Ninja Academy 3. The Last Trip - Kai Lüftner - E-Book

Ninja Academy 3. The Last Trip E-Book

Kai Lüftner

0,0
11,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Im ersten Schuljahr an der Academy geht es für Sam, Svea, Momo, Bent und Li-Ho gleich anstrengend weiter: Das TESUTO haben sie allen unüberwindbar scheinenden Hindernissen und bösen Fallen zum Trotz erfolgreich absolviert. Nun startet die Ausbildung zum Ashigaru, dem Level-1-Ninja. Dabei absolvieren sie unter Anleitung eines großen Outdoor-Spezialisten ihr erstes Training für die erfolgreiche Shinobi-Show "Outback – the last Trip" und geraten in lebensgefährliche Situationen. Ob Kenn "The Bullet" Sonne dahintersteckt? Oder haben die Intrigen eine andere Dimension? Nicht nur, dass sich die Schlinge um die Goemonen, die Widerstandskämpfer, weiter zuzieht, auch Momo verhält sich immer merkwürdiger. Doch damit nicht genug: Plötzlich taucht Sams Vater auf. Und diese Begegnung ändert alles.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch

Sam, Svea, Momo, Bent und Li-Ho haben das TESUTO bestanden. Im ersten Schuljahr an der Academy steht nun die Ausbildung zum Ashigaru an. Als wäre das nicht anstrengend genug, geraten Sam und seine Freunde beim Training für eine erfolgreiche Shinobi-Show in lebensgefährliche Situationen. Außerdem wird die Gruppe von einem mysteriösen Mann verfolgt, und auch Momo verhält sich immer merkwürdiger. Doch damit nicht genug: Plötzlich taucht Sams Vater auf. Und diese Begegnung ändert alles.

Alle Sinne benutzen …

Immer wieder kaute Sam auf diesem Gedanken herum, und mehr als einmal konnte er nur den Kopf schütteln und hätte beinahe hysterisch losgelacht.

Alle Sinne benutzen – pah!

Der einzige Sinn, der momentan noch bei ihm funktionierte, war sein dringendes Bedürfnis nach einem warmen Bett.

Der Wind blies so dermaßen, dass er sich die Ohren zuhalten musste, und das Rauschen der gegen die Felsen schlagenden Wellen obendrauf machten klares Denken und eine Kommunikation unterhalb von Schreien unmöglich.

Selbst Dinge, die er sicher zu wissen glaubte oder irgendwann mal irgendwie von irgendwem gelernt hatte, konnte er nicht anwenden.

Dazu war er viel zu kaputt.

Es war Anfang Oktober, noch kein richtiger Herbst, aber die sogenannte Sonneninsel präsentierte sich nicht gerade von ihrer gemütlichen Seite. Es war nass, kalt und stürmisch. Besonders und gerade jetzt.

Was den meisten der hier anwesenden Level-1-Ninja gehörig auf die Nerven ging.

Sie befanden sich im Norden Bornholms, oberhalb der Academy, am Rande der felsigen Küste in einer von Dornensträuchern und verkrüppelten Bäumen dominierten Heide, und übten ihre Survival-Skills. Oder das, was in den übermüdeten Hirnen noch davon abrufbar war. Auf den Schultern hatten sie einen viel zu schweren Rucksack mit „dem Nötigsten“.

Alles war mittlerweile klamm und nass. Vom immer wieder aufkommenden Regen und von der Gischt, die erbarmungslos über die Klippen brandete und sie ununterbrochen mit einem feinen Wassernebel bedeckte. Da es nun bereits zum dritten Mal dämmerte, war davon auszugehen, dass sie auch diese Nacht wieder in einem improvisierten Lager verbringen würden.

Seit zwei Tagen hatte Sam ausschließlich die kümmerlichen Reste von wild wachsendem Bärlauch, ein paar Löwenzahn- und Brennnesselblätter und einige rohe Pilze gegessen. Er hatte Bachwasser durch seine mit Sand, Steinen und Holzkohle gefüllte Socke gefiltert und getrunken – und sie dann natürlich auch wieder angezogen. Selbstverständlich noch nicht ganz getrocknet. Und er hatte in seinem viel zu dünnen und mittlerweile viel zu nassen Schlafsack mehr schlecht als recht geschlafen.

Seine Sinne waren schlicht und ergreifend nicht mehr nutzbar, er war nur noch hungrig, müde und ehrlich gesagt am Ende seiner sowieso überschaubaren Kräfte.

Was würde er für eine fette Stulle mit Käse tun?

Für einen Apfel?

Für eine Dusche?

Für eine Stunde Allgemeinbildung bei Dr. Sigurde Plehm?

Und das, obwohl er dieses Fach des Pflichtmoduls 3 am allermeisten hasste. Nichts gegen Allgemeinbildung, aber die streng katholische und erzkonservative Dr. Plehm hatte offenbar einen Narren an Sam gefressen – vielleicht, weil sie ebenfalls aus Deutschland stammte, vielleicht aber auch, weil sie ihm „auf die Sprünge helfen“ wollte, da er doch so ganz offensichtlich noch nicht herausgefunden hatte, wo genau seine Stärken lagen. Allgemeinbildung war jedenfalls nicht seine Stärke. Und Survivaltraining auch nicht unbedingt. Sam seufzte und versuchte erfolglos, Blickkontakt zu Momo aufzunehmen, die aber den Kopf gesenkt hielt. Also marschierte er weiter.

Er war so in Gedanken, dass er direkt in Svea lief, die ihm nun ihrerseits einen ihrer berühmt-berüchtigten Blicke schenkte.

Sie hatte die Führung in ihrer Fünfergruppe übernommen. Und – das musste Sam unumwunden zugeben – sie war für diese Rolle wie geschaffen. Sie hatte das richtige Maß an Durchsetzungsvermögen und Biss, um keinerlei Zweifel an ihrer Position aufkommen zu lassen. Na ja, meistens zumindest.

Die anderen in der Gruppe waren Birk, Momo und Kolja.

Man hätte vermuten können, dass Birk der nervigste Faktor in dieser kleinen Runde sein würde. Für Sam stellte sich jedoch die Anwesenheit Koljas als größeres Übel heraus. Denn er und Svea waren derart gleich und dennoch so verschieden, dass es immer wieder zu hitzigen Diskussionen kam, in deren Folge die beiden sich wiederum versicherten, wie sehr sie einander schätzten und was sie am jeweils anderen mochten. Der Unterrichtsblock Philosophie/Kommunikation, ebenfalls Bestandteil des Pflichtmoduls 3 und unterrichtet von Urte Fjåldresøn, einem ehemaligen Fremdenlegionär, begann Früchte zu tragen. Denn Urte (wie er von den Ninja-Anwärtern genannt werden wollte) wurde nicht müde, gerade Svea und Kolja dahin zu bringen, Kommunikation und Sprache als die stärkste aller Waffen im Umgang miteinander zu benutzen.

Das war … anstrengend. Denn was jeder drum herum merkte und längst wusste, nur offenbar die beiden nicht: Sie waren ineinander verliebt! Das machte jeden Streit irgendwie besonders persönlich.

„Ich verstehe dich ja, Kolja!“, rief Svea gerade gegen die Wellen und den Wind an, und Sam konnte trotz der Geräuschkulisse nicht überhören, wie sie sich bemühte, ihre Wut in das sauberste Englisch zu quetschen, das ihr möglich war. „Aber vertraue mir. Diese Nacht noch, dann haben wir es geschafft! Zehn Punkte, Mann! Das lohnt sich!“

Die ersten Antwortfetzen Koljas verschwanden in einer Windböe, die die Gruppe plötzlich umfing und alle einmal ins Straucheln brachte. Ab und an drehte sich der Wind an der Küste unvorhersehbar und mit so einer Inbrunst, dass man aufpassen musste, nicht über die Klippen geweht zu werden.

„… sind fertig! Die Einzige, die hier noch weitermachen will, bist du! Es geht um dein Ego, nicht um die Gruppe!“ Kolja wirkte richtig aufgebracht, als er sich zu den anderen umdrehte. „Schau dir Birk und Momo doch an!“

Sam war fast ein bisschen stolz, dass er nicht mit auf der Liste derer stand, die aus Koljas Sicht nicht mehr konnten – obwohl es natürlich so war.

Svea schien kurz zu überlegen, dann schüttelte sie den Kopf.

„Wir sind so nah dran. Die Nacht noch, dann ist gut! Und jetzt Schluss mit dem Debattieren!“ Damit wandte sie sich ab und wies auf zwei hoch aufragende Felsnasen vor ihnen, die in einer Art kleinen Gang mündeten, der aus ihrer Perspektive direkt in den Felsen führte – eine Stelle, von der Svea offenbar vermutete, dass man dort würde einigermaßen windgeschützt die Nacht verbringen können.

Birks Gesichtsausdruck sprach Bände, er sagte aber nichts weiter, da er bereits drei Mal eine gehörige Ansage von Svea bekommen hatte, Momo blieb wie immer undurchsichtig und schweigsam, und Sam seufzte lediglich, um auch mal etwas beizutragen. Aber alle drei setzten sich in Bewegung und folgten Svea und Kolja.

Ziel der Survival-Übung war es, so lange wie möglich „zu überleben“. Nur mit dem, was sie dabeihatten. Als Gruppe, also unter Einbeziehung der Schwächsten. Es würde im Anschluss an das Training Punkte geben, die dem jeweiligen Score Cheat gutgeschrieben wurden. Sam hatte nichts dagegen, wenn er ein paar mehr bekommen würde. Sein Punktekonto war nicht gerade üppig gefüllt. Er würde noch einige Punkte benötigen, um überhaupt die Chance zu bekommen, die zweite Ausbildungsstufe zum Bushi, zum Level-2-Ninja, zu erreichen.

Svea hingegen hatte mit ihrem Punktekonto beinahe alle anderen Anwärter abgehängt und wurde dennoch vom Ehrgeiz gepeitscht. Sie gab immer 110 Prozent.

Da draußen, irgendwo in den Wäldern und zwischen den Klippen Nordbornholms befanden sich noch vier weitere Fünfergruppen und versuchten, so gut und so lange wie möglich durchzuhalten, um Punkte abzugreifen. In einer von ihnen auch Bent und Li Ho.

Buddha und einige andere Dozenten waren wohl der Meinung gewesen, dass es eine gute Idee sei, Sams Freundeskreis für diese Aufgabe voneinander zu trennen.

Für ein neues Show-Format, bei dem auch die Ashigarus (Level-1-Ninja) der jeweiligen Academys antreten durften und die Aussicht auf Preisgelder, Ruhm sowie die ersten Kontakte zu potenziellen Werbepartnern winkte, hatte Buddha sich nicht lumpen und einen alten Weggefährten einfliegen lassen: den deutschen Überlebensexperten und Outdoor-Spezialisten Max Blume, von allen nur Blume genannt. Blume war ein ehemaliger Soldat, der nach seiner aktiven Laufbahn eine zweite Karriere als YouTuber gemacht und einige Aufmerksamkeit und Klicks für teilweise extreme Survivalexperimente bekommen hatte …

Blume also war es, der die Ashigarus Bornholms auf ihr erstes eigenständiges Survivaltraining vorbereitet hatte – und von ihm stammte auch die Ansage, die Sam ständig in Gedanken wiederholte: „Nutzt alle eure Sinne! Immer!“

Neben weiteren Sprüchen wie „Niemals Panik!“ oder „Immer darauf achten, woher der Wind kommt!“ hatten sie auch wirklich nützliche Skills und handfestes Wissen beigebracht bekommen. Sam kannte nun verschiedene Zunderarten zum Entzünden eines Feuers wie Kienspan, Birkenrinde oder einen Baumpilz namens Zunderschwamm und wusste, wie man einen Feuerstahl benutzt. Er konnte einige der essbaren von den giftigsten Pflanzen im Wald unterscheiden und aus Naturmaterialien (mehr schlecht als recht) auf zwei oder drei Arten so was wie einen Unterschlupf für die Nacht bauen. Ganz gut bekam er zum Beispiel ein sogenanntes Biwak hin. Das allerdings in aller Ruhe und unter Anleitung von Blume auf dem wind- und wettergeschützten Areal der Academy. Es hier, in einer wirklichen Outdoor-Lage – hungrig, müde, gestresst von der Wettbewerbssituation – zu bauen, war ein gehöriger Unterschied.

Aber es ging um mehr. Nicht nur um die Punkte auf dem Score Cheat oder darum, zur Gruppe zu gehören, die am längsten durchhalten würde.

Es ging auch um die Teilnahme an OUTBACK – The Last Trip.

Die neuste shinobi-Show war derzeit in aller Munde, und das nicht nur bei den Level-1-Ninja, die ihrer möglicherweise ersten öffentlichen Show entgegenfieberten. Die Komponenten Überlebenstraining, Outdoor- und Bushcraft-Fähigkeiten, und das alles zu einem Wettkampf vermengt – das passte in die Zeit. Die Szene derer, die sich nicht mehr mit Familiencamping oder einem Picknick am Lagerfeuer begnügten, war in den letzten Jahren riesig geworden. Ein Hauch von Abenteuer und Freiheit umwehte dieses ganze Thema.

Und es taten sich dadurch, wie shinobi nicht müde wurde zu kommunizieren, einige neue Werbekooperationen auf. Große Unternehmen, die sich auf Outdoorsport und -mode spezialisiert hatten, waren immer auf der Suche nach vielversprechenden Nachwuchs-Ninja, mit denen sie einen Werbedeal als sogenannte Testimonials eingehen konnten.

Nicht nur deshalb war Svea so in ihrem Element. Sam sah sie direkt vor sich auf einem Werbebanner als heroische Galionsfigur eines Lebensgefühls in einem wasserabweisenden Windbreaker einer Trekkingmarke.

Die Sache hatte aber nicht nur einen Haken.

Erstens war noch längst nicht klar, wie viele Bornholmer Ashigarus würden antreten können, und zweitens war das Ganze als internationaler Wettbewerb für Anfängerinnen und Anfänger angelegt.

Das bedeutete nicht mehr und nicht weniger, als dass in vier Wochen Ashigarus aus den kanadischen, russischen, japanischen und südafrikanischen Partner-Academys auf Bornholm aufschlagen und ebenfalls um die Gunst der Werbepartner kämpfen würden.

Und allein diese Vorstellung verhagelte Sam Lust und Laune auf ein derartiges Event gehörig.

Die Tatsache, dass nun möglicherweise wirklich internationale Vergleiche stattfinden würden, führte ihm so deutlich und knallhart vor Augen, wie ungeeignet er sich für all das hier fühlte! Und damit tauchte der alte Film in seinem Kopf wieder auf. Der Film mit dem Titel: Verdammt, was mache ich hier?

Der kleine Pfad, der von der Küste weg und gefühlt direkt in die Klippen und eine Art Granitmassiv hineinführte, holte Sam zurück ins Hier und Jetzt. Der Weg stieg nun deutlich an. Der Boden war matschig, und nur durch ein paar Steine fand man einigermaßen Halt. Während Svea unbeirrt und beinahe wütend den Aufstieg begann, wünschte sich Sam einmal mehr, dass sie ein bisschen Empathie aufbrachte und es nicht nur um die Sache an sich, sondern auch um die anderen ging. War das nicht ein ziemlich wesentlicher Part der ganzen Übung?

Er drückte sich unter Momos Rucksack, die vor ihm lief, und versuchte, ihr ein bisschen zu helfen. Sie nickte ihm nur kurz zu, wie immer undurchschaubar. In den letzten drei Tagen hatten sie alle weniger Worte gewechselt als in den Wochen davor – obwohl sie durchweg die Zeit miteinander verbrachten.

Birk moserte beinahe ununterbrochen vor sich hin, vermied es aber, Svea direkt anzugreifen. Kolja, direkt hinter Svea, vergewisserte sich wenigstens ab und an, ob alle irgendwie nachkamen. Er war wie eine Art kritischer Übersetzer zwischen Svea und dem Rest der Gruppe. Na gut, dachte Sam, vielleicht war er doch nicht so nervig, sondern wurde nur seiner Rolle gerecht.

Zweimal rutschte Sam aus und saute sich nicht nur ein, sondern glitt auch ein Stück den Abhang hinunter. Beim zweiten Mal fluchte er so laut, dass sogar Svea an der Spitze des Zuges es hörte und kurz innehielt. Er zeigte ihr den erhobenen Daumen, konnte sich aber eine wütende Grimasse nicht verkneifen.

Etwas Gutes hatte dieser unsägliche Aufstieg dann aber doch, denn es wurde tatsächlich nicht nur immer windstiller, sondern auch der Geräuschpegel verebbte und ließ zu, dass Sam wieder etwas klarer denken konnte.

Diese Dauerbeschallung durch die Brandung war wirklich nervtötend.

Es war eine Art Hohlweg entstanden; die Felsformationen links und rechts ragten nun etwa zwei Meter hoch auf und bildeten einen natürlichen Schutzwall. Um sie herum war Fels, und der Pfad selbst war nur so breit, dass Sam sich mit seinem Rucksack gerade so hindurchquetschen konnte, ohne die ganze Zeit hängen zu bleiben. Man hatte mit jedem Schritt tiefer in die Felsen hinein den Eindruck, dass Wind und Wellen leiser gedreht wurden. Es war richtig angenehm, wie die Elemente draußen blieben.

Sam konnte hören, wie Birk unter dem Gewicht seines Rucksacks stöhnte, und vernahm sogar, dass Momo leise vor sich hin summte, während sie stoisch einen Fuß vor den anderen setzte. An der Spitze der Gruppe waren Svea und Kolja in ein intensives Gespräch über das weitere Vorgehen vertieft, jeder ganz offensichtlich darum bemüht, seine Aggressionen zu zügeln und dem anderen mit Verständnis zu begegnen.

„Ja, okay, Kolja … Ein Feuer machen wir. Aber nur ein kleines.“ Sveas Bemühen, die lächerlichen Bedürfnisse der anderen nach so was wie Wärme oder gar Gemütlichkeit nicht nur gerade so zu akzeptieren, schien ihr echt etwas abzuverlangen. Sie lächelte zwar, aber es sah beinahe schmerzvoll aus. Kolja ignorierte das und half erst Birk und dann Momo über einen fast mannshohen Felsbrocken. Sam winkte dankbar ab, als Kolja auch ihm die Hand reichte. Er wollte seinen noch frischen Status als „Nicht-Hilfsbedürftiger“ nicht gleich wieder aufs Spiel setzen.

Mit ziemlicher Anstrengung zog er sich hinüber und konnte – leider – nicht verhindern, dass ihm ein erschöpfter Seufzer rausrutschte.

Hinter diesem Brocken herrschte schlagartig Ruhe, und es war, als hätten sie einen Raum betreten. Er hatte zwar keine Decke, aber die hohen Felswände um sie herum sorgten für augenblickliche Windstille und das Gefühl, als hätte jemand eine Tür hinter ihnen geschlossen.

Während Birk und Momo sich an der Felswand links von ihm hinkauerten, kraxelten Svea und Kolja bereits weiter vorn am Ende des „Raumes“ herum und schienen über etwas zu beraten.

Sam stellte seinen Rucksack neben Momo auf den Boden und ging ihnen hinterher.

Ein Blick die Wände empor verriet, dass sie sich wirklich in einer Art offener Halle, dem Felsmassiv vorstehend, befanden. Die Fläche betrug vielleicht hundert mal hundert Meter, und sowohl die Atmosphäre als auch die Akustik waren völlig anders als noch vor dem Gesteinsbrocken, der diesen Bereich mehr oder weniger verborgen gehalten hatte. Ein paar Bäume krallten sich in einigen Metern Höhe beinahe krampfhaft an den Rändern der Felsen fest, und einige Äste ragten bis tief zu ihnen herunter, sodass sie an der hinteren Wand eine Art natürliches Dach bildeten. Dort standen Svea und Kolja und flüsterten miteinander. Als Sam sich neben sie stellte, schauten sie ihn beinahe ertappt an.

„Was ist los?“, fragte er, konnte sich die Frage aber sofort selbst beantworten, als er einen Blick an ihnen vorbei unter das „Dach“ aus Wurzeln und Zweigen warf.

Ein Steinkreis, in dem die Überreste eines Lagerfeuers zu erkennen waren, ein Kanister, halb voll mit Wasser, und einige andere Gegenstände, die ganz offensichtlich davon zeugten, dass hier jemand sein Lager aufgeschlagen hatte.

Kolja ignorierte Sams Frage und schob mit dem Fuß die oberste Ascheschicht beiseite. Erst staubte es ein wenig, dann allerdings machten dezente Rauchkringel deutlich, dass hier noch vor Kurzem ein Feuer gebrannt haben musste.

„Das ist höchstens einen Tag alt. Oder noch wahrscheinlicher von gestern Abend!“, sagte Sam eher zu sich selbst und folgte mit dem Blick Svea, die nun hinter dem Kanister in einer Plastiktüte wühlte und einige Klamotten zutage förderte.

„Bis gerade wäre es möglich gewesen, dass es eine der anderen Gruppen von uns gewesen ist. Nun nicht mehr!“

Sie hielt an einem Ast eine Regenjacke empor, die ganz deutlich einem erwachsenen Mann gehören musste. Sogar einem ziemlich großen Mann. Der weitere Inhalt der Tüte bestätigte diese Annahme: Sie fanden abgelaufene Trekkingschuhe in Größe 45 und mehrere T-Shirts in Größe XL.

„Was meint ihr?“, fragte Sam und blickte Svea und Kolja abwechselnd an.

Die zuckten zeitgleich die Schultern.

„Kein guter Platz für eine Übernachtung“, sagte Kolja.

Nun ließ Sveas Antwort nicht auf sich warten. „Wir bleiben!“ Ihre Stimme klang hart und unerbittlich.

Kolja warf den Kopf in den Nacken, zu erschöpft, um sich schon wieder zu streiten.

„Der Ort ist perfekt“, fügte sie deutlich milder hinzu. „Und alle sind am Ende ihrer Kräfte!“

Kolja nickte. Auch er war gezeichnet von ihrem Trip. „Okay …“, nahm er das Friedensangebot an. „Wir stellen Wachen auf. Und morgen früh geht es zurück!“

Svea zögerte, nickte dann aber auch, ebenfalls erleichtert, dass es nicht zu einer weiteren Diskussion gekommen war.

Sam fühlte sich wie ein Störfaktor in diesem Gespräch, das ihn nicht mit einbezog, zeigte dann aber aufs Feuer und meinte: „Na, immerhin müssen wir jetzt nicht groß mit dem Feuerstahl rumexperimentieren.“

Svea lächelte matt, als wäre sie ein wenig enttäuscht, nicht auch noch mit diesen Fertigkeiten aufwarten zu können. „Okay … kümmerst du dich drum, Sam?“

„Klar!“ Dankbar, dass sie diese Nacht nicht wieder frieren würden, begann er unmittelbar, sich nach Holz umzuschauen, während Svea und Kolja zu den anderen gingen.

Erst als er allein zurückblieb, quälte ihn ein Gedanke:

Was, wenn derjenige, der hier sein Lager hatte, zurückkommen würde?

Diesem Gedanken folgten ein zweiter, ein dritter und ein vierter: Wer konnte das sein? Einfach nur ein Wanderer? Aber warum hatte er dann seine Sachen zurückgelassen?