Muslime und Christen - Jürgen Neitzert - E-Book

Muslime und Christen E-Book

Jürgen Neitzert

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Beschreibung

Mit dem Zuzug von Muslimen nach Europa stellen sich neue und große Herausforderungen für die Gesellschaften und für die Kirchen. Insbesondere die Franziskaner schauen hierbei auf eine Jahrhunderte lange, auf Franziskus selbst zurückgehende Tradition des Miteinanders zurück. Jürgen Neitzert stellt sowohl die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Muslimen und Christen als auch die kritischen Punkte und die Chancen des Dialogs heraus. Er berichtet von konkreten Erfahrungen der Begegnung und zeigt Möglichkeiten des Dialogs in der Theologie, im täglichen Umgang miteinander und im gemeinsamen Handeln auf. Exemplarisch und wegweisend wird das Bild des als Muslim geborenen und späteren Franziskaners Jean-Mohammed Abd-el-Jalil gezeichnet, der u. a. die Konzilserklärung zum Islam und zu anderen nichtchristlichen Religionen einleitete.

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Seitenzahl: 96

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Jürgen Neitzert

Muslime und Christen

Ein franziskanischer Blick auf den Islam

Franziskanische Akzente

Für ein gottverbundenes und engagiertes Leben Herausgegeben von Mirjam Schambeck sf und Helmut Schlegel ofm

Band 13

Die Suche der Menschen nach Sinn und Glück ernst nehmen und Impulse geben für ein geistliches, schöpfungsfreundliches und sozial engagiertes Leben – das ist das Anliegen der Reihe „Franziskanische Akzente“.

In ihr zeigen Autorinnen und Autoren, wie Leben heute gelingen kann. Auf der Basis des Evangeliums und mit Blick auf die Fragen der Gegenwart legen sie Wert auf die typisch franziskanischen Akzente:

Achtung der Menschenwürde,

Bewahrung der Schöpfung,

Reform der Kirche und

gerechte Strukturen in der Gesellschaft.

In lebensnaher und zeitgerechter Sprache geben sie auf Fragen von heute ehrliche Antworten und sprechen darin Gläubige wie Andersdenkende, Skeptiker wie Fragende an.

JÜRGEN NEITZERT

Muslime und Christen

EIN FRANZISKANISCHER BLICK AUF DEN ISLAM

echter

Herzlicher Dank geht an Adrian Schmiderfür die sorgfältige Zuarbeit bei den Korrekturensowie an die Franziskanerinnen von Reutefür die finanzielle Unterstützung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

1. Auflage 2017

© 2017 Echter Verlag GmbH, Würzburgwww.echter.de

Umschlag: www.wunderlichundweigand.deCover: pellini/shutterstockSatz: Hain-Team (www.hain-team.de)Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN978-3-429-04332-2978-3-429-04908-9 (PDF)978-3-429-06328-3 (ePub)

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de

Inhalt

Vorwort

Ein Tag unter Muslimen

1.  Wie es begann: Franziskus und der Sultan

Der Kreuzzug

Franziskus begegnet dem Sultan al-Malik al-Kamil

Anregungen aus der Begegnung mit Muslimen

Franziskaner und Muslime in der Geschichte: Dialog und Konflikte

Franziskanische Präsenz in muslimischen Ländern in Geschichte und Gegenwart

2.  Die drei abrahamitischen Glaubensrichtungen

Gemeinsame Wurzeln – gemeinsame Konflikte

Abraham im Judentum

Abraham im Islam

3.  Der Islam

Das Wesen des muslimischen Glaubens

Jesus und Maria im Islam

Die fünf Säulen des Islam

Der Dschihad

Die Scharia, das islamische Recht

Islamische Gruppen und Rechtsschulen

Schutzbefohlene – Stellung der Christen im Islam

4.  Sufismus

Kenntnis des Sufismus im Christentum

Berühmte Sufis der Frühzeit des Islam

Leben der Sufis

Gottgedenken

Berührungspunkte zwischen dem Sufismus und der franziskanischen Spiritualität

5.  Dialog mit dem Islam in Deutschland – Chancen und Probleme

Präsenz von Muslimen

Moscheeverbände und Gruppen

Der Salafismus – differenziert betrachtet

Grundlage des Zusammenlebens von Muslimen und Christen in unseren Gesellschaften

6.  Was die franziskanische Welt heute für ein friedliches Miteinander einbringen kann

Jean Mohammed Abd-el-Jalil: Einsatz für ein besseres Verständnis des Islam

Die Konferenz in Assisi zum Dialog mit dem Islam

Der Dialog der Franziskaner in Deutschland mit den Muslimen

7.  Schlusswort: Islam – Herausforderung für uns Christen

Anmerkungen

Zum Weiterlesen

Abkürzungsverzeichnis

Anmerkung: Arabische Umschrift und Koranzitate

Dank

Vorwort

Seit 800 Jahren stehen Franziskaner im Dialog mit Muslimen, der von unserem Gründer Franziskus von Assisi im Jahr 1219 mit dem Sultan von Ägypten begonnen wurde. Eine jahrhundertelange Präsenz der Franziskaner im Dienst an den Muslimen folgte dieser Begegnung, zuerst in den muslimischen Ländern, heute auch in den Ländern des Westens, wo Muslime eine Minderheit sind. Durch die Einladung des Papstes an religiöse Leiter aller Religionen zum Interreligiösen Friedenstag am 27. Oktober 1986 in Franziskus’ Heimatstadt Assisi wurde an dessen Geste des Dialogs mit dem Sultan erinnert. Die Auswirkungen dieser Geste in der franziskanischen Welt und in Deutschland sowie die Chancen für ein besseres Miteinander von Muslimen und Christen in der Zukunft versuche ich in diesem Band der „Franziskanischen Akzente“ aufzuzeigen. Dabei lade ich zu einem besseren Verständnis des Islam durch grundlegende Informationen als Bausteine des Dialogs ein.

Ein Tag unter Muslimen

27. Januar 2016, 6:30 Uhr. Mit dem Fahrrad fahre ich von unserer Franziskanergemeinschaft in Köln-Vingst zu einer vom Verein Pro Humanitate Köln angemieteten Wohnung in das Nachbarviertel Höhenberg. Dort leben neun minderjährige muslimische Flüchtlinge, sieben Syrer, Kurden und Araber, ein Afghane und ein Albaner sowie ein indischer Sikh. Seit September 2015 sind sie in Deutschland und wurden von uns dort aufgenommen. Die jüngsten fünf, 15 bis 17 Jahre alt, werden von mir geweckt; wir frühstücken zusammen. Dann geht es mit der Straßenbahn zu einer Hauptschule, wo ich sie als neue Schüler anmelde. Wir lernen ihre Lehrerin und ihre zukünftige Schulklasse kennen, die Mitschüler sind auch zumeist neu in Deutschland angekommene Flüchtlinge. Danach besorge ich mit den fünf Flüchtlingen beim Verkehrsbetrieb Schülerfahrausweise für das restliche Schuljahr. In der Wohnung der Flüchtlinge essen wir zu Mittag; eine kurdische Bekannte hat dort für die Jungen gekocht. Nachmittags schaue ich dann bei dem Jugendraum des Vereins vorbei, der sich in unserem Stadtteil Vingst befindet. Dort trifft sich eine Jungengruppe. Die zwölf Mitglieder, 15 bis 18 Jahre alt, sind alle in Köln geborene Muslime; ihre Eltern oder Großeltern sind aus der Türkei gekommen. Auch die Eltern des Gruppenleiters Samet stammen aus Gaziantep im Süden der Türkei. Wir schreiben für einige aus der Gruppe Bewerbungen für Lehrstellen. Eine Stunde später trifft sich im Bürgerzentrum neben unserem Jugendraum die Mädchengruppe. Die Leiterin Ruken ist eine in Köln geborene Kurdin, die 14- bis 16-jährigen Mädchen sind muslimische Bulgarinnen und Kurdinnen. Wir planen miteinander eine Jugendfahrt nach Hamburg im Herbst.

Nach der Vesper, dem Abendgebet meiner Gemeinschaft, treffen wir uns mit dem Arbeitskreis „Dialog der Kulturen“ in der Kuba-Moschee im Nachbarviertel Kalk. Der Arbeitskreis kam zusammen, als vor sieben Jahren ein junger Marokkaner bei einem Streit mit einem Russlanddeutschen ums Leben kam und daraufvon seinen Landsleuten große Demonstrationen in unserem Stadtviertel veranstaltet wurden. Seitdem laden die Polizei, die Jugendpfleger und die Sozialarbeiterin für interkulturellen Dialog des Bezirks Köln-Kalk regelmäßig zu Treffen ein. Es kommen vor allem Vertreter der Moscheegemeinden, der Sikhs, der Kirchen und ich als Franziskaner. Wir planen diesmal einen interreligiösen Abend zum Thema: Feste in den Religionen und der Gesellschaft. Um 21:00 Uhr gehe ich noch kurz in die Turnhalle in Vingst, wo 25 jugendliche Roma, von mir organisiert, Fußball spielen. Sie stammen vor allem aus Serbien und Mazedonien, einige Albaner sind auch dabei; fast alle sind Muslime, so auch der Trainer, Schaban, aus Serbien. Wir sprechen kurz über ein von uns geplantes Fußballturnier, dann gehe ich endlich nach Hause.

Ein ganz gewöhnlicher Tag in meinem Leben als Franziskaner in Köln. Mein Alltag ist geprägt von Begegnungen mit vielen muslimischen Freunden.

1.  Wie es begann: Franziskus und der Sultan

„Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslime, die den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Sie mühen sich, auch seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen, so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne beruft. Jesus, den sie allerdings nicht als Gott anerkennen, verehren sie doch als Propheten, und sie ehren seine jungfräuliche Mutter Maria, die sie bisweilen auch in Frömmigkeit anrufen. Überdies erwarten sie den Tag des Gerichtes, an dem Gott alle Menschen auferweckt und ihnen vergilt. Deshalb legen sie Wert auf sittliche Lebenshaltung und verehren Gott besonders durch Gebet, Almosen und Fasten. Da es jedoch im Lauf der Jahrhunderte zu manchen Zwistigkeiten und Feindschaften zwischen Christen und Muslim kam, ermahnt die Heilige Synode alle, das Vergangene beiseite zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für alle Menschen.“1

Diese Aussage des II. Vatikanischen Konzils (1962–1965) über das Verhältnis der katholischen Kirche zu den Muslimen ist ein Meilenstein für den Dialog der katholischen Kirche mit dem Islam. Sie ist Teil der Erklärung „Nostra Aetate“ über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen. In Fortführung dieser Konzilserklärung gab das vatikanische Sekretariat für die Nichtchristen 1984 das Dokument „Dialog und Mission“ heraus. Darin wird Bezug auf das Modell des Dialogs genommen, das der heilige Franziskus von Assisi in das 16. Kapitel seiner Ordensregel von 1221 aufgenommen hat:

„Unter den zahlreichen Beispielen aus der Geschichte der christlichen Mission sind die Normen bezeichnend, die der hl. Franziskus in der nicht bullierten Regel von 1221 den Brüdern gibt, die von Gott angeregt zu den Sarazenen gehen möchten … Sie können auf doppelte Weise unter ihnen die geistlichen Beziehungen ordnen. Die eine ist, dass sie keinen Streit oder Disput anfangen, sondern jedem menschlichen Geschöpf aus Liebe zu Gott untertan sind und bekennen, Christen zu sein. Die zweite Weise besteht darin, dass, wenn sie es als dem Herrn wohlgefällig erkennen, das Wort Gottes verkünden.“2

Die Erfahrungen, die bei Franziskus von Assisi zur Aufnahme dieser Normen für die Präsenz unter den Sarazenen, wie die Muslime zu seiner Zeit genannt wurden, in die Regel des Franziskanerordens führten, hängen mit seinem Treffen mit den Muslimen in Ägypten zusammen.

Der Kreuzzug

Franziskus von Assisi (1182–1226) begegnet durch seine Friedensinitiative während des 5. Kreuzzuges dem Sultan von Ägypten, al-Malik al-Kamil. Seit der Eroberung 1187 durch Saladin befindet sich Jerusalem wieder in den Händen der Muslime. Nur Akkon und ein schmaler Küstenstreifen sind den Kreuzfahrern geblieben. Auf dem Vierten Laterankonzil im Jahr 1215 wird ein Kreuzzug beschlossen, der am 1. Juni 1217 beginnt. Im April 1218 kämpfen die Kreuzfahrer nicht im Heiligen Land, sondern beginnen mit der Belagerung der strategisch wichtigen Hafenstadt Damiette im Nildelta Ägyptens. Diese kontrolliert den einzig befahrbaren Nil-Arm. Ende August 1218 nehmen die Kreuzfahrer die Stadt ein.

Kurz darauf stirbt der muslimische Herrscher, der Sultan al-Adil, der Bruder Saladins. Einer seiner Söhne, al-Malik al-Kamil, herrscht nun in Ägypten und dem Süden Palästinas. Da er seine Herrschaft gegenüber seinen Brüdern erst sichern muss, verhandelt er mit den Kreuzfahrern und bietet mehrmals die Rückgabe Jerusalems einschließlich der meisten Gebiete des ehemaligen Königreiches Jerusalem sowie die Rückgabe der christlichen Kriegsgefangenen an. Der päpstliche Legat bei den Kreuzfahrern, Kardinal Pelagius, lehnt es allerdings ab, mit ihm zu verhandeln.

Franziskus begegnet dem Sultan al-Malik al-Kamil

Franziskus fährt 1219 von Ancona aus Richtung Akkon in Syrien und gelangt schließlich nach Damiette, wo das Kreuzfahrerheer lagert. Er sieht die Sittenlosigkeit und Sucht nach Beute bei den Kreuzfahrern und erfährt so, dass es kein gerechter und gottgefälliger Krieg ist. Er warnt vor einem Überfall auf das muslimische Heer, wird aber nicht ernst genommen. Im September 1219 macht sich Franziskus mit seinem Begleiter, Bruder Illuminatus, zum Lager des Sultans auf, dem er das Evangelium verkünden will. Eine Vielzahl lateinischer Quellen belegt die Historizität der Begegnung des Sultans mit Franziskus.

Die erste Quelle über den Besuch des Franziskus beim Sultan ist der Brief des Bischofs von Akkon, Jakob von Vitry, aus Damiette vom Februar/März 1220. In diesem Brief beschreibt dieser erst ein Blutbad der Kreuzfahrer an den Muslimen und die Einnahme von Damiette, das infolge der Pest fast ausgestorben war; dann fügt er an:

„Ihr Meister, der diesen Orden gegründet hat (er heißt Bruder Franziskus, ein liebenswerter und von allen verehrter Mann), war damals zu unserem Heer gestoßen. In seinem Eifer für den Glauben ließ er sich nicht davon abhalten, in das Heer unserer Feinde hinüberzugehen. Obwohl er den Sarazenen während mehreren Tagen das Wort Gottes predigte, richtete er nur wenig aus. Doch der Sultan, der König von Ägypten, bat ihn insgeheim, für ihn zum Herrn zu beten, damit er auf göttliche Erleuchtung hin derjenigen Religion anhangen könne, die Gott mehr gefalle“ (2 Vitry 2, FQ 1536 f).

Derselbe Jakob von Vitry schreibt 1221: „Der Sultan hörte ihm sehr aufmerksam zu. Doch da er schließlich befürchtete, Leute aus seinem Heer könnten sich aufgrund der Wirksamkeit seiner Worte zu Gott bekehren und ins Heer der Christen überlaufen, befahl er, ihn mit allen Ehren und unter Geleitschutz ins Lager der Unsrigen zurückzubringen. Beim Abschied sagte er zu ihm: ‚Bete für mich, dass Gott mir gnädig offenbare, welches Gesetz und welcher Glaube ihm mehr gefalle‘“ (3 Vitry 14, FQ 1541).