Nero Wolfe: Werben heißt Sterben - Robert Goldsborough - E-Book

Nero Wolfe: Werben heißt Sterben E-Book

Robert Goldsborough

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Beschreibung

Die Metallstatuette, die der Werbechef als Preis für eine Kampagne bekommen hatte, kam dem Mörder als Tatwaffe gerade recht. Vielleicht hätte der kreative Boß auch diesmal besser auf seine eigenen Ideen setzen sollen anstatt auf die der Konkurrenz. Der große Nero Wolfe setzt die von seinem Helfer fürs Grobe, Archie, gelieferten Puzzleteile gewohnt faul und gewohnt genial zusammen – zu einem Bild, das der Täter nie hatte sehen wollen … (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Robert Goldsborough

Nero Wolfe: Werben heißt Sterben

Aus dem Amerikanischen von Christine Frauendorf-Mössel

FISCHER Digital

Inhalt

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1

Angefangen hat die Geschichte bei Lily Rowans Party anläßlich des Super-Bowl-Pokalspiels. Wenn das für Sie etwas rätselhaft klingt, soll es mir nur recht sein. Undurchsichtige Formulierungen zu Beginn einer Geschichte seien die wirksamste Methode, einen Leser zu fesseln, habe ich irgendwann irgendwo gelesen. Voilà!

Jedenfalls hatte Lily um Thanksgiving die Idee, eine Super-Bowl-Party in ihrem Penthouse-Palast an der East Sixty-third gleich hinter der Park Avenue zu veranstalten. Lily und ich sind seit Jahren »befreundet«, doch während der ganzen Zeit hatte ich nicht den Schimmer eines Interesses für Profifußball bei ihr entdecken können. Baseball, Basketball und Hockey, diese Sportarten stehen auf einem anderen Blatt. Es war mir bisher noch immer gelungen, sie zu einem Spiel der Sheas im Garden Stadion zu locken.

»Du kennst mich doch«, sagte Lily, als ich mein Erstaunen über die angekündigte Festivität zum Ausdruck brachte.

»Das Spiel ist mir völlig egal. Es dient mir nur als Vorwand dafür, mitten im Winter nette Leute einzuladen, zumindest diejenigen, die nicht nach Gstaad, St. Moritz oder in die Karibik entfleucht sind.« Das mag nach Angeberei klingen, aber die Leute, die Lily kennt, sind an diesen Jet-set-Orten eben zu Hause. Mich hätte das Pokalspiel unter normalen Umständen offen gestanden nicht hinter dem Ofen vorgelockt. Die Endspielgegner kamen aus Städten, die über tausend Meilen von Manhattan entfernt lagen, und die stärkste Offensivwaffe, die sie zu bieten hatten, war ein abgehalfterter Mittelfeldspieler mit einem mitteleuropäischen Namen.

Von der sportlichen Seite einmal abgesehen, übertraf die Party an diesem Sonntag im Januar dann sogar Lilys üblichen luxuriösen Standard. Das Gästepublikum stellte einen Querschnitt durch Lilys engsten und liebsten Freundeskreis dar, zumindest waren es Freunde, die auf den Aufenthalt in der Schweiz oder den Urlaub auf den Inseln verzichtet hatten. Diese kleine Auswahl belief sich schließlich auf gut hundert Personen. Eine fünfköpfige Band in Smoking, die normalerweise in der Velvet Lounge des Churchill spielte, sorgte im Frühstückszimmer für eine angenehme musikalische Untermalung. Angestellte in roten Jacketts schenkten an Bars im Wohnzimmer, im Spielzimmer oder in der Bibliothek Getränke aus. Bedienungen schlängelten sich mit Tabletts voller Häppchen, Garnelen, Gemüse, Quiches und zahlreichen anderen Köstlichkeiten durch die Menge. Das Spiel wurde auf sechs Fernsehschirmen in sechs Räumen übertragen, wobei allerdings über die Hälfte der Gäste sich mehr für die Party als für die Jungs in den rot-goldenen oder braun-weißen Trikots interessierten. Die Gastgeberin, die in einem hellgrauen Outfit und goldenen Schuhen hinreißend aussah, glitt elegant von Gästegrüppchen zu Gästegrüppchen und unterhielt sich mit jedem, sogar mit mir, ihrem offiziellen Begleiter. »Siehst du, Liebling«, flüsterte sie mir mit einem vielsagenden Blick zu, »niemand kümmert sich um das verdammte Spiel. Sie sind alle hier, um zu trinken, zu tanzen oder sonst was zu machen, vielleicht sogar, um den neuesten Klatsch zu erfahren.«

»Wer könnte das bestreiten?« entgegnete ich, strich ihr mit einer Hand eine blonde Haarsträhne aus der Stirn und inhalierte genußvoll den betörenden Duft ihres Parfüms. Lily schlenderte zu einer anderen Gruppe weiter, und ich kam mit einem Ehepaar namens Pembroke ins Gespräch. Neben den Pembrokes hatten Lily und ich vor einigen Jahren bei einem Wohltätigkeitsessen gesessen. Da die beiden inzwischen auch nicht interessanter geworden waren, entschuldigte ich mich bald, um mir einen Drink an der nächsten Theke zu holen. Dort traf ich auf einen Mann mit sandfarbenem Haar und trübsinniger Miene, der mehr als eine oberflächliche Ähnlichkeit mit Robert Redford besaß.

Er stellte sich als Rod Mills vor. »Sie sind doch Archie Goodwin, der Detektiv, stimmt’s?« fragte er und streckte mir eine kräftige Pranke entgegen. Ich widersprach nicht, und während wir beide unsere Drinks in den Gläsern schwenkten, erkundigte ich mich höflich danach, womit er sein Geld verdiene.

Er zuckte mit den Schultern. »Ich mache in Werbung.«

»Kenne ich Ihre Arbeiten?« erkundigte ich mich noch immer auf dem Höflichkeitstrip.

»Durchaus möglich«, antwortete er und kratzte sich den Nacken. »Unser größter Kunde, wir sind die Firma Mills & Lake & Ryman, ist das Unternehmen Cherr-o-key. Sie kennen doch das Fruchtsaftgetränk?«

»Klar. Stand nicht kürzlich ein Artikel in der ›Times‹ oder in der ›Gazette‹ über einen sensationellen Cherr-o-key-Spot, der während des Super-Bowl-Pokalspiels ausgestrahlt werden soll?«

»Warum, glauben Sie, stehe ich hier ständig in der Nähe der Flimmerkiste? Wegen des Spiels bestimmt nicht.« Er deutete müde auf das TV-Gerät. »Der Spot wird während der Halbzeitpause ausgestrahlt. Ich habe vor zwei Jahren das Rauchen aufgegeben, könnte aber jetzt gut eine Zigarette brauchen!«

»Rod! Kommst du? Ich habe alle im Spielsalon zusammengetrommelt. Da ist das größte Fernsehgerät!« Die Stimme klang atemlos und gehörte zu einer faszinierenden Person, die wohl normalerweise ihrerseits bei Männern Atembeschwerden verursachte. »Hallo!« zwitscherte sie mir zu und warf das lange schwarze Haar mit geübter und doch sehr attraktiver Geste zurück. »Ich bin Dawn Tillison«, stellte sie sich vor.

»Erfreut. Lily hat von Ihnen gesprochen«, erwiderte ich und verneigte mich leicht. »Sie haben zusammen bei einem Wohltätigkeitskomitee gearbeitet, stimmt’s?«

»Richtig, Mr. …?«

»Dawn, das ist Archie Goodwin«, fiel Mills ihr ins Wort. »Er ist …«

»Oh, ich weiß, er ist Lilys ›guter‹ Freund«, warf sie ein und musterte mich aus veilchenblauen Augen. Hinter der etwas manierierten Fassade schien mehr zu stecken. »Ihr Name war mir gleich ein Begriff, Mr. Goodwin. Ich habe schon so viel von Ihnen gehört. Freut mich wirklich, Sie kennenzulernen.« Diesen Augen schien nichts zu entgehen. Und sie glitzerten, als wollten sie mich zwingen, alles zu glauben, was über die wohlgeformten Lippen kam. Ich versicherte ihr, das Vergnügen sei ganz auf meiner Seite und würde ins Unermeßliche gesteigert, wenn sie mich Archie nenne. Sie versprach ernst, dies gern zu tun. Trotzdem war klar, daß ihre Gedanken im Augenblick nur um Mills’ Werbespot kreisten. »Kommt, beeilt euch«, drängte sie uns, nahm einen düster dreinblickenden Mills bei der Hand und lächelte mir zu. Ich trottete hinterher und stellte überrascht fest, daß La Rowan neben mir auftauchte und sich bei mir einhakte.

»Wie ich sehe, hast du Rod und Dawn schon kennengelernt«, sagte sie, als die beiden uns ein paar Schritte voraus waren. »Sind sie nicht ein gutaussehendes Paar?«

»Ihn habe ich mir nicht so fürchterlich genau angesehen«, gestand ich und handelte mir einen Rippenstoß für meine Ehrlichkeit ein. »Gehst du dem Spiel noch immer aus dem Weg?«

»Ich habe noch keine Sekunde davon gesehen«, schnurrte Lily. »Aber ich habe mir sagen lassen, daß ich bereits sechzehn Dollar bei den Wetten vorn liege. Es geht um irgendwelche Punkte, die erzielt werden. Ich verstehe das Ganze sowieso nicht. Einige meiner Freunde im Frühstückszimmer haben Wetten abgeschlossen, und ich habe zehn Dollar gesetzt, um kein Spielverderber zu sein. Nicht mal die Zahlen, die ich gezogen habe, weiß ich, aber sie haben sie dann auf irgendeine Karte geschrieben.«

»Wenn du so weitermachst, gehen deine Gäste völlig verarmt nach Hause. Woher kennst du Mills eigentlich?«

»Rod? Dawn hat ihn mir seinerzeit vorgestellt, sie sind seit drei, vier Monaten befreundet. Er ist geschieden und offenbar sehr erfolgreich in der Werbebranche, sagt sie jedenfalls. Allerdings ist sie voreingenommen, weil sie ganz verrückt nach ihm ist.«

In diesem Augenblick mahnte Dawn Tillison ihre Gefolgschaft, gut dreißig Leute, die sich mit uns in den Spielsalon gedrängt hatten, zur Ruhe. »Jetzt ist es gleich soweit!« erklärte sie aufgeregt. »Seid bitte still!«

»Komme mir wie auf dem Set vor, wenn Streep und Nicholson in Aktion sind«, flüsterte ich Lily zu. Sie zupfte an meinem Ärmel, um mich zum Schweigen zu bringen. Um uns herum verstummten sämtliche Gespräche, und einige Sekunden lang sahen wir eine Einblendung des Senders, die uns in computergesteuerter Schrift und Graphik auf eine zweite spannende Halbzeit nach der Pause vorbereitete.

»Jetzt ist es soweit!« erklärte Dawn, als der bekannte Werbesong »Wir sind frei mit Cherr-o-key« zu hören war. Ich ließ mir sagen, daß er von einer der heißesten jungen britischen Rockgruppen gesungen wurde. Auf dem riesigen Bildschirm wimmelte es plötzlich vor einmotorigen, in Formation fliegenden Flugzeugen, die von anderen Flugzeugen oder Hubschraubern aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln gefilmt wurden. Im nächsten Augenblick lösten sich winzige Punkte vom Rumpf der Flugzeuge, wurden zu kleinen Figuren, die abwärts wirbelten und flackernde Lichtscheine durch den abgedunkelten Raum sendeten.

Plötzlich öffneten sich simultan Fallschirme mit dem rotgelben Cherr-o-key-Logo über jeder frei im Raum schwebenden Figur. Die Fallschirmspringer glitten zur Erde und landeten allesamt auf einer Wiese, während die Rockgruppe dröhnend den Werbesong intonierte. Alle Fallschirmspringer, fotogene junge Männer und Frauen in rot-gelben Fallschirmspringeroveralls, auf denen das Firmenlogo des Fruchtsaftgetränks prangte, wurden sofort nach der Landung eingeblendet, wie sie triumphierend Cherr-o-key-Dosen in die Kamera hielten, die sie offenbar während des ganzen Sprungs bei sich getragen haben mußten.

Die instrumentale Untermalung schwoll zur alles beherrschenden musikalischen Kulisse an. Die Himmelsstürmer öffneten mit einem unisono »Plop« ihre Büchsen, warfen den Kopf zurück und begannen, den roten Saft in ihre Kehlen zu gießen, während der göttliche Text ertönte: »Wir sind frei mit Cherr-o-key, o ja, o ja … Cherr-o-key …« Die Schlußeinstellung aus der Luft zeigte, wie die Himmelsstürmer sich die Hände reichten und ein großes C um einen der Fallschirme bildeten, der sorgfältig ausgebreitet auf der Wiese lag und deutlich das Firmenlogo zeigte. Als der Bildschirm langsam dunkel wurde, brach spontaner Applaus los.

»Das war super, Rod« und »Klasse Show!« und »Wie viele Fallschirmspringer hattet ihr verpflichtet?« ertönte es von allen Seiten.

»Sechzehn«, antwortete Mills prompt und wischte sich mit dem Taschentuch die Stirn. Er schien nervöser zu sein als die Trainer der Super-Bowl-Teams. »Ich muß es wissen, ich mußte für jeden die verdammte Versicherung abschließen. Genau wie für die sechzehn Piloten. Und ihr solltet die Rechnung für die gemieteten Flugzeuge sehen. Ganz zu schweigen von den Hubschraubern.«

Das wurde mit Lachen quittiert, und ein halbes Dutzend Gäste stellten sich in die Reihe, um dem schwitzenden Werbemann die Hand zu schütteln, bevor sie zu ihren Stühlen und der Fußballpartie oder ihren Unterhaltungen zurückkehrten. Dawn Tillison war die letzte der Gratulanten. Sie schlang die Arme um Mills, küßte ihn und flüsterte ihm etwas zu, das ihn bis über die Ohren erröten ließ. Ich sah diskret weg und ging zur Bar.

Ich schwenkte meinen zweiten Whisky, als Mills zu mir trat und sich ebenfalls nachschenken ließ. Seine Ohren hatten mehr oder weniger wieder ihre normale Farbe. »Sie haben sich diesen Drink redlich verdient«, begann ich. »War wirklich eine reife Leistung.«

»Danke«, antwortete er und atmete hörbar auf. »Ich bin froh, daß das vorbei ist. Es hat ’ne Menge Arbeit und Leute gekostet.«

»Kann ich mir vorstellen. Waren die Teilnehmer, die unten Cherr-o-key tranken, dieselben, die auch gesprungen sind?«

Mills trank einen gesunden Schluck Whisky und schüttelte den Kopf. »Das hat ja den Spot so verdammt teuer gemacht. Fallschirmspringer sehen alles in allem zwar meistens recht ansehnlich aus, aber wir brauchten für die Nahaufnahmen richtig attraktive Männer und Frauen. Die Springer haben wir uns aus den Clubs in Kalifornien geholt. Dort ist der Spot auch vor sechs Wochen produziert worden. Aber ihre Rolle war in der Sekunde vorbei, als sie Boden berührten. Die Leute auf den Nahaufnahmen sind Schauspieler und Models … noch mal sechzehn Leute mehr auf der Gagenliste. Die Kamerateams in den Begleitflugzeugen und Hubschraubern nicht zu vergessen.«

»Von finanziellen Überlegungen einmal abgesehen, müßten Sie sich im Augenblick doch fühlen«, bemerkte ich.

Die Schultern des Werbemannes sanken vornüber. »Ich bin einfach nur froh, daß das Ding gelaufen ist. Außerdem war die Produktion so teuer, daß der Spot wiederholt werden muß, wenn auch in gekürzter Fassung. Ursprünglich dauert der Film ja sechzig Sekunden. Aber die Einblendung während des Meisterschaftsspiels war eindeutig der Höhepunkt.« Er stellte sein Glas vorsichtig auf die Theke und betrachtete mich nachdenklich. »Ursprünglich wollten Dawn und ich die Uraufführung bei mir zu Hause ansehen, nur wir beide ganz allein. Aber dann kam Lilys Einladung, und mir fiel ein, daß Sie beide, also …«

»Daß wir Freunde sind?«

»Richtig. Schätze, ich hab’s irgendwo mal gelesen. In einer der Kolumnen. Vielleicht hat auch Dawn davon gesprochen. Jedenfalls nahm ich an, daß Sie Lilys Party besuchen würden. Und ich wollte Sie unbedingt kennenlernen.«

»Okay, ich schlucke den Köder und frage, weshalb?«

Er runzelte die Stirn und rieb sich das Kinn. Trotz des offensichtlichen Erfolgs seines Spots blieb seine Miene sorgenvoll. »Ich weiß, daß Nero Wolfe nur wenige Fälle übernimmt. Muß ich auch irgendwo gelesen haben. Aber ich hatte gehofft, ihn und Sie für die Sache zu interessieren. Wir haben da in unserer Agentur ein Problem …«

»Was Mr. Wolfe betrifft, liegen Sie durchaus richtig. Arbeit hat bei ihm denselben Stellenwert wie ein Zahnarztbesuch wegen einer Wurzelbehandlung. Warum erzählen Sie mir nicht mehr? Manchmal gelingt es mir, sein Interesse zu wecken oder ihm zumindest so lästig zu werden, daß er einen Job schon annimmt, nur um mich zum Schweigen zu bringen.« Was ich allerdings unerwähnt ließ, war die Tatsache, daß unser Bankkonto durchaus eine Vitaminspritze gebrauchen konnte. Die letzte Einzahlung ist schon eine Weile her. Wolfe hatte damals einen Fall von Unterschlagung in einer Bank in Connecticut gelöst.

Mills warf dem wartenden Barkeeper einen skeptischen Blick zu. Wir nahmen unsere Drinks und schlenderten nebeneinander weiter. Er wirkte noch immer nervös und übellaunig. Nachdem er noch zwei Schluck von Lilys Scotch getrunken hatte, holte er erneut tief Luft und begann zu erzählen.

»Ich weiß nicht, ob Sie sich in der Werbebranche auskennen. Unterbrechen Sie mich, falls ich zu weit aushole. Es ist ein verdammt hartes Geschäft. Besonders, wenn es um Produktwerbung geht. Dieser Markt ist besonders eng. Und es gibt praktisch kaum einen härteren Wettbewerb als auf dem Markt für Softdrinks.«

»Sie meinen wie Coke und Pepsi? Ich sehe nicht oft fern. Aber jedesmal wenn ich einschalte, läuft gerade eine Werbung von einem der beiden Produkte.«

»Ja. Genauso ist es bei Cherr-o-key und AmeriCherry. Obwohl die Werbebudgets der beiden mit Coke und Pepsi nicht zu vergleichen sind. Kirschsäfte sind allerdings im Augenblick der Renner. Ich persönlich finde sie gräßlich«, seufzte er, senkte die Stimme und zog eine Grimasse. »Doch eines kann ich Ihnen sagen: Die können im Augenblick kaum so schnell produzieren, wie das Zeug getrunken wird.«

»Wo liegt dann das Problem?«

»Das Problem ist AmeriCherry.« Er seufzte, als hasse er es, den Namen in den Mund zu nehmen. »AmeriCherry, der große Konkurrent unseres Kunden, hat einen Maulwurf in unserer Agentur, es sieht zumindest so aus.«

»Sie sprechen von Werkspionage?«

Mills nickte und biß sich auf die Unterlippe. »Ganz richtig. Bei zwei geplanten, großangelegten Cherr-o-key-Kampagnen ist uns AmeriCherry praktisch aus heiterem Himmel mit einer nahezu identischen Produktion zuvorgekommen.«

»Ein Geist, ein Gedanke. Kommt so etwas nicht in Frage?«

»Ausgeschlossen. Die Spots waren sich so ähnlich, daß das kaum ein Zufall sein kann. Meine Partner und ich sind fest davon überzeugt, daß unsere Ideen an die Agentur weitergegeben werden, die für AmeriCherry arbeitet.«

»Haben Sie schon mit jemandem von dieser Agentur gesprochen?«

»Himmel, nein! Es handelt sich um die Agentur Colmar und Conn, und die ist vermutlich fünfundzwanzigmal so groß wie wir, wenn das überhaupt hinkommt. Sollten wir ein Leck in unserer Organisation haben, und das scheint wahrscheinlich, dann steckt einer unserer Mitarbeiter dahinter.«

»Sie möchten also, daß Mr. Wolfe die durchlässige Stelle findet?«

»Wir hatten jedenfalls kein Glück mit dem Versuch, das Leck selbst zu finden.« Mills klang bitter.

»Aber bei dem Fallschirmspringerspot ist euch die Konkurrenz doch nicht zuvorgekommen.«

Er gestattete sich ein säuerliches Lächeln. »Nein, aber das war so gut wie ein einmaliger Knüller, keine länger angelegte Kampagne. Sogar bei dieser einmaligen Sache war ich halb krank vor Angst, daß noch vor dem heutigen Tag die Konkurrenz mit einem ähnlichen Spot herauskommen könnte. Meinen Partnern ging’s genauso. Sie haben vermutlich genauso wie ich schwitzend vor ihren Fernsehapparaten gesessen.«

»Das ist eigentlich kein Auftrag, den Mr. Wolfe annimmt«, erwiderte ich vorsichtig. »Ich möchte es zwar nicht ganz ausschließen, aber er hat weder mit Fernsehen noch mit Werbung viel im Sinn.« Das war die diplomatische Umschreibung der Tatsache, daß Nero Wolfe die Flimmerkiste und besonders die Werbung in Fernsehen, Zeitung und Zeitschriften nicht ausstehen kann. Warum hätte ich mit der Wahrheit einen potentiellen Kunden verprellen sollen?

»Aber er mag Geld«, entgegnete Mills.

»Das kann ich nicht leugnen.«

Mills beugte sich mit entschlossener Miene vor. Sein Gesicht hatte eine ungesunde Farbe bekommen. »Mr. Goodwin, Archie, für unsere Agentur ist das ein existenzielles Problem. Wir sind zwar verhältnismäßig neu im Geschäft, doch schon auf Expansionskurs. Wir sind noch nicht groß, werden es vermutlich auch nicht werden, was jedoch ganz in Ordnung ist. Cherr-o-key ist unser bei weitem stärkster Kunde. Die Agentur fährt in diesem Jahr gut viereinhalb Millionen ein. Im Vergleich mit den Großen der Branche sind das Peanuts. Und Cherr-o-key hat daran einen Anteil von fast drei Millionen Dollar, das sind gut sechzig Prozent des Gesamtumsatzes. Wenn dieser Kunde abspringt, reißt das ein empfindliches Loch in die Finanzen, außerdem würde das unserem Image schaden. Ganz abgesehen davon, wie viele Mitarbeiter wir entlassen müßten. Wir, also meine beiden Partner und ich, das sind Boyd Lake und Sara Ryman, möchten unbedingt mit Nero Wolfe reden.«

Ich musterte Mills aufmerksam, während er sprach, und entschied, daß sein Problem es wert war, sich Wolfes Ärger zuzuziehen, der schließlich meine Gehaltsschecks unterschrieb. »In Ordnung, ich rede mit ihm. Wenn nicht heute abend, dann morgen früh.«

»Ich weiß es zu schätzen«, antwortete Mills, nickte ernst und überreichte mir seine Visitenkarte. »Ich bin froh, daß ich Sie heute getroffen habe.«

»Ich auch. Die Alternative wäre nur das langweiligste Fußballspiel seit der Erfindung des Faustkeils gewesen.«

Das entlockte sogar Mills ein Kichern, was schon ein großer Erfolg war. Der Mann sah nicht so aus, als habe er in letzter Zeit viel zu lachen gehabt.

2

Als ich kurz vor Mitternacht am Sonntag zum alten Sandsteinhaus in der West Thirty-fifth Street zurückkam, lag das Büro im Dunkeln. Das bedeutete, daß sich Wolfe bereits in sein Schlafzimmer im ersten Stock zurückgezogen hatte. Ich folgte hastig seinem Beispiel, lief zwei Stufen auf einmal nehmend zu meinem Zimmer, eine Etage über Wolfes Räumlichkeiten gelegen, hinauf. Ich war froh, nicht mehr als sechs Minuten von einem einschläfernd langweiligen Fußballmatch gesehen zu haben, das mit einem Torergebnis von 9:6 geendet hatte.

Am nächsten Morgen fand ich mich zur üblichen Zeit an meinem üblichen Platz am kleinen Tisch in der Küche ein, wo ich Würstchen und Weizenpfannkuchen, von Fritz Brenner zubereitet, vertilgte und die »Times« las. Wolfe nimmt sein Frühstück, von Fritz serviert, allmorgendlich in seinem Schlafzimmer ein. Anschließend begibt Wolfe sich in seine Gewächshäuser auf dem Dach, wo er sich bis elf Uhr mit seinen Orchideen vergnügt.

Ich überflog den Artikel über das Super-Bowl-Pokalspiel im Sportteil. Die Reporter der »Times« waren mit mir der Meinung, daß es sich um das bisher langweiligste Match dieser Art gehandelt hatte. Im Wirtschaftsteil erschien ein recht positiver Artikel über den Cherr-o-key-Spot. Der Autor bezeichnete die Einblendung als die aufregendsten und unterhaltsamsten sechzig Sekunden der zweistündigen Begegnung. Der Spot wurde als ein Produkt des »kreativen Motors« Mills & Lake & Ryman vorgestellt. Die Partner wurden namentlich erwähnt. Der Autor beendete seinen Artikel mit der Behauptung, es handle sich bei dieser Agentur um New Yorks vielversprechendstes Jungunternehmen.

»Fritz, was sagt Ihnen der Name ›Cherr-o-key‹?« erkundigte ich mich, nachdem ich mir eine zweite Tasse Kaffee eingeschenkt hatte.

»Eine traurige, sehr traurige Geschichte«, antwortete er und preßte die Lippen aufeinander. »Indianer, sie nennen sie heutzutage amerikanische Ureinwohner. Sie mußten ihre angestammten Gebiete verlassen und nach Westen ziehen. Man hat dieses Ereignis den ›Zug der Tränen‹ genannt.«

»Sie überraschen mich immer wieder. Woher wußten Sie das?«

Er zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder dem Herd zu, um meinen nächsten Pfannkuchen vorzubereiten.

»Ich lese«, sagte er in entschuldigendem Ton.

»Das kommt mir auch so vor«, erwiderte ich. Fritz wohnt im Tiefparterre des Sandsteinhauses in einem gemütlichen Zwei-Zimmer-Apartment, in dem er sich im Lauf der Jahre ein echtes Zuhause geschaffen hat. Es ist voller Regalen mit Büchern und Zeitschriften.

»Haben Sie je den Namen Cherr-o-key im Fernsehen gehört?« beharrte ich.

»Ich sehe selten fern, Archie«, erwiderte er und legte den nächsten dampfenden Weizenpfannkuchen auf meinen Teller. »Meistens nur die Elf-Uhr-Nachrichten.«

»Was ist mit Werbung?«

»Schon, aber da drehe ich immer den Ton ab.«

»Aha. Die Fernbedienung. Der beste Freund des Zuschauers. Der Feind des Werbefachmanns.« Fritz sah mich teilnahmslos an.

Nach dem Frühstück trug ich eine Tasse Kaffee an meinen Schreibtisch im Büro und begann am Computer weiter an der Orchideenkartei zu arbeiten. Theodore Horstmann, der schon länger hier arbeitet als ich, überwacht jene gut zehntausend Pflanzen auf dem Dach, die Wolfe als seine »Konkubinen« bezeichnet. Normalerweise hat Theodore sonntags frei. Diesmal allerdings hatte er eine Ausnahme gemacht und war zu Hause geblieben, da er mehrere Tage lang krank gewesen war. An Arbeitstagen führt Theodore penibel Buch über das Blühverhalten der einzelnen Pflanzen und notiert seine Beobachtungen auf Karteikarten, die er abends auf meinen Schreibtisch legt, bevor er das Haus verläßt. Ich glaube, er hat eine perverse Freude daran, mir Arbeit zu hinterlassen, was vermutlich durchaus verständlich ist. Ich mag ihn nämlich auch nicht besonders.

Nachdem ich die Orchideenkartei auf den neuesten Stand gebracht hatte, nahm ich die Briefe in Angriff, die Wolfe am Samstag diktiert hatte. Ich druckte sie über den Computer aus und legte sie Wolfe auf den Schreibtisch. Als nächstes griff ich nach dem Telefonhörer, um Lon Cohen von der »New York Gazette« anzurufen. Für diejenigen Leser, denen meine Geschichten neu sind, füge ich erklärend hinzu, daß Lon bei der größten amerikanischen Abendzeitung eigentlich keine offizielle Funktion innehat, jedoch mehr Machtbefugnisse besitzt als die meisten Zeitungsredakteure; und er nennt ein Büro mit zwei Zimmern direkt neben dem Herausgeber im zwanzigsten Stock sein eigen. Seit Jahren floriert ein reger Informationsaustausch zwischen Wolfe, mir und Lon, was der »Gazette« zahlreiche Exklusivberichte und unserem Bankkonto fette Umsätze eingebracht hat. Außerdem ist er ein teuflisch guter Pokerspieler. Und ich weiß, wovon ich rede: Seit Jahren habe ich es ihm zu verdanken, daß nach unseren Pokerrunden am Donnerstagabend in Saul Panzers Wohnung meine Brieftasche an Schwindsucht leidet. Und sogar Saul, der beste Spieler, den ich kenne, wird regelmäßig von Lon um satte Beträge erleichtert. Zum Beispiel vergangene Woche, als Lon uns um den höchsten Einsatz des Abends bluffte. Ob er wirklich fünf Pik-Karten gehabt hat, werden wir sowieso nie erfahren.

Jedenfalls erscheint Lon in regelmäßigen Abständen im Sandsteinhaus zum Abendessen und ist sowohl Freund als auch Geschäftspartner. Das erfordert einen Balanceakt, der, nicht ohne gelegentliche Spannungen zu erzeugen, seit Jahren durchgehalten wird. Jetzt schien es wieder einmal ratsam zu sein, sich an Lon zu wenden, überlegte ich, während ich seine Nummer wählte. Beim zweiten Rufton meldete er sich im gewohnt genervten Ton: »Gazette – Cohen.«

»Goodwin«, sagte ich.

»Was wollen Sie?«

»Darf man denn nicht mal einen Höflichkeitsanruf bei Ihnen starten?« erkundigte ich mich und versuchte, beleidigt zu klingen.

»Schon, aber Sie sind nicht der Typ, der Höflichkeitsanrufe macht«, konterte Lon.

»Tja also, eine kleine Frage habe ich schon.«

»Hätte mich sonst auch gewundert. Also schießen Sie los. Wir haben hier gelegentlich auch ganz nebenbei was zu arbeiten.«

»Habe ich schon mal gehört. Was wissen Sie über die Werbeagentur Mills & Lake & Ryman?«

»Nicht viel. Kleine Firma. Ziemlich neu im Geschäft. Aber sie haben einen guten Ruf und ein gutes kreatives Potential, nach Meinung unseres Ressortleiters. Er hält sie für die kommenden Aufsteiger. Ich schätze, Sie wissen, daß die Firma diese spektakuläre Fallschirmspringernummer für diesen Kirschsaftdrink lanciert hat, der gestern abend in der Halbzeitpause des Pokalspiels gesendet wurde, oder?«

»Ja. Hat vielleicht einer der Partner oder ein Angestellter der Firma Dreck am Stecken?«

»Nee, nichts bekannt. Was gibt’s denn? Will Wolfe jetzt im Fernsehen für seine Dienste werben?«

»Soweit kommt’s noch!« Ich lachte. »Nein. Dann würde es Aufträge regnen. Könnten Sie sich umhören, ob irgendwelche Gerüchte über die Agentur kursieren?«

»Will ich gern machen. Glaube aber nicht, daß dabei was rauskommt. Archie, gibt es da etwas, das ich wissen sollte?«

»Nein, und wird es vermutlich auch nicht geben. Ich überprüfe nur etwas.«

»Halten Sie Ihren alten Kumpel trotzdem auf dem laufenden, ja?«

»Mache ich. Auf bald, Kumpel«, erwiderte ich und legte auf, als ich das Summen des Aufzugs hörte. Seine Eminenz schwebte von seinem Stelldichein mit den besagten Orchideen in irdische Tiefen herab.

»Guten Morgen, Archie. Haben Sie gut geschlafen?« Wolfe ging hinter seinen Schreibtisch und sank in den einzigen Stuhl, der stabil genug war, seinem Gewicht standzuhalten. Ich erwiderte, daß ich gut geschlafen habe, erwähnte kurz Lilys Party und fragte ihn dann wie Fritz zuvor, was ihm der Name »Cherr-o-key« sage.

Als Antwort traf mich zuerst ein düsterer Blick. »Was hat das zu bedeuten?« knurrte er unwillig. »Wenn Sie eine Frage stellen, steckt immer was dahinter.«

Ich grinste. »Kann sein. Aber um das herauszufinden, müssen Sie mir die Frage schon beantworten, wenn Sie’s können, heißt das.«

Wolfe musterte mich ohne jede Begeisterung. »Die Cherokeesen sind ein nordamerikanischer Indianerstamm oder, um die zeitgemäße Bezeichnung zu benutzen, amerikanische Ureinwohner. Wohl der fortschrittlichste und bestorganisierte Stamm auf dem Gebiet der heutigen Vereinigten Staaten, sie hatten ihre angestammten Gebiete südlich der Appalachen, hauptsächlich in North Carolina. Mit der Flut der europäischen Einwanderer wurden sie gewaltsam verdrängt und nach Westen in das Indianer-Territorium von Oklahoma getrieben. Dieser barbarische Treck von tausend Meilen ging als der ›Zug der Tränen‹ in die Geschichte ein.«

»Fritz hat ungefähr das gleiche auf meine Frage geantwortet.«

»Warum auch nicht? Fritz ist kein Idiot. Die Geschichte der Cherokeesen ist hinlänglich bekannt.«

»Mir nicht. Aber Schwamm drüber. Da wir gerade von den Cherokeesen sprechen, bevor Sie herunterkamen, habe ich mir unsere Bankauszüge angesehen.«

»Ich sehe da keinen logischen Zusammenhang.«

»Abrupte Themenwechsel gehören zu meinen Spezialitäten.« Wolfes Augen wurden schmal. »Ich könnte Sie jetzt einfach ignorieren, Sie könnten weiter in Rätseln reden, und die Atmosphäre hier würde äußerst angespannt werden. Natürlich könnte ich Sie auch bei Laune halten, indem ich Sie frage, wohin Sie die Unterhaltung zu lenken trachten. Das Risiko bei letzterer Version ist, daß mir die Richtung nicht gefällt.«

»Gut, das ist ein Problem«, gab ich zu. »Aber nehmen wir an, daß Sie die Richtung trotz allem akzeptieren. Dann ergeben sich zwei Möglichkeiten. Wir können über die Finanzen reden. Oder wir können über das sprechen, was mir wirklich am Herzen liegt.«

»Da riskiere ich lieber letzteres«, erklärte Wolfe sarkastisch und läutete nach Bier.

»Also gut. Cherr-o-key ist ein Fruchtsaftgetränk mit Kirschgeschmack. Jedenfalls habe ich mir das sagen lassen; getrunken habe ich das Zeug noch nie.«

Wolfe zog eine Grimasse, die deutlich machte, was er von dieser Art Getränke hielt. Ich fuhr unbeirrt fort und berichtete von Lilys Party anläßlich des Fußballpokalspiels und dem Cherr-o-key-Werbespot. Anschließend erzählte ich von meinem Gespräch mit Mills und von seinem Anliegen.

Wolfe schnaubte verächtlich. »Unvorstellbar!«

»Unvorstellbar, daß eine Werbeagentur die Ideen von anderen klaut?«

Wolfe schenkte Bier aus einer der beiden Flaschen ein, die Fritz serviert hatte. Stirnrunzelnd beobachtete er, wie sich der Schaum setzte. »Nein, unvorstellbar, daß Sie einen derart hanebüchenen Vorschlag vorzubringen wagen.«

»Viele unserer Aufträge haben mit wesentlich hanebücheneren Vorschlägen angefangen.«

»Unsinn!«

»Den Schuh müssen Sie sich schon selbst anziehen. Also gut. Wenn das Ihr Standpunkt ist, dann führen Sie sich das hier mal zu Gemüte«, erklärte ich, stand auf und machte die zwei nötigen Schritte bis zu seinem Schreibtisch. Ich ließ ein einzelnes Blatt auf seinen Schreibtisch flattern und kehrte zu meinem Drehstuhl zurück. Wolfe griff nach dem Blatt Papier und las mit ausdrucksloser Miene.

»Was Sie da lesen, ist die Statistik dreimonatiger Untätigkeit«, klärte ich ihn auf. »Unser Kontostand ist der niedrigste seit acht Jahren. Das weiß ich genau. Ich hab’s heute morgen überprüft. Natürlich weiß ich auch, daß Sie ein paar nette Investitionen getätigt haben, die regelmäßig hübsche Dividenden einbringen. Also reden wir nicht davon. Aber auch die reichen nicht aus, Ihren gewohnten Lebensstandard aufrechtzuerhalten. Da ist zum Beispiel die Rechnung vom …«

»Archie!«

»Ja, bitte?«

»Sie haben doch mal gesagt, Industriespionage sei Ihnen ein Greuel. Und genau darum scheint es sich zu handeln, vorausgesetzt, man sieht die Werbebranche als Industriezweig.«

»Gerade von Ihnen überrascht mich diese Aussage«, entgegnete ich. »Ich habe nie gesagt, daß ich Industriespionage an sich hasse. Ich habe mich damit auf diese Elektronikgeschichte oben in Westchester bezogen. Sie wissen schon, der Verrückte mit dem Kommunistentrauma, der …«

»Ich erinnere mich nur zu gut!« warf Wolfe gereizt ein. »Und ich erinnere mich noch besser an Ihr ständiges Gejammere …«

»Ich habe nicht gejammert«, unterbrach ich ihn beleidigt.

»Ich habe lediglich meiner Abneigung gegen Charakter, Mentalität, Moral und Lebensstil unseres Klienten Ausdruck verliehen. Sie mochten ihn auch nicht besonders, soweit ich mich erinnere. Gefallen hat Ihnen doch nur sein Kies.«

Wolfes Miene verdüsterte sich noch mehr. Er las die Briefe durch, die ich getippt hatte.

»Es funktioniert nicht.«

Wolfe legte entschieden seinen Füller beiseite und starrte mich wütend an. Dann inhalierte er einen Kubikmeter Sauerstoff und stieß ihn langsam wieder aus. »Dummes Gewäsch.«

»Sie glauben, Sie könnten mich und diesen potentiellen Kunden verprellen, indem Sie mich beschimpfen.«

»Heute mittag um drei Uhr habe ich für Mr. Mills Zeit«, sagte Wolfe. »Aber, und schreiben Sie sich das hinter die Ohren, ich behalte mir das Recht vor, seine Bitte schlicht abzulehnen. Und zwar ohne Angabe von Gründen.«

»Das ist nichts Neues«, entgegnete ich. »Ich rufe Mills an.«

Wolfe reagierte darauf nicht. Er hatte sich wieder den Briefen zugewandt. Die erste Runde hatte ich zwar nach Punkten gewonnen, doch ich ließ mir nichts anmerken. Ich zog vielmehr Mills’ Visitenkarte heraus und rief in der Werbeagentur an. Als ich meinen Namen nannte, wurde ich umgehend mit Mills verbunden.

»Mr. Goodwin! Gerade wollte ich Sie anrufen. Haben Sie mit Wolfe gesprochen?«

»Habe ich. Seien Sie um drei Uhr hier. Und zwar pünktlich.« Ich nannte ihm unsere Adresse.

»Dann übernimmt er die Sache?«

»Das hat er nicht gesagt. Aber er redet mit Ihnen. Das ist immerhin ein Anfang. Sie und Ihre Leute haben in der ›Times‹ heute morgen eine gute Kritik gekriegt.«

»Ja, das war in Ordnung. Besonders nach allem, was passiert ist. Noch etwas …« Mills hielt inne, als wähle er seine Worte mit Bedacht. »Hat Mr. Wolfe etwas dagegen, wenn ich meine Geschäftspartner mitbringe? Boyd und Sara geht die Sache genausoviel an.«

»Moment bitte.« Ich legte die Hand über die Sprechmuschel und drehte mich zu Wolfe um. »Mills möchte, daß bei der Besprechung heute nachmittag seine Partner dabei sind. Es handelt sich um einen Mann und eine Frau.«

Wolfe gab einen tiefen Laut der Mißbilligung von sich. Mitglieder des anderen Geschlechts waren in seinem Büro nicht gerade willkommen. Schließlich nickte er grimmig.

»Also gut. Bringen Sie sie mit«, sagte ich Mills. Er versprach, daß sie pünktlich sein würden.

Ich legte auf und wandte mich erneut an Wolfe. »Nur zu Ihrer Information: Mills’ Partner sind Boyd Lake und Sara Ryman. Möchten Sie noch mehr über die Herrschaften wissen, bevor Sie ihnen großzügig Gastfreundschaft gewähren?«

Wolfe legte seine Lektüre nieder. Er las gerade »The Last Lion« von William Manchester. Dann griff er nach einem der Briefe, die ich für ihn getippt hatte. »Archie, diesen Brief an den Gentleman in Wisconsin müssen Sie noch mal schreiben. Sie haben Paphiopedilum zweimal falsch buchstabiert.«

»Tut mir leid, ich muß abgelenkt gewesen sein, vielleicht durch unsere Kontoauszüge.«

Darauf erhielt ich erwartungsgemäß keine Antwort.

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