Mein Feuerpferd - Sturmfohlen - Chantal Schreiber - E-Book

Mein Feuerpferd - Sturmfohlen E-Book

Chantal Schreiber

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Beschreibung

Im Tölt durch den Schnee!

Endlich ist Eva zurück in Island, bei ihrem Vater, ihrem neuen Bruder und natürlich Eldur – ihrem Pferd. Doch die Wiedersehensfreude wird getrübt, als Evas Cousine Emma ebenfalls auftaucht. Sie scheint Eva nicht ausstehen zu können und macht ihr das Leben schwer. Bald fühlt sich Eva völlig allein, Eldur ist der Einzige, auf den sie sich noch verlassen kann. Ausgerechnet als die beiden Mädchen alleine sind, bricht ein heftiger Schneesturm los und bringt die Pferdeherde in Gefahr – vor allem die trächtige Stute Gusta. Um das Fohlen zu retten, müssen Emma und Eva ihre Rivalität begraben und zusammenarbeiten. Doch die Zeit ist knapp ...

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Seitenzahl: 203

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Chantal Schreiber

MEIN FEUERPFERD

Sturmfohlen

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© 2019 cbj Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Kathrin Schüler, Berlin

Umschlagabbildung: © Rookie Photography/Eva Frischling

Kapitelvignette: Franziska Harvey

ml · Herstellung: UK

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-23895-7V001

www.cbj-verlag.de

Nach Hause kommen

»Hoffentlich ist Hrönn auch mitgekommen!« Ich drücke meine Stirn an das kleine Flugzeugfenster, aber ich sehe natürlich nichts von Akureyri außer ein paar Lichtern in der Dunkelheit, denn es ist sechs Uhr abends. Allerdings hätte sich mir drei Stunden früher auch kein anderes Bild geboten, denn im Dezember geht die Sonne in Island schon gegen drei Uhr nachmittags unter. Dabei wird es kurz vor Mittag erst hell! Vor gar nicht allzu langer Zeit hätte ich mich kein bisschen drauf gefreut, meine Ferien an so einem dunklen Ort zu verbringen. Aber damals hatte ich auch noch keine Ahnung, dass Island das schönste Land der Welt ist. Wenn es nur drei Stunden hell ist, dann muss man eben zusehen, dass man in diesen Stunden möglichst viel davon sieht! Und zwar – wenn es nach mir geht – vom Rücken eines Islandpferdes aus!

»Und Björn! Hoffentlich hat sie Björn mitgebracht! Wie viel wächst so ein Baby in zwei Monaten? Zwei Monate! Ich kann nicht glauben, dass es schon so lange her ist! Ob er sich an mich erinnert? Und Eldur! Ob Eldur mich noch erkennt?«

Automatisch schließe ich einen Moment lang die Augen, als ich an Eldur denke, mein Islandpferd, und sehe ihn vor mir, in seinem kuscheligen Winterfell, mit den wunderschönen dunklen Augen und dem kleinen, fast kreisrunden Abzeichen auf seiner tiefbraunen Stirn. »Ich kann es nicht erwarten, Salka zu sehen«, fahre ich fort, ohne meiner Mom Zeit zum Antworten zu geben. »Sie wird gar nicht glauben können, dass ich da bin! Glaubst du, Magnus hat es geschafft, nichts zu verraten?« Magnus ist mein Papa, Hrönn ist seine Frau und Björn mein kleiner Halbbruder. Salka ist meine Freundin vom Nachbarhof, die Enkelin von Oskar, dem der Hof gehört, und der mir Eldur geschenkt hat, Eldur, mein wunderschönes Feuerpferd. Mein Pferd. Mein eigenes Pferd.

Sarah, meine Mom, greift nach meiner Hand und lächelt. Wahrscheinlich, weil ich in meiner Aufregung laut denke. »Dein Vater hat bestimmt dichtgehalten«, sagt sie und drückt beruhigend meine Hand. »Und Hrönn auch.«

Viele Jahre lang war sie hauptberuflich meine Mom. Aber sie ist auch Sarah Martell, die Schauspielerin, die schon früh mit einer Fernsehserie bekannt wurde. Das war vor meiner Geburt, und seitdem hat sie nur noch kleine Rollen angenommen. Bis vor ein paar Monaten ein Angebot kam, das sie einfach nicht ablehnen konnte. Der Sender, der damals ihre Serie produziert hat, wollte ein »Zehn Jahre danach«-Special drehen, mit allen Schauspielern von damals. Und dafür musste sie zusätzlich zu den Studioaufnahmen drei Wochen lang reisen und an verschiedenen Schauplätzen drehen. Diese Zeit war durchgeplant und restlos ausgefüllt, da war definitiv kein Platz für ein mitreisendes Kind. Deswegen habe ich einige Wochen bei meinem Vater und seiner neuen Frau verbracht. In Island. Damals wusste ich noch nicht mal, dass Hrönn ein Baby erwartete und das Ganze war ein ziemlicher Schock für mich. Ich war eifersüchtig auf Dads neue Frau und auf mein ungeborenes Geschwisterchen gleich dazu. Damals habe ich Hrönn die Schuld an allem gegeben, obwohl ich genau wusste, dass sie für die Trennung meiner Eltern überhaupt nichts konnte.

Es hat etwas gedauert, bis ich sie richtig akzeptiert habe, und wenn ich jetzt zurückdenke, musste sie wirklich sehr viel Geduld mit mir haben. Ich an ihrer Stelle hätte eine so anstrengende Stieftochter wie mich wahrscheinlich ins nächste Flugzeug nach Hause gesetzt.

Aber jetzt weiß ich gar nicht mehr, wie ich so eifersüchtig auf sie sein konnte, und noch weniger, wie ich es geschafft habe, sie nicht zu mögen. Denn Hrönn ist einfach zu lieb. Und sie und Magnus sind so glücklich.

Meine Eltern haben sich damals verliebt, weil Gegensätze einander manchmal anziehen – aber als sie kapiert haben, dass sie nicht zusammenpassen, so gern sie einander auch haben, da war ich schon unterwegs.

Tja, und nun habe ich zwei Familien, eine ist über Deutschland und Österreich verteilt und eine lebt in Island. Und ich kann es grade gar nicht erwarten, meine isländische Familie wiederzusehen.

Minuten später setzt unser Flugzeug auch schon in Akureyri auf und ich könnte heulen, weil ich so glücklich bin, wieder hier zu sein. Leider kann Mom nur über die Feiertage bleiben und wir haben deshalb keine Zeit, von Reykjavik mit dem Auto hinauf in den Norden nach Akureyri zu fahren. Auf der Strecke hätte es so viel zu sehen gegeben! Aber heute ist der 21., und Mom muss am 26. schon wieder zurückfliegen, denn sie fährt mit ihren Schauspielkollegen über Silvester auf eine Berghütte. Sie wollte erst meinetwegen absagen, aber ich hab ihr zugeredet. »Du musst auch mal mit Gleichaltrigen zusammen sein!«, habe ich ihr erklärt. »Das ist wichtig für deine Entwicklung.«

Silvester ohne Mom ist nicht so schlimm, aber Weihnachten ohne sie könnte ich mir nicht vorstellen. Außerdem muss sie unbedingt meine isländischen Freunde kennenlernen und wenigstens ein bisschen was von Island. Mich schreckt weder die Dunkelheit ab noch das Wetter. Ich kann es nicht erwarten, zwischen schwarzen Felsen zu klettern und das dunkelgraue, aufgewühlte Meer zu beobachten. In heißen Pools zu plantschen, den Himmel über mir, Schneeflocken in meinem Gesicht. Vor allem aber kann ich es nicht erwarten, auf der Koppel zu stehen, oberhalb der Bucht, die Selbakki heißt, und Eldurs Namen zu rufen. Ihm entgegenzusehen, wie er auf mich zuläuft, die dunkle Mähne im eisigen Wind wehend, bis er schließlich so dicht vor mir steht, dass ich meine Stirn an seine legen kann.

»Eldur«, flüstere ich kaum hörbar in mich hinein, während ich dicht hinter meiner Mom in viel zu kleinen Schritten mit all den anderen Passagieren auf den Ausgang zugehe. »Eldur, Eldur, Eldur.«

»Ist das schön, wieder hier zu sein!« »Wir haben dich vermisst!« »Und ich euch erst!« »So schön, dass du wieder da bist!« »Du bist so gewachsen!« »Björn ist ja richtig groß geworden!«

Es ist so überwältigend, Hrönn und Magnus endlich um den Hals fallen, meinen kleinen Bruder in den Arm nehmen und ihn das allerallererste Mal Sarah zeigen zu können, dass ich nicht einmal merke, wann ich Isländisch spreche und wann Deutsch.

»Björn ist ganz pünktlich aufgewacht«, sagt Hrönn. »Er wollte auf keinen Fall die Ankunft seiner großen Schwester verpennen.«

»So ein kluger Junge!« Natürlich haben Hrönn und Magnus mir während der letzten Wochen ständig Fotos von meinem kleinen Bruder geschickt, aber ihn live vor mir zu sehen, im Arm zu halten und seinen süßen Babygeruch zu schnüffeln, ist einfach noch mal was ganz anderes. Ich knuddle Björn und drücke ihn dann Sarah in die Arme, die ihn schon die ganze Zeit verknallt anstarrt und mit seinen klitzekleinen Fingern spielt.

»Ganz der Papa!«, erklärt Magnus würdevoll. »Pünktlich und zuverlässig.«

»Was für ein wunderschönes Baby!« Sarah lächelt auf Björn hinunter und Björn lächelt selig zurück. Die Verliebtheit ist offenbar gegenseitig.

»Wie ich schon sagte«, meint mein Dad und grinst breit.

»Er hat dein Lächeln, Hrönn!« Mom ignoriert Magnus’ Kommentar und strahlt Dads Frau an.

»Halleluja«, meint Hrönn mit einem Seitenblick auf Dad. »Endlich jemand, der zugibt, dass ich auch was mit dem Baby zu tun habe.« Sie hakt sich bei Mom unter, die wie selbstverständlich weiter den kleinen Björn trägt und meinen Dad und mich mit den Koffern zurücklässt.

»Ich glaube, wir zwei sind jetzt abgemeldet«, meint mein Dad und zwinkert mir zu.

»Und ich glaube, ich muss mir doch keine Sorgen machen«, antworte ich, scheinbar zusammenhanglos, aber Magnus weiß sofort, was ich meine.

»Dass es seltsam wird, mit deiner Mom und Hrönn unter einem Dach?«

Ich nicke.

»Diese zwei Frauen könnten wirklich nicht unterschiedlicher sein«, sagt Magnus. »Aber ihre Großartigkeit verbindet sie.«

Ich hake mich bei Magnus unter, genau wie Hrönn vorhin bei Mom, und wir folgen den beiden großartigen Frauen in Richtung Parkplatz, jeder von uns einen Rollenkoffer hinter sich herziehend.

Keine 15 Minuten später biegen wir von der Hauptstraße auf die gewundene, schmale Straße ab, die nach Selbakki führt, in unsere Bucht.

Magnus fährt langsam und sehr vorsichtig, denn es ist richtig eisig und glatt draußen.

»Im Moment ist es rund ums Haus wie auf einem Eislaufplatz«, erklärt er.

Sarah drückt einen Kuss auf Björns kleine Hand, die er um ihren Zeigefinger geschlungen hat. »Wir bleiben einfach drinnen, wo es warm und gemütlich ist!«

»Vor dem Haus und auf der Treppe ist gestreut«, fügt mein Dad hinzu. »Aber bitte seid trotzdem vorsichtig beim Aussteigen.«

Hrönn hat sich geweigert, mir ein Foto ihrer Weihnachtsdekoration zu schicken, weil sie mir nicht die Überraschung verderben wollte, und jetzt bin ich froh darüber. Überall sind Lichterketten, um die Haustür und um alle Fenster herum. Links und rechts von der Tür steht je ein Tannenbäumchen in einem großen Topf, ebenfalls lichtergeschmückt, und daneben jeweils ein hölzernes Rentier, das bunte Mini-Lämpchen um sein Geweih geschlungen hat.

»Oh, Hrönn!«, rufe ich, noch bevor ich aus dem Auto klettere. »Es sieht so schön aus!«

»Es ist wirklich wunderschön, Hrönn!«, pflichtet Sarah mir bei. »So stimmungsvoll!«

»Ja, nicht wahr?«, antwortet Hrönn stolz, und zu Magnus gewandt: »Siehst du, es ist nicht übertrieben!«

»Kein bisschen!«, rufe ich.

»Okay«, meint Magnus grimmig. »Nächstes Jahr montierst du dreihundert Lichterketten und dann reden wir nochmal drüber, was übertrieben ist.«

Während er sich um die Koffer kümmert, Sarah den Kleinen aus seinem Sitz befreit und Hrönn vorausgeht, um im Haus alle Lichter einzuschalten, damit es schön gemütlich ist, wenn wir zur Tür hereinkommen, stehe ich einfach da und lasse den Wind an meiner Jacke zerren. Ganz tief atme ich die Luft ein, in der ich das Meer und die nahe Pferdeherde und das Versprechen von Schnee schmecke. Meine Mundwinkel wandern nach oben, immer weiter, und tief drinnen spüre ich ein ganz warmes Gefühl, das sich mit jedem Atemzug weiter durch meinen Körper ausbreitet. Ich bin zu Hause.

»Ihr Lieben«, sagt Mom und unterdrückt ein Gähnen. »Bitte seid mir nicht böse, aber ich glaube, ich muss ins Bett. Ich bin ziemlich geschafft.«

Die letzten Wochen waren hektisch für Sarah: Sie hat jede Menge Interviews gegeben, war Gast in TV-Talkshows und Radiosendungen. Das Interesse an dem Serienspecial, in dem sie nach so vielen Jahren ihre alte Erfolgsrolle wieder übernommen hat, war und ist enorm. Sie hat zwar bis jetzt jede Sekunde dieses Rummels genossen, aber ungewohnt und anstrengend ist es trotzdem.

Hrönn springt sofort auf. »Aber klar. Ich hab dir mein Arbeitszimmer hergerichtet, ich hoffe, es gefällt dir.«

Mom schenkt ihr ein ganz warmes Lächeln und antwortet: »Hrönn, das ganze Haus ist so wunderschön und warm und geschmackvoll, ich kann mir nicht vorstellen, dass mir irgendetwas hier drin nicht gefällt.«

Hrönn errötet vor Freude und Magnus strahlt. Es ist so toll, wie gut die beiden sich verstehen!

Sarah kommt zu mir, umarmt mich samt dem Tellerstapel, den ich in den Händen halte, und drückt mir einen Kuss auf die Haare. »Ich hab dich lieb wie verrückt«, murmelt sie.

»Einmal durchs Universum und wieder zurück«, antworte ich. »Schlaf gut, wir sehen uns beim Frühstück im Morgengrauen.«

»Das wird so gegen elf sein«, meint Magnus lachend. »Du kannst also richtig ausschlafen.«

»Klingt gut«, meint Sarah und umarmt auch Magnus. Ich werfe einen schnellen Blick zu Hrönn, aber sie lächelt zu meinen Eltern hinüber, als wären die beiden zwei große Kinder. Ihr Blick trifft meinen, und der Ausdruck in ihren Augen ist so weit entfernt von Eifersucht, wie er nur sein kann. Er scheint eher so etwas zu sagen wie »Sind sie nicht süß?«

Beinahe muss ich darüber lachen, dass ich mir Gedanken gemacht habe. Als die beiden Mütter nach oben verschwunden sind, frage ich Magnus, ob er und Hrönn es wirklich geschafft haben, vor ihren Nachbarn geheim zu halten, dass ich zu Weihnachten komme.

Magnus grinst. »Oskar hat es erraten.«

»Erraten?«, frage ich verblüfft.

»Na ja, letztes Jahr bin ich mit zwei Lichterketten ausgekommen. Das Beleuchtungs-Upgrade dieses Jahr hat uns wohl verraten.«

Ich muss lachen. »Hrönn ist so lieb.«

Er nickt. »Sie wollte, dass für euch alles perfekt ist.«

»Es wäre auch mit zwei Lichterketten perfekt gewesen.«

Mein Vater setzt einen leidenden Gesichtsausdruck auf. »Mir musst du das nicht erzählen!«

Er ist so locker, so gelöst, wie ich ihn von früher kaum kenne.

»Ich bin so froh, dass du Hrönn gefunden hast«, sage ich.

Er lächelt mich an. »Danke, Krutmúsin min. Das bedeutet mir sehr viel.« Er kommt zu mir und nimmt mich in den Arm. »Und es ist so schön, dass du wieder da bist«, murmelt er.

Ich nicke und drücke ihn ganz fest.

Hrönn kommt die Treppe herunter, und ihr Gesicht leuchtet wieder auf diese »Sind sie nicht süß«-Art, als sie Magnus und mich sieht.

»Es ist so schön, dich wieder hierzuhaben«, sagt sie auf Isländisch und Magnus und ich müssen lachen.

»Was ist denn?« fragt sie verblüfft.

Ich schüttle den Kopf und antworte auf Isländisch: »Es ist schön, wieder zu Hause zu sein.«

Björn, der in einem Körbchen auf Rollen bei uns in der Küche schläft, beginnt, kleine, gequälte Geräusche von sich zu geben. Während Hrönn ihn auf den Arm nimmt, um ihn zu stillen, meint sie: »Wir haben überlegt, was wir morgen unternehmen.« Sie lächelt, als sie mich ansieht. »Aber du willst bestimmt zu Eldur und Salka, oder?«

Ich nicke heftig. »Genau.« Eigentlich wollte ich ja heute noch …

»Aber nicht in der Dunkelheit!«, sagt Magnus, als hätte er meine Gedanken erraten. »Es ist spiegelglatt draußen, und wenn man nicht sieht, wo man hintritt, ist es zu gefährlich.«

»Ich glaube, dann gehe ich auch mal schlafen«, antworte ich. Na ja, ich weiß, das ist nicht wirklich eine Antwort auf das, was mein Vater gesagt hat. Es ist eher eine Ablenkungsstrategie, denn ich möchte auf keinen Fall, dass er mir das Versprechen abnimmt, heute nicht mehr rüberzugehen. Magnus scheint tatsächlich noch etwas sagen zu wollen, aber ich stehe auf und gähne so hingebungsvoll, dass er es sein lässt.

»Góða nótt!«, sage ich. »Und bis morgen.«

»Gute Nacht«, antworten beide. »Träum was Schönes.«

Auf dem breiten Fenstersims in meinem Zimmer, von dem aus ich genau auf Oskars Koppel sehen kann, liegen immer noch die Kissen, mit denen ich es mir bei meinem letzten Aufenthalt bequem gemacht habe. Und auf den Kissen liegen jede Menge kleine Päckchen! Sind das etwa Weihnachtsgeschenke? Aber warum bekomme ich sie dann schon vor Weihnachten? Als ich sie genauer betrachte, stelle ich fest, dass jedes der Päckchen eine Nummer trägt, von 12 bis 21. Ob das so eine Art isländischer Adventskalender ist? Ich bin verdammt neugierig, aber ich will nichts falsch machen, und beschließe deshalb, morgen früh erst mal Hrönn zu fragen, was es mit den Päckchen auf sich hat.

Ich öffne meinen Koffer und beginne, T-Shirts, Hosen, Fleecepullis und Unterwäsche in meinen hübschen weißen Holzschrank zu legen. Schon nach ein paar Minuten höre ich Hrönn und Magnus die Treppe heraufkommen und dann flüsternd an meiner Türe vorbeigehen. Hrönn hat beim Essen erzählt, dass Björn momentan zwei- bis dreimal pro Nacht aufwacht, und sie einfach ständig müde ist. Die erste Hälfte der Nacht schläft er am ruhigsten, weshalb sie meistens mit ihm schlafen geht. Ich hoffe, mein Brüderchen bleibt seiner Gewohnheit treu, denn dann werden während der nächsten Stunden alle hier im Haus schlafen – außer mir natürlich.

Und niemand wird etwas davon merken, wenn ich einen kurzen Ausflug nach draußen mache.

Ich ziehe meinen Pyjama an, schalte das Licht in meinem Zimmer aus, schiebe die Päckchen ein wenig beiseite und kuschle mich mit einer Decke auf die Fensterbank. Nach ein paar Minuten haben sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Eigentlich ist es auch nicht ganz finster. Die Nacht ist sternenklar und der abnehmende Mond gibt noch etwas Licht. Die Schimmel und die Schecken in der Herde sind natürlich besser zu erkennen, aber auch die Umrisse der Braunen und der Rappen kann ich nach ein paar Minuten ausmachen. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen. Sie sind so nah! Irgendwo da unten ist Eldur, mein Feuerpferd. Ich zwinge mich, noch etwas zu warten, um auch wirklich ganz sicher zu gehen, dass alle schlafen. Es ist erst kurz nach zehn Uhr abends, aber auch drüben bei Oskar sind die Fenster schon dunkel. In der finsteren Jahreszeit gehen die Isländer früher ins Bett, hat Magnus mir erklärt.

Schließlich halte ich es nicht mehr aus. Ich springe von meinem Fenstersitz und lausche erst mal ein paar Sekunden an meiner Zimmertüre, bevor ich sie vorsichtig öffne, und dann aufatme. Das Haus ist ganz still.

Ich ziehe Skihose und Anorak über meinen Pyjama und laufe in Strümpfen hinunter in die Küche. Aus der Vorratskammer hole ich eine Karotte – um Eldur zu versöhnen, falls er gekränkt ist, weil ich so lange weg war. Im Windfang schlüpfe ich in meine Schneestiefel und schon bin ich draußen, in der kalten, eisigen Luft, unter dem klaren Winterhimmel mit den unzähligen Sternen, die Pferdekoppel nur wenige Schritte von mir entfernt.

Ich will loslaufen, aber schon bei den ersten Schritten zieht es mir fast die Beine weg – Magnus hatte recht, der Boden ist total vereist. Mithilfe der Handy-Taschenlampe suche ich mir einen Weg über Grasbüschel und Steine, auf denen meine Sohlen nicht wegrutschen. Es ist wie eine Mischung aus Twister und Tempelhüpfen und erfordert meine volle Konzentration, sodass ich beinahe überrascht bin, als ich am Koppelgatter ankomme. Ich schlüpfe zwischen den Balken durch, eine Bewegung, die so vertraut ist – nicht nur, weil ich sie im Herbst so oft geübt, sondern auch, weil ich seither mindestens genauso oft davon geträumt habe. Ich schalte meine Handylampe aus, um die Pferde nicht zu irritieren. Ein paar tastende Schritte zeigen, was ich befürchtet habe: Die Koppel ist ebenso vereist wie der Weg, festgefroren in kleinen Hügeln und Gruben – ein Feld voller Stolperfallen.

Mein Blick hüpft von Pferd zu Pferd, auf der Suche nach einem Braunen mit einem kleinen, fast kreisrunden Abzeichen auf der Stirn. Eyja, Salkas freche Schimmelstute begrüßt mich als Erste und ich unterdrücke ein Lachen, als ihre weichen Nüstern mich von oben bis unten nach Essbarem absuchen. Wenn Eyja hier ist, kann Eldur auch nicht weit sein. Da vorne, ein paar Meter weiter, das ist er doch, das muss er sein! Das ist seine Nase, seine Mähne, sein Abzeichen! Ich bin drauf und dran, seinen Namen zu rufen, als direkt neben seinem Kopf ein Licht aufflackert und gleich wieder verschwindet. Erschrocken klappe ich den Mund wieder zu. Was kann das gewesen sein?

Ich muss mich getäuscht haben. Aber nein, da ist es wieder! Wie von einem Handy. Oder einer Taschenlampe. Jetzt ist es wieder weg.

Augenblicklich taucht die Erinnerung auf, stülpt sich über mich wie ein Eimer Eiswürfel und raubt mir den Atem. Die Erinnerung an jene Nacht, als Emil, Oskars Bruder, betrunken und laut schimpfend über die Koppel gestolpert ist. Als Eldur ihn von mir abgelenkt hat, Sekunden bevor er mich entdeckt hätte. Und die Erinnerung an die andere Nacht, als ich durch Zufall bemerkt habe, dass Eldur und drei weitere Pferde von der Koppel verschwunden sind. Die Nacht, in der Oskar, Magnus und ich Emil bis nach Varmahlid verfolgt haben, wo wir ihm Oskars beste Pferde samt seinem nagelneuen Hänger wieder abknöpfen konnten. Und weil die Pferde ohne mich futsch gewesen wären, hat Oskar mir damals Eldur geschenkt. Das Ganze hat also für mich auch sein Gutes gehabt, aber das hilft mir jetzt gerade kein bisschen.

Ist Emil zurückgekommen? Will er sich rächen? Was ist, wenn er mich entdeckt? Er ist sicher megasauer auf mich, weil ich ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht habe. Ich wage nicht zu atmen oder mich zu bewegen und will nur eines: weg! Zurück in die warme Sicherheit unseres Hauses! Doch dann ist da plötzlich ein Bild in meinem Kopf, oder eher eine Szene, die wie ein Film abläuft. Ich sehe meinen braunen Wallach, der aus dem Stand losgaloppiert, auf einen tobenden, betrunkenen, völlig unberechenbaren Mann zu, um mich vor ihm zu beschützen.

Eldur muss in dem Moment höllische Angst gehabt haben und wäre bestimmt lieber in die andere Richtung gelaufen. Wenn mein Pferd für mich seine Angst überwinden kann, dann kann auch ich meine Angst überwinden – für mein Pferd!

Gluggagægir

Bevor ich es mir anders überlegen kann, rufe ich laut: »Hey! Hey, du da!« und beginne, auf mein Pferd und den Unbekannten zuzustapfen.

Je näher ich der Futterraufe komme, desto weniger rutschig ist es, weil die in den Koppelboden getretenen Halme den Untergrund griffiger machen. »Hvað ertu að gera?«, schicke ich noch hinterher, als ich nicht sofort Antwort kriege, Was machst du da?

Wieder kommt keine Antwort. Ich bin jetzt nah genug, um die Hand nach Eldur auszustrecken, der ein paar Schritte auf mich zugekommen ist und mich ansieht, als wolle er sagen: »Na, das hat aber gedauert!«

»Eldur«, murmle ich und vergesse tatsächlich einen Moment lang alle Angst und Aufregung. Mein Eldur! Er macht eine Bewegung mit dem Kopf – »Sei’s drum!«, scheint das zu bedeuten, »Ich verzeihe dir.« Dann beginnt er, ganz zart am Kragen meiner Jacke zu nibbeln. Ich rubble mit den Fingern über seine Stirn, so wie er es mag, und als Reaktion drückt er seine Nase gegen meine Schulter und schließt die Augen, genau wie er es immer macht.

Meine Hand streicht über seinen Hals, seine Wange, sein Gesicht, und plötzlich ist da etwas Nasses, Klebriges auf meinen Fingern und ich mache unwillkürlich einen Schritt zurück. »Eldur, was hast du denn da?« frage ich erschrocken.

»Eine kleine offene Stelle unter dem Auge«, kommt die Antwort aus der Dunkelheit. »Ich wollte sie gerade desinfizieren. Wirst du noch weiter herumschreien, oder kann ich ihn jetzt in Ruhe verarzten?«

Das Erste, was ich spüre, ist Erleichterung. Die Stimme gehört definitiv nicht Emil, sondern jemandem, der viel jünger ist. Und es klingt auch nicht, als hätte er böse Absichten.

Ich bin trotzdem misstrauisch, als ein vielleicht vierzehn- oder fünfzehnjähriger Junge hinter Eldur auftaucht. Er spricht schnelles Isländisch und ich verstehe nicht jedes Wort, das er sagt, aber sinngemäß meint er wohl in etwa: »Wenn du seinen Kopf ruhig hältst, könntest du mir die Sache sogar leichter machen statt schwerer.«

»Du warst dabei, ihn zu verarzten?«, frage ich ungläubig. »Warum?«

»Na, du stellst Fragen! Damit es sich nicht entzündet, natürlich.«

»Schon, aber warum bist du überhaupt hier auf Oskars Koppel und verarztest Pferde? Du bist definitiv nicht der Tierarzt.«

»Du bist ja echt unheimlich schlau. Man könnte Angst vor dir kriegen.« Der Junge lächelt. »Ich gehöre zur Familie.« Sein Lächeln wird breiter. »Weihnachten verbringe ich immer bei Oskar. Und wenn der Tierarzt hier wäre, würde er sagen, ›lass den Jungen mal machen‹. Der kennt mich nämlich. Also?«

Der Junge trägt keine Mütze, ich kann sehen, dass seine Haare ziemlich durcheinander sind und er an seinem linken Ohrläppchen einen Ring trägt. Sein Blick ist – ebenso wie seine Stimme – ein bisschen frech, aber freundlich, und er hat ein nettes Lächeln. Vor allem aber scheint Eldur ihm zu vertrauen. Widerstandslos lässt er sich von dem Jungen mit dem Ohrring eine dunkle Lösung auf die Wunde träufeln und hält ganz still.

»Das blutet aber ziemlich«, stelle ich besorgt fest. »Sollen wir nicht doch den Tierarzt rufen?«

»Der würde auch nichts anderes machen«, sagt der Junge. »Die Wunde ist nicht tief, mach dir keine Sorgen. So was passiert schon mal beim Spielen. Kann auch sein, dass er sich an einem Busch aufgekratzt hat.«

Ich nicke. »Vielen Dank, dass du dich um ihn gekümmert hast. Und entschuldige, dass ich so misstrauisch war.« Ich überlege kurz. Oskar wollte die Sache mit dem Diebstahl damals nicht an die große Glocke hängen – »Familiensache«, hat er nur geknurrt. »Geht niemanden was an.« Aber wenn der Junge zur Familie gehört, wird er ja wohl Bescheid wissen.

»Ich hab nur einen Riesenschreck gekriegt, als ich bemerkt habe, dass jemand hier ist, mitten in der Nacht«, sage ich schließlich und füge zögernd hinzu: »Wegen der Sache vor zwei Monaten.«