Monster, Monster überall - Jürgen Höreth - E-Book

Monster, Monster überall E-Book

Jürgen Höreth

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Beschreibung

Jürgen Höreth hat für diese Sammlung zehn Kurzgeschichten ausgesucht, wovon eine extra für diesen Release geschrieben wurde!Höreth deckt mit diesen Geschichten die Bereiche des Horrors und Sci-Fi ab, denen er seinen unverwechselbaren Stempel aufdrückt. Manche wurden von ihm sogar mit lovecraftschen Elementen vermischt, sodass hier Abwechslung garantiert ist!

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Seitenzahl: 205

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Ähnliche


Table of Contents

Horrorband eBook 4

KOVD Online

Titelseite

Impressum

Mr. Painless - Kalle, Emrah und drei Russen

Fernab in den Höhlen der schmelzenden Augen

Der Vier-Tages-Held

Brak Ul Gorr

Dread 4

Aus altem Schrot und Korn

Wer ist das Monster im Keller

Das Arschloch-Journal

Vom Leid durch das Zwielicht sehen zu können

Wölfe

Der Autor

Literatur Guerillas

Horror eBook

Band 4

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Impressum

Alle Rechte vorbehalten.

 

Copyright © dieser Ausgabe 2020 by KOVD Verlag, Herne

Artwork und Illustrationen: Jürgen HörethBuchschmuck: Jürgen Höreth / Sascha Lubenow

 

Nachdruck und weitere Verwendung

nur mit schriftlicher Genehmigung.

 

ISBN: 978-3-96987-926-9

Einleitung

Diese Story war mal wieder ein Vorschlag für eine Anthologie. Wie so oft bekommt man von den meist obskuren Mini-Verlagen, die diese Ausschreibungen veranstalten nicht einmal eine Rückantwort, so auch hier geschehen. Das Thema war, wenn ich mich recht erinnere das Schlagwort »Schmerzfrei« – wahrscheinlich erwarteten die seriösen und stark ambitionierten Neu-Herausgeber Kurzgeschichten von schicksalsgebeutelten Liebschaften, die tiefe Einblicke ins deutsche Seelenleben gestatteten. Aber offenbar waren die Guten schwer geschockt, dass sie eine leicht trashige Actiongeschichte über zwei Kodderschnauzen in einem Folterkeller erhielten. Wie man sieht, haben Kalle & Emrah auch in dieser Kurzgeschichte schon ihre allseits beliebten Attribute, die sie später im »Kalle & Emrah« Roman auszeichneten. Emrah lässt nur allzu gern die Fäuste fliegen und Kalle hat auch hier mit seiner romantischen Einstellung zu kämpfen. Allerdings dichtete ich in dieser Fassung Kalle eine Art Superkraft an, eben die besagte Schmerzunempfindlichkeit, damit ich zumindest eine minimale Verbindung zum titelgebenden Schlagwort aufrechterhalten konnte.

Die beiden Burschen machten mir in dieser Story so viel Spaß, dass ich sie für weiterführende Projekte im Hinterkopf behielt, und als ich mich dann aufraffte, endlich mal mit meinem langgehegten Zombie-Roman zu beginnen, purzelten die beiden Großmäuler wieder durch meine Gedankentunnel. Niemand schien mir passender die Wortführer in einer Zombie-Action-Komödie sein zu können. Die beiden hatten die richtige Balance zwischen Aufrichtigkeit und Geblödel. Und wenn ich ehrlich bin, schreibe ich Geschichten mit den beiden Dumpfbacken am liebsten …

MR. PAINLESS - KALLE, EMRAH UND DREI RUSSEN

 

Der Russe gab sich ordentlich Mühe, ohne Zweifel. Und er war mächtig ins Schwitzen gekommen, der Schweiß klebte wie Honig auf seinem grobporigen Gesicht.

»Das gibt’s doch nicht …«, murmelte er.

Den blutverklebten Hammer, auf dessen Kopf noch einige Überreste meines großen Zehs klebten, hatte er resignierend in die Ecke geworfen.

Seine Hoffnung hatte er derzeit in eine Zange gelegt, mit der er die Fingernägel meiner rechten Hand bearbeitete. Aber das machte mir nichts aus.

Schließlich war ich schmerzlos, geradezu schmerzunempfindlich. Ja klar, das war ich wohl – ein Typ, den schmerztechnisch nichts aus der Fassung bringen konnte … aber dazu kommen wir später.

Aber das war nicht immer so. Eigentlich war ich früher ein ziemliches Weichei. Es gab oft eine Menge Typen, die mich glattbügeln wollten. Aber damals hatte ich das Glück, dass mir Emrah zur Seite stand. Emrah, der sich eigentlich einen feuchten Kehricht um einen Brillenheini hätte scheren können, der von den Kotzbrocken der Schule regelmäßig gedemütigt wurde. Damals holte er mich aus jedem Schlamassel, in den ich geriet.

Aber wo war er dann jetzt, zum Kuckuck noch mal?

 

 

Wie ich in diese vertrackte Situation geraten war? An einen Holzstuhl mit Draht gefesselt. Einen verschwitzten Russen mit Zange und Hammer vor meiner Nase, der langsam aber sicher aus der Fassung geriet. Na ja, mir war an diesem Abend langweilig, und es gab nichts Besseres dieser Langweile den Garaus zu machen, als bei Emrah vorbeizuschauen.

Okay, es war manchmal etwas riskant, mit Emrah auf die Piste zu gehen … mein Kumpel war oft sehr leicht reizbar, und dann gerieten wir schnurstracks in irgendwelche Schwierigkeiten.

Aber wenn dies in Schlägereien ausartete, trugen meistens die Anderen die blutigen Nasen davon. Viele Schlägertypen unterschätzten Emrah beim ersten Aufeinandertreffen. Dieses etwas hagere Kerlchen sah nicht unbedingt gefährlich aus, aber schon sein eiskalter Blick ließ ahnen, dass mit ihm nicht zu spaßen war. Emrah war durchtrainiert bis in die Zehenspitzen. Er hielt sich mit Parcours und Freeclimbing fit, konnte Kickboxen und Karate.

Er war stur, unschwer zu beleidigen, und hatte eine leicht aggressive Ader. Aber er war auch unglaublich loyal und hatte einen unbeirrbaren persönlichen Gerechtigkeitssinn.

 

 

Wie ich schmerzlos geworden bin? Na ja, es hatte wohl mit meiner genetischen Struktur und einer Impfung, zu tun, die schief gelaufen war. Fragen Sie mich nicht nach den wissenschaftlichen Einzelheiten. Ein Haufen Ärzte hatten mir tausend Fachbegriffe um die Ohren gehauen, und nach zehn Minuten hatte ich das Ganze wieder vergessen. Jedenfalls konnte ich seit dieser harmlosen Impfung keinerlei Schmerzen mehr spüren. Zumindest keine körperlichen – gegen den altbekannten Herzschmerz war ich nicht immun. Und da hatte ich reichlich Erfahrung zu bieten. Ich hatte das zweifelhafte Talent, aus dem reichhaltigen Pool der Damenwelt immer wieder jene Exemplare herauszupicken, die es meisterhaft verstanden mein Herz in den Reißwolf zu stopfen.

An jenem Nachmittag, als ich Emrahs Bude aufsuchte, hatte kurz vorher Jennifer mit mir Schluss gemacht. Jennifer war genau die Marke ›Eiskaltes Miststück‹, auf die ich so unwiderstehlich flog.

»Kalle, ich weiß nicht wie wir beide nur zusammengekommen sind. Du hast null Antrieb. NULL! Ich habe Ambitionen, verstehst Du? Verstehst Du das, hm?«, ich starrte sie ausdruckslos an. »Nein? Hab ich mir schon gedacht. Herrgott, wie kann man nur so antriebslos sein? Nee, also wirklich … wir müssen das jetzt und hier beenden – verstehst Du?«

Nee, ich verstand nichts – wirklich nicht, vor allem weil sie mir am Vortag noch mächtig Honig um den Bart geschmiert hatte, damit ich ihr sündhaft teure italienische Schuhe kaufte …

Ich hob einen Finger und wollte zu einer schwungvollen Erwiderung ansetzen, aber Jennifer brabbelte weiter im Stakkato auf mich ein und schob mich aus unserem Apartment hinaus.

Dabei schaffte sie es gleichzeitig zwei gepackte Koffer aus dem Wandschrank neben der Garderobe zu hangeln und sie mir unter die Arme zu klemmen – ich schätze, dies war eine geheime Superkraft von ihr – dennoch war ich schwer verblüfft und brachte kein weiteres Wort heraus, bis die Tür vor meiner Nase zuknallte.

»Ich … ich … ich liebe dich auch nicht«, kam es kläglich aus mir heraus.

»Wirklich«, schob ich als emotionales Ausrufezeichen hinterher.

Kalle, statt dieser nutzlosen Schmerzunempfindlichkeit hättest du mal besser eine ›Verliebtheitsunempfänglichkeit‹ ergattern sollen. Wenn diese Schlampen dich abservieren, heulst du ihnen auch noch monatelang hinterher und flehst sie an, dich wieder zurückzunehmen. Verdammt sei doch einfach mal ein Kerl und lach diesen Tanten ins Gesicht … war ein wiederkehrender Leitspruch von Emrah.

Aber das bekam ich nicht hin.

 

 

Der Russe, der mich bearbeitet hatte, legte eine Pause ein, wischte sich den Schweiß ab.

»Freindchen, jetzt langt äs mirr. Sag schon wo där dräckige Türke ist, sonst …«

»Also … nö, wirklich nicht. Geht nicht. Absolut nicht. Selbst wenn ichs wüsste – nö!«

Ein anderer Typ kam in den Keller. Es war der Bursche, der mich zusammen mit dem unbegabten Folterknecht in Emrahs Wohnung erwartet hatte. Mit seinem nach unten hängenden Schnauzbart und den schläfrigen Augen sah er eher wie ein etwas langsam agierendes Onkelchen aus. Aber das täuschte. Er keifte den Folterknecht auf Russisch an. Es klang, als würde er seinen Kollegen verfluchen, aber vielleicht unterhielten sie sich auch nur über die morgendliche Konsistenz ihres Stuhlgangs …

Dann ging die Kellertür noch einmal auf und eine groß gewachsene rothaarige Frau gesellte sich zu meinen beiden Entführern.

Bei ihrem Anblick blieb mir erst einmal die Spucke weg. Grüne Augen, von einer derart hellen Farbe, dass die Augäpfel von innen her zu leuchten schienen. Das halblang geschnittene Haar glänzte in einem prächtigen Kupferton. Lange Beine und ein schmaler Oberkörper, der eine elegante Spannung hatte. Kleine, spitz zulaufende Brüste, die vorwitzig, ihr schwarzes T-Shirt anhoben.

Als ich so dahin geschmolzen war, fing die rothaarige Sexbombe an, auf Russisch zu schwadronieren, erst verpasste sie meinem Folterknecht eine Dusche, dann bekam noch Onkelchen Schnauzbart sein Fett weg. Sie redete sich so in Rage, dass sie zum krönenden Abschluss ihrer Tirade dem schwitzenden Folterknecht eine saftige Backpfeife verpasste.

Dann wandte sie sich von den zwei bedröppelten Schlägertypen ab und kam zu mir.

»Hey Kleinär, waruum maachst du äs uuns so schwär, hm? Iiech sag Dir mal waas, Kleinär. Iiech bin niecht so saanft wie Igor. Wenn iiech losläge, dann tuts riechtig wäh …«

»Ich will euch ja nicht in dunkle Verzweiflung treiben, Leute, aber es ist nur fair, wenn ich erwähne, dass ich keinerlei Schmerzen verspüre. Echt. Ist was Genetisches mit ’nem Schuss Dummdödelei beim Impfen. Also, ich kann dem Kollegen da hinten nur den höchsten Respekt für seine Bemühungen zollen, aber eigentlich war’s für die Katz.«

Eine Fragefalte schlängelte sich über die perfekte Stirn der russischen Zuchtmeisterin, dann feuerte sie wieder eine Salve brachialrussisch in Richtung ihrer zwei Untergebenen ab. Daraufhin unterhielten sich die drei in der gewohnten Tonlage, und schließlich schienen sie übereinzukommen, ihre Beratung ins Obergeschoss zu verlegen. Sie tigerten nach oben, nicht ohne mir aus jedem Augenpaar einen verachtungsvollen Blick zuzuwerfen.

 

 

Was hatte Emrah sich da nur eingebrockt?

Ohne Zweifel hatte er schon eine Menge Scheiße in seinem Leben angestellt.

Einmal hatte er einen Nazisack, der es sich zu seinem Hobby gemacht hatte, jeden Nachmittag seine Freundin und deren kleinen Jungen zu vertrimmen, aus dem 3. Stock geschmissen. An diesem Tag waren wir zufällig in besagtem Mietshaus zugegen, wir besuchten eine ehemalige Verflossene von mir, die es bei ihrem überstürzten Abschied von mir sich nicht verkneifen konnte, meine Stereoanlage mitgehen zu lassen. Die Schreie der Frau und des Kindes hallten durch das ganze Haus. Es war furchtbar. Und keiner der Bewohner rührte sich. Emrah stand umgehend auf und ging den Schreien nach, mich in seinem Schlepptau. Vor der Tür verzichtete er auf das Klingeln oder Klopfen, und trat stattdessen die Tür ein. Das glatzköpfige Arschloch guckte ziemlich blöd aus der Wäsche, als plötzlich Emrah vor ihm stand. Der Sack hatte ein Kreuz wie ein Buckelwal und die Muskeln an seinen Armen waren so prall, dass sie kurz vor der Explosion standen. Aber auf so was gab Emrah nix.

Bevor der Kerl noch groß ›Was soll die Scheiße?‹ hervor grunzen konnte, trat ihm Emrah auch schon seitlich gegen sein rechtes Knie.

Das Arschloch brüllte vor Schmerz. Diesen Krach stellte mein Kumpel aber schnell ab, indem er ihm einen Handkantenschlag auf den Kehlkopf verpasste.

Der Muskelmann japste noch nach Luft, als Emrah in aller Seelenruhe vorsichtig die schönen Altbaufenster öffnete. Dann schnappte er sich den immer noch verkrümmt daliegenden Scheißkerl und warf ihn mit einem eleganten Schwung aus dem Fenster. Ohne Umschweife raste Emrah nach unten in den Hof.

Dort erwartete uns das Arschloch. Er ächzte wie ein schlecht geöltes Getriebe, Blut rann ihm aus der Nase, dem Mund und den aufgeschlagenen Beinen.

»Aaah … aaah … dnu Akschlok, dnu hascht mir die Bneine gebnochen …«

»Ja, Glatzensack, scheinbar biste deine Zähne auch noch losgeworden. Und wenn ich noch mal hören muss, dass du die Hand gegen die Frau und das Kind erhebst, dann komme ich wieder und zerre dich in den sechsten Stock. Da oben gibts auch Fenster. kapiert?«

Die Glatze schaute immer noch etwas störrisch aus der Wäsche, was Emrah gar nicht passte, also griff er nach seiner Nase, verdrehte das Teil und wartete, bis es hässlich knackte.

Der Muskelmann fing das Flennen an.

»Ich habe dich höflich gefragt, ob du das KAPIERT hast, du Weichei?«

»Knapier, Knapiert …«, greinte Captain Nazi und hielt sich dabei seine kaputte Nase, die wie eine ausgepresste Zahnpastatube aussah.

Emrah ging dann jede Woche zu der Frau, erkundigte sich, ob der Nazi sie gut behandelte, und bedachte den bandagierten Muskelmann dabei mit seinem ›Bösen Blick‹(eine hochgezogene Augenbraue mit verkniffenem, stahlharten Blick).

»Hast Du eigentlich keine Angst, dass der Nazi, dir mal mit zehn seiner Kumpels an ’ner dunklen Ecke auflauern könnte, um es Dir heimzuzahlen?«, fragte ich Emrah einmal.

Er sah mich irritiert an, mit einem Blick, der implizierte Junge, wiekommst du denn auf so etwas Absurdes und dann sagte er lapidar: »Nö.«

Tja, so war Emrah …

 

 

Als ich so allein im Keller herumsaß, kam mir ein alter Film in den Sinn. Darin war auch so ein armer Tropf an einen Holzstuhl gefesselt. Er kam dann flugs auf den Trichter, den Stuhl so lange mit seinem hin- und herschwingenden Oberkörper zu kippeln, dass der Stuhl umfällt und in tausend Teile zerbricht.

Also fing ich an feste zu schunkeln. Der Stuhl wackelte und fiel schließlich um. Das Blöde war, dass das Mistteil so stabil war, das weder Lehne, noch Stuhlbeine auch nur annähernd angeknackst waren.

Außerdem hatte ich mir bei dem Sturz wahrscheinlich ein paar Rippen gebrochen, was ich nicht fühlte, schließlich war ich vollkommen schmerzbefreit. Tja, da lag ich nun und betrachtete den Raum aus der umgekippten Perspektive.

Dann sah ich etwas, das mein Interesse erweckte. Eine Zange. In einem Regal. Gute zwei Meter links von mir. Ich hatte Glück. Meine Beine waren nicht an die Stuhlbeine gefesselt. So hatte ich einen gewissen Bewegungsspielraum. Ich robbte auf das Regal zu und erreichte es schließlich. Nach drei Versuchen gelang es mir meinen Fuß gegen das oberste Regalbrett wummern zu lassen. Der Lärm würde die drei Kosakenzipfel alarmieren.

Ich wummerte noch mal und hatte Glück, das Regalbrett löste sich und die Zange fiel nach unten. Nervös warf ich einen Blick zur Tür.

Noch alles ruhig. Mit dem Fuß rangierte ich das Werkzeug in Richtung meiner Hände. Und hey, das konnte ich ziemlich gut, auch wenn es für Zirkusauftritte wohl nicht reichen würde.

Meine glitschigen Finger umfassten den Griff der Zange. Dann riss ich an den Drahtfesseln, damit ich etwas Spielraum für das Werkzeug schaffen konnte. Blut spritzte. Mein Fleisch am Handgelenk teilte sich, dann stieß der Draht auf den Knochen. Mann, wenn ich das hätte fühlen müssen, du liebes Lieschen, war ich froh, Mr. Schmerzfrei zu sein.

Klack – der Draht sprang weg, wie ein verschrecktes Kaninchen. Schnell befreite ich noch die andere Hand.

Dann ging die Tür auf.

 

 

Igor sah ziemlich ärgerlich aus. Jedenfalls fletschte er die Zähne wie ein enttäuschter Bullterrier und eine Zornesader pochte über seiner dicken Augenbraue, dass ich schon Angst bekam, sie würde lebendig werden und mir ins Gesicht springen.

Die anderen beiden waren nicht zu sehen.

Fein. Mit einem Russen würden ich es doch noch aufnehmen können … na ja, immerhin war ich Mr. Schmerzfrei …

»Wie hast du ääs angäställt, dass …«

So weit kam er noch mir eine Strafpredigt zu halten, dann warf ich ihm die Zange an die Birne.

Er grunzte, als ob eine Fliege über seine Stirn gekrabbelt sei, und das war’s auch schon.

Als er sich in Bewegung setzte und auf mich zukam, fiel mein Blick auf einen Werkzeugkasten. Ich langte nach dem Ding, bekam es zu fassen und pfefferte das Teil an seinen Schädel. Der Kasten war mordsschwer, dementsprechend riss es Igor von den Füssen.

Er taumelte nach hinten und klatschte an die Wand. Ich besah mir den Werkzeugkasten – etwas Blut und ein paar Zähne klebten daran.

Igor blinzelte, als würden ihm gleich die Lichter ausgehen. Seine Lippe war übel ramponiert, die ausgeschlagenen Vorderzähne machten ihn nicht unbedingt hübscher, und auch seine Nase hatte einen Richtungswechsel nach schräg links vorgenommen.

»Na dann, hier kommt der Nachschlag …«

Den Satz wollte ich schon immer mal sagen, und so hob ich den Werkzeugkasten für ›Runde 2‹, als die Tür nochmal aufging.

»Kalle, leg die Kiste weg … lass den Scheiß«, fauchte Emrah mich an.

»Verdammt noch mal, was soll das denn heißen, Emrah? Und wo treibst du dich eigentlich rum, häh?«

»Ich hatte zu tun, Kumpel. Und als ich hörte, dass die Chruschtschows dich geschnappt haben, bin ich gleich los gewetzt und …«

»Was, diese Nasen heißen Chruschtschow? Nicht wirklich, oder?«

»Doch, Igor, Sergej und Natalia Chruschtschow. Die kenne ich schon ‘ne halbe Ewigkeit …«

»Ach was? Und warum suchen diese sympathischen Typen dich?«

»Ich hab vor zwei Tagen bei Natalia übernachtet und aus Versehen ihr Handy eingesteckt …«

»Was … bei der ganzen Sache ging es um ein scheiß Handy? Nee, das ist nicht wahr?«

»Äh … ja, die sind bei solchen Sachen ziemlich etepetete, die Chruschtschows, weißte …«

»Dieses Igor-Arschloch hat mich gefoltert, Du Elch. Weißte?«

»Wa … echt?«

»Mein scheiß Zeh ist nur noch Matsch … und das alles wegen einem popeligen Handy …«

»Na komm, Kalle, das Teil ist wirklich teuer … und die ganzen Apps und … es hatte so Straßsteinchen …«

»Du hast ein Handy mit Straßsteinchen aus Versehen eingesteckt?«

»Öh … äh, jahaa …«

»Halt die Klappe, Emrah. Halt einfach nur die Klappe …«

 

 

Igor begann sich wieder hochzurappeln. Er fuhr sich mit dem Ärmel über die zerschrammte Lippe und wischte so das Blut weg. Die Nase sah wirklich komisch aus, was mich leicht schmunzeln ließ. »Wos?«, grunzte der Russe, wobei er etwas schleimiges Blut und Zahngekröse ausspuckte.

»Hey, Igor, hast du wirklich meinen Kumpel mit ’nem Hammer gefoltert?«, fauchte Emrah.

»Also von meinem Zeh ist nicht mehr viel übrig …«, musste ich unbedingt noch einwerfen.

Bevor Igor noch einen Piep rauspresste, packte Emrah ihn an seinen abstehenden Ohren und rammte sein Knie in die bereits derangierte Visage. Igor gingen wieder die Lichter aus.

Als wir die Treppe hochstiegen, ging die Tür auf und Sergej streckte seinen Kopf herein.

»Ja, grüß dich Sergej«, meinte Emrah und schmettere seinen Schädel gegen die Wand, dass es gefährlich knirschte.

»Du machst wie immer keine halben Sachen.«

 

 

»Sag mal Emrah, du könntest mir nicht zufällig die Telefonnummer von Natalie …«

»Das ist jetzt nicht Dein Ernst, Kalle …«

»Och, ich fand sie doch recht … äh …«

»Nein!«

»Ach, komm schon Emrah …«

 

- E N D E -

Einleitung

Diese Story ist bereits einmal in der Sammlung DIRTY CULT erschienen, ein Non-Profit-Projekt, das Ulf Ragnar Berlin und Daniel Bechthold aus der Taufe gehoben hatten. Die Prämisse dazu war, dass man Kurzgeschichten zu einem Gemälde von Daniel Bechthold verfassen sollte (übrigens ein hervorragender Künstler, den ich vor allem für seine s/w-Illustrationen sehr schätze).

Für mich war das Bild eine kongeniale Illustration zu einer lovecraftschen Story, rund um einen Geheimkult, einer monströsen Kreatur aus den Tiefen des Alls und den typischen Lovecraft-Protagonisten: hilflosen Gestalten, die taumelnd dem Abgrund entgegen wanken. Ich hoffe natürlich, dass ich diese lovecraftsche Atmosphäre ein wenig einfangen konnte. Insgesamt war DIRTY CULT eine wunderbare Storysammlung mit fantastischen Autoren, und ich bin ein wenig stolz damals mit dabei gewesen sein zu können.

FERNAB IN DEN HÖHLEN DER SCHMELZENDEN AUGEN

 

Ich liege im frostfeuchten Gras, blicke zu einem sternenübersäten Himmel empor und kann es nicht fassen, dass ich noch lebe, so viel Unfassbares ist in den letzten Stunden auf mich eingestürmt und drohte mich in die unlotbaren Schlünde der Hölle zu reißen.

Aber wo fange ich mit meiner Erzählung an. Wohl am besten bei der Zusammenkunft mit Gertrud am Vorabend Ihrer Abreise nach Aaroch. Diese Dame, so müssen Sie wissen, war mit mir auf amouröse Weise verbunden, ohne dass wir dies öffentlich bekannt zu machen gedachten. Sie war ein Freigeist, unabhängig und willensstark. Sie hatte sich einen Beruf zu eigen gemacht, der selbst für die modernen und fortschrittlichen Zeiten des Jahres 1902 für eine Frau außerordentlich ungewöhnlich war. Gertrud bestritt ihren Lebensunterhalt als Privatdetektivin. Eine fürwahr profane Tätigkeit, dem Ruf einer Dame mit Sicherheit abträglich, aber das war Getrud jedoch in jeder Weise egal.

Wir saßen bei einem Glas Wein in meinem kleinen Salon beieinander und sie berichtete mir von ihrem neuesten Auftrag. Die Ehefrau eines Astronomieprofessors hatte sie engagiert, um dem mysteriösen Verschwinden ihres Gatten auf den Grund zu gehen.

Jener Professor war vor nunmehr einem Monat mit einigen seiner Studenten aufgebrochen, um den Einschlag eines immensen Meteors in den Tiefen des Bayerischen Waldes zu untersuchen. Sein letztes Lebenszeichen hatte Frau Gottschaid von Ihrem Mann Friedrich aus dem winzigen Städtchen Aaroch erhalten. In dem Brief, den Gottschaid auf der Poststelle in Aaroch aufgab, hatte der Professor überaus enthusiastisch geklungen. Mit einem örtlichen Führer war man in die dunkelgrünen Tiefen des Bayerischen Waldes aufgebrochen, um die Überreste des Meteors zu begutachten. Dessen gewaltiges Aufschlagen auf irdischen Boden hatte man laut einiger Zeitungsberichte noch in 100 Kilometern Entfernung zu spüren bekommen.

Getrud empfand dieses neue Mandat als abenteuerliche Abwechslung in ihrem detektivischen Alltag, der zumeist aus dem Hinterherspionieren von untreuen Ehemännern bestand. Ich verabschiedete mich von ihr an einem kühlen Herbsttag, der meine trübe Stimmung gut widerspiegelte, schließlich würde ich Getrud längere Zeit nicht mehr zwischen den Laken meiner Bettstatt begrüßen können.

Schneidig sah sie aus, meine Schöne, in ihrem Hosenanzug und dem Fedora, den sie keck in den seidigen Nacken geschoben hatte.

An ihrer linken Hüfte beulte sich der Revolver aus, den sie in einem Halfter unter dem Jackett verborgen hatte.

»­Bis bald, Herr Bibelfest«, neckte sie mich zum Abschied, in Anspielung auf meine berufliche Tätigkeit als Religionslehrer.

Sie sagte es mir nie, aber vielleicht war der Grund für unsere amouröse Affinität der Reibungspunkt zwischen ihrem absoluten Atheismus und meiner verklärten Gottgläubigkeit. Nun, wer weiß …

Sie winkte mir mit einem herzerfrischenden Lächeln aus dem Fenster des Zuges zu, und ich grüßte Hand wedelnd eifrig zurück.

 

 

Vierzehn Tage ohne Nachricht von ihr vergingen, die mich nicht beunruhigten.

Nach weiteren zwei Wochen ergriff mich eine nie gekannte Nervosität und Unruhe, woraufhin ich kurzentschlossen meinen Reisekoffer packte und ich mich gleichfalls auf die Fahrt in das besagte Städtchen Aaroch begab. Rektor Engelbach war alles andere als entzückt von meinem kurzfristigen Urlaubsantrag, aber er bewilligte mir eine Woche und knurrte mir etwas Undefinierbares zum Abschied hinterher.

Ich stieg zweimal um, bevor ich die letzte Etappe in das Herz dieses riesigen Waldgebietes antrat. Die Lokomotive, die lediglich einen Personenwagen zog, mutete mir wie ein metallenes Monstrum aus den Pioniertagen des Transportwesens an. Mit asthmatischem Schnaufen quälte sich diese geschundene Antiquität durch finstere Waldschluchten, die unendlich schienen. Der Urwald, der sich rechts und links der Schienen auftürmte, hatte nichts von der Frische und Vitalität seiner südamerikanischen Vettern, sondern entfachte mit seiner Düsternis und der tiefgrünen Schwermut ein Gefühl der Beklemmung in mir.

Das Städtchen Aaroch entpuppte sich als eine trübselige Ansammlung unverputzter Gebäude, angefressen von beginnendem Zerfall und andauernder Vernachlässigung. Schmutzig graue Schieferdächer hingen wie verbrauchte Rücken durch, abblätternde Wandfarbe allerorts und blinde Fensterscheiben, deren Erneuerung man keine Aufmerksamkeit schenkte. Diese Ortschaft schlug mir ebenso aufs Gemüt, wie die quälende Zugfahrt, und so fragte ich mich, ob Gertrud dieselben Gefühle bei ihrer Ankunft hier beschlichen hatten.

Ich mietete mich im einzigen Hotel der Stadt ein, welches eher den Eindruck eines bäuerlichen Gasthofs machte, der sich aus der Not heraus, noch ein paar Schlafkammern an der Rückseite gestattete.

Das Zimmer war eng und muffig, die Möblierung karg und von niederster Qualität. Im durchgelegenen Bett hatten es sich ein paar Wanzen bequem gemacht, und das einzige Fenster hatte einen bräunlichen Schmutzfilm anstatt einer Gardine.

Das Abendessen nahm ich im Gastraum ein. Ich bestellte das alleinig verfügbare Gericht: Eine wässrige Suppe in der sich einige undefinierbare Brocken tummelten. Die Brocken hatten entfernten Fleischgeschmack, aber ich war mich nicht sicher. Es hätte gewiss auch aufgeweichter Mäusekot sein können.

An den anderen beiden Tischen spielten einige rotgesichtige Männer Karten. Dabei legten sie ein mir unheimliches Schweigen an den Tag.

Ich war es gewohnt, dass kartenspielende Gesellen beim Stechen munter prahlten, fluchten oder zumindest enttäuscht schnauften. Diese sonderbare Gesellschaft starrte nur stumm und finster vor sich hin, bar jeglicher herzerfrischender Konversation.

Ich ließ die Suppe halb gegessen stehen und trat zu dem krummbeinigen Wirt, der hinterm Tresen seine bauchigen Gläser polierte.

Dann nahm ich eine Fotografie von Gertrud aus meiner Geldbörse und hielt sie dem Wirt hin.

»Entschuldigen Sie mein Herr. Eine gute Freundin von mir ist vor circa einem Monat nach Aaroch gereist. Da hier nicht allzu viele Lokalitäten vorzufinden sind, könnte ich mir vorstellen, dass sie hier im Hirschen abgestiegen ist … Können Sie sich vielleicht an sie erinnern?«

Mit einem trägen Blick bedachte der schnauzbärtige Wirt die Fotografie.

»Mmmh, eine gute Freundin von Ihnen sagen Sie, was? Und so ganz allein unterwegs in der Welt, das Weibsstück, hm?«

Ich ging auf die Provokation nicht weiter ein und wartete geduldig ab, ob seinen Lippen doch noch eine brauchbare Information zu entlocken sei.