Out of Balance | Alle Folgen (1-6) - Kris Brynn - E-Book

Out of Balance | Alle Folgen (1-6) E-Book

Kris Brynn

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Beschreibung

Alle Folgen (1-6) der spektakulären Science-Fiction-Serie von Kris Brynn in einem eBook.

Die Erde, wie wir sie kennen, gibt es nicht mehr. Der Alltag der Menschen wird beherrscht von Hungersnöten und völliger Zerstörung. Auf eigens dafür entwickelten Raumstationen werden genmodifizierten Lebensmittel hergestellt - doch nur diese können sich nur die Reichsten leisten. Und auf den Raumstationen selbst herrscht extremer Platzmangel. Schon ein Mensch zu viel sprengt die Kapazitäten. Ohne Rücksicht werden daher immer wieder Bewohner der Raumstationen zwangsumgesiedelt. Doch im Untergrund entstehen Unruhen, und eine Rebellion gegen das menschenverachtende System bahnt sich an.

Die Raumstation Kopernikus ist nur eine der vielen Produktionsstätten. Um seine jüngere Schwester vor der schweren Arbeit auf der Station zu schützen, hat Cap Hallberg sich freiwillig gemeldet. Doch in den Weiten des Alls sieht er sich plötzlich mit unbekannten Gefahren, Aufständen und Unruhen konfrontiert. Und schnell wird klar: Hier stimmt etwas nicht. Wem kann Cap überhaupt noch trauen?

Mehr als 600 Seiten voller Spannung, Action und Verfolgungsjagden im Weltraum. Kris Brynn schildert eine erschreckende, spannende und emotionale Zukunftsvision. Für ihren ersten Roman THE SHELTER - ZUKUNFT OHNE HOFFNUNG wurde die Autorin im Jahr 2019 mit dem Phantastik-Literaturpreis SERAPH in der Kategorie »Bestes Debüt« ausgezeichnet.

eBooks von beBEYOND - fremde Welten und fantastische Reisen.

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Seitenzahl: 650

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Impressum

beBEYOND Originalausgabe »be« - Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln Covergestaltung: © Guter Punkt GmbH Co. KG unter Verwendung von Motiven © johan63 / GettyImages; Sylphe_7 / Getty Images; hiro-hideki / Getty Images eBook-Erstellung: readbox publishing GmbH, Dortmund ISBN: 978-3-7325-9546-4

Kris Brynn

Out of Balance - Folge 1-6

Über diese eBox

Kris BrynnOut of Balance - KollisionDie Erde in naher Zukunft: Völlige Zerstörung und Hungersnöte beherrschen den Alltag der Menschen. Um den Hunger zu bekämpfen, wird in eigens dafür gebauten Raumstationen genmodifizierte Nahrung produziert. Doch nur die reiche First Class kann sich die Lebensmittel überhaupt leisten. Auf den Stationen selbst soll die Balance-Regel das Funktionieren garantieren: Überzählige Bewohner werden auf andere Stationen umgesiedelt - wenn es sein muss, auch ohne ihre Familie. Doch im Untergrund entsteht Unruhe, und eine Rebellion gegen das menschenverachtende System bahnt sich an ... ÜBER FOLGE 1: Ein Camp nahe Berlin: Hier sucht die Biotechnologiefirma SpaceSeed neue Feldarbeiter für ihre Raumstation Kopernikus. Um seine Schwester vor der Rekrutierung zu retten, meldet Cap Hallberg sich freiwillig. Doch auf halber Strecke zur Kopernikus geraten er und die zwei anderen Rekruten Michael und Larissa in eine Wolke aus Weltraumschrott, der den Frachter schwer beschädigt und sogar ein Loch in die Außenhülle reißt. Und während die drei um ihr Leben kämpfen, erwartet Lawrence Huggins den Frachter schon ungeduldig. Der Security Chief der Kopernikus benötigt nicht nur dringend die Rekruten für die Feldarbeit - an Bord des Frachters befindet sich noch eine ganz besondere Ladung. Denn Huggins hat von oberster Stelle einen Auftrag erhalten, der die Zukunft von SpaceSeed für immer ändern soll ... Die SF-Serie von der Gewinnerin des SERAPH-Preis 2019. eBooks von beBEYOND - fremde Welten und fantastische Reisen.Jetzt lesen
Out of Balance - VerratÜBER FOLGE 2: Michael liegt nach dem Frachter-Unglück immer noch schwerverletzt auf der Krankenstation. Cap und Larissa gewöhnen sich währenddessen nur langsam an den Alltag auf der Raumstation. Sie bemerken immer stärkere Spannungen zwischen der Führungsebene und den Balance-Gegnern. Immer wieder gibt es Aufstände - allesamt angeführt von Crewmitglied Ned Ludd, der mehr und mehr Anhänger um sich schart. Diese Unruhen versucht Lawrence Huggins mit aller Macht niederzuschlagen. Noch dazu kriegt er immer mehr Druck von oben - scheinbar hat sich ein Spion der Regierung auf der Kopernikus eingeschlichen. Und während sich die Lage immer mehr zuspitzt, geht plötzlich der Feldalarm los ... DIE SERIE: Die Erde in naher Zukunft: Völlige Zerstörung und Hungersnöte beherrschen den Alltag der Menschen. Um den Hunger zu bekämpfen, wird in eigens dafür gebauten Raumstationen genmodifizierte Nahrung produziert. Doch nur die reiche First Class kann sich die Lebensmittel überhaupt leisten. Auf den Stationen selbst soll die Balance-Regel das Funktionieren garantieren: Überzählige Bewohner werden auf andere Stationen umgesiedelt - wenn es sein muss, auch ohne ihre Familie. Doch im Untergrund entsteht Unruhe, und eine Rebellion gegen das menschenverachtende System bahnt sich an ... Die SF-Serie von der Gewinnerin des SERAPH-Preis 2019. eBooks von beBEYOND - fremde Welten und fantastische Reisen.Jetzt lesen
Out of Balance - ZusammenbruchÜBER FOLGE 3: Nach der Explosion auf dem Weizenfeld befindet sich die Kopernikus noch immer im Ausnahmezustand: Die Verletzten werden von Dr. Nia Patel versorgt, und Huggins sucht weiterhin fieberhaft nach dem Spion. Außerdem häufen sich nun die Probleme mit Ludd und seinen Anhängern. Der offizielle Verantwortliche für die Explosion: CropUniverse - ein Konkurrenz-Unternehmen. Doch Cap und Larissa ahnen, dass mehr dahintersteckt. Bevor sie allerdings weitere Details herausfinden können, überschlagen sich die Ereignisse. Plötzlich rasten die Feldarbeiter völlig grundlos aus. Es gibt mehrere Todesfälle. Haben diese Verhaltensstörungen etwas mit dem Unglück auf dem Feld zu tun? Und werden Cap und Larissa die nächsten Opfer? DIE SERIE: Die Erde in naher Zukunft: Völlige Zerstörung und Hungersnöte beherrschen den Alltag der Menschen. Um den Hunger zu bekämpfen, wird in eigens dafür gebauten Raumstationen genmodifizierte Nahrung produziert. Doch nur die reiche First Class kann sich die Lebensmittel überhaupt leisten. Auf den Stationen selbst soll die Balance-Regel das Funktionieren garantieren: Überzählige Bewohner werden auf andere Stationen umgesiedelt - wenn es sein muss, auch ohne ihre Familie. Doch im Untergrund entsteht Unruhe, und eine Rebellion gegen das menschenverachtende System bahnt sich an ... Die SF-Serie von der Gewinnerin des SERAPH-Preis 2019. eBooks von beBEYOND - fremde Welten und fantastische Reisen.Jetzt lesen
Out of Balance - RebellionÜBER FOLGE 4: Die Entführung eines Versorgungsschiffes schlägt hohe Wellen auf der Raumstation. Mr Hong, der Chef von SpaceSeed, kündigt seinen Besuch an, um sich ein Bild vom Zustand der Besatzung zu machen. Währenddessen haben Cap und Larissa herausgefunden, wer tatsächlich hinter dem Anschlag auf das Weizenfeld steckt: Lawrence Huggins im Auftrag von SpaceSeed. Die beiden zweifeln immer mehr an den Absichten der Kopernikus-Führung. Wem können sie noch trauen? Vielleicht Ludd und seinen Anhängern? Und während Cap und Larissa auf der Kopernikus nach Antworten suchen, wächst auch auf der Erde der Widerstand gegen die Regierung und die unmenschlichen Lebensbedingungen all jener, die nicht zur First Class gehören ... DIE SERIE: Die Erde in naher Zukunft: Völlige Zerstörung und Hungersnöte beherrschen den Alltag der Menschen. Um den Hunger zu bekämpfen, wird in eigens dafür gebauten Raumstationen genmodifizierte Nahrung produziert. Doch nur die reiche First Class kann sich die Lebensmittel überhaupt leisten. Auf den Stationen selbst soll die Balance-Regel das Funktionieren garantieren: Überzählige Bewohner werden auf andere Stationen umgesiedelt - wenn es sein muss, auch ohne ihre Familie. Doch im Untergrund entsteht Unruhe, und eine Rebellion gegen das menschenverachtende System bahnt sich an ... Die SF-Serie von der Gewinnerin des SERAPH-Preis 2019. eBooks von beBEYOND - fremde Welten und fantastische Reisen.Jetzt lesen
Out of Balance - UntergangÜBER FOLGE 5: Hong ist tot. Der Anschlag auf den Chef von SpaceSeed hätte beinahe auch die Kopernikus zerstört. Auf der Raumstation herrscht das absolute Chaos. Nach einem brutalen Angriff durch Ludds Anhänger, versucht der abtrünnige Huggins die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen. Cap und Larissa hingegen folgen Huggins Befehlen nicht mehr länger. Sie haben herausgefunden, dass Kinder von der Raumstation für viel Geld an die First Class zur Adoption verkauft werden, und schließen sich dem Rebellen Hiroyuki an. Mit der Unterstützung von Big Bethany, die ihnen mit ihrem Schiff aushilft, den Rebellen auf der Erde und Michael, der auf Kopernikus die Stellung hält, wagen sie die Flucht zu einer entlegenen Raumstation. Doch Huggins ist ihnen dicht auf den Fersen ... DIE SERIE: Die Erde in naher Zukunft: Völlige Zerstörung und Hungersnöte beherrschen den Alltag der Menschen. Um den Hunger zu bekämpfen, wird in eigens dafür gebauten Raumstationen genmodifizierte Nahrung produziert. Doch nur die reiche First Class kann sich die Lebensmittel überhaupt leisten. Auf den Stationen selbst soll die Balance-Regel das Funktionieren garantieren: Überzählige Bewohner werden auf andere Stationen umgesiedelt - wenn es sein muss, auch ohne ihre Familie. Doch im Untergrund entsteht Unruhe, und eine Rebellion gegen das menschenverachtende System bahnt sich an ... Die SF-Serie von der Gewinnerin des SERAPH-Preis 2019. eBooks von beBEYOND - fremde Welten und fantastische Reisen.Jetzt lesen
Out of Balance - ÜberlebenÜBER FOLGE 6: Michael schart auf Kopernikus immer mehr Anhänger der Rebellion um sich. Und auch die Rebellen auf der Erde versuchen alles, um die Mannschaften im All zu unterstützen - zur Not auch mit Gewalt. Währenddessen erreichen Cap und Larissa mit der restlichen Crew der Bethany's Revenge die entlegene Raumstation Gouges. Von hier aus wollen sie ihre nächsten Schritte planen und neue Allianzen bilden. Doch die Besatzung der Station lässt sich nicht so leicht überzeugen - und dann taucht auch noch Huggins vor den Toren von Gouges auf. Die Ereignisse überschlagen sich, und plötzlich geht es nur noch um eins: Überleben. DIE SERIE: Die Erde in naher Zukunft: Völlige Zerstörung und Hungersnöte beherrschen den Alltag der Menschen. Um den Hunger zu bekämpfen, wird in eigens dafür gebauten Raumstationen genmodifizierte Nahrung produziert. Doch nur die reiche First Class kann sich die Lebensmittel überhaupt leisten. Auf den Stationen selbst soll die Balance-Regel das Funktionieren garantieren: Überzählige Bewohner werden auf andere Stationen umgesiedelt - wenn es sein muss, auch ohne ihre Familie. Doch im Untergrund entsteht Unruhe, und eine Rebellion gegen das menschenverachtende System bahnt sich an ... Die SF-Serie von der Gewinnerin des SERAPH-Preis 2019. eBooks von beBEYOND - fremde Welten und fantastische Reisen.Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Out of Balance – Die Serie

Über diese Folge

Über die Autorin

Titel

Impressum

1. Das Camp

2. Der matte Kiesel

3. Der Orkan

4. Einer zu wenig

5. Im Frachter

6. Khichuri

7. Schrott

8. Noch mehr Schrott

9. Der Professor

10. Geh weg!

11. Das vermeintliche Paradies

In der nächsten Folge

Out of Balance – Die Serie

Die Erde in naher Zukunft: Alle Versuche, den Klimawandel aufzuhalten, sind gescheitert. Intensive Sonneneinstrahlung, unreines Wasser, verschmutzte Luft und Hungersnöte sind die Folge.

Um den Hunger zu bekämpfen, entwickeln Biotechnologie-Unternehmen genmodifizierte Nahrungsmittel in eigens dafür gebauten Raumstationen. Es heißt, die Nahrungsmittel sollen allen zugutekommen – klar aber ist, dass nur diejenigen davon profitieren werden, die am besten zahlen: die First Class.

Auf all diesen Raumstationen herrscht die sogenannte Balance-Regel. Schon ein Mensch zu viel sprengt die Kapazitäten. Überzählige werden auf andere Stationen umgesiedelt, wenn es dort Todesfälle gegeben hat – wenn es sein muss auch ohne den Rest der Familie.

Doch nicht alle folgen blind der gegebenen Ordnung: Im Untergrund bilden sich Unruhen, und eine Rebellion gegen das menschenverachtende Regime bahnt sich an …

Über diese Folge

Ein Camp nahe Berlin: Hier sucht die Biotechnologiefirma SpaceSeed neue Feldarbeiter für ihre Raumstation Kopernikus. Um seine Schwester vor der Rekrutierung zu retten, meldet Cap Hallberg sich freiwillig. Doch auf halber Strecke zur Kopernikus geraten er und die zwei anderen Rekruten Michael und Larissa in eine Wolke aus Weltraumschrott, der den Frachter schwer beschädigt und sogar ein Loch in die Außenhülle reißt.

Und während die drei um ihr Leben kämpfen, erwartet Lawrence Huggins den Frachter schon ungeduldig. Der Security Chief der Kopernikus benötigt nicht nur dringend die Rekruten für die Feldarbeit – an Bord des Frachters befindet sich noch eine ganz besondere Ladung. Denn Huggins hat von oberster Stelle einen Auftrag erhalten, der die Zukunft von SpaceSeed für immer ändern soll …

Über die Autorin

Kris Brynn ist das Pseudonym einer deutschen Autorin, die die Wand ihres Kinderzimmers lieber mit Bildern der Mondlandung schmückte, als mit Pferdepostern. Trekkie aus Überzeugung und Autorin aus Leidenschaft. Während des Studiums der Literaturwissenschaften begann sie sich auch durch die klassische Phantastik zu lesen und entwickelte ein Faible für Inselutopien. Ihr Kunstgeschichtsstudium schloss sie mit einer Arbeit ab, die sich mit Filmarchitektur im SF-Genre beschäftigt. Nachdem sie zwei Jahrzehnte für ein internationales Medienunternehmen gearbeitet hat, widmet sie sich jetzt ganz ihren Storys. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Stuttgart.

Kris Brynn

Kollision

beBEYOND

Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Hanka Leò

Lektorat/Projektmanagement: Johanna Voetlause

Covergestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de

Illustrationen: © Bildagentur Zoonar GmbH com unter Verwendung von Motiven © shutterstock.com; vovan / Adobestock; Photobank gallery / shutterstock

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-6703-4

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

1. Das Camp

Wie immer stürzten sie sich auf die Lager, wenn sie in den Slums nichts gefunden hatten.

»Sie kommen!«, schrie Michael von oben. Er saß rittlings auf einer dicken Astgabel, das Fernglas vor den Augen.

Cap schaute hoch und konnte den hageren Körper ihres Spähers gegen das grelle Sonnenlicht kaum ausmachen. Er kniff die Augen leicht zusammen und beschattete sie mit der Hand. »Wie viele?«

Michael strich sich über den Vollbart, und ein Teil des Meerjungfrauentattoos auf seinem Unterarm schob sich unter dem Hemdsärmel hervor. Es sah aus, als kitzele die Flosse die Rinde des Baums. »Es sind zwei«, sagte er schließlich. »Zwei Jeeps.«

»Die waren doch erst letzte Woche da«, brummte Cap mehr zu sich selbst. »Denen muss ja verdammt langweilig sein.«

»Kann das Logo nicht erkennen. Vielleicht ist es CropUniverse. Einer der Typen hat so eine reflektierende Großfressenbrille auf.«

Das war nichts Besonderes, die Männer von der Security hielten sich alle für die Crème da la Crème.

»Jepp!« Michael setzte das Fernglas ab und zurrte das Lederband um seinen Hals zurecht. »Sag den anderen Bescheid. In zehn Minuten sind die Typen im Camp.« Noch während des letzten Satzes schwang er ein Bein über den Ast und begann hinunterzuklettern.

Louis, der bis dahin stumm neben Cap gestanden hatte, unruhig wie ein Jagdhund an der Leine, spurtete los. Cap wartete, bis Michaels Füße den Boden berührten, klopfte ihm auf die Schulter, und gemeinsam rannten sie hinterher.

Einige Alte behaupteten, von hoch oben sähe das Gelände aus wie ein Zirkus. Wäscheleinen als Lampionschnüre und bunte Zelte wie Zuckertüten, die naschhafte Kinder auf den Boden geworfen hätten. Ein gelb-blau-rotes Farbenmeer aus Zeltplanen, manche heil, manche von den Stürmen zerrissen. Und mittendrin die große Kochjurte, das Hauptzelt, in dem Elefanten tanzten und Trapezkünstler durch die Luft segelten.

Cap wusste mit Begriffen wie »Zirkus«, »Zuckertüten« und »Trapez« nichts anzufangen. Die Alten sprachen von einer Zeit lange vor seiner Geburt; in der sie selbst noch nicht gelebt hatten und die sie nur vom Hörensagen kannten. Die Allerältesten unter den Campbewohnern schwärmten von der »Hippie-Atmosphäre«. Auch etwas, was Cap nichts sagte.

Für ihn war das Lager einfach sein Zuhause. In das er hineingeboren worden war, in dem er selbst einen Sohn gezeugt hatte und in dem Sohn und Ehefrau gestorben waren. Er hatte nie ein anderes gehabt.

Michael bog zum Wohnwagen ab, Cap sprang mit Louis über herausragende Heringe, hastete geduckt unter der aufgehängten Wäsche hindurch, und gemeinsam wichen sie geschickt Bewohnern aus, bis sie die Mitte eines großen Platzes erreichten.

In einer einzigen Bewegung riss Louis eine rote Flagge aus der aufgesprungenen, trockenen Erde und schwenkte sie über dem Kopf, während Cap mit einem Kochlöffel auf einen Topf hämmerte, den er sich aus der Jurte geschnappt hatte.

»Hey!«, schrie er. »Macht euch vom Acker! Es ist wieder so weit!«

Köpfe flogen herum. Viele machten ihrem Unmut lautstark mit Stöhnen und Flüchen Luft.

Cap trommelte weiter. »Macht, dass ihr wegkommt!«

»Sie haben’s kapiert.« Die Fahne landete im Dreck, und Louis zerrte an seinem Ärmel. »Wir sind dran.« Er nahm Cap den Topf aus der Hand und drückte ihn einer unschlüssig herumstehenden alten Frau in die Armbeuge, die ihr Haar zu einem grauen Knoten zusammengebunden hatte. »Hier, Lara. Wenn du ihn bitte zurückbringen würdest.«

Sie nickte freundlich.

Sie hatte nichts zu verlieren.

Andere schon.

Cap und Louis stürmten davon.

2. Der matte Kiesel

Brigadier Lawrence Huggins beobachtete Nia, deren Augen der blau-braunen Murmel folgten. Abgesehen vom Arboretum im Zentrum der Station, das von einer Panoramakuppel überdacht wurde, hatte man vom Konferenzsaal aus die beste Sicht auf die Erde. Auch wenn der Planet vor Jahren schillernder im Weltall gestrahlt hatte, faszinierte ihn der Anblick jedes Mal aufs Neue.

In Gedanken verglich er das Bild des Planeten mit den Aufnahmen, die die ersten Astronauten einst von ihm gemacht hatten. Bevor aus ihm ein matter Kiesel inmitten der schwarzen, weiten See geworden war.

Über Mitteleuropa zog ein Sturm auf. Nicht ungewöhnlich. Das Wetter machte dort unten, was es wollte. Hier oben hingegen blieb alles ruhig. Zumindest außerhalb von Kopernikus.

»Doktor Patel?«, sprach Mr Hong sie an.

Lawrence konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, als Nia bei der Erwähnung ihres Namens leicht zusammenzuckte. Irritiert strich sie sich eine Strähne ihres dichten schwarzen Haars hinters Ohr. Eine Geste, die Lawrence liebte.

Das Haar von indischstämmigen Frauen war bei der First Class für Perücken äußerst beliebt. Wenn Nia die abgeschnittenen Strähnen, die sich jedes Mal auf dem Boden kringelten, nachdem sie beschlossen hatte, sich ein neues Selbst zu verpassen, verkaufen würde, ergäbe das sicherlich kein schlechtes Zubrot.

»Alles gut, Sir«, sagte sie in die Kamera.

Die korrekte Antwort auf alle potenziellen Fragen, die ein Geschäftsführer stellen könnte, dachte Lawrence, und sein Grinsen wurde etwas breiter.

Der ältere Asiate auf dem View Screen an der langen Wand des Konferenzsaals zog die Augenbrauen hoch. Die Zeit hatte ihn um das meiste seines Haars erleichtert, und den übrig gebliebenen Kranz trug er extrem kurz. Miene und Gesten wirkten nonchalant, aber Lawrence wusste, dass dieser Eindruck täuschte. Mr Hong konnte ein Hai im Koibecken sein.

»Es gab also keine auffälligen Krankheitsfälle, die Sie mir melden müssten?«, hakte Hong nach und wischte in einer fahrigen Bewegung eine unsichtbare Faser von seinem Jackett.

»Nein, Sir. Nur die üblichen marginalen Verletzungen, die während der Erntezeit bei einigen Arbeitern auftreten und über die ich schon beim letzten Briefing berichtet hatte. Kleine Schnitte an der Hand. Leichte Verätzungen. Solche Dinge.«

Nia war bei dem Wort »Ernte« leicht ins Stocken geraten. Kein Wunder, denn das sogenannte Feld, auf dem der weiterentwickelte Weizen gezüchtet wurde, ähnelte eher einem Hochregallager.

»Ansonsten: Erkältungen, Magenverstimmungen … das Übliche eben«, fuhr sie fort.

»Keine neuen Schwangerschaften?«

Es sollte wahrscheinlich beiläufig klingen, aber Nias schlanker Körper schien sich bei den Worten zu verkrampfen.

Sie strich vorsichtig mit den Fingern über die glänzende Tischplatte und zeichnete kleine Kreise. Ihre Art, sich zu sammeln, um Ruhe zu bewahren.

»Selbstverständlich nicht, Mister Hong, Sir«, antwortete sie und blickte dem Präsidenten von SpaceSeed dabei fest in die Augen. »Die wöchentlichen Urinuntersuchungen der weiblichen Angestellten wiesen keinerlei hormonelle Abweichungen auf.«

»Die letzten Überzähligen haben wir vor vier Wochen nach Kepler gebracht«, sagte Lawrence neben ihr ein wenig lauter als nötig. Als Security Chief einer Weltraumstation bot es sich an, immer etwas harscher zu sprechen als alle anderen. Auch wenn sein Londoner Akzent dann überdeutlich wurde. »Vier Neugeborene. Das hatte mit einigen« – Lawrence räusperte sich – »nicht fachgerecht durchgeführten Screenings zu tun, die Doktor Patels unzulänglich qualifizierter Vorgänger –«

»Ich erinnere mich nur allzu gut, Brigadier Huggins«, unterbrach ihn Hong barsch. »Und ich hoffe, Sie alle haben nicht vergessen, dass SpaceSeed sich weitere Zwischenfälle, egal welcher Art, nicht leisten kann. Mit der Übernahme der Nachbarstation Kepler haben wir unseren Wirkungskreis erweitert, aber um das führende Biotechnologieunternehmen bleiben zu können, müssen wir die Dinge im Griff behalten. Fest. Wir dürfen uns nicht von CropUniverse abhängen lassen. Die First Class zählt auf uns, und wir brauchen sie ebenso.«

Lawrence verschränkte die Arme vor der Brust. Er ließ sich nicht gern sagen, wie er seinen Job zu machen hatte. Genauso wenig wie er sich von Nia sagen ließ, dass er seine durchgeschwitzten Trainingsklamotten in den Wäscheschlucker werfen und nicht einfach in die Ecke des gemeinsamen Schlafzimmers pfeffern sollte.

Hong bohrte weiter. »Die Plätze, die wir für die neuen Rekruten Ihrer Abteilung frei gehalten haben, sind noch vorhanden, Brigadier? Die haben Sie in Ihre Rechnung mit aufgenommen? Sie wissen, dass ich Sie bei der Rekrutierung, soweit ich kann, unterstütze.«

»Gewiss, Sir. Danke, Sir. Haben wir.«

»Und der Sachverhalt des … momentanen Ungleichgewichts ist nicht bis zu den Arbeitern auf Kopernikus durchgedrungen?«

»Natürlich nicht, Sir«, antwortete er ein wenig zu schnell. »Wir haben die unvorhergesehenen Todesfälle auf Kepler ausgeglichen, so wie es Vorschrift ist – aber von der Vakanz weiterer Plätze hier auf Kopernikus weiß keiner außer den hier Anwesenden.«

Hoffentlich. Lawrence zwang sich, unverkrampft zu wirken. Der Alte konnte einfach keine Ruhe geben. Wenn die Erntehelfer, denen in naher Zukunft eventuell Sterilisationen bevorstünden, erführen, dass die Raumstation nach dem Transport der Säuglinge vier Menschen zu wenig beherbergte, bräche ein Sturm los. Ein Sturm, den die Security, seine Truppe, zu bekämpfen hätte. Aber er musste diese Plätze für die ankommenden Rekruten freihalten. Wenn die Bewohner außerdem erfahren würden, was mit den Säuglingen auf Kepler wirklich geschah … Lawrence wollte sich das nicht vorstellen. Nur er, Hong und die leitende Sicherheitschefin auf Kepler, Liz Kreissler, wussten davon. Und sie sprachen in Anwesenheit der anderen – wenn überhaupt – nur in Chiffren darüber. Äußerst anstrengend, aber eben auch äußerst notwendig.

»Natürlich ist mir das Ableben einiger Bewohner auf Kepler im Gedächtnis geblieben«, sagte Hong. »Ein bedauerlicher Zwischenfall, der uns aber recht gelegen kam, wenn man bedenkt, dass wir auf diese Art den redundanten Nachwuchs losgeworden sind. Auf Kepler gab es Todesfälle durch …?«

»Einen kleineren Unfall in der Kantine der Raumstation«, ergänzte Lawrence geduldig, was ihn enorme Kraft kostete. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte den Screen mit den Fäusten malträtiert. Das hatten sie doch schon hundertmal durchexerziert! »Die dadurch mangelnde Humanmasse konnte wenige Zeit später durch hier auftretenden Überschuss … durch die Neugeborenen, wollte ich sagen … ausgeglichen werden, wie Sie schon korrekt anmerkten.« Jedoch nur für kurze Zeit. Dann würden sie für die First Class, die in den Großstädten der Erde in ihren großkotzigen Herrenhäusern lebten, zur Adoption bereitstehen. Die sich die Erweiterung ihrer Familien etwas kosten ließen. Weil sie selbst oft nicht in der Lage waren, Nachwuchs zu zeugen. Die Mediziner auf der Erde machten die Enhancements dafür verantwortlich.

Die unsichtbaren Kreise, die Nia auf der Tischplatte zeichnete, wurden größer und unregelmäßiger. Ihre schmalen Finger zitterten vor Zorn, und Lawrence wusste, warum. Sie hasste es, wenn er so sprach. Wenn er einen Aufstand als einen »kleineren Unfall« bezeichnete. Und Menschenleben als »Humanmasse«.

Das Gleichgewicht auf den Raumstationen zu halten wurde jedoch immer schwieriger. Weder Kopernikus noch Kepler waren dafür gemacht worden, eine Kleinstadt zu beherbergen. Regeln waren nötig. Die Menschen begehrten jedoch immer mehr und heftiger gegen diese Regeln auf. Ja, Menschen – nicht »Überschuss«. Das wusste er doch alles. Aber Hong hörte die Wahrheit nicht gern. Und Lawrence war es auch lieber, die Dinge zu umschreiben. Mit Druck, Leiden und Tränen wollte er sich nicht belasten.

Nias Blick glitt wieder hinaus zur blauen Murmel und dem drohenden grauen Trichter über der europäischen Landmasse. Er spürte, wie schwer es ihr fiel, sich auf Kopernikus zu integrieren. Vor drei Monaten hatte er sie auf die Raumstation geholt, als der Platz der medizinischen Leitung auf Kopernikus frei geworden war. Inzwischen wusste er nicht mehr, warum sie damals sofort zugesagt hatte. Aber er wollte sich einbilden, dass es nur wegen ihm gewesen war.

3. Der Orkan

Er verabscheute sie.

Auch wenn Verbrennungsmotoren schon seit Langem nicht mehr benutzt werden durften, waren die Männer der Security wieder mit Jeeps gekommen. Die Fahrzeuge hatten den vertrockneten Boden aufgewirbelt, als die Reifen schlitternd zum Stehen gekommen waren, und die knöchelhohen Stiefel der Männer brachten den Staub zum Tanzen, als sie vor den heruntergekommenen Zelten mit den zerrissenen Planen auf und ab gingen.

Eng in die Mulde gedrückt, lag Cap da und wagte kaum zu atmen, obwohl die Schreie und gebellten Befehle der Security jeden anderen Laut übertönten. Verdorrte Kiefernnadeln stachen durch Caps Hose in sein Knie. Der unangenehme Geruch von Benzin heftete sich in seine Nase wie frische Farbe an eine Tapete und malträtierte seine Lunge.

Vorsichtig spähte er über den Rand seines Verstecks und konnte gegen das grelle Sonnenlicht hinter den Silhouetten der Bäume sechs Männer in Uniform ausmachen. Würde die Station Security keine Freiwilligen finden, würde sie sich aufteilen, ausschwärmen und die Zelte nach Frischfleisch durchsuchen. Nach jungen Männern und Frauen, die sich nicht schnell genug in Sicherheit gebracht hatten oder denen ihre Rekrutierung komplett einerlei war, weil sie nicht mehr wussten, was Hoffnung und Überlebenswillen bedeuteten. Bliebe auch diese Suche erfolglos, wäre mindestens eine der Frauen an der Reihe. Bevorzugt unverbraucht, mit langem dichtem Haar und festen Kurven, die sich unter unförmigen T-Shirts und weit sitzenden Jeans immer noch gut erahnen ließen. Sie würde zu den Reichen und Schönen gebracht werden, die ihr Leben in bewachten Villen durch technische Enhancements verlängerten. Eine künstliche Leber, um mehr saufen, einen elastischen Magen, um mehr fressen zu können.

Die First Class stand auf Frauen wie Marge, Caps damals achtzehnjährige Schwester, die vor zwei Jahren nach dem Auftauchen der Security während ihrer Flucht gestolpert und unglücklich gestürzt war. Die Männer hatten sie sofort in einen der Jeeps gesteckt.

Seitdem hatte Cap ihre Stimme im Kopf. Wie sie ihn anschrie, weiterzulaufen und sich nicht umzudrehen. Und genau das hatte er getan. Obwohl es ihm das Herz gebrochen hatte. Er hatte sie hinter sich gelassen. Seine kleine Schwester. Hatte sich nicht beschützend wie ein großer Bruder vor sie gestellt. Hatte den Schwanz eingezogen. Weil er Tess hatte retten müssen. Seine jüngste Schwester. Schon vor Langem hatte er die Verantwortung für die Geschwister übernommen, denn seine Eltern waren dafür einfach zu alt geworden. Und nachdem seine eigene kleine Familie …

Er schloss die Augen und atmete tief ein.

»Alles in Ordnung, Mann?« Louis lag flach wie eine Flunder neben ihm, den Kopf zur Seite gedreht, die Wange im Dreck.

»Hm.«

»Tess ist in Sicherheit, Cap. Mach dir keinen Kopf. Hab gesehen, wie sie auf den Baum geklettert ist. Wie ein Eichhörnchen.«

Cap musste grinsen. Tess, die Wildkatze. Er stellte sich vor, wie sie gerade in der Krone einer Kiefer hing und den Männern Grimassen schnitt, die unter ihr auf der Suche nach Opfern waren.

Sie dufte er nicht verlieren. Sie war erst elf. Die Nachzüglerin, die seine Eltern nicht mehr erwartet hatten. Sie würde ein Leben als Sklavin der First Class nicht überstehen. Immer wieder kursierten Gerüchte über Sklavinnen, die in den Kellerräumen der Villen gehalten wurden wie gefährliche Tiere. Und jedes Mal, wenn jemand im Camp anfing, davon zu sprechen, wirbelten Caps Gedanken herum wie ein Tornado. Marge geht es gut, redete er sich dann ein. Ihr geht es gut.

Sein Vater und seine Mutter hingegen hatten ein Alter erreicht, das ihnen ermöglichte, im Camp unbehelligt zu leben. Für die Station Security stellten sie keinen Gewinn dar; man konnte sie weder für den Dienst auf den Raumstationen noch als Angestellte eines Haushalts der Oberschicht gebrauchen.

Die Schreie wurden lauter.

»Was geht da ab?«, flüsterte Louis.

»Sie lassen alle antreten.«

»Unsere Leute sollen aufmarschieren? Scheiße, das ist neu. Das haben die sonst nicht gemacht. Dann waren heute die meisten von uns schnell wie die Hasen, nehme ich an.«

Louis hatte recht. Irgendein Idiot hatte sich sonst immer zu langsam vom Acker gemacht, sodass die Security am Ende ihres Besuchs mindestens einen jungen Mann in die Jeeps verfrachten konnte.

»Wer ist denn noch übrig, außer den Alten, die sie sowieso nicht wollen?«, fragte Louis weiter.

Cap sah vertraute Gesichter auf den staubigen Platz treten. Unter ihnen auch seine Eltern. Seine Mutter schloss vorsichtig die Tür des vergammelten Wohnwagens, den Cap vor einiger Zeit auf der Straße unweit des Camps gefunden und gemeinsam mit Louis ins Lager geschoben hatte. Das anfängliche Johlen und Staunen war bald in vorwurfsvollen Neid übergegangen, und inzwischen hatte man sich darauf geeinigt, dass man sich bei der Benutzung des Wagens abwechselte. Diese Woche war Caps Familie an der Reihe.

»Wer fehlt von den anderen?«, fragte Louis noch einmal. »Ich meine außer uns und Tess?«

Angestrengt spähte Cap über den Rand der Mulde. Wind kam auf, und er wischte sich Sand aus den Augen. Obwohl alle Campbewohner Tücher vor den Gesichtern hatten, um sich gegen Luftverschmutzung, Dreck und Hitze zu schützen, erkannte er jeden Einzelnen an der Haltung. Der alte Jakob stand da wie ein gespannter Bogen: durchgedrücktes Kreuz, hochgerecktes Kinn. Ein Abbild des Trotzes. Der Rücken seines Bruders Hannes hingegen formte ein in sich zusammengesunkenes C.

»Alle unter vierzig fehlen … Die Übrigen sind brav angetreten.« Cap kniff die Augen zusammen und strich sich die Haare aus dem Gesicht, an denen der Wind zerrte. »Michael hat sich wohl auch rechtzeitig vom Acker machen können.«

»Den habe ich vorhin in euren Wohnwagen steigen sehen«, drang Louis’ Stimme dumpf unter dem Tuch hervor. »Deine Alte hat ihn versteckt.«

Noch bevor Cap anmerken konnte, dass dieses Versteck kein besonders gutes war, stürmten drei der Bestiefelten los.

»Ihr nehmt euch die Zelte vor«, schrie einer, die OC-Gun im Anschlag.

Eine fiese Waffe. Der Mantel der einzelnen Geschosse löste sich, nachdem diese den Lauf verlassen hatten, und die Patronen verformten sich nach dem Aufprall. Stellten sich quer, verhakten sich in Muskelsträngen oder deformierten sich anderweitig im Körper. Manche zerfielen in kleine Splitter, sodass man von innen aufgeschlitzt wurde. Zudem verfügten die Waffen über einen Laser, der das Ende der Reise markierte, und einen Chip, der berechnete, ob das Projektil am Ziel einschlug oder nicht. Die Patrone wurde automatisch in dem Moment des geringsten Abstands zum Objekt gezündet.

Mit großen Schritten näherte der Mann sich dem Caravan.

»Scheiße«, fluchte Cap.

»Was?«

»Sie durchsuchen den Campingwagen.« Was hatte seine Mutter sich nur dabei gedacht? Plötzlich überkam ihn eine Ahnung.

Louis richtete sich ein wenig auf und spähte ebenfalls in Richtung der Zelte. Sein Mundschutz klebte fast an Caps Wange, als er sprach. »Deine Alte ist und bleibt ein ausgekochtes Luder«, stellte er fest. »Also, bei der werde ich in Zukunft noch vorsichtiger sein müssen. Aber da Michael noch nicht so lange bei uns ist, hat er ihr blind vertraut.«

Also hatte Louis denselben Verdacht. Caps Ma hatte Michael Unterschlupf gewährt, um von ihrem eigenen Sohn und ihrer jüngsten Tochter abzulenken. Cap war unschlüssig, was er von dieser Art Mutterinstinkt halten sollte.

Dreck kreiselte um die Stiefel der Männer, wurde von einer heftigen Bö hochgewirbelt und ließ sich auf den Uniformen nieder. Der Wind nahm minütlich zu, und der Himmel verfinsterte sich derart plötzlich, als habe jemand das Sonnenlicht ausgeknipst. Cap erkannte die Zeichen eines jähen Wetterumschwungs genauso wie die alten Campbewohner, die sich nun hektisch umdrehten, die Bewaffneten ignorierten und zu ihren Zelten zurückrannten. Panisch schlugen einige weitere Heringe in den Boden, schnürten Planen fester und beschwerten Stoffbahnen mit Steinen. Um die Männer in den hohen Stiefeln kümmerte sich keiner mehr.

Als der Mann mit der OC-Gun mit Michael im Schlepptau aus dem Caravan auftauchte und sich mit seinem muskelbepackten Körper gegen einen heftigen Windstoß warf, wurden seine gebrüllten Befehle vom aufziehenden Orkan davongetragen.

Donner grollte, und einige Männer der Security zuckten zusammen. Blitze erhellten den dunkelgrauen Himmel.

»Wir müssen Michael holen!«, brüllte Cap gegen das Wetterpoltern an.

»Nein, das müssen wir verdammt noch mal nicht. Wir sollten bleiben, wo wir sind!«, schrie Louis Cap ins Ohr.

Er hatte recht. In der Mulde waren sie vergleichsweise sicher. Und Michael konnte auf sich selbst aufpassen. So leid es Cap tat, ihn im Stich zu lassen. Seine Priorität hieß Tess. Unwillkürlich zuckte er zusammen. Und das nicht, weil das Krachen eines Blitzes durch die Bewaldung dröhnte.

»Sie sitzt noch auf dem Baum!«, schrie er und war auf den Beinen, noch ehe ihn Louis am Ärmel packen konnte.

*

»Es gab einen kleineren Unfall in der Kantine?«, stieß Nia hervor. Sie wich einem Trupp Erntearbeiter aus, der sich nach Ende einer Schicht ihren Weg durch die breiten Gänge der Raumstation in den Quartiersektor bahnte. »Was hast du dir dabei eigentlich gedacht?«

»Was war es denn sonst?«

Sie bedachte ihn mit einem prüfenden Seitenblick. »Eine Meuterei war es. Ein Aufbäumen von Menschen – oh, entschuldige, ich meine natürlich Humanmasse –, die sich nicht vorschreiben lassen, wie groß ihre Familie sein darf.«

»Sei nicht albern, Darling.« Lawrence umfasste ihre Taille und zog sie während des Gehens an sich.

Nia machte sich los. »Ich bin nur froh, dass Hong nicht wieder von diesem Sterilisationsquatsch angefangen hat.«

»Das hätte er, wenn sich die Regierung der Nördlichen Hemisphäre endlich auf einen Zeitplan einigen könnte. Dauert nicht mehr lange.« Lawrence spürte, dass Nia bereits bereute, dieses Thema überhaupt aufgebracht zu haben. Und auch er hasste solche Diskussionen mit ihr. Es lief jedes Mal aufs selbe raus. Zudem hatte er Angst, dass er sich irgendwann einmal verquatschte.

»Ich will davon nichts hören«, sagte sie barsch.

»Du hast angefangen.«

»Vergiss es.«

»Bist du jetzt sauer? Wegen was? Hong hat eine Frage gestellt, und ich habe sie beantwortet.«

Abrupt blieb sie stehen. »Er hat mir eine Frage gestellt, und du hast geantwortet.«

»Ich dachte, du seist fertig gewesen mit deiner Erklärung.« Lawrence strich sich über den rasierten Schädel. »Du hast abwesend gewirkt. Hast laufend aus dem Panoramafenster gestarrt. Ich wollte nur helfen.«

»Ist dir super gelungen.«

»Grundgütiger, Nia.«

Sie waren vor ihrem Quartier angekommen, und Lawrence hielt sein Gesicht vor den biometrischen Scanner. Die Kamera fuhr über die Regenbogenhaut seines linken Auges, es blinkte, und eine weibliche Stimme sagte freundlich: »Herzlich willkommen Brigadier Lawrence Huggins.« Mit einem Zischen glitt die Tür zur Seite.

Nia ging an ihm vorbei, zog noch im Gehen ihren Labormantel aus und hängte ihn über eine Stuhllehne. »Wann treffen eigentlich die nächsten Rekruten ein?«, fragte sie so beiläufig, als ob es sie nicht wirklich interessiere.

»Heute Nachmittag.« Lawrence trat zur Küchenzeile und goss sich ein Glas Wasser ein. »Haben wir auch dringend nötig. Schon manch einer hat sich lieber den Kopf am Schleusentor eingerannt, als auf dieser Raumstation zu dienen. Die wissen gar nicht, was ihnen entgeht.«

»Die holen sich eben lieber eine Schädelfraktur und umgehen damit das Leben in diesem Designalbtraum«, stellte Nia nüchtern fest.

Lawrence zog die Augenbraue hoch. »Du lebst in diesem Albtraum doch ganz gut, oder etwa nicht? Frisches Wasser, ich betone: heißes frisches Wasser, keine Luftverschmutzung, angenehme Temperaturen, saubere Einrichtung, bequeme Betten, keine Massenunterkünfte, Dreizimmerapartments, kleine Kochnischen. Und zwar für alle. Das alles haben wir der Balance-Regel …«

»… zu verdanken, ja ja, bla bla. Bitte Larry, nicht schon wieder.« Nia machte eine wegwerfende Handbewegung. »Auf alle Fälle wirst du nach Ankunft des Shuttles rund um die Uhr beschäftigt sein. Die verlorenen Schäfchen brauchen ihren Hütehund.«

Mit dem Glas in der Hand drehte er sich um. »Das klingt nicht so, als ob dir das Probleme bereiten würde.«

Nia seufzte. »Larry, lass uns nicht streiten.«

»Du hast angefangen.«

Sie trat näher und strich mit dem Finger sanft über sein Schlüsselbein, das sich unter dem engen Shirt abzeichnete. »Tut mir leid. Diese Raumstation kann einen verrückt machen. Es war nur eine Feststellung von mir. Mehr nicht.«

»Mehr nicht?« Wasser schwappte aus dem Glas, als er sie an sich zog.

»Nein«, flüsterte sie. Sie wandte den Kopf zur Decke und sprach in Richtung des eingebauten Mikrofons: »Computer: Stelle sicher, dass wir in den nächsten dreißig Minuten nicht gestört werden.«

Lawrence grinste anzüglich und stellte das Glas auf die Arbeitsplatte. »Computer: Mach sechzig draus.«

*

Der Orkan zerrte an Caps Körper und machte ein Vorwärtskommen fast unmöglich. Die Jeeps waren außer Sichtweite, die Security hatte die Fahrzeuge mit Michael auf der Rückbank wohl aus dem Camp bringen können, bevor der Sturm richtig aufgedreht hatte. Cap war das alles entgangen. Er suchte seine Schwester.

Äste peitschen durch die Luft, kleinere Stämme bogen sich. Laub wurde herumgewirbelt.

»Tess!«, brüllte Cap und hustete, als er Staub schluckte. »Tess!«

Verflucht! Inzwischen hatte er Mühe, die Hand vor Augen zu sehen. Nach seiner Schwester Ausschau zu halten und gleichzeitig allem auszuweichen, was in der Luft herumwirbelte, war nahezu unmöglich.

»Tess!«

Mit lautem Krachen schlug ein kleinerer Baum neben ihm auf den Boden. Die Vibration der Erde ließ Cap taumeln, und er stürzte.

»Scheiße«, presste er hervor, als er auf allen vieren mühsam gegen den Wind vorwärtskroch. Den Kopf zog Cap zwischen die Schultern wie eine Schildkröte.

Durch einen Schleier von Staub und aufgewirbelter Erde sah er seine Mutter in gebückter Haltung vor dem Wohnwagen. Das Fahrzeug wackelte bedrohlich, und sie hielt sich krampfhaft mit einer Hand an der Tür fest. Ihr Mundschutz war fort. Der Orkan riss an ihren Haaren und ihrem Shirt. Ihre andere Hand beschirmte die Augen. Sie suchte nach ihm – und nach Tess.

Schwer keuchend schleppte Cap sich vorwärts und sah, wie sein Vater mühsam nach seiner Frau griff, um sie in den Caravan zu ziehen. Er lehnte sich bedrohlich weit nach vorn, und als eine starke Bö seinen hageren Körper erwischte, wurde er an den Türrahmen geschleudert.

In diesem Moment hörte Cap das Krachen von splitterndem Holz. Es übertönte das allgemeine Ächzen und Knattern des Sturms und schwoll an. Irgendwo stand ein Baum, der dem Wind nicht mehr lange würde standhalten können.

Panisch sah Cap zur Seite. Er stand kurz vor der Lichtung, auf dem sich das Zeltlager befand, von dem nicht viel mehr übrig war als Planen, die sich geräuschvoll aufplusterten, um dann wieder in sich zusammenzufallen. Festgehalten von Menschen, die unter ihnen kauerten und ihre Finger in den Stoff krallten.

Cap sah die Tanne fallen, noch bevor er begriff, wohin sie stürzen würde.

»Passt auf!«

Seine Warnung kam zu spät. Mit einem ohrenbetäubenden Krachen stürzte der Baum auf den Caravan – und alles, was Cap noch sehen konnte, bevor die Tanne seine Eltern donnernd unter sich begrub, war, wie seine Mutter vor Entsetzen die Hände vor den Mund schlug.

4. Einer zu wenig

Das enervierende Summen des Com Panels weckte Lawrence. Schläfrig ließ er seinen verschwitzten Oberkörper von Nias Busen gleiten und rollte sich neben ihr zusammen. »Computer: Es sind todsicher noch keine sechzig Minuten um«, nuschelte er.

»Brigadier Lawrence Huggins. Das ist richtig, aber es liegt ein Anruf für Sie in der Warteschleife.«

»Dringlichkeitsstufe und Verschlüsselung?«, hakte er immer noch undeutlich nach.

»Beta und nur in ihrem Quartier zugänglich.«

Nia stupste Lawrence an und zog sich die Decke über den Kopf. »Wer ist es?«, fragte sie.

Die weibliche Stimme des Computers antwortete: »Markus Schwarz von der Berliner Koordinationsstelle, Doktor Nia Patel.«

»Durchstellen«, befahl Lawrence.

»Hallo, Larry«, begrüßte ihn ein schwerer deutscher Akzent. »Es tut mir leid, aber es gibt Verzögerungen mit dem Shuttle. Beziehungsweise … es ist nicht das Shuttle, wir mussten einen Transporter nehmen. Alles nicht so einfach, dieses Mal. Tut mir leid, dass ich dich damit belästigen muss.«

Lawrence zog an der Bettdecke, als er sich aufrichtete, und augenblicklich riss Nia die Stoffbahn kräftig zurück. Ihre Haare breiteten sich wie schwarzer Teer auf dem Kopfkissen aus. Er fand, sie war noch nie so schön gewesen, und er hätte das Gespräch am liebsten beendet, riss sich aber zusammen.

»Sprich weiter, Markus«, sagte er.

»Über Berlin hat sich ein Orkan ausgetobt. Schweregrad vier. Leider genau in dem Moment, als der Rekrutierungstrupp im zentralen deutschen Camp nach« – Schwarz zögerte einen Moment – »Freiwilligen suchte. Der Sturm hat sich seinen Weg durch mehr oder weniger alle europäischen Großstädte gebahnt. Im Norden wurden Sturmfluten gemeldet. Heute ist es wirklich beschissen für uns gelaufen.«

Nia stieß einen leisen Pfiff aus. »Den Orkan hab ich vom Konferenzsaal aus gesehen«, flüsterte sie.

»Das bedeutet was genau?«, fragte Lawrence.

»Nun, die konnten dort leider nur zwei Typen rekrutieren. Im Berliner Camp war die Hölle los. Es gab einige Tote, mehrere Verletzte. Ein Baum hat einen Wohnwagen zerquetscht wie eine Konservenbüchse und zwei Alte unter sich begraben. Unsere Leute scheinen die Nerven verloren zu haben. Sie kehrten zwar ein wenig später zum Camp zurück, aber das Chaos war zu diesem Zeitpunkt schon perfekt.«

»Idioten«, zischte Lawrence.

»Wurde medizinische Hilfe zur Verfügung gestellt?«, mischte sich Nia ein. Sie sprach eher ins Kissen als in das an der Decke installierte Mikrofon, aber Markus Schwarz schien sie trotzdem zu hören.

»Sorry, ich hatte keine Ahnung, dass ihr beide im Raum seid.« Nach einem kurzen Auflachen wurde er wieder ernst. »Nia, du weißt, dass die Security sich nicht weiter einmischen darf.«

»Das ist der Witz des Tages«, schnaubte sie. »Und du weißt, dass die Regierung den Campbewohnern keine medizinische Unterstützung anbietet, und ihr wart schließlich direkt vor Ort. Wo ein Wille ist … Du weißt, was ich meine, Markus.«

Lawrence warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu und drückte ihren Kopf mit gespielter Härte zurück in die Kissen. »Ignorier sie, Markus. Was ist mit dem Shuttle?«

»Das wurde ebenfalls beschädigt«, antwortete Schwarz. »Deswegen mussten wir auf den Handelstransporter ausweichen, der euch die Erweiterungsteile für das Weizenfeld bringt.«

»Das heißt, die Teile kommen auf jeden Fall mit?«, bohrte Lawrence nach.

»Alles unter Kontrolle, Larry«, bestätigte Markus.

Lawrence schloss vor Erleichterung kurz die Augen. »Gut. Aber ich bekomme nur zwei lausige Rekruten, und auf die muss ich auch noch bis morgen warten? Ich habe hier verfluchte vier Plätze frei, die ich extra für den Security-Zuwachs freigehalten habe, und riskiere meinen Kopf, Markus!«

Nia fuhr hoch und bedeckte ihren Busen mit dem Leinentuch, obwohl Markus sie nicht sehen konnte. »Nein, Larry, das heißt, dass ihr eure Greenhorns ungesichert in einem Frachtraum hockend zur Raumstation befördert!«

»Oh, entschuldige, Darling. Nicht auszudenken, was passieren könnte, wenn der Frachterpilot scharf bremsen muss, weil eine Oma nicht schnell genug über die Ampel der Milchstraßenkreuzung kommt«, ätzte Lawrence.

»Das ist nicht lustig!«

»Ein wenig schon«, erklang Markus’ Stimme aus dem Lautsprecher. »Aber um auf deine Frage zurückzukommen, Larry: Wir schicken dir die zwei Typen aus dem ehemaligen deutschen Gebiet und noch eine Exfranzösin aus einem Camp bei Lyon. Die wenigen Rekruten aus den anderen Großstädten hat Kepler angefordert. Denen steht gerade das Wasser wegen der Randalierer bis zum Hals.«

Lawrence stöhnte. »Und uns nicht? Mir ist egal, woher die Rekruten stammen, aber es fehlen Leute auf Kopernikus, Markus. Wir müssen vorbereitet sein.«

»Das glaube ich dir, Larry, aber ich kann sie nicht herzaubern. Das geht gerade verdammt schleppend bei uns, es wird immer schwieriger. Die Typen in den Camps werden ständig kreativer, was ihre ach so plötzliche Abwesenheit angeht, wenn unsere Männer dort auftauchen. Die Familien und Bewohner halten alle zusammen wie die Kletten. Es ist überall die gleiche Scheiße.«

»Dann sollten wir ernsthaft anfangen, über eine Zwangsverpflichtung ab einem gewissen Alter zu sprechen.« Lawrence war laut geworden.

»Das wird nichts ändern«, erwiderte Markus ruhig. »Die Leute wissen von der Balance-Regel der Stationen, und sie lehnen sie rundweg ab. In den Camps leben zum Teil Familien mit fünf Kindern, die vermehren sich wie die Karnickel, wie willst du denen klarmachen, dass die Raumstationen nur funktionieren, wenn wir die Anzahl der Bewohner konstant halten und schon ein Mensch zu viel den sorgfältig austarierten Kreislauf sprengt? Die hauen ab, sobald sie uns sehen. Und unter uns: Was machen wir denn anderes als zwangsrekrutieren?«

Lawrence wusste verdammt gut, dass Markus recht hatte. Aber er war auch verdammt angepisst. »Hier fehlen Leute«, beharrte er. »Und ich brauche die für mich. Für mein Team. So ist es geplant und vorgesehen. Ich fürchte, dass die Arbeiter hier in Kürze spitzbekommen, dass es auf Kopernikus trotz der kürzlich verschifften Neugeborenen freie Plätze gab beziehungsweise gibt, wenn ich jetzt einen Rekruten zu wenig bekomme. Dann haben wir hier gleich die nächsten Randale.«

5. Im Frachter

Im Nachhinein hatte Cap Mühe, die Ereignisse des Tages in die richtige Reihenfolge zu bringen.

Seine Eltern hatte er gemeinsam mit Louis nur noch tot aufgefunden. Tess hatte plötzlich weinend neben ihm gestanden. Er hatte sie in den Arm genommen und ihr immer wieder übers Haar gestrichen, ihr die Stirn geküsst, ihr Mut zugesprochen.

Wie von einem unsichtbaren Portal ausgespuckt standen dann die Jeeps wieder auf dem Zeltplatz, die Männer rissen Tess aus seinen Armen, alle liefen verwirrt durcheinander, viele jammerten, die meisten schrien. Vor sich hin stolpernde Gestalten, die kopflos versuchten, die Lage zu sichten. Äste, kleinere Stämme und entwurzelte Büsche versperrten die Wege, Zeltplanen waren zerrissen oder fortgeweht, Verletzte stöhnten, versuchten Blutungen zu stillen, und plötzlich hatte er sich die Worte schreien hören, von denen er geglaubt hatte, sie würden seinen Mund nie verlassen.

»Nehmen Sie mich!«

Es war die einzige mögliche Bitte gewesen. Caps Gedanken waren ihm saftlos im Gehirn herumgekullert wie verschrumpelte Trauben, aber diesen Satz, diesen einen Satz hätte er nicht überzeugender vorbringen können. Tess war von den Männern zum Jeep gezerrt worden. Sie wäre der First Class ausgeliefert worden, wo sie als Sklavin dahinvegetiert wäre. Was hätte er anderes tun sollen?

»Nehmen Sie mich statt ihr!« Gebrüllt hatte er es. Es ihnen ins Gesicht gespuckt.

Und jetzt saß er hier. Zusammen mit Michael, der es kurz geschafft hatte, sich im Sturm aus den Händen der Security zu winden – um prompt über eine Plane zu stolpern und auf ein paar Militärstiefel zu fallen. Sie hatten ihn aufgelesen wie fauliges Obst.

Cap hatte nicht einmal Zeit gehabt, sich von seiner kleinen Schwester zu verabschieden. Kein Weinen, kein Winken, Tess hatte nur stumm dagestanden, bis ein befreundetes Ehepaar sie in die Mitte genommen hatte. Louis war längst im Durcheinander abgetaucht. All das hatte nicht länger als drei Minuten gedauert.

Es folgten der Abtransport, das Umsteigen in den nächsten Jeep, die Weiterfahrt mit der NextGenRail zum Space Terminal, das Einchecken in den Frachter, und danach hatte sich das Schleusentor des Raumhafens zu seiner Welt geschlossen: eine Wand aus Stahl, die sein altes Leben von seinem neuen Leben erbarmungslos trennte. Die ihn von Tess, von Marge und von allem anderen trennte.

Während der stundenlangen Fahrt über Land war ihnen ein Sicherheitsbeamter der Security nicht von der Seite gewichen. Den Frachter hatte er jedoch nicht mit ihnen bestiegen. Michael und Cap waren übermüdet und hungrig allein hineingewankt. Hatten nicht nach links und nicht nach rechts geschaut, sondern waren nur stur den Anweisungen des Piloten gefolgt, bis sie sich erschöpft auf den Boden des Frachtraums sinken ließen.

Cap hatte noch niemals den festen Boden der Erde unter den Füßen verloren. Im Gegensatz zu den Alten, die den Fall Europas und den Zusammenschluss zum Staat der Nördlichen Hemisphäre noch hautnah miterlebt hatten, waren er und seine Schwestern im Camp geboren worden. Provisorische Schulzelte ersetzten das staatlich organisierte, kostenpflichtige Bildungssystem, das ohnehin nur der First Class zugänglich war, und nachdem Cap Lesen, Schreiben und die Grundlagen der Mathematik gelernt hatte, half er seinen Eltern beim Verkauf von verwertbarem Schrott, den sie in der Umgebung einsammelten. Dann war er Lilly begegnet, die ihrem Namen alle Ehre machte. Mit ihr ging er zwei Jahre durch dick und dünn, bis sie ihm kurz nach der Geburt des gemeinsamen Kindes ebenfalls aus den Armen gerissen worden war. Zusammen mit Aaron. Dem kleinen Aaron. Seinem Sohn. Die medizinische Versorgung im Camp hatte nicht ausgereicht, um die Infektion zu stoppen.

Eine Zeit lang hatte ihn die Fahrt mit der Rail aus seiner Lethargie gerissen, ihn und Michael in ungläubiges Staunen versetzt, aber der Start des Raumers war mit nichts zu vergleichen, was Cap je erlebt hatte. Selbst die Orkane, die er im schwankenden Caravan hatte aussitzen müssen, hatten seine Innereien nie dermaßen durcheinanderpurzeln lassen. Er war dankbar, dass es keine Fenster oder Sichtluken gab, durch die ihn der Weltraum begrüßte. Das hätte seinem Magen den Rest gegeben.

Sein Herz stolperte. Cap kauerte auf dem Boden des Schiffes, die Knie eng mit den Armen umschlungen. Er war derart darauf konzentriert, nicht an Tess zu denken, nicht zu kotzen, dass er nicht mitbekommen hatte, dass er und Michael die ganze Zeit über schon Gesellschaft hatten.

Im Schatten einer Transportkiste kauerte eine Gestalt, die plötzlich laut und deutlich Rotz hochzog. Ihre Schultern bebten stark. Offensichtlich weinte sie.

»Wisst ihr, wo sie uns hinbringen?« Ihre Stimme war weiblich, und ein Akzent drang deutlich durch das Common English.

Cap schüttelte den Kopf, bevor ihm einfiel, dass sie es wahrscheinlich nicht sehen konnte. »Zu einer der Raumstationen, aber wir wissen nicht, welche.«

»Kopernikus oder Kepler«, warf Michael ein. »Die Männer der Security hatten das Logo von SpaceSeed am Revers.« Er klang erstaunlich gefasst.

Cap kannte Michael noch nicht lange; er war erst vor ein paar Monaten allein mit nichts weiter als der Kleidung am Leib und einem Rucksack im Camp angekommen. Aber Michaels Abgeklärtheit hatte Cap zuvor schon verwundert. Vielleicht lag das am Alter: Cap schätzte, dass Michael mindestens fünfzehn Jahre älter war als er selbst. Wenn er wirklich um die vierzig war, dann hatte er schon so einiges hinter sich. Und gegebenenfalls nicht mehr viel vor sich. Die Lebenserwartung war allgemein nicht sehr hoch.

»Oder Galilei?« Sie schniefte.

»Nein, definitiv nicht. Galilei steht unter der Fuchtel von CropUniverse. Ist das nicht scheißegal, wo wir landen?«, fragte Michael.

»Nein. Auf Galilei kenne ich jemanden.«

»Wenn derjenige noch da ist«, murmelte Cap.

»Was meinst du?«

»Ich meine, dass dein Bekannter eventuell schon woanders hingebracht wurde. Allem Anschein nach geht das schneller, als man denkt. Zumindest habe ich Gerüchte gehört, dass die Stationen untereinander Leute austauschen. Allerdings nicht firmenübergreifend.«

Sie kroch auf allen vieren zu ihnen hin. Ihre Augen waren gerötet. Strähnen ihres blonden Haars hatten sich aus dem Pferdeschwanz gelöst und hingen ihr ins Gesicht. »Sie ist Erntehelferin. Bei den Kartoffeln.«

»Na, ich will dir nicht deine Illusionen nehmen«, sagte Michael, »aber wir werden auf keinen Fall auf eine CropUniverse-Station gebracht.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und starrte ihr ins Gesicht. »Sorry.«

»Ist eine Freundin«, sagte sie leise. »Meine beste Freundin. Ich hab sonst niemanden mehr.«

»Dann hast du dich freiwillig gemeldet?«, fragte Cap. »Um bei ihr zu sein?«

Sie nickte. »Ist, wie es scheint, verdammt blöd gelaufen.«

»Darauf kannst du einen lassen«, brummte Michael. »Voll nach hinten losgegangen. Hast du das Logo nicht erkannt?«

Sie schüttelte den Kopf. »Das ging alles einfach zu schnell.« Dann streckte sie die Hand aus. »Larissa.«

»Michael.«

»Cap.«

Ihre Augenbrauen schnellten amüsiert nach oben. »Wie in Captain?«

Michael grinste breit. »Seine Eltern haben ihn eigentlich Kaspar genannt. Muss wohl ein Augenblick der geistigen Umnachtung angesichts des sich erweiternden Familienglücks gewesen sein. Das erste Kind und dann auch noch ein Stammhalter. Aber eigentlich will er mit der coolen Abkürzung nur über sein Babyface hinwegtäuschen. Lass dich nicht in die Irre führen, er selbst mag aussehen wie ein Teenager, er hat aber noch jüngere Schwestern und einen Sohn, der …« Michael brach ab. »Tut mir leid, Mann«, sagte er. »Das war komplett daneben. Muss dieser Scheißfrachtraum sein. Macht einen irre, wenn man wie eingesperrt im All herumtrudelt.«

»Ist okay«, murmelte Cap.

Larissa sah von einem zum anderen, verkniff sich aber ein Nachfragen. »Ihr zwei kennt euch demnach?«, fragte sie stattdessen.

Cap nickte. »Gleiches Camp. Berlin.«

»Seine gerissene Erzeugerin hat mich versteckt, als die Security kam, um unverbrauchte Seelen einzusammeln.« Michael lachte leise in sich hinein. »Ich muss schon sagen, das war ganz schön ausgekocht von ihr. Ich hab erst später kapiert, warum sie das getan hat, aber ich nehm’s ihr nicht übel. Da kam das Muttertier durch … Verdammt, Cap. Tut mir leid. Ich rede wieder nur Stuss.« Seine Stimme wurde leiser. Hilflos zuckte er mit den Schultern.

Larissa konnte die Frage dieses Mal nicht zurückhalten. »Was ist denn passiert?«

»Ein Orkan.« Cap räusperte sich.

Sie nickte, schien zu wissen, wovon er sprach. »Wie bei uns. Deine Mutter also?« Zum wiederholten Mal strich sie sich die störrische Strähne aus dem Gesicht.

Michael atmete tief durch und legte Cap behutsam die Hand auf die Schulter. »Sein Vater auch. War ein echt verschissener Tag. Meine Eltern sind schon lange tot, aber … heute kam es wirklich dick.«

»Ist ja noch nicht zu Ende. Der Tag. Kann noch verschissener werden«, erwiderte Cap.

»Tut mir leid«, sagte Larissa. »Da hat es dich innerhalb kurzer Zeit hart getroffen.«

Cap stand betont lässig auf. »Die Stürme sind in den letzten Jahren immer heftiger geworden. Dann die Scheißsonne … und der ganze andere Rest trägt auch nicht gerade zu einem entspannten Leben bei.« Er lehnte sich an die Wand des Frachters. Er hatte keine Lust zu erzählen, was passiert war; er hatte es längst noch nicht schlucken können. Es steckte quer in seinem Hals und machte ihm das Reden schwer. Und Tess’ schmales Gesicht mit den Grübchen in den Wangen tauchte immer wieder vor seinem geistigen Auge auf.

Der Raumer war von einem leisen Brummen erfüllt, das manchmal stärker wurde und seine Gedärme rhythmisch vibrieren ließ.

»Wo kommst du her?«, fragte er Larissa nach einer Weile; vor allem um die Schiffsgeräusche zu übertönen, die ihn nervös machten.

»Paris«, sagte sie leise.

»Hört man, glaube ich«, bemerkte Michael.

»Bei euch hört man auch was«, erwiderte sie, und Cap meinte, einen verletzten Tonfall zu vernehmen.

»Wir sprechen im Camp deutsch«, sagte er.

»Wir französisch. Ich habe gehört, dass es alle so machen. Dass sie die Heimatsprache in den Zeltlagern bewahren.«

Cap stieß sich von der Wand ab und wanderte im Frachtraum herum. Das Lager bestand aus zwei Etagen, deren obere Galerie über eine Leiter erreichbar war. Von der Mitte des Raumes aus konnte Cap dort ein paar unbeschriftete Behälter ausmachen. Außerdem gab es einige heruntergefahrene Rolltore, die offenbar kleinere Lagerräume schützten. Neben Larissa, die im Schneidersitz auf dem Boden saß, standen die typischen Transportkisten der Raumstationen, wie sie Cap ein paar Stunden zuvor am Raumhafen gesehen hatte. Das Logo von SpaceSeed, dem Biotechnologieunternehmen, das die Raumstationen Kopernikus und Kepler leitete, prangte auf der Außenhülle. Zu einer der beiden Stationen waren sie nun also unterwegs.

»Weiß jemand von euch, was wir transportieren?«, fragte er.

Larissa schüttelte den Kopf, und Michael zuckte mit den Schultern. »Irgendwelche technischen Teile?«

Mit steifen Knien ging Cap neben einer der Kisten in die Hocke. »Steht nichts drauf.«

»Was soll denn draufstehen? ›Schusswaffen und Handgranaten: Bitte bedienen Sie sich‹?«

Larissa kicherte, und auch Cap musste grinsen. »Idiot.«

»Na, dann bist du ja richtig froh, dass du mich dabeihast, oder? Würde dir ja sonst langweilig werden, ohne meine ständigen Erklärungen.«

Tatsächlich war Cap der Gedanke auch schon gekommen. Obwohl er lieber Louis an seiner Seite gehabt hätte. Von ihm hatte er sich genauso wenig verabschieden können wie von Tess.

Trotz seines Alters und der Ernsthaftigkeit des Lebens im Camp war Michael ein Kindskopf geblieben. Einer, der immer einen Spruch auf den Lippen hatte – und jemand wie er konnte entweder nützlich sein oder extrem nerven. Zumindest im Moment lenkte er Cap ein wenig von seinen Sorgen ab.

Entspannt an eine der Säulen gelehnt wandte sich Michael an Larissa. »Hat deine Freundin was erzählt? Was war das noch gleich … Kartoffelfelder?«

»Wie sollte sie das tun? Habt ihr etwa eine Com-Verbindung im Camp?«

Michael zog nachdenklich an seinem Bart. »Ich habe gehört, dass es das in einigen Zeltstädten inzwischen gibt. Die haben sich die Dinger selbst gebaut und betreiben die Zellen mit Solarenergie. ’ne ziemlich gute Sache, wenn man’s sich überlegt. Cap, wenn wir von der Station wieder runterkommen, machen wir das auch.«

»Sehr witzig«, ätzte Cap. »Du meinst, wir bekommen einen Zeitvertrag?«

»Also bei uns gibt es keine Möglichkeit der Kommunikation mit außen«, unterbrach Larissa die Frotzelei. »Wir pflegen das gute alte Gespräch am Lagerfeuer von Angesicht zu Angesicht.« Sie sprach die letzten Worte mit starkem französischem Akzent aus, und Cap lächelte in sich hinein.

»Also genauso romantisch wie bei uns«, sagte er.

»Ich fand’s gar nicht übel dort unten«, murmelte Michael. »Wenn die Seeleneintreiber von den Stationen einem nicht immer den Tag versaut hätten. Jetzt werden wir in eine Blechbüchse gesperrt, die durch die Galaxis trudelt.«

»Ich hoffe nicht, dass sie trudeln wird«, warf Cap ein. »Mein Magen ist nicht so stabil.«

Die Französin ließ ihr helles Lachen erklingen, als ein harter Ruck Cap fast von den Beinen riss. Michael geriet aus dem Gleichgewicht und hielt sich am Pfeiler fest.

»Was zum …?«, zischte er, da erfasste ein weiteres Beben den Raumer und schleuderte ihn zu Boden.

Cap fiel schmerzhaft auf die Knie und verzog das Gesicht.

In den weit aufgerissenen Augen der Französin stand die nackte Panik. »Werden wir angegriffen?«

»Angegriffen?«, wiederholte Michael mit hochgezogener Augenbraue und rieb sich die Hand, mit der er erfolglos versucht hatte, seinen Sturz abzubremsen. »Wir sind nicht auf dem Weg zur Orion und werden dabei von der Frogs attackiert. Verfluchter Mist!«

»Was?«

»Ignorier ihn, Larissa«, ging Cap dazwischen. »Ist ’ne uralte deutsche Serie … erzählt von einem uralten Knacker.«

»Und das mit den Frogs war nichts Persönliches«, ergänzte Michael. »Ist mir rausgerutscht. Bestimmt ist was mit dem Antrieb. Wir beschleunigen.«

Larissa riss erneut die Augen auf, als ein Zittern durch den Frachter ging. »Sollte vielleicht mal einer vorgehen und nachfragen?«

Da knallte etwas gegen die Schiffshülle.

6. Khichuri

Nia beäugte kritisch den gedeckten Tisch mit den brennenden Kerzen in der Mitte. Die Hände in den Manteltaschen vergraben stand sie davor, und ihre Miene war für Lawrence ein offenes Buch. Sie fragte sich, was das zu bedeuten hatte.

Eben hatte sie ihre Tagesschicht beendet und damit einen Tag voller Datenblätter, die sie regelmäßig ausfüllte und SpaceSeed übermittelte. Eine Tätigkeit, deren Sinnhaftigkeit sich ihr nicht erschloss, denn sie bezweifelte, dass irgendjemand vom Unternehmen sich die Daten auch nur eine Sekunde lang anschaute.

Lawrence war sich ebenso sicher wie Nia, dass SpaceSeed das psychische und physische Wohlbefinden der Raumstationsbewohner am Rektum vorbeiging, behielt diesen Gedanken aber stets für sich. Wichtig waren für das Unternehmen nur drei Dinge: der reibungslose Ablauf der Weizenproduktion, der Verkauf von Neugeborenen an die First Class und Ruhe auf der Station. Und zumindest die letzte Sache betraf Lawrence persönlich.

Der Duft von Koriander und Knoblauch zog durch den Raum, und er sah befriedigt, wie sie für einen kurzen Moment die Augen schloss. Sie hatte enormen Hunger. Sie konnte ihre Gefühle schlecht verbergen, ganz im Gegensatz zu Lawrence, der sich selbst zu einem Meister des emotionalen Tauchgangs erzogen hatte. Was Hong anging, war er mit dieser Taktik bis jetzt durchaus erfolgreich. Nias Sticheleien hingegen brachten ihn des Öfteren auf die Palme.

Er trat von hinten an sie heran, nahm ihr den Mantel ab, warf ihn auf den Boden und lehnte seinen Körper an ihren, als er die Arme um ihre Taille legte. »Na, wie geht’s meinem Täubchen heute?«, murmelte er in ihr dichtes Haar.

»Beschissen«, gluckste sie.

»Na, das ist doch wunderbar zu hören, denn ich habe das Allheilmittel: Khichuri.«

Erstaunt drehte sie sich in seinen Armen um. »Wie hast du das geschafft?«

Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem weltmännischen Grinsen. »Ich bitte dich.«

»Sag schon!«

Auf der Raumstation an Gemüse zu kommen gestaltete sich noch schwieriger als auf der Erde. Der Erhalt von frischen Lebensmitteln war das Privileg der First Class. Der Großteil der Bevölkerung aß oft das Gleiche: Mais, Weizen, Kartoffeln. Den Auswirkungen des Klimawandels würde jedoch keine Pflanze noch lange standhalten können. Oliven, Tomaten, Orangen oder Reis waren Schnee von gestern, da zum einen verschiedene Schädlingspopulationen enorm gewachsen und zum anderen Bewässerung zu einem großen Problem geworden war.

Mit Tee hatte Lawrence erst ein einziges Mal in seinem Leben Bekanntschaft gemacht. Bei der Unterzeichnung des Vertrags mit SpaceSeed hatte ihm der Sekretär von Hong eine Tasse Darjeeling vor die Nase gestellt. Lawrence hatte sich an dem leeren Porzellangefäß so lange festgehalten, bis man ihm wenig freundlich zu verstehen gegeben hatte, er könne jetzt wegtreten.

Seine Mundwinkel zuckten erneut. »Markus hatte da was eingefädelt bei der letzten Nahrungsmittellieferung.«

»Du meinst bei der letzten Tütenlieferung. Das pürierte Etwas, das man in der Kantine bekommt, verdient den Begriff Nahrung nicht. Sie reichern es zwar mit allen Stoffen an, die der menschliche Körper benötigt, um nicht zusammenzuklappen, Geschmack aber ist ein Fremdwort für die. Diese Hefezusätze schmecken immer gleich.«

»Wir haben leckere Insekten an Bord, frische Weizenmilch … und wenn die Frau Doktor sich nun bitte setzen würde?«

Nia nahm Platz und gab dabei einen kurzen Laut des Wohlbefindens von sich.

»Ich mag es, wenn du das machst«, kommentierte er.

»Was?«

»Dieses Geräusch.«

»Ich mache keine Geräusche.«

Sein Lächeln war verschmitzt. »Natürlich nicht.« Mit schwungvoller Bewegung stellte er einen dampfenden Teller vor ihr ab. »Voilà – selbst aufgewärmt.«

»Fantastisch!« Sie griff zum Besteck, hielt gleich danach inne. »Wo war noch mal der Haken?«

»Nia, verdammt! Iss endlich!«, mahnte er in gespieltem Zorn. Er nahm ihr gegenüber Platz und goss Wasser aus einer Karaffe in die Gläser. »Für Wein hat’s nicht gereicht. Sekt ohnehin nicht. Keine Ahnung, was man dafür anstellen müsste.« Markus Schwarz war ein Organisationstalent, aber eben kein Zauberer.

»Man kann eben nicht alles haben. Auch nicht auf dieser Station.«

»Du sprichst ein wahres Wort gelassen aus.« Lawrence hob die Hand, als Nia den Mund aufmachte. »Nein, kein Kommentar jetzt. Ich will nur essen, nicht diskutieren. Das war eine äußerst unbedachte Bemerkung meinerseits. Computer: bitte streichen.«

»Brigadier Lawrence Huggins. Ich kann diesem Befehl keinen Sachverhalt zuordnen«, antwortete die KI freundlich.

Nia gluckste und schob sich ein Stück Aubergine auf die Gabel. »Sag, was los ist, du bist komplett aufgedreht«, sagte sie mit vollem Mund.

»Ich denke, ich werde befördert. Nein, ich weiß, ich werde befördert. Bald.« Lawrence konnte den Triumph in seiner Stimme nicht unterdrücken.

Erstaunt ließ sie die Gabel sinken. »Wohin? Ich meine, auf welchen Posten? Ein militärischer Rang hat doch keine Bedeutung mehr.«

»Wir haben Aussicht auf ein Appartement. In Neu-Moskau. Im First Circle. Mit allem Drum und Dran.«

Langsam schob Nia ihren Teller beiseite. »Moskau?«

»Wohin willst du? Neu-Delhi? Wasserknappheit ist nur eines der vielen Probleme dort. Eins, was London zurzeit nicht hat, wenn man sich den Pegelstand der Themse mal anschaut. Dahin sollten wir also auch nicht.«

Alles sprach dafür, dass die ganze Stadt wie ein Fisch verarbeitender Betrieb stank. Lawrence hatte schon lange keinen Fuß mehr in seine Geburtsstadt gesetzt.

»Was ist so schlecht an Moskau?«, fuhr er fort. »Die Zeiten der Alleinunterhalter im Osten sind vorbei.«