Mordsonate - O.P. Zier - E-Book

Mordsonate E-Book

O.P. Zier

4,6

  • Herausgeber: Residenz
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2011
Beschreibung

Wo ist das Wunderkind? Im Schatten Mozarts wird sogar ein Mord zum Kunstwerk. Birgit ist verschwunden: Das 10-jährige musikalische Wunderkind wird in Salzburg, sozusagen unter den Augen Mozarts, entführt. Dabei hätte sie doch am Finale eines internationalen Klavierwettbewerbs teilnehmen sollen, nachdem sie in der Endausscheidung gegen ihre Freundin Anja, Tochter aus gutem Haus, gewonnen hat. Deren Vater, Manager im landeseigenen Energiekonzern, Handlanger und zum Abschuss freigegebenes Bauernopfer der Politik, hat es jedenfalls eilig, sie Karriere machen zu sehen. Sein Ehrgeiz fällt auch Chefinspektor Laber auf, der sich in seinem ersten Fall in dem besonderen Umfeld von Macht und Musik, Schönheit und Gemeinheit erst einrichten muss. Ansonsten weisen die Fingerzeige, die eines Tages in der Stadt auftauchen, in verschiedene Richtungen - und schließlich auch zum Mörder? Indes weint Mozart auf seinem Sockel still vor sich hin: vor Zorn, aber sicher auch vor Lachen und Begeisterung für dieses Buch.

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Seitenzahl: 516

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O. P. Zier

Mordsonate

O. P. ZIER

Mordsonate

Roman

Residenz Verlag

Sämtliche Figuren dieses Romans sind frei erfunden. JedeÄhnlichkeit mit lebenden oder toten Personen ist zufällig.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

www.residenzverlag.at

© 2010 Residenz Verlagim Niederösterreichischen PressehausDruck- und Verlagsgesellschaft mbHSt. Pölten – Salzburg

Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte vorbehalten.Keine unerlaubte Vervielfältigung!

ISBN ePub:978-3-7017-4210-3

ISBN Printausgabe:978-3-7017-1554-1

Erster Satz

Mama! Ich habe doch geübt! So viel habe ich geübt. Lass mich doch, bitte … warum lässt du mich denn nicht hinein, Mama? Ich war doch fleißig! Ich schaffe es nicht besser. Ich gebe mir doch solche Mühe! Mama, bitte, lass mich doch … es ist so finster hier heraußen und … ich … Mama, ich … ich habe so große Angst! Und warum … wenn wenigstens der Bello bei mir … wo ist denn mein Bello, Mama? Warum ist der Bello nicht mehr da, Mama? Ich … so allein … in der Dunkelheit, Mama! Mir ist auch so kalt! Ich möchte doch bei dir sein, Mama, bei dir! Bitte, bitte, mach doch auf, Mama! Bitte!

1

»Worauf bist du denn am allermeisten … stolz?«

Das Mädchen versuchte vergeblich, ein weiteres Aufschluchzen zu unterdrücken, nachdem es zuvor von der Männerstimme barsch zurechtgewiesen worden war, endlich mit dem albernen Geheule aufzuhören, das nichts ändere. Weil durch Geheule nie etwas besser werde. Niemals! Dabei schnitt die schmale Kunststofffessel, mit der die Hände des Kindes hinter seinen Rücken gebunden waren, schmerzhaft in das Fleisch. Auch die Augenbinde saß viel zu fest. Es war sehr unangenehm, wie sich darunter die Tränen stauten. Zum Glück war das Klebeband weg, auch wenn es sehr wehgetan hatte, als es ihr im Haus vom Mund gerissen worden war. Und dieses entsetzliche Jucken, wo sich das Mädchen wegen der Fesselung doch nicht kratzen konnte! Denn seit es aus dem Lieferauto gezerrt und von der ihren Oberarm so hart umklammernden Hand des Unbekannten über die Schwelle und bis in diesen ebenerdig gelegenen Raum geschleift worden war, quälte das Kind dieser Juckreiz.

»Na, nun sag schon! Worauf bist du am allermeisten stolz?«

»Stolz …«

»Ja, stolz! – Ist es denn nicht dein … Klavierspiel?«

»Schon, ja …«

»Na eben! Und was brauchst du dazu am nötigsten?«

»Das … Klavier.«

»Das Klavier, das Klavier! Welchen Körperteil?! Den Körperteil meine ich!«

»Die … die … Hände. Meine Finger.«

»Na eben. Die Finger also …«

»Ja …«

»Und diese Finger … die sollen doch alle Menschen kennen, oder? Überall auf der Welt?«

»Ich weiß nicht …«

»Aber das möchtest du doch? Auf der ganzen Welt. Wo du doch eine so großartige Pianistin bist!«

»Ich weiß ni– schon, ja.«

»Na eben!«

»Um diese Zeit hat sie einfach daheim zu sein! Da braucht sich ein zehnjähriges Mädchen nicht mehr allein in der Stadt herumzutreiben … so etwas geht heutzutage einfach nicht mehr!«

»Natürlich zeigt sie es dir jetzt. Nach dem Zirkus, den du in der Früh wieder aufgeführt hast. – Wegen so einer Lappalie!«

»Ach so, eine Lappalie! Bei dir ist immer alles eine Lappalie … du sagst bei ihr doch zu allem Ja und Amen! Ganz gleich, was sie fordert, von der Mutti kriegt sie es schon. Aber auch sie muss endlich einmal haushalten lernen. Umgehen lernen mit ihrem Geld. Mit dem, was sie zur Verfügung hat. Sie ist alt genug dafür!«

»Sie ist doch viel sparsamer als ihre Freundinnen … von denen hat keine nur mehr ein Wertkartenhandy! Die bekommen doch alle sehr viel mehr als sie.«

»Sehr viel mehr als sie. – Wenn ich das schon höre! Mit irgendwelchen Vorstandsdirektoren, Ärzten oder Rechtsanwälten können wir freilich nicht mithalten. Das tut mir zwar sehr leid für das Fräulein Tochter, aber das ist nicht zu ändern. Ein Bilanzbuchhalter und eine Kassiererin! Solange hohe Wohnungsraten zurückzuzahlen sind und alles ständig teurer wird. Und die Gehaltserhöhungen liegen schon unter der Inflation. Sie muss mit dem auskommen, was wir haben. Und so wenig ist das nun auch wieder nicht. Wenn ich daran denke, was ich …«

»Das kannst du nicht vergleichen! Heute leben wir in einer anderen Zeit …«

»Ja, heute wird es den Kindern vorn und hinten hineingeschoben. Und sind sie deswegen vielleicht zufriedener? Oder gar glücklicher? Einer muss in einer Familie auch Grenzen setzen. Gerade wenn jemand wie du sowieso immer nachgibt! Aber wenn sie glaubt, dass sie das damit durchsetzen kann, dass sie nicht rechtzeitig heimkommt, dann hat sie sich aber sauber geschnitten, das verspreche ich ihr! Sauber geschnitten!«

»Weltberühmt, verstehst du, weltberühmt machen wir sie, deine superschnellen Finger. Weltberühmt!«

Als sie das hörte, war sich Birgit plötzlich unsicher: Führte der Mann vielleicht doch nichts Böses im Schilde? Aber warum hatte er sie dann ins Auto gezerrt, gefesselt, ihr die Augen verbunden, den Mund zugeklebt? Sie so gepackt, dass sie sein Gesicht nicht zu sehen bekommen hatte? Warum hatte er sie überhaupt hierher gebracht, wenn er doch nur ihre Finger weltberühmt machen wollte?! Wollte er dafür etwas Bestimmtes von ihr?

Des Öfteren waren sie in der Schule eindringlich davor gewarnt worden, sich von Fremden mit irgendwelchen Versprechungen irgendwohin locken zu lassen. Doch dieses Wissen hatte ihr gar nichts genützt!

Birgit war wie jedes Mal, wenn sie Klavierstunde hatte – seit Anja und sie in den Vorbereitungslehrgang des Mozarteums aufgenommen worden waren, hatten sie jeweils an zwei verschiedenen Nachmittagen Unterricht –, vom Mirabellplatz direkt zu Anja in die Humboldtstraße gegangen, um ihrer Freundin zu zeigen, was sie in der Klavierstunde gemacht hatte. Herr Weger wollte das. Anja sollte im Vorhinein schon das üben, was Birgit neu gelernt hatte … auch wenn Birgit inzwischen schon weiter war als Anja. Und wie immer war sie danach zur Bushaltestelle unterwegs gewesen, um heimzufahren.

Das Auto: Birgit hatte es nur deshalb überhaupt wahrgenommen, weil sie sich gewundert hatte, dass das Weger-Auto heute hier stand, wo doch Anjas Papa noch im Büro war und die Frau Weger daheim. Sie hatten den alten Ford sonst neben der leer stehenden Villa in der Ernest-Thun-Straße geparkt, weil sie ihn ja nur als Zweitwagen benutzten, wenn sie ins Wochenendhaus nach Seekirchen fuhren. Birgit war dorthin schon öfter mitgefahren, in diesem weißen Ford Transit. Birgit und Anja hatten beide keine Geschwister. Und sie waren die allerbesten Freundinnen. Schon seit der zweiten Klasse Volksschule, als die Wegers in der Nähe der Abergers gewohnt hatten. Auch nach dem Umzug hatte Anja die Volksschule nicht gewechselt. Da sie ja ohnehin bald ins Musische Gymnasium kommen würden. Beide. Birgit und Anja.

Das Auto war so hinter einem anderen Lieferwagen gestanden, dass sie es zuerst kaum gesehen hatte. Und dann war es schon passiert. Sie hatte sich noch gewundert, dass die Heckklappe offen war, Anjas Vater war aber nicht zu sehen … und da … war sie schon gepackt worden … und durch die offen stehende Heckklappe in das Fahrzeug gestoßen. Gleich darauf hatte ihr die Augenbinde jede Sicht genommen. Und als sie aufschreien wollte, war ihr Mund schon verklebt gewesen. Auf dem Bauch liegend, waren ihr die Hände hinter dem Rücken gefesselt und die Beine angewinkelt daran gebunden worden. So war sie seitlich in dem Laderaum des Lieferwagens gelegen, von dem sie wusste, dass er keine Fenster hatte. Nur die zweite Sitzreihe hatte noch Seitenfenster. Sie und Anja hatten schon ein paar Mal hinten sein dürfen während der Fahrt, im Laderaum, wo es keine Sitze gab. Das Auto hatte offenkundig das Stadtgebiet verlassen und war nach einiger Zeit über irgendeinen nicht asphaltierten Weg geholpert und stehen geblieben. Dann hatte ihr der Fremde die Beinfessel abgenommen und sie über ein kleines Stück Weg und danach in diesen Raum geschleift, dessen Hall Birgit sofort verriet, dass er leer oder kaum möbliert war.

Schon kurz nachdem sie aus dem Auto geholt worden war, in dem es nach Öl gerochen hatte wie im Ford Transit von Anjas Eltern, hatte dieses unangenehme Jucken eingesetzt, das sie jetzt zum Heulen brachte, weil sie sich mit ihren hinter dem Rücken gefesselten Händen natürlich nicht kratzen konnte. Und schon bald beschäftigte sie dieser Juckreiz mindestens so sehr wie die Angst vor dem, was mit ihr nun geschehen würde. Obwohl ihr von dem Mann untersagt worden war, sich überhaupt zu bewegen auf dem Bett, auf das er sie gelegt hatte, zuckte Birgit in einem fort mit den Schultern, um sich zumindest ein klein wenig an der Kleidung zu reiben.

Während der Autofahrt hatte ihr die Stimme nur befohlen, sie solle ruhig liegen, dann passiere ihr nichts. Birgit war diese Stimme sofort von irgendwoher bekannt vorgekommen. Und so, wie sie die Stimme schon einmal gehört zu haben glaubte, kam ihr auch der Geruch des Rasierwassers bekannt vor. Aber ihre Angst war viel zu groß, um den Versuch zu unternehmen, sich konzentriert zu erinnern.

Und jetzt behauptete der Mann, er wolle ihre Finger weltberühmt machen. Das Mädchen kannte sich nicht mehr aus. Wenn nur dieses Jucken nicht gewesen wäre und der Drang, einfach loszuschluchzen. Denn der Unbekannte hatte gedroht, ihr den Mund wieder zuzukleben, wenn sie mit der Heulerei nicht aufhören würde.

Nach einer längeren Pause, während der Birgit schon gehofft hatte, der Mann sei vielleicht so leise hinausgegangen, dass sie es nicht bemerkt hatte, sagte die Stimme plötzlich mit einem wehleidigen Unterton: »Deine Finger … mit denen erhebst du dich doch über die, die … nicht … mitkommen … die … zu langsam sind.«

»Ich weiß nicht.«

»Natürlich tust du das!« Der Mann hatte das Mädchen so scharf angefahren, dass es wieder zu weinen anfing. »Solche wie du, die tun das alle. Ihr alle … alle tut ihr das! Alle! Nur wenn’s mal juckt, dann vielleicht … seid ihr auch nicht mehr so schnell. Aber sonst tut ihr es immer!«

Birgit versuchte in sich hineinzuschluchzen, um den Unbekannten nicht noch mehr zu reizen, denn es gelang ihr jetzt nicht, das Weinen gänzlich zu unterdrücken.

»Da brauchst du gar nicht so zu heulen. Das ist so! Und war auch immer schon so. Immer schon.«

Verunsichert sah Peter Aberger kurz wieder in die Richtung seiner Frau, nachdem auch dieses Telefonat ohne Erfolg geblieben war, um danach zum x-ten Mal die Nummer zu drücken, unter der er noch niemanden erreicht hatte. Da er dies ohnehin schon zweimal getan hatte, sprach er jetzt nichts mehr auf den Anrufbeantworter. Sie wäre doch dort … Sie musste dort sein! Denn wo sollte sie denn sonst sein? Er hatte auch schon bei den Eltern der anderen Freundinnen seiner Tochter angerufen. Von Anjas Eltern kannte er leider nur die Festnetznummer. Bei so herrlichem Wetter … da hatten die einfach mit den Mädchen noch etwas unternommen, waren mit den Kindern ins Grüne gefahren. Was läge denn näher als das, an so einem Tag! Wo Anjas Familie dieses alte Haus besaß, in Seekirchen. Dorthin war Birgit doch schon öfter mitgefahren. Und heute eben auch wieder. Oder sie waren einfach noch ein Eis essen gegangen. Und Birgit, mein Gott, sie konnte daheim nicht anrufen, weil er heute früh diesen Radau gemacht hatte, wegen der Telefonwertkarte! Wahrscheinlich wollte Anjas Vater mit dem Ausflug auch zeigen, dass er akzeptiert hatte, dass Birgit am Wettbewerb in Vilnius teilnehmen würde, nachdem Anja in der Endausscheidung auf dem zweiten Platz gelandet war. Ja, so musste es sein, denn Birgit … sie war doch nicht ausgerissen, um Himmels willen! Unsere Tochter ist doch nicht abgehauen, beschwor er sich ein ums andere Mal. Sie hatte nur deshalb nicht angerufen, dass sie sich verspäten werde, weil … ja, weil es heute früh diesen saublöden Streit gegeben hatte, an den er nicht denken wollte, weil er längst bereute, dass er ihn einmal mehr auf die Spitze getrieben hatte, als folge er einem Zwang. Und daran, dass Birgit jetzt nicht anrief – nicht anrufen konnte –, trug allein er die Schuld … weil er am Ende nur die Tür hinter sich zugeknallt hatte und ins Büro gefahren war.

Anna kauerte im Halbdunkel der zunehmenden Dämmerung mit angezogenen Beinen auf dem Sofa, als würde sie frösteln. Nein, es fröstelte sie tatsächlich. Weil es sie immer fröstelte, wenn etwas passierte, das schlimm ausgehen konnte. So war es auch vor einigen Jahren gewesen, als ihr jüngerer Bruder im Pinzgau beim Dachdecken abgestürzt war und sie im Halbdunkel eines späten Nachmittags auf Nachricht aus dem Spital gewartet hatten. Sie umschlang ihre Beine wie damals, um sich zu wärmen. Dabei war der heutige Maitag wie der gestrige schon fast hochsommerlich heiß gewesen. Auch jetzt, am frühen Abend, strömte noch immer das Gemisch aus warmer Luft und Abgasen durch die offen stehende Balkontür in das Wohnzimmer.

Alle paar Minuten versuchte er es bei Anjas Eltern. Dass er dort niemanden erreichte, war doch Beweis genug dafür, dass die Familie mit den Mädchen irgendetwas unternommen hatte, der dummen Konkurrenz zum Trotz. Wo hätte er sonst noch anrufen sollen? Mit resigniertem Blick schaute er zu seiner Frau, die ihn ihrerseits ratlos ansah und wieder damit anfing, ihre Zehen zu kneten, wie sie es immer tat, sobald sie nicht mehr weiter wusste.

»Ich habe kein gutes Gefühl«, murmelte Anna.

»Die Wegers haben mit den Kindern bestimmt noch etwas unternommen«, entgegnete er schnell, aber es hörte sich kleinlaut an.

Anna sah mit leicht verschleiertem Blick in seine Richtung, um nach einiger Zeit zaghaft zu nicken.

»Bestimmt«, wiederholte er. »Bestimmt sind sie … bei dem Wetter … da sind sie noch hinausgefahren. Ganz sicher.«

Nur einen Moment lang dachte Birgit: Wie ekelig, wenn der Fremde dabei zuschaut! Dann aber war ihr alles egal, so dringend musste sie jetzt auf die Toilette, nachdem ihr der Mann vorhin eine Limo zu trinken gegeben hatte.

Die Fesseln wurden ihr abgenommen, und während sie sich noch die Handgelenke massierte, verbot ihr die Stimme bereits, sich an die Augenbinde zu greifen. Dabei hätte sie der Mann nicht darauf hinzuweisen brauchen, dass es zu ihrem eigenen Schutz war, ihn nicht zu sehen. Sie zweifelte keine Sekunde daran, dass er sie sonst sofort umbringen würde. Noch dazu, wo sie sich inzwischen ziemlich sicher war, die Stimme schon gehört zu haben. Und zwar nicht nur einmal. Sie war noch viel zu aufgeregt und verängstigt, um sich konzentrieren zu können, aber es war ihr, als habe sie die Stimme immer zusammen mit einem anderen Geräusch vernommen. Doch mit welchem? Mit welchem nur? Sie würde draufkommen … ganz sicher würde es ihr einfallen, sobald sie sich etwas beruhigt hatte, denn was sie hörte, prägte sich ihr viel besser ein als das, was sie sah. Das hatte schon ihre Volksschullehrerin festgestellt, als ihr Birgits musikalisches Talent aufgefallen war. Ein unglaubliches Gehör, wie die Lehrerin ihren Eltern gesagt hatte, als sie diese beschwor, sie zusammen mit ihrer Freundin Anja Klavier lernen zu lassen. Es würde ihr wieder einfallen, ganz bestimmt! Weil sie sich beruhigen würde. Sie war zuversichtlich, dass der Unbekannte nicht vorhatte, sie umzubringen, denn sonst hätte es keine Augenbinde gebraucht. Eins und eins könne sie nämlich noch zusammenzählen. Und ganz unerwartet stieg in dem Mädchen so etwas wie ein Triumphgefühl auf.

»Na mach schon«, forderte sie die Stimme ungeduldig auf, und Birgits rechte Hand tastete vorsichtig nach der Klobrille. In die Linke hatte ihr der Unbekannte sogleich nach dem Lösen der Fessel eine Rolle Klopapier gedrückt. Er hatte versprochen, ihr nicht zuzuschauen, wenn sie seine Anweisungen befolge.

Das Mädchen wollte sich alles einprägen für später, wenn es wieder frei wäre … Die Klobrille, stellte Birgit fest, war aus Holz. So wie die bei Oma und Opa im Pinzgau.

»Vergiss nicht, dass du nachts keine Gelegenheit mehr hast, aufs Klo zu gehen«, sagte die Stimme. »Melde dich also erst, wenn du wirklich fertig bist. Nicht früher. Ich schau schon nicht zu.«

Als sie das hörte, war Birgit sich sicher, dass er tatsächlich nicht schauen würde. Er musste also etwas anderes mit ihr im Schilde führen als das, wovor sie in der Schule immer so eindringlich gewarnt wurden. Aber wenn er Lösegeld … wie sollten ihre Eltern das aufbringen? Obwohl sie diese Überlegung wieder beunruhigte, hatte Birgit kein Problem, ihr Geschäft zu verrichten.

Anschließend wurde sie in den Raum zurückgeführt. Und plötzlich von dem Unbekannten so ruckartig zum Stehen gebracht, als wäre sie sonst in ein fahrendes Auto gelaufen. »Aufpassen!« warnte der Mann in schneidendem Ton. »Da ist die Grube …« Birgit fuhr zusammen, sie hatte starkes Herzklopfen, als sie an Händen und Füßen wieder an das Bettgestell gefesselt wurde. Er gestehe ihr einen Spielraum zu, damit sie halbwegs bequem liegen könne. Denn dass sie nicht auf bestimmte Gedanken komme, dafür sorgten andere Wesen, wie die Stimme geheimnisvoll sagte. Wesen, die dort seien, wo sie fast hineingefallen wäre, wenn er sie nicht rechtzeitig zurückgehalten hätte. Sie solle also einfach nur schlafen. Denn wenn sie versuche, sich loszureißen, würde das schreckliche Folgen haben. »Auch wenn ich jetzt nicht da bin, vergiss nicht: Du bist nicht allein! Nein! Dafür habe ich nämlich sehr gut vorgesorgt, das kannst du mir glauben. Auch wenn du schreist, hören dich nur die … du weißt schon, diese Tierchen in der Grube! Du wirst sie bestimmt auch hören können, sobald du mit ihnen allein bist … du mit deinem … absoluten Gehör! Ich rate dir, ruhig liegen zu bleiben, denn sonst könnte es sein, dass du … hinunterfällst … in die Grube … wo schon auf dich gewartet wird … oder du lockst sie herauf, wenn du keine Ruhe gibst …«

Birgit hielt vor Angst den Atem an und lauschte angestrengt. Nach einiger Zeit vernahm sie tatsächlich ganz deutlich ein Zischen, in das sich ein Geräusch mischte, das nur von sich aneinander reibenden Schlangenkörpern stammen konnte. Als sich ihr die entsprechenden Bilder aufdrängten, jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken, und sie wagte kaum zu atmen.

Dann hörte sie plötzlich die höhnende Stimme ihres Peinigers: »Du liebst sie doch auch, diese Tierchen, nicht? Da sind schon ganz prächtige Exemplare dabei, doch, doch … Und nicht gerade leicht zu bekommen, das kannst du mir glauben.«

Wie gesagt, Schreien helfe ihr gar nichts. Und sich loszureißen, könne sehr, sehr gefährlich sein. Und wenn sie nochmals aufs Klo müsse, bis er wieder zurück sei, dann solle sie lieber ins Bett machen, anstatt groß herumzuplärren … Aber so schlimm werde es nicht sein, so viel habe sie ja nicht getrunken und auch noch nichts zu Abend gegessen. Auch könne er ihr versprechen, dass sie bald tief schlafen werde. Und wenn sie brav sei, bekomme sie morgen ein gutes Frühstück. »Also, schlaf dann!«

Birgit hörte die Schritte. Hörte, wie die Tür geöffnet und geschlossen und bald darauf die Haustür versperrt wurde. Dann startete ein Lieferwagen, und das Motorgeräusch entfernte sich. Danach war es still. Nur eine schwere Hummel flog immer wieder gegen die Fensterscheibe. Dem Mädchen war dieses Geräusch aus der Stube ihrer Oma auf dem Land vertraut, wo es in den Sommerferien oft war. Obwohl es diese Erinnerung mit einem angenehmen Gefühl verband, lag das Kind jetzt starr vor Angst im Bett und lauschte angestrengt auf das Zischeln, das aus der Grube zu ihr heraufdrang. Und jedes Mal peinigte sie die Vorstellung, dass das Zischen näher rückte. Kamen die Tiere gerade herauf? Doch die Pausen zwischen den Geräuschen wurden länger und ließen das Mädchen hoffen, dass die Schlangen bald einschlafen würden. Und da das Kind die aus dem Loch aufsteigende Kühle spürte und wusste, dass Schlangen Wärme brauchten, stellte es sich vor, dass sie sich bald träge aneinanderkuscheln und sich sonst um nichts mehr kümmern würden. Obwohl sie diese Vorstellung etwas beruhigte, vermochte Birgit jetzt ihre Tränen nicht mehr länger zurückzuhalten, auch wenn sie sich erfolgreich zwang, ihr Schluchzen zu unterdrücken, indem sie das Gesicht in die Matratze presste. Zudem wagte sie sich nur ganz vorsichtig zu bewegen. Zum Glück hatte das Jucken nachgelassen. Vorsichtig rieb das Kind seinen Rücken am Bettzeug.

Wo war ihr Rucksack? Das Handy … wie würde Papa schimpfen, wenn sie das verloren … Und dann die Noten! Sie musste doch üben! Der Wettbewerb!

Mutti, Papa … Längst würden sie nach ihr suchen. Wie spät konnte es denn sein? Sie hatte gar nicht bemerkt, dass ihr die Uhr abgenommen worden war – wahrscheinlich nachdem sie auf dem Klo gewesen war, denn da hatte sie das Uhrband noch gespürt, beim Massieren der Handgelenke. Doch jetzt hätte sie ohnehin nichts gesehen und schon gar nicht dort, wo ihre Arme ans Bett gefesselt waren. Was hatte dieser Mann nur mit ihr vor?! Was würde er ihr antun?

Unter der Augenbinde stauten sich die Tränen. Während sie fast lautlos schluchzte, dachte sie verzweifelt: Lieber Gott, lieber, lieber Gott, bitte, bitte lass mich bald wieder daheim sein! Keine Sekunde dachte sie mehr daran, dass sie sich heute früh nach dem Streit mit Papa wutentbrannt auf den Schulweg gemacht und sich dabei ständig in trotzigem Zorn gesagt hatte, nie wieder heimkommen zu wollen, nie, nie wieder!

Müdigkeit erfasste sie. Eine ihr unbekannte Müdigkeit. Als hätte sie sich restlos verausgabt. Ein einziges Mal nur hatte sie etwas Ähnliches erlebt, als sie vor zwei Jahren mit ihrem Opa diese lange Bergwanderung unternommen hatte und völlig erschöpft, aber ungemein glücklich zu Oma heimgekommen und schon auf dem Diwan in der Küche eingeschlafen war, während sie noch aufs Abendessen wartete. Jetzt begann sich sogar ihre Angst in dieser Müdigkeit zu verlieren. Auch war es ihr nun egal, dass sie noch ihre Kleidung und die Sandalen anhatte – noch nie in ihrem Leben hatte sie mit Schuhen geschlafen. Ganz leicht fiel es ihr jetzt, sich in ihre Lieblingsvorstellung zu flüchten, wie sie es beim Einschlafen zu tun pflegte, wenn sie am nächsten Tag etwas Unangenehmes erwartete: Sie stellte sich vor, sich gerade wohlig im Bett eines Schlafwagens zu räkeln, während der Zug mit ungeheurer Geschwindigkeit durch die Dunkelheit davonraste, um schließlich von den Schienen abzuheben und durch die Nacht zu schweben, während ihre Ängste zurückblieben …

»Also nicht mehr bei Anja, sagen Sie … nicht mehr dort … nach ihrem Klavierunterricht gekommen … wie immer gezeigt, wie weit sie … und zur gewohnten Zeit zum Bus gegangen. Und Sie waren vorhin auf der Dachterrasse, ah, verstehe … Anja konnte das Telefon auch nicht hören. Der Schallschutz in ihrem Zimmer, verstehe. Und Birgit hat ihr nicht gesagt, ob sie noch etwas Besonderes vorgehabt … hmmm, ja, vielen Dank, Frau Weger. Nein. Nein, nein – danke, nur wenn Anja noch etwas einfallen sollte, dann bitte … Ja … ja, wir müssen … genau, noch etwas zuwarten und halt weitersuchen. Doch, das glaube ich eigentlich auch, dass es sich bald aufklären … ja genau, vielen Dank nochmals, Frau Weger.«

Peter stand reglos im Wohnzimmer. Während er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach, obwohl ihn doch die Zuversicht von Anjas Mutter gerade noch beruhigt hatte, scheute er sich davor, auch nur vage in Annas Richtung zu blicken. Bei einem Umfall … da hätte sich doch das Krankenhaus gemeldet? Oder die Polizei … Hatte er sich jemals zuvor so allein gelassen gefühlt wie jetzt?

Er war 35, und sein Leben hatte noch nie sonderlich viel aus Nachdenken über sein Leben bestanden. Er hatte einfach gelebt, das war alles. Bei bestimmten Gelegenheiten hatte er sich, wie vermutlich die allermeisten seiner Mitmenschen auch, über die Schnelligkeit gewundert, mit der dieses Leben verstrich, seit er kein Kind mehr war; ganz so, als gelte es, so schnell wie möglich das Ende zu erreichen.

Peter Aberger hatte ein paar konkrete Ziele vor Augen gehabt und die meisten davon erreicht, weil er in der Regel angestrebt hatte, was für ihn auch erreichbar war: die Bilanzbuchhalterprüfung etwa. Ein schöner Erfolg – zwar mit einigen Anstrengungen verbunden, aber keineswegs außerhalb seiner Möglichkeiten.

Nein, zu keinem Zeitpunkt seines Lebens hatte er mit seinen Plänen und Wünschen sein Schicksal herausgefordert. Er war ganz selbstverständlich immer davon ausgegangen (und auch so erzogen worden), dass er selber sein Schicksal war. Und so hatte er, anstatt Luftschlösser zu bauen, frühzeitig die Anzahlung für eine Eigentumswohnung in einer noch leistbaren Gegend der Stadt Salzburg getätigt.

Und jetzt … jetzt musste er plötzlich von einem Augenblick auf den anderen erleben, dass er nur noch einen einzigen Wunsch hatte, zu dessen Erfüllung er offenbar selber überhaupt nichts beitragen konnte. Denn was, um Himmels willen, blieb ihm denn noch zu tun, damit er seine Tochter schnellstmöglich unversehrt zurückbekam? Er wäre zu allem bereit gewesen – aber niemand forderte etwas von ihm. Oder würden diese Forderungen erst noch kommen? Würde alles wie in einem Fernsehfilm ablaufen? – Doch wer sollte seine Familie ernsthaft zum Ziel einer Erpressung machen wollen? Dieser Gedanke kam ihm völlig abwegig vor.

Weshalb fiel es ihm jetzt immer schwerer, darauf zu vertrauen, dass sein Kind tatsächlich heimkehren würde? Mit jeder Stunde schwand ein Stück seiner Hoffnung.

Weil Anna schon mehrmals wiederholt hatte, dass sie so ein ungutes Gefühl habe? Obwohl er doch immer noch davon ausgehen wollte, dass sich alles schon bald als harmlos herausstellen würde. Warum sollte es denn nicht so sein, dass Birgit ihn wegen heute Morgen einfach bestrafen wollte und irgendwo saß, um die Zeit verstreichen zu lassen, weil sie wusste, dass sich die Eltern ängstigten. Vor allem ihr aufbrausender und knauseriger Vater sollte sein Verhalten von heute Morgen bereuen, damit er sich endlich ändere. Und jede weitere Stunde, die sie ihre Heimkehr hinauszögerte, würde sie diesem Ziel näher bringen. Warum sollte nicht das der Grund für Birgits Fernbleiben sein? Sosehr er sich bemühte, er fand einfach nichts, was ihm naheliegender schien. Und doch machte sich in ihm mehr und mehr Panik breit.

Plötzlich war ihm klar, wie allein Anna und er jetzt waren, während die Angst um das Kind in einem fort übermächtiger wurde. Und als er sich ein ums andere Mal sagte, dass Anna und er jetzt absolut allein waren mit ihrer Angst, kam ihm der Gedanke, dass man sich wahrscheinlich die meiste Zeit seines Lebens nur deswegen nicht so alleingelassen fühlte wie er und seine Frau in diesem Moment, weil man immer dann, wenn man keiner besonderen Hilfe bedurfte, einfach nicht bemerkte, dass man allein war. Fürchterlich allein. Weil ein unauffälliges Durchschnittsleben wie das, welches die kleine Familie Aberger führte, zumindest so lange, bis Birgits Musiktalent aufgefallen war, weil diese Durchschnittsexistenz vielleicht überhaupt nur daraus bestand, über das Gefühl des Alleingelassenseins hinwegzugehen. Da es ja gar nicht auszuhalten wäre, würde man sich diesen Umstand ständig bewusst machen. Wenn man Glück hatte, passierte die längste Zeit ohnehin nichts Gravierendes, nichts, was einen mit dieser rücksichtslosen Gewalt auf die Tatsache hinwies, dass man halt einfach alleingelassen war.

Nein, er konnte sich nicht entsinnen, jemals solche Überlegungen angestellt zu haben. Er war ein kaufmännischer Angestellter, der ein Faible für Autos hatte, sich im Fernsehen gerne Fußballspiele und andere Sportübertragungen ansah und trotz Bedenken dann doch nicht gekniffen hatte wie viele seiner Kollegen, als es darum gegangen war, sich für die Wahl zum Angestelltenbetriebsrat aufstellen zu lassen, obwohl ihm klar gewesen war, dass er nur einen Listenplatz zu füllen, also nichts anderes zu gewinnen hatte, als in den Augen der Geschäftsführung womöglich als unsicherer Kantonist dazustehen, den man bei Beförderungen besser überging.

Plötzlich hörte Peter das leise Weinen seiner Frau. Er kam sich so schäbig vor. Und feige. Weil er noch immer nicht angesprochen hatte, was ihn die ganze Zeit schon so sehr quälte.

Schnell drückte er ein weiteres Mal die Kurzwahltaste. Birgits Handy war noch immer ausgeschaltet. Es wirkte auf ihn wie tot.

Dieser blödsinnige Streit … eine der vielen Lappalien, mit denen er sich und anderen das Leben schon so oft zur Hölle gemacht hatte! Sosehr er sein Verhalten im Nachhinein jedes Mal bereute, so wenig gelang es ihm, es bei der nächsten Gelegenheit zu vermeiden.

Kleinlaut murmelte er jetzt mit niedergeschlagenem Blick in Annas Richtung, ob sie Birgit vielleicht nicht doch … das Geld gegeben … für eine neue Wertkarte … auch wenn er in der Früh so lautstark gewettert hatte, dass das Mädchen endlich lernen müsse, sparsamer mit dem Guthaben umzugehen.

Anna blieb stumm. Sie saß da, als habe sie ihn nicht gehört. Er suchte den Blick seiner Frau, als er nochmals verzagt fragte: »Hat sie sich … ich meine, hast du ihr das Geld doch gegeben, für eine neue Karte?«

Anna sah ihn verstört an.

»Du hast ihr … hast es ihr trotzdem gegeben?«

Anna nickte nur zerstreut.

»Sie hat sich eine kaufen können?«

»Ja, ja.«

Peter atmete erleichtert auf. Der Druck, den das Schuldgefühl in ihm erzeugt hatte, ließ nach. Doch gleich darauf wurde ihm bewusst, was das womöglich hieß, wenn Birgit trotz der neuen Wertkarte nicht erreichbar war. Bei diesem Gedanken brach ihm neuerlich der Schweiß aus. – Der Akku war leer … mein Gott … hoffentlich liegt es nur am Akku. Oder nein, natürlich! Was war er nur für ein Schwachkopf, natürlich hatte sie es ausgeschaltet … welchen Sinn würde es denn machen, von daheim fortzubleiben, um es ihrem Vater heimzuzahlen, und dann seine Anrufe entgegenzunehmen? Sein Kind war doch nicht dumm.

Peter ging die paar Schritte zur Balkontür und sah ins Freie. Er starrte hinaus, ohne wahrzunehmen, was draußen vor sich ging. Obwohl er doch nach Birgit hatte Ausschau halten wollen, weil er plötzlich das Gefühl gehabt hatte, sie komme gerade heim. Am liebsten hätte er losgeheult. Einfach losgeheult, denn wie konnte man auf einmal so alleingelassen sein, sich so entsetzlich hilflos vorkommen?

Als er sich endlich wieder zu seiner Frau umwandte, musste er mehrmals schlucken, damit er mit belegter, weinerlicher Stimme halblaut die paar Worte herausbrachte: »Wir müssen … Anna, ich glaube, wir müssen … müssen es melden … eine Abgängigkeitsanzeige machen, wenn sie nicht bald …« Wie mit letzter Kraft fügte er noch hinzu: »Wir brauchen Hilfe, Anna, Hilfe!«

Sie nickte ganz langsam.

So, wie er es jeden Tag tat, wenn er aus dem Büro kam, ließ Hans Weger in der Garderobe neben dem Schuhschrank seinen Aktenkoffer zu Boden fallen, um ihn bis zum nächsten Morgen nicht mehr anzurühren. Sein Inhalt, allerlei privater Krimskrams, erforderte dies ohnehin nicht. Hatte er doch längst damit aufgehört, zumindest pro forma irgendwelche Papiere aus dem Büro mit nach Hause zu nehmen, nachdem er sich anfangs für alle Mitarbeiter unübersehbar Aktenordner unter die Achsel geklemmt hatte, sobald er mit seinem von Verantwortung gezeichneten Gesichtsausdruck das Büro verließ – ein letztlich gescheiterter Versuch, dem Ruf etwas entgegenzusetzen, nichts weiter zu sein als einer dieser unfähigen wie untätigen Parteigünstlinge, aus denen sich ein Gutteil der bestbezahlten Führungsebene der ENAG zusammensetzte. Eines jener von Parteisekretariaten mit Personal beschickten öffentlichen Unternehmen, in denen das Prinzip herrschte, dass jene, die wenig verdienten, viel zu tun hatten – und umgekehrt. Missstände, die Wegers als Feschistenpartei bezeichnete Gesinnungsfreunde jahrelang lautstark angeprangert hatten – um es danach, nachdem sie dafür gewählt worden waren, den Kritisierten nicht nur gleichzutun, sondern sie auch noch schamlos zu übertreffen. Hans Weger wunderte sich noch immer darüber, dass er das so frühzeitig gerochen und die in Salzburg übermächtigen Konservativen verlassen hatte, bei denen er nur einer unter sehr, sehr vielen gewesen war und nie im Leben von heute auf morgen zum Vorstandsdirektor eines Energieriesen aufgestiegen wäre, obwohl er von diesem Fach nicht die geringste Ahnung hatte, als erfolgreicher Autoverkäufer.

Er legte Schlüssel und Mobiltelefon auf die Imitation eines Stilmöbels, schlüpfte aus den Schuhen und nahm die Krawatte ab. Während er sie mit seinem Sakko über den Bügel hängte und danach endlich den Hemdkragen öffnete, an dem er zu ersticken drohte, fiel es ihm schwer, seine Erregung zu unterdrücken, nicht sofort alles von dem preiszugeben, was ihn erfüllte.

Er bemühte sich, ein Gesicht zu machen wie immer, als er nach kurzem Anklopfen die Tür zu Anjas Zimmer öffnete und seine Tochter begrüßte, die mit dem Rücken zu ihm an ihrem Schreibtisch saß, Hausübungen machte und seinen Gruß mit angehobenem linken Arm erwiderte, ohne sich zu ihrem Vater umzudrehen.

Als seine Frau, mit der er die letzten Wochen hindurch beinahe täglich Streit gehabt hatte, in der Küchentür erschien, begrüßte er sie nur kurz auf seine ruppige Art, die durch den mürrischen Ausdruck noch unverträglicher wirkte. Der flüchtige Kuss, den er ihr im Vorbeigehen auf die Wange hauchte, änderte wenig an der für beide so unerquicklichen Szene.

»Was ist denn jetzt schon wieder los?« fragte Petra gereizt.

»Derselbe Scheiß wie gestern. Die wollen mich weghaben, das ist los.«

Er vermied es gerade noch rechtzeitig, wieder Gerlinde zu erwähnen, auf die seine Frau so allergisch reagierte, sobald er ihr von der guten Quelle vorschwärmte, die er sich dadurch erschlossen habe, dass er der Chefsekretärin regelmäßig Blumen vorbeibrachte. Ohne dass sie wissen konnte, was vor einer Woche zwischen ihm und Gerlinde passiert war, hatte Petra sich auch dann noch nicht beruhigt, als er ihr gesagt hatte, dass die Frau doch fünf Jahre älter sei als er und für ihn nichts weiter als eine Auskunftsperson, die an idealer Stelle sitze, um ihn über den jeweils letzten Stand der gegen ihn geplanten Aktionen zu informieren. Hatte er Gerlinde Brunner anfangs wirklich nur sehr berechnend mit seinen Komplimenten überhäuft, so sehnte er sich mittlerweile immer öfter auch außerhalb der Firma nach der Gesellschaft der aus ihm unerfindlichen Gründen alleinstehenden Frau.

Er holte sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und setzte sich an die Bar, die den großen Raum teilte.

»Dass diese verfluchten Trotteln auch so abwirtschaften mussten! Mit Ende meines Vertrages wandert mein Posten zu den Schwarzen zurück – nur dass ich nicht wieder zurückwechseln kann. Vor allem wollen diese Schweine das Vertragsende gar nicht abwarten!«

»Die Birgit ist heute nicht heimgekommen …«

»Was?«

»Ihr Vater hat angerufen … sie suchen sie.«

»Ist was passiert?«

Petra zuckte mit den Schultern. Dann wandte sie sich zum Herd, um eine Pfanne vom Kochfeld wegzuziehen.

»War sie nach der Klavierstunde bei Anja?«

»Ja. Und sie ist wie immer rechtzeitig zum Bus gegangen.«

»Wenn sie nicht da ist«, sagte Hans nach kurzem Schweigen missmutig, »kann ja Anja nach Vilnius fahren …«

Seine Frau drehte sich schnell zu ihm um und sah ihn mit einer Mischung aus Verblüffung und Abscheu an, ohne etwas zu entgegnen.

»Als Zweitplatzierte! Ist doch nur logisch«, blaffte er heraus.

Dann setzte er erneut die Bierflasche an, und einmal mehr tat es ihm gut, daheim nicht aus einem Glas zu trinken. Kleinigkeiten wie diese gaben ihm das Gefühl, deutlicher er selbst zu sein; nicht zuallererst mit der krampfhaften Darstellung einer Figur beschäftigt, die er einfach nicht war. Womit er nur Erwartungen entsprach, die in ein Mitglied des Direktoriums der ENAG gesetzt wurden. Ein Verhaltenskodex, von dem ihm von den anderen so genannten Führungskräften sofort, nachdem er in diese Position gekommen war, unmissverständlich klar gemacht worden war, dass er die wichtigste Voraussetzung für seine neue Tätigkeit sein würde.

»Weißt du überhaupt, was du damit sagst?«, hörte er seine Frau in angewidertem Ton vor sich hinmurmeln, sodass sie kaum den Dunstabzug übertönte. Dann drehte sie sich plötzlich noch einmal kurz zu ihm um und fauchte ihn böse an: »Du bist echt ein –«

Aufbrausend fiel er ihr ins Wort: »Aber du … du willst vielleicht nicht, dass dein Kind Erfolg hat, was? Du nicht? Du warst nicht enttäuscht, als sie nur Zweite wurde?! Und wenn man dann dafür was tut, dann –«

»Was tut? Was soll das heißen, was tut? Kannst du vielleicht etwas für sie tun?!«

Er überging diesen Einwurf und setzte aufgebracht fort: »Gerade jetzt, wo überall sowieso nichts zählt als Wettbewerb, Konkurrenz … Wo alle alles tun … wo jedem jedes Mittel recht ist. Und nur noch … Brutalität zählt. Da willst du die Heilige spielen, was?! Unsere Zeit kennt keine Heiligen mehr. Nur Gewinner und Verlierer! Gewinner und Verlierer, das musst irgendwann auch du begreifen!« Er holte Luft, trank und sagte danach etwas leiser: »Spätestens dann, wenn wir uns das alles nicht mehr leisten können. Diese Wohnung, zwei Autos und ein Häuschen im Grünen!« Denn ihm, dachte er verbittert, werde gerade unmissverständlich gezeigt, dass er nicht mehr zu den Siegern zähle. Er hatte sich bei der Spaltung seiner Partei für den falschen Haufen entschieden. Ganz auf den großen Führer vertrauend, war er ihm gefolgt, aber der Führer war im Suff in den Tod gerast. Und ohne ihn waren sie gar nichts mehr, so viel stand für Hans Weger längst fest. Das zeigten sie ihm jetzt auch in der ENAG überdeutlich.

Er erhob sich etwas schwerfällig und sagte trotzig: »Aber wenn unser Mädel nach Vilnius fährt, dann werden die sich sauber anschauen … der Vater eines umschwärmten Klavierstars, der … und wenn sie sich dann noch lange aufspielen, manage ich sie halt … nein, die werden sich noch sauber –« Er brach ab, nahm einen weiteren Schluck aus der Bierflasche und ging wortlos in das große Wohnzimmer, wo er sich aufs Sofa fallen ließ. Er unterdrückte den Drang zu rauchen, weil er jetzt nicht auf die Dachterrasse gehen wollte. Er schaltete den Fernseher ein, ohne jedoch auf das Programm zu achten. Er lehnte sich auf dem riesigen Sofa zurück und gab sich dieser Mischung aus Wut und Selbstmitleid hin, die ihn in letzter Zeit so oft überkam.

Wenig später öffnete Petra die Tür und herrschte ihn an: »Wo warst du eigentlich heute die ganze Zeit? Ich hab dich im Büro nicht erreicht und nicht am Handy!«

Er lachte bitter auf, vermied es aber, sie anzusehen: »Brauche ich jetzt schon ein Alibi? Du drehst ja komplett durch!«

Er schaltete den Ton lauter und fixierte den Bildschirm, während seine Frau noch eine Zeitlang mit wachsender Verachtung in seine Richtung blickte, bevor sie sich ruckartig wegdrehte und in die Küche zurückging.

2

»Bernd ›Speedy‹ Lux ist wieder für Sie da, die beliebteste und schnellste Frühstücksrakete des Landes! Beste Laune, beste Musik und der rasanteste Speedy aller Zeiten. Auf RADIOakkktiv erfahren Sie das Allerneueste schon, bevor es passiert. Oder fast jedenfalls. Denn Ihr BSL schickt unermüdlich seine fleißigen Ameisen aus. Und die kommen überall hin, mit ihren klitzekleinen RADIOakkktiv-Mikros. In knapp zehn Minuten ist es wieder soweit, da gibt’s einmal mehr Sensationelles auf RADIOakkktiv. Eingefangen von Barbara Braun, unserer BB. Na ja, Sie wissen schon: Man kann auch ohne unendlich lange Beine und Superfigur eine BB sein – unsere BB halt. Aber lassen wir das, nobody is perfect, kein Body ist perfekt, wie die Briten sagen. Außer Ihr BSL natürlich. Aber das wissen Sie ja. Und deshalb serviert Ihnen Ihr BSL vorher noch CCR mit ihrer stolzen Maria! – Bernd ›Speedy‹ Lux: Von fünf bis neun für Sie aktiv, auf RADIOakkktiv!«

Erich Laber bahnte sich seinen Weg durch die Wohnung. In engem Slalom zwischen den Türmen der großteils noch nicht geöffneten, geschweige denn ausgepackten Umzugskartons hindurch, die sich seit knapp zwei Wochen in jedem der Zimmer noch so stapelten, wie die Männer von der Umzugsfirma sie abgestellt hatten. Er war auf dem Weg ins Bad – und natürlich auch ein bisschen auf der Flucht vor diesem Knallfrosch von Morgenmoderator, der für Erichs Dafürhalten seinen Namen zu Recht so abkürzte, dass man dabei unwillkürlich an eine ansteckende Krankheit denken musste. Da Erich den angekündigten Beitrag seiner Nichte aber auf keinen Fall versäumen wollte, musste er das Programm weiterlaufen lassen.

So viel Krempel, dachte er, als er in einer der Schachteln nach frischer Unterwäsche wühlte. Dabei hatte er seine Übersiedlung von Linz nach Salzburg zum Anlass genommen, sich von in Jahrzehnten Angehäuftem zu trennen, weil er vor der Mühe des Einpackens am Ende schlichtweg kapituliert und deshalb den dringenden Rat seiner Helfer akzeptiert hatte, endlich auszumisten.

Seit er nach Beendigung des Jusstudiums, im Anschluss an Präsenzdienst und Gerichtsjahr, in den kriminalpolizeilichen Dienst eingetreten war (vorübergehend, wie er sich damals gesagt hatte), hatte er in der Linzer Altstadt in den Zimmerfluchten einer großen Altbauwohnung gelebt, die meiste Zeit allein. Jetzt, mit bald fünfzig Jahren, sein erster großer Umzug, der ihn in die Mohrstraße Nr. 8 und damit symbolträchtig in die Nähe des Kommunalfriedhofs geführt hatte. Dabei fühlte er sich beschwingter denn je. Nie im Leben hätte er sich träumen lassen, welche Wirkung eine Beförderung auf einen Menschen auszuüben vermag, der Jahrzehnte hindurch jedem Aufstieg mit Argwohn begegnet war, weil ihm eine Karriere im österreichischen Staatsdienst stets gleichbedeutend erschienen war mit der Einreihung in das Heer kuschender Parteisoldaten. Ironischerweise verdankte sich Erichs jetziger Karrieresprung gerade einem Widerstandsakt gegen dieses Parteisoldatentum – und dieser Widerstandsakt bestand kurioserweise auch noch im Eintritt in eine Partei! Wobei sein Aufstieg die Spätfolge eines Entschlusses war, der von allen Menschen seines Umfelds als berufliches Harakiri gesehen worden war. In den Augen nicht weniger Beobachter schien er endgültig seinen Verstand verloren zu haben.

Obschon ihn allein die Vorstellung lähmte, alle diese Kartons wieder auspacken zu müssen, war es doch so, dass er nach der anfänglichen Erleichterung, die er verspürt hatte, als so viele seiner Sachen auf dem Müll gelandet oder von den Organisatoren eines Flohmarktes abgeholt worden waren, diesen Schritt insgeheim längst wieder bereute. Wie denn auch nicht: Er steckte immer noch in seiner Haut. Und da er sich darin keineswegs unwohl fühlte, würde es wohl nicht allzu lange dauern, bis er erneut anfing, allerhand Dinge anzusammeln.

Bei offener Tür verfolgte er während des Rasierens mit halbem Ohr das Radioprogramm. Als Babsis Beitrag auf Sendung ging, saß er schon mit einer Tasse Espresso und den SALZBURGER NACHRICHTEN am Küchentisch.

»Das ist doch nur wieder so eine … eine Kunstaktion … wie die Einkaufswagerl … erinnern Sie sich noch an die Schweinerei mit den Einkaufswagerln rund ums Mozartdenkmal? So was ist das wieder! Darauf können S’ Gift nehmen! – Meiner Seel’, wenn s’ wenigstens den schiachen Mozart, den sauschiachen Knödel vom Ursulinenplatz ang’schmiert hätten, da hätt’ i applaudiert, und wie … aber unsern schönen Mozart … eine Frechheit!

Die Wogen gehen noch immer hoch in der Stadt Salzburg, seit vor einigen Tagen die Bescherung entdeckt wurde: Über Nacht hat unser Mozart auf seinem Sockel zu weinen angefangen. Weiße Lacktränen. Exakt drei Stück auf jeder Wange. Und von den Tätern fehlt weiterhin jede Spur. Waren es Jugendliche, ein Jux? Oder handelt es sich dabei tatsächlich um die Aktion eines Künstlers?

Der Leiter der Kriminalabteilung der Stadt Salzburg, Oberstleutnant Hagleitner: Nach heutigem Wissensstand gehen wir von einem oder mehreren Jugendlichen aus. Wir haben ja nur die Spuren von Schuhabdrücken einer Person, die wir im Blumenbeet rund um das Denkmal sichergestellt haben. Sie stammen von Baseballschuhen der Größe 40, wie sie von vielen jungen Menschen getragen werden. Wir gehen deshalb von einem Vandalenakt aus. Falls es sich allerdings wirklich um eine Kunstaktion handeln sollte, fordern wir den Künstler mit allem Nachdruck auf, sich umgehend bei uns zu melden oder sich zumindest öffentlich zu deklarieren! Wie wir auch noch einmal auf unseren Aufruf an die Bevölkerung hinweisen möchten, uns alle Beobachtungen in diesem Zusammenhang zu melden. Jede Kleinigkeit kann uns bei der Aufklärung helfen!

Auch wenn es noch so wenige Spuren gibt: WIR bleiben auf alle Fälle für Sie auf der Fährte, verspricht Ihnen Ihre – Barbara Braun von RADIOakkktiv.«

Der weinende Mozart – mein Gott, Babsi! Erich seufzte zufrieden und trank seinen Kaffee aus.

Seit er hierher übersiedelt war, gab es allem Anschein nach für sämtliche Medien in der Stadt kein wichtigeres Thema. So lächerlich ihm das ganze Getue vorkam, aus Sicht seiner Profession durfte er sehr zufrieden sein, wenn es bloß solche Lappalien waren, von denen die Menschen in Atem gehalten wurden in einem Land, das bekanntlich in punkto Kriminalität mit ganz anderen Überraschungen aufzuwarten imstande war.

Dass er den Kollegen Hagleitner jetzt gehört hatte, verstand Erich jedenfalls als Aufforderung, seinen schon seit Tagen angekündigten Besuch im Kriminalreferat nicht weiter hinauszuschieben. Er rief kurz im Büro an, um mitzuteilen, weshalb er später kommen werde, schaltete die Espressomaschine aus und stellte die kleine Tasse in den Geschirrspüler.

Er folgte auch hier in Salzburg seiner Gewohnheit, an Arbeitstagen sein eigentliches Frühstück erst im Büro einzunehmen. Sicher würde es nicht lange dauern, bis sich im hiesigen Landeskriminalamt herumgesprochen hatte, dass der Dr. Laber sich nach dem Frühstück im Klo mit seiner elektrischen Bürste die Zähne zu putzen pflege, sofern ihm die Nachricht über diese Eigenheit – neben einer Reihe anderer, die seinen Ruf, etwas schrullig zu sein, begründeten – nicht ohnehin aus Linz vorausgeeilt war. Er schmunzelte, denn seit er zu der Überzeugung gelangt war, auf Schritt und Tritt vorwiegend Menschen von der Stange zu begegnen, genoss er es nicht nur, seine Individualität zu kultivieren, sondern auch, dass manche Leute darüber den Kopf schüttelten – während sie die wirklichen Zumutungen des heutigen Lebens durchwegs als unabänderlich ertrugen.

Seit Anna und Peter Aberger gestern Abend mit Fotos ihres Kindes das Wachzimmer an der Staatsbrücke betreten hatten, um die Abgängigkeit ihrer Tochter anzuzeigen, war in ihrem Leben nichts mehr so wie noch einen Tag zuvor – obwohl sich die äußeren Verpflichtungen eines berufstätigen Ehepaares nicht geändert und ihnen die Polizeibeamten mehrmals nachdrücklich versichert hatten, dass neunzig Prozent der abgängigen Kinder innerhalb einer Woche wieder heimkehren würden.

Obschon sie sich unentwegt beschworen, warum gerade ihre Birgit zu den zehn Prozent gehören sollte, die nicht mehr heimkamen, gelang es ihnen immer nur für kurze Zeit, sich an solchen statistischen Daten aufzurichten.

Anna hatte in dieser Nacht so gut wie keinen Schlaf gefunden, war immer nur für kurze Zeit eingedöst und in der Früh so in der Wohnung herumgeirrt, als habe sie tatsächlich die Orientierung verloren. Und als sie mit der Gießkanne auf dem Balkon gestanden war, waren ihr erneut die Tränen über die Wangen gelaufen. Genauso wie beim Anblick des unbenutzten Bettes in Birgits Zimmer, an dem sie mehrmals vorübergegangen war, ehe sie es mit großer Beklemmung betreten hatte.

Zum Frühstück hatte das Ehepaar viel starken Kaffee getrunken und sich immer wieder in stummer Verzweiflung angeschaut, bis Peter, mit kratziger Stimme und wenig überzeugend, einmal mehr gemeint hatte, dass Birgit sicher bald von selbst wieder heimkommen würde. »Ganz bestimmt, Anna. Ganz bestimmt.« Man lese doch ständig darüber, dass Kinder abhauten und nach gar nicht langer Zeit wieder heimkehrten. Kaum dass er das (zum wie vielten Mal eigentlich schon?) gesagt hatte, hatte er den Blick von seiner Frau schon wieder abwenden müssen.

Erich genoss es, an diesem frühsommerlich warmen Tag im Mai von seiner Wohnung in die Alpenstraße zu radeln. Es würde noch einige Zeit dauern, bis er sich in der Mozartstadt wirklich zurechtfände, aber mit dem Weg zum Kollegen Hagleitner klappte es bereits vorzüglich. Schneller als erwartet war er, aus der Hellbrunner Straße kommend, bei der Tankstelle, die er sich eingeprägt hatte, um dort darauf zu warten, die Alpenstraße überqueren zu können. Und wieder berührte ihn der Anblick des an eine heruntergekommene Mietskaserne aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert erinnernden Gebäudes, wie beim ersten Mal, als er es im Vorbeifahren aus dem Auto gesehen hatte, nachdem ihn einer seiner Mitarbeiter, mit dem er unterwegs gewesen war, mit einer spöttischen Bemerkung über den Palast der Kollegen darauf aufmerksam gemacht hatte.

Während er an seinem Dienstort, einem festungsartigen Neubau, keine zwei Kilometer stadtauswärts und ebenfalls an der Alpenstraße gelegen, von einer bunten Mikado-stäbe-Skulptur aus Stahl, die mit ein paar überdimensionierten Eiswaffeln kombiniert wirkten, empfangen wurde, ließen hier neben der wuchtigen hölzernen Eingangstür von der Art, wie sie in Erichs Heimat in Bauernhöfen Verwendung fanden, zwei traurige Rosensträucher ihre weinroten Blütenköpfe hängen, während der nahe am Haus vorbeifließende Bach sich hinter wuchernden Hollerbüschen mit einem verzagten, meist vom Verkehrslärm der Alpenstraße übertönten Rauschen bemerkbar machte, das freilich eher an ein Pissoir erinnerte.

Jetzt, vor Unterrichtsbeginn in den nahe gelegenen Schulen, zogen Herden schnatternder Buben und Mädchen am Gebäude vorüber, an dem von außen nicht mehr auf seine Bestimmung hinwies als die Tafel POLIZEI. Viel eher erwartete man, dass eines der alten Fenster, von deren Rahmen der Lack abblätterte, von einem Pensionisten geöffnet würde, der dann, auf einen Polster gestützt, stundenlang das Geschehen beobachten würde. Erich sagte sich grinsend, dass ihm als passioniertem Flohmarktbesucher ein solcher Dienstort eigentlich angemessener gewesen wäre als die neue Präsidiumsburg mit ihren schießschartenartigen Fenstern. Als er mit seinem Rad auf den Parkplatz rollte, stellte er fest, dass er zufälligerweise zeitgleich mit dem Kollegen Hagleitner eingetroffen war, der in seinem Wagen vor dem Schranken wartete, bis der leise vor sich hin fluchende Portier zum Schlagbaum getrottet kam, um an dem Kasten zu hantieren, dessen Elektronik schon seit Tagen immer wieder ausfiel.

Erich plauderte danach gelöst mit dem Leiter des Kriminalreferats in dessen Büro, nachdem er ihm zur Begrüßung sogleich erzählt hatte, dass er ihn heute schon im Interview mit seiner Nichte im Radio gehört habe. Na, erwiderte Hagleitner, bei solchen familiären Verbindungen brauche er sich um die Öffentlichkeitswirksamkeit der Arbeit seines Kollegen wohl keine Sorgen mehr zu machen. Erich war das, was bei aller Freundlichkeit in diesem Satz mitschwang, aus Linz bekannt: Wie viele Kollegen hatten sich in solchen kleinlichen Eifersüchteleien gegenseitig aufgerieben – immerhin war die Wahrnehmung durch die Medien inzwischen ein nicht gerade unwichtiges Kriterium für den Verlauf einer Karriere, das richtige Parteibuch vorausgesetzt.

»Ein nettes Mädel, Ihre Nichte. Nur immer furchtbar in Eile …«

Davon könne er ein Lied singen, pflichtete Erich ihm bei, um dann von seinem Kollegen zu erfahren, dass es bereits reichlich medialen Druck gebe wegen dieser Mozarttränen. »Ich kann von Glück reden, dass ich momentan mehr Leute darauf ansetzen kann, als die Sache eigentlich verdient. Einmal davon abgesehen, dass wir nicht weiterkommen, bei dieser Spurenlage. Wir können nur auf Zeugen hoffen – und die sind noch nicht in Sicht.« Dafür sei aber damit zu rechnen, dass sich die Politik voll auf die Geschichte setzen werde. Und der Kollege Laber wisse ja, was das heiße, meinte der Leiter des Kriminalreferats und sah Erich dabei mit betrübtem Ausdruck in die Augen. Erich war damit vertraut: Sobald die Medien in der Bevölkerung Stimmung machten, dauerte es nicht lange, bis die schmierigsten parteipolitischen Figuren auf der Bildfläche erschienen, um Kasse zu machen. So schädlich das für die tatsächliche Aufklärung eines Falles auch immer sein mochte.

Hagleitner atmete seufzend aus. »Hoffentlich meldet sich nicht wirklich noch irgendein Künstler.«

»Ja«, warf Erich schmunzelnd ein, »sobald sich jemand etwas dabei denkt, wird’s dramatisch.«

Der Oberstleutnant kniff ein wenig die Augen zu, als er den Chefinspektor von der Seite musterte, und nickte bedächtig. Erich hatte Sympathien für den Mann, dessen Gehaben ihn älter wirken ließ und der sich noch nicht ganz im Klaren zu sein schien, wie dieser neue Kollege einzuschätzen war.

Auf dem anschließenden obligatorischen Rundgang durch die Büros erfuhr Erich so nebenbei, was aus der breiten Palette kleinkrimineller Delikte in der Stadt Salzburg gerade in Arbeit war – von Moped-, Fahrrad- und Autodiebstählen oder dem Überfall auf eine Trafikantin, der von einem Junkie die bescheidene Tageslosung geraubt worden war, über mehrere Wegweisungen gewalttätiger Ehemänner bis hin zum erfolgreichen, sich einigen Zufällen verdankenden Zugriff auf einen Rauschgifthändler, der gestern Abend erfolgt war und dessen mediale Verwertung nicht ohne die zuständige Politik erfolgen dürfe, wie Hagleitner säuerlich anmerkte. Nachts waren vom Lagerplatz einer am Stadtrand gelegenen Metallfirma sämtliche Kupfervorräte gestohlen worden. »Kupferschienen, Laminate und Folien in beträchtlichem Wert«, informierte der zuständige Beamte seinen Chef.

Im Fachbereich 4, bei der Fahndung, berichteten die Kollegen, dass soeben eine Abgängigkeitsanzeige hereingekommen sei. Gestern Abend von der örtlich zuständigen Dienststelle aufgenommen und nun an sie weitergeleitet: Ein zehnjähriges Mädchen sei nach dem Klavierunterricht und dem Besuch bei ihrer Freundin nicht nach Hause gekommen. »Das kürzlich sehr bekannt gewordene Klavier-Wunderkind«, sagte der Beamte so, dass Erich nicht ganz klar wurde, ob er diese Ergänzung abschätzig oder positiv gemeint hatte.

»Aus vermögendem Haus?« erkundigte sich Hagleitner.

»Nein, schaut nicht danach aus. Vater … kaufmännischer Angestellter, Mutter, Moment, Verkäuferin.«

»Von den Eltern wurde mitgeteilt, dass es in der Früh mit dem Kind Streit gegeben hat …«

»Aha. Das bekannte Muster bei Kindern, die abhauen.«

Anna war mit dem Rad zur Arbeit gefahren. Mehrmals musste sie sich mit dem Jackenärmel die Augen auswischen, da ihr die aufsteigenden Tränen die Sicht nahmen. Im Lager des Supermarkts versuchten ihre Kolleginnen sie vergeblich zu trösten, nachdem sie unter Weinkrämpfen erzählt hatte, was passiert war. Der Filialleiter drückte herum, er würde sie unter diesen Umständen natürlich gerne heimschicken, aber leider sei gerade heute die Erna ausgefallen, weil in der Stadt ein Darmgrippevirus grassiere.

Beim Palettenschleppen und beim Einräumen der Waren kam sich Anna vor wie eine Maschine, denn ihre Gedanken waren ausschließlich bei ihrem Kind. Sie musste sich zwingen, die Kundschaften zu grüßen, da sie, auf der Leiter stehend, um höher gelegene Regale zu versorgen, oder hockend, um in Bodennähe Waren ein-zuschlichten, doch an nichts sonst denken konnte als an Birgit. Und immer wieder begannen ihre Hände zu zittern und bald darauf der ganze Körper, und sie musste mit einem Weinkrampf ins Lager laufen, um mit ihrem Leid die Kunden nicht zu stören.

Bei ihren von beschwörenden Gebeten begleiteten Versuchen, sich daran zu klammern, dass Birgit bald wieder heimkommen werde, versetzten sie gerade die Fragen, die ihre Hoffnung stützen sollten, in Panik: Wer sollte denn etwas von dem Kind wollen – und was? Sie dachte an Kinderpornoringe – wäre ihre zarte, hübsche Tochter nicht genau das, was solche Männer suchten? Die noch so unklare Vorstellung, was ein Mann in diesem Moment womöglich mit ihrem Kind anstellte, brachte Anna Aberger beinahe um den Verstand.

Als später so großer Kundenandrang herrschte, dass die zweite Kassa aufgemacht werden musste, zog Anna die Waren noch schneller als üblich über den Scanner.

Als Birgit aufwachte, fühlte sie sich eigenartig benommen; ganz anders, als wenn sie daheim munter wurde. Im allerersten Moment war ihr sogar trotz der Augenbinde nicht klar, wo sie sich befand. Erst als sie wie gewohnt aufstehen wollte, spürte sie die schmerzenden Hand- und Fußfesseln, die sie daran hinderten. Nun ergriff sie schlagartig das Entsetzen über das, was ihr gestern widerfahren war. Und schon stauten sich erneut die Tränen unangenehm unter der jetzt auch noch als sehr heiß empfundenen engen Augenbinde, bis die Flüssigkeit nach und nach im Gewebe versickerte. Das Mädchen schluchzte auf, um sogleich erschrocken innezuhalten, als ihm die Schlangen einfielen. Birgit hielt den Atem an und lauschte. Doch sie konnte nichts hören. Nicht das leiseste Zischen oder das Geräusch ihrer trockenen, schuppigen Haut, wenn sich ihre Körper aneinanderrieben. Sie schliefen also noch, waren Gott sei Dank durch das Weinen nicht geweckt worden. Trotz ihrer Angst war sie gegen das leise Wimmern, in das sie immer wieder verfiel, machtlos.

Wie spät mochte es sein? Vielleicht war es noch mitten in der Nacht, dachte sie, als sie von draußen Vogelgezwitscher vernahm. So angestrengt Birgit auch lauschte, im Haus schien sich nichts zu regen. Ihr Peiniger war also noch nicht zurückgekehrt. Und wenn er überhaupt nicht mehr kam, wenn er sie hier einfach gefesselt liegen ließ … liegen ließ, bis sie … langsam verdurstete und verhungerte? Oder irgendwann von den Tieren angegriffen wurde, die doch auch Futter brauchten? Und gefesselt, wie sie war, würde sie sich überhaupt nicht wehren können. Bei diesem Gedanken schluchzte Birgit wieder lauter auf.

Sollte sie es doch wagen zu schreien? Oder könnte sie sich sonst irgendwie bemerkbar machen? Aber wie sollte das gelingen, ohne die Aufmerksamkeit der Tiere auf sich zu lenken? Der Mann hatte doch an alles gedacht. Birgit schauderte bei der Vorstellung, dass sie plötzlich spüren könnte, wie ein Schlangenkörper über sie hinweg kroch. Denn bei den Geräuschen, die sie gestern gehört hatte, hatte sie sehr große Schlangen vor Augen gehabt. Hatten Schlangen überhaupt Ohren? Nahmen sie nicht die Körperwärme ihrer Opfer wahr, mit ihrem Züngeln? Hatte sie das nicht in einer Tier-Sendung gesehen?

Alle möglichen Überlegungen wirbelten in ihrem Kopf herum, Bruchstücke von dem, was sie einmal gelernt oder irgendwo gehört hatte, während sie vor Aufregung zu schwitzen begann und ihr auffiel, wie stickig es in dem Raum war. Daheim stand nachts das Fenster ihres Zimmers immer einen Spalt breit offen, obwohl der Verkehrslärm von der Bürglsteinstraße nie verstummte.

Erich fuhr mit seinem Rad langsam an die Salzach und setzte sich auf eine der Bänke in der Nähe der Insel, einer Jugendbetreuungsstätte, in deren Garten ein weinrot gestrichener alter Eisenbahnwaggon stand, durch den er sich in eine Geschichte von Erich Kästner versetzt fühlte, des Buch-Heroen seiner Kindheit, von dessen Geschichten er nicht genug kriegen konnte und der von Kindern heute womöglich gar nicht mehr gelesen wurde, während der Laber-Bub aus Statzing so ungemein stolz darauf gewesen war, mit dem Autor den Vornamen zu teilen, auch wenn sein Patenonkel sich bei der Wahl ausschließlich an seinem eigenen Namen orientiert hatte. Vielleicht, sagte sich Erich schmunzelnd, hatte er ohnehin nur Emils wegen diesen Beruf gewählt. Während er sich wieder zur Salzach drehte, wo gerade das Ausflugsschiff Amadeus – hier galt offenbar überhaupt kein anderer Name als werbeträchtig – durch das braune Wasser pflügte, staunte er einmal mehr darüber, wie oft ein in die Jahre kommender Junggeselle wie er sich gedanklich in die eigene Kindheit zurückbewegte.

Mit dem Blick auf den Gaisberg, der eigentlich nicht mehr war als ein Hügel mit Sendemast, kostete Erich noch eine Zeitlang das Gefühl aus, als leitender Beamter hier einfach noch sitzen bleiben zu können und der Boje zuzuschauen, die in der Salzachmitte so tapfer der Strömung widerstand.

Es waren müßige Überlegungen, aber seit seiner Beförderung dachte Erich öfter daran, dass er vielleicht doch früher schon mehr Aufstiegswillen hätte entwickeln sollen. Aber er war ein Kind seiner Generation, für die es selbstverständlich war, gute Schulnoten über schlechte Beurteilungen des Betragens vor seinen Mitschülern zu rechtfertigen, um nur ja keine Sekunde lang als Streber zu gelten. Jetzt jedenfalls war Erich der Gedanke äußerst angenehm, so vieles selbst entscheiden zu dürfen, anstatt ständig von Entscheidungen anderer abhängig zu sein.

Erich radelte so lange wie möglich die Salzach entlang in Richtung Büro. Begleitet vom vertrauten Scheppern der Kotflügel, sobald er in ein Schlagloch geriet. Er pflegte seine Gebrauchträder an den Abverkaufstagen des Fundamts zu erwerben, weil er seit dem Kindheitstrauma, das er als Achtjähriger erlitten hatte, seine Räder grundsätzlich nur unversperrt stehen ließ. Das Fahrrad, das er jetzt benutzte, näherte sich jenem Zustand, bei dem er auf den Diebstahl zu hoffen begann, und er dachte des Öfteren daran, es selbst irgendwo auszusetzen, nur um endlich auf ein anderes umsteigen zu können.

Der Mann hatte damit gedroht, dass sie außer den Schlangen niemand bemerken würde, wenn sie zu schreien anfinge. Aber wenn sie die Vogelstimmen von draußen so gut hören konnte, müssten doch umgekehrt auch ihre Hilfeschreie nach draußen dringen, wenn Spaziergänger … sobald sie Stimmen hören würde, wollte sie es wagen … dann, nahm sie sich fest vor, würde sie so laut wie möglich um Hilfe schreien. Den Schlangen zum Trotz. Doch würden hier überhaupt Leute vorbeikommen? Sie hatte ja keine Ahnung, wie abgelegen ihr Gefängnis war. Das Auto war am Ende der Fahrt eine Zeitlang über einen Weg geholpert, der nicht asphaltiert zu sein schien. So viel hatte sie sich trotz ihrer Angst und der Aufregung gemerkt. Hatte es sich dabei nur um eine mit Schlaglöchern übersäte Zufahrt gehandelt, wie Birgit sie vom Wochenendhaus von Anjas Eltern kannte? Eine Zufahrt und kein Weg, der am Haus vorbeiführte? Eine Zufahrt, auf der kein Mensch gehen würde, der nicht zum Haus wollte? Der Mann hätte ihr doch bestimmt wieder den Mund verklebt, wenn er fürchten hätte müssen, dass hier Spaziergänger vorbeikommen.