Mondblumenrätsel - Christine Rath - E-Book

Mondblumenrätsel E-Book

Christine Rath

5,0

Beschreibung

In einer dunklen Neumondnacht am Bodensee kehrt die 17-jährige Lola nach einem geheimnisvollen Rendezvous nicht zur Jugendherberge zurück. Die Kripo ist alarmiert, vor allem, als Blut und der Schuh des Mädchens gefunden werden. Wenige Tage später wird auf dem Gelände der Landesgartenschau ein mit Mondblumen geschmücktes Grab entdeckt, in dem ein Mädchen im Brautkleid liegt. Ist es Lola? Die Kripo arbeitet auf Hochtouren, doch alle Spuren führen ins Nichts …

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Seitenzahl: 540

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Christine Rath / Dieter Jaeschke

Mondblumenrätsel

Kriminalroman

Zum Buch

Was geschah am finsteren See?  An einem heißen Sommerabend erfreuen sich Schüler der zehnten Klasse während ihrer Klassenfahrt in Überlingen am erfrischenden Bodensee. Nur die kesse 17-jährige Lola hat andere Pläne. Nach einem heimlichen Rendezvous mit einem Unbekannten kehrt sie nicht in die Jugendherberge zurück. Die verzweifelten Lehrer rufen die Polizei, die während ihrer fieberhaften Suche Blut und einen Schuh von Lola finden. Besonders alarmierend: Am Fundort wurde erst vor kurzem ein anderes Mädchen überfallen. Doch Lola bleibt trotz der großangelegten Suchaktion verschwunden. Kommissar Michael Harter und seine „Soko Lola“ sind ratlos. Wer war der mysteriöse Unbekannte, zu dem sich das Mädchen heimlich geschlichen hat? Nach tagelanger erfolgloser Suche wird auf dem Gelände der Bundesgartenschau in Überlingen ein mit Mondblumen geschmücktes Grab gefunden – aus dem eine Hand hinausragt. Ist das Mädchen, das dort in einem Brautkleid bestattet liegt, etwa die Vermisste? Ihr reicher Vater glaubt an Mord, doch nichts ist, wie es scheint. Sind die seltenen Mondblumen des Rätsels Lösung?

 

Die Autorin Christine Rath, Jahrgang 1964, lebt und schreibt am Bodensee, dem »Schwäbischen Meer«, wo sie mit ihrer Familie ein kleines Hotel betreibt. Hier findet sie durch die vielen interessanten Begegnungen und Situationen mit anderen Menschen neue Ideen für ihre Romane. Erholung und Ruhe findet sie in der zauberhaften Natur. Ihr Ehemann Dieter Jaeschke wurde an der Nordseeküste geboren, hat zunächst eine Ausbildung zum Reedereikaufmann sowie Schiffmakler absolviert und war als Seespediteur in London tätig. Anschließend wechselte er zur Polizei nach Berlin und studierte dort an der Hochschule für Wirtschaft und Recht. Insgesamt war Dieter Jaeschke 35 Jahre lang bei der Kripo tätig. Inzwischen lebt er seit sieben Jahren am Bodensee.

 

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

Sylter Sommerlicht (2019)

Kastanienfeuer (2017)

Windflüstern (2017)

Eisblumenglitzern (2016)

Heidezauber (2016)

Maiglöckchensehnsucht (2015)

Sanddornduft (2014)

Wildrosengeheimnisse (2013)

Butterblumenträume (2012)

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

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Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2020

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Gerry Bishop / shutterstock.com

Druck: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

ISBN 978-3-8392-6286-3

Widmung

Im Gedenken an Onkel Egon und seine Zeit in Groß Glienicke

Nachtlied

Müde sank der Tag

in den Arm der Nacht.

Sterne kommen zag

gnadenreich bewacht.

In den Bäumen ruhn

Vögel stumm und tief.

Sinnlos scheint das Tun.

Nur ein Käuzchen rief.

Mondbestrahlt und weiß

Schläft ein Engelskind.

Rosen duften heiß

in den kühlen Wind.

Laß auch uns erblühn,

innig sein und weit.

Nach des Tages Mühn

fühlen – Ewigkeit.

Franziska Stoecklin 1894 – 1931

Prolog Groß Glienicke DDR

Januar 1975

Klack. Das Geräusch der hinter ihnen zufallenden Tür ließ sie zusammenzucken. Hoffentlich hatte sie niemand gehört. Ein eiskalter Wind fuhr durch ihre langen Haare und ließ sie für einen Moment erblinden. Dabei war es ohnehin stockdunkel, kein einziger Stern war am Himmel zu sehen. Joachim bemerkte ihr Zögern und nahm wortlos ihre Hand. Sie hätte ihn so gerne noch einmal gefragt, ob das, was sie vorhatten, wirklich sein musste, doch ein Blick aus seinen dunklen Augen ließ sie verstummen. Längst hatten sie alles besprochen, Hunderte Male. Das Ganze genau geplant, in Gedanken und in vielen endlosen Gesprächen alle Gefahren durchgekaut. Und nun war der Tag gekommen beziehungsweise die Nacht, in der sie endlich fliehen wollten. Nur weg aus diesem Staat, diesem Unrechtsregime, das sie einsperrte, sie drangsalierte und nicht atmen ließ. Sie hielten es einfach nicht mehr aus: die ständigen Erniedrigungen, die Kon­trollen, die staatlichen Heucheleien, den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Doch plötzlich waren da diese unheimlichen Gewissensbisse … und Angst. Eine unbeschreibliche, riesengroße Angst, die ihr das Herz abzuschnüren drohte. Joachim dagegen schien ganz ruhig zu sein. Als würde er fühlen, was in ihr vorging, blieb er plötzlich stehen, um sie in die Arme zu nehmen. Für einen kurzen Moment ging es ihr besser, und sie konnte spüren, wie ihr Atem ruhiger wurde. Wenn er nur bei ihr war – was konnte ihr schon geschehen? Das Allerschlimmste, das passieren konnte – und der liebe Gott mochte das verhindern – war, dass sie entdeckt würden. Dann wäre ihr Schicksal besiegelt: Sie würden zu Staatsfeinden erklärt, durch die Mangel der Stasi gedreht und für lange Zeit in den berüchtigten Stasiknast und später in die Zuchthäuser wandern. Dann hätten sie nicht nur ihre Jugend, nein, sogar ihr ganzes Leben verwirkt. Doch an ihrer Liebe würde auch das nichts ändern. Joachim sah sie an und legte einen Finger auf die Lippen. Dann lächelte er. Und dieses Lächeln gab ihr die Kraft, die sie brauchte. Sie würden es schaffen und sich ein neues Leben aufbauen … in Freiheit! So, wie sie es sich seit langer Zeit erträumt hatten. Gerade vorhin, als sie nach der Feier von Onkel Egons 60. Geburtstag nach oben in das kleine Gästezimmer gegangen waren, hatten sie – hauptsächlich, um sich gegenseitig zu ermutigen – wieder einmal darüber gesprochen, wohin sie als Erstes reisen würden, sobald sie sich nur einigermaßen im Westen eingelebt und Arbeit sowie eine kleine Wohnung gefunden hatten. Nach Italien, Spanien oder doch lieber Frankreich? All diese Länder, die geografisch so nahe und dennoch für sie unerreichbar waren, würden sie bald kennenlernen. Doch das Wichtigste würde ihre innere Freiheit sein: Endlich alles laut und ohne zu zögern öffentlich aussprechen zu können – ohne Angst haben zu müssen, der Gast am Nachbartisch in der Kantine oder der Kollege im Betrieb könnte ein Mitglied der Stasi sein, der ihre geheimsten Gedanken und Gefühle an den über alle wachenden Staat verriet. Bis jetzt war dies zwar noch nicht geschehen, denn Joachim und sie hatten sich stets dem Druck gebeugt und ein zurückgezogenes und unauffälliges Leben als Werktätige in der Deutschen Demokratischen Republik geführt: Joachim als Facharbeiter für Holzspielzeug und sie als Arbeiterin in einem Lampenkombinat. Es wurden dort im Drei-Schichten-Rhythmus Lampen produziert, die sie in der DDR allerdings anschließend nie gesehen hatte. Es hieß, dass die Lampen in den Westen gegen Devisen verkauft wurden. Eigentlich wäre sie gerne Lehrerin geworden, doch der Gedanke an ein Studium war trotz ihrer guten Zensuren unmöglich gewesen. Ihre Mutter wurde wegen staatsfeindlicher Hetze verurteilt, nachdem diese lautstark gegen die Mangelwirtschaft (eigentlich nur den fehlenden Bohnenkaffee in der DDR) protestiert hatte.

Wann genau sie sich entschieden hatten, diesen so gar nicht demokratischen Staat zu verlassen, konnte sie nicht mehr genau sagen. Unzufrieden waren sie jedoch schon lange gewesen. Seit ihrer Hochzeit vor vier Jahren lebten sie in einer heruntergekommenen Einraumwohnung mit Ofenheizung und Toiletten auf dem Flur. An ein Telefon oder einen Trabbi war gar nicht zu denken. Die Warteliste für einen Neuwagen betrug viele Jahre, und die gebrauchten waren viel zu teuer. Doch erst als sie mitbekamen, welchen Erniedrigungen ein Freund von Joachim nach seinem Ausreiseantrag ausgesetzt war und ihre Nachbarin sogar nur deshalb schikaniert wurde, weil sie dreimal zu spät zur Arbeit kam und der Leiter des Fleischereikombinats sie daraufhin zu Hause aufgesucht und kontrolliert hatte, ob sie in geordneten Verhältnissen lebte, wurden die Gedanken an eine Flucht konkreter. Vor einem Jahr hatten sie nach mehrmaligen Versuchen endlich das erste Mal die Gelegenheit, Hannas Onkel Egon, der als linientreuer Leiter des Fischereiamtes ein Haus bewohnte, das sich in der Nähe der Mauer in Groß Glienicke befand, und den sie seit vielen Jahren nicht gesehen hatte, zu besuchen. Der Anlass war die Beerdigung ihrer Tante Gertrud gewesen, nur deshalb hatten sie endlich einen Passierschein für Groß Glienicke, das als Grenzgebiet für »normale« DDR-Bürger nicht zu betreten war, erhalten. An diesem Tag, als die Gäste der Trauerfeier in Onkel Egons Wohnzimmer bei Kaffee und Kuchen saßen, hatten sie oben im Gästezimmer auf den See geblickt. Auf einmal hatte Joachim gesagt: »Da drüben ist der Westen, Hanna. Die Menschen dort sind frei. Es sind nur ein paar Hundert Meter durch das Wasser.« Vielsagend hatte er sie dabei angesehen.

»Bist du verrückt? Siehst du nicht die beiden Mauern? Dazwischen den Streifen, auf dem die Wachen mit ihren Hunden patrouillieren? Das ist Wahnsinn, Joachim! Vergiss es«, hatte sie geantwortet. Doch Joachim hatte es nicht vergessen. Immer wieder hatte er seit der Beerdigung damit angefangen, natürlich nicht in der Öffentlichkeit, sondern nur, wenn sie alleine waren. Sie hatten Onkel Egon, mit dem sich Hannas Mutter schon vor vielen Jahren aufgrund ihrer gegensätzlichen politischen Einstellungen zerstritten hatte, immer wieder zu sich nach Ost-Berlin eingeladen, zum Kaffee, zum Geburtstag, zu Weihnachten. Und dieser hatte die Einladungen sehr gerne angenommen. Seit Gertruds Tod hatte er niemanden mehr, nur seine Fische und die Kollegen vom Fischereiamt. So war es auch nur natürlich, dass sie beide zu seinem 60. Geburtstag kommen sollten. Egon hatte sich selbst für ihren Passierschein eingesetzt und seine Beziehungen in der Partei spielen lassen. Bei diesen Gedanken wurde Hanna plötzlich ganz mulmig. Egon würde ganz alleine sein, wenn sie erst im Westen waren. Ganz zu schweigen davon, dass er garantiert fürchterlichen Ärger bekam. Ob er der Stasi begreiflich machen konnte, dass er wirklich nichts von ihren Fluchtplänen geahnt hatte?

Obwohl sie sich so bemühte, leise zu sein, knackte immer wieder ein Ast unter ihren Füßen. Wenn es nur nicht so dunkel wäre! Nur die grellen Lampen auf dem Mauerstreifen spendeten ein wenig Licht. Wenn es heller wäre, würde man sie vielleicht sehen, wie sie durch das kleine Waldstück huschten, das zwischen Onkel Egons Haus und dem See lag, dachte Hanna. Joachim hatte recht: Diese Nacht war perfekt für das, was sie vorhatten. Am Nachmittag hatten sie wieder einmal oben am Fenster des Gästezimmers gestanden und die Menschen beobachtet, die auf dem zugefrorenen See Schlittschuh liefen. Es sah so nah aus! Und doch waren diese Menschen unglaublich fern, sie waren im Westen. Ihr ursprünglicher Plan war gewesen, die schmale Stelle des Sees zu durchschwimmen. Doch jetzt im Winter war es viel besser – sie brauchten nur im Schutze der Dunkelheit die kleine Strecke über das Eis zu laufen. Die Sperranlage befand sich direkt am See. Nur ein paar Schritte – und schon waren sie in der Freiheit. Vorausgesetzt, es gelang ihnen, die beiden Mauern zu überwinden, die immerhin circa dreieinhalb Meter hoch waren. Joachim trug die Leiter, die er am Nachmittag aus dem Schuppen neben dem Haus geholt und dahinter versteckt hatte, als er vorgab, die Bierkästen für die Geburtstagsfeier ins Haus holen zu wollen. Besondere Angst hatte sie vor den scharfen Trassenhunden, die an langen Ketten zwischen den Mauern herumliefen. Joachim hatte selbst daran gedacht und einen großen Knüppel mitgenommen, um die Hunde möglicherweise abzuwehren. Wegen der großen Kälte in der Nacht wurden die Hunde eventuell abzogen, dachte sie hoffnungsvoll. Jedenfalls hatten sie in der vergangenen Nacht kein Hundebellen gehört. Das Zittern in ihr, ausgelöst durch die Angst und die eisige Kälte, wurde immer stärker. Wenn nur nicht ihr Herz so stark pochen würde und ihr Kopf so fürchterlich wehtun würde!

Plötzlich hörten sie ein lautes Knacken. Hanna erstarrte vor Schreck und blieb wie angewurzelt stehen. Was war das? Da …wieder das Geräusch, als ob jemand auf einen Ast getreten wäre. Jemand, der viel größer und schwerer war als sie! In der eintretenden Stille konnte sie ihren eigenen Atem hören. Was, wenn man sie doch bemerkt hatte? Wieder das laute Knacken, doch diesmal schien es ein klein wenig weiter weg zu sein. Sie versuchte, im Dunkel der Nacht irgendetwas zu erkennen, doch sie hörte nur das Knacken, das schwächer wurde. Als es verstummte, setzten sie ihren Weg langsam fort. »Was war das?«, fragte sie so leise, dass sie sich selbst kaum verstand. »Nur ein Tier«, flüsterte Joachim kaum hörbar. War es wirklich nur ein Wildschwein oder ein Reh gewesen? Ihr Herz wollte sich nicht beruhigen. Sie wollte umdrehen, zurück in ihr warmes Bett, am Morgen mit Onkel Egon am Frühstückstisch sitzen und seinen selbst geräucherten Fisch essen. Sie wollte zurück zu Ilse, ihrer Freundin, die ihr aus dem Konsum oft Bückware besorgte und langweilige Geschichten über ihre Familie erzählte. Sie wollte überall sein, nur nicht hier. Was, wenn es ihnen gar nicht gefiel im Westen? Wenn sie scheitern und unglücklich werden würden? Dann hatten sie ihr Leben umsonst riskiert, alles aufgegeben, was ihnen lieb und teuer war. Joachim ließ für einen Moment ihre Hand los, um ihr den Stock zu übergeben und sich die Leiter unter den Arm zu klemmen. Es waren nur noch wenige Meter, dann hatten sie die Vormauer erreicht. Auf einmal wurde der Weg ganz schmal, deshalb ging Joachim vor. Sie betrachtete seinen breiten Rücken, seine starken Arme und ärgerte sich über ihre negativen Gedanken: Nein, sie würden nicht unglücklich werden! Niemals. Sie hatten sich. Und das kleine Wesen, dessen Herzchen neben ihrem schlug. Sie wusste es erst seit einer Woche und hatte es Joachim noch nicht gesagt. Er hätte es sich zwar denken können, da sie heute Abend nichts von dem Rotkäppchen-Sekt getrunken hatte, den sie sonst so liebte. Ilse hatte es neulich sofort daran erkannt, als sie bei ihr war, um die bestellten Kartoffeln aus dem Konsum abzuholen und Ilse wie gewohnt einen kleinen Kirschlikör für sie beide eingoss. Sie hatte lächelnd abgelehnt, und Ilse hatte sie nur angestarrt. Dann hatte sie ihre dicken Arme um sie gelegt und gesagt: »Mensch, Hanna, mir kannste doch nix vormachen, du bist schwanger! Ach, ick freu mir so für euch!« Joachim dagegen hatte noch nichts bemerkt. Er war heute Abend wohl viel zu sehr von ihrem Vorhaben abgelenkt gewesen, um zu bemerken, was sie zu sich nahm. Nein, ihr Kind sollte nicht in diesem System, sondern frei aufwachsen. Dieser Gedanke gab ihr plötzlich große Kraft. Sie hatten es ja fast geschafft! Direkt vor ihnen stand schon die erste Mauer. Joachim lehnte die Leiter dagegen. Sie zwang sich, in Ruhe weiterzuatmen, als er langsam nach oben stieg. Sie hatten alles genau besprochen: Joachim sollte als Erster über die Mauer klettern. Falls er erwischt werden würde, sollte Hanna zu Egons Haus zurücklaufen und so tun, als würde sie schlafen. Als ob sie das könnte! Ihr Herz klopfte zum Zerspringen, als sie Joachim oben angekommen sah. Vorsichtig sah er sich um, nichts und niemand war zu sehen. Nur das Licht der Sperranlage irritierte ihn. Er legte sich auf die Mauerkrone, um nicht gesehen zu werden, dann gab er ihr ein kurzes Zeichen, ihm zu folgen. Schnell stieg sie die Stufen der Leiter hinauf und legte sich ebenfalls auf die Mauer. Im Halbdunkeln erkannte sie den schmalen Streifen, der diese Mauer von der nächsten trennte. Eben diese mussten sie noch überwinden, dann würden sie auf dem See sein. Und über das Eis in die Freiheit laufen!

Doch jetzt kam der gefährlichste Teil des Unternehmens. Sie mussten schnell handeln und durften nicht entdeckt werden. Hoffentlich schlugen die Kettenhunde nicht an. Bitte, lass die Grenzer auf dem Wachturm nichts bemerken, betete sie innerlich. Ihr war schwindelig vor Angst. Joachim hob die Leiter hoch und stellte sie auf der anderen Seite ab. Sofort stieg er schnell herunter und sie folgte ihm. Nur noch wenige Schritte bis zur nächsten Mauer – dann hatten sie es geschafft. Doch auf einmal hörten sie lautes Hundegebell. Grelle Scheinwerfer warfen ein gespenstisches Licht in die Dunkelheit. Eine eiskalte Hand griff nach Hannas Herzen. Zitternd blieb sie stehen. Joachim rannte mit der Leiter ein kleines Stück weiter und rief aufgeregt: »Komm!« Als er ihr Zögern bemerkte, kehrte er um, um ihr die Hand zu reichen.

Plötzlich ertönte eine laute Stimme: »Halt, stehen bleiben!« Wieder wollte Joachim sie zu sich ziehen, doch er bekam ihre Hand nicht zu fassen. Ein kurzes Zögern, dann lief er mit der Leiter in der Hand zur zweiten Mauer. Gleichzeitig ertönte wieder die durchdringende Stimme: »Stehen bleiben oder wir schießen!«

Joachim drehte sich verzweifelt nach ihr um. »Komm, Hanna!«, flehte er. »Die kriegen uns nicht, wir sind gleich drüben!«

Er machte einen weiteren Schritt nach vorne, doch Hanna war wie gelähmt.

Sie sah, wie sich ihr Mann mechanisch wie ein Roboter zur zweiten Mauer, vor der Stacheldraht gespannt war, bewegte. Dort wandte er den Kopf zu ihr und rief noch einmal verzweifelt: »Komm doch!«, aber Hanna war starr vor Angst. Joachim gab sich einen Ruck, dann ging er einen Schritt auf die große Mauer zu. Als er beinahe direkt davor stand, hörte Hanna plötzlich einen lauter Knall. Joachim reagierte nicht, er wusste, er hatte nichts mehr zu verlieren. Es war nur noch ein kleiner Schritt, dann konnte er sich über die Mauer hieven. Wenn er es schaffte, dann konnte er vom Westen aus versuchen, Hanna herauszuholen. Er streckte die Hand aus nach der Freiheit, worauf ein tosender Feuerstoß aus einer Maschinenpistole erfolgte. Starr vor Entsetzen sah Hanna, wie Joachim vor ihren Augen zusammenbrach. Noch einmal wandte er den Kopf zu seiner Frau. Ein letztes Mal hob er den Arm, als wolle er ihre Hand ergreifen. Dann sackte er leblos zu Boden. In diesem Augenblick zerriss Hannas Herz. Kurz bevor sie selbst zusammenbrach, hatte sie nur einen Gedanken: Es war aus und vorbei. Sie würde Joachim nie wiedersehen. Nicht nur ihr gemeinsamer Traum – auch ihr ganzes gemeinsames Leben war in diesem Moment vorbei.

1. Kapitel Ankunft am Bodensee

Juli 2020

»Drängelt doch nicht so! Ihr kommt schon alle mit!« Felix Schäfer wischte sich mit der einen Hand den Schweiß von der Stirn, mit der anderen zeigte er in die Richtung, in die sich seine Schüler bewegen und einen Platz suchen sollten. Hoffentlich waren alle in den Zug eingestiegen. Das letzte Umsteigen am Bahnhof in Singen war ein einziges unübersichtliches Chaos gewesen, sodass er nun, wenn auch nur leicht, in Panik geriet. Er konnte nur hoffen, dass sich die gesamte Klasse 10 c im Zug von Radolfzell nach Überlingen befand. Glücklicherweise bestand die Regionalbahn aus nur vier Waggons. Somit war die Gefahr, dass sie jemanden verlieren oder am Bahnhof vergessen könnten, nicht ganz so groß. Er atmete tief durch, bald hatten sie es geschafft! Ihr Ziel war Überlingen, dieses würden sie in 20 Minuten erreichen und dort aussteigen. Hoffentlich. Wenigstens waren sie schon einmal gut in Radolfzell angekommen, doch die Fahrt von Stuttgart bis hierher war nicht wirklich ein Vergnügen gewesen. Denn die Klasse, die sich in den letzten Monaten in seinem Unterricht mehr oder weniger pflegeleicht gezeigt hatte, schien außer Rand und Band, seitdem sie den Hauptbahnhof in Stuttgart verlassen hatten. Entweder hatten sie alle laut durcheinandergeredet und Pläne für die bevorstehenden Tage am Bodensee geschmiedet oder die Abteile verlassen, um sich woanders niederzulassen. Mein Gott, worauf hatte er sich nur eingelassen? Dabei hatte er geglaubt, seine erste Klassenfahrt würde richtig Spaß machen. Schließlich konnte das Wetter nicht besser sein. Seit Tagen machte der Sommer seinem Namen alle Ehre, und die Wetteraussichten für die kommenden Tage waren ebenfalls vielversprechend, sodass sie das ganze Bodensee-Programm inklusive Pfahlbauten, Insel Mainau und Affenberg und natürlich der Landesgartenschau, weswegen er hauptsächlich den Ort Überlingen ausgewählt hatte, wohl bei strahlendem Sonnenschein absolvieren konnten. Er durfte nur nicht vergessen, bei ihren Unternehmungen ausreichend Getränke mitzunehmen, denn im letzten Zug hatten die ersten Mädchen schon über Kreislaufprobleme geklagt, vermutlich weil sie heute früh nicht nur zu wenig gegessen, sondern viel zu wenig getrunken hatten. Und das bei dieser Hitze! Nun, das sollte das kleinste Problem sein, er hatte bei seinen Vorbereitungen im Internet gesehen, dass sich ganz in der Nähe der Jugendherberge ein großer Supermarkt befand.

Felix schnappte seinen Rucksack und schob sich an den Schülern und den zahlreichen Gepäckstücken im Gang vorbei, da er im nächsten Abteil einen freien Sitzplatz erspäht hatte.

»He, lasst uns mal durch! Wir müssen in den Speisewagen!« Die beiden Schüler Simon und Raphael stolperten derart ungeschickt an ihm vorbei, dass er das Gleichgewicht verlor und unsanft gegen eine junge Frau prallte, die gerade versuchte, ihren großen Koffer in die Gepäckablage über ihnen zu hieven. Es kam Felix so vor, als seien die beiden jungen Burschen bereits angetrunken. Vermutlich hatten sie sich nicht an das Alkoholverbot gehalten, sondern auf der Fahrt von Stuttgart nach Singen heimlich ein Bierchen gezischt.

»Hier gibt es keinen Speisewagen!«, rief er ihnen wütend hinterher.

»Hallo, können Sie nicht aufpassen?«, schimpfte die zierliche junge Frau, die er eben so unsanft angerempelt hatte, und drehte sich wütend zu ihm um. Obwohl Felix klar war, dass die Liebe auf den ersten Blick nur eine Erfindung der Roman- und Hollywoodfilm-Industrie war, verschlug es ihm, der normalerweise um einen flotten Spruch keineswegs verlegen war, die Sprache. Die junge Frau, die ihn gerade aus funkelnden blauen Augen wütend anblickte, war nämlich ausgesprochen hübsch.

»Warten Sie …« Statt auf ihren Vorwurf zu antworten, nahm er ihr den schweren Koffer ab, um ihn mit leichter Hand nach oben in die Gepäckablage zu befördern. »Naimi Winter, Kampstraße, Hamburg«, konnte er auf dem kleinen Gepäckanhänger, der an dem Koffer befestigt war, lesen. Mit Schwung wuchtete er seinen Rucksack neben ihren Koffer.

»Oh, wie nett«, hauchte sie mit einem versöhnlichen Lächeln. Das ist ja mal ein Kavalier, ging ihr durch den Kopf. Wann hatte sie ein solches Verhalten in der letzten Zeit erlebt? In der Großstadt jedenfalls nicht. Unter ihrem Blick spürte Felix, dass er rot wurde. Mein Gott, er war doch keine 16 mehr wie seine Schüler, sondern beinahe doppelt so alt, nämlich 31!

»Bitte entschuldigen Sie, das war keine Absicht eben«, sagte er nun, als sie sich auf den freien Platz setzte, den er eigentlich für sich im Auge gehabt hatte.

»Das weiß ich doch«, entgegnete sie lächelnd und nahm die große Tasche, die nicht weniger schwer aussah als der Koffer, den er gerade auf die Ablage bugsiert hatte, vom gegenüberliegenden Platz. »Bitte, dieser Platz ist auch noch frei. Ich hatte nur meine Tasche kurz darauf geparkt, um die Hände für den Koffer frei zu haben.« Dankbar ließ Felix sich auf den freien Platz ihr gegenüber fallen und betrachtete sie. Ihr Haar war hellblond, lang und glatt und ihr rundes Gesicht mit ein paar lustigen Sommersprossen gesprenkelt.

»Danke. Da kann ich wenigstens ein paar Minuten durchatmen«, freute er sich.

»Sie haben es nicht leicht. Schulausflug?«, wollte sie darauf wissen.

Er nickte. »Genauer gesagt: eine Woche Klassenreise an den Bodensee«, antwortete er grinsend. »Sie haben es aber auch nicht leicht, ich spreche von Ihrem Gepäck«, was ihr wieder ein Lächeln entlockte.

»Da haben Sie wohl recht. Ich bin auf dem Weg nach Überlingen. Meine Mutter betreibt dort ein Café, und ich möchte den restlichen Sommer bei ihr verbringen. Deshalb habe ich so viel dabei!«

Seufzend schob sich Nini eine Haarsträhne hinter das Ohr. Nur dass ihre Mutter Maja Winter noch gar nichts von ihrem Vorhaben wusste. Es war ja nicht so, dass ihre Mama sich nicht über ihren Besuch freuen würde, da war sich Nini ganz sicher. Allerdings kannte sie den Grund dafür nicht, und Nini hatte keine Ahnung, wie sie darauf reagieren würde, dass Nini nicht nur den Sommer, sondern möglicherweise ihr ganzes Leben wieder am Bodensee verbringen wollte. Ihre Mama war ja so froh gewesen, dass sich Nini in Hamburg gut eingelebt hatte und mit ihrem Job und ihrem Freund Freddy glücklich geworden war. Doch diese Zeiten waren eine Weile her, und Nini hatte ihrer Mutter nicht erzählt, was in den letzten Monaten geschehen war. Das Letzte, was Nini wollte, war, ihrer Mutter neue Sorgen zu machen. Schließlich hatte diese eine sehr schwere Zeit hinter sich. Es war ja noch nicht so lange her, dass ein großer Brand Mamas schönes Café »Butterblume« am Seeufer in Nußdorf beinahe vernichtet hatte und sie danach wochenlang unter einem Stalker zu leiden hatte. Als sie dann endlich nach monatelanger Arbeit die »Butterblume« wiedereröffnen konnte, hatte sich Nini nicht getraut, ihr zu erzählen, dass ihr eigenes Leben inzwischen komplett aus den Fugen geraten und sie selbst nur noch ein Häufchen Elend war. Nein, sie durfte Mama nicht noch mehr Sorgen bereiten. Erst einmal würde sie nach Hause kommen, und Mami sollte sich freuen. Irgendwann würde sie ihr schon gestehen, dass es inzwischen weder den tollen Job noch Freddy und nicht einmal mehr die hübsche Wohnung in Hamburg gab.

»Woher kommen Sie?«, fragte sie Felix stattdessen, mehr, um sich selbst von den trüben Gedanken abzulenken.

»Aus Stuttgart. Felix Schäfer«, stellte er sich vor.

»Soso, Herr Schäfer, und Sie sind Lehrer in Stuttgart? Ich bin übrigens Naimi, aber meine Freunde nennen mich Nini. Ich glaube, wir können uns duzen, oder?«, antwortete Nini, da der junge Mann nur ein paar Jährchen älter als sie zu sein schien. Groß gewachsen und mit dem spitzbübischen Grinsen in seinem attraktiven Gesicht, den hellbraunen Haaren und der sportlichen Figur war er bestimmt der Schwarm aller Schülerinnen, dachte sie. Sein Blick war ihr keineswegs entgangen, auch wenn sie so getan hatte, als würde sie in ihrer Handtasche wühlen.

»Gerne. Ich bin Klassenlehrer der 10 c an der Jahn-Realschule in Bad Cannstatt. Und was machst du so, Naimi, wenn du nicht gerade deine Mama besuchst?«

»Ich lebe, nein, ich habe bis jetzt in Hamburg gelebt.Jetzt treibt mich die Sehnsucht zurück an den See«, ließ sie Felix wissen.

»Das kann ich gut verstehen. Ich habe in Ravensburg studiert und wäre gerne in der Nähe geblieben. Weil es aber, als ich fertig war, nirgendwo am See eine freie Stelle für mich gab, bewarb ich mich in Stuttgart. Um ehrlich zu sein, würde ich viel lieber hier leben.« Felix ließ seinen Blick, der die ganze Zeit auf der hübschen Nini geruht hatte, über den blauen See schweifen, der nun in der Sonne glitzernd vor ihnen lag.

»Es ist so traumhaft schön hier, und so ruhig. Ganz anders als in der hektischen Großstadt«, freute er sich.

»Nun ja, ruhig ist es nicht überall. Mit Sicherheit tummeln sich momentan wieder sehr viele Touristen in den hübschen kleinen Orten wie Meersburg und Lindau. Auch in Überlingen ist immer viel los«, warf Nini grinsend ein.

Verflixt, sie waren schon in Sipplingen! Gleich würde der Zug in Überlingen einlaufen, dabei könnte er den ganzen Tag in diesem heißen Zug sitzen, auf den See schauen und mit der hübschen Nini plaudern, dachte Felix bedauernd. Ob er sie nach ihrer Nummer fragen sollte? Oder war das zu aufdringlich? Allerdings würden sie sich sehr wahrscheinlich nie wiedersehen, wenn sich in Überlingen ihre Wege trennten.

»Kommst du, Felix? Wir müssen die Schüler zusammentrommeln. Wer weiß, wo die sonst landen«, unterbrach ihn plötzlich die leicht nörgelige Stimme seiner Kollegin Carina Brinkmann, die zwar nur zwei Jahre älter, jedoch was Klassenfahrten anging, wesentlich erfahrener war als er. Sie war es auch, die seine Begeisterung bereits im Vorfeld gedämpft und ihn auf alle möglichen Dinge hingewiesen hatte, die unterwegs passieren konnten. Er hatte es ihrer pessimistischen Art, die sie zuweilen an den Tag legte, zugeschrieben, doch schon während der Zugfahrt von Stuttgart nach Singen hatte sich eine Ahnung in ihm breitgemacht, dass Carina vielleicht doch nicht so unrecht mit ihren düsteren Prophezeiungen haben könnte.

»Ja, klar.« Unwillig erhob sich Felix und nahm nicht nur seinen Rucksack, sondern auch gleich Ninis schweren Koffer aus der Gepäckablage. Nun war es zu spät, Nini nach ihrer Handynummer zu fragen, denn diese blöde Carina blieb einfach neben ihm stehen, und er konnte ja wohl kaum in ihrer Gegenwart eine andere Frau um ein Wiedersehen bitten. Außerdem würden die nächsten Tage ohnehin mit anderen Dingen ausgefüllt sein, dachte er seufzend.

»Also dann, Naimi: Ich wünsche dir eine schöne Zeit am See!«, verabschiedete er sich und spürte das leichte Bedauern. Wenn Nini es ebenfalls schade fand, dass sie ihr nettes Gespräch nicht fortsetzen konnten, ließ sie es sich nicht anmerken. Stattdessen schenkte sie ihm noch einmal ihr süßes Lächeln und bedankte sich für seine Hilfe mit ihrem Koffer.

»Tschüss, Felix! Vielleicht sieht man sich ja mal? Überlingen ist ja nicht so groß!«

Er nickte und hob unter dem strengen Blick Carinas zum Abschied die Hand. Seit langer Zeit wünschte er sich zum ersten Mal, ein Mädchen wiederzusehen.

*

»Boah, ist das eine Hitze! Und ich hab nix mehr zu trinken. Wo kann ich hier eine Cola kaufen?« Simons ohnehin schon leicht arrogante Stimme klang nörgelig.

»Ja, trinken, ich will auch was trinken«, pflichtete Amelie ihm bei. »Das war so widerlich in dem Zug, der Typ neben mir hat abartig nach Schweiß gestunken. Ich brauch dringend frische Luft!« Sie wartete kurz auf eine Antwort ihrer Freundin Lola und verdrehte kurz darauf die Augen, nachdem diese nicht reagierte, sondern stattdessen dem jungen Mann, mit dem sie während der Fahrt bereits Blickkontakt aufgenommen hatte, ein Lächeln schenkte.

»Ist der nicht süß?« Typisch Lola, sie hatte Amelie gar nicht zugehört.

Amelie ignorierte ihre Frage, denn schließlich fand die Freundin ständig einen Typen »süß«.

»Seid ihr alle da?« Die Stimme von Felix Schäfer klang leicht panisch, als die Gruppe von 25 jungen Schülern im Teenageralter endlich auf dem Bahnsteig in Überlingen zusammentraf. Obwohl es nur ein Gleis gab, schien die Menge der reisenden Gäste völlig unübersichtlich.

»Tri tra trallala, das Kasperle ist wieder da. Seid ihr alle da?«, höhnte Simon, worauf seine Mitschüler in lautes Gelächter ausbrachen.

»Könnt ihr euch bitte alle in einer Reihe aufstellen? Und achtet darauf, dass ihr alle eure Gepäckstücke habt!«, ordnete Schäfer, Simons freches Benehmen ignorierend, mit lauter Stimme an.

»Haha, in einer Reihe, und dann laufen wir wie die Entchen hintereinander her?«, äffte Simon den Lehrer weiter nach. Grinsend wandte er sich an den neben ihm stehenden Mitschüler: »Das soll ein Bahnhof sein? Da gibt es ja nur ein Gleis. Der kleinste Vorort von Stuttgart hat einen größeren Bahnhof!«

Schäfer ignorierte diese flapsige Bemerkung und gab der Gruppe stattdessen kund:

»Gleich hier oben ist ein Kiosk, wo ihr etwas zu trinken kaufen könnt. Aber entfernt euch nicht davon, wir treffen uns in zehn Minuten direkt vor dem Kiosk, alles klar?« Er musste sich erst einmal schlaumachen, auf welchem Wege sie zur Jugendherberge gelangen konnten. Eigentlich wollten sie am Bahnhof Überlingen in die andere Bahn in Richtung Friedrichshafen wechseln, um kurz darauf in Nußdorf auszusteigen. Vom Bahnhof Nußdorf wäre es nur ein kurzer Spaziergang zur Martin-Buber-Jugendherberge gewesen. Da der Zug aus Radolfzell jedoch mit Verspätung ankam, hatten sie den Anschluss knapp verpasst. So ein Mist! Schäfer hoffte, dass sie nun nicht den ganzen Weg zu Fuß gehen mussten. Das würde nur wieder Gemaule geben. Allerdings war die Aussicht darauf, bei dieser Hitze die Stunde, bis der nächste Zug nach Nußdorf fuhr, am Bahnhof herumzuhängen, auch keine wirklich erfreuliche. Zum Glück gab es ja ein Handy. Allerdings brachte die Information, die er nach wenigen Minuten erhielt, neuen Stress mit sich. Es gab zwar einen Bus nach Nußdorf, doch dieser würde bereits in fünf Minuten abfahren, und die Schüler waren teilweise im Kiosk oder auf dem Bahnhofsgelände verteilt.

So schnell er konnte, hastete er zum Kiosk und gab seiner Kollegin Carina im Vorbeigehen einen Wink, alle anderen Schüler, die sich bereits auf dem Bahnhofsgelände ausgebreitet hatten, zusammenzutrommeln.

»Alle rauskommen, bitte! Unser Bus fährt in fünf Minuten ab!«, gab Felix im Kiosk lautstark die Anweisung, wo­rauf sich sämtliche Köpfe der dort Anwesenden ihm zuwandten.

»Ich meine natürlich: alle Schüler der Klasse 10c!«, setzte er hinzu.

»Aber ich hab doch noch gar nichts ausgesucht.« Lola machte einen Schmollmund.

»Selber schuld. Du hattest zehn Minuten Zeit und hättest diese ja nicht verschwenden und in den Modeheftchen blättern müssen.«

Zur Bekräftigung seiner Worte klatschte er in die Hände.

»Auf geht’s! In zwei Minuten ist Abfahrt, Leute!«

Murrend begab sich die Gruppe zur Bushaltestelle, wo Carina mit dem Rest der Jugendlichen wartete und ebenfalls die erhitzten Gemüter zu beruhigen versuchte.

»Wir sind gleich da. Es gibt auch in der Jugendherberge etwas zu trinken! Dort werden wir die Zimmer beziehen und unser Gepäck abstellen. Natürlich könnt ihr euch dort etwas frisch machen. Sobald das erledigt ist, geht es gleich los …«

»… an den See!«, unterbrach Lola ihren jungen Klassenlehrer und schenkte ihm ein verführerisches Lächeln.

»Selbstverständlich gehen wir an den See. Aber nicht zum Baden. Das können wir vielleicht später tun, wenn genug Zeit ist. Erst einmal steht ein Besuch der Landesgartenschau auf dem Programm. Das ist ja der Hauptgrund unserer Reise«, ordnete dieser konsequent an, ohne Lolas Lächeln zu erwidern

Er atmete tief durch. Na, das konnte ja heiter werden! Felix Schäfer wischte sich den Schweiß von der Stirn. Augen zu und durch. Immerhin konnte er sich aufgrund seiner beeindruckenden Größe und der tiefen Stimme wesentlich besser durchsetzen als die kleine, zierliche Carina mit ihrer Piepsstimme, obwohl er ihr das natürlich nie sagen würde. Auf einmal war er froh, dass sie dabei war, auch wenn ihn die Aussicht auf ihre Gegenwart über mehrere Tage anfangs nicht so recht erfreut hatte. Seitdem er im letzten September als Lehrer für Mathematik und Biologie an die Jahn-Realschule gekommen war, hatte sie seine Nähe gesucht. Anfangs hatte er nur geglaubt, dass Carina nur nett sein und ihren neuen Kollegen in die Gepflogenheiten der Schule einweihen wollte, doch spätestens seit dem Abend, als sie gemeinsam im Kino waren, hatte er gespürt, dass sie mehr als nur seine Kollegin sein wollte. So hatte sie jedes Mal, wenn er das Lehrerzimmer betrat, einen Grund gesucht, ihm nahe zu sein und darüber hinaus verschiedene Aktivitäten, die sie gemeinsam unternehmen könnten, vorgeschlagen. Er hatte sich jedoch zu keinen weiteren privaten Verabredungen hinreißen lassen, denn er hatte absolut nicht die Absicht, etwas mit einer Kollegin anzufangen und mit Carina schon gar nicht. Sie war nicht sein Typ, und davon abgesehen wollte er sich erst in Stuttgart und an der Schule einleben und sich nicht gleich in eine Beziehung stürzen. Daher versuchte er, den Kontakt zu Carina in der Schule – so gut es eben ging – auf das Nötigste zu beschränken. Und nun waren sie am Bodensee und hatten die gemeinsame Aufgabe, diese Horde Teenager im Alter zwischen 16 und 17 Jahren zusammenzuhalten. Felix war bis jetzt der Meinung gewesen, dass es sich bei den jungen Leuten immerhin um junge Erwachsene, mit denen man reden und denen man ruhig die eine oder andere Freiheit genehmigen konnte, und nicht um verzogene Kleinkinder handelte, doch Carina hatte ihn vorgewarnt, ja nicht zu großzügig gegenüber den Jugendlichen zu sein. Sie hatte ihm von einer Klassenfahrt nach Berlin berichtet, nach der sie sich sowohl vor der Schulleitung als auch vor aufgebrachten Eltern verantworten musste, weil eine Schülerin derart exzessiv Alkohol konsumiert hatte, dass sie im Krankenhaus gelandet war. Nun, hier waren sie in der beschaulichen Provinz am Bodensee und nicht in der gefährlichen Hauptstadt Berlin. Es würde schon alles gut gehen, sprach er sich selbst Mut zu. Als einer der Schüler im Bus jedoch einen anderen derart heftig schubste, dass dieser gegen eine ältere Dame rempelte, und der Verursacher sich dafür nicht einmal entschuldigte, war sich Felix Schäfer allerdings nicht mehr so sicher.

*

»Amelie, schau mal, wir haben sogar Seeblick!« Begeistert stand Flora von Bornstedt, von allen nur Lola genannt, vor dem Fenster in dem gemütlichen kleinen Viererzimmer, das sie zugeteilt bekommen hatten. Sie hatten den kurzen Weg von der Bushaltestelle zur »Martin-Buber-Jugendherberge« in wenigen Minuten zurückgelegt und waren vom Leiter derselben, Herrn Weigand, und seinem Hausmeister Herrn Schultz in der großzügigen Lobby, an deren Wand sich ein großes Bild mit den Worten »Alles Wirkliche im Leben ist Begegnung« befand, sehr herzlich begrüßt worden. Auch die Zimmerverteilung hatte hier stattgefunden, welche bei den Jugendlichen teilweise lauten Protest hervorgerufen hatte, obwohl die Zimmerwünsche im Vorfeld an der Schule diskutiert und berücksichtigt worden waren. Auf einmal wollten jedoch viele der Schüler in einem anderen Zimmer mit anderen Mitschülern zusammen sein. »Mit dem Spacko will ich nicht zusammen schlafen! Wisst ihr, wie seine Turnschuhe stinken?«, war nur einer der Kommentare gewesen, die Schäfer hartnäckig zu ignorieren versucht hatte. »Ihr geht alle auf die euch zugewiesenen Zimmer!«, hatte er versucht, Ruhe in die aufgebrachte Menge zu bringen. »Wir treffen uns in einer halben Stunde unten im Frühstücksraum. Dort wird uns der Leiter der Jugendherberge, Herr Weigand, alles Wichtige erklären, was ihr wissen müsst.« Nachdem die Schüler ihre Zimmerkarten und die Ermahnung, diese auf gar keinen Fall zu verlieren, erhalten hatten, waren die Jugendlichen auf ihre Zimmer gestürmt, wobei sich Lola und Amelie besonders beeilt hatten, um noch vor ihren Mitschülerinnen Laura und Paula oben zu sein und sich somit die besten Betten aussuchen zu können.

»Ich darf doch dieses Bett haben, oder, liebste Amelie?«, rief Lola und kletterte auf das obere Bett des Etagenbetts vor dem Fenster, von welchem aus sie eine fantastische Aussicht auf den See und die nahen Berge hatte. Bittend sah Lola ihre beste Freundin an, in der Gewissheit, dass ihr diese auch diesmal nichts abschlagen würde. Lola verfügte über das seltene und besondere Talent, die Menschen um den Finger wickeln zu können, allen voran ihren Vater, den Bauunternehmer Burkhard von Bornstedt, dem in Stuttgart ganze Straßenzüge gehörten. Natürlich hätte dieser sein Florinchen lieber auf einer Privatschule als auf einer öffentlichen Realschule gesehen. Schließlich sollte seine einzige Tochter Abitur machen und eines Tages die Firma übernehmen. Doch Lola war in dem Internat, in dem er sie angemeldet hatte, todunglücklich gewesen. Nur deshalb hatte sie – davon war er überzeugt – schlechte Noten geschrieben. Nachdem Lola mehrere Male glaubhaft geweint und ihr Unglück erklärt hatte, hatte er sie vom Internat genommen und dem Vorschlag seiner zweiten Frau Charlotte zugestimmt, Lola auf einer normalen Schule anzumelden, da dies ihrer Entwicklung sicher nicht hinderlich sein würde. Charlotte war ohnehin der Meinung, dass er nach dem Tod seiner ersten Frau sein Florinchen viel zu sehr verwöhnte, und konnte ihn mit dem Argument, dass Lolas Freundin aus der Grundschule, Amelie König, schließlich ebenfalls auf der Jahn-Realschule sein würde, überzeugen. Er konnte nicht ahnen, dass diese Entscheidung Lolas Noten entschieden verbessern würde, zwar nicht durch ihre eigene geistige Leistung, sondern dank Amelie, die Lola von Anfang an nicht mehr von der Seite wich und sie seither regelmäßig abschreiben ließ. Doch nicht nur Amelie meinte es gut mit Lola – vor allem die Jungen in der Klasse waren nur zu gerne bereit, der hübschen Lola einen Gefallen zu erweisen. So hatte beispielsweise Benjamin Schweikert soeben im Bus Lola seine Cola geschenkt, obwohl er selbst am Verdursten war.

»Klar kannst du das Bett haben. Mir ist es egal, wo ich penne. Wir werden abends sowieso im Eimer sein, wenn wir das ganze Wanderprogramm durchziehen, das der Schäfer geplant hat«, seufzte Amelie und ließ sich auf das Bett unter Lola fallen. Ihre Aussicht würde fortan das Bett über ihr oder der Schrank auf der gegenüberliegenden Seite des Bettes sein.

»Ach was, wir werden schon einen Weg finden, uns abzuseilen! Lass mich nur machen«, erwiderte Lola lachend und kletterte vom Bett herunter. Sie öffnete ihre Reisetasche und begann, ihre Sachen in den kleinen Schrank zu räumen.

»Ich habe da meine eigenen Pläne. Schau mal, ich hab einen neuen Bikini!« Begeistert hielt sie sich ein winziges pinkfarbenes Etwas vor die Brust. Und plötzlich hatte Amelie keine Zweifel mehr, wie Lola ihre Pläne zu erreichen gedachte.

Eine halbe Stunde später standen sie unten im großen Frühstücksraum, der gleichzeitig als Aufenthaltsraum diente und einen überwältigenden Blick auf den See und das gegenüberliegende Ufer bot.

»Mann, das nenn ich mal eine geile Aussicht! Da drüben ist ja gleich das Strandbad!«, freute sich Simon und schob seinen schüchternen Mitschüler Benjamin vom Fenster weg, um besser sehen zu können.

»Sag bloß, du warst noch nie am Bodensee?« Lola verdrehte bei seinen Worten die Augen. »Das ist doch gar nicht weit von Stuttgart. Wir sind im Sommer fast jedes Wochenende hier. Mein Vater hat ein Motorboot im Hafen von Kressbronn.« Mit einem überlegenen Lächeln schwang sie sich auf einen freien Stuhl.

»Diese Angeberin! Und ausgerechnet mit der müssen wir das Zimmer teilen, ich kotze gleich«, zischte Laura ihrer Mitschülerin Paula zu.

»Du bist doch nur neidisch, weil wir zuerst im Zimmer waren und das Bett vor dem Fenster ergattert haben«, antwortete Amelie, die das Lästern der beiden Mädchen mitbekommen hatte, in deren Richtung. Lola schien es vollkommen egal zu sein, was die beiden Mitschülerinnen dachten. Hauptsache, sie beide hatten ein schönes Plätzchen am Fenster. Die anderen waren selbst schuld, weil sie so herumgetrödelt hatten. Lola würde sich die Tage am See so angenehm wie möglich machen. Die ruhige und sensible Amelie dagegen spürte sehr wohl die unangenehmen Schwingungen, die im Raum waren. Nicht jeder und vor allem nicht jede waren von Lolas Charme einzufangen. Allen voran die Lehrerin Carina Brinkmann, auf deren Stirn eine steile Falte zu sehen war.

»Ich bitte um Ruhe!«, versuchte diese gerade so laut wie möglich in die Menge zu rufen, wurde jedoch von den Jugendlichen konsequent ignoriert. Da donnerte die laute Stimme Schäfers:

»Habt ihr nicht gehört? Ruhe, sonst könnt ihr das mit dem Badengehen vergessen, und zwar nicht nur heute!« Seine Miene war so ernst, dass in der Tat der Geräuschpegel im Raum augenblicklich sank.

In diesem Moment betrat der Leiter der Jugendherberge, Herr Weigand, den Saal. Sein sonnengebräuntes Gesicht, das von kurz geschnittenem dichtem Haar, an den Schläfen bereits ergraut, umrahmt war, lächelte freundlich.

»Hallo zusammen und noch einmal herzlich willkommen in der Martin-Buber-Jugendherberge im schönen Überlingen. Ich hoffe, ihr habt inzwischen alle eure Zimmer bezogen. Ihr werdet sicher festgestellt haben, dass unsere Jugendherberge erst vor Kurzem renoviert wurde. Ich denke, ich brauche euch nicht zu sagen, dass wir diesen schönen Zustand unseres Hauses gerne erhalten möchten. Falls doch, dann sage ich es hiermit: Ich möchte weder, dass auf den Möbeln herumgeturnt, noch dass Wände oder Bettwäsche beschmiert werden. Außerdem legen wir großen Wert darauf, dass Rücksicht auf andere Gäste genommen wird. Das heißt: kein lautes Toben durch das Treppenhaus oder die anderen Räumlichkeiten. Ich denke, ich habe mich klar ausgedrückt?«

»Wir sind doch keine Grundschüler mehr!«, empörte sich daraufhin Simon und sprach aus, was alle anderen dachten. Das war ja schlimmer als in einer Kaserne, dachte Simon, wobei der junge Mann keineswegs wusste, wie es in einer Kaserne zuging. Vermutlich ebenso streng wie hier, schätzte er. Für einen jungen Mann wie ihn, dem zu Hause keinerlei Grenzen oder Verbote auferlegt wurden, was ohnehin sinnlos gewesen wäre, da seine Eltern aus beruflichen Gründen so gut wie nie zu Hause waren, erschienen diese Regeln nicht nur übertrieben, sondern sogar komplett unverständlich.

»Ich wollte es nur gesagt haben. Außerdem sind nächtliche Besuche der jungen Männer bei den jungen Damen nicht nur nicht erwünscht, sondern sogar verboten. Natürlich auch umgekehrt! Ach ja, und selbstverständlich sind weder das Rauchen noch der Konsum von Alkohol im Haus erlaubt.« Bei diesen Worten sahen sich einige der jungen Leute ebenfalls vielsagend an. Schließlich hatte der eine oder andere sehr wohl Zigaretten und Alkoholisches gut in seinem Gepäck versteckt.

»Das gilt natürlich nicht für die Lehrer«, setzte Herr Weigand grinsend hinzu. »Wir haben im dritten Stock einen kleinen Aufenthaltsraum, in dem Sie und Frau Brinkmann sich am Abend sehr gerne bei wunderschönem Seeblick von den Mühen des Tages bei einem Glas Bodenseewein erholen können«, wandte er sich an Felix Schäfer, um dann wieder die Schüler direkt anzusprechen.

»Natürlich hat euer Klassenlehrer Herr Schäfer die Pflicht, dafür zu sorgen, dass alles reibungslos abläuft. Ich denke nicht, dass jemand von euch möchte, dass er euretwegen Ärger bekommt. Dies nur als grundsätzliche Information. Kommen wir nun zu den angenehmen Dingen.« Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Den Mahlzeiten! Frühstück gibt es von sieben bis neun Uhr, Abendessen 18 bis 19 Uhr. Ab 22 Uhr ist Nachtruhe angesagt. Falls es doch einmal später werden sollte …«

»Auf keinen Fall! Wir haben ein straffes Programm!«, unterbrach ihn Carina Brinkmann schnell.

»… ist das Haus mit den Zimmerkarten die ganze Nacht zu betreten. Ich sage dies aus gutem Grund: Es wäre nicht das erste Mal, dass sich jemand von der Gruppe absondert und erst spät in der Nacht den Weg nach Hause findet.« Bei diesen Worten grinsten sich nicht nur Lola und Amelie, sondern die meisten ihrer Mitschüler vielsagend an. Und in Schäfers Magen machte sich ein ungutes Gefühl breit, das ihn selbst dann nicht verlassen wollte, als Weigand der Gruppe im Anschluss gut gelaunt die weiteren Räumlichkeiten wie den Partyraum, das Bistro, die Sporthalle und den Bolzplatz zeigte. Er wurde das unbestimmte Gefühl, dass er über das Ende dieser Reise noch froh sein würde, nicht los.

2. Kapitel Die Landesgartenschau

Eine Stunde später war die Klasse bereits auf dem Weg zur Landesgartenschau. Die Sonne stand hoch am Himmel, und Felix Schäfer fragte sich gerade, warum so viele der schönen Boote im Osthafen lagen, an dem sie gerade vorbeiliefen, statt auf dem blauen See zu sein. Vermutlich mussten die meisten Leute noch arbeiten und kamen erst nach Feierabend oder am Wochenende hierher. Doch im angrenzenden »Ostbad«, dem wunderschön direkt am Ufer gelegenen Strandbad, herrschte reges Treiben. Dutzende von Jugendlichen und jungen Müttern mit ihren kleinen Kindern ließen es sich in dem schönen Bad mit den hohen, schattigen Bäumen gut gehen. »Herr Schäääääfer? Dürfen wir nicht auch in das Bad gehen?«, bettelte Lola, die plötzlich an seiner Seite war und verführerisch lächelte.

»Später vielleicht. Erst geht es zur Landesgartenschau!«, entgegnete er forsch.

»Aber es ist doch noch soooo weit«, gab sich Lola nicht zufrieden. Vorsichtshalber hatte sie in der Jugendherberge bereits den neuen Bikini unter ihr dünnes Shirt gezogen.

»Nein, es ist gar nicht so weit. Genieße lieber den schönen Spaziergang!«, erwiderte Schäfer und drehte sich zu den anderen um.

»Wir kommen gleich an der Surfschule vorbei. Außerdem kann man hier tauchen, Stand-up-Paddling betreiben oder im Kajak paddeln«, gab er bekannt.

»Und was davon machen wir?«, nörgelte Simon.

Nichts, wollte Schäfer antworten. Dabei würde er selbst gerne eine Runde paddeln gehen. Doch das Risiko, dass etwas passieren konnte, war zu groß, zumal man insbesondere bei den jungen Männern damit rechnen musste, dass sie Alkohol tranken und waghalsige Aktionen durchführten, um vor den Mädchen anzugeben.

»Das hier ist die Gläserne Werft. Hier kann man zusehen, wie ein Schiff gebaut wird, und nebenan etwas Leckeres essen oder trinken«,informierte der Lehrer seine Schüler weiter. Beim Anblick der vielen Menschen, die gestylt und mit ihren schicken Sonnenbrillen auf der Terrasse saßen und sich am Blick aufs Wasser erfreuten, fiel Felix das hübsche Mädchen aus dem Zug ein. Naimi, welch ein ungewöhnlicher Name. Mit ihren niedlichen Grübchen und dem sympathischen Lächeln war sie auch ein ungewöhnliches Mädchen, dachte Felix. Doch irgendetwas hatte mit ihr nicht gestimmt, für so etwas hatte er ein Gespür. Es war so etwas in ihren Augen, obwohl diese ihn freundlich angestrahlt hatten, ein Hauch von Traurigkeit. Wo wohl das Café ihrer Mutter war? Hätte er sie nur danach gefragt!

Und noch jemand hatte mehr Gedanken an Cafés als an die Blumen, die sie gleich auf der Landesgartenschau sehen würden.

»Hast du die vielen hübschen Lokale an der Promenade gesehen?«, fragte Lola Amelie wenig später mit einem verschwörerischen Lächeln.

Die wunderschön angelegte Promenade mit ihrem mediterranen Flair, den vielen Palmen, der Schiffsanlegestelle und nicht zuletzt den vielen urigen Gaststätten und Eiscafés hatte alle Schüler restlos begeistert.

»Da werden wir uns sicher prächtig amüsieren!«, setzte Lola mit geheimnisvollem Lächeln hinzu.

»Hast du nicht gehört, dass um 22 Uhr Bettruhe ist? Ich kann mir kaum vorstellen, dass wir abends alleine raus dürfen. Nach dem Abendessen hat sich Schäfer sicher ein langweiliges Programm für uns ausgedacht. Ich hoffe nur, dass wir keine blöden Brettspiele machen!«, antwortete ihre Freundin.

»Im Leben nicht. Dafür werde ich schon sorgen!«, grinste Lola. »Ich habe mich eben mit dem netten Hausmeister Schultz unterhalten. Er hat mir gezeigt, wo der Nachteingang ist«, setzte sie lachend hinzu.

»Aber das merken die doch, wenn wir uns absondern«, warf Amelie zögernd ein. So reizvoll der Gedanke, ein wenig Freiheit zu haben, auch sein mochte, sie wollte auf gar keinen Fall, dass Schäfer ihretwegen Ärger bekam. Er war so ein netter Lehrer und stets bemüht, dass alle das Unterrichtsziel erreichten. Dabei war er gar nicht streng, sondern brachte die Klasse oft zum Lachen. Es war nicht fair, ihm Unannehmlichkeiten zu bereiten!

»Ach, komm schon. Schlafen können wir auch noch zu Hause. Ich habe ein paar ganz süße Jungs an der Promenade gesehen!« Lola zwinkerte Amelie zu. »Also, ich hätte nichts gegen einen kleinen Urlaubsflirt einzuwenden. Du vielleicht?«

Amelie schüttelte den Kopf. Lola hatte gut reden. Sie konnte sich vor Verehrern nicht retten und bekam ständig eine neue Telefonnummer zugesteckt. Ganz zu schweigen von den Jungs in der Klasse. Selbst der arrogante Simon war hinter ihr her. Und Benjamin sowieso. Heimlich sah Amelie zu Benjamin herüber. Mit seinen etwas längeren blonden Haaren und der coolen Jeans sah er so unfassbar lässig wie die Surfer aus, die sie eben gesehen hatten. Dabei war er genauso schüchtern wie sie und wurde jedes Mal rot, wenn er angesprochen wurde. Besonders von Lola, dachte Amelie neidisch. Warum konnte sie nicht so hübsch und verführerisch wie Lola sein? Innerlich seufzend, gab sie sich die Antwort selbst: Mit ihrer Brille, den schnurgeraden aschblonden Haaren und ihrem mehr als durchschnittlichen Körper sah sie viel langweiliger aus als Lola mit ihren dunklen langen Haaren, den kornblumenblauen Augen und der sexy Figur. Kein Wunder, dass Lola alle Blicke auf sich zog, und das nicht nur, wenn sie wie heute mit knappen Shorts und einem eng anliegenden Shirt bekleidet war. Amelie, die trotz der Hitze lange Jeans trug, weil sie der Ansicht war, dass ihre Beine viel zu dick für Shorts waren, hatte das Gefühl, dass sie von jedem, vor allem aber vom anderen Geschlecht, grundsätzlich übersehen wurde. Sie wurde lediglich bemerkt, wenn sie sich in Lolas Gesellschaft befand, und auch dann wollten die Jungs niemals ihre, sondern immer nur Lolas Telefonnummer.

»Puh, ist das heiß!« Lola nahm einen tiefen Schluck aus ihrer Wasserflasche, ließ sich auf eine Parkbank fallen und steckte sich die dunklen Locken nach oben. »Und so langsam reicht es mit den vielen Blumen. Ich meine, es ist nett hier, aber warum soll ich mir die Blumennamen merken? Ich mag sowieso nur Rosen.«

»Ich finde, die haben das echt toll gestaltet«, antwortete Amelie. Sie empfand das Gelände der Landesgartenschau mit den unzähligen verschiedenen Blumenbeeten, seltenen Pflanzen und interessanten Infoständen in der Tat als bezaubernd, auch wenn ihre Mitschüler die vielen Blumenbeete überwiegend für »total ätzend langweilig« hielten. Die meisten von ihnen waren nur an der Beachbar, der Jugend-Lounge, der Workout-Area oder dem Kiosk, wo man etwas zu essen und trinken kaufen konnte, interessiert. Amelie aber fand das Gelände, das direkt am See lag und ihr trotz der vielen Besucher ein besonderes Gefühl der Ruhe schenkte, wunderschön. Sehr gerne hätte sie den ganzen Nachmittag hier verbracht. Mit einem Buch unter einem schattigen Baum, dazu eine eisgekühlte Limonade. Stattdessen musste sie mit der nervigen Klasse herumlaufen und sich die verschiedenen Blumensorten von Frau Brinkmann, deren Gesicht durch die Hitze die Farbe einer reifen Tomate angenommen hatte und deren beigefarbene Bluse deutliche Schwitzflecke unter den Achseln erkennen ließ, erklären lassen. Beinahe bedauerte Amelie Frau Brinkmann. Es war offensichtlich, dass sie in Schäfer verknallt war. Kein Wunder, vermutlich waren die meisten jungen Lehrerinnen in den gut aussehenden und charmanten jungen Lehrer verliebt, und die Schülerinnen sowieso. Auch Amelie musste sich eingestehen, dass sie jedes Mal unsicher und rot wurde, wenn Schäfer sie aufrief. Aber im Gegensatz zu Frau Brinkmann wusste sie, dass sie niemals eine Chance bei Schäfer haben würde, nicht nur, weil sie eine Schülerin und er ein charaktervoller Lehrer, sondern weil sie hässlich und langweilig war. Carina Brinkmann dagegen mit ihrer mausgrauen Kurzhaarfrisur wusste das offensichtlich nicht, denn sie hing geradezu an Schäfers Lippen und dackelte ihm auf Schritt und Tritt derart hinterher, dass es schon peinlich war. In diesem Moment fiel Amelies Blick auf einen Mann in ihrer Nähe, der sie regelrecht anstarrte. Nein, nicht sie natürlich, sondern selbstverständlich Lola. Der Mann, der eine grüne Latzhose und eine Baseballkappe trug, war gerade dabei, mit einem Gartenschlauch ein Blumenbeet zu wässern.

»He, Sie da drüben, wie wär’s mit einer kleinen Dusche für uns?«, rief Lola, die ihn auch bemerkt hatte, kokett lächelnd zu ihm herüber.

»Spinnst du?«, zog Amelie sie schnell weg.

»Meine Güte, es ist so heiß! Das wäre doch lustig gewesen.« Lola zog einen Flunsch.

»Weißt du, dass du dich manchmal wie ein kleines Mädchen verhältst?« Amelie verdrehte die Augen.

»Ja, weiß ich. Aber lieber ein kleines ungezogenes als ein blödes langweiliges Mädchen!«, antwortete diese und ließ Amelie empört stehen. »Ich geh mal aufs Klo!«

»Alle mal herhören! Wir sind gut durchgekommen, viel früher als geplant. Was haltet ihr davon, wenn wir eine kleine Schifffahrt zur Marienschlucht unternehmen?«, unterbrach Schäfer Amelies Gedanken. Die Idee mit der Schifffahrt war ihm spontan gekommen. Er erinnerte sich, dass er einmal als Kind mit seinen Eltern hier war und die wilde Gegend um die Marienschlucht auf der anderen Seite des Sees als besonders aufregend empfunden hatte.

Überraschenderweise wurde sein Einfall von allen Seiten begeistert aufgenommen. Es hätte ihm gleich klar sein müssen, dass die vielen Schaugärten und Natur-Infostände über Blumen, Weinreben und Obst, Imker, die Fischerei oder den Bodensee im Allgemeinen die Jugendlichen nicht allzu lange faszinieren würden. Auch wenn es auf der Landesgartenschau allerhand Zerstreuungsmöglichkeiten gerade für das jüngere Publikum gab, so waren sie ja nicht nur zu ihrem Vergnügen hier. Die jungen Menschen sollten auf dieser Reise etwas lernen. Doch für heute hatten sie genug Informationen aufgenommen. Deshalb erzeugte die Aussicht auf eine Fahrt mit einem kleinen Schiff über den See bei den jungen Leuten ein spontanes Freudengeheul. Uff. Felix Schäfer hatte zum ersten Mal an diesem Tag das Gefühl, etwas richtig gemacht zu haben.

*

Zu seinem großen Bedauern hielt dieses Gefühl nicht lange an. Eine Stunde später stellte Felix Schäfer fest, dass sie das letzte Schiff, das heute Nachmittag über den Überlinger See fahren sollte, auf Grund der Trödelei seiner Schüler um zehn Minuten verpasst hatten. Darüber hinaus fuhr das Schiff die Naturschönheit Marienschlucht, auf die er sich insgeheim gefreut und die seine Schüler sicher sehr beeindruckt hätte, immer noch nicht an. Er hätte sich besser vorbereiten sollen, schimpfte Felix mit sich selbst. Natürlich war ihm bekannt gewesen, dass die Schlucht 2015 gesperrt wurde, weil dort damals zwei Wanderer auf tragische Weise ums Leben gekommen waren. Er hatte jedoch gehört, dass die Schlucht 2020 wieder geöffnet werden sollte. Hätte er sich nur im Vorfeld darum gekümmert! Allerdings hatte er den ganzen Nachmittag für die Landesgartenschau eingeplant und konnte kaum damit rechnen, dass die Klasse diese bereits nach drei Stunden bewältigt hatte.

Nun, bestimmt würde sich morgen eine Gelegenheit zu einer kleinen Schifffahrt über den Überlinger See finden. Auf dem Plan standen lediglich die Pfahlbauten in Unteruhldingen, und diese waren von der Jugendherberge nicht allzu weit entfernt, sodass die Zeit für den Schiffsausflug ausreichen sollte.

»Wann fährt das Schiff denn jetzt?« So langsam wurden die Jugendlichen ungeduldig.

»Ich fürchte, das wird heute leider nichts mehr. Wir hätten uns mehr beeilen sollen«, log daraufhin der Lehrer, dem es peinlich war, dass er sich nicht besser vorbereitet hatte.

»Beeilen, beeilen, Mann ey, wir sind hier doch nicht auf der Flucht!«, motzte Simon.

»Es ist kein Problem, wir können die Schifffahrt morgen nachholen. Unser morgiges Programm ist nicht so straff«, versuchte Schäfer die Jugendlichen zu besänftigen.

»Und was machen wir jetzt?«, moserte daraufhin beinahe die ganze Klasse.

»Ich hab eine Idee: baden gehen, baden gehen!« Übermütig wie ein Kleinkind hüpfte Lola auf einmal herum.

»Nein, auch dafür ist es jetzt zu spät.« Schäfer sah auf seine Armbanduhr.

»Es ist Viertel nach vier. Bis wir zur Jugendherberge zurückgelaufen sind und die Badesachen geholt haben, ist es fünf. Um sechs gibt es Abendessen. Ich schlage daher vor, dass wir das Badengehen ebenfalls auf morgen verschieben.«

»Verschieben, verschieben, und was machen wir jetzt?«, fragte einer der Schüler unmutig.

»Wie wäre es mit Eisessen? Es gibt dort drüben eine tolle Eisdiele. Meinetwegen könnt ihr ein Stündchen alleine durch die Stadt schlendern.«

»Jaaa! Hurra!« Plötzlich freuten sich alle.

»Ich weiß nicht«, mit besorgtem Blick nahm Carina Brinkmann ihren Kollegen beiseite. »Wir kennen uns doch noch gar nicht aus, Felix! Was, wenn sich jemand verläuft?«

»Ach, Carina, das wird schon nicht passieren. Das ist alles sehr übersichtlich hier. Unsere Schüler sind die große Stadt Stuttgart gewohnt, dagegen ist Überlingen doch tiefste Provinz.« Er grinste sie an, worauf Carina ihre Bedenken aufgab und zustimmend nickte: »Also gut.«

»Alle mal herhören: Wir treffen uns um 17.30 Uhr an der Schiffsanlegestelle. Spätestens. Habt ihr verstanden?« Die Schüler äußerten freudig ihre Zustimmung und trieben auseinander, um die Eisdielen und die gesamte kleine Innenstadt unsicher zu machen. Felix atmete tief durch.

Über eine Stunde später war es allerdings vorbei mit seiner Ruhe. Es war 17.30 Uhr und nur ein Teil der Schüler zurück. Nach und nach jedoch trudelten alle ein.

»Ich hab dir gleich gesagt, dass es ein Fehler ist!«, schimpfte Carina. »Aber du musstest ihnen ja eine Stunde Freiheit schenken. Jetzt haben wir den Salat. Wir werden zu spät kommen, und das an unserem ersten Abend! Dabei hat Herr Weigand extra gesagt, dass wir pünktlich sein sollen.« Felix versuchte, Carinas Geschimpfe zu ignorieren. Sie hatte ja recht, aber das half ihnen nicht weiter.

»Wer fehlt denn noch?«, rief Carina laut in die Menge.

»Nur Lola«, antwortete Simon als Einziger.

»Amelie, weißt du, wo Lola ist?«, fragte die Lehrerin. Doch Amelie schüttelte den Kopf, obwohl sie sich sehr wohl denken konnte, wo ihre Freundin war. Nach ihrer kleinen Missstimmung auf der Landesgartenschau hatte sich Lola der Gruppe um Simon angeschlossen, während Amelie für sich geblieben war. Amelie hatte die Stunde Freizeit überwiegend in der Buchhandlung Osiander verbracht und auf ihrem Rückweg zur Schiffsanlegestelle Lola vor der Pizzeria »Gino« stehen sehen. Leicht verstimmt hatte Amelie Lola ignoriert und war alleine zur Gruppe zurückgekehrt.

»Vielleicht ist sie noch auf dem Klo?«, vermutete sie, weil Frau Brinkmann ihr nicht zu glauben schien, dass sie nicht wusste, wo ihre beste Freundin war.

»Aber du warst doch mit ihr zusammen?«, hakte Frau Brinkmann nach.

»Nein, ich wollte in den Buchladen. Lola ist mit Simon und den anderen in die Stadt.«

»Ja, sie war mit uns zusammen«, bestärkte Simon Amelie. »Jedenfalls am Anfang. Aber dann wollte sie sich noch ein Eis holen und wir wollten lieber an der Promenade in der Sonne chillen. Keine Ahnung, wo sie hingegangen ist.«

»Hat sonst noch jemand Lola gesehen?« Carina Brinkmanns Stimme wurde leicht panisch.

Benjamin betrachtete seine neuen Turnschuhe. Er schwieg, obwohl er etwas beobachtet hatte. Nachdem er mitbekommen hatte, dass die unzertrennlichen Freundinnen Lola und Amelie in Überlingen getrennte Wege gingen, hatte er sich an Lolas Fersen geheftet. Er hatte gehofft, ihr auf dieser Klassenreise näherzukommen, und sie hatte ihm auch das ein oder andere vielsagende Zwinkern geschenkt. Er musste Lola unterwegs jedoch verloren haben, und so war Benjamin enttäuscht zu den anderen an die Promenade zurückgekehrt. Auf dem Weg dorthin war ihm allerdings etwas aufgefallen: ein roter Ford Mustang, genauso einer, wie ihn Lolas Exfreund Daniel fuhr.

In diesem Moment bog Lola außer Atem um die Ecke. Felix Schäfers Blick wanderte demonstrativ auf die Uhr. »Zehn nach halb!«

Und auch Carina Brinkmann tat ihren Unmut kund: »Wo kommst du jetzt her? Wir hatten 17.30 Uhr ausgemacht!«

»Sorry, da war eine Riesenschlange auf dem Klo!«, rief sie fröhlich und zwinkerte Amelie zu. Der kleine Streit zwischen ihnen schien vergessen. Sie musste ihrer Freundin unbedingt etwas Wichtiges erzählen!

3. Kapitel Ein beinahe unbeschwerter Sommertag