Lilly und die Zwölfen 2, Schabernack im Elfenland - Sibylle Wenzel - E-Book

Lilly und die Zwölfen 2, Schabernack im Elfenland E-Book

Sibylle Wenzel

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Beschreibung

Die 9-jährige Lilly träumt davon, Elfen zu sehen. Stattdessen lernt sie aber die Zwölfen kennen, die ungeliebten Verwandten der Elfen. Mit diesen Zauberwesen wird es nie langweilig: Sie sind rund, fröhlich, frech und singen für ihr Leben gern. Mit ihren Stummelflügeln können die Zwölfen zwar nicht sehr hoch fliegen, aber dafür haben sie das Herz am rechten Fleck. Bei ihnen lernt Lilly, dass es nicht wichtig ist, wie man aussieht, es zählt nur, was man tut! Lilly und das Zwölfenmädchen Flimm sind beste Freundinnen geworden. Doch dann braut sich Unheil zusammen. Bauer Gräuerling will den Wohnbaum der Zwölfen fällen, um genau dort seinen neuen Kuhstall zu bauen. Was kann das moppelige Zaubervolk tun, um sein Zuhause zu retten? Etwa die arroganten und humorlosen Elfen am Seeufer um Hilfe bitten? Auf keinen Fall! Jetzt braucht Lilly einen guten Plan ...

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Umschlaggestaltung und Illustrationen: Anna-Lena Kühler

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© 2020, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-440-50180-1

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Für Katharina

Thesis Geschenk

„Verzwölft, es wird ja schon dunkel!“, rief Flimm und sprang vom Sockel der Nachttischlampe, auf dem sie gesessen hatte, auf. „Ich muss nach Hause. Nächste Woche steigt doch die große Party, und Zwibackine will mir bei meinem Kostüm helfen.“

Lilly lag bäuchlings auf ihrem Bett. „Weißt du denn inzwischen, als was du dich verkleidest?“

„Ach, ich schwanke noch zwischen Astronautin und Nacktschnecke!“, antwortete das Zwölfenmädchen. „Astronautin ist natürlich cooler, aber als Nacktschnecke kann man die anderen so schön anschleimen. Mal sehen. Auf jeden Fall ist es dieses Jahr viel schwieriger, ein zwölfiges Kostüm zu kriegen, weil wir keinen Zauberstaub mehr verbrauchen sollen.“ Flimm seufzte. „Jetzt müssen wir alles von Hand nähen, und das ist echt mühsam.“

„Ist denn wirklich nur noch so wenig Zauberstaub da?“, fragte Lilly.

Flimm hob die Schultern. „Meine Mutter sagt, dass der Speicher fast leer ist.“

Lilly sah sie besorgt an. „Meinst du, es wäre besser, wenn ich euch seltener besuchen käme?“, fragte sie. „Immerhin verbrauchst du jedes Mal etwas Zauberstaub, wenn du mich groß oder klein zauberst.“

Doch Flimm lachte nur und klopfte auf den silbernen Beutel an ihrem Gürtel. Er wirkte recht prall. „Was hier drin ist, gehört mir“, sagte sie.

Lilly nickte, doch ganz beruhigt war sie nicht.

Flimm entging das nicht. Sie legte den Kopf schief und grinste sie an. „Hey, mach dir keine Sorgen! Genau deshalb veranstalten wir ja die Party. Du weißt doch: Je fröhlicher wir Zwölfen sind und je mehr wir feiern, umso besser geht es auch unserer Glückseiche – und umso mehr Zauberstaub stellt sie her!“

Nun musste Lilly doch lächeln.

„Na also“, sagte Flimm. „Und was willst du anziehen?“

„Ich?“, wiederholte Lilly. „Bin ich denn auch eingeladen?“

„Na klar!“, erwiderte Flimm. „Das wird super, sage ich dir. Finley und Florin wollen sogar ihren Lieblingssong singen. Und gib dir Mühe mit dem Kostüm! Die zwölfigste Verkleidung kriegt nämlich einen Preis.“

Lilly nickte vorsichtig. „Okay.“

„Und? Hast du schon eine Idee, als was du gehen könntest?“ Flimm sah sie neugierig an.

Lilly musste an das letzte Mal denken, als sie sich verkleidet hatte. Das war an Fasching vor zwei Jahren gewesen und sie war als Elfe gegangen. Keine gute Idee, wie sich herausgestellt hatte. Die anderen Mädchen aus ihrer Klasse hatten sich über sie totgelacht. „Pummel-Elfe, Pummel-Elfe!“, hatten sie immer wieder gerufen. Danach hatte Lilly das Elfenkostüm nach ganz hinten in ihren Kleiderschrank gestopft und sich nicht wieder verkleiden wollen, auch wenn ihre Mutter ihr noch so gut zugeredet hatte …

„Was ist denn, Lilly?“, riss Flimm sie aus ihren Gedanken. „Ihr Menschen habt doch auch Kostümfeste, oder?“

„Doch, doch“, antwortete Lilly rasch. „Ich habe nur keine Verkleidung.“

„Dann überlegen wir uns eben auch noch was für dich“, stellte Flimm fest. „So, jetzt muss ich aber wirklich los. Es bleibt dabei, wir sehen uns morgen? Klopf einfach wie immer auf die Wurzel! Und zieh dir was Warmes an.“ Schon vor ein paar Tagen hatte Flimm Lilly zu einem Ausflug eingeladen, den sie mit ihr unternehmen wollte.

„Mach ich“, versprach Lilly und stand auf, um das Fenster zu öffnen. „Willst du mir nicht doch sagen, was das für eine tolle Überraschung ist, die du mit mir vorhast?“

Flimm schüttelte den Kopf, sodass ihre rotbraunen Strubbelhaare hin und her flogen. „Dann wäre es ja keine Überraschung mehr! Oh, ich freu mich schon. Das wird zwölfig!“ Damit breitete sie ihre Stummelflügel aus und flatterte nach draußen.

Lilly sah ihr noch eine Weile nach, bevor sie das Fenster schloss. Sie freute sich auch auf morgen. Was immer Flimm vorhatte, es würde bestimmt „zwölfig“ werden. Verrückt, vielleicht auch etwas gefährlich, aber auf jeden Fall lustig!

Versonnen dachte Lilly daran, wie sehr sich ihr Leben verändert hatte, seit sie die Zwölfen kennengelernt hatte. Das war in den letzten Sommerferien gewesen. Eigentlich hatte sie sich damals sehnlichst gewünscht, Bekanntschaft mit einem anderen Zaubervolk zu machen: den Elfen. Doch stattdessen hatte sie die Zwölfen kennengelernt und mit ihnen Freundschaft geschlossen.

Die Zwölfen waren wie ihre Verwandten, die Elfen, etwa zehn Zentimeter groß und für die meisten Menschen unsichtbar. Es sei denn, man besaß wie Lilly den „anderen Blick“, mit dem man alle Geschöpfe der Zauberwelt sehen konnte. Das war es aber auch schon an Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Zaubervölkern. Im Gegensatz zu den Elfen waren die Zwölfen nämlich ganz und gar nicht zart, ernst und zurückhaltend, sondern dick, lustig und laut. Sie schwebten nicht elegant von Blume zu Blume, sondern hatten mit ihren Stummelflügeln Mühe, überhaupt bis hoch zur Blüte zu kommen. Dafür sangen, aßen und tanzten sie für ihr Leben gern. Sie hatten strubbelige Haare, Knubbelnasen und jede Menge Spaß. Und den hatte Lilly, seit sie die Zwölfen kannte, auch.

Zufrieden warf sich Lilly auf ihr Bett und griff nach dem Buch, das sie gerade las. Es war ein dickes Märchenbuch. Lilly liebte gute Geschichten und jetzt in den Herbstferien hatte sie endlich wieder Zeit zum Lesen.

Gerade hatte sie sich in das Buch vertieft, da klopfte es an der Tür und ihr Opa Kurt kam herein. Lilly musste sich ein Lachen verkneifen, denn seine Haare, sein braun gebranntes Gesicht, sein Pulli – alles war von einer feinen, grauen Staubschicht überzogen. An seiner Schulter hingen sogar ein paar Spinnweben.

„Hier steckst du!“, sagte er. „Ich muss dir unbedingt etwas zeig…“ Kurt stockte plötzlich und verzog das Gesicht. „Haa…haa…hatschi!“, machte er. Dabei rieselte ein wenig Staub von seinen Haaren.

„Gesundheit!“, rief Lilly. „Lass mich raten: Mama hat dich endlich dazu gebracht, den Dachboden aufzuräumen?“

Kurt zog ein riesiges Stofftaschentuch aus der Hosentasche und putzte sich laut trompetend die Nase. „Punkt für dich“, sagte er und lächelte. „Henni hat ja recht: Jetzt, wo ihr beide hier eingezogen seid, brauchen wir mehr Platz im Haus. Ich bin nur nicht zum Ausmisten gekommen, seit die ‚Glückseiche‘ wieder so gut läuft.“

Lilly fiel auf, wie glücklich ihr Opa aussah, als er das sagte. Sie stand auf und schlang trotz der Spinnweben die Arme um ihn. „Ich bin froh, dass wir jetzt für immer hierbleiben“, sagte sie.

Lilly wohnte erst seit wenigen Monaten mit ihrer Mutter auf dem Land. Kurt besaß hier ein Ausflugslokal, die „Glückseiche“, in der Lilly früher viele Urlaube verbracht hatte. Seit ihre Oma Thesi vor zwei Jahren gestorben war, waren allerdings immer weniger Gäste in die „Glückseiche“ gekommen. Im Sommer hatte es eine Zeit lang sogar so ausgesehen, als müssten die Liebigs das Ausflugslokal schließen. Zum Glück hatten sie das gerade noch verhindern können.

Kurt drückte sie fest. „Ich auch“, sagte er. „Es ist großartig, dass wir für diese Rosenzüchtung so viel Geld bekommen haben.“ Zwar war es nicht annähernd so viel wie auf dem Zeitungsartikel gestanden hatte, aber doch genug, um der „Glückseiche“ neuen Schwung zu verpassen. „Und mit den neuen Eissorten läuft auch die Konditorei wieder! Ich weiß zwar immer noch nicht, wer dir bei alldem geholfen hat, aber derjenige hat seine Sache wirklich gut gemacht.“

„Hmhm“, machte Lilly nur, denn natürlich waren das die Zwölfen gewesen. Ihre Mutter hatte davon bis heute keine Ahnung. Und Opa Kurt wusste zwar, dass Lilly ein Geheimnis hatte, doch er vertraute ihr und fragte nicht weiter nach. „Was wolltest du mir eigentlich zeigen?“, fragte Lilly und löste sich aus der Umarmung.

„Ich habe auf dem Dachboden etwas gefunden“, sagte Kurt. „Eine alte Holztruhe. Sie stammt von Thesi und ist für dich!“

Lilly sah ihn überrascht an. „Für mich?“

„Ja“, bestätigte ihr Opa. Er holte einen Zettel aus der Hosentasche und hielt ihn Lilly hin. „Der lag dabei.“

Als Lilly die geschwungene Handschrift ihrer Oma erkannte, machte ihr Herz einen kleinen Hüpfer. „Mein geliebter Kurt“, stand da, „diese Truhe soll Lilly bekommen – allerdings nur, wenn sie sie öffnen kann. Kann sie das nicht, verbrenne die Truhe bitte mitsamt ihrem Inhalt. Ich danke Dir! Zauberkuss, Deine Thesi“

Lilly runzelte verwundert die Stirn. „Verbrennen? Warum sollte sie so etwas gewollt haben?“

Ihr Opa zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich nicht. Aber der Zettel ist eindeutig von Thesi.“ Er lächelte wehmütig. „Und irgendwie passt diese merkwürdige Anweisung ja zu ihr.“

Das musste Lilly zugeben. Thesi hatte sich ständig solche verrückten Sachen ausgedacht.

„Wie du das schaffen willst, ist mir allerdings ein Rätsel“, fügte Kurt hinzu und kratzte sich am Kopf, sodass der Staub rieselte. „Die Truhe ist nämlich fest verschlossen und ich kann weder Griff noch Schloss daran entdecken. Am besten schaust du sie dir selber an.“

„Das mach ich. Danke, Opa!“

Schon lief Lilly auf den Flur und sprang, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Stiege zum Dachboden hinauf.

„Sie steht ganz hinten rechts, hinter euren Umzugskisten“, rief Kurt ihr nach. „Viel Glück! – Ich geh dann mal duschen.“

Am oberen Treppenabsatz blieb Lilly stehen. Auf dem Dachboden herrschte ein warmes Dämmerlicht, an das ihre Augen sich erst gewöhnen mussten. Dann sah sie sich um. Im vorderen Teil des Raums standen einige Umzugskisten von Henni und Lilly, die sie noch nicht ausgepackt hatten. Der hintere Bereich war vollgestopft mit alten Möbeln, ausrangiertem Geschirr und sonstigem Kram von Kurt und Thesi, den sie über die Jahre hierhin ausgelagert hatten.

Lilly schlängelte sich zwischen den Umzugskisten hindurch in die rechte Ecke. Wie Kurt gesagt hatte, fand sie dort neben einem leeren Pappkarton eine kleine, hellblau bemalte Truhe. Aufgeregt setzte Lilly sich in den Schneidersitz und nahm sie in Augenschein. Die Truhe war etwa viermal so groß wie ein Schuhkarton und mit einem hübschen Blumenmuster bemalt. Tatsächlich konnte sie keinen Griff daran entdecken. Auch kein Schloss, keinen Hebel oder sonst eine Vorrichtung, um sie zu öffnen.

Ratlos betrachtete Lilly die Rosenranken, die rund um den Deckel aufgemalt waren. Warum hinterließ Thesi ihr eine Truhe, die man nicht öffnen konnte?

Da bemerkte sie etwas Seltsames: Eine der Rosenblüten in der mittleren Ranke schien sich von den anderen zu unterscheiden. Lilly beugte sich vor, um sie besser sehen zu können. Tatsächlich, die dunkelrote Blüte war nicht nur viel feiner gezeichnet, es kam ihr fast vor, als wäre sie echt! Lilly konnte nicht anders, sie streckte einen Finger aus und berührte die Blüte.

Kkrrk – die Truhe sprang auf.

Atemlos klappte Lilly den Deckel auf und sah hinein. Die Truhe war bis zum Rand vollgestopft mit Heften, Blättern, Zeichnungen, Karten und vielem mehr. Obenauf lag ein Brief. Lilly griff danach und las:

„Meine allerliebste Lilly“, stand da in Thesis Schnörkelschrift, „wenn Du das hier liest, ist es Dir gelungen, die Truhe zu öffnen. Das bedeutet, dass Du wie ich eine wunderbare und seltene Gabe besitzt: Du kannst Elfen sehen und alles, was zu ihrer Welt gehört. Denn Du musst wissen, Lilly, die Geschichten, die ich Dir über Elfen erzählt habe, sind wahr. Elfen gibt es wirklich! Ihr Land befindet sich unten am See in der Krone einer alten Eiche. Ich habe sie gut kennengelernt und vieles mit ihnen erlebt. Sie sind meine Freundinnen und Freunde geworden. Alles, was ich über sie weiß, habe ich aufgeschrieben und in dieser Truhe gesammelt. Und nun gebe ich dieses Wissen an Dich weiter. Ich bin sicher, dass Du gut darauf achtgeben wirst.

Ich bedaure sehr, dass ich Dir dieses Geschenk nicht selbst überreichen kann. Doch es gibt Dinge auf der Welt, bei denen auch die Zauberkraft der Elfen nicht zu helfen vermag. Trotzdem bin ich immer bei Dir und beschütze Dich!

Zauberkuss, Deine Oma Thesi

PS: Die Rosenblüte an der Außenseite der Truhe hat mir die Elfenkönigin persönlich geschenkt. Nun soll sie Dir Glück bringen.“

Lilly zog die Nase hoch. Was gäbe sie dafür, dass ihre Oma noch bei ihr wäre! Sie hätte ihr längst alles von ihrer neuen Freundin Flimm und den Zwölfen erzählt …

Lillys Blick wanderte zu der geöffneten Truhe. Ob in Thesis Aufzeichnungen wohl auch etwas über die Zwölfen stand?

Vorsichtig nahm sie das erste Papier aus der Truhe. Es war eine Zeichnung, die Thesi offenbar selbst angefertigt hatte. Sie zeigte eine Elfe in einem dunkelroten Kleid mit langen Ärmeln aus weißer Spitze. Schwarze Haare fielen in langen Strähnen über ihren Rücken, und auf ihrer Hand saß ein Schmetterling mit hellblauen Flügeln. Sie war wunderschön! „Prinzessin Larina“ stand unter dem Bild, doch das hätte Lilly auch so gewusst. Sie kannte alle Elfen aus Thesis Erzählungen und wusste genau, wie sie aussahen.

Lilly legte das Blatt vorsichtig beiseite und stöberte weiter. Sie entdeckte mehrere Hefte, in denen Thesi den Sagenschatz der Elfen festgehalten hatte. „Wie Fürst Lenetor die Wassermänner besiegte“ stand da etwa oder „Als Caitlinns Krone verschwand“. In anderen waren Ereignisse aufgelistet, die die Geschichte der Elfen am Seeufer betrafen. Außerdem fand Lilly mehrere rot eingebundene Tagebücher. Darin hatte ihre Oma notiert, was sie selbst mit den Elfen erlebt hatte.

Mit glühenden Wangen begann Lilly zu lesen. Manche der Geschichten kannte sie bereits aus Thesis Erzählungen, andere waren ihr völlig fremd. Sie las von Trollen, Nymphen, Kurzflüglern, Drachenschlangen und anderen Zauberwesen – aber nichts von den Zwölfen.

Lilly war so vertieft, dass sie gar nicht merkte, wie die Zeit verging. Es war schon fast elf, als Henni sie rief und ins Bett schickte. Doch auch als ihr Licht gelöscht war, konnte Lilly nicht einschlafen. Es war, als tanzten all die Namen und Bilder in ihrem Kopf herum.

Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. Sie knipste ihre Nachttischlampe an und stand auf. Nachdenklich ging sie zum Regal und nahm die Figur Larinas in die Hand. Sie war die Schwester der Elfenkönigin Caitlinn. Wie auf Thesis Bild hatte auch die Figur lange, schwarze Haare und trug ein rotes Kleid. Natürlich, denn Lilly hatte sie im Spielzeugladen passend zu Thesis Erzählungen ausgesucht. Neben Larina stand die Figur Caitlinns. Eine violette Krone saß auf ihren blonden Haaren, die sie offen trug. Auch ihr Kleid war blasslila und umspielte ihre zarte Gestalt. Als Lilly ihre Sammlung betrachtete, wurde ihr bewusst, wie lange sie schon nicht mehr mit den Elfenfiguren gespielt hatte. Um genau zu sein, seit mit den Zwölfen befreundet war. Früher hatte sie viel Zeit allein verbracht, aber jetzt war sie ständig mit Flimm unterwegs oder bei der Familie Fünfvorzwölf. An die Elfen hatte sie kaum noch gedacht.

Wie oft war sie früher zu den Bäumen am See hinuntergegangen, um nach Elfen Ausschau zu halten! Ob sie sie jemals kennenlernen würde?

Nur eines verstand Lilly nicht: Wenn Thesi die Elfen am See gekannt und alles über sie aufgeschrieben hatte, warum hatte sie dann die Zwölfen überhaupt nicht erwähnt? Klar, vermutlich konnten die Elfen die Zwölfen genauso wenig leiden wie andersherum, aber sie waren doch ihre Verwandten und lebten nur ein paar Schritte entfernt! Konnte es wirklich sein, dass Thesi nichts von ihnen gewusst hatte? Grübelnd ging Lilly zurück ins Bett und schlief endlich ein.

Als Lilly am nächsten Tag müde in die Küche kam, stand ihr Opa gerade vom Frühstückstisch auf. „Guten Morgen, Lilly“, sagte er. „Hast die Truhe aufbekommen, was?“

Lilly nickte stolz.

„Das hätte Thesi gefallen“, brummte Kurt lächelnd. „Da bin ich sicher.“

„Eine Truhe?“, fragte Henni arglos. „Was ist denn da drin?“

Kurt und Lilly wechselten einen Blick.

„Nur ein paar Sachen, die Thesi Lilly geben wollte“, sagte ihr Opa dann rasch und zwinkerte Lilly zu. Sie wussten beide, wie neugierig Henni sein konnte, auch wenn eine Sache sie gar nichts anging. „Ich geh dann mal und mach die Sonnenschirme zu. Der Wetterbericht hat für heute Sturmböen angesagt.“

„Ich komme gleich und helfe dir“, antwortete Henni.

Als Kurt weg war, setzte Lilly sich an den Tisch. Es gab Haferflockenbrei mit Blaubeeren. Natürlich ohne Zucker, denn Henni achtete streng darauf, dass Lilly nicht zu viele Kalorien zu sich nahm. Schließlich hatte sie noch immer Übergewicht, auch wenn sie in den letzten Monaten nicht weiter zugenommen hatte. Henni führte das auf ihre gesunde Küche zurück. Lilly glaubte eher, dass ihre Flugstunden mit der Familie Fünfvorzwölf dafür verantwortlich waren. Seit die Zwölfen ihr ein Paar Flügel geschenkt hatten, konnte sie nämlich fliegen! Aber auch das gehörte zu den Dingen, die sie für sich behalten musste.

„Hast du eigentlich schon ein Geschenk für Opa?“, fragte Henni, während sie Brei in ein Schälchen löffelte. „Du weißt, er wird übernächste Woche siebzig.“

„Oh verzwö…, ich meine, verflixt!“, entfuhr es Lilly. „Das habe ich ganz vergessen. Was schenkst du ihm denn?“

„Ich hatte eine ganz tolle Idee“, erwiderte Henni strahlend. „Wir sind doch gerade beim Ausmisten. Und da habe ich Kurt überredet, auch seinen Lieblingssessel wegzugeben. Du weißt schon, dieses karierte Plüschmonster, in dem er beim Fernsehen immer sitzt. Das Ding ist schon ganz durchgesessen und der Stoff ist auch kaputt.“

„Du hast seinen Sessel auf den Müll geworfen?“ Lilly guckte mitleidig. „Armer Opa! Das ist ihm sicher schwergefallen. Und was hast du jetzt vor? Willst du ihm einen neuen kaufen?“

Henni kicherte. „Nein, nein“, sagte sie, und ihre braunen Augen blitzten hinter ihrer Brille. „Er sollte ja nur denken, dass sein Sessel auf dem Müll landet. In Wirklichkeit habe ich ihn zum Polsterer gebracht! Der wird ihn ausstopfen und ihm einen neuen Bezug verpassen.“

„Das ist gut“, rief Lilly erleichtert. „Darüber wird er sich bestimmt sehr freuen!“

„Das denke ich auch“, erwiderte Henni, während sie das Geschirr abräumte. „Und dazu gibt’s ein großes Fest. Das hat er sich wirklich verdient nach dem Stress im Sommer! – So, ich geh dann auch rüber. Was hast du denn heute vor?“

Lilly dachte an ihre Verabredung mit Flimm. „Mal gucken“, sagte sie lächelnd. „Ich lass mich überraschen.“

Auf dem Wipfel der Glückseiche