Mein Feuerpferd - Ruf der Mittsommernacht - Chantal Schreiber - E-Book

Mein Feuerpferd - Ruf der Mittsommernacht E-Book

Chantal Schreiber

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Beschreibung

Das Elfenpferd

Endlich ein eigenes Pferd! Als Evas Cousine Emma bei einem Ausritt mitten in der Wildnis eine junge Stute auffindet und es schafft, das entlaufene Pferd zum Stall zu bringen, scheint ihr größter Traum zum Greifen nah: Denn Emma und ihr Elfenpferd sind wie füreinander geschaffen. Als die bildhübsche Stute versteigert werden soll, begeht Emma in ihrer Verzweiflung einen großen Fehler. Eva weiß nur eins: Sie muss das Schlimmste verhindern, koste es, was es wolle! Doch damit bringt sie nicht nur sich selbst, sondern auch ihr geliebtes Pferd Eldur in Lebensgefahr. Jetzt zeigt sich, dass Emmas Stute wirklich ein wahres Traumpferd ist ...

Alle Bände der Mein Feuerpferd-Trilogie:

Band 1: Ritt im Nordlicht; Band 2: Sturmfohlen; Band 3: Ruf der Mittsommernacht

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Seitenzahl: 184

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Für Fanndís Rut,

auch ein Kind zweier Länder!

Alle Bände der Reihe:

Mein Feuerpferd (1) – Ritt im Nordlicht

Mein Feuerpferd (2) – Sturmfohlen

Mein Feuerpferd (3) – Ruf der Mitsommernacht

Chantal Schreiber

MEIN FEUERPFERD

Ruf der Mittsommernacht

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© 2022 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der

Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagfoto: Stephanie Greskötter, kleine Designstube

Umschlaggestaltung: Kathrin Schüler, Berlin

ck • Herstellung: UK

Lektorat: Michelle Landau

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN 978-3-641-26377-5V001

www.cbj-verlag.de

Auf Tour

9. Juni, Abend.

Das Tollste an diesem Tag war:der Geysir Strokkur. Ungefähr alle acht bis zehn Minuten schießt aus einem kleinen, dampfenden Wasserloch eine mächtige Fontäne in die Höhe. Die tollste, die wir an dem Tag gesehen haben – und wir haben jede Menge gesehen, ich konnte michnämlich lange nicht von Strokkur trennen! (Zitat des Tages: »Einmal noch, okay?«), – war sicher an die dreißig Meter hoch, sagt Magnus. Wir sind ganz früh am Morgen im Haukadalur (das ist das Tal mit dem geothermalen Feld rund um den Strokkur) angekommen und waren fast allein, die Touristenbusse kommen erst später. Ich hab natürlich eine Million Fotos und Videos gemacht und sie gleich an Sarah geschickt, aber in echt ist der Strokkur einfach noch viel beeindruckender. Also hab ich Mom auch gleich dazugeschrieben, dass sie mit mir dahin MUSS, in der ersten Drehpause, die sie kriegt.

Oh nein, jetzt habe ich eben meine Fotos durchgesehen und wir waren am Abend ja noch am heißen Fluss! Nein, IM heißen Fluss. Okay, nun weiß ich nicht, was das Tollste an diesem Tag war! Wenn ich mich zwischen Strokkur und der Wanderung durchs Reykjadalur inklusive Baden im heißen Fluss entscheiden muss … hmmm … ich glaube, dann gewinnt ganz knapp der Fluss! Es ist einfach so cool da! Allein der Weg durchs Tal ist schon wie aus einem Märchenfilm, jeden Augenblick erwartet man, dass ein Einhorn hinter einem Felsen auftaucht! Man wandert also eine gute Stunde durch dieses megaschöne Tal, mit Blick über grau-grüne Schluchten. Wenn man das spätabends macht, so wie Magnus und ich, um wieder mal den Touristen auszuweichen, begegnet man auf dem Weg nur ein paar Schafen.

Und dann der Badeplatz! Die haben da eine einfache Holzbretterwand als Sichtschutz aufgestellt, anstatt einer großen, hässlichen Umkleidekabine, das fand ich schon mal gut. Magnus ist als Erster ins Wasser und hat eine der kleinen Buchten ausgesucht. Es war ziemlich kühl, und ich hatte den ganzen Tag meine neue Mütze auf, die mit den Umrissen von Island und der isländischen Flagge drauf. Daran hab gar nicht mehr dran gedacht, als ich mich umgezogen habe. Schnell den Bikini an und rein ins warme Wasser! Magnus hat mit meinem Handy Fotos von mir gemacht und es mir dann grinsend wiedergegeben: Bikini und Mütze! Diese brandheiße modische Kombi sieht man auch nur in Island! Der Fluss selbst ist natürlich nicht heiß, sondern genauso kalt wie jeder andere Fluss in Island. Aber das Wasser einer heißen Quelle in dem Tal vermischt sich mit dem des Flusses und das ergibt die perfekte Badetemperatur!

Ich blättere um und schüttle meine Hand aus. Ich muss unbedingt ein paar Fotos von der Wanderung ausdrucken und einkleben, wenn ich wieder zu Hause in Selbakki bin. Kein Wunder, dass auf Island so viele Filme gedreht werden. Vielleicht kann Sarah ja die Produzenten ihrer Serie überreden, dass sie mal eine Episode hierherverlegen. Dann könnte sie länger bleiben und das wäre der Hammer!

Es gibt noch soooo viel zu schreiben! Mein Original-Tagebuch hätte für ein einziges Highlight gar nicht so viel Platz geboten, aber das war auch nach vier Monaten schon vollgeschrieben. Jetzt hab ich stattdessen ein dickes Notizbuch und schreibe nur noch an Tagen rein, an denen es auch was zu erzählen gibt, dafür aber manchmal gleich drei Seiten oder mehr. Und ich stelle mir dann auch immer alle Aufgaben, die mir mein altes Tagebuch gestellt hat. Die erste für jeden Tag lautet eigentlich: »Das setze ich heute in die Tat um.«

Heute ist aber nicht der 9. Juni, sondern schon der 14. Ich bin jetzt erst dabei, mithilfe meines Handys alles nachzutragen, was ich mit Magnus auf unserer Islandrundfahrt erlebt habe, denn wir haben so viel unternommen, dass ich vor dem Schlafengehen immer zu erledigt war. Magnus wollte mir einfach alles zeigen, was Island zu bieten hat, und das ist nun mal ziemlich viel. Und es ist auch noch jede Menge übrig, aber die berühmtesten Plätze hab ich jetzt gesehen und auch ein paar, die wohl nicht jeder Tourist zu sehen bekommt – der Vorteil, wenn man einen Isländer zum Vater hat. Jedenfalls werde ich meine Tagebucheinträge wohl erst wieder mit »Das setze ich heute in die Tat um« beginnen, wenn ich mich selbst eingeholt habe. Und bis dahin gibt es noch jede Menge Berichte nachzuholen, denn ich war zwischen unserer Rundfahrt und der Reittour gerade mal zwei Tage zu Hause in der Seehundbucht. Genug Zeit, um meine Tasche umzupacken und einmal richtig auszuschlafen, aber nicht genug, um alles nachzutragen, was ich gesehen und erlebt habe. Und nun passiert schon wieder jeden Tag irgendwas, das unbedingt dokumentiert werden muss. Ich meine, wen wundert das! Wir sind eine dreizehnköpfige Gruppe – dreizehneinhalb, wenn man meinen kleinen Bruder mitzählt –, die sich zu Pferd von Selbakki ins Skagafjördur aufgemacht hat!

Ich muss gähnen und bin tatsächlich zu müde, um mir die Hand vorzuhalten. Nicht, dass jemand sich dran stören würde, denn ich bin (noch) ganz allein im Schlaflager unter dem Dach. Von unten dringt eine vielstimmig gesungene Version von »Country Roads« an mein Ohr. Die anderen sitzen alle draußen um ein Lagerfeuer, das Magnus gemacht hat. Eigentlich wollte ich heute wirklich früh schlafen gehen, aber ich hatte mir vorgenommen, mindestens zwei Einträge in meinem Tagebuch nachzuholen.

Noch schnell eine Notiz zum heutigen Tag, bevor ich wirklich wegdöse, sonst bin ich nächstes Jahr noch mit Nachschreiben beschäftigt! Also: Das Tollste an diesem Tag war:Der Polarfuchs, den wir gesehen haben! Seite an Seite mit den Mädels durch ein Meer von Lupinen zu galoppieren! Wie Emma Eldurs Tölt gelobt hat! Es kommt nicht so oft vor, dass sie was Nettes zu mir sagt, deswegen ist das doppelt wertvoll.

Bei den letzten Worten sind mir wirklich und wahrhaftig die Augen zugefallen. Das muss reichen. Ich lasse den Stift endgültig sinken, mithilfe meiner Fotos kann ich die Details später noch hinzufügen. Hier oben ist schon alles abgedunkelt, beim Schreiben habe ich deswegen meine Handytaschenlampe als Lichtquelle verwendet. Nun schalte ich sie aus und strecke mich für einen Moment auf dem Bett aus wie ein großes X, Arme und Beine weit ausgebreitet. Jeder einzelne Muskel in meinem Körper schreit »Ausruhen!«.

Ich war vorhin schon im Waschraum und habe mich bettfertig gemacht, und die Versuchung, jetzt einfach einzupennen, ist verdammt groß. Es wäre auch mit Sicherheit das Vernünftigste, aber … Nein. Schwungvoll setze ich mich wieder auf und bin mit ein paar Schritten bei der Tür zum Treppenhaus. Ein schneller Abstecher zu Eldur auf die Koppel muss einfach noch sein!

»Evaaaaa!«, johlt mir meine Freundin Salka auf der Treppe entgegen, über die Köpfe der deutschen und österreichischen Touristen in unserer Gruppe hinweg. »Ich dachte, du bist soooooo müde und gehst gaaanz früüüüh schlafen!« Salka lässt die übermütig fröhliche Lagerfeuerstimmung direkt auf mich überschwappen.

»Ich schlafe ja auch«, erwidere ich und erzeuge irgendwo zwischen meiner Nase und meiner Kehle einen Ton, der wie eine Mischung aus Schnarchen und Grunzen klingt. »Tief und fest. Und Schlafwandler soll man nicht aufwecken, das ist gefährlich!«

Salka bleibt stehen, als ich bei ihr angekommen bin. »Gefährlich?«, fragt sie, plötzlich ernsthaft interessiert. »Echt jetzt?«

»Ja, und zwar für dich!« Bevor sie reagieren kann, starte ich eine Kitzelattacke auf meine Freundin, die laut quietscht und beinahe die paar Stufen, die sie schon raufgegangen ist, wieder runterstolpert.

»Mädels, lasst doch mal die Erwachsenen vorbei!« Emma, Hrönns Nichte und zwei Jahre älter als wir, beobachtet unser Gerangel kopfschüttelnd – und wie ich sie kenne, ist der altkluge Von-oben-herab-Tonfall höchstens zur Hälfte scherzhaft gemeint.

Ich verdrehe die Augen so, dass es nur Salka sehen kann. »Ich mach noch kurz einen Sprung auf die Koppel, um nach Eldur zu sehen«, erkläre ich ihr meine Marschrichtung.

»Ja, sing ihm am besten ein Schlaflied und erzähl ihm eine Geschichte, deinem Eldur«, stichelt Emma. »Sonst kann das arme Pferdchen bestimmt nicht einschlafen.«

Natürlich sind Emmas Bemerkungen witzig gemeint. Aber irgendwie kommt es immer so rüber, als würde sie sich über mich lustig machen. Mir ist klar, dass sie eifersüchtig auf mich ist, weil sie kein eigenes Pferd hat und ein Teil von ihr findet, sie hätte Eldur mehr verdient als ich, weil ich nicht mal von hier und überhaupt viel zu »verwöhnt« bin. Ich versteh das ja irgendwie, aber manchmal nervt es einfach.

»Genau«, erwidere ich also nur kurz. »Ich wusste, du verstehst das.« Dann bin ich an ihr vorbei und an der Eingangstür.

»Weck uns bloß nicht auf, wenn du wiederkommst!«, ruft Emma mir nach.

»Ja, genau!«, bestätigt Salka. »Mach das ja nicht, Emma hier braucht dringend ihren Schönheitsschlaf!«

Ich muss grinsen. Salka darf so was Freches zu ihr sagen, aber wehe, ich würde mich das trauen!

Als ich vor die Tür trete, begrüßt mich das Leuchten der Noch-nicht-ganz-Mitternachts-Sonne Islands und lässt mich blinzeln. Mitte Juni ist es hier tatsächlich auch nachts taghell. Und zwar so hell, wie es im isländischen Winter meist nicht mal zu Mittag wird! Ich habe Island ja in der dunklen Jahreszeit kennengelernt und mich daher an diese andere, immer helle Version noch nicht richtig gewöhnt.

Unsere Hütte liegt mitten in den Bergen, irgendwo zwischen Akureyri und dem Skagafjördur, was nichts anderes heißt als »Halbinsel-Fjord«, also eine Meerzunge, die zwischen zwei Halbinseln ins Land hineinragt. Die eine der beiden Halbinseln, die den Skagafjördur umschließen, hat den fantasievollen Namen Skagi, was ebendas bedeutet: »Halbinsel«. Die andere ist größer und heißt daher Tröllaskagi, die Riesenhalbinsel. Wer auch immer sich diese Namen ausgedacht hat, war nicht besonders einfallsreich – oder er war vielleicht der Meinung, dass die Natur für sich selbst spricht und kein noch so fantasievoller Name der Schönheit der Landschaft gerecht würde. Und damit hätte er auch recht gehabt! Es ist unsere zweite Nacht hier, heute haben wir zu Pferd die Umgebung der Hütte erkundet, und es war einfach traumhaft, durch die Berge zu reiten, ohne Reitwege oder Hinweisschilder, einfach über Wiesen zu galoppieren und neben Flüssen entlangzutölten. Gut, dass Hrönn mit der Gegend so vertraut ist, ich hätte mich hoffnungslos verirrt zwischen all den grünen Hügeln, Wasserläufen und Wasserfällen und den von violetten Blumen übersäten Wiesen.

Die Koppel, auf der unsere Pferde stehen, ist etwa dreihundert Meter von der Hütte entfernt, es ist also ein kleiner Fußmarsch dorthin. Der umzäunte Bereich liegt an einem Flüsschen, damit ist die Wasserversorgung für die Pferde gleich inklusive. Eldur hatte heute Ruhetag, um Kräfte für morgen zu sammeln, für den nächsten Tagesritt, der uns zur Farm von Oskars Halbschwester Gudrun führen wird. Wir sind schon seit vier Tagen auf Tour und jede einzelne Stunde davon war einfach unvergesslich. Das sagen auch meine Oberschenkel und mein Po, allerdings mit etwas weniger Begeisterung. Seit Ostern bin ich zwar fast täglich geritten, aber jeden Tag fünf bis acht Stunden im Sattel zu sitzen, ist noch mal etwas ganz anderes. Natürlich würde ich nie im Leben zugeben, dass mir alles wehtut und meine Haut an einer Stelle sogar von der Naht der Reithose etwas wundgescheuert ist. Magnus (ich nenne meinen Dad meistens beim Vornamen) würde mir sofort anbieten, im Begleitfahrzeug mitzufahren, so wie es die ältere Dame aus Stuttgart gestern gemacht hat, aber das geht natürlich gar nicht. Ich hätte viel zu viel Angst, irgendwas Cooles zu verpassen – das Begleitfahrzeug kann nur Teilstrecken tatsächlich mit uns mitfahren, häufig muss es eine ganz andere Route nehmen, ein Auto kommt nun mal nicht überall durch, wo ein Pferd durchkommt. Außerdem würde Emma sich garantiert bis an mein Lebensende über mich lustig machen. Kurz gesagt: Ich muss durchhalten!

So eine isländische Tour hat es aber auch in sich: den ganzen Tag durch die Berge reiten, dabei die Herde zusammenhalten, aufpassen, dass bei Flussdurchquerungen alle gut ans andere Ufer kommen, Pferde versorgen, beim Kochen helfen. Das macht zwar alles jede Menge Spaß und ist auch richtig schön abenteuerlich, aber mindestens ebenso anstrengend. Und heute war ich tatsächlich so kaputt, dass ich beim Essen eingeschlafen bin. Ohne Übertreibung! Ich bin davon aufgewacht, dass mir die Gabel aus der Hand gerutscht und klappernd in den Teller gefallen ist! Gott sei Dank haben die Mädels das nicht mitgekriegt!

Weil so eine Tour für die Pferde natürlich auch anstrengend ist, haben wir Wechselpferde dabei, damit jedes zwischendurch mal Pause machen kann. Fast dreimal so viele Pferde wie Reiter! Auch wenn sie gerade nicht geritten werden, sind alle Pferde in der Herde den ganzen Tag in Bewegung, diese Tour ist also das perfekte Konditionstraining jetzt im Frühsommer, bevor die Touristen ins Land strömen.

Ich stapfe über die Wiese einen Hang hinauf und genieße es, die Füße mal nicht in den Steigbügeln zu haben. Magnus und Hrönn hatten mir natürlich vorher von den »weißen Nächten« erzählt, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass es überhaupt nicht dunkel wird! Nur wenn wie vorgestern die Regenwolken so richtig finster und schwer über den Hügeln hängen, wirkt es düster. Aber an klaren Tagen gibt es nur verschiedene Abstufungen von Hell.

Unter der nächtlichen Sonne vergisst mein Körper wieder, dass er müde ist. Deshalb halten wir auch alle am Lagerfeuer bis in die späte Nacht durch, obwohl wir körperlich erschöpft sind: Das viele Licht gibt Energie! Und die Geschichten, die abends am Feuer erzählt werden, sind oft so spannend, dass gar keine Müdigkeit aufkommen kann. Meistens geht es um Pferde, um das Elfenvolk und das Leben früher, im »alten« Island. Mein Isländisch ist schon ganz gut, aber alles verstehe ich immer noch nicht. Zum Glück müssen die Geschichten für Oskars britische, deutsche und österreichische Hausgäste, die auch Teil unserer Gruppe sind, ohnehin übersetzt werden. Neben den ausländischen Touristen ist noch ein isländisches Ehepaar mit zwei Kindern dabei, der Rest der Truppe ist meine Familie im weitesten Sinn: Magnus, Salka, Emma und Hrönn. Und natürlich darf Björn, mein Brüderchen, nicht fehlen: Schließlich ist er schon fast acht Monate alt, nach isländischen Maßstäben ist es also höchste Zeit für seine erste Tour! Seit er einigermaßen sitzen kann, nehmen Hrönn und Magnus ihn immer wieder beim Reiten vor sich aufs Pferd, und der Kleine strahlt jedes Mal über sein ganzes rundes Gesicht, das immer stärker an Magnus, unseren Papa, erinnert. Er ist einfach zu süß!

Eigentlich hätte unser Nachbar Oskar, Salkas Großvater, ja die Tour leiten sollen, aber er hat sich bei der Arbeit auf dem Hof am Knie verletzt, und darf zu seinem großen Ärger ein paar Wochen lang nicht reiten. Sein Neffe Aron, der die Ferien sowieso immer auf dem Hof verbringt, übernimmt solange die Stallarbeit, und Hrönn konnte zum Glück als Reiseleiterin einspringen. Sie hat früher in den Ferien viel auf Pferdehöfen gearbeitet und kennt vor allem den Norden, Nordosten und Nordwesten der Insel wie ihre eigene Westentasche. Ich hatte natürlich erst mal keine Ahnung, was so eine »Tour« überhaupt ist! Mal eben mit dreißig, vierzig Pferden quer durchs Land ziehen, ohne großartige Planung, für drei Tage oder auch zwei Wochen, das ist so typisch isländisch! Übernachtet wird wegen des wechselhaften Wetters nicht in Zelten, sondern in alten Schaftreiberhütten oder modernen Hütten wie dieser, die jetzt gerade so idyllisch in der Mitternachtssonne daliegt, als ich mich auf der kleinen Anhöhe kurz umwende. Dann laufe ich hinunter zur Koppel, einem großzügigen Stück Wiese, begrenzt von einfachen Holzpflöcken, zwischen denen Draht gespannt ist.

Elfenpferd

Am Zaun angekommen, halte ich Ausschau nach Eldur, und hoffe irgendwie, dass er schon auf mich wartet. Seit ich im April zu Hrönn und Magnus gezogen bin, ist kein Tag vergangen, an dem ich mein Pferd nicht gesehen habe. Selbst wenn ich ihn ausnahmsweise mal nicht geritten bin, musste zumindest Zeit für einen kurzen Besuch auf der Koppel sein. Ich finde also, nach seinem »Urlaubstag« heute sollte er mich eigentlich auch vermissen, und bin fast ein wenig beleidigt, als er sich nicht gleich blicken lässt.

»Eldur!«, rufe ich ihn halblaut. Einige Pferde heben die Köpfe und blicken in meine Richtung, aber Eldur ist nicht dabei. Immer, wenn er nicht sofort auf mein Rufen reagiert, kriege ich so ein mulmiges Gefühl hinter den Rippen, und eine eiskalte Hand grapscht nach meinem Herzen. Der Schock von damals, als Eldur und die anderen Pferde gestohlen und um ein Haar ins Ausland verkauft worden sind, sitzt mir immer noch in den Knochen. Aber wir sind mitten in den Bergen, in der Umgebung von Hólar, wo die berühmte isländische Pferdeakademie liegt, und weit genug von Straßen und Siedlungen entfernt, um sicher sein zu können, dass niemand Eldur entführt hat. Irgendwie sollte ich Oskars jüngerem Bruder, der damals versucht hat, die Pferde zu stehlen, vermutlich sogar dankbar sein. Denn hätte ich nicht den Diebstahl entdeckt und beim Wiederfinden der Pferde geholfen, dann hätte Oskar mir wohl auch nicht dieses besondere Geschenk gemacht: Eldur, mein Feuerpferd.

Da kommt Vindur an den Zaun getrabt, Hrönns wunderschöner windfarbener Wallach. Mit der Kombination von dunkelbraunem Fell und fast weißen Schweif- und Mähnenhaaren sticht er natürlich unter den über dreißig Pferden mehr hervor als mein Brauner. Das spezielle Gen, das für seine tolle Färbung verantwortlich ist, kommt selten vor und ist daher sehr begehrt. Von so einem windfarbenen Isländer habe ich anfangs auch heimlich geträumt und kann Emma deshalb verstehen, die diesen Traum ebenfalls hat. Doch als Eldur in mein Leben getöltet ist, habe ich schnell kapiert, dass die Farbe eines Pferdes einfach keine Rolle spielt. Eldur ist das perfekte Pferd für mich, ebenso wie Eyja, die Schimmelstute, die jetzt hinter Vindur herantrappelt, das perfekte Pferd für Salka ist. Dabei war meine Freundin ganz sicher, dass ein Schimmel für sie nicht infrage kommt! Aber wenn man das richtige Pferd gefunden hat, ist die Farbe mit einem Mal völlig nebensächlich.

Als Nächstes kommt Bangsi, der Fuchs, den ich heute geritten bin, damit Eldur einen Tag Pause machen kann. Sein Tölt ist nicht so bequem wie Eldurs, und er hat mich heute ziemlich durchgeschüttelt, wovon mein Muskelkater auch nicht besser geworden ist.

»Hey, du Süßer!«, begrüße ich ihn und hake den Draht des Zauns auf. »Brav warst du heute!« Schließlich kann er ja nichts für seinen Schütteltölt.

Eldur ist noch immer nicht zu sehen, also kann er auch nicht eifersüchtig werden, wenn ich Bangsi ein Leckerli gebe. Zum Betteln ist Vindur zu nobel, aber er bleibt drei Schritte von mir entfernt stehen und blickt mich vielsagend an. Eyja hingegen hat keine Hemmungen, Bangsi wegzudrängen und mich von oben bis unten abzusuchen, bis ich endlich auch ihr etwas gebe. Dann belohne ich noch Vindur für seine vornehme Zurückhaltung.

Am entgegengesetzten Ende der Koppel, auf der anderen Seite des Baches, erspähe ich über die anderen Pferde hinweg endlich auch Eldur. Warum steht er denn so weit abseits? Jenseits des Zauns wachsen ein paar höhere Büsche, und er steht ganz allein da und starrt hinüber. Was gibt’s denn da? Wie ich mein Pferd kenne, wahrscheinlich irgendwas Leckeres, an das er nicht rankommt. Irgendwelche Beeren vielleicht? Langsam stapfe ich auf ihn zu, bin schon fast bei ihm, und immer noch würdigt er mich keines Blickes! Eben will ich noch einmal nach ihm rufen, da sehe ich plötzlich, was seine Aufmerksamkeit so sehr fesselt. Zwischen den Büschen guckt ein Pferdekopf hindurch! Fuchsfarben mit weißen Flecken. Dichte blonde Mähne. Im ersten Moment denke ich, eines unserer Pferde muss ausgebüxt sein, aber wir haben ja gar keinen Fuchsschecken dabei! Die Nasen von Eldur und dem fremden Pferd berühren sich beinahe, es sieht aus, als wären die beiden in ein wichtiges Gespräch vertieft. Verblüfft bleibe ich stehen. Wo kann das Pferd denn nur hergekommen sein? Hier in der unmittelbaren Nähe gibt es keine Höfe, wenn es irgendwo ausgerissen ist, muss es also schon recht weit gelaufen sein.

Plötzlich schubst mich etwas von hinten. Eyja, die freche Prinzessin, ist mir gefolgt und sucht mich nach Leckerlis ab. »Nicht jetzt, Eyja«, flüstere ich, aber sie denkt nicht daran, von mir abzulassen. Also wedle ich mit der Hand vor ihrer Nase herum, bis sie sich endlich mit einem ärgerlichen Schnauben von mir abwendet und wegtrottet. Gleich darauf findet mein Blick Eldur wieder, doch das andere Pferd ist verschwunden. Vergeblich suche ich mit den Augen jeden Zentimeter des dichten Gebüsches ab – dabei war ich höchstens ein paar Sekunden abgelenkt! Eldur steht ganz allein da und knabbert selbstvergessen an dem kurzen Gras, als hätte er seit Stunden nichts anderes getan. Dass er eben noch Kopf an Kopf mit einem anderen Pferd gestanden haben soll, erscheint mir fast schon unwirklich. Und als ich endlich bei meinem Braunen ankomme und über die Büsche hinwegblicken kann, ist auch dahinter keine Spur mehr von dem fremden Pferd zu sehen. Als hätte es sich in Luft aufgelöst!

Natürlich quatschen die Mädels noch, als ich etwas später endlich ins Bett krieche. Sie unterhalten sich über das »versteckte Volk«, die Elfen, wahrscheinlich hat Magnus vorhin am Lagerfeuer wieder ein paar Geschichten über sie erzählt. Die isländischen Elfen sind nicht die zarten Zauberwesen, die ich aus meinen Kinderbüchern kenne. Sie leben mit Pferden, Schafen und Kühen zusammen, genau wie die »normalen« Isländer, nur kann man sie eben nicht sehen. Außer natürlich, sie möchten das – in diesem Fall können sie sich auch für Normalsterbliche sichtbar machen.

»Stell dir vor, nur du könntest ihn sehen, sonst niemand!«, flüstert Emma gerade. »Und sein Volk dürfte es nie erfahren, weil es natürlich verboten ist!«

Natürlich, denke ich und muss grinsen, für Emma geht es wieder mal um Jungs. Diesmal eben um Elfenjungs.