Meeting mit Mord - Johannes Wilkes - E-Book

Meeting mit Mord E-Book

Johannes Wilkes

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Beschreibung

Merkwürdige Dinge passieren im Dorf. Wie jedes Jahr bereiten die örtlichen Rotarier ihren Stand auf dem Weihnachtsmarkt vor, bei dem sie für einen guten Zweck sammeln. Doch immer wieder mittwochs, wenn sich die rotarischen Freunde im »Grünen Baum« zum Meeting zusammenfinden, kommt auf tragische Weise einer von ihnen ums Leben. Zufall? Die Verkettung unglücklicher Umstände? Oder steckt etwas anderes dahinter? Glaubt man anfangs noch an natürliche Todesursachen, wird bald klar: Ein Mörder geht um. Kommissar Mütze ermittelt!

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Johannes Wilkes

Meeting mit Mord

Kriminalroman

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © MMchen / Photocase.de

ISBN 978-3-8392-7356-2

1. Kapitel

»Mensch, Manni, jetzt sag doch was!«

Nervös tätschelte der Präsident die bleiche Wange von Freund Dreiheilig, doch Freund Dreiheilig rührte sich nicht mehr. Leblos hing er über dem Pissoir und gab keinen Muckser mehr von sich.

Auch Freund Guttenberg, der sofort zur Stelle war, konnte nichts mehr für Freund Dreiheilig tun.

»Manni ist hinüber«, stellte er nur trocken fest.

Doktor Friedewald Guttenberg war eines der Gründungsmitglieder des Rotary Clubs von Mausgesees. Als Landarzt der alten Schule hatte er alles schon erlebt, einen Tod beim Pinkeln allerdings noch nicht.

»Typischer ist ein Dahinscheiden auf der Kloschüssel«, bemerkte er, während er sich mühsam erhob, denn in den Knien schmerzte es, »beim Pressen können verkalkte Blutgefäße reißen.«

Paul Pirkheimer, der Präsident des Klubs, nickte mechanisch und wischte sich über die Stirn. Ein Fluch schien über seiner Präsidentschaft zu liegen, Freund Dreiheilig war nun schon der dritte tote Freund in den letzten zwei Wochen. Und das, wo sie doch nur noch zwölf Freunde waren.

»Elf«, korrigierte ihn der Doktor und drückte dem Toten die Augen zu.

»Natürlich«, murmelte der Präsident. Und von den elf Freunden musste man noch jemanden abziehen, denn dieser Knüllwald, den Pirkheimer nicht mehr seinen Freund nannte, nicht einmal in Selbstgesprächen, schied definitiv aus, und zwar für immer. Zehn Freunde also nur noch.

2. Kapitel

Mausgesees war ein Dorf im Süden der Fränkischen Schweiz, etliche hügelige Kilometer von Nürnberg und Erlangen entfernt und damit ein gutes Stück außerhalb des sogenannten Speckgürtels, der sich um die Frankenmetropolen spannte. Touristen verirrten sich nur selten nach Mausgesees. Ehemals soll es einen Sommersitz einer Nürnberger Patrizierfamilie gegeben haben, Überreste aber sucht man bis heute vergebens, auch hat wohl nie ein Kirchturm den Dorfhimmel gekitzelt. Eine historische Scheune aus dem späten 17. Jahrhundert (manche behaupteten, aus dem frühen 18. Jahrhundert) und ein Wohnstallhaus unbestimmten Alters, das waren die Sehenswürdigkeiten des Ortes, der nur einmal in seiner Geschichte an der 100-Einwohner-Marke gekratzt hat. Neben der örtlichen Feuerwehr waren es maßgeblich die Mausgeeser Rotarier, die das soziale Leben prägten. Allerdings plagte den Klub zunehmend ein Nachwuchsproblem. Zwar gab es durchaus den einen oder anderen Kandidaten in der kleinen Gemeinde, der eine aber schien nicht so recht zu ihnen zu passen, der andere schloss sich lieber einem der nahen rotarischen Nachbarklubs in Nürnberg oder Erlangen an, wohl, weil er das schicker fand. So war der Rotary ClubMausgesees von ehemals stolzen 30 Mitgliedern über die Jahre geschrumpft, der aktuelle Verlust von drei Freunden schmerzte deshalb umso mehr.

»Und alle an einem Mittwoch«, raunte Freund Hufschnabel, der erfolgreiche Banker, dem Präsidenten zu, als sie im Nebenzimmer des Grünen Baumes saßen und ihre Suppe löffelten. Nachdem der Bestatter sein trauriges Handwerk verrichtet hatte, hatten die Freunde einmütig beschlossen, dem tragischen Ereignis zum Trotz nicht auf das Mittagessen zu verzichten, erstens weil es Freund Dreiheilig nicht anders gewollt hätte, und zweitens, weil man elf Schäufele nicht wegwerfen durfte, ohne dass einem der liebe Gott zürnte.

»Zehn Schäufele«, flüsterte Freund Guttenberg dem Präsidenten zu, worauf dieser betrübt nickte.

Der Mittwoch war ihr Tag. Jeden Mittwoch trafen sich die Mausgeseeser Rotarier zum Meeting, immer um 12 Uhr, immer im Grünen Baum. Nach der Begrüßung durch den Präsidenten, der jedes Jahr wechselte, wurden die Regularien besprochen, die anstehenden Geburtstage etwa, die Einteilung für den diesjährigen Weihnachtsmarkt, wenn man Lose zugunsten benachteiligter Mitbürger verkaufte, die Ankündigung des nächsten Governorbesuchs oder wann man endlich über die Aufnahme von Frauen abstimmen wollte. Dann folgte das Dreigängemenü, das in seiner Grundform stets aus Hochzeitssuppe, Schäufele und Apfelkringeln bestand. Schluss und Höhepunkt des Meetings bildete der Vortrag, der meist von einem der Mausgeseeser Freunde gehalten wurde, selten auch von einem hinzu gebetenen Gast, das aber immer erst beendet war, wenn Freund Thürauf seine letzte Frage gestellt hatte. Freunde waren die Rotarier nicht nur im Geiste, mit »Freund«sprachen sie sich auch an oder besser, bezeichneten so ein Klubmitglied, über das sie sprachen, denn die meisten waren im persönlichen Verkehr längst zum Du übergegangen, bis auf den Klubmeister, der konsequent siezte und gegengesiezt wurde und deshalb auch in der direkten Anrede für alle stets Freund Hufschnabel war und blieb. Ob es an seinem Beruf lag? Während überall die Duzerei grassierte, ging es im Bankgewerbe weiter förmlich zu.

Üblicherweise kehrte man zur Mittagsstunde ein, an jedem zweiten Mittwoch im Monat aber traf man sich zur Abendzeit. Dann waren auch die Damen eingeladen, und man achtete sorgfältig darauf, ein Vortragsthema zu finden, das die besonderen Interessen der Weiblichkeit berücksichtigte. Auch die Witwen waren willkommene Gäste, und so zog Klubsekretär Freund Thürauf mit dem Eintreffen der Todesnachricht in der ihm eigenen Gründlichkeit rasch einen Strich durch den Namen des so tragisch auf dem WC verstorbenen Freundes Dreiheilig und beschloss, dessen Frau Gunda nach ihrer eigenen E-Mail-Adresse zu fragen.

»Alle an einem Mittwoch …« Diese Worte klangen dem Präsidenten noch im Ohr, als bereits das Schäufele serviert wurde und ein magischer Duft den Raum durchzog. Immer wieder mittwochs … Freund Hufschnabel hatte recht, nicht nur wegen seines teuren Anzugs aus edlem Zwirn. Ein Mittwoch ist es gewesen, als es vor zwei Wochen Freund Kunreuther erwischt hatte. Der betagte Seniorbauer aus dem benachbarten Kleingesees hatte es zum Unmut seiner Frau nicht lassen können, nach seiner Beinamputation, er ist ein leidenschaftlicher Raucher gewesen, weiter auf dem Hof mit anzupacken, und war zur schönsten Vesperzeit in die Güllegrube gefallen, was im Klub allgemein als kein schöner Tod beklagt worden war. Zumindest muss der Todeskampf kurz gewesen sein, hatte Freund Guttenberg festgestellt, wodurch die unangenehm olfaktorische Komponente etwas abgemildert worden sei. Immer wieder mittwochs … Mittwoch letzter Woche war Freund Dotterweich von ihnen gegangen. Der Tod des pensionierten Amtsrichters war jedoch nicht wirklich überraschend gekommen, hatte Timotheus, von den Freunden liebevoll »Dimmy« genannt, doch schon seit über einem Jahr auf der Pflegestation eines Erlanger Altenheims gelegen, durch einen Schlaganfall gelähmt und sprachlos, wodurch er auch von der Präsenzpflicht bei den Meetings befreit gewesen war, über die genau Buch geführt wurde.

Nachdem die Apfelküchle verzehrt worden waren, erhob sich der Präsident und räusperte sich. Heute müsse der Vortrag leider ausfallen, sagte er, was auf allgemeine Zustimmung stieß, auch wenn das Thema Neue Entwicklungen im Sanitärbereich unter besonderer Berücksichtigung des älteren Menschen in Bezug auf die räumlichen Umstände von Freund Dreiheiligs Dahinscheiden nicht völlig unpassend erschienen wäre. Der vorgesehene Referent, Freund Stanglmaier, Inhaber eines größeren Installationsgeschäftes in Fürth, war sofort bereit, auf einen späteren Termin auszuweichen. »Selbstverständlich!«, sagte er, um danach dreimal zu hüsteln, eine Angewohnheit, die er sich vor einigen Jahren zugelegt hatte. Auf diese Weise könne er den Vortrag zudem noch um den Punkt Badewannen mit Einstiegshilfe ergänzen, die neueste Innovation im sanitären Bereich. Mit stillen Grüßen ging man auseinander.

3. Kapitel

Die schönste Stunde des Tages war für Freund Guttenberg stets der nächtliche Spaziergang mit seinem Dackel Ringo. Erst wenn die Sonne untergegangen war, verließ der Doktor das Haus. So sehr er auch mit ganzem Herzen Landarzt war, vermutlich der letzte, den es in Mausgesees geben würde, bei seinem Abendspaziergang wollte er allein sein und sich mit niemandem unterhalten müssen. Als Arzt war man einfach überkontaktet. Im Grunde war eine solche Menge an täglichen Begegnungen, wie sie ein Hausarzt hatte, nicht zu ertragen. Da brauchte es einen vernünftigen Ausgleich, um wieder zur Ruhe zu kommen, und diese Ruhe fand Freund Guttenberg am besten beim nächtlichen Gassigehen mit Ringo. Den Dackel hatte er von ihrem verstorbenen Freund Wiggerl übernommen, Jahre her. Wiggerls Tod steckte allen noch in den Knochen, man sprach nicht einmal mehr darüber, so furchtbar ist alles gewesen.

Auch heute drehte der Doktor wieder seine immergleiche Runde, hinaus aus dem Ort, den schmalen Feldweg hinauf bis zur Anhöhe, von der aus man weit in das gekrümmte Flusstal hineinsah, auf der gegenüberliegenden Seite die Burg Falkeneck mit ihren drei markanten Türmen. Freund Guttenberg nannte den nächtlichen Gang mit der ihm eigenen Selbstironie seinen Philosophenweg, weil er dabei so schön seinen Gedanken nachhängen konnte. Am Waldesrand spazierten Herr und Hund weiter, in einer großzügigen Runde wieder nach Mausgesees zurück. Immer, wenn sie das Feldkreuz am Wald erreichten, hob Ringo sein Bein und pinkelte dagegen. Anfangs hatte der Doktor ihn weggezogen und streng ermahnt, aber Dackel sind beharrlich und haben ihren eigenen Kopf, und so hatte Freund Guttenberg schließlich seufzend resigniert, die Religionskritik, die sich im Verhalten seines Hundes ausdrückte, billigend in Kauf nehmend. Seine Frau Margarete hätte ihn dafür sicher streng gescholten. Jeden Sonntag hatte sie den Gottesdienst im benachbarten Heroldsberg besucht, und wenn er keine gute Ausrede gefunden hatte, hatte er sie begleiten müssen. Nun war seine Gretel schon fünf Jahre tot. Die erste Zeit ist furchtbar gewesen. Auch wenn sich ganz Mausgesees und besonders die rotarischen Freunde rührend um ihn gekümmert hatten, er hatte all die guten Gaben, die man ihm vorbeigebracht hatte, gar nicht verzehren können, seine Gretel war doch durch nichts zu ersetzen. Dass er die frühen Symptome des Tumors nicht erkannt hatte, diese Wunde wollte nicht verheilen. Er hatte ihre Müdigkeit und Abgeschlagenheit als Alterssymptome gedeutet, wohl auch als Kummer darüber, dass ihnen keine Kinder und Enkel vergönnt waren. Erst als Gretel immer weiter abgenommen hatte, als die Sache mit dem Blut passierte, war er mit ihr zu einem befreundeten Spezialisten ins Erlanger Universitätsklinikum gefahren. Da war alles schon zu spät. Nie wird er das traurige Kopfschütteln vergessen, mit dem sein Kollege ihm das Ergebnis seiner Diagnostik mitgeteilt hatte. Sie hatten noch manches versucht, eine Operation mit anschließender Chemotherapie, sogar eine alternativmedizinische Behandlung – es hatte ihr Sterben nicht verhindern können. Ein Jahr nach ihrem Tod war die Sache mit Wiggerl passiert, und er hatte Ringo bei sich aufgenommen, und selbst wenn er das aus Scham keinem anderen gegenüber zugegeben hätte: Der Dackel war ihm der beste Trost in dieser Zeit.

Auf der nächtlichen Runde kam der Doktor auch durch die Mönau, einen kleinen Wiesengrund unten am Flüsschen. Die alte Mühle drehte sich schon lange nicht mehr. Freund Knüllwald hatte sie gekauft und aufwendig und nach allen Regeln des Denkmalschutzes renovieren lassen. Nun war Knüllwald mit seiner Jacht auf den Weltmeeren unterwegs und mit ihm Anne, der Frau des Präsidenten. Nur selten sprach man über diesen Skandal, erst recht nicht im Klub und wenn Freund Pirkheimer in der Nähe war. Hinter vorgehaltener Hand aber brach sich die Empörung Bahn. Das machte man doch nicht, erst recht nicht, wenn es sich um die Frau eines rotarischen Freundes handelte, welcher Teufel Freund Knüllwald wohl geritten hatte? Jeder Rotarier legte bei der Aufnahme vor den Freunden ein feierliches Gelöbnis ab. Dabei sollte er sich bei allem, was er tat, von vier Fragen leiten lassen: Ist es wahr und aufrichtig? Ist es fair für alle Beteiligten? Dient es der Freundschaft? Wird es dem Wohl aller Beteiligten dienen? Alle vier Fragen waren, wenn man es genau besah, in diesem Falle klar zu verneinen. Sich die Frau eines Freundes zu schnappen, war kaum aufrichtig zu nennen, von Fairness konnte gleichfalls keine Rede sein, die Freundschaft drohte es zu zerstören, und es diente höchstens dem eigenen Wohl. So gesehen hätte man allen Grund gehabt, Freund Knüllwald nahezulegen, den Klub zu verlassen. Warum man sich nicht entschließen konnte, es zu tun, war nicht genau zu sagen. Wahrscheinlich lag es an Freund Pirkheimer. Solang sich Paul nicht öffentlich beschwerte, solang er nur still für sich litt, solang bot sich kein Anlass. Und noch etwas anderes kam hinzu. Im Freundeskreis mied man, wenn irgend möglich, peinliche oder problematische Themen. Das war zwar wiederum nicht unbedingt wahr und aufrichtig, andererseits aber diente es der Freundschaft und war darum nicht un-rotarisch zu nennen.

Freund Guttenberg hatte den schmalen Holzsteg erreicht, unter dem der Dorfbach gurgelte, als sein Dackel plötzlich stehen blieb, zur Mühle hinübersah und leise zu knurren begann. Der Doktor beugte sich über das Brückengeländer und sah im ersten Stock hinter einem der Fenster Licht. Die Gardinen waren zugezogen, schemenhaft sah er zwei Schatten, die sich zu einem vereinten, dann wurde das Licht gelöscht. Atemlos blieb der Doktor stehen. Wie ein Einbruch wirkte das Ganze nicht. Hatte Freund Knüllwald sein Haus untervermietet? Ein ganzes Jahr wollte er auf Segeltour sein, rund um die Welt. Vielleicht hatte er den Hausschlüssel Verwandten zur Verfügung gestellt. Unschlüssig blieb Freund Guttenberg noch ein Weilchen stehen. Als sich nichts mehr rührte, beschloss er, nach Hause zu gehen. Freund Knüllwald konnte schließlich mit seinem Haus tun und lassen, was er wollte.

4. Kapitel

»Womit habe ich das verdient?« Der Novemberwind trieb fette Wolken übers Land, als sich Präsident Pirkheimer mit seinem Schirm zum Grab vorkämpfte, es schüttete wie aus Kübeln. Pirkheimer konnte sich nicht erinnern, dass einer seiner Vorgänger im Amt jemals so oft zu einer Beerdigung gemusst hätte, selbst zu den übelsten Coronazeiten nicht. Zählten Beerdigungen an sich schon zu den unangenehmen Lebenspflichten, so erst recht, wenn es sich bei dem Toten um einen rotarischen Freund handelte. Warum nur bediente sich in Mausgesees niemand der Formel: »Von Beileidbezeugungen am Grab wird gebeten, Abstand zu nehmen?« Beileid, was für ein schreckliches Wort, antiquiert und verlogen zugleich. Was sollte denn das auch heißen, wie sollte man mit jemandem beileiden? Mitleiden war schon selten und schwer genug, sich herzliches Mitleid zu wünschen aber ging natürlich erst recht nicht. Wenn wenigstens Anne noch bei ihm wäre …

Pirkheimer hatte den Rand der Grube erreicht. Nur stockend ging ihm der Beileidsgruß über die Lippen. Kunigunda Dreiheilig nahm ihn mit tränenfeuchten Augen stumm entgegen. Pirkheimer war froh, dass ihn seine rotarischen Freunde nicht im Stich gelassen hatten: Freund Stanglmaier sah er mit Gattin Gisela, einer eleganten Erscheinung mit den Augen einer ägyptischen Gottheit, Freund Hufschnabel und Freund Gensekiel, den Apotheker, an der Seite seiner Frau Christine. Auch die Witwen Kunreuther und Dotterweich waren gekommen. Sie bildeten eine kleine Gruppe, die etwas abseits stand. Erleichtert gesellte sich Pirkheimer zu den Freunden, sie mit einem stillen Nicken grüßend, das zugleich sanften Schmerz, aber auch freundschaftliches Einvernehmen signalisieren sollte. Freund Thürauf, der Klubsekretär, griff in die Innentasche seines Wintermantels und zog einen funkelnden Gegenstand hervor, den er dem Präsidenten unauffällig in die Hand drückte.

Die Beerdigungsgesellschaft schwoll zu einer stattlichen Größe an. Freund Dreiheilig, der honorige Kaminkehrmeister, entstammte einer kinderreichen Familie, alle zehn Geschwister lebten noch, sie allein hätten mit ihren Frauen und Kindern die Runde um das Grab komplett gemacht. Mehr Gäste allerdings noch hatten Freund Kunreuther, den Seniorbauern aus Kleingesees, bei seinem letzten Gang begleitet, zwei Wochen war es her. Der Parkplatz war mit schweren Allradwagen besetzt gewesen, alle mit fetten Lehmspritzern verziert, war Kunreuther doch zugleich ein passionierter Jäger. Auf manchem Trauergasthut hatte keck der Gamsbart gewippt, und als am Grab die Hörner das letzte Halali anstimmten, etwas schief, jedoch ergreifend schön, war kein Auge trocken geblieben.

Hatten alle über die kunstfertigen Särge gestaunt, in denen Freund Kunreuther und Freund Dotterweich zur letzten Ruhe geschaukelt worden waren, so rief auch das Holzgehäuse von Freund Dreiheilig einhellige Bewunderung hervor. In den Rahmen aus Eiche hatte man Intarsien eingearbeitet, dekorative Muster, von denen eines ein Zahnrad zeigte, das Erkennungszeichen der Rotarier, das die Absicht aller Klubmitglieder symbolisierte, sich als nützliche Rädchen im Getriebe der Welt zu drehen. Der Sarg war ein Meisterwerk gediegener Handwerkskunst, keine Massenware, kein Made-in-China, sondern ein echtes Unikat. Sein Schöpfer war niemand anderes als der Beerdigungsunternehmer höchstpersönlich, Georg Himmelreich, ein hagerer Mausgeseeser um die 50, dessen imposanter Schnauzbart an den Enden zu kleinen Schnecken gezwirbelt war. Tag und Nacht muss Himmelreich nach der Todesnachricht in seiner Schreinerei gewerkelt haben. »Was das Ding wohl gekostet haben mag«, hörte man es da und dort leise raunen. Die Rotarier unter den Trauergästen konnten über solche Bemerkungen nur schmunzeln. Nicht nur für den Sarg, sondern für die ganzen Beerdigungskosten inklusive des anschließenden Leichenschmauses kam ein Sonderkonto der Rotarier auf. Eingerichtet hatte es vor vielen Jahren Freund Oberhofer, ein Unternehmer aus Österreich, den es im Alter aus nicht genau geklärten Gründen nach Franken verschlagen hatte. Als er Zeuge der ersten Beerdigung in seiner neuen Mausgeseeser Heimat wurde, liefen ihm die Augen über. »Naa, naa … dös is ka schöne Leich«, soll er wieder und wieder gesagt haben, worauf er eine üppige Stiftung getätigt hatte, deren Auftrag es war, jeden verstorbenen Freund würdevoll zu Grabe zu tragen. Mittlerweile lag Oberhofer selbst schon auf dem Mausgeseeser Friedhof, in einem Sarg aus marmoriertem Bergahorn, sein Erbe aber wirkte immer noch segensreich nach.

Auch der blitzende Gegenstand, den Klubsekretär Freund Thürauf dem Präsidenten zuschob, stammte aus dem Spendenfond von Freund Oberhofer. Es war ein rotarisches Zahnrad aus purem Gold, die letzte Liebesgabe der Freunde. Pirkheimer würde es dem Sarg hinterherwerfen, aber erst, wenn alle gegangen waren, denn dieser letzte Gruß, so lieb er gemeint war, war ihm mehr als unangenehm, erstens, weil das handtellergroße Rad so schwer war, dass es auf dem Sarg unangenehm laut aufschlug, und zweitens, weil ihm die eigens von Freund Oberhofer gedichtete und vom Präsidenten aufzusagende Abschiedsfloskel nur schwer über die Lippen glitt: »Drehe dich weiter/Zahn um Zahn/drehe dich weiter/zum Himmel hinan.«

5. Kapitel

Der Leichenschmaus wurde nicht im Grünen Baum eingenommen. Der Mausgeseeser Dorfgasthof war dem verstorbenen Freund Oberhofer wohl zu minderwertig erschienen, zumindest als Ort des letzten Abschiednehmens, stattdessen schlängelte sich die Wagenkolonne ins nahe Heroldsberg, wo sich die Leckerei befand, ein Lokal der gehobenen Spitzenklasse. Livrierte Kellnern und Jimmy »Chicken« Malzan persönlich, der Küchenchef und Betreiber des Edelschuppens, empfingen die Gäste mit einem Sektkelch Holunderschampus. Holunder symbolisierte nach Meinung von Freund Oberhofer die Ewigkeit, überhaupt hatte es Freund Oberhofer mit den bedeutungsschwangeren Ritualen, so musste zur Nachspeise immer Engelscreme gereicht werden, eine Süßspeise aus dem entlegenen steirischen Bergdorf, in dem Freund Oberhofer als uneheliches Kind einer Milchbäuerin zur Welt gekommen war. Nicht durchsetzen können aber hatte sich der gute Oberhofer mit dem Wunsch, statt von einer Beerdigung bei rotarischen Freunden von einer Auferstehungsfeier zu sprechen. Eine solch revolutionäre Umbenennung hätte die lieben Mausgeseeser überfordert.

Ganz gegen seine Gewohnheit stürzte Präsident Pirkheimer das gereichte Glas rasch hinunter, sich dabei hilfesuchend nach seinen rotarischen Freunden umschauend. Wie gerne hätte er seinen Freund Guttenberg an der Seite gehabt, doch der Doc ging aus Prinzip auf keine Beerdigung, eine Berufskrankheit, für die man Verständnis haben musste. Kannte man einen Autohausbesitzer, der zu Abwrackplätzen ging, oder einen Feuerwehrmann, der abgebrannte Häuser besuchte? Jedes Ding hatte seine Zeit. Besser war’s, man konzentrierte sich auf die Sachen, die man beeinflussen konnte.

Für die Rotarier war wie stets ein eigener Tisch reserviert, wofür man dankbar war. Pirkheimer nestelte einen Zettel aus dem Jackett und warf dann und wann einen Blick darauf. Er war kein großer Redner und benötigte Notizen mit den wichtigsten Stichworten. Auch deshalb hasste er Beerdigungen. Es war üblich, dass der Präsident nach dem Hauptgang, der oft aus gefüllten Wachteln bestand, die mit Blättern von Himmelschlüsseln gewürzt wurden, ein paar Worte an die Trauergemeinde richtete und an die Verdienste des Verblichenen erinnerte. Unstrittig lagen diese Verdienste bei Freund Dreiheilig vor, sehr umfangreiche Verdienste sogar, dennoch erschien es Pirkheimer überflüssig, daran erinnern zu müssen. Wie bei den vergangenen beiden Beerdigungen kam er sich vor wie ein Schulleiter, der bei einer Abschlussfeier vom Pult herab Noten zu verteilen hatte. Verdammt, ja, Dreiheilig hatte kein Jahr am Weihnachtsstand der Rotarier gefehlt und Lose verkauft, stets hatte der Bezirksschornsteinfeger das neueste Kaminwissen uneigennützig an alle Freunde weitergeleitet und die rotarischen Schlote nicht nur mit äußerster Sorgfalt gefegt, sondern nach der staubigen Arbeit immer noch Zeit für ein Schnäpschen gefunden, das er auf das Wohl des Hauses geleert hatte. Auch mochte er vielen Glück gebracht haben, die ihn halb scherzhaft, halb abergläubisch am Ärmel gezupft hatten, warum aber musste er, Pirkheimer, all das noch einmal vor allen ausbreiten, noch dazu vor einem ihm größtenteils fremden Publikum? Was konnte man denn Großartigeres über einen Verstorbenen sagen, als dass er ein Mensch gewesen sei? Reichte das denn nicht aus? In diesem Moment verspürte Pirkheimer, der ansonsten ein lebhafter Verfechter des Leistungsgedankens war, ein Grummeln in den Gedärmen, und es befielen ihn Zweifel am Sinn seiner Leichenrede. Und er spürte schmerzlicher denn je, wie sehr er seine Anne vermisste.

»Versprecht mir, dass wenigstens ihr während meiner Amtszeit nicht die Löffel abgebt«, flüsterte er in einem Anflug von Sarkasmus seinen Sitznachbarn zu, und seine rotarischen Freunde versicherten ihm eilfertig, sie würden alles tun, um am Leben zu bleiben.

6. Kapitel

Es war Nacht geworden. Als Freund Guttenberg bei seinem allabendlichen Spaziergang mit seinem Dackel Ringo wieder durch die Mönau kam und dabei den kleinen Brückensteg passierte, musste er wieder zur Mühle hinüberschauen. Dort aber war alles dunkel, auch im Fenster des ersten Stocks, das man erst erblicken konnte, wenn man sich über das Brückengeländer beugte, war heute kein Licht zu erkennen. Ob Freund Knüllwald tatsächlich untervermietet hatte? Vielleicht war es auch die Zugehfrau gewesen, die gelegentlich nach dem Rechten sah, vielleicht hatte sie ihren Freund mitgenommen. Und weil auch sein Dackel nicht mehr knurrte, setzte der Doktor seinen Spaziergang fort. Was war wohl schlimmer, dachte sich Freund Guttenberg, wenn einem die Frau wegstarb oder wenn sie einem weglief. Darüber hatte es in der Romantik einen Streit zwischen zwei Dichtern gegeben, zwischen Ludwig Uhland und Friedrich Rückert, der im nahen Erlangen Professor gewesen ist. Uhland war der Meinung, besser eine tote Frau, als von ihr betrogen zu werden, Rückert aber dachte anders. Beide verfassten sie ein Gedicht, um für ihren Standpunkt zu werben. Rückert hatte den Doktor besser überzeugt. Wurde man von einer Frau verlassen, bestand doch immerhin noch die Chance, dass sie es sich anders überlegte und reumütig zurückkehrte. Eine tote Frau aber war für immer tot. So gesehen war Freund Pirkheimer direkt zu beneiden, dachte sich der Doktor, auch wenn seine Anne auf und davon war, ihm blieb noch eines: die Hoffnung auf ein glückliches Wiedersehen. Ein schmerzliches Lächeln umspielte seine Lippen. Und was blieb ihm? Wenn er’s genau besah, eigentlich nur seine rotarischen Freunde. Und natürlich Ringo! Ächzend beugte sich der Doktor nieder und tätschelte seinem Dackel den Kopf.

7. Kapitel

In derselben Nacht lag Präsident Pirkheimer noch lange wach. Eigentlich konnte er seit einem halben Jahr nicht mehr richtig schlafen, seitdem seine Frau Anne durchgebrannt war, mit Knüllwald, diesem Halunken. Zwar hatte sich Pirkheimer schon vorher mit dem Einschlafen schwergetan, besaß seine Frau doch die Angewohnheit, im Bett eine Netflix-Folge nach der anderen anzugucken, unter der Decke zwar, doch mit deutlich sichtbarem Lichtgeflacker, zuletzt die Geschichte des englischen Königshauses, seitdem sie jedoch nicht mehr bei ihm war, war alles noch viel schwerer. Was würde er dafür geben, wenn sie zu ihm zurückkehrte! Ja, er würde sie wieder in die Arme schließen und ihr verzeihen, da war er sich sicher, auch wenn manch einer das nicht verstehen würde. Am Abend seiner Amtseinführung als neuer Präsident Ende Juni letzten Jahres war sie auf und davon. Nur ein kleiner Zettel hatte auf dem Küchentisch gelegen, sonst nichts. Dass sie einmal Abstand brauche, Zeit, um über vieles nachzudenken, dass er das nicht persönlich nehmen solle, solche Sachen, die nichts und doch alles sagten. Er hatte den Zettel zerknüllt und weggeworfen. Zunächst hatte er sich verflucht, das Präsidentenamt angenommen zu haben, ausgerecht jetzt, wo sich alle die Münder zerrissen, dann aber war er froh gewesen, durch die neue Aufgabe abgelenkt zu sein. Nichts war schlimmer, als ständig unnütz zu grübeln. Es reichten schon die Nächte. Am seltsamsten vielleicht war, dass er gegenüber Knüllwald keinen Hass empfand, eine tiefe Enttäuschung, das sicherlich, aber doch keine Mordgelüste. Knüllwald war im Grunde ein armer Tropf, trotz seiner geerbten Millionen, ein Aufschneider, über den man sich heimlich lustig machte. Warum Anne ausgerecht auf Knüllwald reingefallen war, blieb vielleicht das größte Rätsel.

Pirkheimer warf sich auf die andere Seite. Schlafen konnte er auch aus einem anderen Grunde nicht. Er musste ständig an Freund van der Brink denken, den Bäckermeister des Ortes. Freund van der Brink wurde immer gelber, schrecklich ungesund hatte er bei der Beerdigung ausgesehen. Es hieß, ein Fuchsbandwurm habe es sich in seiner Leber bequem gemacht. Konnte man daran sterben? An einem Wurm? Oder war das nur eine Art grippaler Infekt? Hoffentlich! Kaum eingeschlummert, war Pirkheimer wieder aufgeschreckt, ein Albtraum der übelsten Sorte hatte ihn gequält. Sie trugen gerade Freund van der Brink zu Grabe, als sich durch den Sarg ein grinsender gelber Wurm den Weg ins Freie biss. Scheußlich!

Pirkheimer lauschte in die Dunkelheit und ärgerte sich über sich selbst. Fing er jetzt schon an, darüber nachzudenken, welchen Freund man als Nächsten zu Grabe trug? Das war doch krank. Drei Tote hatte es gegeben, okay, drei Tote an drei aufeinanderfolgenden Mittwochen. Was aber besagte das? Reiner Zufall, was sonst! Er war Techniker, Oberingenieur bei einem Weltunternehmen, ein durch und durch analytischer Mensch, was sollten die düsteren Gedanken? Und er beschloss, an etwas anderes zu denken und sich die Reihe der Primzahlen aufzusagen, die sicherste Methode, um in den Schlaf zu finden. Am Mittwoch würde es wieder ein ganz normales Meeting geben.

Erneut drehte sich Pirkheimer um die eigene Achse. Manchmal hatte Anne beim Netflixen einen unterdrückten Gluckser unter der Bettdecke von sich gegeben, wahrscheinlich, wenn jemand einen Scherz gemacht hatte, Prinz Philipp vermutlich. Pirkheimer lächelte trübe. Was würde er darum geben, wenn Anne wieder neben ihm läge.

8. Kapitel

Da es der zweite Mittwoch im Monat war, traf man sich zur Abendzeit. Viele Freunde waren in Begleitung ihrer Frauen gekommen, und auch das Witwenende des langen Gasttischs im Nebenzimmer des Grünen Baums war gut gefüllt. Nicht nur Amtsrichtersgattin Dotterweich war gekommen, auch Witwe Kunreuther, deren violette Dauerwelle stets ein zarter Hauch von frischem Kuhstall umwehte, und, zur nicht geringen Überraschung aller, auch Kunigunde Dreiheilig. Die frischgebackene Witwe trug einen dunklen Schleier und ein schwarzes Gewand, das eher an eine Flamencotänzerin erinnerte als an ein Trauerkleid. Manchmal tupfte sie sich mit einem Tuch nach den Augenwinkeln und genoss sichtlich den Zuspruch der anderen Damen, der ihr reichlich gewährt wurde.

Als der Präsident die Wirtschaft betrat, sah er am Stammtisch drei Männer über ihrem Bier hocken, der eine war Georg Himmelreich, der Bestatter des Dorfes, der zweite ein zerzauster Mann mit schwarzen nackenlangen Haaren, Winfried Dotterweich, der Sohn des verstorbenen Amtsrichters, der dritte war der junge Kunreuther, der Bauerssohn. Pirkheimer, der die drei flüchtig kannte, grüßte mit kurzem Nicken und eilte hinüber in den Nebenraum, wo die Rotarier tagten. Der Versammlungssaal war bereits gut gefüllt. Zu seiner Erleichterung entdeckte Pirkheimer Freund van der Brink nebst Gemahlin Friederike, einer hünenhaften Dame mit wunderbaren Oberarmen. Pirkheimer atmetet auf. So war seine Sorge umsonst gewesen, die finsteren Gedanken der letzten Nacht nur Hirngespinste. Auch wirkte die Gesichtsfarbe des Bäckers bei Weitem nicht mehr so gelb wie bei der Beerdigung von Freund Dreiheilig, vielleicht hatte sich das Fuchsbandwürmchen schon davongeschlichen.

»Leider nein«, flüsterte ihm Freund Guttenberg zu, »aber mit etwas Glück bekommen wir den Wurm durch Medikamente unter Kontrolle. Schlimm wird’s, wenn frische Würmer schlüpfen und in den Blutkreislauf gelangen, das müssen wir verhindern. Wehe, wenn sie sich im Gehirn festbeißen.«

Pirkheimer fröstelte es. Er liebte Freund Guttenberg, medizinische Einzelheiten aber waren ihm verhasst. Auch durften nur Eingeweihte von dem Fuchsbandwurm wissen, Freund van der Brink fürchtete, dass Kunden zur Konkurrenz überlaufen könnten, wenn sie von dem Wurm erfuhren. Die Menschen waren ja so ängstlich. Pirkheimer nickte dem Bäcker zu. Es war Freund van der Brink hoch anzurechnen, dass er gekommen war, auch, weil es sich ja um ein Abendmeeting handelte und der Meister des heißen Ofens üblicherweise schon um 19 Uhr in den Federn liegen musste. Neben Freund van der Brink saß Freund Gensekiel, der Apotheker, mit seiner Gattin Christine, dann folgte Freund Hufschnabel, der Klubmeister, wie stets edel gewandet, neben ihm eine hochgewachsene Schöne, Susanne, seine Drittfrau, die von den anderen Frauen recht kühl behandelt wurde. Ihnen gegenüber saß Freund Thürauf, ein kleiner, energischer Mann mit Nickelbrille, von Beruf Lateinlehrer, mit seiner Frau Hiltrud, die ebenfalls dem Lehramt verpflichtet war, allerdings der Fachkombination Deutsch und Französisch. Neben ihnen wiederum saß etwas verloren Freund Trebbisch, der Schatzmeister, dessen Ehefrau Babsi sich wegen Unpässlichkeit entschuldigen ließ.

»Wo ist Freund Stanglmaier?«, fragt der Präsident seinen Sitznachbarn, nachdem er den Blick über die Anwesenden hatte schweifen lassen.

»Keine Ahnung«, sagte der Doc, »wurde noch nicht gesichtet.«

Freund Stanglmaier, der Inhaber des großen Installationsgeschäfts mit dem schönen Namen Wasser marsch!, hatte sich freundlicherweise bereit erklärt, den ausgefallenen Vortrag von letzter Woche beim heutigen Abendmeeting zu halten, was allgemein begrüßt worden war, zumal das Thema Neue Entwicklungen im Sanitärbereich und besonderer Berücksichtigung des älteren Menschen auch für die Damenwelt interessant erschien.

»Mon président!« Mit einem etwas mokanten Lächeln und einem übertriebenen Diener begrüßte ein schlaksiger Nachzügler Pirkheimer. Es war Freund Göllner, ein immer zu Scherzen aufgelegter Patentanwalt, der es verstand, spontan in Reimen zu sprechen, was stets aufs Neue für Verblüffung sorgte.

»Norbert, sei uns willkommen«, sagte Pirkheimer und machte eine einladende Bewegung in Richtung des leeren Stuhls ihm gegenüber.