Nixchen. Ein Beitrag zur Psychologie der höheren Tochter - Kahlenberg, Hans von - kostenlos E-Book

Nixchen. Ein Beitrag zur Psychologie der höheren Tochter E-Book

Kahlenberg, Hans von

0,0
0,00 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Gratis E-Book downloaden und überzeugen wie bequem das Lesen mit Legimi ist.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 74

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



The Project Gutenberg EBook of Nixchen. Ein Beitrag zur Psychologie der höheren Tochter by Hans von Kahlenberg

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at http://www.gutenberg.org/license

Title: Nixchen. Ein Beitrag zur Psychologie der höheren TochterAuthor: Hans von KahlenbergRelease Date: April 2, 2011 [Ebook #35758]Language: German***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK NIXCHEN. EIN BEITRAG ZUR PSYCHOLOGIE DER HÖHEREN TOCHTER***

Nixchen.

Sämtliche Rechte vorbehalten

Nixchen.Ein Beitrag zur Psychologie der höheren Tochter
vonHans von Kahlenberg.Umschlag von Hermann Liebich.
12.-14. Tausend.Wiener Verlag.Wien1904.

Maschinensatz von Oscar Brandstetter in Leipzig. 23217

[pg 1]

Erster Brief.

Achim von Wustrow an Herbert Gröndahl, Berlin, Nettelbeckstrasse.
Mein lieber, alter Mephisto!

Ich weiss zwar nicht, wie ich dazu komme an Dich zu schreiben, grade heute in meiner schönen Kirchtags- und Osterglockenstimmung; denn eigentlich war ich recht wütend auf Dich, wütend und entrüstet und etwas traurig von unserm letzten Berliner Beisammensein, als Du mir bei frappiertem Sekt und köstlichen Natives so nackt und klipp Deine Ansichten über ein gewisses Thema auseinandersetztest.

Und Du weisst, dass ich in dem Thema nun einmal ein unverbesserlicher, hartgesotte[pg 2]ner Idealist bin. Denn ich frage Dich, Skeptiker und Realist, was wäre das Leben überhaupt wert, all unsre Arbeit, mein Schuften hier auf der einsamen Klitsche, die Jagd nach Berühmtheit, die Freude an dem, was man in sich hat, an der schönen Gotteswelt draussen, wenn man sich nicht mitteilen könnte, wenn die lieben Frauen nicht wären, die liebe, schöne Aussicht, solch ein liebes, lebendiges, teilnehmendes Wesen sein eigen zu nennen.

Ja, die lieben Frauen! – Und Du magst nun sagen was Du willst und Erfahrungen haben so viele Du willst – ich bedauere Dich oft darum. Ich behaupte, sie sind das Einzige im Leben, das es für Unsereinen überhaupt erst lebenswert macht. Es giebt Engel unter ihnen, süsse, unschuldige Blumen, tausendmal besser, feiner, klüger wie wir, direkt vom Himmel herunter gesandt, damit man eine [pg 3]Ahnung behalten soll hier unten im Staube, wie’s da oben aussah.

Lache nun wie Du willst über den Romantiker, den Thoren, den Parzival! Es ist zu schön, ein Thor zu sein! Und um es kurz zu machen, Du alter, lieber Freund, trotz Deines infernalischen Beigeschmacks, – ich bin glücklich, unbeschreiblich, lautjubelnd, stillselig glücklich! – Ich liebe.

Da steht es nun. Das Wort kommt mir fast profan vor Dir gegenüber. Weisst Du überhaupt, was Liebe ist, so eine echte erste, gute, frohe und starke Liebe, Du grosser Kenner des menschlichen Herzens, vereidigter Sachverständiger in Liebesangelegenheiten, unvergleichlicher Vivisektor der Gefühle? – Du weisst sehr viel, viel mehr als Dein armer Krautjunker und dörflicher Pylades, aber das weisst Du doch nicht.

[pg 4]

Und wie kannst Du es wissen? Du Grossstadtmensch, der sich immer zwischen Häuserreihen und elektrischen Lampen umhergetrieben hat, berühmt mit sechsundzwanzig, vergötterter Boudoirheld, dem die Königinnen des Salons zu Füssen lagen, diese Frauen, die Du kennst, die Du schilderst wie Keiner, Tigerinnen mit Madonnengelüsten, sentimentale Messalinen, Prostituierte des Herzens und der Phantasie, die für mich schlechter sind, als Strassendirnen, die ehrliche, schmutzige Gemeinheit ohne Eau de Lys und präraffaelitischen Faltenwurf.

Weisst Du, wenn ich so ein Buch gelesen habe in seinem grünen, glatten Eidechseneinband mit hochmodernen Winkeln und Schnörkeln und den beunruhigenden Halbfrauen- und Sphynxemblemen, hier in meiner alten, verräucherten Bude mit den Hirsch[pg 5]geweihen und den alten Preussenkönigen und ihren alten, strammen Soldaten darunter, dann möcht’ ich es gerade an die Wand werfen und hinausstürmen. Freie Luft! Bäume! Erdgeruch! Hier ist doch noch Natur, Wahrheit, Keuschheit!

– – – – Und doch ist auch sie keine Landblüte, nicht im Walde erschlossen beim Quellenrauschen, – eine Grossstadtblume, blaue Wunderblume über dem Sumpf und dem Steinmeer. Wie sollte es auch anders sein? Sechzehn Jahre! süsse sechzehn! – halb Kind noch, halb Jungfrau! Das ist das lieblichste Alter. Ich mag die „jungen Damen“ nicht, die schon drei Winter ausgegangen sind, deren Schultern jeder Laffe besehen hat, deren Unbefangenheit man mit faden Schmeicheleien vergiftet. Jedes Männerauge, das sie begehrte, hat einen Fleck darauf zurückgelassen.

[pg 6]

Nein, so ist mein Liebling nicht. Ich bin der Erste, der glückliche, selbst nichts ahnende Jäger, der das Edelweiss an der steilen Bergwand entdeckt. Das ist buchstäblich zu nehmen. Du kennst die Partnachklamm. So faul warst selbst Du nicht bei Gelegenheit unsrer famosen Zugspitzbesteigung, die Du mit dem Fernrohr von der Terrasse in Eibsee aus verfolgtest. Da traf ich sie, ganz allein, die Eltern waren am obern Rande voraufgegangen. Sie war forsch gewesen. Sie hatte die Innentour machen wollen, die kleine, kecke Berlinerin. Da stand sie, gegen die nasse, riesige Felswand gedrückt, blass und zitternd mit ängstlich hochgehaltenem Kleidchen zwischen den brausenden, tobenden Wassern im sprühenden Wasserstaube, der das winzige, zierliche Sonnenschirmchen durchnässte wie ein Lümpchen.

[pg 7]

Ich führte sie. Wie sie so ängstlich trippelte, Schrittchen für Schrittchen an meinem langen Bergstock! – und doch gläubig. Sie hatte Mut nun. Sie wusste, der grosse, grobe Mann im braunen Lodenkittel würde sie sicher durchsteuern durch das ängstliche, riesige Labyrinth von Steinen und Wassern. Es ist ja nur ein barbarischer Vorzug der Natur, aber derjenige, dessen man sich am häufigsten und reinsten freut, stark zu sein, Mann zu sein, und doch Alles wieder nur, um so ein kleines, schwaches, weiches Ding festzuhalten, zu schützen, das Einen mit einem Lächeln um den winzigen Finger wickelt.

Was soll ich Dir weiter erzählen? Ich stellte mich vor. Ich durfte mit den Eltern sprechen. Ich wurde ein Glied ihres kleinen Kreises – allmählich, mit Tasten und Zurückweichen, wie es bei vornehmen, vorsichtigen, norddeutschen [pg 8]Menschen ist, dann waren sie desto herzlicher. Zwei ältre Schwestern sind verheiratet. Ein Bruder ist Offizier, Leutnant bei den T....er Dragonern. Mathilde ist die Jüngste. Mathilde – etwas Klares, Reines, altdeutsche Kaiserinnen und blonde Burgfrauen. – Wie ich den Namen liebe! Sie haben alle hübsche Namen in der Familie: Elisabeth, Magdalene. Der Vater Geheimrat, preussischer Beamter vom alten Schlage, etwas trocken, etwas zugeknöpft, Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle. Die Mutter, die echte deutsche Frau, blühend, mütterlich, mit geschickten Händen. Etwas Reinliches um die Frau, keine Unordnung, keine Unklarheiten! Weil ich selbst keine Mutter gehabt habe, empfinde ich das doppelt, diese Frau hat mein ganzes Herz. Und Mathilde – ich hasse Abkürzungen. Ich nenne sie Mathilde, nicht Tildchen oder Tilly oder [pg 9]gar englisch-undeutsch Mattie, Maudie, – es passt am besten für sie. Blondes Flechtenkrönchen, blonde Augen, eine Haut von der Frische und dem duftigen Schmelz des Rosenblattes. Ich schwärme für schönen Teint bei Frauen. Er scheint mir ein Sinnbild der inneren Reinheit. Jede arglose Regung liest sich in den Wellen des Blutes unter der Milchweisse der Unschuld.

Und sie ist ja so kinderjung noch! Es ist doch fast eine Sünde. Ich habe Frau von B. gebeten, ihr noch nichts zu sagen. Ich will um sie werben. Blatt für Blatt möchte ich diese Knospe erschliessen, Gedanken, Herz, Sinne, bis sie mein ist, Leib und Seele. Leib und Seele! welch ein Gedanke! welche Aufgabe!

Ehrfürchtig, fast zagend stehe ich davor. Was weiss denn so ein junges Geschöpfchen [pg 10]von der Welt, vom Leben, vom ganzen, grossen Menschheitswesen? Dass der liebe Gott in sieben Tagen Himmel und Erde geschaffen, dass Friedrich der Grosse mit einem Krückstock ausging, dass ein gewisser Goethe einen gewissen Faust geschrieben hat? Meine Aufgabe wird es sein, sie einzuführen, ihr zu zeigen aus meinem Arm. Wie leicht erklärt sich das Rätsel der Welt, wenn das Köpfchen so sicher ruht an treuer liebevoller Brust!

Darum ist es mir auch so lieb, dass Mathilde nicht in Pension gewesen ist. Ich hasse diese Ansammlungen an gleichgültigen, unheimatlichen Orten unter ungenügender Aufsicht, wo schlechte Elemente ja nicht fehlen können. Ich habe meine ländliche Alleinerziehung stets als einen Vorteil empfunden. Und wenn Ihr mich nachher als [pg 11]„reinen Thoren“ verspottet habt, ich habe Euch nicht beneidet. Sie hat nur Privatunterricht genossen, in kleinen Kursen, mit Töchtern ausgewählter Familien. Ihre liebste Freundin ist die Tochter eines pensionierten Generals, ein lustiges, schwarzäugiges Plaudertäschchen. Sie sind fast unzertrennlich, da geht dann ein sehr liebliches, beständiges Tuscheln und Kichern vor sich, all dieser tausend kleinen Nichtigkeiten, ein neues Kleidchen, eine Schwärmerei für einen toten Dichter oder verehrten Lehrer ... Wie unendlich rührend diese Einfalt gerade ist! Sie hat für mich etwas Heiliges. Ich bete, dass ich würdig sein möge. Ich prüfe mich selbst, meine Gedanken, meine Worte. Selbst meine Augen möchte ich bewahren, sie nicht vorzeitig zu erwecken, zu beunruhigen, meine Blume, meine Lilienknospe, mein Elfenkind!

[pg 12]

Lache über mich! Zucke die Achseln! Setze Deine spöttischste Mephistomiene auf über den Menschen, den Esel, den Dummkopf, der in einem sechzehnjährigen Kinde, einem Backfisch, einen Schatz gefunden hat, eine Krone, eine Erlösung!

Ich bin glücklich!         Dein Achim.
[pg 13]

Zweiter Brief.

Herbert Gröndahl an Achim von Wustrow, Templin bei Rathsdorf, Kreis Jüterbog in der Mark.
Teurer Parzival!

Heute also zu Deiner Epistel von gestern.

Ich habe weder gelächelt, noch eine spöttische Miene aufgesetzt. Ich kannte ja die dicken Couverts, das Wappen Semper idem, die engbeschriebenen Seiten à la Hainbundjüngling.

Aber ich habe nicht gelächelt. Nur geseufzt habe ich! Kommt denn der Mensch nie aus dem Zahnen heraus!

Da habe ich ihn mühsam einer angejahrten, stark magdalenenhaften Witib aus den Fängen gerissen, nun fällt er auf einen [pg 14]Backfisch herein, einen Berliner Backfisch, eine Geheimratstochter! – Mensch! Mensch! Die Götter wollen Dein Verderben.

Ich kenne die Beschreibung. Ich kenne das Original. Ich sehe es zu Dutzenden alle Tage zwischen Brandenburger Thor und Savigny-Platz, manchmal noch mit der Schulmappe und dem Bammelzopf sogar, das äugelt und kichert auf der Pferdebahn, giebt sich in Konditoreien Rendezvous, liest Tovote und Maupassant, wo Leihbibliotheksjünglinge erröten, und träumt von chambres séparées, alten Männern mit Millionen und Hausfreunden, die Gesandtschaftsattachés sind.

Der Schändliche! Der Pessimist! wirst Du sagen, und dann kommt die ganze Philippika gegen moderne Kunst und Volksvergifter.

[pg 15]

Mein lieber Junge! Ich hatte auch mal Grundsätze. Ich weiss nicht, ob sie ganz so schön waren wie Deine. Ebenso ehrlich waren sie. Ich habe keine mehr. Ich denke gar nichts mehr. Ich sehe nur noch und staune.