Luca Brassoni ermittelt Band 1-3 - Daniela Gesing - E-Book

Luca Brassoni ermittelt Band 1-3 E-Book

Daniela Gesing

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  • Herausgeber: Midnight
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Die ersten drei Bände um Commissario Luca Brassoni in einem E-Book Band 1: Venezianische Verwicklungen Luca Brassoni – Kaffeeliebhaber, geschieden und der Ermittler mit dem besten Gespür bei der Polizei von Venedig – wird zu dem Fundort einer Leiche gerufen. Vor der Gallerie dell'Accademia am Südufer des Canal Grande liegt unter einer Plane der deutsche Kunstexperte Konstantin Becker. Der Professor reiste in Begleitung seiner jungen Mitarbeiterin und mit einem lukrativen Auftrag. Er sollte die Echtheit eines Picassos klären, der in der Sammlung Guggenheim aufgetaucht ist. Ein Gemälde, das viele Begehrlichkeiten weckt. Luca Brassoni lässt sich von der eleganten Kunstwelt nicht blenden, dazu kennt er die Menschen, vor allem seine Venezianer, viel zu gut. Band 2: Venezianische Delikatessen Ein warmer Septemberabend in Venedig. Das blaue Wasser des Canal Grande glitzert malerisch in der Abendsonne. Doch mit der Idylle ist es vorbei, als unter der Rialtobrücke eine Leiche gefunden wird. Die Arbeit reißt Commissario Luca Brassoni aus seinem neuen Glück: Endlich hat er das Herz von Gerichtsmedizinerin Carla Sorrenti für sich gewonnen. Die Ermittlungen führen ihn ins Gourmetrestaurant im Palazzo Callieri auf der Insel Giudecca. Sterneköche sind alles andere als zimperlich, wenn es um den Erfolg geht. Zwischen Scampi und Gelato serviert man einander auch mal Gift. Aber Luca Brassoni macht so schnell keiner etwas vor …  Band 3: Venezianische Schatten Winter in Venedig. Kalter Wind und Nebel fegen durch die dunklen Gassen. Commissario Luca Brassoni und seine Freundin, Gerichtsmedizinerin Carla Sorrenti, genießen es, die sonst von Touristen überlaufene Stadt für sich zu haben. Bei einem nächtlichen Spaziergang begegnet ihnen an den Stufen der Kirche Santa Maria del Rosario eine junge Frau. Sie ist völlig verstört, kaum ansprechbar und hat ihr Gedächtnis verloren. Brassoni findet heraus, dass sie einem gefährlichen Verbrecher entkommen ist. Ein brutaler Serienmörder treibt in Venedig sein Unwesen, und er fängt gerade erst an …

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Seitenzahl: 994

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Luca Brassoni ermittelt Band 1-3

Die Autorin

Daniela Gesing, Jahrgang 65, hat nach ihrer Ausbildung zur Erzieherin Komparatistik und Pädagogik studiert und bei einer örtlichen Familienzeitung gearbeitet. Die Autorin lebt mit ihrer Familie und ihrem Hund in Bochum. Die Leser lieben ihre Venedigkrimis mit dem sympathischen Ermittler Luca Brassoni.

Das Buch

Die ersten drei Bände um Commissario Luca Brassoni in einem E-Book

Band 1: Venezianische VerwicklungenLuca Brassoni – Kaffeeliebhaber, geschieden und der Ermittler mit dem besten Gespür bei der Polizei von Venedig – wird zu dem Fundort einer Leiche gerufen. Vor der Gallerie dell’Accademia am Südufer des Canal Grande liegt unter einer Plane der deutsche Kunstexperte Konstantin Becker. Der Professor reiste in Begleitung seiner jungen Mitarbeiterin und mit einem lukrativen Auftrag. Er sollte die Echtheit eines Picassos klären, der in der Sammlung Guggenheim aufgetaucht ist. Ein Gemälde, das viele Begehrlichkeiten weckt. Luca Brassoni lässt sich von der eleganten Kunstwelt nicht blenden, dazu kennt er die Menschen, vor allem seine Venezianer, viel zu gut.

Band 2: Venezianische DelikatessenEin warmer Septemberabend in Venedig. Das blaue Wasser des Canal Grande glitzert malerisch in der Abendsonne. Doch mit der Idylle ist es vorbei, als unter der Rialtobrücke eine Leiche gefunden wird. Die Arbeit reißt Commissario Luca Brassoni aus seinem neuen Glück: Endlich hat er das Herz von Gerichtsmedizinerin Carla Sorrenti für sich gewonnen. Die Ermittlungen führen ihn ins Gourmetrestaurant im Palazzo Callieri auf der Insel Giudecca. Sterneköche sind alles andere als zimperlich, wenn es um den Erfolg geht. Zwischen Scampi und Gelato serviert man einander auch mal Gift. Aber Luca Brassoni macht so schnell keiner etwas vor …

Band 3: Venezianische SchattenWinter in Venedig. Kalter Wind und Nebel fegen durch die dunklen Gassen. Commissario Luca Brassoni und seine Freundin, Gerichtsmedizinerin Carla Sorrenti, genießen es, die sonst von Touristen überlaufene Stadt für sich zu haben. Bei einem nächtlichen Spaziergang begegnet ihnen an den Stufen der Kirche Santa Maria del Rosario eine junge Frau. Sie ist völlig verstört, kaum ansprechbar und hat ihr Gedächtnis verloren. Brassoni findet heraus, dass sie einem gefährlichen Verbrecher entkommen ist. Ein brutaler Serienmörder treibt in Venedig sein Unwesen, und er fängt gerade erst an …

Von Daniela Gesing sind bei Midnight in der Ein-Luca-Brassoni-Krimi-Reihe erschienen:Venezianische VerwicklungenVenezianische DelikatessenVenezianische SchattenVenezianisches VerhängnisVenezianische IntrigenVenezianische Rache

Daniela Gesing

Luca Brassoni ermittelt Band 1-3

Kriminalroman

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

Sonderausgabe bei MidnightMidnight ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinApril 2020 (1)© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95819-296-6

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Inhalt

Titelei

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Venezianische Verwicklungen

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Danksagung

Venezianische Delikatessen

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Danksagung

Venezianische Schatten

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Epilog

Anhang

Leseprobe: Mord in der Provence

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Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Venezianische Verwicklungen

Venezianische Verwicklungen

Für Ben

Prolog

Es war Nacht in den Gassen von Venedig. Ein feiner Regen nieselte auf den Asphalt, der einen Dunst wie leichten Nebel verströmte. Weit und breit war kein Mensch zu sehen.

Die Laternen erleuchteten die Piazza San Marco und tauchten alle Gebäude in ein goldenes Licht. Eine streunende, grau gefleckte Katze strich rastlos die Mauern und Säulen entlang auf der Suche nach Ratten und Mäusen. Plötzlich ertönte ein quietschendes Geräusch. Die Katze sah auf, machte einen Buckel, miaute leise und versteckte sich verängstigt im Hauseingang des Caffè Florian in einer dunklen Nische.

Kurz darauf bogen drei vermummte Gestalten um die Ecke, die eine alte Handkarre hinter sich herzogen. Sie überquerten den Platz, vorbei am Markusdom, dem fast eintausend Jahre alten Kirchengebäude mit den fünf Kuppeln und den prachtvoll verzierten Bögen und Fenstern, dem Campanile, von dessen Glockenstube aus man ganz Venedig überblicken kann, und dem Dogenpalast, dem früheren Machtzentrum der Politik und Gesetzgebung.

Die Räder des Handkarrens quietschten in unregelmäßigem Rhythmus alle paar Schritte anklagend vor sich hin. Die Ladefläche war mit einer Bootsplane abgedeckt. Die Fracht schien zu schwer für das alte Holzgestell. Einer der Männer, dessen rotbrauner Bart unter der Kapuze hervorquoll, fluchte leise vor sich hin, als ihm der Handkarren aus der Hand rutschte und er ihn erst im letzten Moment vor dem Umkippen bewahren konnte. Er hatte einen Stein übersehen, der auf der Erde lag.

Dann endlich war die seltsame Prozession am Canale Grande angekommen, wo ein Boot auf sie wartete. Hand in Hand hievten die drei Männer ihre wertvolle Fracht in das Innere des Bootes. Danach stiegen der Bärtige und ein großer, schlanker Mann in dunkler Jacke hinein, der dritte, kleinere, dickliche Helfer, bekleidet mit einem grauen Parka, verabschiedete sich per Handschlag und kehrte wieder um.

Das Boot nahm unverzüglich Fahrt auf, den Weg entlang des Kanals Richtung Accademia, linker Hand vorbei an der Kirche Santa Maria della Salute. Die prachtvollen Gebäude auf beiden Seiten des Kanals strahlten eine erhabene Würde aus. Das Wasser warf leise Wellen und glitzerte im Schein der Laternen. Die Fahrt ging schnell und ruhig vonstatten.

Unter der Plane begann sich unbemerkt etwas zu regen. Die Männer auf dem Boot unterhielten sich leise, aber angeregt. Keiner von ihnen beachtete die lebendig werdende Fracht. Sie diskutierten den weiteren Ablauf ihrer Mission.

Wo bin ich? Es ist so dunkel, dachte der Mann und versuchte, seine Augen zu öffnen.

Doch die Lider waren zugeschwollen von den vielen Schlägen. Langsam erinnerte er sich.

Das Atmen fiel ihm schwer. Wahrscheinlich haben sie mir ein paar Rippen gebrochen, dachte er. Wer waren diese Leute? Was hatten sie mit ihm vor? Ihm fiel ein, wie der Bärtige, kurz bevor er ohnmächtig geworden war, gesagt hatte: »Es reicht jetzt! Seht ihn an, er ist so gut wie tot.« Der Mann fing nun an zu zittern, sein ganzer Körper bebte leise. Vielleicht hielten sie ihn wirklich für tot. Er musste sich ganz ruhig verhalten. Wenn er doch nur wüsste, was sie mit ihm vorhatten. Vorsichtig versuchte er, seinen linken Arm zu bewegen, was ihm einen stechenden Schmerz einbrachte. Eine Welle von Übelkeit brach über ihn herein. Er bemühte sich, an etwas Schönes zu denken, was ihm angesichts seiner Lage schwerfiel. Er musste durchhalten, einfach nur durchhalten. Eine Erschütterung zerriss urplötzlich seinen Körper.

Was war mit dem Bild? fragte er sich, bevor er wieder in tiefer Bewusstlosigkeit versank.

Kapitel 1

»Hab ich dir eigentlich schon gesagt, dass du im Schlaf so laut wie ein Bär schnarchst?«

Luca Brassoni öffnete schlaftrunken seine Augen, blinzelte zweimal vorsichtig gegen das helle Morgenlicht an, das durch die Öffnungen der Fensterläden schien und den Beginn eines neuen, verheißungsvollen Sommermorgens verkündete. Dann drehte er sich mürrisch auf die andere Seite seines Kissens, um sich aber gleich darauf aufrecht hinzusetzen und auf seine Uhr zu schauen.

»Verdammter Mist, schon halb acht! Warum hast du mich nicht eher geweckt?«

»Madonna, was schimpfst du mit mir, du hast geschlafen wie eine Baby, da wollte ich dich nicht wecken!«

Maria zog die Bettdecke etwas höher über ihre nackte Brust, rollte mit ihren dunklen Augen, wickelte sich schließlich komplett in das Laken, stand auf und marschierte mit gespieltem Beleidigt sein Richtung Badezimmer.

»Ich gehe mich duschen, du kannst ja schon mal einen Espresso aufsetzen. Ein Cornetto wäre auch nicht schlecht!«

Sie hauchte ihm einen Luftkuss durch den Türrahmen zu und verschwand hinter der Badezimmertür.

Der Commissario brummte verstimmt, schnappte sich dann aber seine Jeans und sein Hemd und schlüpfte in seine Schuhe. Nun musste er auch noch Cornetti beim Bäcker besorgen. Das hatte er davon, dass er sich mit einer Kollegin eingelassen hatte. Maria Grazia Malafante war die Sekretärin seines Chefs, bildhübsch, aber leider auch verheiratet und ausgestattet mit sehr viel Selbstbewusstsein. Ständig kommandierte sie ihn herum und hatte Sonderwünsche.

Ihr Mann Stefano, ein Anwalt, war für zwei Tage auf einer Fortbildung, so waren sie gestern Abend nach einem romantischen Essen am Canale Grande in seiner Wohnung gelandet.

Luca Brassoni konnte Marias Reizen einfach nicht widerstehen, aber er befürchtete, dass das Ganze zu keinem guten Ende führen würde.

Der Commissario war zweiundvierzig, geschieden, von kräftiger Statur, aber attraktiv. Zur Vollendung seines guten Aussehens fehlte ihm jedoch der kleine Finger der linken Hand, den er im Alter von zwölf Jahren in der Metzgerei seines Onkels Paolo verloren hatte, als sein Cousin Marco ihm demonstrieren wollte, dass er schon ebenso gut wie sein Vater große Fleischstücke mit dem Hackmesser zerteilen könnte.

Brassonis Hand hatte zu allem Unglück ein Stück zu nah neben dem Schweineschinken gelegen. Das war inzwischen vergeben und vergessen.

Seufzend schloss er die Wohnungstür im ersten Stock seines Apartments im Stadtteil Dorsoduro hinter sich zu. Er wohnte in der Calle del Degolin, einer ruhigen Straße nahe dem Zattere, der beliebtesten Uferpromenade der Venezianer.

Freundlich grüßte er die Nachbarin aus dem zweiten Stock, die ihr Einkaufswägelchen umständlich hinter sich herzog und wahrscheinlich auf dem Weg zum Billa-Supermarkt war, wie der Commissario vermutete.

»Guten Morgen, Signora Vasconti. Was für ein schöner Tag heute!«

Die alte Frau hob abwehrend die Hand.

»Diese Hitze, Commissario, in meinem Alter verträgt man das nicht mehr so gut. Deswegen gehe ich frühmorgens einkaufen. Den Juli und den August verbringe ich fast nur in der Wohnung. Sie sind noch jung, wenn ich in Ihrem Alter wäre, würde ich jeden Tag zum Lido rausfahren!«

Luca Brassoni schmunzelte.

»In meinem Alter hat man keine Zeit für den Strand. Die Arbeit ruft, und das sechsmal die Woche. Aber ich wünsche Ihnen trotzdem einen schönen Tag!«

Die alte Frau nickte ihm kurz zu und verschwand dann hinter der nächsten Calle.

Brassonis Laune hatte sich dank des kurzen Gesprächs und des herrlichen Wetters plötzlich um einhundert Prozent gebessert. Pfeifend betrat er den Bäckerladen, bestellte drei Cornetti und ein großes Baguette, plauderte angeregt mit Laura, der dicken blonden Verkäuferin, über die neuesten Artikel in der Tageszeitung und machte sich beschwingt auf den kurzen Rückweg zu seiner Wohnung. Immer wieder schaute er in den wolkenlosen blauen Himmel, atmete die unvergleichliche, würzige Luft Venedigs ein und sagte zu sich selbst, dass er ein glücklicher Mann war, hier leben zu dürfen.

Eine leichte Brise strich ihm zärtlich über den haarlosen, rasierten Kopf, während er auf sein Wohnhaus zulief. Er steckte den Schlüssel in die Haustür, ging durch den schmalen Flur die Treppe rauf in die erste Etage, öffnete seine Wohnungstür, zog sich die Schuhe aus, legte den Schlüssel auf die Ablage und betrat die Küche.

Aus dem Bad hörte er leise Musik. Dann wurde der Föhn angemacht, und Brassoni widmete sich wieder dem Frühstück. Für Maria Grazia machte er einen Espresso mit aufgeschäumter Milch, für sich selber schwarz mit viel Zucker. Die beiden Tassen, die Hörnchen und das Baguette sowie etwas Butter, Besteck und zwei Gläser Marmelade balancierte er auf einem Tablett zum Esstisch im Wohnzimmer.

Kurz darauf erschien Maria, lehnte sich liebevoll an ihn, zog sich einen Stuhl heran und nahm einen Schluck Espresso. Ihre Haare waren noch feucht, sie duftete nach Duschgel und Shampoo. Brassoni betrachtete sie mit gemischten Gefühlen, während er sein Cornetto mit Butter und Marmelade bestrich. Es war manchmal schön mit ihr, aber er würde auch froh sein, wenn er seine Wohnung wieder für sich hatte. Schlimm genug, dass er auf der Arbeit so tun musste, als wären sie nur Kollegen. Auf Dauer wurde das Ganze anstrengend, aber er wusste nicht, wie er es ihr beibringen sollte. Sie war sehr impulsiv und er befürchtete ein großes Drama, wenn er mit ihr Schluss machte. Er hatte sich blitzschnell in sie verliebt, und genauso schnell hatte er erkannt, dass sie eigentlich nicht zueinanderpassten. Obwohl er Maria sehr gern mochte, wollte er weder ihre Ehe zerstören noch eine feste Beziehung mit ihr eingehen. Aber jedes Mal, wenn er das Thema ansprach, stellte sie sich auf beiden Ohren taub. Und er hatte auf keinen Fall vor, sie zu verletzen.

Maria tunkte ihr Cornetto in den Espresso, biss Stück für Stück genüsslich ab, wischte sich mit einer Serviette die Krümel vom Mund und stand dann auf.

» Caro, ich muss los, sonst komme ich zu spät. Wir sehen uns später im Büro. Danke für alles!«

Sie gab ihm einen langen, leidenschaftlichen Kuss, der nach Kaffee und Hörnchen schmeckte,

dann war sie auch schon verschwunden.

Luca Brassoni atmete auf. Er würde sich schnell rasieren, unter die Dusche hüpfen, sich frische Sachen anziehen und dann zum Polizeirevier fahren.

Als er gerade tropfnass aus der Duschkabine stieg, hörte er sein Handy klingeln.

Rasch griff er sich ein Handtuch, trocknete sich notdürftig ab und lief, feuchte Fußabdrücke auf dem Holzfußboden hinterlassend, zu seiner Hose, die im Flur lag.

Er fischte sein Handy aus der Tasche und drückte im letzten Moment die Annahmetaste.

»Pronto! Chi parla? Ach, du bist es, Maurizio. Was gibt’s?«

»Luca, wo bleibst du? Wir haben einen neuen Fall. Man hat unweit der Accademia-Brücke, direkt vor dem Eingang der Galleria dell’ Accademia, einen Toten gefunden. Wie es aussieht ein Tourist, vermutlich Deutscher. Er kann nicht lange dort gelegen haben, du weißt ja, wie viel Betrieb in dieser Gegend ist. Trotzdem muss der Mord in einer Zeit passiert sein, als kaum jemand unterwegs war. Es gibt keine Zeugen. Der Kioskbesitzer hat ihn gefunden. Und der Tote …, na ja, so was habe ich noch nicht gesehen. Er hat eine frische Tätowierung auf der Brust und …, also, du solltest selber einen Blick darauf werfen!«

»Ich bin in zehn Minuten da, Maurizio. Sperrt alles weiträumig ab, bevor der Touristenstrom alle Spuren verwischt.«

»In Ordnung Luca, bis gleich!«

Brassoni legte das Handy auf den Esstisch, auf dem noch die Reste des Frühstücks warteten. Dafür war jetzt keine Zeit mehr, wegräumen würde er heute Abend. Eilig putzte er sich die Zähne, zog sich Unterwäsche, ein frisches Hemd und eine helle Hose an und machte sich zu Fuß auf den Weg zur Accademia. Die von Miozzi erbaute hölzerne Brücke war einer der Lieblingsorte des Commissario. Von dort aus hatte man einen herrlichen Ausblick entlang des Canale Grande auf die Kirche Santa Maria della Salute. Und an das Geländer der Accademia-Brücke hatte er vor vielen Jahren wie tausend andere Verliebte ein Schloss mit den Namen seiner damaligen Freundin und seiner Wenigkeit gehängt. Gehalten hatte die große Liebe trotzdem nur drei Monate, bis er für ein Jahr wegen des Studiums nach Deutschland gegangen war.

Luca Brassoni hatte deutsche Vorfahren. Seine Großmutter mütterlicherseits stammte aus

der bayrischen Stadt Bad Tölz und hatte Ende der Vierzigerjahre einen italienischen Ingenieur aus Venedig geheiratet, der für einen großen Konzern in Süddeutschland arbeitete. Da seine Großmutter ihre Heimat und ihre Familie nicht verlassen wollte, entschied man sich, in Bad Tölz zu bleiben. Brassonis Mutter, das einzige Kind seiner Großeltern, zog es dagegen schon als junge Kunststudentin nach Venedig zurück, wo sie seinen Vater, einen bekannten Maler und Bildhauer, kennenlernte und schließlich heiratete. Als kleiner Junge hatte der Commissario jeden Sommer einen Teil seiner Ferien in der schönen Stadt an der Isar verbracht, Steine in den Fluss geworfen, Libellen gefangen und in der Küche seiner Oma vom Kaiserschmarrn genascht.

Als die Großmutter starb, war er 14 Jahre alt. Die schönen Erlebnisse in dem idyllischen Ort hatte er nie vergessen, und so entschloss er sich als junger Student, ein Jahr lang nach München zu gehen. Dort hatte er seine Leidenschaft fürs Kochen entdeckt. Eine Kommilitonin hatte ihm zahlreiche rustikale Rezepte beigebracht. Noch heute zauberte er neben dem guten italienischen Essen gerne deftige bayrische Gerichte wie Schweinebraten mit Knödeln oder aß ab und an eine gute Weißwurst, die er sich übers Internet von einem bayrischen Metzger schicken ließ.

Brassonis Gedanken wurden jäh durch das durchdringende Schluchzen einer jungen Frau unterbrochen, die am abgesperrten Tatort neben der zugedeckten Leiche stand.

Der Commissario tauchte unter dem Absperrband durch, grüßte Carla, die aparte Gerichtsmedizinerin, die sich über ihren Instrumentenkoffer beugte, und wandte sich neugierig Maurizio zu, seinem hochgeschätzten Kollegen.

Maurizio Goldini, ein studierter Kriminologe mit Doktortitel wie Brassoni, nickte dem Commissario zu und wies mit einer Hand auf die Leiche. Nebenan versuchte eine Streifenpolizistin die junge Frau, die ununterbrochen weinte, zu beruhigen.

Goldini steckte sich ein Stück Schokolade in den Mund, eine Marotte, der er mehrmals täglich nachgab. Selbst in der Sommerhitze der letzten Tage. Ohne Schokolade könne

er nur halb so gut denken, behauptete er. Seiner durchtrainierten Figur sah man das zum Glück nicht an.

»Buongiorno, Luca. Schau dir das an, so hat man die Leiche heute Morgen gefunden. Unter einer Bootsplane, deswegen sind wohl auch einige frühe Spaziergänger achtlos daran vorbeigegangen. Du weißt ja, hier ist immer eine Menge los, außerdem ist in unmittelbarer Nähe die Vaporettostation. Der Kioskbesitzer wurde schließlich aufmerksam und warf einen Blick unter die Plane. Er hat uns angerufen.«

Brassoni betrachtete aufmerksam den Fundort der Leiche. Wie drapiert lag der Körper unter der blauen Abdeckung, direkt an der Mauer der Eingangsseite der Galleria dell`Accademia.

Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn der Touristenstrom schon unterwegs gewesen wäre, dachte er. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass die aufgelöste junge Frau außer Sichtweite war, hob Brassoni vorsichtig die Plane ein Stück zur Seite.

Der Commissario hatte schon einige Leichen gesehen, aber diese hier bot auch dem hartgesottensten Kriminalisten einen erschreckenden Anblick.

»Sieh dir das an, Luca. Man hat dem armen Kerl die halbe Zunge abgeschnitten. Und auf der Brust hat er eine seltsame Tätowierung. Sieht aus wie die Worte: pericolo di morte.

Lebensgefahr! Was hat dieser Mann getan, dass er sich in Lebensgefahr gebracht hat?«

Goldini verzog die Mundwinkel zu einem Fragezeichen und wartete, bis der Commissario sich die Leiche eingehend angeschaut hatte. Dann wandte sich Brassoni erneut an seinen Kollegen.

»Hat Carla Sorrenti, die Gerichtsmedizinerin, schon den Zeitpunkt des Todes festgestellt? Und woran ist er überhaupt gestorben?«

Maurizio zuckte mit den Schultern.

»Der Tote ist offensichtlich gefoltert worden. Es gibt diverse Knochenbrüche, schwere Schlagverletzungen, und wie du unschwer erkennen kannst, hatte man ihm eine Schlinge um den Hals gelegt. Der Todeszeitpunkt könnte den ersten Erkenntnissen nach gegen zwei bis drei Uhr in der Nacht gewesen sein. Am besten sprichst du gleich mal mit Carla. Aber sieh mal hier, auf dem Boden rechts unter der Leiche. Es ist etwas verwischt, aber man kann immer noch ganz gut erkennen, dass jemand versucht hat, etwas auf die Steine zu schreiben.«

Brassoni ging runter in die Knie, bis er fast den Boden berührte und betrachtete neugierig die Schriftzeichen neben der Leiche.

»Was meinst du, Maurizio, könnten das ein C und ein V sein?«

»Ich denke schon. Die Spurensicherung hat alles fotografiert. Möglicherweise ist der Mann noch nicht tot gewesen, als man ihn hier ablegte, und wollte einen Hinweis auf seine Mörder geben. Was hältst du von der ganzen Sache?«

Der Commissario setzte sich mit einem Ächzen wieder auf, rieb sich die schmerzenden Knie und verzog den Mund zu einer zweifelhaften Grimasse.

»Tja, da muss ich erst mal passen. Ich kann mir keinen Reim auf die Tätowierung und die Buchstaben machen. Vielleicht sollten wir zuerst Fakten sammeln, die Untersuchungsergebnisse abwarten und uns ein Bild vom Opfer machen. Habt ihr schon seine Identität herausgefunden? Wer ist die junge Frau dort vorne, die unablässig vor sich hin weint? Eine Angehörige?«

Maurizio hob die Schultern.

»Sie heißt Evelyn Sanders, 28 Jahre alt. Eine Deutsche. Sie behauptet, der Tote wäre ihr Professor, ein gewisser Konstantin Becker aus München. Er sei Kunstexperte und wegen eines wichtigen Bildes hier in Venedig. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und hat ihn hierher begleitet. Angeblich ist sie zufällig diesen Weg entlanggegangen, ein Spaziergang zum Supermarkt. Sie hat neugierig zugeschaut, wie wir den Tatort untersuchten und ihn an seiner Kleidung erkannt.

Sie hat sich so aufgeregt, dass sie fast zusammengebrochen ist.

Die beiden waren seit einer Woche in Venedig, sie haben Zimmer im Hotel Villa d’Oro. Sie hat ihn zuletzt gestern Abend gegen zweiundzwanzig Uhr gesehen, dann ist sie schlafen gegangen. Heute hatte sie frei. Wir überprüfen ihre Angaben noch.«

Brassoni nickte angespannt und zog die Plane wieder über die Leiche. Die Leute von der Gerichtsmedizin warteten schon, um die Leiche in die Pathologie abzutransportieren.

Der Commissario sah zu, wie der tote Mann in einen Leichensack gehüllt und von zwei Männern zu einem Polizeiboot gebracht wurde.

»Ich versuche noch mal, mit dieser Evelyn zu sprechen. Vielleicht erfahre ich noch ein bisschen mehr. Fahr du zurück zur Questura und bemüh’ dich, die Tätowierung von den Experten entschlüsseln zu lassen. Wir sehen uns nachher im Büro!«

Goldini steckte seinen Notizblock und den Stift in die Jackentasche, sein Gesichtsausdruck war reglos, aber ernst. Er fuhr sich durch die dichten schwarzen Haare, warf einen letzten Blick auf den Tatort und murmelte im Gehen: »Mir schwant Böses, mein Gefühl sagt mir, dass wir mit diesem Fall in ein Wespennest stechen, das wir lieber in Ruhe gelassen hätten!«

Brassoni, der die Worte Goldinis gehört hatte, sah seinem Kollegen mit gerunzelter Stirn nach. So fatalistisch kannte er Maurizio gar nicht. Normalerweise arbeitete er mit professioneller Distanz, präzise und methodisch. Der Commissario überlegte kurz, ob Goldinis Vorahnungen berechtigt sein könnten, verwarf den Gedanken aber sofort wieder und wandte sich der Gerichtsmedizinerin zu, die ihre Utensilien bereits einpackte.

Die Zeugin musste noch einen Moment warten.

Carla Sorrenti sah nicht aus wie eine typische Italienerin und erst recht nicht wie eine Gerichtsmedizinerin. Sie war Anfang dreißig, blond, hatte ihre langen Haare zu einem kunstvollen Dutt aufgesteckt und trug ein einfaches weißes T-Shirt unter ihrem Kittel, dazu eine bequeme beigefarbene Baumwollhose. Sie sah immer sehr sportlich aus, manchmal trug sie noch Reitstiefel, wenn sie unvermutet zu einem Tatort gerufen wurde. Der Commissario hatte gehört, dass sie in ihrer Freizeit gerne am Strand vom Lido entlang ritt, wo sie auch wohnte.

Sie lächelte Brassoni freundlich an, als er sie ansprach. Für einen kurzen Augenblick verlor sich der Kommissar in ihren großen, hellblauen, klaren Augen, die in ihrem fast ungeschminkten Gesicht einen wundervollen Kontrast zu der gebräunten Haut darstellten.

Der Commissario räusperte sich verlegen.

»Dottoressa Sorrenti, ich würde gerne von Ihnen hören, was Sie über die Todesumstände des Verblichenen herausgefunden haben?«

Die Gerichtsmedizinerin konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

»Warum so gestelzt heute, Commissario? Aber gut, ich wiederhole noch einmal, was ich Goldini schon erzählt habe. Durch die multiplen Verletzungen ist es schwierig, die eigentliche Todesursache herauszufinden, das kann ich erst nach genauen Untersuchungen in meinem Labor sagen. Ich vermute – und ich betone, dass dies eine Vermutung ist -, dass der Mann an inneren Blutungen und einem Herzstillstand gestorben ist. Die Tätowierungen auf seiner Brust sind ganz frisch, die hat man ihm während der Misshandlungen zugefügt. Sein restlicher Körper hat im Laufe seines Lebens niemals eine Tätowiernadel gesehen, also war er vermutlich kein Fan dieser Art von Verschönerung.

Und ja, er hat vermutlich noch gelebt, als man ihn hier abgelegt hat. Reicht Ihnen das erst mal?«

»Natürlich!«, versicherte Brassoni beflissentlich und wusste selber nicht, weshalb er so unterwürfig auf diese Frau reagierte.

»Ich warte dann auf Ihren Bericht. Einen schönen Tag noch.«

Carla Sorrenti sah ihm kopfschüttelnd nach, als er sich zum Gehen anschickte, dann machte sie sich selber auf den Weg in die Gerichtsmedizin.

Luca Brassoni versuchte, seine Herzfrequenz herunterzufahren und sich wieder auf den Fall zu konzentrieren. Was war bloß mit ihm los heute? Auf Frauen reagierte er anscheinend allergisch. Das kam sicher durch sein kompliziertes Verhältnis zu Maria Grazia. Er musste so bald wie möglich mit ihr reden.

Kapitel 2

Nicht unweit vom Tatort beobachtete ein unscheinbarer Tourist, dessen Gesicht hinter einer riesigen Sonnenbrille versteckt war, die Aktivitäten der Polizei. Er war groß, kräftig gebaut,

trug ein kurzärmeliges, kariertes Hemd und eine khakifarbene kurze Hose. Seine schmalen Lippen unter dem gestutzten rotbraunen Vollbart verengten sich, als die Leiche des ermordeten Mannes abtransportiert wurde. Irgendetwas war heute Nacht schiefgegangen. Diese Leute begreifen nicht, was noch auf sie zukommen wird …

Eine ältere Frau rempelte ihn an, um besser sehen zu können.

Instinktiv griff der Bärtige zu seinem Rucksack, in dem sich eine schallgedämpfte Pistole befand. Wütend und mit scharfem Blick drückte er die alte Frau zur Seite, die ihn erschrocken ansah.

Dann löste sich der Mann aus der Menschentraube und suchte sich einen besseren Platz, um sich für einen kurzen Moment das Erscheinungsbild des glatzköpfigen Commissarios einzuschärfen, der jetzt vor der weinenden jungen Frau stand.

Der Bärtige wusste, was als Nächstes zu tun war, und keine zwei Sekunden später war er in einer Seitengasse verschwunden.

Luca Brassoni fühlte sich inzwischen wie elektrisiert von dem Fall. Es war, als ob eine unsichtbare Macht von ihm Besitz ergriffen hätte und ihn aufforderte, das Schicksal des geschundenen Toten aufzuklären. Vielleicht hatte aber auch Maurizio ihn mit seinen Gedanken angesteckt, geradezu infiziert. Zugegeben, dieser Todesfall war ungewöhnlich.

Normalerweise war Venedig eine ruhige Stadt, die in nur geringem Umfang von Kapitalverbrechen heimgesucht wurde. Diebstahl, Einbrüche, ein Ehekrach, mit solchen Dingen hatte die Polizei häufig zu tun.

Brassoni war ein eigenwilliger, erfolgreicher Polizeibeamter, der sich oft von seinem Bauchgefühl leiten ließ. Seinen Ruf hatte er sich über die letzten Jahre unfreiwillig aufgebaut, die meisten Kollegen mochten ihn und hatten allergrößten Respekt vor seiner Arbeit. Er scheute sich vor keiner noch so schwierigen Ermittlung, konnte im Bedarfsfall gut im Team arbeiten und ließ jeden in seiner Umgebung die nötige Wertschätzung spüren.

Nun galt es, den Mord an dem Kunstprofessor schnellstmöglich aufzuklären.

Der Commissario versuchte, zu der immer noch völlig aufgelösten jungen Assistentin des Toten vorzudringen.

Einer der Sanitäter hatte ihr ein Beruhigungsmittel verabreicht und sie auf einen Klappstuhl gesetzt.

»Ihr Name ist Sanders, Evelyn Sanders?«, fragte Brassoni mit freundlichem Lächeln.

»Ich bin Commissario Luca Brassoni, ich spreche ein wenig Deutsch. Sind Sie so nett und erzählen mir noch einmal, was Sie über den Toten wissen? Sie kannten sich?«

Die junge Frau sah ihn erstaunt an. Sie hatte nicht erwartet, dass jemand in ihrer Muttersprache mit ihr reden würde, und dann noch so gut. Sie war verwirrt und hatte einen Schock erlitten.

Jetzt aber hielt sie für einen Moment inne, sortierte ihre Gedanken und wandte sich dem Commissario zu.

»Es ist so entsetzlich. Ich kann es nicht glauben. Er kann doch nicht tot sein. Wer tut denn so etwas?«

Immer wieder schüttelte sie den Kopf. Tränen liefen ihr über die Wangen. Ihr langes hellbraunes Haar war an den Seiten ganz feucht.

Brassoni legte ihr eine Hand auf den Arm.

»Beruhigen Sie sich, Signorina. Es ist ganz wichtig, dass Sie mir alles sagen, was zur Aufklärung des Falles beitragen kann. So können Sie Ihrem Kollegen letztendlich zumindest zur Gerechtigkeit verhelfen. Wir werden alles tun, um die Täter zu finden.«

Evelyn Sanders stieß einen tiefen Seufzer aus.

» Er ist tot, was soll ihm da noch helfen?«

Brassoni winkte beschwichtigend ab.

»Erzählen Sie mir, was er für ein Mensch war. Wie er den gestrigen Abend verbracht hat. Ist Ihnen etwas aufgefallen? Woran hat er gearbeitet?«

Der Kommissar sah die junge Frau erwartungsvoll an. Er konnte ihr Gehirn hinter ihrer Stirn förmlich arbeiten sehen. Schließlich ließ sie ergeben die Schultern fallen.

»Also gut. Ich will Ihnen alles erzählen, was ich weiß. Ich arbeite seit anderthalb Jahren mit Professor Becker zusammen. Ich bin Doktorandin und zu so etwas wie seiner rechten Hand geworden.

Wir haben uns von Anfang an gut verstanden. Wir teilten eine große Leidenschaft für Kunst.«

Sie stockte einen Moment.

»Nicht, dass Sie mich falsch verstehen, Professor Becker war verheiratet, sehr glücklich sogar, er und seine Frau haben erst vor Kurzem ein Kind bekommen. Unsere Beziehung war rein professioneller Natur.«

Sie blickte den Commissario mit großen Augen an.

Brassoni nickte verständnisvoll, er wollte Sanders’ Gedankenfluss nicht unterbrechen. Er musterte kurz ihr Gesicht und ihre Figur. Auf den zweiten Blick war sie sehr hübsch, natürlich, mit großen braunen Augen, einer schmalen Taille und sehr weiblichen Formen.

Ob der Professor wirklich seine Finger von ihr gelassen hatte? Brassoni wagte dies zu bezweifeln. Er kannte nur wenige Männer, die solch einer Versuchung widerstehen konnten.

Und Evelyn Sanders schien den Professor förmlich angebetet zu haben.

»Wirklich, Commissario, er half mir bei meinen Recherchen. Er war so ein guter Mann. Er hatte ein großes Herz, war immer für seine Studenten zu sprechen. Als er mir anbot, ihn auf diese Studienreise zu begleiten, habe ich keine Sekunde gezögert. Venedig ist so eine wundervolle Stadt. Wir sind seit sechs Tagen hier und haben uns bereits einige wichtige Kunstwerke angesehen. Heute war mein freier Tag. Professor Becker hatte private Dinge zu erledigen und brauchte mich deswegen nicht.«

Ihre Stimme brach, und erneut flossen Tränen aus ihren Augenwinkeln.

»Signora, wissen Sie, um welche privaten Dinge sich der Professor hier in Venedig kümmern wollte?«

Evelyn Sanders schüttelte den Kopf.

»Ich habe keine Ahnung, das hat er mir doch nicht erzählt.«

Sie bekam einen Weinkrampf, schlug die Hände vor ihr Gesicht und schluchzte laut auf.

Ihr Körper schwankte hin und her, bis sie in den Augen des Commissarios gefährlich nah dran war, zur Seite wegzukippen.

Brassoni trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. Besser er brach die Vernehmung jetzt ab. Er würde die junge Frau am Nachmittag noch einmal aufsuchen, wenn sie sich etwas erholt hatte. Mit einer Hand hielt er sie an der Schulter fest und redete beruhigend auf sie ein. Dann gab er dem Sanitäter ein Zeichen, der die Szene bereits beobachtet hatte und unverzüglich herbeieilte, um sich um die junge Frau zu kümmern. Der Commissario verabschiedete sich höflich von ihr.

»Gehen Sie jetzt erst mal auf Ihr Zimmer, und legen Sie sich hin. Wir haben Ihre Personalien und Ihre derzeitige Adresse aufgenommen. Ich werde mich im Laufe des Tages noch einmal bei Ihnen melden. Wir sprechen weiter, wenn es Ihnen besser geht.«

Brassoni blieb noch eine Weile am Tatort stehen und spielte in Gedanken den möglichen Tathergang durch. Er ließ die Bilder auf sich wirken, versuchte sich in die Lage des Opfers und dann in die Motive des oder der Täter rein zudenken. Es musste mehr als ein Täter gewesen sein, die den Professor an diesen Platz gebracht hatten. Worin hatte man ihn transportiert? Waren sie zu Fuß oder mit einem Boot gekommen? Es gab keine Schleifspuren, sodass man davon ausgehen konnte, dass das Opfer entweder getragen oder auf eine andere Art transportiert worden war. Welche Verbindung hatte Konstantin Becker zu Venedig? Die junge Frau hatte behauptet, der Professor habe privat etwas zu erledigen gehabt. Luca Brassoni betrachtete noch einmal eingehend den Ablageort der Leiche. Dabei fiel ihm auf, dass man in unmittelbarer Umgebung sporadisch Spuren von schmalen Reifen erkennen konnte, dort, wo der Regen nicht alles verwischt hatte. Er machte mit seinem Handy ein Foto von den Abdrücken und hoffte, dass die Spurensicherung schon an der Identifizierung dieser Reifenabdrücke arbeitete. Da es in Venedig naturgemäß eher weniger Fahrräder gab, konnten die Abdrücke nur von einem Einkaufswagen oder einem Handkarren stammen.

Der Commissario steckte das Handy wieder in seine Hosentasche und machte sich betont langsam auf den Weg zur Questura. Er ging zu Fuß, genoss die warmen Strahlen der Sonne,

schaute den rastlosen Touristen beim Erkunden seiner schönen, geheimnisvollen Heimatstadt zu und freute sich, dass er Teil eines – wenn auch nicht immer gut funktionierenden – Systems war, das den Menschen Sicherheit und Gerechtigkeit brachte.

Dieser Mord würde in den Medien für negative Schlagzeilen sorgen, schon alleine deshalb mussten die Täter so schnell wie möglich gefasst werden. Brassoni konnte gut auf die Massen an Touristen verzichten, die tagtäglich durch die Gassen strömten, aber er wusste auch, dass Venedig das Kapital brauchte, das die Besucher der Stadt einbrachten. Was er am meisten bedauerte, war der fortwährende Wegzug von Einheimischen und das unaufhörliche Schließen der alteingesessenen Geschäfte, die durch Touristenläden, die Taschen oder Kunstartikel aus China verkauften, ersetzt wurden. An manchen Ecken gab es gar keine Bäcker oder Metzger mehr, die Wege zu den modernen Supermärkten, von denen es nur wenige in Venedig gab, waren oft weit. Und trotzdem liebte Brassoni seine Stadt und wollte nirgendwo anders leben.

Ein Spaziergang durch die Gassen, so wie jetzt gerade, machte seinen Kopf frei und gab ihm die Möglichkeit, sich weitere Gedanken zu seinem Fall zu machen. Er durchquerte den Stadtteil San Marco, vorbei am Campo Santo Stefano. Spontan entschloss er sich, für eine Viertelstunde in einem der vielen Cafés eines der größten und schönsten Plätze Venedigs einzukehren, um einen Espresso zu trinken und sich die Statue des Schriftstellers Nicolo Tommaseo, der 1848 den Aufstand gegen die Österreicher angeführt hatte, anzuschauen, die in der Mitte des Campo stand. Der Commissario überlegte, warum man den toten Professor ausgerechnet neben der Galeria dell`Accademia abgelegt hatte. Bestand eine Verbindung zu seinem Beruf als Kunsthistoriker? In der Galeria gab es rund 800 Werke zu sehen. Er würde genauer herausfinden müssen, an was der Professor in Venedig gearbeitet hatte. Obwohl Brassonis eigener Vater ein recht bekannter Maler und Bildhauer war, fehlte dem Commissario das ganz große, leidenschaftliche Interesse an der Kunst. Er stand auf, und plötzlich wurde sein Gang zur Questura etwas zügiger, denn nun wollte er doch keine Zeit mehr verlieren, den Mordfall aufzuklären.

Kapitel 3

Evelyn Sanders lag auf dem dünnen Laken ihres Hotelbettes. Sie war für eine Stunde in einen unruhigen Schlaf gefallen; als sie aufwachte, dröhnte ihr der Kopf von den Medikamenten und der heißen Luft im Hotelzimmer. Die Klimaanlage war wieder einmal ausgefallen. Sie stöhnte leise auf, als sie ihre Beine auf dem Boden aufsetzte, und rieb sich die Stirn mit der rechten Hand. Mit zittrigen Fingern tastete sie nach der Wasserflasche auf ihrem Nachttisch. Schon nach dem ersten Schluck der abgestandenen Flüssigkeit wurde ihr speiübel. Sie rannte zum Badezimmer und übergab sich über der Kloschüssel. Danach ging es ihr zu ihrem eigenen Erstaunen schnell wieder besser. Es war, als wenn all der Druck, der seit heute Morgen auf ihr gelastet hatte, mit dem Mageninhalt aus ihr heraus gespült worden wäre.

Erleichtert wusch sie sich mit dem kalten Wasser am Waschtisch das Gesicht, putzte sich gründlich die Zähne und zog sich ein neues T-Shirt über.

Ihre Gedanken schweiften sofort wieder zu den Ereignissen des heutigen Morgens zurück.

Tot, Konstantin war tot. Bei dem Gedanken an den Professor huschte unwillkürlich ein Lächeln über ihre Lippen. Er war ihr Mentor, ihre Inspiration, er hatte sich so sehr für sie eingesetzt und sie mit seiner herzlichen Art und seiner Begeisterung für seine Arbeit sofort in den Bann gezogen, vom ersten Tag an. Sie presste die Lippen zusammen und wünschte sich, an einem anderen Ort zu sein. Das konnte alles nicht wahr sein. Ein Frösteln durchzog ihren Körper. Sie setzte sich auf den Stuhl am Fenster und lehnte sich erschöpft gegen die Fensterbank. Von draußen vernahm sie die Rufe der Gondoliere, das Klatschen des Wassers gegen die Hauswand und das Klappern der Teller im Restaurant nebenan.

Evelyn Sanders fuhr mit den Fingern über die Maserung der Stuhllehne. Bis gestern Abend hatte sie gedacht, das Leben wäre ein Traum. Venedig, diese wunderschöne Stadt. Die vielen Kunstwerke, die sie sich zusammen mit Konstantin ansehen wollte. Und am wichtigsten – das vor Kurzem aufgetauchte unbekannte Bild von Picasso, das sie im Palazzo Venier dei Leoni unter die Lupe nehmen sollten. Die Peggy Guggenheim Kollektion in Venedig war berühmt für ihre hochkarätige Auswahl an klassischen Werken der Moderne. Kandinsky, Chagall, Klee, Dali, Magritte, Giacometti und eben auch Picasso. Das Guggenheim Museum hatte sich an Professor Becker gewandt, weil er ein ausgewiesener, weltweit bekannter Experte war. Sie beide hatten der Untersuchung des Bildes entgegengefiebert. Wenn es echt war, wäre das eine Sensation. Und sie wäre Teil dieses geschichtlich bedeutsamen Vorgangs gewesen.

Evelyn Sanders schauderte. Unter diesen Umständen würde sie den Picasso nicht mehr zu sehen bekommen. Wer wohl diese Aufgabe übernehmen würde? Ob der Tod des Professors mit dem Bild zusammenhing?

Von einer Sekunde zur nächsten schlug ihre Stimmung um. Ihr Kopf wurde klarer, ihr ganzer Körper füllte sich mit neuer Energie. Sie würde alleine recherchieren.

Die Polizei durfte nichts von dem Bild wissen. Sie war es Konstantin schuldig, seine Mörder zu finden. Sie würde ihren Aufenthalt in Venedig verlängern, damit sie genug Zeit hatte, herauszufinden, was wirklich passiert war.

Commissario Brassoni stand gegen halb elf endlich vor seiner Bürotür. Beim Gang durch den Flur am Sekretariat vorbei hatte Maria Grazia ihm verschwörerisch zugelächelt. Der Commissario hatte etwas unsicher zurückgelächelt. Es war ihm eine Herzensangelegenheit,

die Dinge auf den richtigen Weg zu bringen, und zu Maria weiterhin eine freundschaftliche Verbindung zu behalten. Denn von Tag zu Tag fühlte er sich mit der Situation unwohler. Die ganze Heimlichtuerei um diese verbotene Affäre belastete ihn mehr, als er vorher gedacht hatte. Aber hinterher ist man ja immer schlauer.

Sicher, er hatte von Anfang an gespürt, dass es für ihn nicht die ganz große Liebe war und nur eine rein körperliche, aber sehr leidenschaftliche Anziehungskraft bestand, aber er hatte nicht mit der Konsequenz gerechnet, dass seine Geliebte eine längerfristige Bindung daraus entstehen lassen wollte. Er dachte, es wäre eine einmalige Sache, auch von ihrer Seite aus. Aber nun hatte sie wohl mehr Gefühle für ihn entwickelt, wollte ihren Mann verlassen und mit ihm zusammenleben. Allein dieser Gedanke verursachte ihm Magenschmerzen. Er musste sobald als möglich ein klärendes Gespräch mit ihr führen. Besser, sie beendeten die Beziehung, bevor sie sich noch tiefer in diese Affäre verstrickten.

Die Dienststelle des Commissarios befand sich in der Nähe des Campo San Fantin, des kleinen Platzes mit der Renaissance-Kirche San Fantin aus dem 16. Jahrhundert, der »Scuola« aus dem 17. Jahrhundert und mit dem berühmten Opernhaus »La Fenice« an der Westseite.

Die Bürogebäude waren erst vor Kurzem renoviert worden, ein Novum in der langjährigen Geschichte der Questura. Die Wände waren in einem hellen, freundlichen Beige gestrichen worden, es gab gut funktionierende Klimaanlagen für den Sommer und wärmende Heizungen für die Wintermonate. Außerdem hatte Brassoni sich einen ergonomisch geformten Bürostuhl aussuchen dürfen, der angeblich diversen Rückenproblemen vorbeugte.

Der Commissario vermutete, dass der Dienststellenleiter, der – wie hinter vorgehaltener Hand gemunkelt wurde – ein Cousin des zuständigen Beamten war, dafür gesorgt hatte, dass diese wundersame Renovierung so schnell und unbürokratisch genehmigt wurde und vonstattenging. Aber es wird ja viel geredet.

Luca Brassoni betrat sein Büro und freute sich über die angenehme Kühle des Zimmers.

Wieder spürte der Commissario sein lädiertes rechtes Knie, das ihm seit einem Kreuzbandabriss vor einigen Jahren Probleme bereitete. Brassoni hatte es geliebt, Fußball zu spielen, seit seiner Operation begnügte er sich jedoch damit, ein glühender Fan des AC Mailand zu sein, und verpasste kein Spiel seiner Lieblingsmannschaft.

Er hatte sich kaum in seinen neuen Stuhl gesetzt, da klopfte Maurizio Goldini, sein Freund und Mitarbeiter, an die Tür. Kurz darauf stand er schon bei ihm im Zimmer. Brassoni betrachtete den Kollegen, der seine Unterlagen sortierte, für einen Moment. Goldini strahlte immer eine ungeheuer positive Aura aus. Er war tatkräftig, energiegeladen, nie schlecht gelaunt und liebte seinen Beruf genauso wie Brassoni. Noch dazu sah er geradezu unverschämt gut aus mit seinen dichten schwarzen Locken, dem naturgebräunten Teint, den dunklen Augen und der feinen, fast aristokratischen Nase. Heute trug er ein hellgraues kurzärmeliges Hemd und eine neue Jeans. Goldini spürte die Blicke des Commissario auf sich und grinste ihn an.

»Was ist los, Luca? Habe ich vergessen, mir den Hosenschlitz zuzumachen, oder bewunderst du einfach nur mein gutes Aussehen?«

Brassoni wurde verlegen, weil Maurizio Goldini den Nagel fast auf den Kopf getroffen hatte.

»Bilde dir mal nicht zu viel ein. Erstens bin ich fast zehn Jahre älter als du, da hadert man schon mal mit seiner eigenen Erscheinung, und zweitens habe ich gerade über unseren Fall nachgedacht. Ich glaube, diese junge Deutsche verschweigt uns irgendetwas. Ich habe das Gefühl, sie kannte den Professor besser und näher, als sie zugibt. Da müssen wir noch mal nachhaken. Was hast du herausgefunden? Gibt es schon erste Ergebnisse von der Spurensicherung und der Gerichtsmedizin?«

Goldini wedelte mit den Papieren.

»Du wirst erstaunt sein, was ich in der kurzen Zeit alles zusammengetragen habe.

Zuallererst habe ich mich über die beruflichen und privaten Lebensumstände des Professors informiert. Konstantin Becker war achtundvierzig Jahre alt, geboren in Lindau am Bodensee, Abitur, Studium, verheiratet seit dreiundzwanzig Jahren mit Charlotte Becker, geborene Kramer, vierundvierzig Jahre alt. Die Ehe der beiden war bis vor circa anderthalb Jahren kinderlos, dann kam eine Tochter, Julia. Die Ehefrau hat ebenfalls viele Jahre an der Uni als Dozentin im pädagogischen Bereich gearbeitet, seit der Geburt der Tochter ist sie wohl nur noch zu Hause. Die beiden haben ein Haus am Münchner Stadtrand. Becker hat sich im Laufe seiner Lehrtätigkeit als Kunstexperte einen Namen gemacht, deshalb wurde er relativ oft von bekannten Museen als Gutachter eingesetzt. Becker war regelmäßig hier in Venedig. Er hat einen tadellosen Ruf, aber aus dem Gespräch mit einem seiner Kollegen konnte ich heraushören, dass er vielleicht doch nicht so ein unbescholtener Knabe war, wie uns seine Assistentin weismachen wollte. Es gibt da ein paar Gerüchte über Affären mit Studentinnen und einer jüngeren Kollegin, aber bewiesen ist nichts. Er war wohl sehr beliebt, weil er immer ein offenes Ohr für die Studierenden hatte und sehr locker in seinen Vorlesungen und Seminaren war.«

Brassoni unterbrach seinen Freund und Kollegen mit einer harschen Handbewegung.

»Hast du herausgefunden, in welcher Angelegenheit der Professor hier privat unterwegs war? Diese Evelyn Sanders hat doch angedeutet, dass er ihr freigegeben hatte, um private Dinge zu regeln.«

Goldini zuckte mit den Schultern.

»Das kann ich bisher nur vermuten. Beckers Ehefrau meinte, er wollte sich eine Wohnung im Stadtteil San Marco anschauen. Sie hat eine Erbschaft von ihrer Tante gemacht, damit wollten sie offensichtlich ein Feriendomizil in Venedig erwerben. Und der Professor hätte eine Unterkunft gehabt, wenn er in Venedig arbeiten musste. Seine Frau kommt übrigens schon am Abend in Venedig an. Sie hat darauf bestanden, weil sie ihren Mann unbedingt sehen will. Dann kannst du persönlich mit ihr reden. Ich habe ihr gesagt, sie soll sich unter deiner Telefonnummer melden.«

Luca Brassoni verdrehte die Augen.

»Wohin soll das noch führen, Maurizio? Bald gibt es gar keine Wohnungen für Einheimische mehr. Vor zwanzig Jahren hatte Venedig noch zweihunderttausend Einwohner, heute sind es gerade mal um die fünfzigtausend, wenn das so weitergeht, habe ich letztens in einer Studie gelesen, sind wir im Jahr 2030 bei null. Das hier wird eine Geisterstadt, ein Disneyland für Touristen. Irgendjemand muss das doch verhindern, die Venezianer sollten geschlossen dagegen protestieren. In meiner Nachbarschaft werden auch immer mehr Wohnungen und Palazzi verkauft, an reiche Amerikaner, Europäer oder sonstige gut betuchte Touristen, die die Wohnung bis auf wenige Wochen das ganze Jahr über leer stehen lassen. Da dreht sich mir der Magen um!«

Maurizio Goldini nickte dem Commissario beifällig zu. Es gab kaum noch junge Leute in Venedig, weil sie in der Stadt keinen Job mehr fanden. Viele seiner Bekannten waren aus Venedig weggezogen. Und seiner Tante und seinem Onkel war nach 25 Jahren die Wohnung gekündigt worden, weil der Besitzer sich durch eine Renovierung und einen Verkauf eine bessere Rendite versprach. Einheimische konnten die übertrieben hohen Kosten nicht bezahlen, daran war gar nicht zu denken. Diese Probleme kannte jeder, der in Venedig aufgewachsen war.

Für eine Weile schwiegen Brassoni und Goldini, bis ihre Laune sich etwas gebessert hatte.

Der Commissario ging zum Fenster, zog die Jalousie hoch, öffnete es weit und ließ die Vormittagssonne ein paar Minuten in das Zimmer scheinen. Dann schloss er es wieder, drehte kurz an der Klimaanlage und war wieder bereit für den Fall.

Goldini hatte unterdessen eine Flasche eisgekühltes Mineralwasser aus dem Kühlschrank des Aufenthaltsraums besorgt und schüttete sich und dem Commissario ein großes Glas davon ein. Die beiden Kommissare saßen sich gegenüber und genossen das kühle Getränk. Luca Brassoni ergriff als Erster wieder das Wort.

»Wir müssen rekonstruieren, wohin dieser Konstantin Becker allein unterwegs war, was er hier Privates vorhatte. Ich glaube nicht, dass es allein um eine Ferienwohnung ging. Das hätte er seiner Assistentin sicher erzählt. Ich werde sein Hotel aufsuchen und mit den Angestellten reden. Vielleicht kann mir jemand einen Hinweis auf seinen letzten Aufenthaltsort geben. Bei der Gelegenheit spreche ich noch mal mit seiner Assistentin. Ich hoffe, sie hat sich etwas von dem heutigen Morgen erholt. Auch bei ihr hatte ich das Gefühl, dass sie mehr weiß, als sie zugibt. Kümmere du dich bitte um seine Auftraggeber hier im Museum und finde heraus, an was genau der Professor gearbeitet hat, welche Bilder er begutachten sollte.«

Maurizio Goldini nickte zufrieden. Er liebte Museen und interessierte sich auch privat für alte und moderne Kunst. Auf diesem Terrain hatte er einige Kenntnisse, die ihm vielleicht nützlich werden könnten.

»Ich mach mich sofort auf den Weg. Wir sehen uns am Nachmittag wieder. Ciao, Luca.«

Goldini stand auf und wollte gerade aus der Tür gehen, als diese nach einmaligem Klopfen aufgerissen wurde und er Maria Grazia Malafante geradezu in die Arme lief.

»Oh, scusa, Signor Goldini, ich wollte nur kurz zu Lu..., äh, Commissario Brassoni!«

»Non fa niente, Signora Malafante, das macht nichts, man stößt nicht jeden Tag mit einer schönen Frau zusammen!«

Die Sekretärin wurde rot.

Goldini zwinkerte dem Kollegen im Hinausgehen zu und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Die beiden glaubten wirklich, in der Questura hätte noch niemand etwas von der Affäre bemerkt. Dabei war es unübersehbar, wie Maria Grazia den Commissario anschaute und ihn anhimmelte. Es sah aus, als wollte sie ihn am liebsten mit Leib und Seele verspeisen.

Der arme Luca, dachte Goldini, als er aus dem Gebäude trat und sich auf den Weg zum Museum machte.

Kapitel 4

Maurizio Goldini ging den Weg zum Guggenheim-Museum zu Fuß. Er liebte es, sich in dem Strom der Touristen treiben zu lassen und trotzdem mehr über seine Stadt und ihre Geheimnisse zu wissen. Die Mittagssonne hatte inzwischen all ihre Kraft entfaltet. Der Kriminalbeamte verharrte einen Moment auf der Accademia-Brücke und genoss den Anblick des glitzernden Wassers, der kleinen und großen Boote und der prächtigen Gebäude zu beiden Ufern des Canale Grande. Die Peggy Guggenheim Kollektion hatte er sich privat schon mehrmals angesehen. Der Palazzo Venier dei Leoni, der die Kunstsammlung beherbergte, war in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gebaut worden, aber leider unvollendet geblieben, weil der Eigentümerfamilie Venier vermutlich das Geld ausgegangen war. Steinerne Löwenfiguren an der Seite der Terrasse zum Canale Grande hin erklärten den Namen des Gebäudes. Angeblich hatte die Familie zur damaligen Zeit einen Löwen im Garten gehalten. Später, im Jahr 1949, wurde der Palazzo von Peggy Guggenheim erworben, die dort ihre bedeutende Kunstsammlung unterbrachte und auch bis zu ihrem Tod 1979 in dem Gebäude lebte. Erst 1980 wurde der Palazzo als Museum für das Publikum geöffnet.

Goldini seufzte, als er in die Nähe des morgendlichen Tatorts kam. So viel Brutalität in so einer schönen Stadt. Und doch wusste er, dass sich das Schlechte im Menschen nie ausmerzen lassen würde. Der Gedanke an ein fortwährend friedliches Miteinander war nur eine schöne Illusion. Deswegen hatte er ja schließlich seinen Beruf gewählt. Er setzte seinen Weg fort durch die gepflegten Gassen, bis er das Museum erreicht hatte. Er hatte sich von der Questura aus beim Direktor angemeldet, der ihn bereits mit bleichem Gesicht am Eingang erwartete.

»Buongiorno, sind Sie der Commissario, der vorhin angerufen hat?«

Der Direktor streckte Goldini seine schmale Hand entgegen und sah ihn ängstlich an. Er war von schmächtiger Gestalt, nicht größer als eins fünfundsiebzig. Er trug einen braunen Maßanzug, und in seinem Gesicht fielen Goldini zuallererst die großen grünen Augen mit den buschigen Augenbrauen auf, die nicht zu den ansonsten feinen, fast weiblichen Gesichtszügen passten.

»Signor Pallucci? Dottor Goldini von der Questura. Wie ich Ihnen schon am Telefon sagte,

geht es um den deutschen Professor Konstantin Becker, der für Sie gearbeitet hat.«

Der Direktor wurde noch eine Spur blasser, als er den Namen des Professors hörte.

Seine Stimme zitterte, als er den Commissario ansprach.

»Ist es wirklich wahr, dass er ermordet wurde? Wir hatten heute Nachmittag einen Termin.«

»Ja, es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen. Den Termin wird er wohl nicht mehr wahrnehmen können. Aber vielleicht können Sie mir dabei behilflich sein, seine Mörder zu finden.«

Der Direktor nickte betreten und bat Goldini, mit ihm ins Museum in sein Büro zu kommen. Dort sei es kühler, und man könne ungestört reden. Der Commissario folgte Pallucci in einen hellen, klimatisierten Raum, der mit modernen Möbeln und einigen interessanten Kunstwerken eingerichtet war. Goldini betrachtete schweigend eine goldene Skulptur, die den Körper einer athletischen Frau darstellte. Der Direktor bat ihn, Platz zu nehmen, woraufhin der Commissario sich in einem bequemen schwarzen Ledersessel niederließ.

Goldini griff zu einer Praline, die neben vielen anderen auf dem Schreibtisch des Museumsleiters in einer Glasschale lag. Seiner Schwäche für Schokolade gab er zu gerne nach.

»Ich darf doch?«

Pallucci nickte und sah ihn fragend an.

»Wie kann ich Ihnen helfen?«

Im Hotel Villa d`Oro stand Evelyn Sanders unterdessen unter der Dusche. Das Badezimmer war neu renoviert worden, blitzsauber und hatte eine schöne Atmosphäre. Jeder Tropfen des warmen Wassers ließ ihren Kopf freier werden und füllte ihren Körper mit neuer Energie. Sie musste den Direktor des Museums überzeugen, sie das Bild anschauen zu lassen. Das würde nicht einfach werden, aber schließlich handelte es sich bei dem Gemälde um ein zweifelhaftes Objekt, das dem Museum auf nicht gerade rechtmäßigem Weg zugespielt wurde. Dann musste sie herausfinden, wer alles von dem geheimen Bild wusste.

Möglicherweise hatte man den Professor ermordet, um zu verhindern, dass das Gemälde begutachtet wurde. Womöglich war es eine Fälschung?

Evelyn nahm sich das Badelaken von der Toilette, trocknete zuerst ihren Körper und dann ihre Haare damit ab und stellte sich vor den Badezimmerspiegel. Ihr Mut sank augenblicklich, als sie ihr müdes Gesicht im hellen Schein der Lampe betrachtete.

Lohnte es sich wirklich, den Umständen von Konstantins Tod auf eigene Faust nachzugehen?

Für einen kurzen Moment sah sie das strahlende, enthusiastische Gesicht des Professors vor sich, als er erfahren hatte, dass es ein bisher unbekanntes Bild von Picasso gab.

Er hatte Evelyn erzählt, wie es aussah: Eine badende Frau mit feuerrotem Haar an einem Strand. Er wollte es gemeinsam mit ihr anschauen, eine Ehre für eine junge Doktorandin, dass ihr Professor ihr so viel Vertrauen schenkte. Evelyn hätte ihm damals vor Freude um den Hals fallen können, aber sie beherrschte sich und himmelte ihn von da an nur noch umso mehr an. Sie hatte keiner Menschenseele von dem Gemälde erzählt.

Nein, sie konnte jetzt nicht einfach nach Hause fahren.

Seufzend nahm sie ein schlichtes weißes Kleid aus dem Schrank, zog es über ihre Unterwäsche, föhnte und bürstete ihre langen Haare, überprüfte den Inhalt ihrer Handtasche und schloss schließlich leise die Zimmertür hinter sich ab.

Ihr Blick wanderte über den Flur in der zweiten Etage. Um diese Zeit waren alle Hotelgäste unterwegs, es war ruhig und leer auf dem Gang. Alles war im venezianischen Stil eingerichtet, angefangen von der geschmackvoll gestreiften Tapete bis hin zu den Lüstern an der Decke, dem weichen blaugrauen Teppich und den Stühlen in den Nischen. Von den Hotelangestellten war ebenfalls niemand zu sehen. Als sie dem Weg zur Treppe folgte, stieß sie in der Kurve urplötzlich mit einem Mann zusammen, der wie aus dem Nichts aufgetaucht war.

Durch den heftigen Aufprall verlor sie ihre Handtasche, und als sie sich fluchend danach bücken wollte, umfasste der große, kräftige Mann blitzschnell ihren Oberkörper und drückte ihr ein übel riechendes Tuch auf Mund und Nase. Er hielt sie in seinem Griff gefangen, bis ihr die Sinne schwanden. Seine Arme schienen aus Stahl zu sein. Verzweifelt versuchte sich Evelyn Sanders zu befreien, aber das Betäubungsmittel wirkte so schnell, dass ihre Muskeln innerhalb von Sekunden erschlafften. Das Letzte, was sie sah, waren sein rotbrauner Bart und seine schmalen Lippen. Als der Mann sich sicher war, dass sein Opfer nicht mehr bei Bewusstsein war, warf er die junge Frau, ohne mit der Wimper zu zucken, die lange, steile Treppe hinunter und verschwand genauso unbemerkt, wie er in das Hotel gekommen war.

Kapitel 5

Luca Brassoni stand vor dem Hotel Villa d`Oro und betrachtete die Fassade des Gebäudes. Das Hotel war hell gestrichen, hatte grüne Fensterläden und einen roten Baldachin direkt vor dem Eingang. Brassoni fand es sehr einladend und konnte verstehen, dass der Professor gerne hier abgestiegen war, wenn er sich in Venedig aufhielt. Der Blick auf die Calle XXII Marzo, die zentrale Lage, die romantischen Gondeln, all das hatte seinen speziellen Charme. Der Commissario betrat das Hotel. Es war Mittagszeit, und die Rezeption war wohl kurze Zeit nicht besetzt gewesen, denn eine junge Frau tauchte erst einige Sekunden nach seinem Eintreten auf, strich sich die letzten Essensreste vom Mund und lächelte ihn dann freundlich hinter der nussbaumvertäfelten Theke an. Sie war kaum älter als Anfang zwanzig,

hatte glänzende dunkle, lange Haare und ein hübsches, ungeschminktes Gesicht.

»Buongiorno, was kann ich für Sie tun? Entschuldigen Sie die kurze Wartezeit, ein Kollege ist überraschend ausgefallen, und ich habe nur kurz etwas gegessen. Meine letzte Mahlzeit war heute Morgen um sechs, ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis.«

Luca Brassoni hob die Hände und winkte beschwichtigend ab.

»Kein Problem, Signorina, ich habe keine drei Sekunden hier gewartet. Mein Name ist Luca Brassoni, ich bin Commissario und bearbeite den Fall Konstantin Becker. Der Professor hat hier bei Ihnen gewohnt, ebenso seine Assistentin Evelyn Sanders. Ich würde mir gerne sein Zimmer anschauen und mit Frau Sanders sprechen. Ist sie im Haus?«

Der Commissario zeigte seinen Dienstausweis und beobachtete interessiert, wie die frische Farbe aus dem Gesicht der jungen Angestellten wich.

»Ja, ich weiß, eine schreckliche Sache. So etwas gab es noch nie bei uns im Hotel. Ich kannte den Professor schon seit drei Jahren. Er war immer so freundlich und gab jedes Mal ein großzügiges Trinkgeld. Er hat bei all seinen Besuchen in Zimmer 11 gewohnt, ein schöner Raum mit Blick auf den Kanal. Es liegt in der ersten Etage. Und – einen Moment –, ja, der Schlüssel von Frau Sanders hängt hier. Sie müsste dann oben sein, Zimmer 22, zweite Etage.«

Die junge Frau reichte dem Commissario den Schlüssel. Brassoni kniff die Augen zusammen, um den Namen auf ihrem Schild zu lesen, das an ihre rosafarbene Bluse geheftet war.

»Mille grazie, Emma. Können Sie mir sonst noch etwas über den Professor erzählen?

Seine Gewohnheiten, was er hier in Venedig privat gemacht hat? Und ob er vielleicht eine Affäre mit seiner Assistentin hatte?«

Die Rezeptionistin schüttelte betrübt den Kopf.

»Ich glaube nicht, dass er eine Beziehung zu Frau Sanders hatte. Ich habe die beiden nie in einer verfänglichen Situation gesehen. Er war ein durchaus attraktiver Mann, gebildet, humorvoll. Ich glaube, dass er in Venedig eine Wohnung gesucht hat. Er wollte ein Eigentum erwerben, um mehr Zeit hier zu verbringen. Möglicherweise hatte er schon etwas gefunden, er sprach einmal von einer schönen Dachgeschosswohnung in San Polo. Auch in San Marco hat er sich ein Apartment angeschaut. Er liebte die Stadt, das hat er oft gesagt. Und er muss Bekannte in Venedig gehabt haben, denn er bekam manchmal Nachrichten oder Anrufe hier aus Venedig und erzählte auch, dass er verabredet war. Aber ich weiß nicht, mit wem.«

Sie zuckte entschuldigend die Schultern und widmete sich dann dem Telefon, das schon zum zweiten Mal klingelte.

»Danke noch mal, ich schaue mir dann das Zimmer an und spreche mit Evelyn Sanders«, verabschiedete sich der Commissario.

Luca Brassoni ging zuerst auf den Aufzug zu, entschied sich dann aber spontan anders und nahm die Treppe. Das Hotel war um die Mittagszeit menschenleer, sämtliche Touristen waren unterwegs zum Mittagessen oder zu Besichtigungen. Brassoni machte sich Gedanken darüber, wie sinnvoll es war, in dieser Gluthitze die Stadt zu erkunden. Hätte er die Wahl, würde er mittags ein gepflegtes Nickerchen halten und erst wieder vor die Tür gehen, wenn die Sonne tiefer stand. Außer er wäre am Lido und könnte unter dem Sonnenschirm ein spannendes Buch lesen und sich ab und an im Wasser der Adria abkühlen.

An seinen freien Tagen widmete er sich zudem gerne seinen beiden Rosenstöcken, die er im Garten seines Wohnhauses gepflanzt hatte. Ein so schöner Garten wie der, der zu seiner Wohnung gehörte, war eine Seltenheit in Venedig, und er liebte den Duft, den die prachtvollen rosa- und pinkfarbenen Blüten im Frühjahr und Sommer entwickelten.

Gedankenverloren stieg er die Treppen zur ersten Etage hoch und rang mit sich, ob er zuerst das Zimmer des Professors anschauen wollte oder ob er in die zweite Etage zu Evelyn Sanders gehen sollte. Er entschied sich spontan für Letzteres, weil er die Unterkunft des Mordopfers immer noch in Ruhe unter die Lupe nehmen konnte.

Das Hotel war gut klimatisiert, und so nahm er mit Schwung die Kurve zum zweiten Stock.

Der unerwartete Anblick der grotesk verdrehten Frau auf der Hälfte der Stufen vor ihm versetzte ihm einen kurzen Schock, dann erkannte er das leichenblasse Gesicht der Assistentin des Professors.

»Madonna, Signorina Sanders!«, entfuhr es ihm. Er beugte sich hinab zu dem leblosen Körper, fühlte den Puls am Hals der jungen Frau und griff erleichtert zum Handy.

»Hier Commissario Brassoni, schicken Sie sofort eine Ambulanz zum Hotel Villa d`Oro,

und informieren Sie die Kollegen der Spurensicherung. Ich denke, es gab einen Anschlag auf eine Zeugin!«

Er wusste selbst nicht ganz genau, warum er sich so sicher war, dass Evelyn Sanders nicht von alleine die Treppe hinuntergestürzt war, aber sein Instinkt sagte ihm, dass es keinen Grund gab, dass die Frau, die er heute Morgen kennengelernt hatte, von alleine so einen schweren Sturz erleiden könnte. Außerdem hatte er bemerkt, dass ihr Gesicht leicht nach Äther roch und unter ihren Fingernägeln Spuren von Blut und Geweberesten zu sehen waren, Anzeichen für eine Abwehrreaktion oder einen Kampf.

Er wartete ab, bis die Ambulanz eintraf. Da er sich nicht sicher war, ob die Doktorandin Verletzungen im Wirbelbereich erlitten hatte, wollte er sie nicht bewegen. Hoffentlich kam sie durch. Als der Notarzt und die Sanitäter sie schließlich in mühevoller Arbeit auf die Trage gelegt hatten, war sie immer noch bewusstlos und trug eine unterstützende Halskrause.

»Wie sieht es aus, Dottore, kann man schon etwas über ihre Verletzungen sagen?«, fragte

Brassoni vorsichtig.

Der Notarzt schüttelte den Kopf.