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Arnold Kasten

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Beschreibung

Ein feiner Sprühregen, der Vorbote des nahen Frühlings, übergoß die nächtliche Landschaft, die Thürme und Dächer der Residenz. Die Gasflammen spiegelten sich auf den breiten durchnäßten Asphalttrottoirs der aristokratischen Friedrichsstraße, die an jenem Abend nicht in der gewohnten abgeschlossenen Stille lag. Sonst bewegten sich in den späteren Stunden nur einzelne Fußgänger in diesem an das Parkende der Stadt grenzenden Quartier; hin und wieder auch hörte man kurze Hufschläge und sah eine lautlos rollende Equipage an dem Portal eines der stillen vornehmen Häuser vorfahren. Dann war es eine flüchtige Erscheinung von eleganten Damen- oder stattlichen Männergestalten, die an den Dienern vorüber in die geöffnete Vorhalle entschwanden, und einen Augenblick später lag diese wieder so feierlich exklusiv in dem Licht der von der Decke niederhängenden großen Laterne, daß kein Unberufener auf den Gedanken kommen konnte, hier den Eintritt zu wagen.

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Magdalena.

Von

Arnold Kasten.

© 2024 Librorium Editions

ISBN : 9782385746162

1.

E

in feiner Sprühregen, der Vorbote des nahen Frühlings, übergoß die nächtliche Landschaft, die Thürme und Dächer der Residenz. Die Gasflammen spiegelten sich auf den breiten durchnäßten Asphalttrottoirs der aristokratischen Friedrichsstraße, die an jenem Abend nicht in der gewohnten abgeschlossenen Stille lag. Sonst bewegten sich in den späteren Stunden nur einzelne Fußgänger in diesem an das Parkende der Stadt grenzenden Quartier; hin und wieder auch hörte man kurze Hufschläge und sah eine lautlos rollende Equipage an dem Portal eines der stillen vornehmen Häuser vorfahren. Dann war es eine flüchtige Erscheinung von eleganten Damen- oder stattlichen Männergestalten, die an den Dienern vorüber in die geöffnete Vorhalle entschwanden, und einen Augenblick später lag diese wieder so feierlich exklusiv in dem Licht der von der Decke niederhängenden großen Laterne, daß kein Unberufener auf den Gedanken kommen konnte, hier den Eintritt zu wagen.

Neuerdings aber hatte der seit Langem bestehende Charakter dieser Straße eine Aenderung erfahren. Mitten zwischen den Wohnungen der Geburtsaristokratie erhob sich ein großes neues Gebäude, prachtvoller als die anderen, mit dekorativem Schmucke aller Art überladen, von den barocken Giebelskulpturen und Pfeilerreliefs bis herunter zu den vergoldeten Balkongittern und dem mächtigen karyatidengetragenen Hauptportal, welches mitten in die schweigsame Straße einen Lichtstrom ergoß und seine Arme dem allgemeinen Besuch weit zu öffnen schien. Besonders auffallend war dies heute Abend: das Trottoir klapperte von geschäftigen Schritten, Konditorjungen und eiligst hineinstrebende Ausläufer mit Austernkörben, unbestimmte, aber nicht eben aristokratische Gestalten aller Art verschwanden rasch durch die Seitenthür des taghell beleuchteten Vestibüls mit seinen aus Palmengruppen empor tauchenden Lampenbüscheln, mit den verschwenderisch angebrachten Spiegeln und Teppichen und dem von Pflanzen umrahmten Springbrunnen, zu dessen beiden Seiten die große Treppe emporführte. Diener liefen hin und her, dann und wann drangen befehlende und scheltende Stimmen aus der Küchenregion bis auf die Straße heraus, und der Portier des Ministerhôtels gegenüber schüttelte, im Auf- und Abgehen stehen bleibend, mit geringschätziger Miene das Haupt.

Man war offenbar etwas spät mit den Vorbereitungen zu dem „einfachen Abendessen“ fertig geworden, zu welchem Herr Konsul Felsing, einer der reichsten Großindustriellen der Residenz, am Schlusse der Saison eine stattliche Anzahl von Gästen mittelst großer lithographirter Karten geladen hatte. Aber allmählich verstummte doch die Aufregung, das Rennen hörte auf, und eine anständige Ruhe verbreitete sich im Vestibüle, nur oben mußten die Diener noch geschäftig eilen, um in den Salons die letzten Anordnungen des Haushofmeisters auszuführen, Spieltische zu stellen, Lampen und Blumenvasen in bessere Wirkung zu setzen, überhaupt an das ganze Arrangement die letzte Hand anzulegen. Die Empfangsräume des Felsing’schen Hauses nahmen den ganzen ersten Stock in Anspruch, und man übersah ihre Reihe von dem großen Mittelsalon aus, dessen gelbseidene Möbel, Tapeten und Gardinen bei dem Uebermaß von Vergoldung, welche überall bis hinauf zu dem hohen Stuckplafond mit seinen Guirlanden von Blumen, Früchten und Amoretten angebracht war, einen mehr kostbaren als geschmackvollen Eindruck machten. Der Geist des Tapezierers schien noch in dem Raum zu schweben, der keine Charakter- oder Geschmackseigenthümlichkeit seines Besitzers verrieth. Und eben so frostig wie dieser große Mittelsalon sahen auch die daran stoßenden Räume aus, die in feierlicher Stille der Gäste harrten. In dem länglichen Speisesaale am Ende stand der Haushofmeister in Frack und weißer Kravatte und überschaute prüfend die Tafel, ob nicht irgendwo ein Glas oder eine Karaffe aus der Reihe heraustrete. Aber es war Alles tadellos, die Kouverts mit den hochgefalteten Servietten standen schnurgerade auf dem prachtvollen Damasttuch, im Lichte des großen Gaslüsters blitzten die Silber- und Krystallreflexe des Tafelzeugs, und reizend hoben sich davon die frischen Blumen der Aufsätze ab. Der Schöpfer dieser Herrlichkeiten war gerade im Begriff, sich befriedigt mit leisen Tritten zu entfernen, als die Mittelthür aufging und der Herr des Hauses auf der Schwelle erschien. Eine vornehme Erscheinung war er nicht, der kurz und derb gebaute Fünfziger mit dem dicht gekrausten, an den Schläfen schon ergrauten Haar, auch sah man der Art, wie er sich im Frack bewegte, an, daß er sich nicht besonders behaglich darin fühlte. Heiterkeit und Anmuth des Lebens schienen diesem Manne fern geblieben zu sein; sein scharfgeschnittenes, energisches Gesicht hatte einen kalten und harten Ausdruck, auch sein Lächeln erhellte die düsteren Züge nur flüchtig, und die Augen behielten stets einen scharf beobachtenden Blick, auch wenn er sie nicht, wie in diesem Augenblick, zum Zweck einer raschen Musterung umherschweifen ließ.

Flüchtig nur erwiederte er den respektvollen Gruß des alten Dieners, trat dann an die Tafel und betrachtete aufmerksam, daran hinuntergehend, die Einzelnheiten; voll ruhiger Hoheit folgte ihm der Majordomus, alle die kurzen Fragen: ob die Austern parat, ob der Chablis und die richtigen Gläser besorgt seien, ob die hinlängliche Quantität Spargel vorhanden, mit genußvoller Ueberlegenheit bejahend. Nur als Felsing eines der zierlichen Bouquetts von Veilchen und Maiblumen vor den Kouverts aus dem geschliffenen Halter zog und sagte: „Sie hätten wohl größere Bouquetts vor die Damen stellen können, das sieht ja miserabel aus –“ da richtete sich der frühere fürstliche Kammerdiener zu seiner ganzen stattlichen Höhe empor, und der Ton klang etwas animirt, in dem er erwiederte: „Der Herr Konsul wollen mir die Bemerkung gestatten, daß diese lose zusammengebundenen Branchen von nur wenigen Blumen entschieden feiner sind als größere Bouquetts.“

Felsing zuckte etmas geringschätzig die Achseln, ließ aber den Gegenstand auf sich beruhen und wandte sich zum Gehen, nachdem er vorher nur noch die bereitstehenden Weine und das Büffett mit einem flüchtigen Blick gemustert hatte. In diesem Augenblick öffnete sich die Mittelthür, und ein schwammiges Gesicht mit rother Nase sah herein, das so wenig in diese Umgebung paßte, wie der abgeschabte Cylinderhut, welchen weiter unten seine Hände hin und her bewegten.

„Sie sind es, Treiber?“ fragte Felsing unangenehm überrascht. „Was wollen Sie? Ich habe jetzt keine Zeit zu Geschäften, das sehen Sie doch!“

„Erlauben der Herr Konsul nur zwei Worte,“ sagte der mittlerweile unter devoten Bücklingen Eingetretene und blinzelte dabei bedeutungsvoll mit den gekniffenen Augen, „ich war so frei, noch heute Abend zu kommen –“

„Nein, ich will jetzt nichts von Geschäften hören,“ unterbrach ihn Felsing unwirsch. „Kommen Sie morgen wieder, es wird dann auch noch Zeit sein.“

„Zeit ist immer,“ erwiederte Herr Treiber philosophisch, „Zeit ist morgen, Zeit ist heute, aber die rechte Zeit, das wissen der Herr Konsul selbst, ist nur manchmal.“

„Verschonen Sie mich mit Ihren allgemeinen Betrachtungen,“ rief dieser, rasch aus dem Sessel aufstehend, in den er sich geworfen. „Lieber will ich anhören, was Sie mir zu sagen haben, es wird kürzer sein. Kommen Sie herüber. Aber ohne Umschweife, denn meine Gäste können jeden Augenblick erscheinen.“

Herr Treiber warf im Abgehen einen verlangenden Blick nach den silberköpfigen Flaschen im Hintergrunde und wand sich dann in schlängelnder Bewegung dem Voranschreitenden nach, der die am Ende des Korridors befindliche Thür seines Arbeitszimmers öffnete. Seines wirklichen Arbeitszimmers, denn der gegenüberliegende, im Renaissancestil möblirte Raum mit dem prachtvoll geschnitzten Schreibtisch und der Merkurbüste darüber, mit den schweren Möbeln und eleganten Bücherschränken diente nur zum Empfang von Besuchen, das monumentale Tintenzeug von Bronze wurde niemals benützt, und die vielen Dokumente, welche die Fächer des Schreibtisches füllten, bestanden aus Rechenschaftsberichten und Gesellschaftsstatuten.

Die Zimmereinrichtung aber, in welcher der nach vorn so prunkend zur Schau gestellte Reichthum erworben war und welche ihr Besitzer unverändert aus dem alten schmutzigen Vorstadthaus in das neue übertragen hatte, sah ganz anders aus: an der Hauptwand ein äußerst vernutzter und abgeschabter Divan von ehemals schwarzem Leder mit einer seit Jahren hineingelegenen Vertiefung, davor ein tannener Tisch mit bedrucktem Wollteppich – daneben der massive eiserne Kassenschrank und an der zweiten Längenwand ein ungeheurer Schreibtisch mit vielen verschlossenen Thüren und Schubladen, welchen keines der eleganten Schreibutensilien zierte, wie jenen im vordern Zimmer, nur ein altes eisernes Tintenfaß, Siegellackstangen und Bindfaden, Papierscheere und Federn gewöhnlichster Sorte standen und lagen auf der weißgeriebenen Lederplatte. Man konnte glauben, im Nebenzimmer eines kleinen Kramladens zu stehen.

„Nun,“ sagte Felsing zu seinem Agenten, als dieser die Thür hinter sich geschlossen hatte, „was giebt es, daß Sie mir zu dieser Stunde ins Haus fallen? Reden Sie schnell!“

„Gott, werde ich doch reden so schnell wie möglich, um den Herrn Konsul nicht aufzuhalten,“ hob Treiber an, und auf eine ungeduldige Bewegung Felsing’s sprudelte er eiligst weiter: „Es ist ja nur zu sagen, daß ich die Herrschaft für Sie gekauft habe!“

Die Wirkung dieser Worte war eine ganz außerordentliche. Wie von einem Stoß getroffen fuhr Felsing herum, sein bis jetzt gleichgültiges Gesicht röthete sich lebhaft und die dunkeln Augen funkelten plötzlich auf. „Was sagen Sie? Sie meinen doch Eckartshausen? Und das erfahre ich erst jetzt?“

„Der Herr Konsul ließen mich ja nicht früher zu Worte kommen,“ entgegnete Treiber in klagendem Ton. „Ich laufe und renne von der Bahn hierher, denn Treiber, sage ich mir, es wird dem Herrn Konsul viel daran liegen, heute Abend noch –“

„Genug, genug,“ wehrte dieser ab. „Sparen Sie Alles, was nicht zur Sache gehört.“ Die momentane Erregung war bereits vorüber, sein Gesicht sah wieder kalt und ruhig aus. Er trat einen Schritt näher und fragte leise. „Wie viel?“

Der Agent lächelte voll plötzlicher Vertraulichkeit seinen Auftraggeber an. „Billig, Herr Konsul, billig! Dreimalhunderttausend Thaler. Ein wahres Spottgeld.“

„Na, na!“ protestirte Felsing.

„Aber, Herr Konsul, es ist ja halb geschenkt,“ ereiferte sich der Agent mit gekränkter Miene. „Sie können ja das Geld in drei Jahren aus den prächtigen Waldungen herausschlagen lassen. Gaben der Herr Konsul mir nicht die Vollmacht, aufs Doppelte zu gehen? Und aufs Doppelte wäre die Herrschaft auch gekommen, wenn ein Anderer als der Treiber das Geschäft besorgt hätte.“

„Nun, es ist gut; hoffentlich weiß noch Niemand, daß Sie für mich gekauft haben?“

„Wie soll man’s wissen?“ entgegnete der bewegliche Mann kopfschüttelnd. „Gaben der Herr Konsul mir nicht Ordre, daß Sie wollten bleiben vorläufig im Hintergrund? Verschwiegenheit ist Ehrensache, Herr Konsul. Wie auf einen Fels können Sie sich auf den Treiber verlassen!“ Und die dicke Hand ruhte betheuernd auf der schmierigen Weste.

„Schon gut,“ sagte Felsing ungerührt. „Bringen Sie morgen alle Papiere und halten Sie ferner reinen Mund, vor Allem gegen den Grafen. Verstanden?“

„Seien Sie ganz ruhig, Herr Konsul, der Graf ließ mich schon rufen und wollte von mir wissen, wer der neue Besitzer von Eckartshausen sei? Herr Graf hab’ ich gesagt, wer hat die Herrschaft gekauft? Ich habe sie gekauft. Was ich weiter damit machen werde, weiß ich selbst noch nicht, kann ich Ihnen also auch nicht sagen. – Der Herr Graf machte ein bitterböses Gesicht, da er aber sonst ein guter Herr ist, wurde er gleich wieder freundlich und meinte, der Verkauf zu diesem Preise mache ihn nun doch nicht ganz flott, ich sollte ihm weiteres Geld schaffen!“

Die Züge Felsing’s drückten das lebhafteste Interesse aus.

„Herr Konsul,“ fuhr der Redselige dadurch ermuntert fort, „Sie glauben nicht, was das für ein Mann ist! Es ist grausig, wie er mit dem Gelde umgeht! Wer das Geld kennt, was es ist, was es bedeutet“ – sein Ton nahm bei diesen Worten einen beinahe feierlichen Charakter an – „dem dreht sich das Herz im Leibe dabei herum! Und sein Herr Sohn bei den Husaren in Berlin, der treibt’s womöglich noch ärger! Ich sage Ihnen, Herr Konsul, wenn der Graf und sein Sohn so fortmachen mit Verschwenden, so müssen die Leute zu Grunde gehen, trotz ihres Reichthums. Kommt ja doch das Andere auch noch hinzu.“

„Das Andere? Was?“

„Ich bitte Sie, Herr Konsul, Sie kennen doch die Spekulationen des Grafen an der Börse! Nun hat er sich gar das Präsidium der Bau- und Bodengesellschaft und fünfhundert Stück Aktien der Gesellschaft pari aufschwatzen lassen. Heute stehen sie dreißig und –“

„Bleiben Sie bei der Sache, Treiber,“ unterbrach Felsing ungeduldig den Sprecher, „Sie sagten, der Graf sei noch nicht flott, er brauche weiteres Geld?“

„Ob er’s braucht, Herr Konsul!“ erwiederte grinsend der Agent, während seine fleischigen Hände wieder zärtlich den Cylinderhut streichelten. „Hat mir schon Auftrag gegeben, es ihm zu schaffen – um jeden Preis! Ueberlege mir’s eben, hätte das Pöstchen zur Hand, und gegen ein Ehrenwechselchen dächte ich –“

„Ihre schmutzigen Geldgeschäfte gehen mich nichts an,“ fiel ihm Felsing hochmüthig ins Wort, indem er sich von seinem Sitze erhob, während Treiber mit einem zwischen Grimm und Devotion wechselnden Gesichtsausdruck zu Boden blickte und dabei immer krampfhafter seinen Hut glättete – „aber behalten Sie mir den Grafen im Auge! Er hat noch die Herrschaft Hochberg –“

„O, Hochberg will er unter keinen Umständen veräußern,“ erwiederte Treiber.

„So, das will er nicht?“ Felsing schlug ein kurzes häßliches Lachen auf. „Er wird wohl so fortmachen, dann kommt der Tag, wo man ihn von Haus und Hof jagt, wie einen Bettler, diesen vortrefflichen Herrn Grafen.“

Der Agent stand erstaunt über den plötzlichen Ausdruck von wildem Haß in Blick und Ton des sonst so kalten Mannes. So hatte er ihn noch niemals gesehen. Er rückte näher und fragte in unterwürfig schmeichelndem Ton. „Wie meinen der Herr Konsul?“

Allein dieser erwiederte schroff: „Nichts! Machen Sie jetzt, daß Sie fortkommen, und bringen Sie mir morgen die Papiere.“ Er trat an den Schreibtisch, während Treiber sich zur Thür hinaus wand und in seinen stillen Gedanken die plötzliche Aufregung seines Patrons als wohl zu beachtendes und sehr merkwürdiges Moment in Erinnerung zu behalten beschloß. Aber noch ein Anderer fragte sich befremdet, was hier eigentlich verhandelt worden sei? Während der letzten Reden hatte sich leise die Thür von Felsing’s nebenan liegendem Schlafzimmer geöffnet und ein blonder, schlankgebauter junger Mann im Gesellschaftsanzug war auf der Schwelle erschienen, aber stehen geblieben, als er den Agenten sah. Nach dessen Weggang trat er einen Schritt näher: „Vater!“

Felsing fuhr aus seinem Brüten auf. „Du, Emil – was willst Du?“

„Dich herüber holen, Vater, wir müssen auf den Posten. Aber vorher – Du erlaubst, daß ich die Luft von der Anwesenheit dieses Mannes reinige.“ Und er öffnete ruhig einen der Fensterflügel.

„Du bist komisch mit Deinen Antipathien, Emil,“ sagte Felsing, indem seine Augen doch mit großer Genugthuung auf der hohen Gestalt und den feinen, regelmäßigen Zügen des ihm so unähnlichen Sohnes ruhten. „Das Geschäft erfordert mancherlei Werkzeuge, und dieser Treiber ist ein sehr brauchbares.“

„Aber auch ein sehr schmutziges,“ entgegnete Emil mit lebhafter Verachtung. „Nimm es mir nicht übel, Vater, aber ich gäbe viel darum, wenn ich diese Kreatur nicht mehr in unser Haus schleichen sähe. Ich habe allen möglichen Respekt vor dem Geschäft, wenn es Macht aus Ehrenhaftigkeit und Intelligenz gewinnt, aber eben darum ist mir der Anblick dieses sogenannten Geschäftsmannes und notorischen Wucherers hier äußerst fatal. Warum duldest Du ihn? Nöthig kannst Du ihn doch nicht haben!“

Felsing pfiff durch die Zähne. „Das verstehst Du nicht. Man hat Allerhand nöthig und muß Vielerlei wissen, auch das, was Einem die andern Ehrenhaften und Intelligenten nicht sagen!“

„Auch die Anstalten zum Ruin eines Mannes, den man selbst in sein Haus einladet?“ fragte der junge Mann scharf und bitter.

„Was soll das heißen?“

„Nur, daß ich vorhin Eure letzten Reden mit anhörte und daß es mir einen Augenblick vorkam – aber nein, es ist ja nicht möglich, daß Du, Vater, ein Interesse daran haben könntest, den Grafen Hochberg bankerott zu sehen, den Mann, der heute Abend Dein Gast sein wird!“

Die Stimme des jungen Mannes bebte vor Erregung, und seine klaren Augen hefteten sich durchdringend auf das Gesicht seines Vaters, der diesen Blick nicht auszuhalten vermochte.

„Dummes Zeug,“ sagte Felsing, unwillig sich abwendend, „was gehen mich Graf Hochberg und seine schlechten Geschäfte an? Wenn ich davon sprach, so that ich das wie jeder Andere auch, der einen Einblick hat. Und warum soll denn das nicht erlaubt sein? Bin ich denn sein Busenfreund? Er würde sich schön dafür bedanken, der hohe Herr, für den Du Dich ja sehr zu interessiren scheinst!“ Es lag etwas wie Schreck in dem langen Blick, welchen Felsing auf seinen Sohn warf, während er die letzten Worte leise, beinahe zischend hervorstieß. Bald aber schien er sich wieder zu fassen und ein sarkastisches Lächeln spielte um seine Mundwinkel, als er fortfuhr: „Daß ich ihn für heute Abend eingeladen habe, geschah, weil Breda mir sagte, er wünsche in näheren Verkehr mit mir zu treten. Er sucht also den Umgang, nicht ich!“

„Du solltest ihn warnen, Vater, das wäre offen und freundschaftlich gehandelt.“

„Um den bekannten Teufelsdank zu ernten!“ versetzte Felsing spöttisch. „Was bist Du doch für ein unpraktischer Idealist!“

„Die Idealisten behalten schließlich Recht, Vater.“

„In der Studirstube vielleicht. Im Leben mißhandelt man sie und tritt sie so lange mit Füßen, bis sie hart werden – oder untergehen. Jeder gegen Alle! Das ist die Losung, seit die Welt steht; man muß mitzumachen wissen.“

„Sprich nicht so!“ rief Emil empört, „Du selbst denkst ja innerlich ganz anders.“

„Ich denke nicht anders, mein Junge,“ sagte der Vater langsam und bedeutungsvoll, „aber allerdings – ich fühle für Dich etwas, das ich für die Andern nicht fühle. Ich möchte Dich nicht anders haben, als Du bist, bleibe bei Deinen Studien, mache Deine Reisen und brauche dafür, was Du Lust hast. Aber ums Geschäft kümmere Dich nicht; denn dafür hättest Du nicht getaugt.“

„Nein, das weiß der Himmel!“ sagte Emil, „ich kann überhaupt den Gelderwerb als Zweck gar nicht verstehen. Man muß ja wohl die Mittel zu seiner Existenz gewinnen, aber was hat man denn von dieser, wenn man sie nicht zum Lernen und Genießen anwendet? Ich kann mir auch allenfalls das wissenschaftliche Interesse an Deinen großen Maschinen draußen, obwohl es persönlich meine Sache nicht wäre, vorstellen; aber was darunter gewalzt und geschnitten und gar zu welchem Preise es verkauft wird, das ist mir, offen gestanden, vollkommen gleichgültig.“

„Das Endresultat davon in Gestalt eines schönen Hauses und einer behaglichen Existenz lassen wir uns aber doch recht gern gefallen,“ sagte Felsing sarkastisch.

„Nein, wahrhaftig,“ protestirte der junge Mann lebhaft. „Das Alles wäre zu meiner Zufriedenheit nicht nöthig. Ich war unter meinem Zelt in der Wüste seelenvergnügt und aß wochenlang zähes Hammelfleisch, ohne etwas Anderes zu vermissen. Ja, die materielle Lebensgleichheit mit meinen braungesichtigen Berberinern war mir sogar erfreulicher als hier der Blick auf unsere Arbeiter, die durch eine so enorme Kluft von unseren Genüssen getrennt sind.“

„Fange mir nur so an!“ rief Felsing jetzt ernstlich erbost, „das hat mir gerade noch gefehlt, den Unsinn in meinem eigenen Hause zu hören! Als ob nicht heut zu Tage Jeder, der Kraft und Willen besitzt, sich heraufarbeiten könnte! Dafür stehe ich als redendes Beispiel da. Aber freilich, es hat Anstrengung gekostet, harte Mühe und bitteren Schweiß – und den möchten sich alle Diejenigen ersparen, die nach der Staatshilfe schreien! Strenge Dich mit keiner Rechtfertigung an,“ wehrte er unmuthig ab, als Emil den Mund öffnen wollte, „ich glaube selbst nicht, daß es mehr als eine Redensart von Dir war, und das Beste ist,“ fügte er halb im Selbstgespräch hinzu, „daß derartige sentimentale Anwandlungen sofort aufhören, sobald Einer selbst in den Besitz tritt. Da gewinnt die Sache plötzlich ein ganz anderes Ansehen!“

Emil zuckte statt zu antworten nur leicht die Achseln; der Moment war nicht günstig für eine der hitzigen Kontroversen, wie sie zuweilen zwischen Vater und Sohn über ähnliche Fragen zu entstehen pflegten. In die momentane Stille tönte das erste Wagenrollen von unten – schnell öffnete Emil die Thür und schritt hinter seinem Vater in den gegenüberliegenden großen Salon.

„Herr und Frau Baronin von Breda!“ meldete der Diener, und unmittelbar darauf erschienen die Beiden auf der Schwelle des Salons. Es war das Paar, welches überall zu finden ist, wo die „Gesellschaft“ sich versammelt: der Lebemann in sehr beschränkten Verhältnissen mit der eleganten Frau, welche ohne zahlreiche Diner- und Soupereinladungen im eigentlichen Sinne nicht leben könnten und deßhalb die Kunst, eingeladen zu werden, bis zur Virtuosität ausgebildet haben. Der Baron war von altem Adel und hatte außer den tadellosesten Formen eine sehr bedeutende Kenntniß von Allem, was in den vornehmen Kreisen vorging: lauter sehr werthvolle Eigenschaften in einem Salon neuesten Datums; er war sowohl beim Hausbau als auch bei der inneren Einrichtung der unentbehrliche Rathgeber gewesen; er hatte außerdem die ersten Schritte des reich gewordenen Industriellen in die Kreise der höheren Finanz und später sogar der Aristokratie geleitet, während seine Frau, die immer noch hübsche, gesellschaftlich sehr gewandte Baronin, bereitwilligst, so oft der verwittwete Konsul es bedurfte, in seinen Salons ihre banale Grazie entfaltete und die Honneurs machte. Es war ein Freundschaftsverhältniß, in dem beide Theile in ausgezeichneter Weise ihre Rechnung fanden.

„Felsing ist ein ungewöhnlicher Mensch,“ pflegte Frau von Breda jede etwas skeptische Bemerkung niederzuschlagen. „Diese feinen Aufmerksamkeiten, diese Zartheit der Empfindungen – ja, meine Liebe, es giebt Ausnahmen und unser Freund Felsing ist eine solche.“

Sie schwebte ihm jetzt lächelnd, beide Hände ausgestreckt, entgegen, während er, sich verbeugend, sagte. „Sehr erfreut, Frau Baronin, daß Sie es doch noch möglich gemacht haben, zu kommen!“

„Für Sie, lieber Konsul, thut man das Unmögliche. Ich hatte heute eine sehr heftige Migräne; zu keinem andern Menschen würde ich gegangen sein. Aber ich mußte Ihnen doch danken – nein, wie reizend war es wieder, meinen Wunsch so zu errathen! Sehen Sie einmal her, wie stehen mir die Spitzen? Ich habe sie noch schnell arrangiren lassen Ihnen zu Ehren!“

Und die Baronin entfaltete, sich halb zur Seite wendend, die reich garnirte, resedafarbige Schleppe.

„Ausgezeichnet!“ sagte Felsing mit einem flüchtigen Blick auf die elegante Gestalt. „Guten Abend, Breda!“ Er schüttelte dem Baron die Hand, und die Beiden standen bereits im Gespräch vertieft, als die Baronin mit der langsam prüfenden Umdrehung vor dem bis zum Boden reichenden Spiegel zu Ende war. Es blieb also noch Emil, der bisher zur Seite gestanden hatte und nun mit holdseligem Lächeln angeredet wurde. Allein dieser empfand innerlich eine unüberwindliche Abneigung gegen die intimen Freunde seines Vaters und gab nur kurze und zerstreute Antworten. Da klang aus dem Gespräche der Anderen herüber der Name Hochberg, und Emil begann scharf aufzumerken.

„Graf Erich hat verkaufen müssen?“ fragte eben Breda.

„Es scheint so,“ erwiederte Felsing.

„Und Sie wissen nicht, für wen der Agent es erworben hat?“

Ein kaum bemerkbares höhnisches Lächeln bewegte die Mundwinkel Felsing’s. Aber Breda hatte es doch bemerkt.

„Ah, eine Idee – am Ende Sie? Ja, ja, gewiß, Sie haben Eckartshausen gekauft! Charmant! Gratulire!“

Der Baron drückte dem schon wieder kalt, beinahe finster dreinschauenden Felsing trotz dessen Weigerung mit freundschaftlicher Theilnahme die Hand, und auch die entzückte Baronin flötete mit zärtlichem Ausdruck: „Aber liebster, bester Konsnl, das ist ja reizend! Warum sagten Sie uns das nicht früher? Wir besuchen Sie im Sommer dort; nicht wahr, Breda?“

Felsing schien von den Theilnahms- und Freudenbezeigungen des Paares nicht sonderlich erbaut zu sein; er erwiederte in kühlem Tone: „Wird mir eine Ehre sein. Aber ich bitte, behandeln Sie die Sache noch als Geheimniß, heute Abend noch; ich möchte nicht, daß der Graf es hier in meinem Hause erführe.“

„Aber warum nicht?“ eiferte die Baronin. „Was ist dabei? Es kann ihm doch nur angenehm sein, daß sein Gut in die Hände eines Gentleman wie Sie übergeht.“

Der Eintritt mehrerer Gäste, welche der Hausherr und sein Sohn begrüßen mußten, unterbrach das Gespräch.

„Es geht stark abwärts mit dem Grafen,“ sagte Breda leise zu seiner Frau. „Ich glaube, wir brauchen uns nicht weiter um diesen Umgang zu bemühen.“

„Das habe ich ohnedies längst satt,“ erwiederte sie spitz, „die hochmüthige Person wußte ja nie, ob sie mich kennen sollte oder nicht. Nun bin ich doch sehr begierig, was für ein Gesicht sie zu diesen Neuigkeiten macht!“

Durch die große Mittelthür traten jetzt rasch nach einander die Gäste ein. Beide Flügel wurden zurückgelehnt und ließen den Blick frei auf das mit blühenden Pflanzen reich dekorirte Entréezimmer, in dem immer neue Gruppen auftauchten. Bald drängten sich in bunter Menge die Uniformen und schwarzen Fräcke der Herren, die hellen, seideglänzenden und spitzenüberrieselten Damentoiletten. Ein guter Theil der hohen Finanz und Aristokratie war erschienen, auch ein Fürst Schmettingen und sogar Seine Excellenz der Kriegsminister krönten durch ihre Gegenwart die ehrgeizigen Wünsche des reichen Mannes, der sich nach allen Seiten verneigte, beflissene Höflichkeitsphrasen ausgab und ganz im Glück aufzugehen schien, eine so glänzende Gesellschaft in seinen Räumen zu versammeln.

Aber nebenbei strichen seine scharfen Augen unablässig nach der Thür hin, und jetzt, plötzlich, erblaßte er bis zu den Lippen herunter und verstummte mitten in dem Kompliment, welches er gerade an die alte redselige Gräfin Sternau richtete. Durch das Vorzimmer schritt ein stattlicher Mann, dessen schönes und freimüthiges Gesicht auf der hohen Gestalt einen äußerst angenehmen Eindruck machte; an seinem Arme hing eine elegante und graziöse Frauengestalt von noch sehr bemerkenswerther Schönheit, selbst im Kontrast mit dem blonden sechzehnjährigen Kind, der einzigen Tochter des Paares, die zur Linken des Papa schritt, hochaufgeschossen und schmal im weißen einfachen Kleid, aber sehr reizend durch den lichten Teint. die Fülle des hochaufgesteckten Haares, von dem sich einzelne Löckchen überall loskrausten, und durch den Blick ihrer hellen blauen Augen, die voll Vergnügen die erste „große Gesellschaft“ ihres Lebens musterten.