. Ich verspürte einen heftigen Sog, der mich in sternblitzende Dunkelheit hineinwirbelte.

Mit voller Wucht knallte ich auf eine Eisscholle. Wie betäubt blieb ich erst einmal ein paar Augenblicke liegen. Um mich herum tanzten kleine, funkelnde Sterne, doch ich war mir nicht sicher, ob sie von der Magie des sich schließenden Tores, das mich ausgespuckt hatte, stammten oder davon herrührten, dass ich mir den Kopf angeschlagen hatte. Als ich mich aufrichtete, fuhr mir der Schmerz messerscharf durch die Schulter. Ich stöhnte leise. Herrje, ich hätte daran denken sollen, dass an meinem Zielort kein Baum stand, der mir bequemen, aufrechten Austritt ermöglichte. Schließlich gab es hier nur Eis und Schnee.

Ich rappelte mich auf, rieb mir die schmerzende Schulter und sah mich um. Hinter mir erhob sich ein großer Eisberg, wohl derjenige, aus dem ich herausgeschleudert worden war. Wenige Schritte vor mir ragte die Klippe steil abfallend ins Meer hinein. Vermutlich konnte ich noch von Glück reden, ich hätte auch im Wasser landen können.

Dank meiner sich selbst heilenden Natur ließ der Schmerz in meiner Schulter bald nach. Ich sah an mir herunter, ordnete den mit gold-farbenen Ornamenten bestickten Waffenrock und säuberte das Gewand mit einem magischen Fingerschnipsen, sodass es wieder wie üblich weiß-golden strahlte. Auch meinen Gürtel überprüfte ich, schließlich wollte ich ja würdig vor die Sternengöttin treten. Mein Schwert trug ich auf dem Rücken, dieses brauchte ich nicht zu kontrollieren, es behielt seinen besonderen Glanz in allen Lagen.

Rechts von mir hatte ich ins Eis gehauene Treppen gesehen, die abwärts zum Wasser führten und aufwärts zum Eis-Schloss der Sternengöttin, das ich mit seinen vielen Türmen sogar schon von hier aus sah. Kinderlachen wehte zu mir herunter und ich lächelte. Ich wurde wohl von den Mystiks schon erwartet, die mich wie immer als Erste begrüßen wollten.

Langsam und konzentriert stieg ich die Stufen hoch, die so glatt und rutschig waren, dass ich aufpassen musste, wie ich auftrat. Als ich endlich oben ankam, wäre ich aber beinahe doch noch abgestürzt, weil alle siebzehn Mystiks gleichzeitig auf mich zu stürmten, mich umarmten und lachend und schwatzend begrüßten. Ich ruderte um mein Gleichgewicht.

»Nicht gleich wieder davonfliegen, Ardrel!«, rief die kleine Faywen fröhlich und schlang ihre Arme um meine Hüften. Mit ungewöhnlicher Kraft zog sie mich vom Abgrund weg.

»Danke!« Endlich stand ich sicher auf meinen Beinen.

Ich schaute in strahlende Gesichter. Die Mystiks sahen wie Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren aus, verhielten sich auch oft so, und dennoch waren es sehr alte und weise Wesen, die mich immer wieder einmal überraschten. Ihre hüftlangen Haare wechselten täglich die Farbe, heute glänzten sie schwarz. Alle gingen barfuß, was ihnen auf dem gefrorenen Boden wohl besseren Halt bot und sie trugen nur dünne Kleider, welche wie das Eis bläulich-weiß bis silbern schimmerten. Auch ihre Lippen waren eisblau getönt und man hätte meinen können, sie frören. Aber ich wusste, dass die Mystiks keine Kälte spürten. Ich dagegen merkte den Temperatur-Unterschied zu meiner Heimat durchaus, obwohl mir nicht kalt war.

Von allen Seiten zupften die Kindwesen an meinem Gewand. »Ardrel, Ardrel, hast du uns etwas mitgebracht?«

»Natürlich!« Ich brachte den Mystiks jedes Mal etwas mit, wenn ich kam. »Sucht mir einen schönen Eisblock aus, dann zeige ich es euch.«

»Das haben wir schon getan, Ardrel«, rief Faywen. Sie rannte mit den anderen davon und zog mich mit sich, sodass ich zuerst alle Kräfte aufwenden musste, um auf dem rutschigen Boden nicht mein Gleichgewicht zu verlieren. Doch zum Glück schaffte ich es dann doch bald, meine Bewegungen an die Bodenbeschaffenheit hier anzupassen, und ich lief fast so sicher wie diese Kindwesen.

Sie führten mich in den Schlossgarten hinein, vorbei an gefrorenen Wasserspielen und lebensechten Eisskulpturen, die Szenen mit Nixen, Meermännern und Wassergetier darstellten. Bald darauf kamen wir zu einem Weg, der rechts und links von geschnitzten Säulen sowie mannshohen eckigen Eisblöcken gesäumt wurde. In einigen dieser glasklaren Brocken steckten frühere Geschenke von mir, verschiedene lebende Momentaufnahmen von Antiquerra.

»Schau Ardrel, das mag ich besonders gern. Es sieht zu jeder Jahreszeit anders aus«, sagte das Mädchen, das neben Faywen lief, und wies auf einen der Blöcke, in dessen durchsichtigem Inneren bunte Blumen wogten.

Ich blieb stehen und schaute. »Der Garten einer Korria-Fee, ja, jetzt blühen diese Blumen wieder besonders bunt.«

»Im Meer gibt es auch Blumen. Die Seelilien sind hübsch. Manche von ihnen bewegen sich frei im Wasser. Sie tanzen mit mir, wenn ich auf dem Meeresboden spazieren gehe«, warf die Kleinste der Mystiks ein und bewegte die Arme in tänzerischer Geste.

Ich wusste, dass die Mystiks im Wasser atmen konnten und oft tief in die eisigen Fluten hinuntertauchten. »Das macht sicher Spaß!«

»Ja«, erwiderte sie, »und meine Kammfrau freut sich auch, weil danach viele Haare in der Bürste hängen bleiben.«

»Dann werden eure Haare jedes Mal gekämmt, wenn ihr aus dem Wasser kommt?«

Das Mädchen nickte. »Natürlich! Dazu noch morgens und abends.« Sie lächelte mich an. »Du glaubst nicht, wie viele Haare es braucht, um immer genug geknüpfte Hoffnung vorrätig zu haben.«

»Ardrel«, rief einer der Jungs, die bereits weitergegangen waren, und lenkte damit die Aufmerksamkeit auf sich. »Diesen Block hier haben wir dir ausgesucht.«

»Kommt!« Faywen warf ihren Gefährtinnen, die mit uns stehengeblieben waren, einen Blick zu, nahm wieder meine Hand und führte mich zu den Jungs.

Ich begutachtete den kristallklaren Eisblock, der in der Höhe etwa zwanzig Schrittlängen und in Breite und Tiefe etwa fünfzehn Schrittlängen maß. Dann schaute ich in die erwartungsvollen Gesichter und nickte. »Der ist sehr gut geeignet.«

Neugierig sahen die Kindwesen zu, wie ich den kleinen Beutel, der an meinem Gürtel befestigt war, öffnete und den Inhalt in meine Hand schüttete. »Diesmal habe ich euch aus Antiquerra Grassamen mitgebracht und einen Kokon. Mal sehen, wie ich das in den Eisblock hineinbekomme ...«

»Du musst pusten, Ardrel. So hast du es immer gemacht«, schallte es mir von allen Seiten entgegen.

»Na dann probiere ich es einmal.« Ich nahm den Kokon weg, sodass nur die Samen in meiner Hand blieben und blies diese in Richtung des Eisblocks. Kurz darauf wallten Nebel in dem gefrorenen Wasser und danach bildete sich im Inneren eine Wiese mit bunten Feldblumen ab, die sich im Wind wogend schier unendlich weit ausdehnte. Obwohl im Eis eingeschlossen, verbreitete sich der würzige Wiesenduft Antiquerras um uns herum, und alle sogen tief den Atem ein und schnupperten.

»Wie schön!«

»Wie schön!«

»Wie gut das riecht!«

Wie so oft staunte ich wieder, auf welch einfache Weise man diese Wesen glücklich machen konnte. Der Anblick einer Wiese, die sie nie betreten würden; der Grasduft, den diese auf magische Weise verströmte; allein das genügte ihnen, um zufrieden zu sein.

Faywen zupfte an meinem Gewand. »Und dieses seltsame weiße Ding, das du Kokon genannt hast? Was ist das?«

»Das ist die eigentliche Überraschung, du wirst es gleich sehen.« Ich legte den Kokon auf meine Handfläche, trat ein paar Schritte zurück, streckte den Arm aus und konzentrierte mich. Das weiße Gebilde fing an zu vibrieren, dann sauste es auf den Eisblock zu, verschwand in diesem und platzte im Inneren mit einem klingenden Ton auf. Heraus flog ein Heer von Schmetterlingen, die nun auf der im Eisblock eingeschlossenen Wiese von einer Blume zur anderen flatterten. Die Mystiks jubelten und drängten nah an den Eisblock heran, um alles genau zu betrachten. Fast schien mir, als ob sie den Atem anhielten. »Das sind Schmetterlinge …«, begann ich zu erklären.

»Ich sehe auch Würmer mit vielen Beinen, ähnlich denen auf dem Meeresgrund«, unterbrach mich ein Junge.

»Das sind die Raupen, die sich später, wenn sie genug Blätter gefressen haben, in einen Kokon einspinnen und dann zum Schmetterling werden.«

»Ah, jetzt weiß ich, was ein Kokon ist — die Babywiege eines Schmetterlings«, warf Faywen ein und hob dann plötzlich lauschend den Kopf. Sie griff nach meiner Hand. »Wir müssen uns beeilen, Ardrel. Die Sternengöttin ruft uns!«

Ich nickte. Während die anderen noch gebannt auf den Eisblock starrten und dem Schmetterlingstreiben da drinnen zuschauten, eilte ich mit Faywen auf das Schloss zu, das mit seinen vielen Türmen machtvoll und zugleich verträumt aussah.

Eine Weile später stand ich allein im großen Saal, in dem die Sternengöttin Liora mich empfangen wollte. Auch hier war fast alles aus Eis: die Wände, Tische und Stühle, die großen Kandelaber und auch die Wandleuchter, in denen magische Fackeln steckten. Farbtupfer gab es wenige. Nur vor den Fenstern hingen kostbare Vorhänge mit gestickten blauen und silbernen Ornamenten, und hinter dem Thronsessel hing ein großer Wandteppich, auf dem in bunten Farben auf blauem Grund Szenen mit Elfen und Magiern eingewebt waren. Vermutlich handelte es sich dabei um Abbildungen von Lioras sterblichen Schützlingen, die gegenüber der Regenbogeninsel auf dem Festland lebten. Genau wusste ich das aber nicht.

Als ich leise Schritte hörte, ordnete ich noch einmal mein Gewand und nahm eine straffe Haltung an. Kurz darauf öffnete sich die Tür eines Nebenraums und Liora trat ein. Sie trug ein kostbares hellblaues Seidenkleid mit silbernen Stickereien und einen Sternenkranz im Haar. Hinter ihr trat eine Dienerin in den Saal, die fast lautlos zu einem der Tische ging und ein Tablett mit zwei zierlichen Tassen und einer Kanne Tee dort abstellte. Unauffällig verschwand sie danach.

»Mein lieber Ardrel!« Die Sternengöttin trat auf mich zu und küsste mich auf beide Wangen. »Ich freue mich, dich zu sehen.«

Ich neigte ehrerbietig den Kopf. »Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Sternengöttin Liora.«

Sie deutete einladend zum Tisch. »Setzen wir uns und trinken wir Tee miteinander.« Liora schenkte mir den Tee selbst ein, eine Geste, die besagte, dass sie mich mochte. Aber ich wusste auch, dass sie mich jetzt ausfragen würde, über Antiquerra und die Königinnen. So war es immer, und ich hatte mich natürlich darauf vorbereitet. Dennoch traf mich, nachdem wir eine Weile geplaudert hatten, ihre Frage völlig unerwartet. »Schmollt Tahereh noch? Du weißt schon, weil ich ihr nicht erlaubt habe, einen Dämon zu schicken.«

Ich zögerte mit der Antwort, dann sah ich Liora an. »Nein, so würde ich es nicht ausdrücken. Darf ich offen sprechen?« Als Liora nickte, fuhr ich fort. »Die Schattenkönigin Tahereh ist enttäuscht. Sie glaubt, dass sie vergeblich um die Anerkennung ihrer Dämonen kämpft, die ihrer Ansicht nach auch einen Beitrag leisten für das Ganze.« Ich biss mir auf die Lippen, weil ich nicht wusste, wie ich mich ausdrücken sollte.

Liora lächelte mich an. »Du erstaunst mich, Ardrel. Die Dämonen kämpfen gegen euch Lichtkrieger und doch trittst du für sie ein?«

Ich hob entschuldigend die Hand.

Liora nickte, schaute dann auf den Wandteppich und seufzte. »Ich wünschte, die Sterblichen würden den Dämonen öfter widerstehen.«

Überrascht schaute ich sie an. Ging es gar nicht um die Dämonen, sondern um die Sterblichen?

Liora wandte sich mir wieder zu. »Noch Tee?« Als ich bejahte, schenkte sie mir nach. »Ich werde Tahereh demnächst einladen, zusammen mit einem ihrer Dämonen. Es ist sicher gut, wenn ich mich mit ihr ausspreche. Du kannst es ihr ausrichten.« Wie entschuldigend lächelte sie. »Vermutlich ahnt Tahereh, dass ich die Mystiks nur vorgeschoben habe, um zu verhindern, dass ein Dämon den Stein holt. Aber hätte ich ihr sagen sollen, dass der ›Stein der Ewigkeit‹ in Dämonenhand nicht sicher ist? Es hätte sie noch mehr verletzt, obwohl es die Wahrheit ist. Nur im Schattenreich von Antiquerra können Alyssa und Tahereh die Macht des Steins kontrollieren, ihn vor unbefugten Zugriffen schützen. Außerhalb folgt der Stein eigenen Gesetzen, erst recht, wenn dämonische Kräfte auf ihn einwirken. Selbst du, Ardrel, musst vorsichtig sein, damit er dir nicht abhandenkommt.«

»Das werde ich!«

»Ich weiß. Kehre nachher sofort zu deiner Königin zurück. Der ›Stein der Ewigkeit‹ muss so schnell wie möglich dahin kommen, wo er hingehört.«

Ich trank einen Schluck Tee, um Zeit zu gewinnen. Dann sah ich Liora an. »Ich kann nicht sofort zurückkehren. Meine Königin Alyssa hat mir noch einen weiteren Auftrag gegeben, ich soll auf dem Rückweg das Festland erkunden und ihr Bericht erstatten über die Magier dort.«

»Warum?«

»Das weiß ich nicht.«

Liora schüttelte den Kopf. »Das finde ich sehr unbedacht. Aber du musst tun, was sie dir aufgetragen hat.« Sie seufzte tief auf. »Sei stets wachsam! Du trägst eine große Verantwortung!«

»Ich werde den Stein nicht aus den Augen lassen, du kannst dich darauf verlassen«, erwiderte ich, um die düsteren Schatten zu vertreiben, die uns plötzlich umwölkten. Ich hob die Teetasse zum Mund, trank einen Schluck und wechselte dann das Thema. »Meine Königin braucht noch einen Rat von dir. Die geheime Rune ist verschwunden und ...«

Lioras Augen blitzen zornig auf. »Lass mich raten! Tahereh und Alyssa haben gestritten wie Sterbliche. So etwas verträgt die Rune nicht, sie ist empfindlich!«

Ich sagte nichts. Meine Königin Alyssa und ihre Schwester waren erhabene Göttinnen und ich hatte nicht das Recht, eine von ihnen zu tadeln. Außerdem erschien mir das Verschwinden der Rune harmlos im Vergleich zu den Schwierigkeiten, die ich aufgrund des Streits zwischen den Königinnen befürchtete, und darüber durfte ich keinesfalls etwas verlauten lassen.

»Nun, es ist wie es ist.« Die Sternengöttin beugte sich über den Tisch und griff nach einer kleinen silbernen Glocke, die sie zum Klingen brachte. Dann wandte sie sich wieder an mich. »Du musst zu Avius gehen. Als sterblicher Verwandter des Schlangengotts Akhi steht er uns nah. Er ist ein Seher und macht außerdem hervorragende Zauber, im geheimen Auftrag auch für uns Götter. Der ›Stein der Ewigkeit‹ wurde von ihm geschaffen, auch wenn das magische Stück seine eigentliche Macht erst durch meinen Gatten Fandwyr erhalten hat. Avius hat auch die geheime Rune entworfen. Wenn also einer weiß, wie man sie zurückbekommt, dann er. Avius lebt in einer versteckten Höhle am unteren Küstenausläufer des Türkislands. Du wirst ihn leicht finden, seine Magie ist für einen Lichtkrieger weithin sichtbar.«

»Gut, dann gehe ich vor meiner Rückkehr noch zu ihm.«

Ich wandte den Kopf, weil hinter mir die Tür aufging. Faywen trat ein. Sie trug ein Tablett, auf dem etwas lag, das mit einem Tuch verdeckt war.

Die Sternengöttin winkte sie näher und Faywen stellte sich zwischen uns. Liora deutete auf das Tablett. »Der ›Stein der Ewigkeit‹ … Nimm ihn dir, Ardrel!«

Ich hob das Tuch weg und griff nach dem Stein, dessen Magie meinen Körper sofort in Aufruhr versetzte. Überall fühlte ich ein Kribbeln, fast so, als ob der Blitz immer wieder durch meine Adern fuhr. Ich atmete tief durch und betrachtete den Elfenbein-Jaspis so gelassen wie möglich. Die magischen Zeichen, die sich wie eine Schlange außen um den Stein wanden, flimmerten, als ob sie auf meinen Befehl zur Aktivierung warteten. »Nein«, flüsterte ich und deckte den Stein mit der Hand ab, »ich bringe dich nur heim.«

Schlagartig fühlte ich mich besser und als ich die Hand hob, lag der Stein wie kalte, tote Materie in meiner Hand.

Liora nickte zufrieden. »Du hast richtig reagiert. Er wird jetzt erst dann wieder aktiv, wenn ein anderer ihn berührt.« Sie sah mich ernst an. »Der Stein fragt nicht danach, wem er dient. In den falschen Händen könnte seine Magie viel Unheil anrichten! Denk daran und sorge dafür, dass er unversehrt zu meinen Töchtern gelangt.«

Ich nickte und steckte den Jaspis in den Beutel, der an meinem Gürtel hing. »Ich werde den Stein hüten, bis ich ihn meiner Königin Alyssa übergeben habe.«

Liora stand auf und gab mir damit das Zeichen zum Aufbruch. So erhob auch ich mich und verneigte mich vor ihr, doch Liora streckte die Arme aus, zog mich an sich und küsste mich auf beide Wangen. »Ich weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann, Ardrel«, sagte sie. »Geh jetzt! Faywen wird dich hinausbegleiten.«

Zusammen mit Faywen lief ich durch die weitläufigen Flure des Palastes. Kurz vor dem Ausgang blieb sie vor einer Tür stehen, die mit einem Kranz aus geschnitzten Schneerosen verziert war.

Faywen lächelte mich an. »Ich will dir zum Abschied noch etwas schenken, Ardrel. Komm mit!«

Sie öffnete die Tür und zog mich hinein.

Nie war ich in diesem Raum gewesen, aber ich hatte mich schon manchmal gefragt, was sich hier wohl verbarg. Die Tür hatte nämlich als einzige in den langen Fluren keinen durchscheinenden Eisschimmer, sondern bestand aus undurchsichtigem, gepresstem Schnee.

Jetzt sah ich mich erstaunt um. Hier sah es fast so aus wie in einem Unterrichtszimmer für kleine Feen. An der rechten und linken Wand entlang saßen Flechtfrauen in grünen Kleidern an breiten Tischen aus Eis. Vorne stand zwischen den beiden Fenstern ein einzelner Tisch. Die Frau dort trug ein rotes Kleid und saß den anderen zugewandt. Sie war wohl die Aufseherin, aber auch sie klöppelte wie die vielen Arbeiterinnen in rasender Geschwindigkeit ein filigranes Band nach dem anderen. Die langen Haare, welche sie dafür benutzte, lagen als farblich sortierte Bündel seitlich auf dem Tisch.

Faywen ging zielstrebig mit mir zu ihr hin. In einer Sprache, die ich nicht verstand, flüsterte sie der Aufseherin etwas zu, dann sah sie mich lächelnd an. »Wir Mystiks tragen eigentlich kein Haar, sondern Hoffnung auf dem Kopf, wusstest du das, Ardrel? In diesem Zimmer wird sie zu Bändern verflochten.« Sie deutete auf die Frau, die nicht von ihrer Arbeit aufsah. »Das ist meine Flechtfrau Ayben. Jeden Abend übergibt sie die fertigen Bänder dem Wind, der sie bei den Sterblichen verteilt. Sobald einer danach greift, strömt die Hoffnung in ihn hinein, um ihn in schwierigen Zeiten zu stärken.« Faywen lief um den Tisch herum und nahm sich eines der fertigen Armbänder, die an langen Haken vor der Wand hingen. »Das hier gefällt mir besonders gut, es ist aus allen Farben gearbeitet, die mein Haar annehmen kann.« Sie kam mit dem Armschmuck zu mir und band es um mein linkes Handgelenk. »Ich will dir das schenken, Ardrel. Du wirst die Hoffnung einmal brauchen, die mit meinem Haar verwoben ist.« Faywens kleines Gesicht wirkte plötzlich ungewöhnlich ernst, aber sie gab mir keine Gelegenheit, nachzufragen, wie sie ihre Worte meinte. »Wir müssen gehen. Die Frauen werden schon unruhig.«

Faywen legte ihren Zeigefinger vor den Mund, um mir zu bedeuten, still zu sein, und führte mich aus dem Raum hinaus. Ohne Umwege brachte sie mich danach zur Küste zurück. Während wir über Eis und Schnee liefen, hüpfte sie fröhlich singend voraus, so schnell, dass ich kaum hinterherkam und dann rannten auch schon die anderen Mystiks auf uns zu, um mich zu verabschieden. In all dem Trubel vergaß ich Faywens Worte und sie fielen mir erst wieder ein, als ich hoch oben über der eisigen See hinüber zum Dunklen Land flog.

Nachdem ich dort an einem kleinen, felsigen Strand gelandet war, blieb ich stehen und betrachtete nachdenklich das schmale Band, das mein Handgelenk wie in einem Spiel von Licht und Schatten umschloss. Warum sollte ich Hoffnung brauchen? Ich war doch vollkommen zufrieden mit meinem Leben, und meine Königin Alyssa liebte mich! Vorsorglich tastete ich nach dem Stein, der gut verwahrt in dem Beutel an meinem Gürtel hing. Es war alles in Ordnung! Ach … Faywen hatte mir nur etwas schenken wollen und sicher hatte sie deshalb so ernst geschaut, weil sie befürchtete, die Flechtfrauen zu stören. Der Gedanke beruhigte mich. Zügig machte ich mich jetzt auf den Weg, um das Land der Magier zu erkunden, damit ich später meiner Königin Bericht erstatten konnte.

Dämonische Kräfte …

Zu Beginn meiner Wanderung lief ich durch eine einsame Eiswüste, die kein Ende zu nehmen schien. Ich begegnete niemandem, sah nur von fern ab und zu einen Bären oder einen Fuchs, deren weißes Fell sich kaum von der Umgebung abhoben. Der Wind wehte mir kalt ins Gesicht und bestäubte mich mit kleinen Schneekristallen, die sich hartnäckig an meine Wimpern hefteten. Es erschwerte mir die Sicht, sodass ich nicht in gewohnter Geschwindigkeit über die Ebene huschen konnte. Aber je weiter ich westwärts kam, desto wärmer schien es zu werden. Der Boden taute, gab auf felsigem Untergrund Moose, Flechten und Kräuter frei. Eine Zeit später wanderte ich schnellen Schrittes über grasbedeckten Boden, der sogar niedrig wachsenden Sträuchern Halt bot, deren winzige Blüten endlich auch Farben zeigten, die der sommerlichen Jahreszeit entsprachen. Durch den blauen Himmel tasteten sich Sonnenstrahlen vor, ihre sanfte Wärme erinnerte mich an die Strahlenkönigin.

Irgendwann entdeckte ich die ersten bewohnten Siedlungen. Ich hielt mich abseits, nahm nur die Atmosphäre auf, die von dort zu mir herüberwehte. Die Magier schienen friedlich zu sein, ihr Zusammenleben geprägt von der Arbeit in einer kargen Gegend.

Ich selbst war froh, als ich endlich bewaldetes Gebiet erreichte, nicht nur, weil ich mich in solcher Gegend sicherer fühlte, sondern weil ich Wälder genauso liebte wie die versteckten Seen, die sich oft darin verbargen. Mit tiefen Zügen atmete ich den würzigen Duft, welche die Fichten und Tannen in reichem Maße verströmten. Ich hörte Vögel singen, Eichhörnchen huschten an den Bäumen hinauf, und obwohl ich schon tagelang wanderte, war mir, als ob meine Kräfte hier mit jedem Schritt gestärkt wurden.

Schon seit einiger Zeit bewegte ich mich immer mehr in südliche Richtung. Dennoch lag noch eine ganze Wegstrecke vor mir, ehe ich den Teil des Landes erreichte, den die Magier Türkisland nannten. Aber die Wälder wurden schon dichter, grüner, und es wuchsen nicht mehr nur Fichten und Tannen, sondern auch Buchen und Birken sowie viele verschiedene Sträucher. Ich lief nun zumeist auf bequemen Wegen, nicht mehr wie zuvor quer durch das Gehölz. Aber ich musste auch wieder vorsichtiger sein und gewappnet, falls mir jemand begegnete.

Es war jetzt schon fast Halbmond, also blieben mir noch etwa zwei Wochen Zeit, ehe der Mond voll und ich zu meiner Königin zurückkehren musste. Gern wäre ich jetzt ab und zu geflogen, aber ich unterließ es, denn oben in der Luft nahm ich nicht so viel von der Energie der Magier wahr wie hier unten am Boden. Ich befand mich nun in der Nähe eines kleinen Dorfes und der Waldweg, auf dem ich schritt, wurde von den Bewohnern wohl oft benutzt. Ich empfand mich regelrecht von deren Energien umzingelt. Es fühlte sich nicht angenehm an, irgendetwas schien die Leute schier zu erdrücken. Mir war, als ob die Luft um mich herum zum Schneiden dick wäre, und das führte dazu, dass sogar meine Schritte langsamer und schwerer wurden. Nein, die Magier, die hier wohnten, waren nicht glücklich!

Ich überlegte, ob ich näher an das Dorf herangehen sollte, um herauszufinden, was den Magiern dort so zusetzte. Aber dann entschied ich mich dagegen. Als der Weg wenig später in einer langen Kurve nach rechts bog, blieb ich jedoch wie angewurzelt stehen. Vorne, am Wegesrand, saß eine junge Frau am Boden. Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen und weinte bitterlich. Im ersten Augenblick als ich sie sah, wollte ich mich unverzüglich in die Luft erheben, damit sie mich nicht entdeckte, aber dann ließ sie die Hände sinken und ich sah ihr Antlitz. Sie sah meiner Königin so ähnlich, dieselben zarten Gesichtszüge, fast so blonde Locken wie sie! Wie von feiner Nadel fuhr ein Stich durch mein Herz und ich fragte mich, ob meine Königin Alyssa derzeit vielleicht auch so traurig war wie dieses Mädchen hier.

Die junge Frau sah zu mir hin. Jetzt gelang es mir nicht mehr, zu verschwinden, ohne mich verdächtig zu machen. Aber vielleicht war das vom Schicksal so gewollt, und würde Alyssa nicht sagen, dass ich diesem Kind helfen sollte? Außerdem konnte ich mich mit meinen spitzen Ohren ja notfalls als Elfen ausgeben, was also war dabei? Fast automatisch setzte ich mich in Bewegung, stand wenig später vor der jungen Frau und beugte mich mit ausgestreckter Hand zu ihr herunter, um ihr aufzuhelfen.

»Hast du dich verletzt?«

Sie sah zu mir auf. Selbst ihre strahlend blauen Augen ähnelten denen der Strahlenkönigin.

»Ich habe mir den Knöchel verstaucht und was noch schlimmer ist: All meine gesammelten Beeren sind in den Schmutz gefallen.« Sie wies auf den umgekippten Korb am Boden und die Himbeeren, die verstreut in einer Wasserpfütze lagen. Mit einem Schmerzlaut lehnte sie sich gegen meine Brust.

Die Wärme ihres Körpers übertrug sich unerwartet auf meine Lenden. Ich hielt den Atem an. Nein! Schnell schob ich sie ein Stück von mir weg. Mein Blick fiel dabei auf das Amulett, das sie um den Hals trug. Es irritierte mich, genauso wie der süßlichschwere Duft, der sie umgab. Dennoch bat ich: »Lass mich deinen Knöchel anschauen, vielleicht kann ich etwas tun.«

Während ich mit ihr schräg nach vorne zum Wegrand ging, damit sie sich dort auf den großen Stein setzen konnte, streifte mein Blick noch einmal ihr Amulett. Woran erinnerte es mich nur? Mir war, als ob ich es kannte. Aber woher? Wieder schaute ich auf das Amulett, auf die verschlungenen, schwarzen Zeichen, die erhaben auf silbernem Hintergrund standen. Ich grübelte, und plötzlich fiel mir ein, wo ich es schon einmal gesehen hatte.

Im nächsten Augenblick stieß ich das Mädchen von mir und zog mein Schwert. »Jaron!«, schrie ich, »wie kannst du es wagen, mich in Mädchengestalt täuschen zu wollen? Hast du gedacht, du kannst mich so leicht in Versuchung führen?«

Die junge Frau sah mich an, hüllte sich in wild wirbelnde Schatten, und wenig später stand sie als Mann vor mir. Er hatte dunkle, halblange Haare, einem verwegenen Gesichtsausdruck und einen sportlich gestählten Körper.

»Woran hast du mich erkannt, Ardrel?«, fragte er und grinste.

Ich hob mit meinem Schwert seine Halskette an und fauchte: »Du hättest dein Amulett abnehmen sollen!«

Jaron hob abwehrend die Hände. »Bleib ruhig, sonst wird dein kostbares Lichtschwert am Ende noch von meinem schwarzen Dämonenblut verunreinigt.« Seine Stimme klang spöttisch und doch hörte ich auch einen Hauch Bitterkeit heraus.

Es veranlasste mich, mein Schwert zu senken. »Geh!, und lauf mir nicht noch einmal über den Weg, ehe ich zuhause bin.«

Ich schulterte mein Schwert, um weiterzugehen, aber Jaron hielt mich auf. »Natürlich! Was konnte ich von einem Lichtkrieger auch anderes erwarten als Feindseligkeit!« Als ich nur abwinkte, griff er nach meinem Arm. »Herrje! Verstehst du das wirklich nicht, Ardrel? Ich möchte diesen Stein wenigstens sehen, wissen, was an ihm ist, dass es mir als Dämon nicht erlaubt wurde, ihn zu holen.«

»Pst!«, zischte ich und sah mich misstrauisch um.

Aber Jaron dachte nicht daran, den Mund zu halten. »Hier ist niemand! Dieser Waldweg wird schon lang gemieden und die Magier da unten im Tal trauen sich kaum noch aus ihren Hütten. Deshalb hab ich diesen Platz ja ausgesucht, um dich abzupassen.«

Ich fragte nicht, wie Jaron darauf kam, dass dieser Weg nicht benutzt wurde, wenn ich hier doch so starke Energien empfing. Erst recht fragte ich nicht, wie er hatte ahnen können, dass ich diesen Weg nehmen würde. Stattdessen tastete meine Hand nach dem Beutel, in dem ich den Stein verwahrte. Er war noch da.

Jarons Blick folgte meiner Hand. »Zeig ihn mir. Wenigstens das kannst du doch tun!«

Ich schüttelte den Kopf und ging weiter. »Du siehst den Stein, wenn ich ihn Alyssa übergebe.«

»Du bist genauso überheblich wie die anderen Lichtkrieger!« Jarons Stimme klang jetzt aufgebracht.

Ich blieb stehen und seufzte. »Du urteilst über mich, ohne mich wirklich zu kennen! Und damit du es weißt, auch die Sternengöttin Liora hat nichts gegen euch Dämonen.«

Jaron lachte auf. »Natürlich. Deshalb muss meine Königin auch auf die Begleitung von uns Dämonen verzichten, wenn sie Liora besuchen will.«

»Das wird sich ändern«, erwiderte ich schnell.

Jaron schüttelte den Kopf. »Das ist mir gleich! Ich will nur wissen, warum Liora diesmal eine Ausrede benutzt hat, um keinen Dämon sehen zu müssen — und sag mir jetzt nicht, dass das mit den Mystiks keine Ausrede gewesen war! Fällt ihr die Ungerechtigkeit schon selbst auf? Ach …« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Soll sie sich doch weiter am Anblick eurer glanzvollen Schwerter freuen und am Blut von uns Dämonen, das daran klebt. Aber ich muss herausfinden, ob ich den ›Stein der Ewigkeit‹ deshalb nicht holen durfte, weil er meiner Art zum Schaden gereichen soll.«

Jaron hatte sich in Rage geredet, aber nicht das, sondern sein letzter Satz machte mich fast sprachlos. Ich starrte ihn an und brauchte eine Weile, ehe ich antwortete. »Deiner Art schaden? Soll das heißen, du misstraust auch deiner Königin? Deine Tahereh will den Stein schließlich genauso nutzen wie meine Herrin Alyssa — und eines will ich klarstellen: Ich habe nie mein Schwert gegen einen von euch Afektis-Dämonen erhoben!«

Jaron atmete durch und war plötzlich wieder die Ruhe selbst. Er lächelte sogar. »Doch, vorhin …« Als ich den Mund öffnete, um etwas zu erwidern, wehrte er ab. »Schon gut. Ich habe mir sagen lassen, dass du im Gegensatz zu ein paar anderen deiner Gefährten nie einen Unbewaffneten angreifen würdest. Du giltst als ehrenhaft und dein Sinn für Gerechtigkeit ist bekannt, es ist einer der Gründe, warum ich mich entschlossen hatte, dir hierher zu folgen.« Jaron grinste jetzt, wurde dann aber ernst. »Was Tahereh betrifft: Sie ist meine Königin und mir so nah wie dir es Alyssa ist. Ich will sie schützen, auch vor dem Stein, falls er der Dunkelheit, über die sie gebietet, zum Schaden gereicht.«

Ich nickte, denn dass er Tahereh schützen wollte, verstand ich gut. »Der ›Stein der Ewigkeit‹ ist nicht schädlich, er wird dem gehorchen, der ihn benutzt, also auch deiner Königin. Nur empfindlich ist er, ich wurde deshalb von Liora gewarnt.«

Jaron sah mich an. »Zeig ihn mir, damit ich mich überzeugen kann!«

Ich versuchte, Jarons Energie aufzunehmen, die mir so gar nicht dunkel erschien. Zumindest im Augenblick spürte ich keine lauernde Absicht in ihm. Dass er mich vorhin in der Gestalt einer jungen Frau hatte versuchen wollen, gehörte zu seiner Dämonen-Natur, die Afektis waren Meister darin, in anderen alle möglichen Begehren zu wecken. Das durfte ich ihm nicht vorwerfen. Aber sonst? Ich wusste einfach zu wenig über das, was sie taten.

Würde ich einen Fehler machen, wenn ich mich entschloss, Jarons Bitte nachzukommen? Ich dachte daran, dass er bei seiner Königin denselben Rang hatte wie ich bei Alyssa. Eigentlich wäre es da nur fair, wenn ich nachgab. Ich tastete nach dem Beutel mit dem Stein. »Alyssa würde mich schelten, wenn sie es wüsste, aber ich will ihn dir zeigen, vorausgesetzt du versprichst mir, ihn nicht anzufassen.«

Als Jaron nickte, nahm ich den Elfenbeinjaspis aus dem Beutel und wickelte ihn vorsichtig aus dem Tuch aus. Während er den Stein betrachtete, beobachtete ich ihn. Erst öffnete sich Jarons Mund in ungläubigem Staunen, gleich darauf holte er hörbar Luft und schrak zurück, beugte sich aber schnell wieder über den Jaspis. Sein Gesicht wirkte auf einmal angespannt und plötzlich bemerkte ich, wie er seine Hand ausstreckte. Ich drehte mich schnell von ihm weg, wickelte den magischen Jaspis wieder ein und verstaute ihn in dem Beutel, der noch an meinem Gürtel hing.

Danach sah ich Jaron ernst an. »Ich nehme an, jetzt weißt du, warum Liora wollte, dass du dem Stein fern bleibst …«

Jaron atmete durch. »Willst du damit sagen, dass der Stein zu dir nicht gesprochen hat?«

»Doch«, erwiderte ich gelassen. »Aber ich konnte ihn beruhigen. Er weiß, dass ich ihn nicht benutzen will.«

Jaron spielte den Ungerührten. »Nun, das will ich auch nicht, und er soll ruhig in deinem Beutel bleiben. Mir ist jetzt klar, dass er nicht zwischen Licht und Dunkel unterscheidet.« Er straffte die Schultern. »Aber zu deiner eigenen Sicherheit werde ich dich auf dem weiteren Weg begleiten.«

»Zu meiner Sicherheit?« Ich hörte selbst, wie spöttisch meine Stimme klang.

Jaron schien das nichts auszumachen. »Nun, obwohl wir uns regelmäßig sehen, wenn unsere Königinnen sich treffen, weißt du nichts über mich. Wir haben ja bisher nicht einmal miteinander gesprochen. Aber du solltest wissen, dass ich die Dunkelheit in den Sterblichen erkenne. Ich kann dich daher bei Gefahr rechtzeitig warnen und glaub mir, es laufen hier genug Wesen herum, die weit schlimmer sind als die Vorstellung, die du von Dämonen hast.«

Ich spürte, dass er das völlig ernst meinte, dennoch schüttelte ich den Kopf. »Das ist womöglich gut gemeint, aber lass es. Erstens kann auch ich die Energien um mich herum deuten und zweitens falle ich allein weniger auf.«

»Das war kein Vorschlag.« Jetzt grinste Jaron spöttisch.

»Ich sage trotzdem Nein.« Aufmerksam sah ich ihn an. »Was meint eigentlich deine Königin dazu, dass du hier bist?«

»Wir Dämonen sind ein bisschen selbstständiger als ihr Lichtkrieger …«

»Dann weiß sie also gar nichts davon! Ich wette, sie hat es sogar verboten! Also meine Königin, Alyssa, bestraft sehr hart, wenn sie sich hintergangen fühlt, und Tahereh ahndet das bestimmt noch strenger. Ich würde an deiner Stelle schnellstens zurückkehren, ehe sie Wind von deinem Ausflug bekommt.«

»Wenn Tahereh erführe, dass ich dir gefolgt bin, müsste ich mit dem Tod rechnen, das ist wahr«, erklärte Jaron frei heraus, »aber wenn der ›Stein der Ewigkeit‹ durch mein Zutun vor Schaden bewahrt wird, dann wird sie mich höchstens ein paar Jahre lang ächten, und das trage ich dann gern.«

Ich legte Jaron die Hand auf die Schulter, eine Geste, die mich selbst überraschte. Immerhin war er ein Dämon und von Natur aus mein Feind. Aber er war mir durch unser Gespräch fast sympathisch geworden. »Glaub mir, den magischen Stein kann ich allein vor Schaden bewahren, vermutlich besser, als wenn du mich begleiten würdest. Geh nach Hause, von mir erfährt niemand, dass du mir gefolgt bist.«

Jaron lächelte, aber ich spürte, wie sein Blick in mich hineinkroch. Es fühlte sich unangenehm an, so als ob er in meinem Gehirn bohrte, um meine Gedanken zu erkennen. Ich öffnete den Mund, um mich mit deutlichen Worten gegen seine Spielchen zu verwahren, da nahm Jaron sich wieder zurück. Er lachte auf, schüttelte den Kopf. »Ich glaube fast, du machst dir Sorgen um mein Leben!« Er schwieg, dann atmete er durch. »Ich muss zugeben, auf mich hatte der Stein eine ziemlich aufputschende Wirkung. Ich spüre das jetzt noch. Aber zumindest scheint der Jaspis den Beutel da …« Er wies auf das Säckchen an meinem Gürtel, »… als seinen Schlafplatz zu betrachten. Nimm ihn also bloß nicht mehr da heraus, denn entsprechend veranlagte Sterbliche könnten bei seinem Anblick dasselbe empfinden wie ich und ihn haben wollen.« Jaron schnaufte durch und schüttelte dann wieder den Kopf. »Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal nachgebe, aber ich tue es, um deines Auftrags willen, der auch meiner