3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €
Annie ist die glückliche Besitzerin einer Braut- und Abendmodenboutique in den Catskills. Kurz vor Weihnachten muss sie ihre milliardenschwere Familie in New York City besuchen. Doch die weiß nichts von ihrem bescheidenen Leben auf dem Land. Und wenn es nach Annie ginge, sollte es auch genau so bleiben. Eric fertigt als Schreiner leidenschaftlich gerne Möbel auf Bestellung an, verleiht antiken Stücken das gewisse Etwas und bringt verstaubte Dachbodenfunde wieder zum Glänzen. Sein Leben ist einfach und vor allem unkompliziert. Zumindest bis zu dem Tag, an dem er eine Frau aus ihrem Wagen rettet und sich wenig später in einer der imposantesten Villen am Central Park wiederfindet. Von der Kraft der wahren Liebe und der Hoffnung auf ein Miteinander, das eigentlich nicht sein soll.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Mila Summers
Liebe ist nicht nur ein Gefühl
Über das Buch:
Warum trifft man die richtigen Männer immer zur falschen Zeit?
Annie ist die glückliche Besitzerin einer Braut- und Abendmodenboutique in den Catskills. Kurz vor Weihnachten muss sie ihre milliardenschwere Familie in New York City besuchen. Doch die weiß nichts von ihrem bescheidenen Leben auf dem Land. Und wenn es nach Annie ginge, sollte es auch genau so bleiben.
Eric fertigt als Schreiner leidenschaftlich gerne Möbel auf Bestellung an, verleiht antiken Stücken das gewisse Etwas und bringt verstaubte Dachbodenfunde wieder zum Glänzen. Sein Leben ist einfach und vor allem unkompliziert. Zumindest bis zu dem Tag, an dem er eine Frau aus ihrem Wagen rettet und sich wenig später in einer der imposantesten Villen am Central Park wiederfindet.
Von der Kraft der wahren Liebe und der Hoffnung auf ein Miteinander, das eigentlich nicht sein soll.
Über die Autorin:
Mila Summers, geboren 1984, lebt mit ihrem Mann und den beiden Kindern in Würzburg. Sie studierte Europäische Ethnologie, Geschichte und Öffentliches Recht. Nach einer plötzlichen Eingebung in der Schwangerschaft schreibt sie nun dramatische und humorvolle Liebesromane mit Happy End und erfreut sich am regen Austausch mit ihren LeserInnen.
Du willst keine Veröffentlichung mehr verpassen? Dann melde dich hier zum Newsletter an.
Bisher von der Autorin erschienen:
»Liebe ist-Reihe«
Liebe ist nur mit Dir
Liebe ist ein Glücksfall
Liebe ist ganz nah
Liebe ist ein Wunder
»Manhattan Love Stories«
Irresponsible desire
Irrepressible desire
Irresistible desire
»Tales of Chicago«
Küss mich wach
Vom Glück geküsst
Ein Frosch zum Küssen
Küsse in luftiger Höhe
Zum Küssen verführt
»Social Media Love«
Instafame oder Gummistiefel in Acryl
Facebook Romance oder nach all den Jahren
Twinder oder die Irrungen und Wirrungen der Liebe
»Weihnachten im Ort der Wunder«
Küsse unter dem Mistelzweig
Liebe und andere Weihnachtswunder
Alle Teile sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden. Allerdings gibt es ein Wiedersehen mit den Protagonisten der vorhergehenden Bücher.
Weitere Bücher der Autorin:
Vielleicht klappt es ja morgen. Liebe in …
Rettung für die Liebe
Liebe lieber einzigartig
Auf einmal Liebe
Sommer, Sonne, Strand und Liebe – Nele & Josh
Ein zauberhaftes Weihnachtsgeschenk
Verloren sind wir nur allein
Zuckersüßer Sommer
Ein Sommer in Schottland
Weihnachten in Cornwall
Schneegestöber (Charity-Buchprojekt für die Stiftung Bärenherz in Wiesbaden)
MILA
SUMMERS
Liebe ist nicht nur ein Gefühl
Roman
Deutsche Erstauflage Dezember 2020
Copyright © Mila Summers
Lektorat: Dorothea Kenneweg
Korrektorat: SW Korrekturen
Covergestaltung: Nadine Kapp
Covermotiv: Shutterstock © Oksana Shufrych / Breslavtsev Oleg
Depositphotos ©AllaSerebrina
Impressum: D. Hartung
Frankfurter Str. 22
97082 Würzburg
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Personen und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Epilog
Danksagung
Weitere Bücher der Autorin
Liebe ist – Reihe
Weihnachtsromane
Sommerromane
Annie
Die schmatzenden Geräusche, die meine Moon Boots an diesem frühen Mittwochmorgen auf dem frisch gefallenen Schnee machten, waren alles, was im Wald zu hören war.
Ruhe, Stille und Besinnlichkeit lagen wenige Tage vor Weihnachten in der Luft. Diese Zeit im Jahr hatte etwas Magisches an sich. Und wenn ich nicht morgen zu meiner Familie nach New York City aufbrechen müsste, könnte ich das friedliche Idyll vielleicht sogar ein wenig genießen.
So aber verfinsterte sich meine Laune beim Gedanken an die viel zu steifen Festlichkeiten bei uns zu Hause. Mit dem Fest der Liebe hatte diese Veranstaltung wahrlich nichts zu tun. Denn Weihnachten wurde in unserer Familie nicht nur mit den engsten Familienmitgliedern gefeiert. Stattdessen luden meine Eltern wenige Tage vor dem eigentlichen Fest wichtige Geschäftspartner ein, um mit ihnen nett zu plaudern und auf ganz unkonventionelle Art und Weise Pläne für das kommende Jahr zu schmieden.
Champagner, gutes Essen und das Ambiente der Morgan-Villa an der Upper West Side versprühten ihren ganz eigenen Charme; der erhebliche Aufwand, den meine Mutter zu diesem Anlass betrieb, verfehlte niemals seinen Zweck, die New Yorker Geschäftswelt zu beeindrucken.
Meine jüngere Schwester Lorelai und ich fanden diese Feierlichkeiten schon in unserer Kindheit immer ziemlich öde. Anstatt, wie von Mom angeordnet, Präsenz zu zeigen und adrett vor den geladenen Herrschaften zu knicksen, versteckten wir uns lieber im Haus, sodass unsere Nanny Florentine ihre liebe Mühe mit uns hatte.
Die Weihnachtsfeiertage selbst verbrachte Florentine dann bei ihrer Familie in der Provence, und Lorelai und ich versteckten uns nicht mehr vor ihr. Ganz im Gegenteil! Am liebsten wären wir mit ihr geflogen. Einmal hatten wir sie sogar angefleht, uns in ihrem Koffer außer Landes zu schmuggeln.
Und doch hatten wir jedes Jahr aufs Neue die Hoffnung, Weihnachten endlich so feiern zu können, wie wir es aus dem Fernsehen kannten. Mit viel gutem Essen, Lachen, das so laut war, dass es im ganzen Haus zu hören war, alten, rührseligen Geschichten und hübsch verpackten Geschenken.
Nun, die Realität sah Jahr um Jahr leider ganz anders aus. Mom hatte meist noch Kopfschmerzen vom großen Weihnachtsempfang einige Tage zuvor. Der berüchtigte Drei-Tage-Kater zog sich nicht selten bis ins neue Jahr. Dad war stets bemüht, aber die rechte Weihnachtsstimmung wollte leider nie aufkommen. Alte Geschichten gab es nur welche von der Sorte, die uns Mädchen nicht sonderlich interessierten. Über die Firma, den Aufstieg, glückliche Fügung und all dieses Blabla, bei dem ich schon beim Drübernachdenken ganz müde wurde. Und unsere Geschenke waren stets zweckmäßig und teuer gewesen. Nie hatten sie Entzücken hervorgerufen. Der gewisse Zauber hatte an Weihnachten immer gefehlt.
»Hey, Annie! Bist du auf dem Weg zu Mary?«, riss Dylan mich aus meinen Gedanken.
Er zog sich gerade die wärmenden Handschuhe über. Seit heute Morgen wehte ein eisiger Wind. Der Schnee, der durch die Lüfte tänzelte, war vom Fenster aus so schön anzusehen gewesen. Vor allem, wenn er die Zweige der riesigen Tanne vor meinem Haus bedeckte und sie damit wie gezuckert aussehen ließ. Aber hier draußen war es heute bitterkalt. Ich hätte mir einen Schal mitnehmen sollen.
»Hey, Dylan! Ja, ich wollte mich mal wieder blicken lassen. In den vergangenen zwei Wochen war so viel los bei mir, dass ich kaum aus dem Laden rauskam. Gefühlt jeder hier in den Catskills brauchte noch ganz dringend etwas Schickes zum Anziehen für Weihnachten. Und das gleich in doppelter Ausführung, versteht sich.«
Dylan lachte.
»Na, das klingt doch nach einem ganz prächtigen Weihnachtsgeschäft. Freut mich sehr für dich. Nimm es mir nicht übel, aber als du vor fünf Jahren hier ankamst, hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass sich ein Laden für Braut- und Abendmoden in den Catskills lange behaupten könnte.«
Nun musste ich lachen.
»Glaub mir, ich hätte auch nicht gedacht, dass es mein Geschäft nach fünf Jahren noch geben würde. Aber ich bin da. Und ich habe nicht vor, so schnell wieder zu gehen.«
»Wir würden dich auch gar nicht mehr gehen lassen. Was wären wir denn ohne dich? Deine Familie muss stolz auf dich sein. Was du hier alles allein auf die Beine gestellt hast, ist echt eine große Leistung.«
Bei der Erwähnung meiner Familie zuckte mein rechtes Lid.
»Na ja, ich werd dann mal weitergehen. Mary hat später bestimmt noch einiges zu tun.«
Nicht, dass mir die Unterhaltung mit Dylan lästig geworden wäre. Aber wenn es ein Thema gab, über das ich normalerweise nicht gern reden wollte, dann war das meine Familie. Ich hatte meine Gründe dafür. Heute aber wollte ich zu Mary, um ihr mein Herz auszuschütten. Dieses Mal hatte ich mir vorgenommen, mein Geheimnis einmal loszuwerden, bevor ich aufbrechen würde, um meinen alljährlichen Weihnachtsbesuch bei meiner Familie in New York zu absolvieren.
»Skifahrer und Snowboarder sind in den vergangenen Wochen wie Heuschrecken über das Winnisook Lake Hotel eingefallen. Aber so langsam entspannt sich die Lage, und Mrs. Vanderbilt und ihr Team greifen Mary tatkräftig unter die Arme. Sie wird das Hotel über die Feiertage bis ins neue Jahr schließen, um ein wenig zur Ruhe zu kommen. Vielleicht hat sie es dir ja auch schon erzählt. Die letzte Hochzeitssaison sitzt ihr noch immer in den Knochen.«
Das konnte ich gut nachvollziehen. Mary war kaum ein Jahr in den Catskills und hatte sich bereits über die Region hinaus einen Namen als Weddingplannerin gemacht. Heiratswillige New Yorker hatten ihr im Frühjahr die Bude eingerannt und waren nicht vor dem Herbst wieder abgezogen. An manchen Wochenenden hatte Mary gleich vier Hochzeiten in ihrem Haus unter einen Hut bringen müssen. Ein wahrer Kraftakt und wahrlich nichts, worum ich sie beneidete.
»Das glaube ich gerne. Dank Mary habe ich in diesem Jahr so viele Hochzeitskleider und Abendkleider verkauft wie in keiner Saison zuvor.«
Dylan grinste stolz.
»Ich würde sagen, wir können froh sein, dass sie da ist. Was meinst du?«
Ich lachte.
»Natürlich sind wir das. Sie ist mir eine richtig gute Freundin geworden. Und das sage ich nicht nur, weil Mary und ich den gleichen Netflix-Seriengeschmack haben.«
Dylan verdrehte die Augen.
»Wohin gehst du denn schon so früh?«, wechselte ich das Thema.
»Mitch hat im Diner renoviert und eine neue Theke geordert. Ich hab ihm gestern Abend nach dem dritten Bier freimütig meine Hilfe angeboten. Das hab ich jetzt davon.«
Dylan schüttelte den Kopf.
»Tja, das sollte dir eine Lehre sein.«
Dylan zog eine Augenbraue nach oben.
»Keine Versprechungen unter Alkoholeinfluss?«, hakte er nach.
»Weniger Alkohol.«
Dylan lachte.
»Das musst du gerade sagen. Wenn Mary nach einem der berüchtigten Netflix-Abende bei dir zurückkommt, schnarcht sie so laut, dass ich freiwillig auf der Couch schlafe. Und das heißt was. Die ist nämlich schon so durchgesessen, dass man kaum darauf sitzen kann, geschweige denn liegen.«
Bildete ich es mir nur ein oder schmollte Dylan gerade ein wenig?
»Okay, weil du’s bist. Keine Annie-Spezialmischung mehr für Mary. Okay?«
Mein Friedensangebot war mehr als großzügig, fand ich.
Doch Dylan überlegte kurz.
»Klingt nach einem fairen Angebot. Was erwartest du als Gegenleistung?«
»Dass die Theke bei Mitch der Hit wird. Ich verbringe da nämlich auch ganz gerne mal einen geselligen Abend«, gestand ich ihm augenzwinkernd.
Dylan lachte herzlich auf.
»Das sollte machbar sein. Ich werde Mitch zum Glück nicht als Einziger zur Seite stehen.« Dann schob er den Handschuh etwas nach unten und sah auf seine Armbanduhr. »Mist! So spät schon. Ich muss jetzt leider weiter.«
Entschuldigend sah er mich an.
Ich winkte ab.
»Geh ruhig! Ich wollte ja eh zu Mary und nicht zu dir.«
»Ts! Immer diese hochnäsigen Großstädter.«
Dylan gab sich gespielt eingeschnappt.
Nach außen hin lächelte ich tapfer, auch wenn es mich einiges an Überwindung kostete. Dylan hatte es sicher nicht böse gemeint. Dennoch bedauerte ich es zutiefst, wenn mir die Leute hier in den Catskills das Gefühl gaben, ich gehörte nicht zu ihnen.
Mit einem »Wir sehen uns!« eilte Dylan an mir vorbei.
Neben meinen Schritten im Schnee waren nun auch ein paar Vögel zu hören. Als das Hotel in der Ferne aufragte, tänzelte die Sonne gerade auf der Wasseroberfläche des Sees, der sich vor dem romantischen Gebäude erstreckte. Ein schönes Bild. So friedlich.
Am Bootssteg standen ein paar Urlauber mit ihren Boards und Skiern und unterhielten sich angeregt über die besten Pisten und die Wettervorhersage für die kommenden Tage. Sie beachteten mich nicht weiter, während ich meinen Weg unbeirrt fortsetzte. Auch auf der Terrasse herrschte reges Treiben. Einige der Gäste frühstückten sogar im Freien. Ganz so, als wäre Hochsommer und der Schnee der vergangenen Wochen nur ein Gerücht, das sich beachtlich lange hielt.
»Annie?«
Ein Fenster wurde aufgerissen, und Mary streckte ihren Kopf hindurch.
Ich winkte ihr.
»Hast du ein bisschen Zeit für mich?«, fragte ich lächelnd.
»Für dich immer!« Damit schlug Mary mir das Fenster vor der Nase zu.
Perplex stand ich da, ehe ich begriff, dass sie es nur geschlossen hatte, um zu mir nach unten zu eilen.
Mit weit ausgebreiteten Armen und einem freudigen Lächeln auf den Lippen rannte Mary auf mich zu und begrüßte mich überschwänglich. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, wir hätten uns vor langer Zeit aus den Augen verloren, und das hier wäre unser erstes Wiedersehen.
»Wie schön, dass du mich besuchen kommst. Die letzten Wochen waren sehr stressig. Stressiger, als ich es für diese besinnliche Jahreszeit erwartet hätte. Zum Glück haben wir beschlossen, über die Feiertage zu schließen. Batterien auftanken und so«, plapperte Mary ohne Punkt und Komma munter drauflos, während sie sich bei mir unterhakte und wir wie selbstverständlich den Weg um den See herum einschlugen.
Mit jedem Schritt, den wir gemeinsam machten, geriet der eigentliche Grund für mein Kommen in den Hintergrund. Denn ich war mitnichten nur hier, um Mary vor Weihnachten noch einmal zu sehen. Fünf Jahre schon trug ich meine Geschichte mit mir herum, ohne je darüber zu sprechen, wie es mich überhaupt hierher verschlagen hatte. Dieses Geheimnis konnte ich nicht länger nur mit mir allein ausmachen. Ich brauchte jemandem, dem ich mich anvertrauen konnte. Und Mary war die einzige Person, die mich nicht verurteilen würde.
»Entschuldige bitte, Annie, ich jammere dir hier die Ohren voll und frag nicht mal, wie es dir geht. Dabei war bei dir sicher auch einiges los.«
»Hm? Ach so. Mach dir deshalb keinen Kopf. Alles gut. Die letzten Wochen waren auch für mich ziemlich nervenaufreibend.«
Nichts im Vergleich dazu, was mich in den kommenden Tagen zu Hause erwarten würde.
»Und daran hast du keinen unerheblichen Anteil.«
Mary zog die Augenbrauen weit nach oben und hielt in der Bewegung inne.
»Wie darf ich das denn verstehen?«
»Seit du in die Catskills gekommen bist, floriert mein Geschäft. Ich kann dir gar nicht sagen, wie dankbar ich dir für alles bin. Denn wenn du nicht gekommen wärst, hätte es gut sein können, dass ich den Laden zum Ende des Jahres hätte aufgeben müssen«, offenbarte ich ihr ehrlich.
Mary sah mich gerührt an, ehe sie mich fest in ihre Arme nahm.
»Dann war es bestimmt Schicksal, dass ich nach Grannys Tod hiergeblieben bin.«
»Ganz bestimmt«, bestätigte ich ihr.
Als wir unsere Runde um den See beendet hatten, lud Mary mich noch auf eine heiße Schokolade ein. Ich bekam ein schlechtes Gewissen, da ich sie nicht über die Gebühr von ihrer Arbeit abhalten wollte. Gleichzeitig schob ich die Last, mit der ich mich auf den Weg zu ihr gemacht hatte, noch immer gedanklich vor mir her. Und wenn ich jetzt unverrichteter Dinge wieder ginge, würde ich es sicher schon auf dem Heimweg wieder bereuen.
»Musst du dich nicht um die Gäste kümmern?«, warf ich ein.
Mary winkte ab.
»Mrs. Vanderbilt hat alles bestens im Griff. Ich werde später noch ein paar Anfragen für die nächste Saison bearbeiten und beim Nachmittagstee für die Wintersportler helfen. Es bleibt uns also noch genügend Zeit zum Quatschen und Aufwärmen. Wenn du glaubst, dass ich meine beste Freundin ohne heiße Schokolade wieder in diese Eiseskälte entlasse, dann hast du dich aber gewaltig geschnitten.«
Schon im nächsten Augenblick schob Mary mich lachend in die Eingangshalle ihres Hotels.
Wider Erwarten war es hier drinnen recht ruhig. Dennoch hatten sich ein paar der Gäste gegen das eisige Wetter vor der Tür entschieden und sich bei Tee und Kaffee auf den ledernen Couchgarnituren im angrenzenden Salon niedergelassen. Manche von ihnen steckten ihre Nasen tief in ein Buch. Wieder andere unterhielten sich leise, um die anderen Gäste nicht zu stören.
»Ich hole uns die heiße Schokolade schnell aus der Küche, und dann gehen wir in mein Arbeitszimmer«, bestimmte Mary, ehe sie mich kurzerhand in der Eingangshalle allein ließ.
Mrs. Vanderbilt stand hinter der Rezeption und telefonierte angeregt. Als sie mich erblickte, nickte sie mir kurz zu, um mir zu signalisieren, dass sie mich gesehen hatte. Die Frau wirkte nach wie vor recht unnahbar auf mich, aber sie machte ihren Job ganz wundervoll. Und das war das Einzige, was zählte.
Mom hatte mir von Kindesbeinen an eingebläut, mein Herz nicht auf der Zunge zu tragen. Gefühle waren nichts, was man offen zur Schau stellte, sondern besser mit sich ausmachte.
Ein Stück weit konnte ich Mrs. Vanderbilt also verstehen. In ihrem Job als Hotelleitung war es sicher von Vorteil, nicht alle wissen zu lassen, was in ihr vorging. Es machte die Dinge leichter. Manchmal zumindest, redete ich mir ein.
Wieder bekam ich Zweifel daran, ob ich Mary mein Herz wirklich ausschütten sollte. Schon Morgen würde ich zu meiner Familie nach New York fahren müssen. Auch wenn ich meiner Freundin von meiner Familie erzählte, würde sich daran nichts ändern. Im Gegenteil. Alles wäre wie immer. Nur Mary hätte dann vielleicht ein Bild von mir, von dem ich nicht wusste, ob ich wollte, dass sie es kannte.
»Wir können dann hochgehen.«
Wie aus dem Nichts war Mary plötzlich vor mir aufgetaucht. Ich musste mich beherrschen, um nicht erschrocken aufzuschreien, als ich sie erblickte.
»Alles okay bei dir?«, fragte meine Freundin. »Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.«
Besorgt sah sie mich mit den beiden dampfenden weißen Porzellantassen in der Hand an.
»Alles bestens«, sagte ich schnell und nahm ihr eine der heißen Tassen aus den Händen, bevor sie aus meinem Blick mehr entnehmen konnte, als meine Worte bereit waren, ihr zu offenbaren. »Lass uns gehen!«
Als Mary die Tür zu ihrem Arbeitszimmer geöffnet hatte, kam ich aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.
»Wow!«, rief ich aus, nachdem ich den Raum von allen Seiten in Augenschein genommen hatte. »Das ist ein Traum! Der Schreibtisch mit Blick auf den See und der Lesesessel mit dem Bücherregal daneben sind schon jetzt meine absoluten Lieblingsorte hier im Hotel.«
Mary lachte und winkte ab. Mir entging jedoch der Stolz in ihren Augen nicht.
»Das ist doch nichts weiter.«
»Wie bitte? Der Raum strahlt so viel Wärme und Behaglichkeit aus, dass ich nicht weiß, ob ich je wieder von hier wegmöchte.«
In Anbetracht der Tatsache, dass ich mich schon morgen auf den Weg in mein unterkühlt und steril wirkendes Elternhaus machen musste, lockte vermutlich jeder Ort voller Liebe und Geborgenheit.
»Na, dann such dir mal den allerschönsten Platz im Raum aus. Er soll heute deiner sein. Und wann immer du mich besuchen kommst.«
Mary strahlte übers ganze Gesicht, während ich vor Rührung fast den Inhalt meiner Tasse auf dem cremefarbenen hochflorigen Teppich vergossen hätte.
Dankend nahm ich Marys Angebot an und setzte mich in ihren superbequemen Lesesessel, von dem aus ich einen guten Blick hinaus auf den See hatte. Ein paar Spaziergänger waren unterwegs, eingepackt in dicke Mützen, Schals und Handschuhe. Der hintere Teil des Sees wirkte vereist. Das war mir bei unserem Rundgang um den See gar nicht aufgefallen. Zu sehr war ich mit meinen Gedanken und unserem Gespräch beschäftigt gewesen, als dass ich besonders viel von meiner Umgebung wahrgenommen hätte.
Mary nahm mir gegenüber auf einer kleinen Couch Platz. Ihr maritimes Blau leuchtete beinahe wie der Himmel über den Catskills. Zumindest dann, wenn es nicht regnete oder dicke Schneewolken über uns hinwegzogen.
Mein Blick schweifte durch den Raum. Dabei fiel mir die schöne und mit Bedacht ausgewählte Dekoration ins Auge. Die Farben und Muster von Blumen, Decken und sogar der Bücher war perfekt aufeinander abgestimmt.
Staunend musste ich mich schließlich fragen, wann Mary auch noch die Zeit gefunden hatte, ihr Arbeitszimmer so schön herzurichten. Und vor allem: Warum hatte sie mir nichts davon erzählt?
»Die Renovierung ist dir wirklich wundervoll gelungen.«
Mary winkte ab.
»Das hat sich ganz spontan so ergeben. Mrs. Vanderbilt und ich haben im Herbst beschlossen, dass wir einige der Zimmer im Hotel modernisieren wollen. Dabei kam mir der Gedanke, mein Büro ebenfalls ein wenig aufzumöbeln. Und tada!« Sie hob ihre Hände in die Höhe und präsentierte mir feierlich das Ergebnis. »Das ist schließlich daraus geworden. Erst gestern kamen die restlichen Möbel. Ich hatte die Bestellung zwischenzeitlich schon wieder vergessen. Total peinlich! Als der Schreiner sie anlieferte, stand er eine halbe Ewigkeit unten in der Lobby, weil keiner wusste, wohin mit dem Schreibtisch.« Mary kicherte und schüttelte den Kopf dabei. »Fun fact: Ich sitze heute tatsächlich das allererste Mal auf meiner Couch. Nicht einmal Dylan hat mein Arbeitszimmer bisher zu Gesicht bekommen. Du bist also die Erste.«
Voller Rührung nahm ich einen Schluck aus meiner Tasse und spülte den galligen Geschmack der Eifersucht in meinem Mund schnell wieder hinunter. Denn Mary hatte alles, was ich mir schon immer gewünscht hatte. Und damit meinte ich nicht das Materielle.
»Aber nun erzähl doch mal. Wir haben uns eine gefühlte Ewigkeit nicht gesehen.«
Mary schwenkte bei ihren Worten die Tasse in ihrer Hand dermaßen, dass ich Angst um ihre neue Couch bekam.
»Das stimmt. Aber telefoniert haben wir doch erst vorgestern«, gab ich zu bedenken. Dabei vermied ich allerdings den direkten Blickkontakt mit meiner Freundin, weil ich befürchtete, sie könnte mir ansehen, dass ich etwas auf dem Herzen trug.
Mary sah mich durchdringend an.
»Und schon da hatte ich das Gefühl, etwas wäre nicht in Ordnung bei dir. Hast du Liebeskummer?«
Bei Marys Frage lachte ich laut auf.
»Liebeskummer? Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal verliebt war. Die Auswahl hier in den Catskills ist überschaubar und größtenteils nicht mein Fall. Du hast mit Dylan echt einen guten Fang gemacht.«
Als bei meinen Worten ein Schatten über Marys Gesicht zog, ruderte ich eilig zurück.
»Nicht, dass ich je Interesse an Dylan gehabt hätte. Er war mir immer ein guter Freund. Mehr nicht.«
Mary überlegte kurz.
»Aber was ist es denn dann? Der Laden läuft doch gut, oder verschweigst du mir etwas? Hast du Geldsorgen? Soll ich dir etwas leihen?«
»Nein, nein«, winkte ich ab. »Um meinen Laden steht es bestens. Ich habe nicht gelogen, als ich dir vorhin erzählt habe, dass die Saison ausgesprochen gut für mich lief.«
Mary grübelte erneut.
»Aber ich spüre doch, dass dir etwas auf dem Herzen liegt.«
Ein lauter Seufzer war zu hören. Es dauerte einen Moment, bis mir bewusst wurde, dass er aus meinem Mund gekommen war.
»Ich fahre morgen zu meiner Familie nach New York«, erklärte ich.
Auf Marys Gesicht breitete sich ein Lächeln aus.
»Das freut mich für dich. Es ist bestimmt schön, all seine Lieben über Weihnachten um sich zu haben. Wird deine Schwester auch da sein?«
Erst jetzt fiel mir ein, dass Mary keine lebenden Verwandten mehr hatte. Augenblicklich kam ich mir ziemlich undankbar vor.
»Ja, Lorelai wird auch da sein. Es wird sicher toll. Allein der riesige Weihnachtsbaum am Rockefeller und die Eisbahn davor sind in der Weihnachtszeit schon eine Reise nach New York City wert«, bemühte ich mich, die positiven Aspekte meiner Reise in den Vordergrund zu stellen.
»Aber?«, hakte Mary nach, die offenbar spürte, dass das noch nicht alles war.
An dieser Stelle hätte ich am liebsten einen Rückzieher gemacht. Seit fünf Jahren trug ich mein Geheimnis schon mit mir herum, ohne dass ich je einer Menschenseele davon erzählt hätte.
»Es ist so«, begann ich zu erklären. »Meine Familie weiß nicht, dass ich hier in den Catskills wohne und ein Geschäft für Abend- und Brautkleider führe.«
Mary sah mich aus weit aufgerissenen Augen an, während sie versuchte, die Informationen, die sie eben erhalten hatte, zu verarbeiten.
»Du lebst seit fünf Jahren in den Catskills, und deine Familie weiß nichts davon?«
Ich nickte und nahm einen Schluck der erkalteten heißen Schokolade.
»Nein, sie denken, ich würde in Chicago leben und für ein großes und sehr einflussreiches Unternehmen arbeiten. Sie würden das hier …« Ich deutete hinaus auf den See. »… nicht verstehen.«
»Sie würden es nicht verstehen, dass ihre Tochter und Schwester eine erfolgreiche Geschäftsfrau ist?«
»Hast du schon mal von der Familie Morgan aus New York gehört?«
»Die durch ihr Stahlimperium zu Milliardären wurden?«
Mary schien zu überlegen, was sie noch so von dieser Familie wusste.
»Genau die. Nun …« Während ich händeringend nach einer guten Erklärung suchte, schien mir die Wahrheit plötzlich die einfachste Lösung zu sein. »Die Morgans … Das ist meine Familie, Mary.«
Mary schlug sich bei meinen Worten die Hand vor den Mund. Ihre Tasse glitt ihr aus den Fingern. Zum Glück war sie schon leer, sodass der neue cremefarbene Teppich nichts abbekam.
»O wow! Mit dieser Offenbarung hätte ich jetzt nicht gerechnet. Aber im Grunde ist es ja auch total egal, wie vermögend deine Familie ist. Wir sind doch weiterhin befreundet. Oder?«
»Natürlich sind wir das«, sagte ich schnell, stellte meine Tasse auf dem kleinen Tisch zwischen uns ab und ging hinüber zu Mary, um mich zu ihr auf die Couch zu setzen und sie in die Arme zu nehmen. »Und das werden wir immer sein.«
In Marys Gegenwart spürte ich das Gefühl von Geborgenheit und Wärme, das ich in meiner Kindheit so schmerzlich vermisst hatte.
Als wir uns wieder voneinander lösten, konnte ich die unzähligen Fragezeichen in Marys Augen sehen.
»Warum hast du mir das nie erzählt?«
Ich atmete tief durch, da ich zwar bereits mit dieser Frage gerechnet hatte, es mir allerdings dennoch schwerfiel, ihr darauf zu antworten.
»Als ich damals den Entschluss fasste, in die Catskills zu gehen und eigenständig etwas auf die Beine zu stellen, da hätte ich nie damit gerechnet, dass ich es wirklich aus eigener Kraft heraus schaffen würde«, offenbarte ich. »Ich gab mir ein Jahr, um mich auszuprobieren und meinen Traum zu leben. Nie hätte ich gedacht, dass er sich so einfach realisieren lassen würde. Und meine Familie … Die hätte es nicht verstanden, dass ich hier mitten im Nirgendwo mit einem kleinen Laden glücklich bin, der mich gerade so über Wasser hält. Sie erwarten Großes von mir. Ich soll eine kometenhafte Karriere in irgendeinem internationalen Konzern hinlegen, um Erfahrungen zu sammeln und wichtige Kontakte zu knüpfen. Eine winzige Boutique passt da so gar nicht in ihr Weltbild. Vor allem nicht, nachdem ich mein Wirtschaftsstudium in Harvard mit Auszeichnung absolviert habe.«
Mary sah mich schief von der Seite an.
»Wer oder was bist du und was hast du mit meiner besten Freundin gemacht?«
Ich lachte verkniffen.
»Ich bin noch immer ich. Nur eben mit einer Backgroundstory, die vermutlich niemand hier für möglich hält. Aber weißt du was? Ich möchte gar nicht, dass die Leute mich mit meiner Familie in Verbindung bringen. In den letzten fünf Jahren bin ich das erste Mal in meinem Leben als eigenständige Person wahrgenommen worden und nicht nur als Familienmitglied der Morgans.«
Nun war es an Mary, laut zu seufzen.
»Aber meinst du denn nicht, dass deine Eltern deinen Schritt respektieren und sogar gutheißen würden, wenn sie wüssten, wie erfolgreich du deinen kleinen Laden führst und wie glücklich er dich macht?«
Bei Marys Worten musste ich einen Moment nachdenken. War es meinen Eltern je darum gegangen, mich glücklich zu sehen? Eine Frage, die ich mir noch nie so recht gestellt hatte. Vielleicht, weil ich die Antwort nur zu genau kannte und mich nicht mit ihr quälen wollte.
Aber Mary hatte recht. Ganz unabhängig davon, was meine Eltern von meinem Leben hielten, konnte ich stolz auf mich und meine Leistung sein. Doch wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann reichte mir das nicht.
»Es ist … kompliziert. Meine Eltern haben ziemlich genaue Vorstellungen davon, wie mein Leben verlaufen sollte. Und glaub mir, ein Braut- und Abendmodengeschäft mitten in der Pampa schwebt ihnen dabei ganz sicher nicht vor.«
Als ich mir der Tatsache bewusst wurde, wie herablassend meine Worte sich in Marys Ohren anhören mussten, versuchte ich schnellstmöglich zurückzurudern.
»Versteh mich bitte nicht falsch. Ich fühle mich hier pudelwohl und würde gerne für immer in den Catskills bleiben. Aber ich bin mir nicht sicher, was passiert, wenn meine Eltern von meinem kleinen Geheimnis erfahren.«
Ferner war ich mir nicht sicher, ob ich Mary auch nur ansatzweise klarmachen konnte, wie das bei uns zu Hause ablief. Da ging es nicht darum, dass Lorelai und ich uns ganz nach unseren Vorlieben und Interessen entfalteten.
Seit unserer Geburt stand bereits fest, welchen Zweck wir beide in unserem Leben zu erfüllen hatten. Ich, als die Ältere von uns beiden, würde irgendwann die Firmenleitung übernehmen. Und Lorelai hatte nach der Schule gegen ihren Willen Jura studieren müssen, um später einmal die Führung der Rechtsabteilung übernehmen zu können.
Das Studium war für meine Schwester die reinste Qual gewesen. Sie war schon immer ein Freigeist und hätte am liebsten Kunst studiert. Unseren Eltern gegenüber hatte sie ihren Wunsch jedoch nie geäußert. Wussten wir doch beide nur zu genau, dass dieser bei ihnen auf Unverständnis und heftiges Kopfschütteln gestoßen wäre.
In der Hoffnung, später einmal selbst über unser Leben bestimmen zu können, hatten wir beide in den sauren Apfel gebissen und das Studium durchgezogen. Während es mir danach irgendwie gelungen war, Abstand zur Familie zu gewinnen und meine eigenen Pläne zu verfolgen, war Lorelai gleich nach dem Studium in die Rechtsabteilung des Familienunternehmens gewechselt.
Mom und Dad hatten ihr Honig ums Maul geschmiert und beteuert, wie aufgeschmissen sie ohne meine Schwester wären. Anfangs war Lorelai standhaft geblieben und hatte darauf bestanden, dass sie zunächst Berufserfahrung in Europa sammeln wollte. Eine unserer größten Niederlassungen befand sich auf dem Kontinent. Genauer gesagt in London. Lorelai hatte sich ihr komplettes Studium über mit dem Ziel vor Augen über Wasser gehalten, danach nach London zu gehen und dort ihrer Künstlerseele den nötigen Freiraum zu geben.
Doch dann war alles anders gekommen. Mr. Allbright, Dads engster Vertrauter in der Rechtsabteilung, hatte sich altersbedingt weitestgehend von den Geschäften zurückgezogen. Dad hatte Lorelai so lange sein Leid geklagt, bis diese schließlich eingeknickt war.
Mary nickte verstehend. Dann sah sie mir ganz fest in die Augen.
»Warum willst du es ihnen dann überhaupt erzählen? Du bist eine erwachsene Frau. Warum solltest du nicht deine Geheimnisse haben dürfen? Es ist dein Leben.«
Mary hatte natürlich recht. Irgendwie. Und irgendwie auch nicht. Es fühlte sich furchtbar an, meinen Traum leben zu können, während Lorelai ihre Hoffnung auf ein eigenständiges Leben schon vor langer Zeit hatte begraben müssen.
Ich fühlte mich schuldig meiner Schwester und undankbar meinen Eltern gegenüber. Es wäre nur fair, endlich reinen Tisch zu machen …
Eric
Im Radio schmetterte Elvis gerade sein I’ll Be Home For Christmas, als mir der rote Honda im mit Schnee bedeckten Straßengraben ins Auge fiel. Seine Reifen waren kaum noch zu erkennen. Auf dem Dach hatte der Baum darüber die Schneemassen von seinen Zweigen abgeladen. Es würde mich nicht wundern, wenn der Wagen dort schon länger stand, ohne dass er jemandem aufgefallen wäre.
Es schneite bereits die ganze Nacht. Zuvor war es mächtig kalt gewesen. Eine teuflische Mischung. Denn damit war der Untergrund der Fahrbahn an vielen Stellen so vereist, dass oft schon ein zaghafter Bremsversuch ausreichte, um die Kontrolle über das Fahrzeug zu verlieren.
Ich parkte dicht hinter dem Honda, schnappte mir meine Mütze und die Handschuhe und ging dann nach draußen, um mir ein Bild von der Lage zu machen. Womöglich war der Wagen ja bisher nur noch nicht abgeschleppt worden, und der Besitzer saß längst im Warmen.
Als ich auf den Honda zusteuerte, bemerkte ich, dass seine Front komplett zerknautscht war. Offenbar war der Wagen ungebremst auf den Baum zugerast. Die vereisten Fenster ließen mich nicht erkennen, ob jemand im Inneren saß. Womöglich war der Fahrer verletzt.
Ich klopfte an die Scheibe. Doch niemand reagierte. Was sowohl ein gutes als auch ein schlechtes Zeichen sein konnte. Ohne weiter darüber nachzudenken, machte ich mich daran, den Wagen zu öffnen. Beherzt griff ich nach dem Türgriff. Allerdings war die Tür so vereist, dass sie sich nicht öffnen ließ. Oder sie war vom Besitzer abgesperrt worden.
Auf diese Weise konnte ich mir keine Klarheit verschaffen. Also ging ich zurück zu meinem Jeep und holte etwas, um das zugefrorene Fenster vom Eis zu befreien.
Es dauerte mehrere Minuten, bis es mir mit viel Mühe gelang, die Scheibe freizulegen.
Mit beiden Händen schirmte ich meine Augen seitlich ab, um gute Sicht in das Innere des Honda zu bekommen. Erst jetzt realisierte ich, dass die Scheibe von innen beschlagen war. Es musste also noch jemand dort drinnen sitzen. Vielleicht war der Fahrer verletzt, bewusstlos … Und das bei dieser Kälte.
»Verdammt!«, fluchte ich leise, als ich abermals versuchte, die Tür zu öffnen, und das Gummi nicht nachgeben wollte.
Mein Atem stieg in kleinen Rauchwölkchen gen Himmel auf, während ich zurück zu meinem Jeep eilte, um in meinem Werkzeugkoffer nachzusehen, was ich alles an Bord hatte. Irgendwann im letzten Jahr hatte ich mir ein Enteisungsspray gekauft, konnte mich allerdings nicht daran erinnern, ob es sich im Jeep oder in meiner Werkstatt befand.
»Bitte, bitte«, flehte ich eine unsichtbare höhere Instanz um Beistand an.
Wer auch immer dort in dem Wagen lag, eins stand außer Frage: Er brauchte ganz dringend Hilfe. Die Ambulance würde mindestens eine halbe Stunde brauchen, um sich bis hierher durchzuschlagen. Dreißig Minuten, die beim Ringen um Leben und Tod das Zünglein an der Waage sein konnten.
Unnötige Minuten, die ich damit zubrachte, das dämliche Spray zu finden. Vor lauter Zorn über mich und den vielen Kram, den ich in meiner Werkzeugkiste mit mir herumschleppte, kippte ich den ganzen Inhalt in den Kofferraum. Das Spray rollte wie durch göttliche Fügung in meine Arme.
»Geht doch!«, rief ich und eilte gleich wieder zurück zum Honda.
Ohne weitere kostbare Zeit zu verlieren, schob ich das Röhrchen ins Schloss und sprühte den Inhalt hinein. Hoffentlich war noch genügend Flüssigkeit in der Dose. Der letzte Winter war nicht minder kalt gewesen.
Als ich abermals versuchte, die Tür zu öffnen, gelang es mir schließlich. Erleichterung machte sich in mir breit. Allerdings nur für den Augenblick. Denn im Wageninneren lag eine Frau mit dem Gesicht auf dem Lenkrad. Sie rührte sich nicht.
»Hallo? Miss? Sind Sie wach? Können Sie mich hören?«
Das Kratzen an der Scheibe und meine Versuche, den Honda zu öffnen, waren sehr laut gewesen. Die Frau hätte mich hören müssen.
Es war kein Blut zu sehen. Als sie nichts sagte, berührte ich sie leicht an der Schulter. Keine Regung.
Ganz vorsichtig setzte ich die Fahrerin in ihrem Sitz aufrecht hin. Auf der Stirn war eine kleine Platzwunde zu erkennen. Nicht weiter schlimm. Drei, vier Stiche. Das sollte reichen.
Ihr langes rotblondes Haar war ihr ins Gesicht gefallen. Ich strich es vorsichtig zur Seite, um mir ein Bild der Lage zu machen, konnte dort aber keine weiteren Blessuren erkennen.
Auch der Rest ihres Körpers schien unversehrt zu sein. Sie hatte Glück im Unglück gehabt. Nun musste sie nur noch aufwachen.
»Hey! Hallo! Können Sie mich hören? Sie sind mit Ihrem Wagen von der Straße abgekommen. Mein Name ist Eric.«
Keine Ahnung, warum ich der Fremden meinen Namen verriet. Aber irgendwie hatte ich das Bedürfnis, mich ihr vorzustellen und ihr zu verdeutlichen, dass ich nicht vorhatte, sie wie in Steven Kings Misery in mein Haus zu verschleppen, um sie dort ans Bett zu fesseln.
Kleine Atemwölkchen stiegen aus ihrem Mund auf. Doch sie sagte kein Wort. Mit meiner Hand strich ich ihr zärtlich über die Wange. Sie war bildschön. So schön, dass ich mir das mit dem Verschleppen und Ans-Bett-Fesseln vielleicht noch mal überlegen sollte.
So oder so: Ich musste sie ganz dringend aus dieser Eishöhle befreien. Ihre Lippen schimmerten bereits bläulich. Wenn ich noch lange zögerte, würde sie vermutlich Erfrierungen davontragen. Denn bis auf ein grünes Wollkleid, eine schwarze Strumpfhose und hohe schwarze Stiefel trug sie nichts am Körper.
Ich blickte mich im Wagen nach einer Decke oder einem Wintermantel um. Fehlanzeige! Da war nichts. Bis auf ihre schwarze Handtasche war ihr Wagen picobello aufgeräumt. Da sollte noch mal jemand behaupten, alle Frauen würden ihr Auto vermüllen lassen.
Bevor ich mich ähnlich abstrusen Gedanken widmen konnte, schob ich meinen linken Arm in ihre Kniekehlen und meinen rechten Arm in ihren Nacken, um die schlafende Schönheit aus ihrem eisigen Bett zu befreien und in meinen Jeep zu verfrachten. Kaum dass ich sie hingesetzt und angeschnallt hatte, überlegte ich, wo das nächste Krankenhaus war, und zog schließlich Google zurate.
Ungefähr zwanzig Meilen lag es entfernt. Bei guter Witterung waren das bei den hiesigen Straßenverhältnissen ungefähr fünfzig Minuten. Heute musste ich wohl das Doppelte der Zeit veranschlagen.
Zudem lag das Krankenhaus in entgegengesetzter Richtung zu meinem eigentlichen Ziel. Caroline würde vor Wut toben, und Lowen würde weinen. Ich mochte mir ihr kleines trauriges Gesicht gar nicht ausmalen.
Schon morgen würde sie mit ihrer Mom zu ihren Großeltern nach Florida fliegen. Ich hatte ihr felsenfest versprochen, heute noch bei ihr vorbeizukommen, um ihr mein Weihnachtsgeschenk zu übergeben. Mein Herz brach beim Gedanken daran, dass ich mein Versprechen womöglich nicht halten konnte, wenn ich der unbekannten Frau in meinem Wagen helfen wollte.
Bevor mich die Gewissensbisse auffressen konnten, schickte ich den beiden eine Nachricht, um ihnen mitzuteilen, dass ich mich aufgrund eines Notfalls verspäten würde. Dass ich es sehr wahrscheinlich überhaupt nicht mehr rechtzeitig schaffen würde, verschwieg ich ihnen. Caroline würde sich auch so in ihrer Meinung über mich bestätigt fühlen. Und Lowen … An ihre Enttäuschung durfte ich gar nicht denken.
Als Caroline mir eine Antwort schickte, schob ich schon mein Handy in die Jackentasche meines Parkas. Ich kannte den Inhalt ihrer Nachricht bereits, ohne sie gelesen zu haben. Dafür musste ich kein Hellseher sein. Unsere Beziehung bestand seit einer ganzen Weile nur noch aus einem Geflecht ewiger Anklagen. Daran würde sich heute sicher nichts geändert haben.
Ich seufzte schwer, schob die trüben Gedanken beiseite und versenkte meinen Wagenschlüssel im Zündschloss. Als mein Jeep ruckelnd zum Leben erwachte, nahm ich in meinem Augenwinkel eine Bewegung wahr.
»W-wo bin ich?«, hörte ich plötzlich eine leicht brüchige Stimme sagen.
»Hey. Sie hatten einen Unfall. Können Sie sich an etwas erinnern? Tut Ihnen etwas weh?«
Die Augen meiner Beifahrerin schoben sich eng zusammen, während sie mit ihren Fingern die Wunde an ihrer Stirn betastete.
Ich hinderte sie daran.
»Das sollten Sie besser nicht tun. Die Wunde muss gesäubert und genäht werden. Ich fahre Sie jetzt ins Krankenhaus. Ruhen Sie sich so lange aus. Wir werden knapp eine Stunde brauchen«, erklärte ich ihr behutsam.
Dennoch weiteten sich die Augen der Frau schlagartig. Sie sah mich an, als hätte ich ihr soeben ihr Todesurteil verkündet. Dabei wollte ich ihr doch nur helfen.
»Wunde. Krankenhaus. Eine Stunde«, wiederholte sie bruchstückhaft meine Worte, während ich deutlich spüren konnte, wie eine Panik in ihr aufflammte.
»Hören Sie«, versuchte ich mit noch mehr Einfühlungsvermögen, möglichst vorsichtig der Frau klarzumachen, dass alles wieder gut werden würde. Aber ich war Handwerker und kein Frauenversteher, was mir spätestens seit meiner Beziehung zu Caroline hinreichend bewusst geworden war. »Es ist wirklich kein großes Ding. Höchstens drei, vier Stiche. Dann ist die Sache erledigt. Die Ärzte hier in der Umgebung sind top. Als der Finger meines Kollegen vor ein paar Jahren mal in seine Kreissäge geriet, konnten sie ihn wieder annähen. Und das sogar Stunden danach.«
Erst als ich das kreidebleiche Gesicht meiner Beifahrerin und die vor Schock starr geradeaus blickenden Augen der jungen Frau sah, erkannte ich, dass ich die Sache mit der Kreissäge wohl besser ungesagt gelassen hätte.
»Kreissäge. Finger«, japste sie einer Ohnmacht nahe.
Hastig zog ich die kleine runde Pastillendose aus meiner Jacke, in der sich Pfefferminzbonbons befanden, und schwenkte sie unter ihrer Nase. Das ätherische Öl würde uns beide hoffentlich vor Schlimmerem bewahren.
»Hier. Nehmen Sie sich eins.«
Oder am besten gleich alle.
Die unbekannte Schönheit schob sich einzelne Haarsträhnen hinters Ohr, ehe sie mich verschüchtert ansah. Ihre großen blauen Augen wirkten verunsichert. Ihr Zögern verriet mir, dass sie nicht wusste, ob ich es auch wirklich gut mit ihr meinte.
Ich schüttelte leicht mit der Dose unter ihrer Nase. Das Klackern schien sie aus einer Art Schockstarre erwachen zu lassen. Schließlich nahm sie sich eines der Bonbons und steckte es sich in den Mund. Ihre Lippen blieben dabei einen Spaltbreit geöffnet. Sie schimmerten nun nicht mehr bläulich. Es schien ihr nicht mehr kalt zu sein. Ein gutes Zeichen. Offenbar war ich ihr noch rechtzeitig zu Hilfe gekommen.
»Ich möchte in kein Krankenhaus«, sagte sie plötzlich mit fester Stimme. »Ich muss sofort nach New York.