Love, theoretically - Ali Hazelwood - E-Book
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Love, theoretically E-Book

Ali Hazelwood

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Beschreibung

Liebe ist wie Physik – die Theorie mag noch so schön sein, auf die Praxis kommt es an.

Wissenschaftlerin Elsie lebt im Multiversum: Als Theoretische Physikerin quasi unbezahlt, verdient sie ihr Geld als Fake-Date-Begleitung. Bis ihre Parallelwelten kollidieren: Ausgerechnet der nervig attraktive Jack – der sie als Freundin seines Bruders und Bibliothekarin kennt – muss entscheiden, ob sie ihren Traumjob bekommt. Dazu führt er als kaltherziger Experimentalphysiker eine üble Fehde gegen die Theoretische Physik. So findet sich Elsie auf einem Wissenschaftsschlachtfeld wieder – und muss sich dagegen wehren, in Jacks Gravitationsfeld gezogen zu werden. Oder sollten etwa ganz neue Theorien über die Liebe in die Praxis umgesetzt werden? 

Der Hype um Ali Hazelwood geht weiter – vom TikTok-Phänomen zur Weltbestseller-Autorin. 

Mit einem Cameo-Auftritt von Olive und Adam aus »Die theoretische Unwahrscheinlichkeit von Liebe«.


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Seitenzahl: 569

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Über das Buch

Eigentlich lehrt Elsie Hannaway Theoretische Physik an der Uni, was aber quasi unbezahlt ist. So verdient sie ihr Geld als Fake-Date all jener Nerds, die sonst niemanden haben, der sie zum Geburtstag der Großmutter begleitet. Wie Greg, für den Elsie die brave Bibliothekarin mimt. Ihr sorgfältig konstruiertes Elsie-Versum kollidiert jedoch mit der Wirklichkeit, als sich Jack Smith, der nervtötend attraktive Bruder Gregs, als eben jener kaltherzige Experimentalphysiker entpuppt, der zwischen Elsie (der vermeintlichen Bibliothekarin) und ihrem Traumjob am MIT steht. Elsie wappnet sich für eine wissenschaftliche Konfrontation übelster Art, doch warum hat sie ausgerechnet in Jacks Gegenwart das Gefühl, dass sie einfach nur sie selbst sein kann? Sollte es diesem verachtenswerten Experimentalphysiker etwa gelingen, sie in sein Gravitationsfeld zu ziehen – und sie dazu zu bringen, ihre heimlichen Theorien über die Liebe in die Praxis umzusetzen? 

»Mit ihrem amüsanten Erzählstil und starken Charakteren gelingt Ali Hazelwood eine Liebesgeschichte, die Herzklopfen verursacht.« FLOW über »Die theoretische Unwahrscheinlichkeit von Liebe«

Über Ali Hazelwood

Ali Hazelwood hat unendlich viel veröffentlicht (falls man all ihre Artikel über Hirnforschung mitzählt, die allerdings niemand außer ein paar Wissenschaftler:innen kennt und die, leider, oft kein Happy End haben). In Italien geboren, hat Ali in Deutschland und Japan gelebt, bevor sie in die USA ging, um in Neurobiologie zu promovieren. Als sie zur Professorin berufen wurde, war niemand mehr schockiert als sie selbst. Ihre Romane »Die theoretische Unwahrscheinlichkeit von Liebe« und »Das irrationale Vorkommnis der Liebe« wurden bei TikTok zu Sensationserfolgen und sind internationale Bestseller. Zuletzt erschien von ihr bei Rütten & Loening »Die Unannehmlichkeiten von Liebe«. Mehr unter: www.AliHazelwood.com; Instagram: @AliHazelwood 

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Ali Hazelwood

Love, theoretically

Roman

Aus dem Amerikanischen von Christine Strüh und Anna Julia Strüh

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Widmung

Prolog

Kapitel 1: Wellen und Teilchen — Vierundzwanzig Stunden zuvor

Kapitel 2: Kernspaltung

Kapitel 3: Kettenreaktion

Kapitel 4: Entropie

Kapitel 5: Gravitationskonstante

Kapitel 6: Anode und Kathode

Kapitel 7: Elektrischer Widerstand

Kapitel 8: Reibung

Kapitel 9: Fluchtgeschwindigkeit

Kapitel 10: Trägheit

Kapitel 11: Zentripetalkraft

Kapitel 12: Unelastischer Stoß

Kapitel 13: Annihilation

Kapitel 14: Schwerpunktsystem

Kapitel 15: Wärmetransfer

Kapitel 16: Fundamentale Wechselwirkungen

Kapitel 17: Verschiebung

Kapitel 18: Kraftfluss

Kapitel 19: Widerstand

Kapitel 20: Freier Fall

Kapitel 21: Komplexe harmonische Schwingung

Kapitel 22: Kritische Masse

Kapitel 23: Gefrierpunkt

Kapitel 24: Elektromagnetismus

Kapitel 25: Plastizität

Kapitel 26: Flüssigkristalle

Epilog — Acht Monate später

Nachwort der Autorin

Dank

Impressum

Wer von diesem Roman begeistert ist, liest auch ...

Für all meine Leserinnen und Leser, von denAO3-Tagen bis heute. Der Cameo-Auftritt von Adam & Olive ist für euch.♥

Prolog

In meinem Leben habe ich schon vieles erlebt, was ich später bereut, wofür ich mich geschämt habe, gelegentlich sogar etwas, was mich geradezu gequält hat. Aber nichts, absolut nichts hat mich auf die Schmach vorbereitet, mich in einer Toilettenkabine eng geschmiegt an den arroganten großen Bruder ausgerechnet jenes Typen wiederzufinden, den ich die letzten sechs Monate gedated habe.

Es ist der preiswürdige, historische Tiefpunkt meines Lebens. Vor allem da er einhergeht mit dem Wissen, dass es ausgerechnet Jack Smith ist, der mir den Arsch rettet. Als er mich um die Taille packt und mich, mühelos der Schwerkraft trotzend, hochhebt und mich in dem engen Kabuff umherbugsiert, weiß ich nicht, was schlimmer ist: die Tatsache, dass seine Hände das Einzige sind, was mich daran hindert, mich wie ein Scrunchie zusammenzuknautschen, oder das demütigende Ausmaß an Dankbarkeit, das ich ihm gegenüber empfinde.

»Entspann dich«, sagt er an meiner Wange, lapidar wie immer, aber zugleich widersinnig tröstlich. Er ist so nah – viel zu nah. Ich bin so nah – viel zu nah. Oder nicht einmal annähernd nah genug? Süße Vergessenheit des Todes. »Und hör auf zu zappeln.«

»Ich zapple nicht, Jack«, widerspreche ich und zapple weiter.

Aber gleich darauf gebe ich auf. Schließe die Augen. Entspanne mich an seiner Brust. Habe seinen Geruch in meiner Nase, bringe mich zur Vernunft. Und frage mich, welche meiner Millionen dämlicher Lebensentscheidungen mich in diese Situation gebracht hat.

Kapitel 1

Wellen und Teilchen

Vierundzwanzig Stunden zuvor

Die ganze Mittelstufenzeit hindurch war mein Halloween-Kostüm immer Die Wellen-Teilchen-Dualität des Lichts.

Dazu malte ich mit einem Marker auf ein weißes Unterhemd meines Dads, das ich aus dem Müll gerettet hatte, ein paar Zickzacklinien. Nicht einmal meinem Physiklehrer gelang es zu erraten, was damit gemeint sein könnte, und rückblickend muss ich zugeben, dass dies angesichts des äußerst bescheidenen Produktionswerts des Kostüms auch kein Wunder war. Damals störte mich das allerdings wenig – zufrieden wanderte ich durch die Korridore, im Kopf die Stimme des Wissenschaftlers und Moderators Bill Nye mit seiner wunderschönen Erklärung, dass das Licht – je nachdem, wie man es betrachtete – zwei Dinge auf einmal sei: sowohl ein Teilchen als auch eine Welle.

Dieses Konzept schien mir eine echte Gewinneridee zu sein. Und es brachte mich auf die Idee, ob nicht auch in mir zwei – nein, vielleicht sogar eine ganze Vielzahl von Elsies stecken könnten. Jede davon wäre dann nach dem Bild einer anderen Person entworfen, individuell zugeschnitten und sorgfältig gestaltet. So könnte ich für alle meine Mitmenschen genau das sein, was sie in diesem Moment wollten, was sie brauchten, wonach sie sich sehnten. Und im Gegenzug würden sie mich mögen.

Babyleicht. Kann jedes Photon. Kein Problem.

Schon komisch, dass meine Karriere als Physikerin und meine Karriere als People-Pleaserin ungefähr zur gleichen Zeit begannen. Dass ich eine direkte Verbindung von meinem ersten Konzept der Quantenphysik zu meinem derzeitigen Job sehen kann. Eigentlich zu meinen beiden derzeitigen Jobs. Zu dem, bei dem ich tagsüber so gut wie gar nichts damit verdiene, dass ich mir den Kopf über physikalische Theorien zerbreche, die erklären, warum manche kleinen Moleküle zusammenglucken wie eine Clique fieser Mädels in der Mittagspause. Und dann zu dem anderen, bei dem …

Na ja. Der, bei dem ich so tue, als wäre ich jemand anderes, ist wenigstens gut bezahlt.

»Onkel Paul wird wieder versuchen, uns zu einem Dreier zu überreden«, sagt Greg und sieht mich mit seinen seelenvollen braunen Augen entschuldigend an, und ich stutze kein bisschen, reagiere nicht genervt, schaudere nicht beim Gedanken an Onkel Pauls eklig schlechten Atem und seine fettigen, über die Glatze gekämmten Strähnen, die mich an Schamhaare erinnern.

Okay, vielleicht schaudere ich doch ein wenig, aber ich vertusche es mit einem Lächeln und einem hochprofessionellen: »Verstehe.«

»Außerdem«, erzählt er weiter und fährt sich mit der Hand durch seine wuscheligen Locken, »außerdem hat Dad vor Kurzem eine schwere Laktose-Intoleranz entwickelt, weigert sich aber, weniger Milchprodukte zu essen. Das könnte …«

»… zu Magen-Darm-Problemen führen.« Und ist verständlich. Ich würde mich auch weigern, auf Käse zu verzichten.

»Und meine Cousine Izzy – sie ist berüchtigt dafür, dass sie körperlich aggressiv wird, wenn jemand in Bezug auf den literarischen Wert der Twilight-Trilogie anderer Meinung ist als sie.«

Sofort bin ich ganz Ohr. »Ist sie pro oder kontra?«

»Kontra«, antwortet Greg finster.

Ich mag Twilight zwar sogar noch mehr lieben als Käse, aber notfalls kann ich mir meinen TED-Talk, warum Alice und Bella die ganzen Idioten einfach hinter sich hätten lassen und in den Sonnenuntergang reiten müssen, auch verkneifen.

Team Bellice 4evah.

»Alles klar.«

»Elsie, es tut mir leid. Es ist Grandmas neunzigster Geburtstag. Die ganze Familie wird da sein.« Er seufzt, sein Atem steigt in weißen Wölkchen in die Nachtluft des eisigen Bostoner Januars empor. »Mom wird noch schlechter drauf sein als sonst.«

»Keine Sorge!« Ich klingle an der Haustür von Gregs Großmutter und schenke ihm mein ermutigendstes Lächeln. Er hat mich als Fake-Freundin angeheuert, und er wird die Elsie bekommen, die er sich wünscht: beruhigend – ja, aber bei Bedarf auch behutsam bossy. Eine Domina, die nicht die Peitsche schwingt, aber im Notfall dazu bereit wäre. »Hast du unser Signal zum Rückzug noch parat?«

»Ich kneife dich zweimal in den Ellbogen.«

»Dann sage ich, dass es mir nicht so gut geht, und wir verdrücken uns. Und wenn das Dreier-Angebot kommt, deute ich unmissverständlich an, dass ich mir einen Tripper eingefangen habe.«

»Das würde Onkel Paul wohl kaum abschrecken.«

»Genitalwarzen vielleicht?«

»Hmmm. Könnte klappen.« Er massiert sich die Schläfe. »Das einzig Gute ist, dass mein Bruder kommt.«

Ich erstarre. »Jack?«

»Ja.«

Blöde Frage. Greg hat nur diesen einen Bruder. »Ich dachte, du hättest gesagt, er ist nicht da?«

»Sein Arbeitsessen ist abgesagt worden.«

Ich stöhne innerlich.

»Was ist?«

Mist. Anscheinend habe ich auch äußerlich gestöhnt. »Ach nichts«, antworte ich und drücke seinen Arm durch den Mantel. Greg ist mein Lieblingsklient, und ich werde dafür sorgen, dass er diesen Abend unbeschadet übersteht. »Überlass deine Familie ruhig mir. Okay? Dafür bezahlst du mich schließlich.«

So ist es tatsächlich. Und ich bin jeden Tag dankbar dafür, dass ich ihn noch nie daran erinnern musste – anders als viele andere meiner Klienten, die irgendwann mehr oder weniger direkt danach fragen, welche anderen Gefälligkeiten ich noch zu bieten habe, obwohl mein Leistungsumfang in der App der Vermittlungsorganisation Faux ziemlich deutlich formuliert wird. Dann räuspern sie sich, kratzen sich am Kinn und fragen: »Was genau ist denn eigentlich in diesem … Fake-Girlfriend-Tarif enthalten?« Worauf ich am liebsten die Augen verdrehen und dem Betreffenden das Knie in die Eier rammen würde. Doch ich bemühe mich immer um Nachsicht, lächle freundlich und sage: »Sex auf jeden Fall nicht.«

Außerdem – um nur ein paar der Standard-Follow-up-Fragen zu beantworten – küsse ich nicht, mache weder erotische Massagen noch Verbalerotik, nichts Anales, keinen Blowjob, Handjob oder Zungenjob oder was es sonst noch für Jobs geben mag, von denen ich bisher nichts wusste. Ich lasse niemanden auf mich pinkeln, niemanden meine Füße schmusen und begünstige und / oder erlaube auch keine Orgasmen in meiner Nähe.

Nicht dass irgendwas davon falsch wäre: Sexarbeit ist Arbeit, und Menschen, die dieser Arbeit nachgehen, verdienen denselben Respekt wie Ballerinen, Feuerwehrleute und kleine Meerjungfrauen. Schließlich genießen nicht alle den Luxus, das zu werden, wovon sie als Kind geträumt haben – oder sogar noch als sechsundzwanzigjährige Vollerwachsene. Als ich vor zehn Monaten mit einem Ph. D. in Theoretischer Physik von der Northeastern University in Boston abgegangen bin, war ich mir sicher, dass ich inzwischen längst eine vernünftig bezahlte Akademikerstelle gefunden haben würde. Nicht im Traum hätte ich mir vorgestellt, dass ich meine Wasserrechnung damit bezahlen würde, erwachsenen Männern dabei zu helfen, so zu tun, als hätten sie ein Dating-Leben. Und doch mache ich genau das: Ich laviere mich mit meinem Job als Fake-Freundin durch die Untiefen meiner Studentenkredite.

Ich will wirklich keine Spaßbremse sein, aber allmählich habe ich den Eindruck, dass sich das Leben womöglich nicht immer so entwickelt, wie man es sich ursprünglich gewünscht hat. Ein unvermeidbarer Verlust des Glaubens an das Glück, wenn man bedenkt, dass man sich ja nicht unbegrenzt anheuern lassen kann, um vorzuspiegeln, dass ein Klient ein charmantes, ausgeglichenes, emotional zugängliches Wesen ist, fähig, eine mittelfristige Beziehung mit einer ebenfalls hochfunktionalen Erwachsenen aufrechtzuerhalten, um … Na ja, ich habe Greg nie gefragt, warum Caroline Smith so besessen ist von der Idee, dass ihr dreißigjähriger Sohn unbedingt eine bessere Hälfte haben sollte. Wegen einiger Gesprächsfetzen, die ich im filmreifen Smith-Universum aufgeschnappt habe, hege ich den Verdacht, dass es etwas mit dem riesigen Vermögen zu tun hat, das ins Spiel kommen wird, wenn die Matriarchin eines Tages stirbt, und mit dem Glauben, dass Greg, falls er das erste Ur-Enkelkind liefert, bessere Aussichten auf das Erbe hätte. Vielleicht auf einen diamantbesetzten Wasserschlauch – oder was?

Reiche Leute. Sind auch nicht anders als wir alle.

Aber Gregs neugierige Mom ist immer noch besser als sein Bruder, der aus zahlreichen Gründen, an die ich gar nicht denken möchte, Bad News bedeutet. Offen gestanden ist es eine Erleichterung, dass heute sie meine Zielperson ist. So kann ich mich nämlich, sobald sich die Tür der Smith-Villa öffnet, allein auf sie fokussieren: auf diese verschlossene Frau mit ihrem PVC-beschichteten Herzen, die es quasi gleichzeitig schafft, uns Luftküsse auf die Wangen zu hauchen, Greg die Haare zu zerzausen und uns beiden ein gefülltes Weinglas in die Hand zu drücken.

»Wie stehen die Dinge im Finanzwesen, Gregory?«, fragt Caroline ihren Sohn. Er kippt die Hälfte seines Weins auf einmal runter – und ich habe den Verdacht, er tut das, weil er schon mehrfach zu erklären versucht hat, wie ich ebenfalls mitbekommen habe, dass er eigentlich gar nicht im Finanzwesen arbeitet. Mindestens vier Mal. »Und Sie, Elsie«, fügt sie, ohne Gregs Antwort abzuwarten, hinzu. »Wie läuft es in Ihrer Bibliothek?«

Nach den Fake-Richtlinien erzähle ich meinen Klienten nichts über mich selbst – weder meinen vollen Namen noch meinen Brotberuf noch meine ehrliche Meinung über Koriander (ein ausgezeichnetes Kraut – vorausgesetzt, man isst gern Seife). Und das wären dann auch schon, kurz zusammengefasst, die Dinge, um die es bei der Arbeit als Fake-Freundin geht. Anfangs schien mir die Sache mehr als zweifelhaft – warum sollte jemand im Zeitalter von Tinder und Pornhub Geld für ein Fake-Date bezahlen, und dazu noch mir, der unauffälligen Elsie Hannaway, dem Inbegriff der Durchschnittlichkeit? Durchschnittlich groß. Durchschnittlich braune Haare und ebensolche Augen. Durchschnittliche Nase, durchschnittliche Füße, Beine, Brüste. Hübsch, ja klar, aber auf durchschnittliche, wirklich nicht erwähnenswerte Weise. Und doch ist meine durchschnittliche Mittelmäßigkeit wie ein unbeschriebenes Blatt, das nur darauf wartet, ausgefüllt zu werden, eine leere Leinwand, um etwas darauf zu malen. Ein Spiegel, der nur das zeigt, was andere darauf projizieren. Ein Stück Stoff, das maßgeschneidert werden kann zu – na ja, inzwischen hat wohl jeder die Metapher begriffen.

Die Elsie, die Caroline Smith sich wünscht, ist eine junge Frau, die sich selbst dort gut einfügen kann, wo man aus der Jahreszeit das Verb übersommern macht, die nicht auffallend genug ist, um eine bessere Partie als Greg an Land zu ziehen, aber fürsorglich genug, sich um ihren Sohn zu kümmern, den Caroline möglicherweise liebt, jedoch nie wirklich kennengelernt hat. Kinderbibliothekarin schien mir für diesen Zweck ein großartiger Fake-Beruf zu sein. Es hat wirklich Spaß gemacht, Online-Foren nach bezaubernden Anekdoten zu durchforsten.

»Heute habe ich drei Goldfisch-Cracker in unserem besten Exemplar von Matilda gefunden«, erzähle ich lächelnd, was der Reddit-User iluvbigbooks erlebt hat.

»Wie lustig!«, sagt Caroline, ohne zu lachen, zu lächeln oder sonst ein Zeichen von Belustigung zu offenbaren. Dann beugt sie sich näher zu mir und flüstert mir zu, als könne ihr Sohn, der keinen halben Meter von uns entfernt ist, uns nicht hören: »Wir freuen uns so sehr, dass Sie hier sind, Elsie.« »Wir« umfasst auch Gregs Dad, glaube ich, der stumm neben ihr steht und sich mit dem leeren Lächeln eines Menschen, der sich seit 1999 aus allem raushält, drei Käsewürfel in den Mund stopft. »Wir haben uns solche Sorgen um Gregory gemacht. Aber jetzt ist er mit Ihnen zusammen und so glücklich wie noch nie.« Ist er das? »Gregory, bitte verbringt heute Abend möglichst viel Zeit mit deiner Großmutter. Izzy macht Fotos mit ihrer Polaroid, die sie ihr am Ende des Abends geben will – sorg dafür, dass ihr auf allen davon zu sehen seid.«

»Ich kümmere mich darum, dass es klappt«, verspreche ich und hake mich bei Greg ein. Fünfzehn Sekunden später breche ich das Versprechen am Ende des glamourösen Korridors. Greg leert sein Glas, klaut sich noch zwei große Schlucke von meinem und flüstert mir theatralisch ins Ohr: »Wir sehen uns in zehn Minuten«, ehe er seinen Abgang in die Toilette macht.

Ich muss lachen. Ihm gegenüber regt sich tatsächlich mein Beschützerinstinkt – so sehr, dass ich die Standardregeln von Faux breche, mich mit ihm auf wiederholte Fake-Dates einlasse und bereit bin, ihn gegen Straßenräuber, Piraten und seine erweiterte Familie zu verteidigen. Vielleicht liegt das daran, dass der erste Satz, den er zu mir gesagt hat, ein panisches »Meine Mutter hört einfach nicht auf zu fragen, warum ich keine Dates habe« war, gefolgt von einer zögernden, erschöpften Erklärung, warum genau das in der nächsten Zeit auch nicht passieren würde – eine Erklärung, die mir mehr als naheging. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass er immer genau so aussieht, wie ich mich fühle: müde und überfordert. In einer anderen Timeline wären wir beste Freunde, verbunden durch die unvermeidlichen Stressgeschwüre, mit denen die Zukunft unsere Magenschleimhaut sicher schon bald verheeren wird.

Ich finde die leere Küche und schlüpfe in Windeseile hinein, um dem roten Strudel nachzuschauen, den ich aus meinem Weinglas in die Spüle schütte. Verschwendung. Aber wenn ich abgelehnt hätte, hätte das nur zu Fragen geführt, und ich möchte gar nicht erst erklären müssen, dass Alkohol ein überaus gefährlicher, glykämischer Terrorist ist, mit dem meine sich ohnehin abmühende Bauchspeicheldrüse einfach nicht zurechtkommt …

»Nicht dein Ding?«

Ich fahre hoch. Und jaule auf. Lasse um ein Haar mein Glas fallen, das vermutlich mehr gekostet hat als mein ganzes Studium.

Dabei dachte ich doch, ich wäre allein. War ich etwa nicht allein? Doch, ich war allein. Aber jetzt steht Gregs großer Bruder im Raum, lümmelt an der Marmortheke. Aus seinen unverwechselbaren mehrfarbigen Augen starrt er mich mit dem üblichen unergründlichen Ausdruck an. Ich stehe zwischen ihm und dem einzigen Ausgang – entweder habe ich ihn schlicht übersehen, oder er hat es geschafft, das Raum-Zeit-Kontinuum zu krümmen.

Oder ich habe ihn mit dem Kühlschrank verwechselt. Dem er in Größe und Umfang zum Verwechseln ähnlich sieht.

»Alles okay bei dir?«, fragt er.

»Ich – ja. Ja, sorry. Es war nur …« Ich ringe mir ein Lächeln ab. »Hi, Jack.«

»Hi, Elsie.« Er sagt meinen Namen, als wäre er ihm vertraut – als wäre er das erste Wort, das er gelernt hat. Jedes Mal, wenn wir zusammen im selben Zimmer sind, kommt er als diese imposante, himmelhohe, strenge Präsenz rüber, deren Zeitvertreib einzig und allein darin zu bestehen scheint, mich als Gregs absolut unwürdig zu verurteilen.

»Schmeckt dir der Wein nicht?«

»Nein, das ist es nicht.« Ich blinzle nervös. Auf seinem Unterarm sehe ich ein Tattoo, unter dem aufgekrempelten Ärmel seines Hemds lugt es hervor. Denn er trägt selbstverständlich Jeans und Karohemd, obwohl auf der Einladung ausdrücklich um formelle Kleidung gebeten wurde.

Aber er ist Jack Smith, demzufolge kann er tun und lassen, was er will. Wahrscheinlich ist die Erlaubnis in seine lächerlich beeindruckenden Muckiarme gemeißelt.

»Der Wein war hervorragend«, sage ich und sammle mich. »Aber es ist eine kleine Fliege reingeraten.«

»Ach ja?«

Er glaubt mir nicht. Ich weiß nicht, warum ich das weiß, aber ich weiß es. Und er weiß, dass ich es weiß. Ich kann es sehen – nein, ich kann es fühlen. Am unteren Ende meiner Wirbelsäule kribbelt es, flüssig, prickelnd und warm. Vorsicht, Elsie, ermahnt es mich. Er wird dich wegen Verbrechen an edlen Weintrauben verhaften lassen. Dann sitzt du den Rest deines Lebens im Gefängnis, und er stattet dir einmal pro Woche einen Besuch ab und gibt dir das gewohnt unbehagliche Gefühl, indem er dich durch die Plexiglasscheibe anstarrt.

»Izzy sucht bestimmt schon nach dir«, sage ich in der Hoffnung, ihn loszuwerden. »Sie ist oben.«

»Ich weiß«, antwortet er, macht jedoch keinerlei Anstalten, in Richtung der Treppe zu verschwinden. Stattdessen studiert er mich aufmerksam, als wüsste er irgendein Geheimnis über mich. Vielleicht, dass ich höchstens einmal in der Woche Zahnseide benutze. Dass ich einfach nicht begreife, was der Dow Jones ist, nicht mal, nachdem ich den Wikipedia-Eintrag gelesen habe. Und noch schrecklichere, finsterere Dinge.

»Ist deine Freundin auch hier?«, frage ich, nur um die Stille zu füllen. Irgendwann hat er zu einer Familienzusammenkunft mal eine Frau mitgebracht. Eine Geologin. Die schönste Frau übrigens, die mir je unter die Augen gekommen ist. Auch nett. Dazu noch lustig. Wenn ich doch nur behaupten könnte, sie spielte in einer ganz anderen Liga als er.

»Nein.«

Und wieder herrscht Stille. Stummes Starren. Um zu verbergen, dass ich die Zähne fletsche, versuche ich zu lächeln. »Ist eine Weile her.«

»Labor Day.«

»Oh, richtig. Hab ich ganz vergessen.«

Ich aber nicht. Vor dem heutigen Tag habe ich Jack zweimal getroffen, ein Mal und dann noch ein Mal, und beide Male haben sich in meinem Hirn verkeilt, ungefähr so angenehm wie zwischen den Backenzähnen feststeckende Spinatblätter.

Das erste Mal war anlässlich von Gregs Geburtstagsparty, bei der Jack und ich uns die Hände schüttelten, er meine Begrüßung mit einem knappen Nicken erwiderte, mir den ganzen Abend lange, forschende Blicke zuwarf und ich hörte, wie er sich bei Greg in einem trügerisch beiläufigen, ja geradezu inquisitorischen Ton, der mir eine dicke Gänsehaut verursachte, erkundigte: »Wo hast du sie eigentlich kennengelernt?« und »Wie lange geht das schon mit euch?« und »Wie ernst ist es?«.

Jack Smith war also kein Fan. Okay. In Ordnung. Was auch immer.

Und dann das zweite Mal. Im Spätsommer, bei der Labor-Day-Pool-Party, bei der ich mich von vornherein weigerte, ins Wasser zu gehen. Denn im Bikini kann ich meinen Insulinpod nicht verstecken.

Es ist nicht so, dass ich mich schäme, weil ich Diabetes habe. Immerhin hatte ich fast zwei Jahrzehnte Zeit, um mit meinem hyperaktiven Immunsystem Frieden zu schließen, dem es leider etwas viel zu viel Spaß macht, notwendige Zellen zu zerstören. Aber aus irgendeinem Grund sind die Reaktionen meiner Mitmenschen auf die Information, dass ich regelmäßig Insulin in meinen Körper pumpen muss, bisweilen unberechenbar. Als ich meine Diagnose bekam (mit zehn Jahren, nachdem mir ein Krampfanfall in der Schulturnhalle den Spitznamen Zitter-Elsie eingebracht hatte), hörte ich hinter den Trennvorhängen des Krankenhauszimmers ein Flüstergespräch meiner Eltern mit.

»Nicht auch das noch.« Meine Mom klang erschöpft.

»Ich weiß.« Dad klang genauso. »Es muss an uns liegen. Lance fliegt wahrscheinlich von der Highschool. Lucas kann jeden Moment wegen seiner Schlägerei auf dem Walmart-Parkplatz verhaftet werden. Natürlich muss sich da noch rausstellen, dass unserem einzigen pflegeleichten Kind auch etwas fehlt.«

»Sie kann nichts dafür.«

»Nein.«

»Aber es wird teuer.«

»Ja.«

Ich mache meinen Eltern keinen Vorwurf: Mein Bruder Lance flog irgendwann tatsächlich von der Schule (und verdient als Elektriker heute gutes Geld), Lucas wurde wirklich verhaftet (allerdings hinter einem Burgerschuppen und wegen Drogenbesitz, der inzwischen legal wäre). Mom und Dad waren einfach müde und überfordert. Und sie hatten nie genug Geld. Bei mir hatten sie auf ein bisschen Ruhe gehofft, dass es ausnahmsweise mal läuft, und es tat mir echt leid, dass daraus nichts wurde. Um es wiedergutzumachen, versuchte ich, meine gesundheitlichen – und auch all die anderen – Probleme für sie so ignorierbar wie nur möglich zu machen.

Und so hat sich bei mir der Eindruck verfestigt, dass die Leute mich lieber mögen, wenn sie keine allzu große emotionale Energie für mich aufwenden müssen.

Deshalb sprang ich bei Smiths Labor-Day-Party auch nicht in den Pool, sondern setzte mich auf eine Decke und aß mit einem kunstvoll auf meinem Gesicht arrangierten Lächeln ein Stück Kuchen. Aus irgendeinem Grund hatte ich mit meiner Berechnung der Kohlehydrate, die ich zu mir nahm, und dem Insulin, das ich dafür benötigte, total danebengelegen, weshalb ich kurz darauf im Zuckerflash mit verschwommener Sicht und hämmerndem Kopf über den Rasen des Smith-Ferienhauses in Manchester-by-the-Sea stolperte, im verzweifelten Versuch, mich zu erinnern, wo ich mein Handy gelassen hatte, um meinen dringend benötigten Bolus entsprechend anzupassen, und …

… Jack direkt in die Arme lief.

Buchstäblich. Ich sah ihn nicht und kollidierte mit seinem Brustkasten, als wäre er ein supermassives schwarzes Loch. Was nicht stimmte. Er war kein schwarzes Loch, meine ich. Aber absolut supermassiv.

»Elsie?« Iieh. Seine Stimme. »Bist du okay?«

»Ja. Ja, ich …« Muss gleich kotzen.

Er musterte mein Gesicht. »Soll ich Greg rufen?«

»Nicht nö…« Ein stechender Schmerz raste durch meinen Kopf.

»Ich rufe Greg.«

»Nein – bitte nicht Greg.«

Er verzog das Gesicht. »Warum nicht?«

»Weil …« Weil Fake-Freundinnen immer pflegeleicht sind. Sie lächeln, haben keine entschiedenen Meinungen betreffs Koriander, und ihretwegen muss niemand jemals vorzeitig eine Poolparty verlassen. »Kannst du – ich muss zur Toilette und – mein Handy …«

Einen Augenblick später war ich, Handtasche auf dem Schoß, in einer Toilette, die eher an ein Luxus-Spa erinnerte. Und ich würde liebend gern behaupten, dass ich keine Ahnung habe, wie ich dort gelandet war, aber leider schwebt in meinem Kopf eine Erinnerung, eine Erinnerung, wie ich von starken Armen hochgehoben und, einem beschwingten Vögelchen gleich, getragen werde, eine Erinnerung an warmen Atem an meiner Schläfe und gemurmelte Worte, die ich zum Glück vergessen habe.

So viel also dazu. Leider. War Jack nett und hilfsbereit? Jepp. Hat er die Geschichte geglaubt, die ich später erfunden habe – dass ich Greg nicht mit meinen Migräneattacken auf die Nerven gehen wollte? Sehr zweifelhaft, nach seinem skeptischen, kalten, eindringlichen Blick zu urteilen. Eher verdächtigt er mich wohl, dass ich Drogen nehme. Oder befürchtet, dass ich mit meinen schwächlichen Kopfschmerzgenen die Smith-Linie verderbe. Garantiert glaubt er, dass sein Bruder etwas Besseres verdient hat.

Aber eigentlich spielt das alles keine Rolle. Nicht Jack ist meine Zielperson, sondern seine Mutter. Und das ist auch gut so, denn ich habe keinen Schimmer, wie die Elsie aussehen könnte, die Jack lieber wäre.

So etwas gab es noch nie. Ich bin Profi im Aufnehmen und Verarbeiten von Hinweisen, aber Jack … Jack gibt mir nichts an die Hand. Ich weiß nicht, was ich verstärken oder abschwächen soll, was verstecken und was vortäuschen, welche Persönlichkeit auf seinem persönlichen Altar geopfert werden sollte. Es ist, als versuche er, mich zu enträtseln, ohne mich zu verändern – und das ist unmöglich. So sind die Menschen doch nicht, jedenfalls nicht bei mir.

Als er fragt: »Wie geht es dir so?«, in einem Ton, der sich eine Spur zu wissbegierig anhört, lächle ich also so neutral wie möglich.

»Wie üblich. Phantastisch.« Ausnahmsweise breche ich heute mal nicht zusammen und muss mich nicht an dir festhalten. »Und bei dir? Wie steht’s mit deiner Arbeit?« Er ist irgendeine Art Sportlehrer, das hat Greg mal erwähnt. Keine große Überraschung, denn Jack Smith ist gebaut wie jemand, der einen CrossFit-Aufkleber am Auto hat, regelmäßig die Gewichtheber-Kolumne in Men’s Health liest und dabei Proteinshakes trinkt. Die anderen Smiths sind allesamt schmal, eher klein geraten und brünett. Vor mir jedoch steht dieses blonde Backsteingebäude, einen Kopf größer als seine größten Blutsverwandten, nichts als maskuline Eigenschaften und dazu noch eine durchdringend tiefe Stimme. Meine Theorie dazu: überarbeitete Krankenschwester, Babys im Krankenhaus vertauscht.

Er grunzt unverbindlich. »Na ja, ich hab noch keinen meiner Studenten umgebracht. Bis jetzt.«

Eine überraschend nachvollziehbare Betrachtung. »Klingt nach einem Erfolg.«

»Nicht für mich.«

Scheiße. Er bringt mich zum Lächeln. »Warum möchtest du sie denn umbringen?«

»Sie jammern. Sie ignorieren den Lehrplan.« Lehrpläne für Sport? Der einzige Lehrplan unserer Sportlehrerin bestand darin, uns möglichst ausufernd zu blamieren, wenn wir es nicht schafften, das Seil hinaufzuklettern. Offenbar hat die Pädagogik inzwischen große Fortschritte gemacht. »Sie lügen.«

Ich schlucke. »Wobei lügen sie denn?«

»Bei fast allem.« Seine Augen funkeln, seine Lippen zucken, seine Schultern türmen sich unter seinem Hemd, und …

Früher habe ich gedacht, nein, früher habe ich gewusst, dass Männer mit blondem Haar einfach nicht attraktiv sind. Alle hatten es auf Legolas abgesehen, aber ich war immer Aragorn-Fan. Und beim BuzzFeed-Quiz In welches Haus von Game of Thrones gehörst du? war ich niemals ein Targaryen. Umso mehr hasse ich es, dass ich Jack Smith anschaue und ihn mit seinem tollen Kinn und seinen tollen Grübchen und seinen tollen Händen attraktiv finde.

Vielleicht sollte ich einfach nicht hinsehen. Ja, großartiger Plan.

»Entschuldige«, sage ich höflich. »Ich wette, Greg sucht mich schon.« Ehe er antworten kann, habe ich mich schon umgedreht und fühle mich, als hätte ich es gerade geschafft, mich aus den Untiefen eines Schwarzen Lochs zu befreien.

Uff.

Das Wohnzimmer ist ein paar Ecken und Kurven entfernt, groß, vollgestopft, aber trotz des Überangebots an maritimer Malerei und aggressiven Ledermöbeln recht hübsch. Ein paar Minuten verbringe ich damit, Gregs Tante zu versichern, dass wir sie ganz bestimmt um Rat fragen werden, ehe wir uns entscheiden, welchen Caterer wir für unsere Hochzeit engagieren; so zu tun, als merke ich nicht, dass Onkel Paul mich unverhohlen anstarrt und sich dabei ständig die Lippen leckt; freundlich mit einem Sortiment von Cousins und Cousinen übers Wetter, den Verkehr und schlechte Twilight-Szenen zu plaudern. Am Kamin packt das Geburtstagskind Geschenke aus und sagt zu einer ihrer Schwiegertöchter: »Ein Gutschein für ein Schlammbad? Wundervoll. Wird sich anfühlen wie eine gute Übung für den Tag, an dem man mich ins Grab hinabsenkt und ihr alle euch um mein Geld streitet.«

Millicent, wie sie leibt und lebt – als ich ihr zum ersten Mal begegnete, legte sie mir die Hände auf die Schultern und sagte: »Kinder zu kriegen war der schlimmste Fehler meines Lebens.« Ihr ältester Sohn stand direkt neben ihr. Ich muss noch herausfinden, ob Millicent Smith versehentlich fies oder einfach ein bösartiges Weibsstück ist. Wie auch immer, sie ist meine liebste Smith-Persönlichkeit.

Lächelnd wandere ich nach einer Weile davon und lande in einer Ecke des Raums vor dem Go-Brett, auf dem die Steine eines halb fertigen Spiels liegen. Schon bei meinem ersten Besuch hier ist es mir aufgefallen, inmitten des maritimen Dekors wirken die Holzquadrate und Porzellansteine irgendwie fehl am Platz. Greg unterhält sich angeregt mit seinem Dad, und ich überlege, ob wir nicht bald gehen können. Ich muss noch dreiunddreißig Essays über Schwingungen, Wellen und Optik korrigieren, was mich garantiert dazu bringen wird, einen gewaltsamen Tod herbeizusehnen. Außerdem habe ich noch einen Scantron-Test in Materialwissenschaften zu schreiben. Und natürlich muss ich ein Jobinterview vorbereiten. Ich möchte – nein, ich muss es unbedingt gut hinbekommen. Hier gibt es null Fehlertoleranz, denn es ist meine Möglichkeit, meine Abende nicht mehr mit Fake-Dating zu verbringen und tagsüber Mails mit [email protected] darüber auszutauschen, ob er aufgrund der Glutenallergie seines Chinchillas wirklich von der Zwischenprüfung im Physik-Grundkurs befreit werden kann. Ich werde meine Antworten mindestens elfmal üben müssen – was genau der Anzahl der Raumdimensionen gemäß der M-Theory entspricht, meiner liebsten Stringtheorie und Mutter aller Stringtheorien …

»Spielst du?«

Ich zucke erschrocken zusammen. Schon wieder. Auf der anderen Seite des Go-Bretts steht Jack, dunkle Augen mustern mich. Alle seine Verwandten sind hier – warum verschwendet er kostbare Familienzeit damit, die Fake-Freundin seines Bruders zu belästigen?

»Elsie?« Schon wieder mein Name. Den er sagt, als hätte das Universum diesen Namen einzig und allein dafür erschaffen, dass er ihn ausspricht. »Ich hab nur gefragt, ob du Go spielst.« Jetzt klingt er amüsiert.

»Oh. Ähm, ein bisschen.« Untertreibung. Go ist ein vertrackt verschachtelter Hirnverdreher, eine komplexe Kopfquälerei und daher auf jeden Fall die liebste Freizeitbeschäftigung vieler Physiker. »Spielst du?«

Jack antwortet mir nicht. Stattdessen legt er noch ein paar weiße Go-Steine auf das Brett.

»O nein.« Ich schüttle entschieden den Kopf. »Jemand anderes ist mitten in diesem Spiel, wir können doch nicht …«

»Ist schwarz okay für dich?«

Eigentlich nicht. Aber ich schlucke, greife zögernd nach den Steinen und lege sie aus, während mein Stolz ein nettes kleines Tauziehen mit meinem Überlebensinstinkt veranstaltet: Ich will mit meinen Go-Qualitäten nicht hinter dem Berg halten und Jack einfach gewinnen lassen, allerdings steht, soweit ich weiß, zu befürchten, dass er sich bei einem verlorenen Spiel womöglich in einen feuerspeienden Drachen verwandelt und eine tragende Wand in Brand setzt. Und ich möchte wirklich nicht beim Einsturz eines Hauses sterben, neben Jack Smith und seinem von flotten Dreiern besessenen Onkel.

»Wie geht es Greg?«, fragt Jack.

»Er ist da drüben mit deinem Cousin«, antworte ich zerstreut, während ich zuschaue, wie er noch mehr Steine aufbaut. Seine Hände sind absurd groß. Aber gleichzeitig anmutig, was wirklich keinen Sinn ergibt. Und was außerdem keinen Sinn ergibt: die Tatsache, dass an dem Tischchen zwei Stühle stehen, wir uns aber nicht hinsetzen.

»Aber wie geht es ihm?«

Meiner bescheidenen Erfahrung nach ertragen Geschwister sich im besten Fall und spucken einander im schlimmsten Fall Kaugummi in die Haare. (In meinem Fall. In meine Haare.) Jack und Greg dagegen stehen sich wirklich nahe – aus unerfindlichen Gründen, wenn man bedenkt, dass Greg ein sympathisches menschliches Desaster mitten in der Sturm-und-Drang-Phase ist, während Jack … Ich bin mir einfach nicht sicher, wie Jack tickt. Ich erkenne eine Spur böser Junge, etwas Rätselhaftes, einen Hauch von Glätte. Aber auch etwas wie Gier, eine rohe, ungeschliffene Aura. Hauptsächlich aber wirkt er cool. Zu cool, um wirklich cool zu sein. Als hätte er vielleicht in der Highschool den Schulball geschwänzt, um zur Ausstellung eines Guggenheim-Stipendiaten zu gehen, und es dann trotzdem irgendwie geschafft, zum Prom-König gewählt zu werden.

Jack macht ein distanziertes Gesicht. Desinteressiert. Mühelos selbstbewusst. Charismatisch auf eine faszinierend undurchsichtige, unzugängliche Art.

Aber Greg liegt ihm am Herzen. Und er liegt Greg am Herzen. Ich habe ihn mit eigenen Ohren sagen hören, Jack sei sein »bester Freund«, ein Mensch, dem er »uneingeschränkt vertrauen« könne. Und weil ich eine unterstützende Fake-Freundin bin, habe ich zugehört, ohne darauf hinzuweisen, dass er seinem besten Freund nicht wirklich uneingeschränkt vertrauen kann, denn dann wäre er wegen der Fake-Dating-Geschichte ehrlich zu ihm gewesen.

»Es geht ihm gut. Warum fragst du?«

»Als wir uns neulich unterhalten haben, klang es, als stresst er sich wegen Woodacre.«

Mit … was bitte? Müsste ich als Gregs Freundin darüber Bescheid wissen? »Ah, ja«, schwindle ich. »Ein bisschen schon.«

»Ein bisschen?«

Ich mache mich an den Go-Steinen zu schaffen. Warum habe ich eigentlich noch nicht gewonnen? Eigentlich hatte ich erwartet, es würde schneller gehen. »Es geht schon wieder besser.« Mit genug Zeit dürfte das ja wohl auf alles zutreffen, oder nicht?

»Ach ja?«

»Ja, klar.« Ich nicke enthusiastisch.

Auch er nickt. Weniger enthusiastisch. »Tatsächlich?«

Im Go-Spielen ist Jack wirklich nicht schlecht. Wie kann es sein, dass ich ihn immer noch nicht fertiggemacht habe? »Tatsächlich.«

»Ich dachte, Woodacre stünde in ein paar Tagen an. Ich hab angenommen, Greg wäre ziemlich aufgeregt.«

Jetzt werde ich doch etwas nervös. Vielleicht hätte ich Greg fragen sollen. »O ja. Klar. Jetzt, wo du es sagst …«

»Hilf mir doch mal auf die Sprünge, Elsie.« Er macht einen winzigen Schritt auf das Brett zu und ragt turmhoch über mir auf. Dabei bin ich keineswegs klein geraten, ich weigere mich strikt, mich klein zu fühlen. »Was ist Woodacre noch mal?«

Mist. »Das ist …« Ich gebe mir alle Mühe, amüsiert auszusehen. »… na ja, Woodacre eben.«

Jack wirft mir einen Erzähl-mir-keinen-Quatsch-Blick zu. »Das ist keine Antwort, oder?«

»Es ist …« Ich räuspere mich. »Eine Sache, an der Greg gerade arbeitet.« Was weiß ich über Gregs Job? Dass er Datenwissenschaftler ist. »Über die Einzelheiten bin ich nicht informiert. Das ist kompliziertes Wissenschaftszeug«, verkünde ich mit einem sorglosen Lächeln, als würde ich nicht mein Leben damit verbringen, komplexe mathematische Modelle zu bauen, um die Ursprünge des Universums aufzudecken. Mir blutet das Herz.

»Kompliziertes Wissenschaftszeug.« Jack mustert mich, als wäre er dabei, mir die Haut abzuschälen, und ginge davon aus, darunter eine faule Banane vorzufinden.

»Ja, Leute wie du und ich würden es nicht verstehen.«

Er verzieht das Gesicht. »Leute wie du und ich?«

»Ja. Ich meine ja nur.« Ich halte seinem Blick stand und lege einen weiteren Stein ab. »Was sind denn Zahlen überhaupt …«

Dann klappe ich blitzschnell den Mund zu. Anscheinend haben wir das gleiche Feld angepeilt, denn meine Finger berühren die von Jack, und etwas Elektrisches und nicht Identifizierbares züngelt meinen Arm hoch. Ich warte, dass er seine Hand wegzieht, was er jedoch nicht tut. Obwohl ich an der Reihe war. Oder war ich vielleicht gar nicht an der Reihe? Ich bin ziemlich sicher …

»Tja, wenn das kein Remis ist.«

Mit einem Ruck ziehe ich meine Hand weg. Neben mir steht Millicent und starrt auf das Spielbrett. Ich folge ihrem Blick und schnappe nach Luft, denn … sie hat recht.

Ich habe diesen verfluchten Jack Smith nicht bei Go geschlagen.

»Ist lange her, dass Jack ein Spiel nicht gewonnen hat«, stellt Millicent mit einem zufriedenen Lächeln fest.

Es ist lange her, dass ich ein Spiel nicht gewonnen habe! Was zur Hölle? Ich blicke zu Jack empor – der mich noch immer anstarrt, noch immer die Stirn runzelt und noch immer im Stillen ein Urteil über mich fällt. Mein Hirn setzt aus. Ich werde panisch und platze mit dem erstbesten Quatsch heraus, der mir einfällt. »Es gibt mehr zulässige Go-Stellungen als bekannte Atome.«

Ein Schnauben. »Ich kenne jemanden, der mir das schon erzählt, seit er die Windeln los ist.« Millicent wirft Jack, der mich noch immer hartnäckig anstarrt, einen verschmitzten Blick zu. »Du und Elsie, ihr würdet ein großartiges Paar abgeben. Obwohl – Jack, mein Lieber, du solltest sie trotzdem einen Ehevertrag unterzeichnen lassen.«

Zuerst verstehe ich überhaupt nicht, was sie meint, und als ich es verstehe, werde ich knallrot. »O nein, Mrs. Smith, ich – ich bin mit Greg zusammen. Ihrem anderen Enkelsohn.«

»Sind Sie sicher?«

Was? »Ich – ja, natürlich.«

»Sah gar nicht danach aus.« Sie zuckt die Achseln. »Aber was weiß ich denn schon. Ich bin eine neunzigjährige alte Schachtel, die sich gern in Schlammbädern vergnügt.« Damit verkrümelt sie sich zum Tisch mit den Häppchen. Ich schaue ihr eine Weile nach, dann wende ich mich mit einem nervösen Lachen Jack zu.

»Wow. Das war …«

Jack starrt noch immer. Auf mich. Mit steinernem Gesicht und sektoriell unterschiedlich pigmentierten Augen. Als wäre ich interessant. Sehr interessant. Sogar überaus interessant. Ich öffne den Mund, um ihn zu fragen, was eigentlich los ist. Um eine Revanche bis auf den Tod zu fordern. Um ihn zu bitten, nicht länger die Poren auf meiner Nase zu zählen. Und genau da …

»Lächeln, Leute!«

Ich fahre herum und werde von Izzys Polaroid-Blitzlicht geblendet.

* * *

»Der Hochzeitstag meiner Eltern nächsten Monat sollte das letzte Mal sein, dass ich dich mitnehmen muss.« Greg blinkt nach links und biegt auf den Parkplatz meines Wohnblocks ab. »Danach erzähle ich Mom, dass du mit mir Schluss gemacht hast. Ich hab dich angefleht, es nicht zu tun, hab dir ein Ständchen gebracht, dir Plüschtiere gekauft – alles umsonst.«

Ich nicke mitfühlend. »Du bist untröstlich. So unglücklich, dass du längere Zeit keine andere daten kannst.«

»Möglicherweise muss ich bei einer Spotify-Playlist Trost suchen.«

»Oder dir die Haarspitzen färben lassen.«

Er schneidet eine Grimasse, ich muss lachen, und als das Auto an einer Ampel stehen bleibt, rücke ich ein bisschen ab und lehne mich gegen die Beifahrertür, um sein hübsches Profil im Schein des gelben Lichts zu studieren. »Sag ihr, ich hab dich mit dem Typen vom Lieferdienst betrogen. Das garantiert dir eine längere Trauerzeit.«

»Brillante Idee.«

Schweigen. Ich denke über Gregs Situation nach. Über den Grund, warum er überhaupt eine Fake-Freundin braucht. Was er alles nur mir, einer Fremden, erzählt hat, aber noch nie seiner Familie. Wie ähnlich wir uns sind. »Wenn das erledigt ist … falls du dann jemanden zum Reden brauchst, bin ich jederzeit gern für dich da …«

Sein Lächeln ist echt. »Danke, Elsie.«

Kaum habe ich meine Beine aus der Tür geschwungen und höre das Eis unter meinen Stiefelabsätzen knirschen, da fällt mir etwas ein, und ich drehe mich um. »Greg?«

»Ja?«

»Was ist Woodacre?«

Er stöhnt und lehnt den Kopf an die Nackenstütze. »Das ist ein Schweige-Retreat, zu dem unser Boss uns zwingt. Wir fahren morgen – vier Tage ohne Kontakt zur Außenwelt. Keine E-Mails, kein Twitter. Er hat die Idee aus einem unsäglichen Goop-Newsletter von Gwyneth Paltrow.«

Oh. »Es hat also nichts mit … mit komplexer Wissenschaft zu tun?«

Er sieht mich verzweifelt an. »Ganz im Gegenteil. Warum?«

»Ach …« Ich schließe die Augen. Lasse die Demütigung ihre Krallen in mein Gehirn graben. »Nur so. Gute Nacht, Greg.«

Dann schließe ich die Beifahrertür und lasse die kalte Luft in meine Lungen ballern. Vom Himmel blinkt der Polarstern zu mir herab, und ich denke an das Jobinterview morgen.

Es spielt keine Rolle mehr, dass ich mich bei Gregs nervigem Bruder zum Affen gemacht habe. Denn mit ein klein bisschen Glück werde ich Jack Smith nie mehr wiedersehen müssen.

Kapitel 2

Kernspaltung

Von: [email protected]

Betreff: AW:AW:AW: Mein Chinchilla

Hallo Doctor H.,

da Sie Chewie McChewertons Glutenallergie nicht zu kümmern scheint – was meinen Sie dazu, dass ich gestern Abend mit Alkohol am Steuer erwischt worden bin? Befreit mich das von der Zwischenprüfung in Grundlagenphysik?

Chad

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Von: [email protected]

Betreff: Kann nicht zum Seminar kommen

In der Anlage übersende ich Ihnen ein Foto meines Erbrochenen von heute Morgen. LG Emmet

°°°

Von: Dupont [email protected]

Betreff: Diskussionspapier Kaufmann von Venedig

Dr. Hannaday,

ich wollte fragen, ob Sie mir kurz ein Feedback geben könnten zu dem, was ich über den Bleisarg geschrieben habe.

Im Anhang finden Sie die Word-Datei.

Mit freundlichen Grüßen,

Cam

°°°

Von: [email protected]

Betreff: ELSIE MELDE DICH BALDMÖGLICH DEINE BRÜDER SIND MAL WIEDER UNVERNÜNFTIG UND ICH BRAUCHE HILFE GESTERN ABEND HABE ICH ANGERUFEN ABER ES GING KEINER RAN

[Diese Mail hat keinen Inhalt]

°°°

Von: [email protected]

Betreff: MIT Interview–Fakultätsstelle/Juniorprofessur

Liebe Dr. Hannaway,

ich möchte noch einmal betonen, wie enthusiastisch ich Ihrem Vorstellungsgespräch für die Tenure-Track-Professur im Fachbereich Physik hier am MIT entgegenblicke. Wir sind überaus beeindruckt von Ihrem Lebenslauf und haben unsere Auswahl auf Sie und nur einen weiteren Kandidaten beschränkt. Wir – die Berufungskommission und ich – freuen uns darauf, Sie heute Abend im informellen Rahmen eines Abendessens im »Miel« kennenzulernen, bevor Ihr Gespräch auf dem Campus morgen stattfindet.

Wenn es für Sie in Ordnung wäre, fände ich es schön, wenn wir beide uns vor dem Essen im Restaurant für ein paar Minuten allein treffen und uns kurz unterhalten könnten. Es gibt ein paar Dinge, die ich Ihnen gern erläutern möchte.

Beste Grüße,

Monica Salt, Ph. D.

A. M. Wentworth Professor of Physics

Department of Physics, Chair

MIT

Vor Aufregung beginnt mein Herz, Funken zu sprühen.

Ich stelle meinen Tee auf dem Küchentisch ab und klicke auf Antworten, um Monica Salt zu bestätigen, dass ich mich absolut, selbstverständlich, wann immer und wo immer sie will, mit ihr treffen werde, einschließlich der Hochebenen von Mordor um Viertel nach zwei am frühen Morgen, denn sie hält den Schlüssel zu meiner Zukunft in Händen. Aber in der Sekunde, als meine Hand sich um die Maus schließt, durchfährt ein fürchterlicher Schmerz meine Handfläche und schießt meinen Arm hoch.

Ich kreische und springe vom Stuhl. »Was zur Hö…«

»Wo sind sie? Wo sind sie?« In ihrem einteiligen Schlafanzug, mit einer auf die Stirn geschobenen Noam-Chomsky-Schlafmaske und wie irre einen Plastikbaseballschläger schwingend, stolpert meine Mitbewohnerin in die Küche. »Raus hier, sonst rufe ich die Polizei! Das ist unerlaubtes Betreten!«

»Cece …«

»Eine Grenzüberschreitung und eine schwere Straftat! Sie werden wegen Körperverletzung verhaftet. Meine Cousine macht dieses Jahr ihr Jura-Examen und wird Sie auf mehrere Millionen Dollar verklagen …«

»Cece, außer mir ist hier niemand.«

»Oh.« Sie wirbelt den Schläger ein paarmal durch die Luft und blinzelt eulenhaft. »Warum schreist du dann so?«

»Das könnte eventuell damit zu tun haben, dass dein Stachelschwein es sich in den Kopf gesetzt hat, sich als meine Maus auszugeben.«

»Sie ist ein Igel – und das weißt du genau.«

»Ach ja?«

Cece gähnt, schleudert den Baseballschläger zurück in ihr Zimmer, verpasst ihr Ziel jedoch, und der Schläger hüpft über den ramponierten Linoleumboden. »Sie ist kleiner. Süßer. Lustiger. Und dann heißt sie auch noch Hedgizabeth Bennet – was wirklich alles andere als ein Stachelschweinname ist.«

»Stimmt. Sorry.« Ich drücke die Hand aufs Herz. »Es war nur der stechende Schmerz, der mich ein kleines bisschen durcheinandergebracht hat.«

»Ist okay. Hedgie ist eine gute Seele, sie vergibt dir.« Cece nimmt das Tier hoch. »Nicht wahr? Du vergibst Elsie, dass sie dich so missbestimmt hat, oder nicht, mein Baby?«

Ich werfe Hedgie einen bösen Blick zu, und sie erwidert ihn mit triumphierend funkelnden Knopfaugen. Dieses bösartige, empfindsame Nadelkissen. Eines Tages werde ich dich mit Schalotten braten, forme ich mit den Lippen.

Bei Gott, ich könnte schwören, dass Hedgies Stacheln sich aufplustern.

»Wo warst du gestern Abend?«, fragt Cece, in seliger Unkenntnis unseres speziesübergreifenden Gefechts. Ich frage mich schon, was es über mich aussagt, dass die beste Freundin meiner besten Freundin ein Igel ist. »Faux-Date? Mit dem Greg-Typen?«

»Jepp.«

»Und wie lief es?«

»Gut.« Auf einmal fällt mir wieder ein, dass ich Jack Smith beim Spielen leider nicht wie ein Ei zerquetscht habe. »Prächtig, ja. Und bei dir?«

Cece und ich haben im Zuge des finanziell und emotional finsteren Mittelalters unseres Lebens gemeinsam mit dem Fake-Daten angefangen, nämlich während der Promotion. Mir waren damals nicht mehr als zwei Paar nicht zusammenpassende Socken geblieben, außerdem lebte ich von Theoremen der numerischen Kosmologie und Instant-Ramen-Suppen. Rückblickend bin ich mir sicher, dass ich gefährlich nah dran war, Skorbut zu entwickeln. Bis ich in einer dunklen, sturmgepeitschten Nacht gerade darüber nachdachte, eine meiner Herzklappen zu verkaufen und mir mein Exfreund J. J. einen Link zu einer Seite schickte, auf der neue Mitarbeiterinnen für Faux – besagte Fake-Date-Vermittlung – gesucht wurden. Die Bildunterschrift war das Lach-Emoji, dem die Tränen aus den Augen schießen, sowie die schlichte Nachricht: Sieh dir das mal an! Genau so was wie das, was wir auf dem College gemacht haben.

Ich runzelte die Stirn, wie ich es häufig tue, wenn mich etwas an J. J.s Existenz erinnert, und verzichtete auf eine Antwort. Allerdings entging mir nicht, dass das Stundenhonorar ganz schön hoch war. Und zwischen meiner Lehrtätigkeit in Mehrdimensionaler Analysis, dem Bemühen, mir eine Meinung zur Loop-Theorie – also der Vereinigung von Quantenphysik und Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie – zu bilden, und dem Stress, meine ausschließlich männlichen Mit-Doktoranden nicht mit Fausthieben zu traktieren, wenn sie mal wieder von mir erwarteten, dass ich ihren Kaffee kochte, erwischte ich mich dabei, wie ich mir ein Faux-Profil erstellte. Dann zum Vorstellungsgespräch ging und anschließend mit meinem ersten Klienten gematcht und in Kontakt gebracht wurde – einem bekloppten Zwanzigjährigen, der mich flehend anschaute und fragte: »Kannst du vielleicht so tun, als wärst du ungefähr in meinem Alter? Und Kanadierin? Wir haben uns in der achten Klasse im Sommercamp kennengelernt, und du heißt Klarissa, mit K. Und falls jemand fragt – ich bin keine Jungfrau!«

»Ist damit zu rechnen, dass mich das jemand fragen wird?«

Er überlegte. »Falls niemand fragt, könntest du es vielleicht ganz nebenbei erwähnen?«

So schlimm war es dann aber doch nicht, weshalb ich schließlich auch Cece fragte, ob sie es nicht ausprobieren wolle. Und ich schwöre, dass ich sie nicht insgeheim hasse. Es war einfach das Einzige, was mir einfiel, als mir klar wurde, dass unsere Berufswahl nicht grottenschlechter hätte sein können (genauer gesagt: die akademische Laufbahn). Wir sind überqualifiziert und selbst zum Überleben zu arm – was sich an unserer miesen Wohnung voller Überputzleitungen und furchterregender Spinnen zeigt, die aussehen wie die unehelichen Nachfahren einer Liebesaffäre zwischen Asiatischen Riesenhornissen und Kokoskrabben. Wenn wir einen Sitcom-kompatiblen Freundeskreis hätten, würden wir eine Party zur Asbestsanierung geben. Doch da sind nur wir beide. Und der gerade so vermiedene Skorbut.

»Also.« Cece klaut meinen Kaffeebecher und hüpft auf die Küchentheke. Ich lasse sie machen – nach der Qual von tausend Nadelstichen brauche ich kein Koffein mehr. »Ich bin zu diesem Typen geschickt worden.«

»Und wie ist der so?« Was bedeutet: Welches tiefsitzende, seelenquälende Trauma hat den armen Einfaltspinsel aus dem Ursumpf getrieben und dazu gebracht, einen Haufen Geld zu blechen, um so zu tun, als wäre er nicht allein?

»Er ist einer von deiner Sorte.«

»Wie – von meiner Sorte?«

»Ein Naturwissenschaftler.«

Cece ist Linguistin und hat in Harvard promoviert. Wir lernten uns kennen, als ihr voriger Mitbewohner auszog: Anscheinend hat Hedgie sich durch seine Boxershorts geknabbert. Und anscheinend kommen normale Menschen nicht damit klar, wenn jemand jeden Samstagmorgen beim Eierkochen lauthals Led Zeppelins »Immigrant Song« grölt. Jedenfalls suchte Cece verzweifelt jemanden, mit dem sie die Miete teilen konnte. Ich fühlte mich damals, als hätte man mir bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen, und suchte verzweifelt eine Möglichkeit, nicht länger bei J. J. leben zu müssen. Zwei verzweifelte Seelen, die einander in verzweifelter Zeit fanden und eine verzweifelte Bindung eingingen – ich konnte siebenhundert Dollar pro Monat zusammenkratzen, hatte keinen Grund, abgöttisch an meiner Unterwäsche zu hängen, und war im Besitz von Noise-Cancelling-Kopfhörern.

Ehrlich gesagt hatte ich Glück. Mitbewohnerfehden sind eine echte Plage mit all ihren passiv-aggressiven Details und den aggressiv-aggressiven Reinigungsmittelattacken. Ich war bereit, meine Persönlichkeit in eine Million verschiedener Versionen zu biegen, zu verdrehen und zu meißeln, um mit Cece gut auszukommen. Wie sich herausstellte, ist die Elsie, die Cece sich wünscht, praktischerweise sehr dicht an der Elsie, die ich bin: eine Frau, die es liebt, sich beim gemeinschaftlichen Jammern über die akademische Welt mit Käse vollzustopfen, und genau wie Cece lieber das Kinder-Paracetamol nimmt, weil es nach Weintrauben schmeckt. Zwar muss ich so tun, als schätze ich Avantgarde-Filme, trotzdem verbindet uns eine überraschend entspannende Freundschaft.

»Was für eine Art Wissenschaftler ist er denn?«

»Gibt es mehr als eine Art?«

Ich lächle vielsagend.

»Ich glaube Chemiker. Oder Ingenieur? Jedenfalls … sah er gut aus. Und war lustig. Hat einen Witz über Mulch gemacht. Der erste Mulch-Witz, den ich je gehört habe, er hat mich also mulchmäßig entjungfert.« Sie klingt vage verträumt. »Aber er … scheint mir eher jemand zu sein, den du tatsächlich daten möchtest, verstehst du?«

»Den ich daten möchte?«

»Na ja«, sagt sie und wedelt mit der Hand, »nicht du du. Du würdest doch eher mit Steinen in den Taschen ins Wasser gehen, als jemanden in echt zu daten – aber daran ist nur dein grundsätzlicher Irrglaube schuld, dass Liebesbeziehungen zwischen zwei Menschen nur gelingen können, wenn du dein wahres Selbst versteckst und dich so gibst, wie du glaubst, dass andere Leute dich haben wollen …«

»Das ist kein Irrglaube.«

»… aber andere Leute würden Kirk nicht aus ihrer Wohnung verbannen.«

»Kirk also?«

Ursprünglich hatte ich befürchtet, dass Cece als Fake-Freundin katastrophal versagen würde. Zum einen ist sie viel zu hübsch. Ihre weit auseinanderliegenden Augen, das spitze Kinn, ihre entzückend geschwungenen Lippen mögen unkonventionell sein, dennoch sieht sie aus wie der sexieste, phantastischste Käfer des Universums. Zweitens ist sie das Gegenteil eines unbeschriebenen Blatts. Eine Naturfrau, die bei offener Tür pinkelt und Chex-Snacks als Müsli isst, voller greller Anekdoten über das Sexleben längst verstorbener Linguisten, dargeboten mit einem bezaubernden Lispeln. Während ich möglichst wenig Persönlichkeit an die Oberfläche lasse, bombardiert Cece ihre Mitmenschen regelrecht damit.

Und das hat sich tatsächlich als Problem herausgestellt: Ihre Klienten mögen sie nämlich viel zu gern.

»Was sagst du ihnen denn, wenn sie dich fragen, ob sie dich in echt daten können?«, fragte sie mich eines Abends, als wir uns bei einem russischen Stummfilm in acht Teilen ein Netz Mini-Babybels teilten.

»Weiß ich auch nicht.« Ich fragte mich, ob der Typ, der mir siebzig Dollar zahlen wollte, wenn ich mich bereit erklärte, mit ihm in seinem Auto Sex zu haben, auch in diese Kategorie passen würde. Wahrscheinlich nicht. »Ist mir noch nie passiert.«

»Warte – ehrlich?«

»Ja, ehrlich.« Ich zuckte die Achseln. »Mich fragt keiner, ob ich mit ihm ausgehe.«

»Das kann doch nicht sein.«

Ich lasse mir den Käse auf der Zunge zergehen. Auf der Leinwand heult sich seit inzwischen fünfundzwanzig Minuten jemand die Augen aus. »Ich glaube nicht, dass die Leute mich als Dating-Material wahrnehmen.«

»Sie sind eingeschüchtert, weil du so ein Genie bist. Und hübsch. Und nett. Hedgie liebt dich, und sie ist die allerbeste Menschenkennerin. Und außerdem weißt du wahnsinnig viel über die Kaulquappengalaxie.«

Faktencheck: Nichts davon stimmt – außer dem letzten Teil. Leider erweckt es in der Regel kein romantisches Interesse, wenn man vierhundert Millionen Lichtjahre entfernte Sterncluster auflistet.

»Kirk, der Wissenschaftler, hat mich gefragt, ob er mich noch einmal buchen kann«, erzählt Cece weiter. »Nächste Woche. Ich habe Ja gesagt.«

Ich bemühe mich um einen lockeren Ton. »Du weißt aber schon, dass du bei Faux eine One-Date-Klausel unterschrieben hast.«

»Ich weiß. Aber die hast du bei Greg auch gebrochen.« Sie zuckt die Achseln. Jede Menge Lockerheit im Umlauf. Hmm. »Natürlich könnte ich auch noch absagen, da du nächste Woche bei deinem schicken MIT-Job anfängst und ich das Fake-Dating sowieso sein lassen kann und einfach deine feste BFF werde.«

Ich lehne mich auf meinem Stuhl zurück und – ich will diesen Job unbedingt. So unbedingt, dass ich stöhne. Endlich eine Möglichkeit für mich, nicht mehr als Fake-Freundin arbeiten zu müssen. Und vor allem eine Möglichkeit, dem beschissensten, schwächsten Jobmarkt in der Welt der Wissenschaft zu entfliehen: dem der Assistenzprofessoren ohne Aussicht auf Festanstellung.

Klar, ich weiß, das klingt dramatisch. Ich weiß, dass der Titel hochfliegende Vorstellungen heraufbeschwört. Professorin? Die hat Prestige, vermittelt Wissen, trägt Tweedjacketts. Assistenzprofessorin? Hübsches Wort. Beginnt mit dem ersten Buchstaben des Alphabets, erinnert vage an ein Niesen. Wenn ich Leuten erzähle, dass ich an mehreren Bostoner Unis als Physik-Assistenzprofessorin arbeite, denken sie, ich wäre auf der Erfolgsstraße des Lebens und könnte ein angemessenes Erwachsenenverhalten an den Tag legen. Und ich lasse sie in dem Glauben. Nehmen wir meine Mutter: Sie hat immer schrecklich viel zu tun und dazu noch meine beiden idiotischen Brüder am Hals. Da tut es ihr gut, daran glauben zu können, dass ihre Tochter ein voll funktionsfähiges menschliches Wesen mit Zugang zu gesicherter Gesundheitsversorgung ist.

Was ihr hingegen gar nicht guttäte, wäre zu wissen, dass ich neun Kurse unterrichte und dabei zwischen drei verschiedenen Unis pendeln muss, was bedeutet, dass mir ungefähr fünfhundert Studierende Fotos von seltsamen Ausschlägen in ihrer Leistengegend schicken, mit denen sie ihr Fehlen entschuldigen wollen. Und dass ich so wenig verdiene, dass es eigentlich gar nicht erwähnenswert ist. Und dass ich weder einen unbefristeten Vertrag noch Zusatzleistungen bekomme.

Einsatz: melancholische Violinsonate.

Nicht dass ich nicht gern unterrichte. Es ist nur … ich verabscheue es. Ehrlich. Ganz, ganz ehrlich. Ich ertrinke im alles verschlingenden Treibsand studentischer Mails und bin ohnehin viel zu verkorkst, um junge Köpfe einigermaßen vernünftig in Form bringen zu können. In meinen Träumen von der Welt der Physik habe ich mich immer als Vollzeitforscherin gesehen, ganz allein vor einer schwarzen Wandtafel über die Theorien der äquatorialen Bereiche von Schwarzschild-Wurmlöchern brütend.

Doch hier bin ich nun, Lehrassistentin mit Nebenjob als Fake-Freundin. Belastung durch Lehrtätigkeit: hundert Prozent. Belastung durch Verzweiflung: unermesslich.

Aber möglicherweise wird sich das alles ändern. Assistenzlehrkräfte ohne Aussicht auf Festanstellung sind nichts anderes als billige Arbeitskräfte, akademisches Freiwild – aber Tenure-Track-Jobs … o ja, sie bieten die Aussicht auf Festanstellung! Schon der Gedanke daran jagt mir einen sanften Schauer über den Rücken. Im Vergleich mit Assistenzstellen, die wie Bojen auf offener See treiben, sind Tenure-Track-Stellen in den Meeresboden zementierte Ölbohrinseln. Während Assistenzlehrkräfte Konzerte von Nickelback eröffnen, sind Tenure-Track-Stellen der Hauptact eines Coachella-Festivals. Assistenzstellen sind wie Streichkäseecken von La vache qui rit, Tenure-Track-Stellen dagegen liebevoll aus der Milch serbischer Esel hergestellter, erstklassiger Pule-Käse.

Der Punkt ist: Ich war schon viel zu lange die austauschbare Fake-Freundin der akademischen Welt und habe die Nase gestrichen voll davon. Ich bin fertig damit. Bereit, zu einer echten Beziehung aufzusteigen, idealerweise etwas Dauerhaftem am MIT – etwas, das mir Altersvorsorge und einen Ring am Finger einbringen würde.

Es sei denn, das Auswahlkomitee entscheidet sich für den anderen Physiker, dem einzigen, der außer mir ein Einstellungsgespräch bekommen hat. O Gott. Was, wenn sie sich für den anderen entscheiden?

»Elsie? Denkst du darüber nach, ob sie dir den anderen Kandidaten vorziehen?«

»Bitte lies nicht meine Gedanken.«

Cece lacht. »Hör zu, das werden die nicht machen. Du bist der Hammer! Nach all den Jahren, die du während des Promotionsstudiums damit verbracht hast, über Multiversen und binomische Gleichungen und … – waren es Protonen? – nachzudenken.« Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Na gut, ich habe keine Ahnung, was du eigentlich tust. Aber du hast auf jegliches Sozialleben verzichtet – und oft genug auf persönliche Hygiene –, um dich über das Meer mittelmäßiger weißer Männer zu erheben, aus denen die Theoretische Physik sich zusammensetzt. Und jetzt – da ist diese eine freie Stelle dieses Jahr, und von mehreren hundert Bewerbern bist du in der Endrunde …«

»Zwei freie Stellen. Ich habe kein Vorstellungsgespräch bekommen für Duke …«

»Weil Duke ein Sumpf von Vetternwirtschaft ist und die Stelle längst für das Lama der Freundin des Sohns des Cousins des Vorsitzenden vorbestimmt war. Oder so was.« Sie hopst von der Anrichte, setzt sich mir gegenüber und greift nach meiner Hand. »Du wirst diesen Job kriegen. Ich weiß es. Sei einfach du selbst bei dem Gespräch.« Sie beißt sich auf die Lippe. »Es sei denn, du schaffst es, Stephen Hawking zu sein. Gibt es eine Möglichkeit, wie du …«

»Nein.«

»Dann wirst du selbst reichen.« Sie lächelt. »Denk an die Zukunft. An ein lebenswertes Gehalt, von dem wir irgendeinen muskelbepackten Kerl anheuern können, der uns das Oberteil der Anrichte auf das Unterteil der Anrichte hievt.« Dabei zeigt sie auf den Geschirrschrank in der Ecke des Wohnzimmers. Vor drei Jahren sind Cece und ich damit eindeutig an unsere Grenzen gestoßen. »Und natürlich wird es mir den Lebensstil ermöglichen, den ich gewohnt bin.«

Mit Cece an der Seite ist es leicht, zu lächeln und zuversichtlich zu sein. »Mit unbegrenzten Mengen von Pecorino Romano.«

»Und so viel Insulin, wie sich deine nutzlose Bauchspeicheldrüse nur wünschen kann.«

»Ziegelbetonplatten. Um die gegen Insektenspray resistenten Krabbenhornissen zu erschlagen.«

»Einen kleinen Plasmafernseher für Hedgies Terrarium.«

»Partner-Tattoos mit Academia sux.«

»Eine goldene Toilette.«

»Ein goldenes Bidet.«

Wir schnappen nach Luft. Und lachen. Dann werde ich wieder nüchtern. »Ich würde gern einfach nur dafür bezahlt werden, dass ich über kosmologische Modelle des beobachtbaren Universums nachdenke.«

»Ja, ich weiß.« Ihr Lächeln wird sanft. »Wie schätzt Dr. L. deine Chancen ein?«

Laurendeau – oder Dr. L., wie ich nie wagen würde, ihn anzusprechen – war mein Ph.D.-Betreuer, ihm verdanke ich alles, was ich an akademischem Erfolg je eingeheimst habe, und er engagiert sich heute noch genauso für meine Karriere wie vor meinem Studienabschluss. Wofür ich ihm fortwährend und auf alle Zeit dankbar bin.

»Optimistisch.«

»Na bitte. Wie lange dauert das Einstellungsverfahren?«

»Drei Tage.«

»Du fängst heute an?«

»Informelles Dinner heute Abend.« Ich muss an die Professorin denken, die sich vorher mit mir treffen will. Sollte das ein vielversprechendes Zeichen sein? Oder doch eher seltsam? Keine Ahnung. »Morgen steht eine Lehrprobe an. Dann ein Forschungsvortrag am dritten Tag und schließlich noch der Schlussempfang. Zwischendurch gibt es diverse Treffen mit den anderen Lehrkräften.«

»Hast du dich vorbereitet?«

»Gilt sich hin und her wiegen auch als Vorbereitung? Oder über meine Sterblichkeit meditieren? Den akademischen Göttern eine lebendige Kreatur als Opfer darbringen?« Ich werfe Hedgie einen Blick zu, die immerhin pflichtschuldig eingeschüchtert wirkt.

»Hast du das Auswahlkomitee online gestalked?«

»Man hat mich bisher weder über die Namen noch den detaillierten Zeitplan informiert. Auch gut – ich muss noch ein paar Mails beantworten. Und mir eine Strumpfhose kaufen. Und meine Mom anrufen.«

»Nein, nein, nein.« Cece hebt die Hand. »Ruf deine Mom nicht an! Sonst lädt sie wieder all ihre Probleme bei dir ab. Du musst dich konzentrieren, ihr auf keinen Fall zuhören, wenn sie darüber lamentiert, wie deine Brüder aufeinander losgehen und sich um den letzten Hotdog schlagen.«

»Zurzeit geht es um eine Frau – sie wollen sich wegen einer Frau gegenseitig umbringen.« Die Hannaways: erstklassiges Material für jede Krawall-Talkshow.

»Spielt keine Rolle. Versprich mir, dass du ihr von dem Vorstellungsgespräch erzählst, wenn sie anruft. Und davon, dass deine Kindheit bestenfalls durchwachsen war.«

Ich lasse es mir durch den Kopf gehen. »Wie wäre es, wenn ich sie ein paar Tage meide?«

Sie kneift die Augen zusammen. »Sehr gut. Dann gehst du jetzt also Strumpfhosen kaufen?«

»Jepp.«

»Kannst du mir Frühstücksflocken mitbringen?«

Dafür habe ich eigentlich keine Zeit. Aber was dich nicht umbringt, macht dich stärker. Oder du fängst an, dich über dich selbst zu ärgern, weil du keine Grenzen setzen kannst. »Klar. Welche Sorte …«

»Nein!«, unterbricht sie mich und schlägt mit der Faust auf den Tisch. »Elsie, du musst lernen, Nein zu sagen.«

Ich massiere mir die Schläfe. »Hörst du bitte auf, mich zu testen?«

»Sobald du aufhörst, die Bedürfnisse anderer ernster zu nehmen als deine eigenen.« Sie stellt ihre – meine – leere Tasse ab und nimmt Hedgie auf den Arm. »Ich geh pinkeln. Willst du immer noch mein rotes Kleid für heute Abend leihen?«

Ich runzle die Stirn. »Ich hab dich nie gefragt, ob ich dein rotes Kleid …«

»Und ich helfe dir auch mit dem Make-up, wenn du darauf bestehst.«

»Ich brauche eigentlich kein …«

»Na gut, weil du es bist, zupfe ich dir auch die Augenbrauen.« Cece zwinkert. Hedgie, die inzwischen wie ein Papagei auf ihrer Schulter thront, schaut mich böse an. Hinter ihnen schließt sich die Badezimmertür.