Perry Rhodan 131: Sturz aus dem Frostrubin (Silberband) - William Voltz - E-Book

Perry Rhodan 131: Sturz aus dem Frostrubin (Silberband) E-Book

William Voltz

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Beschreibung

2. Band des Zyklus "Die Endlose Armada" Im März 426 Neuer Galaktischer Zeitrechnung bricht Perry Rhodan mit der Galaktischen Flotte zu einer Expedition ins Ungewisse auf: Es sind rund 20.000 Raumschiffe aus zahlreichen Völkern der Milchstraße, an ihrer Spitze die BASIS. Die Flotte steuert den geheimnisvollen Frostrubin an. Dort wollen Rhodan und seine Begleiter die Bedrohung durch die negative Superintelligenz Seth-Apophis stoppen. Doch als sich die Galaktische Flotte dem Frostrubin nähert, wird sie mit einem gigantischen Gebilde konfrontiert. Es ist die Endlose Armada, eine Ansammlung von Millionen und Abermillionen von Raumschiffen, die sich über Lichtjahre hinweg erstreckt. Seit Äonen suchen die Wesen an Bord dieser Schiffe ebenfalls nach dem Frostrubin. Gegen diese Übermacht haben die Galaktiker keine Chance. Doch Perry Rhodan weiß: Will er die Gefahr durch Seth-Apophis beseitigen, muss er die Konfrontation mit der Endlosen Armada wagen ... Die in diesem Buch enthaltenen Originalromane sind: Sturz aus dem Frostrubin (1108) von William Voltz; Die Stunde der Krieger (1109) von Marianne Sydow; Operatoren für Kruste Magno (1110) von Ernst Vlcek; Der Silberne (1112) und Die Station des Silbernen (1113) beide von H. G. Francis; Der Admiral und der Silberne (1118) von K. H. Scheer sowie Gestrandet unter blauer Sonne (1119) von Hans Kneifel.

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Nr. 131

Sturz aus dem Frostrubin

Dreißig Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt: Die Galaktische Flotte unter Perry Rhodans Kommando steht einer riesigen Übermacht gegenüber, der Endlosen Armada. Rhodans 20.000 Raumschiffe haben keine Chance gegen den gigantischen Heerwurm, mit dem sie am Frostrubin konfrontiert werden – ihnen bleibt nur die Flucht durch das kosmische Gebilde. Doch danach sind die Raumer aus der Milchstraße im Sternenmeer der fernen Galaxis M 82 verstreut ...

Für Perry Rhodan und seine Getreuen an Bord des Flaggschiffs BASIS beginnt ein gnadenloser Kampf ums Überleben. Sie müssen die eigene Flotte wieder vereinen und die Geheimnisse der Endlosen Armada aufdecken. Dabei werden sie mit den Silbernen konfrontiert, die nach absoluter Herrschaft streben und denen jedes Mittel recht ist ...

1.

Als Alaska Saedelaere erwachte, war das Fragment aus seinem Gesicht verschwunden. Er lag in seinem Bett und versuchte zu begreifen, was geschehen war. Dabei brachte er nicht einmal den Mut auf, mit den Fingern über seine Wangen zu tasten.

Seit dem Transmitterunfall war das Cappinfragment in seinem Gesicht gewesen, ein leuchtender Klumpen, der ständig in Bewegung zu sein schien. Viele Wissenschaftler hatten versucht, Saedelaere von seinem eigenartigen Parasiten zu befreien, doch alle hatten sich vergeblich bemüht.

Mit der Zeit war Alaska Saedelaere zum Außenseiter geworden. Auch wenn sie es niemals zugegeben hätten, andere Menschen fürchteten sich vor ihm.

Die Erinnerung an sein eigenes Gesicht hatte Saedelaere verloren. Er wusste nicht mehr, wie er aussah. Stets war er der »Transmittergeschädigte« gewesen, der »Mann mit der Maske«, der im Grunde seines Herzens einsam blieb. Nun war der immerwährende Druck aus seinem Gesicht gewichen.

Er tastete nach der Maske, die wie immer griffbereit neben dem Bett lag. Die Maske war da. Vorübergehend hatte Saedelaere geglaubt, sie könnte ebenfalls verschwunden sein. Aber vielleicht träumte er das alles nur. Oder die Veränderung war eine Folge des Aufenthalts im Innern des Frostrubins.

Alaska Saedelaere umfasste die Maske, presste sie mit einer hastigen Bewegung auf sein Gesicht und zog die dehnbaren Schlaufen über beide Ohren. Die Maske wirkte zu groß, sie lag nur lose auf.

Der hagere Mann gab sich einen Ruck und schwang sich aus dem Bett. In der Kabine herrschte ein angenehmes Halbdunkel, von seinem Gesicht ging jedenfalls kein Leuchten aus.

Wie betäubt ging er zum Wandschrank. Im obersten Fach lag ein Handspiegel. Doch Saedelaere zögerte. Eine Weile stand er unschlüssig da, und fast hätte er um Hilfe gerufen. Schließlich schaltete er den Interkom ein. Die Verbindung zur Hauptzentrale der BASIS stand sofort.

Saedelaere sah Perry Rhodan und Taurec, den Gesandten der Kosmokraten, neben dem Kommandanten stehen. Die Szene wirkte irreal, wie eine schlechte Unterwasseraufnahme. Vermutlich war auch das ein Effekt des Hyperraums.

Alaska Saedelaere erinnerte sich. »Wir versuchen, M 82 zu erreichen«, hatte Rhodan gesagt, bevor die BASIS an der Spitze der Galaktischen Flotte ins rotierende Nichts gestürzt war. »Im Frostrubin können wir den Weg des geringsten Widerstands gehen.« Womöglich war das der einzige Ausweg gewesen, um der Endlosen Armada zu entkommen. Die Galaktische Flotte bestand aus fast zwanzigtausend Einheiten, trotzdem war sie ein militärisches Nichts gegen die gigantische Armada.

Saedelaeres Herz schlug wild. In den Jahrhunderten der Einsamkeit hatte er das Hoffen verlernt, das spürte er nun. Er wagte kaum, in den Spiegel zu schauen.

Schließlich tat er es.

Was er sah, ließ ihn zurückweichen. Die Maske hing ein wenig schief in seinem Gesicht. Darunter wirkte alles wie tot. Saedelaere erschrak zutiefst.

Seine Panik verflog wieder. War der leuchtende Organklumpen tatsächlich verschwunden?

Ich muss die Maske abnehmen!, erkannte Saedelaere.

Etwas rieselte durch seinen Körper. Ein ähnliches Gefühl war es, wenn er einen schwachen elektrischen Schlag erhielt. Mit einer Hand hielt er den Spiegel, mit der anderen löste er die Plastikmaske und ließ sie achtlos fallen.

Alaska Saedelaere blickte in sein Gesicht, das er vor knapp sechshundert Jahren zum letzten Mal gesehen hatte.

Manchmal erinnerte sich Taurec, was mit ihm geschehen war, bevor er auf diese Seite der Materiequellen wechselte. Seine Raubtieraugen bekamen dann einen starren Ausdruck. Dies war so ein Moment.

Die BASIS schwebte in einem Meer grauschwarzer Finsternis, irgendwo zwischen Frostrubin und Einsteinuniversum. Die Zeit schien stillzustehen.

Aus den Tiefen der BASIS drang ein Stöhnen, nicht von den Maschinen und Speicherbänken selbst, sondern aus den Poren ihrer atomaren Struktur, die in diesem Grenzbereich von unfassbaren Kräften bedrängt wurde. Taurec litt mit dem großen Schiff. Viele Objekte, die ein ungnädiges Schicksal in den gespenstischen Sektor zwischen Hyperraum und Einsteinuniversum verschlagen hatte, waren nie zurückgekehrt. Sie verharrten dort im Zustand der Zeitlosigkeit und lösten sich allmählich auf. Ein solches Schicksal war für ein denkendes Wesen nicht vorstellbar, doch es war möglich. Taurec bebte innerlich, sooft er daran dachte, wie nahe die BASIS einer derart tragischen Situation kam. Nicht einmal die Kosmokraten hätten ihm und den Terranern beistehen können, auch wenn er hundertmal ihr spezieller Beauftragter war.

Ein Ruck ging durch das mächtige Fernraumschiff. Das Licht veränderte sich, als wäre eine Wolkendecke schnell über das Schiff hinweggezogen und gäbe es nun wieder dem hellen Sonnenschein preis.

Taurec stand zwischen Perry Rhodan und Waylon Javier am Rand des breiten Kommandopodests, über dem sich der Panoramaschirm spannte. Wie von einer Hand blitzschnell ausgestreut, leuchteten Millionen Sterne in der holografischen Wiedergabe. Taurec atmete auf. Er war in diesem Raum zu Hause – obwohl er nicht in der Lage gewesen wäre, nur eine der Sonnen mit ihrem Namen zu benennen.

Und doch war etwas nicht so, wie es hätte sein müssen.

»Wir sind durch!«, sagte Perry Rhodan.

Der Alarm heulte.

An der Spitze der Galaktischen Flotte war die BASIS in den Frostrubin vorgestoßen, nun wimmelte es ringsum von Ortungsreflexen. Zehntausende unbekannte Flugkörper wurden erfasst, und das waren nicht die Koggen, Kreuzer und Karracken der Flotte.

»Fremde Raumschiffe!«, sagte Javier.

Trotzdem war es unsinnig, anzunehmen, die Galaktische Flotte könnte erneut mit einem Gebilde wie der Endlosen Armada zusammengetroffen sein.

»Wo bleiben unsere eigenen Schiffe?«, fragte Rhodan stockend.

Die Flotte hätte geschlossen aus dem Frostrubin kommen müssen, aber die Ortungen zeigten, dass außer der BASIS kein weiteres galaktisches Raumschiff in diesem Sektor stand. Die SOL, die RAKAL WOOLVER, die SCHNEEWITTCHEN – wo waren sie?

»Sie sind offensichtlich zurückgeblieben«, stellte Jen Salik schließlich fest. Der Ritter der Tiefe saß wenige Schritt von Taurec entfernt. Der eher unscheinbare Mann wirkte ruhig und überzeugend.

»Das kann nicht sein«, widersprach Roi Danton. »Der Übertritt in den Normalraum erfolgte zeitgleich, und wir waren die ganze Zeit über zusammen. Sie müssen hier sein.«

»Finden wir heraus, was das für Schiffe sind!« Perry Rhodan zwang sich deutlich merkbar zur Ruhe. »Gucky und Fellmer, empfangt ihr fremde Gedanken?«

Der Mausbiber, der in einem Sessel kauerte, der für ein dreimal so großes Wesen gebaut worden war, schüttelte stumm den Kopf.

»Es wäre verfrüht, Feststellungen zu treffen«, antwortete Lloyd.

»Wir sind nicht am erhofften Ziel angekommen, sondern mitten in der Endlosen Armada«, behauptete Waylon Javier.

Um die Hilflosigkeit der BASIS zu begreifen, brauchte Taurec nur in die Gesichter der Zentralebesatzung zu schauen. »Warum fliehen wir nicht erneut?«, fragte er.

»Wir wissen nicht, wo wir sind«, sagte Rhodan. »Die Trümmerwüste des rotierenden Nichts ist dies jedenfalls nicht mehr. Wir müssen in einem anderen Abschnitt der Endlosen Armada herausgekommen sein.«

»Willst du damit andeuten, die Endlose Armada sei so groß, dass wir von unserer Position aus nicht einmal den Frostrubin erkennen können?«, fragte Les Zeron, der Nexialist.

»Nicht unbedingt. Vielleicht hat es uns tatsächlich in einen anderen Teil der Armada verschlagen. Jedenfalls wäre ein Fluchtversuch sinnlos. Wir wissen weder, wo wir sind, noch, wohin wir uns wenden könnten. Außerdem frage ich mich, wie die Fremden auf Manöver der BASIS reagieren werden. Mich wundert, dass sie uns bisher in Ruhe lassen. Womöglich wird unsere Flotte bald erscheinen.«

Das war eine vage, durch nichts begründete Hoffnung, fand Taurec.

»Was ergeben die Detailmessungen?«, fragte Rhodan den Kommandanten.

»Wir haben eine nahe und starke Energiequelle festgestellt«, antwortete Javier. »Sie ist nicht groß, verfügt aber über eine beträchtliche Masse. Ihre Gravitation beeinträchtigt die BASIS.«

»Finde heraus, was das ist!«, befahl Rhodan.

Javier gab die Anordnung weiter. »Wir messen außerdem eine Hintergrundstrahlung an, die ich als charakteristisch bezeichnen möchte«, bemerkte er nachdenklich.

Taurec unterdrückte ein Lächeln. Indem Waylon Javier zweitrangige Informationen hinauszögerte und sie geheimnisvoll aufbaute, lenkte er von der eigentlichen Dramatik ab. Vermutlich durchschauten alle an Bord das Schauspiel – und waren trotzdem dankbar dafür. Dass die BASIS zwischen den Millionen fremder Raumschiffe der Endlosen Armada verloren war, musste keiner pausenlos verinnerlichen.

»Erinnerst du dich an den Felsbrocken, dessen charakteristische Ausstrahlung seine Herkunft aus M 82 verriet?«, fragte Javier unvermittelt.

Rhodan nickte. »Was hat das mit unserer Situation zu tun?«

»Wir befinden uns im Zentrum dieser Strahlung. M 82 ist eine explodierende Galaxis und damit leicht zu identifizieren. Wir haben sie erreicht. Eindeutig. Der Teufel soll mich holen, falls das nicht stimmt.«

Die ersten Auswertungsergebnisse der Hamiller-Tube bestätigten die Behauptung des Kommandanten. »Und woher kommen dann diese Schiffe?«, wollte Rhodan wissen.

»Das liegt auf der Hand«, antwortete Taurec. »Die Endlose Armada ist uns in den Frostrubin gefolgt.«

»In dem Fall müssten die Flotten erst später erscheinen. Sie sind nach uns in den Frostrubin eingedrungen.« Rhodans Miene wurde unnatürlich starr. »Ich weiß, im Hyperraum gibt es keine kausalen Vorgänge, die Zeit vergeht dort nicht, wie wir das gewöhnt sind.«

Taurec spürte Rhodans Verzweiflung.

»Trotzdem können die Verfolger noch nicht lange hier sein«, warf Roi Danton ein. »Wir müssen herausfinden, was im Frostrubin mit uns geschehen ist.«

»Das wird sich schwer nachvollziehen lassen«, wehrte Rhodan ab. »Der Frostrubin hat uns ausgespien, aber die Galaktische Flotte zurückgehalten. Andererseits wurde die Endlose Armada hierher versetzt.«

»Das sind Spekulationen«, kommentierte Danton. »Wir sollten versuchen, Kontakt mit den Armadisten zu bekommen. Vielleicht wissen sie eine Antwort auf unsere Fragen.«

Vielleicht, überlegte Taurec, waren die Armadisten nicht weniger verwirrt als die Galaktiker. Niemand wusste, was in den letzten Stunden geschehen war. Schon die Verwendung des Begriffs »Stunden« war in Zusammenhang mit dem Frostrubin fragwürdig. Vielleicht war die BASIS über Monate oder gar Jahre im Hyperraum verschollen gewesen, und die Schiffe der Galaktischen Flotte hatten sich längst aus diesem Sektor zurückgezogen.

Taurec hütete sich jedoch, seine Überlegungen auszusprechen. Mit diesen Spekulationen hätte er nur zur allgemeinen Verwirrung beigetragen.

»Die neuen Auswertungen zeigen, dass es von Armadamonteuren wimmelt«, erkannte Javier. »Sie unterscheiden sich etwas von denen, die wir schon kennen. Ich habe den Eindruck, dass sie mit der starken Energiequelle zu tun haben.«

Taurec achtete nicht mehr darauf, was der Kommandant sagte. Eric Weidenburn wurde soeben von zwei Männern in die Zentrale geführt. Rhodan hatte den Mann holen lassen, weil er sich Informationen von ihm erhoffte.

Zwischen seinen Bewachern wirkte Weidenburn seltsam starr. Über seinem Kopf schwebte die violett leuchtende Armadaflamme, sie war so groß wie eine Kinderfaust.

An Bord der BASIS hatte niemand eine konkrete Vorstellung, wie Armadaflammen über ihren Trägern platziert wurden und was sie bewirkten. Es stand lediglich fest, dass sie eine unzerstörbare Kennzeichnung darstellten; die Armadaflamme war der Ausweis jedes Armadisten. Der Terraner Eric Weidenburn hatte einen solchen Ausweis erhalten.

»Wir brauchen deine Hilfe, Eric«, begrüßte Rhodan den Gründer der Organisation STAC.

Weidenburn musterte die Holos. Er lächelte, weil er die Ortungsimpulse der Armadaeinheiten erkannte.

»Du hättest es wissen müssen, Rhodan«, sagte er. »Den Gesetzen des STAC entkommt niemand.«

Der Aktivatorträger schüttelte den Kopf. »Wir haben andere Sorgen. Der Kontakt zur Galaktischen Flotte ist abgebrochen. Wir stehen irgendwo in M 82, zwischen Einheiten der Endlosen Armada, die weiß Gott woher gekommen sind.«

»Ich habe immer prophezeit ...« Weidenburn unterbrach sich und schaute wie gebannt zum Hauptschott.

Taurec folgte dem Blick und sah einen dünnen Mann die Hauptzentrale betreten. Der Mann war ihm nicht fremd, trotzdem konnte Taurec nicht auf Anhieb sagen, wen er vor sich hatte. Dass ihn sein Erinnerungsvermögen so im Stich ließ, war er nicht gewöhnt. Es verwirrte ihn.

Der Ankömmling lächelte, verloren und glücklich zugleich. Sein Gesicht war blass. Taurec hatte nie zuvor ein so blasses Gesicht gesehen. Es war wächsern und totenbleich, als hätte sein Besitzer seit einer kleinen Ewigkeit frische Luft und Sonne gemieden. Es war ein unglaubliches Gesicht.

Jäh wurde Taurec bewusst, wen er vor sich hatte. »Saedelaere!« Er schrie den Namen förmlich.

Die BASIS wurde von einem schweren Schlag getroffen. Irgendetwas musste mit großer Wucht auf das Flaggschiff der Galaktischen Flotte geprallt sein.

2.

Seit er denken konnte, hatte Jercygehl An davon geträumt, eines Tags TRIICLE-9 zu finden. Die Endlose Armada hatte ihr Ziel endlich erreicht, aber es war für ihn und viele andere Armadisten kaum möglich gewesen, die Bedeutung jenes Augenblicks richtig zu würdigen.

Dann war der unfassbare Befehl aus dem Armadaherzen gekommen, der fremden Flotte zu folgen und in TRIICLE-9 einzudringen.

Jercygehl An hatte sich seit seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft verändert, obwohl er die Gründe dafür nicht kannte. Er wurde nicht mehr so oft wie früher von Zweifeln geplagt und machte sich nicht länger Gedanken über die Richtigkeit von Befehlen aus dem Armadaherzen. Trotzdem hatte er geahnt, dass das Vordringen in TRIICLE-9 an ihnen allen nicht spurlos vorübergehen würde.

An gewann den Eindruck, dass ihn die Zwänge des Alltags längst eingeholt hatten, denn die Ankunft innerhalb von TRIICLE-9 war für ihn keineswegs feierlich gewesen. Vom ersten Moment an hatte er gewusst, dass sie in den Hyperraum geraten waren; nur war ihm kaum Zeit geblieben, darüber nachzudenken. Auch die Frage über den Zusammenhang zwischen TRIICLE-9 und dem Hyperraum blieb unbeantwortet.

Jercygehl An war ein erfahrener Kommandant, er hatte ein sicheres Gespür für ungewöhnliche Entwicklungen. Doch in TRIICLE-9 verlor seine BOKRYL den Kontakt zu den übrigen cygridischen Schiffen. Er wollte gerade anordnen, Peilsignale zu senden, um auf diese Weise wenigstens das eine oder andere Schiff aufzuspüren, da fiel die BOKRYL in den Normalraum zurück.

An sah einen Wirbel fremder Sonnen und geriet fast in einen Taumel der Erleichterung, als er die Ortungsimpulse von Armadaschiffen registrierte. Aber dieses Gefühl war nur von kurzer Dauer.

Die BOKRYL prallte mit ungeheurer Wucht gegen einen massiven Körper von beträchtlichem Ausmaß. Alles ging so schnell, dass An nicht einmal an Rettung denken konnte. Das ausbrechende Chaos raubte ihm die Besinnung.

Als er wieder wahrnahm, was geschah, erschien ihm der Rundumschirm wie eine Art kolossales Auge. Winzige, silberne Körper wirbelten vorbei. Jercygehl An wurde sich bewusst, dass er cygridische Raumfahrer sah, die der explosionsartige Sog durch ein Leck in den Raum hinausgerissen hatte.

An drehte sich um. Rettungsroboter waren bereits in die Zentrale eingedrungen. Einige der Maschinen löschten aufflackernde Feuer, andere transportierten Verletzte ab. Die BOKRYL war offenbar schwer beschädigt, vermutlich in mehreren Bereichen aufgeplatzt und kaum noch manövrierfähig.

TRIICLE-9 hatte sie ausgespien und wohl geradewegs gegen einen Asteroiden geschleudert.

An verwarf diesen Gedanken sofort wieder. Für glaubwürdiger hielt er, dass sein Flaggschiff mit einem anderen Schiff der Armadaeinheit kollidiert war.

Aber keines dieser Schiffe war so groß!

Er würde es nicht erfahren, solange er nicht nachsah. Jercygehl An zog sich auf die Füße. Langsam fand er sein Gleichgewicht.

Die BOKRYL hatte sich in den unbekannten Körper gebohrt und hing daran fest. An zog sich an den Kontrollen entlang, bis er einen größeren Abschnitt des Holoschirms überblicken konnte. Kurz schloss er die Augen. Das Ding, mit dem die BOKRYL kollidiert war, konnte nur die BASIS sein, das Flaggschiff der Fremden.

Vor ihrem Sturz in TRIICLE-9 hatten beide Schiffe relativ nah zueinander gestanden. Vielleicht wirkten sich gravitationale Kräfte, die ansonsten kaum eine Bedeutung hatten, im Hyperraum so aus, dass die beiden Objekte ziemlich genau an einer Stelle hatten zurückfallen müssen.

Jercygehl An registrierte, dass der Luftdruck in der Zentrale unverändert war, deshalb öffnete er seinen Helm. Chaotischer Lärm umfing ihn.

Er beugte sich über den Interkom. »Hier ist der Kommandant! Wir befanden uns nur kurze Zeit im Innern von TRIICLE-9, aber der Kontakt zu unseren Schiffen ging verloren. Ich weiß nicht, wie sich das mit dem Kategorischen Impuls vereinbaren lässt, vermutlich besitzt er im Hyperraum keine Gültigkeit. Bevor wir uns orientieren konnten, sind wir in den Normalraum zurückgestürzt.« Er legte eine kurze Pause ein und blickte auf den Schirm. Die flackernde Ortung zeigte das eine oder andere Armadaschiff, doch von cygridischen Raumern war keine Spur. »Die Position, an der wir herausgekommen sind, ist nicht der Bereich hintere Mitte und Flankenabschnitt ...«

Jäh wurde An bewusst, dass die BOKRYL sich wieder bewegte. Sie hing im Sog einer unerhört starken Gravitation. Die Impulse dieser Energiequelle waren unverkennbar.

»Kommandant!«, rief jemand.

An blickte sich um. Tarzarel Op stand in der Nähe. Ops Gesicht war blutverschmiert, und er hielt sich die rechte Schulter. Trotzdem hatte er nur Augen für die Kontrollen.

»Kommandant ...«, wiederholte Op entsetzt.

»Ich sehe es!«, schrie An. »Denkst du, ich wäre blind?«

»Es ist ... eine Energieweide«, stammelte Op. »Wir ... sind in einer Energieweide herausgekommen!«

Der Energievorrat der Goon-Blöcke hielt lange; je nach Größe konnten die Armadaschlepper bis zu 250.000 Lichtjahre zurücklegen, ohne dass sie aufgetankt werden mussten.

Die Quellen, aus denen die Goon-Blöcke gespeist wurden, waren die Energieweiden, die in der Endlosen Armada an mehreren Positionen unterhalten wurden. Zahlreiche Völker nahmen diese Aufgabe wahr, und sie wurden von speziell konstruierten Armadamonteuren unterstützt.

Die übrigen Armadavölker mieden die Energieweiden, in deren Bereich sich schon schreckliche Unfälle ereignet hatten.

Im Zentrum jeder Energieweide existierte ein winziges Schwarzes Loch, das in ferner Vergangenheit von Spezialisten eingefangen und unter Kontrolle gebracht worden war. Die hier arbeitenden Armadamonteure führten dem Schwarzen Loch Materie zu und luden die Goon-Blöcke auf. Als »Nahrung« für die Schwarzen Löcher diente praktisch alles, was im Bereich der Endlosen Armada keine andere Verwendung fand: Wracks, Müll, kosmische Trümmer und verstorbene Armadisten. Das alles wurde in die Nähe einer Energieweide gebracht, und die Armadamonteure sorgten dafür, dass es in den Sog des Schwarzen Lochs geriet.

Die Energieversorgung der Goon-Blöcke gehörte zu einem nahezu perfekten Kreislauf. Aber selbst dabei gab es bedingte Verluste. Das bedeutete, dass zusätzliche Materie herbeigeschafft werden musste. Die Energieweiden mit den kleinen gefräßigen Monstren in ihren Zentren galten als unersättlich. Gerüchte behaupteten, dass schon Energieweiden außer Kontrolle geraten waren; die Endlose Armada musste in den betroffenen Bereichen schlimme Verluste erlitten haben. Über die Handhabung und Benutzung der Energieweiden entschied ausschließlich das Armadaherz. Nur für diese Umgebung spezialisierte Armadamonteure und Goon-Blöcke gelangten ins Innere der Energieweiden.

Nun waren die BOKRYL und die BASIS in einen solchen Bereich geraten. Das ganze Ausmaß der Katastrophe zeichnete sich bereits ab.

Tarzarel Op fasste sich wieder, wenn er auch am ganzen Körper zitterte. »Daran sind diese Fremden schuld!«, stieß er grimmig hervor. »Sie haben uns in einen Hinterhalt gelockt.«

Vielleicht war daran etwas Wahres, überlegte An. Weidenburn hatte ihm zwar ein Bild von diesen Terranern gezeichnet, das eine so schlimme Hinterlist auszuschließen schien – vor allem: Wie hätten sie den Unfall inszenieren sollen? –, aber er musste mit allem rechnen.

An maß seinen Stellvertreter mit einem langen Blick, dann trat er wieder an den Interkom. »Sämtliche Kontrollsysteme prüfen!«, befahl er. »Waffen aktivieren!«

»Da ist nicht mehr viel zu machen«, kommentierte Op. »Zwei der vier Schächte sind abgerissen, und der Kessel hat zwei große sowie etliche kleinere Lecks.«

An wusste, dass er mit den beiden Schächten auch zwei Goon-Blöcke verloren hatte. Wenn seine Vermutung stimmte und sie sich im Anziehungsbereich einer Energieweide befanden, würden die beiden verbleibenden Schlepper womöglich nicht ausreichen, um die BOKRYL von der BASIS zu lösen und aus dem Schwerkraftsog des Schwarzen Lochs zu befreien. Aber die Armadamonteure sollten eigentlich erkennen, dass die BOKRYL zur Endlosen Armada gehörte. Sie würden Hilfe bringen.

Inzwischen hatten sich viele Raumfahrer versammelt. Sie schauten An ratlos an.

»Tur, du versuchst, Funkkontakt mit den Armadamonteuren oder anderen Armadaschiffen zu bekommen!«, befahl er. »Sie müssen uns helfen, bevor es zu spät ist.«

Tur gehörte zu den Technikern. Er war einer der Geschicktesten, trotzdem senkte er betrübt den Kopf. »Nur der Interkom funktioniert«, erklärte er. »Normal- und Hyperfunk sind ausgefallen.«

Jercygehl An konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich ein Netz um ihn zusammenzog, das er nicht mehr durchbrechen konnte. Nur einmal hatte er bislang in einer Falle gesessen, als er mit einem Beiboot zwischen zwei außer Kontrolle geratenen Goon-Blöcken havariert war. Damals war er noch jung gewesen, aber manchmal bereitete ihm die Erinnerung daran Albträume.

»Jemand wird uns hier herausholen«, sagte er vage und hoffte, dass es trotzdem überzeugend klang. »Inzwischen lasst uns feststellen, was wir für die BOKRYL tun können.«

Soweit die Anzeigen funktionierten, lagen alle Ergebnisse bereits vor. Sie waren niederschmetternd. Das Schiff, daran gab es keinen Zweifel, war verloren. Einer der Goon-Blöcke funktionierte zwar noch, und er hätte das Wrack des Flaggschiffs vermutlich sogar in Sicherheit bringen können, wenn die BASIS und die Energieweide mit ihrem Zentrum nicht gewesen wären. Wie durch ein Wunder waren nur 26 Tote zu beklagen – jene Unglücklichen, die aus einem aufgeplatzten Schacht ins Vakuum gerissen worden waren.

An überlegte, was sich auf dem terranischen Schiff abspielen mochte. Er ahnte, dass vom Verhalten der Terraner möglicherweise das Überleben seiner Cygriden abhing.

»Da unsere Funkanlagen ausgefallen sind, haben wir keine Chance, andere Armadisten um Hilfe zu bitten«, sagte An zur Besatzung der BOKRYL. »Natürlich können wir hoffen, dass jemand auf uns aufmerksam wird, aber darauf verlasse ich mich nicht.«

Dass er die BOKRYL verlieren würde, versetzte ihm einen Stich. Seit seiner Geburt lebte er im Flaggschiff, und es war ihm alle Zeit unzerstörbar erschienen.

»Wir sammeln uns in der Nebenschleuse des Kessels!«, befahl er.

»Was hast du vor?«, fragte Op. Er wirkte sehr entkräftet und musste sich mit einem Arm abstützen. Seine Verletzung mochte schlimmer sein, als es den Anschein hatte.

»Wir verlassen das Schiff und versuchen, es von außen freizubekommen«, antwortete Jercygehl An. »Ich hoffe, das wird möglich, wenn wir es absprengen. Ein Goon-Block wird hoffentlich ausreichen, dass wir von hier wegkommen.«

»Aus einer Energieweide?«, zweifelte Tur. »Und wie werden sich die Fremden verhalten? Ich glaube nicht, dass sie uns so ohne Weiteres sprengen lassen.«

»Wir müssen uns teilen«, bestimmte An. »Op, du übernimmst mit einem Drittel der Besatzung die Absicherung der geplanten Arbeiten. Traust du dir das zu?«

»Ja«, sagte Op einfach. Die Hautbläschen in seinem Gesicht bebten.

3.

Für einen bitteren Moment wurde Taurec von der Vorstellung beherrscht, dass alle Prüfungen und Qualen, die er vor seinem Aufbruch auf diese Seite der Materiequellen auf sich genommen hatte, umsonst gewesen waren. Er fürchtete, dass er an Bord der BASIS sterben würde. Dann gab er sich einen Ruck. Ihm wurde bewusst, dass Perry Rhodan und Waylon Javier ununterbrochen Anweisungen erteilten.

Aus dem Gewirr vieler Stimmen klang Roi Dantons Frage in Taurecs Bewusstsein: »Glaubst du, dass sie es absichtlich getan haben?«

Die Frage war an die Hamiller-Tube gerichtet, doch Taurec fühlte sich ebenfalls angesprochen. »Ich weiß es nicht. Jemand muss nach der SYZZEL sehen«, sagte er.

Javier drehte sich im Sessel zu ihm um. »Mehldau Sarko hat schon nachgesehen. Die Hangars sieben, acht und neun sind nicht von dem Aufprall betroffen. Die SYZZEL dürfte demnach in Ordnung sein.«

Die Bildwiedergabe blendete auf das Armadaschiff um. Es war ein cygridisches Schiff, erkannte Taurec. Über die Cygriden war dank Clifton Callamon und Weidenburn einiges bekannt.

Aber warum war nur dieses eine cygridische Schiff in der Nähe? Ihre Armadaeinheit bestand aus fünfzigtausend Einheiten.

Ausgerechnet mit diesem einen Schiff musste die BASIS kollidieren? Das konnte kein Zufall sein, ging es Taurec durch den Sinn. Die BASIS war gerammt worden.

Taurec kannte den Begriff des Himmelfahrtskommandos. Wahrscheinlich waren einige Cygriden zu diesem selbstmörderischen Unternehmen aufgebrochen. Doch wie hatten sie die BASIS gefunden? Wie waren sie überhaupt nach M 82 gelangt?

Taurec konzentrierte sich auf die Männer und Frauen an den Kontrollen. »Wir haben einen Rest fünfdimensionaler Strahlung aufgespürt, die das cygridische Schiff wie eine Aura umgab«, bemerkte Les Zeron soeben. »Das bedeutet, dass dieses Schiff aus dem Hyperraum kam.«

Danton rieb sich das Kinn. »So etwas lässt sich kaum steuern«, sagte er. »Außerdem liegt ein solcher Zufall außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit. Hat jemand eine vernünftige Erklärung, weshalb wir trotzdem kollidiert sind?«

»Es ist ihr Flaggschiff, die BOKRYL«, sagte Weidenburn.

»Woher willst du das wissen?« Danton musterte den Mann mit den großen wasserblauen Augen.

»Eric hat recht!«, mischte Gucky sich ein. »Soviel Fellmer und ich von drüben espern können, sind wir mit der cygridischen Führungsmannschaft aneinandergeraten. Die Cygriden sind nicht weniger verwirrt als wir.«

Weidenburn bedachte Danton mit einem überlegenen Blick. »Wie ich schon sagte«, bemerkte er herablassend.

Taurec versuchte zu erfassen, was sich außer diesen Wortwechseln zutrug. Er spürte die unterschwellige Furcht aller in seiner Nähe und die Dramatik des Augenblicks.

»Wir kommen nicht weg!« Rhodan seufzte. »Die Energieversorgung der Hauptaggregate ist unterbrochen. Das heißt, dass wir uns im Griff dieses massereichen kleinen Gebildes befinden, das wir geortet haben.«

»Wie lange werden wir brauchen, um den Schaden zu beheben?«, erkundigte Danton sich bei der Hamiller-Tube.

»Unbestimmt!«, lautete die Antwort.

»Was heißt das?«, fasste Rhodan nach.

»Es ist n-dimensionale Energie im Spiel«, verkündete der Bordrechner. »Konkrete Schäden nach dem Zusammenstoß können behoben werden – aber im Bereich des Metagrav-Antriebs tappen wir im Dunkeln.«

»Wie weit sind wir von diesem Gravitationszentrum entfernt?«

»Das lässt sich nur vage feststellen. Die Störungen sind zu stark, sie beeinflussen die Ortungen.«

Rhodan runzelte die Stirn. »Wofür hältst du dieses Ding?«

»Für ein kleines Schwarzes Loch«, antwortete der Rechner. »Es hat uns im Griff. Wir werden hineinstürzen, wenn es uns nicht gelingt, den Metagrav flottzumachen.«

Taurec sah Rhodan schwer schlucken.

»Die Cygriden!« Waylon Javier deutete auf die Holos. »Ich fürchte, sie verlassen die BOKRYL und versuchen, die BASIS zu stürmen.«

Alaska Saedelaere sah Hunderte von cygridischen Raumfahrern in ihren hellbraunen Raumanzügen aus einer Schleuse des Wracks hervorquellen. Wie Turner, die ihre Geschicklichkeit demonstrieren wollten, kletterten sie über die Außenfläche der BOKRYL oder ließen sich von ihren dreieckigen Rückentornistern zur BASIS hinübertragen. Jeder der Armadisten war mit Ausrüstung beladen. Es bedurfte keiner besonderen Kenntnis der cygridischen Technik, um zu erkennen, dass die Fremden vorwiegend Waffen mit sich schleppten.

Erst vor wenigen Minuten hatte Saedelaere die Zentrale der BASIS betreten, argwöhnend, dass jeder in sein vom Cappinfragment befreites Gesicht starren würde. Wider Erwarten hatte sich die Aufmerksamkeit nur für wenige Sekunden auf sein totenblasses Gesicht konzentriert.

Saedelaere wusste, dass er schlimm aussah. Etliche Jahrhunderte hatte der Organklumpen auf seiner Haut geklebt und sie verwüstet. Längst glich die Haut weißem Kerzenwachs, war faltenlos glatt und zeigte nicht das feinste Äderchen. Die Poren waren kaum zu erkennen, aus der Nähe wirkten sie wie eine feine Maserung in hellem Marmor. Die Nase war flach, schmalrückig und wirkte wie aufgeklebt. Die Lippen ähnelten zwei quer liegenden kleinen Fingern und waren blutleer.

In seiner ersten Verzweiflung hatte Saedelaere sein Gesicht so heftig gerieben, dass die Haut fast aufgeplatzt wäre. Trotzdem wollte kein Blut einströmen.

Es hatte ihn große Überwindung gekostet, die Zentrale zu betreten und mit den Menschen dort zusammenzutreffen. Nun war er erleichtert, dass sie alle von den Ereignissen außerhalb der BASIS abgelenkt wurden.

Die Cygriden in den Holos bewegten sich erstaunlich zielsicher.

»Die BOKRYL hat zweitausendfünfhundert Besatzungsmitglieder, nicht wahr?«, wollte Perry Rhodan von Eric Weidenburn wissen.

Der Mann, der von sich behauptete, der erste menschliche Mitarbeiter der Endlosen Armada zu sein, nickte zögernd.

»Wahrscheinlich sind einige von ihnen bei dem Zusammenprall ums Leben gekommen«, fuhr Rhodan fort. »Ich möchte wissen, wie lange es dauert, bis ihnen andere Armadisten Hilfe leisten.«

»Noch fangen wir keine Funksignale auf«, sagte Waylon Javier. »Womöglich wurden ihre Funkgeräte zerstört. Übrigens gibt es auch keine Signale aus dem Armadaherzen, seit wir M 82 erreicht haben.«

»Rund um die BASIS sammeln sich immer mehr Armadamonteure!«, rief Danton.

Die Außenbeobachtung zeigte es recht deutlich. Diese Armadamonteure waren nicht schwarz, sondern hatten eine matt schimmernde graue Hülle, die wie Emaille aussah. Vielleicht handelte es sich um Spezialroboter.

»Ich befürchte, dass sie entern wollen«, warnte Sandra Bougeaklis, die Stellvertreterin des Kommandanten.

»Zumindest müssen wir damit rechnen.« Über Interkom befahl Perry Rhodan den Hangarmeistern, Raumsoldaten bereitzustellen, um einen eventuellen Angriff abzuwehren. Zudem ließ er einige Hundert Kampfroboter ausschleusen, die rund um die BOKRYL Warteposition beziehen sollten.

»Warum so vorsichtig?«, fragte Danton. »Willst du warten, bis sie uns die ersten Löcher in die Außenhülle gebrannt haben?«

»Wenn wir uns ernsthaft mit ihnen einlassen, haben wir vermutlich bald alle Einheiten der Endlosen Armada am Hals, die sich in der Nähe aufhalten«, antwortete Rhodan. »Außerdem wissen wir nicht genug über unsere eigene Position.«

Mittlerweile war zu erkennen, dass etwa fünfhundert Cygriden eine Art Sperrkordon um ihr Schiff aufbauten. Alle anderen blieben in der Nähe des Wracks und machten sich dort zu schaffen.

»Was mögen sie vorhaben?«, fragte Saedelaere.

Javier warf ihm einen scheuen Blick zu. Saedelaere senkte den Kopf. Er musste sich erst wieder daran gewöhnen, dass jeder ihn direkt ansah.

»Vielleicht wollen sie ihr Schiff vernichten, bevor es uns in die Hände fällt«, meinte der BASIS-Kommandant. »Es kommt darauf an, wie sie uns inzwischen einschätzen.«

Gucky watschelte heran. Er hatte sich auf die mentalen Impulse der Cygriden konzentriert. »Viel kann ich nicht erkennen«, sagte der Ilt. »Aber sie denken an eine Reparatur.«

Jemand lachte ironisch. Es war in der Tat kaum vorstellbar, dass die Cygriden ihr schwer beschädigtes Schiff wieder flottmachen wollten.

»Metagrav weiterhin außer Kontrolle!«, meldete die Hamiller-Tube. »Wir bewegen uns mit wachsender Geschwindigkeit dem Schwarzen Loch entgegen.«

Rhodan murmelte eine Verwünschung. »Wir müssen Funkkontakt zu den Cygriden bekommen!«, sagte er zu Javier.

Der Kommandant bestätigte knapp und gab seine Anordnungen.

Die ersten Kampfroboter verließen die BASIS. Bis auf rund hundert Meter näherten sie sich der Absperrung der Cygriden. Eine Space-Jet schleuste ebenfalls aus und überflog das Wrack der BOKRYL.

»Wer hat das angeordnet?«, fragte Rhodan ärgerlich.

»Ich, Perry«, antwortete der Waffenmeister Leo Dürk. »Weil ich der Meinung bin, dass wir sie einschüchtern sollten.«

Die Cygriden kümmerten sich weder um die Space-Jet noch um die Kampfroboter. Sie arbeiteten verbissen an ihrem Schiff.

»Sie haben zwei Armadaschlepper verloren«, kommentierte Waylon Javier nach einem Blick auf die grafische Auswertung. »Und es ist ungewiss, ob die beiden anderen weiterhin funktionieren.«

»Wo treiben eigentlich die abgerissenen Wrackteile ihres Schiffes?«, wollte Rhodan wissen.

Die Hamiller-Tube schaltete in wechselnder Folge Bildsequenzen der Außenkameras auf die Schirme. Fragmente der BOKRYL schwebten nur wenige Hundert Meter von der BASIS entfernt. In ihrer Nähe hantierten graue Armadamonteure.

»Die Roboter machen sich an den Trümmern zu schaffen«, sagte Danton. »Ob sie die Teile für die BOKRYL retten wollen?«

»Sie und wir haben ein gemeinsames Problem«, erinnerte Rhodan. »Bald werden kleinere Einheiten in diesem Sektor nicht mehr manövrieren können. Mit den großen Schiffen der BASIS könnten wir jetzt noch aus der Nähe des Schwarzen Lochs entkommen, aber dazu müssten wir das Mutterschiff aufgeben.« Er wandte sich an die Hamiller-Tube. »Wie viel Zeit bleibt uns für eine Flucht?«

»Vielleicht wenige Stunden. Das lässt sich schwer abschätzen.«

In einem der Holos blitzte es grell. Alaska Saedelaere erkannte, dass einer der Schächte an der BOKRYL explodiert und abgesackt war. Die Cygriden, die sich dort aufgehalten hatten, rannten in wilder Flucht davon oder suchten unter dem Hauptkörper ihres Schiffes Deckung.

»Meine Vermutung war also richtig!« Javier seufzte. »Sie zerstören ihr eigenes Schiff.«

»In dem Fall täuschen Sie sich, Kommandant«, sagte die Hamiller-Tube. »Das war eine gezielte Sprengung. Die Cygriden wollen ihr Schiff von der BASIS trennen. Ich nehme an, dass einer der Goon-Blöcke noch einsatzfähig ist. Die Ortungsergebnisse sprechen dafür. Die Cygriden hoffen wohl, dass sie damit zumindest den Schiffskessel manövrieren können.«

»Wenn sie so weitermachen, werden sie unschöne Löcher in die BASIS reißen«, prophezeite Les Zeron.

Saedelaere warf Rhodan einen forschenden Blick zu und erkannte, dass der Terraner unentschlossen war. Wenn Rhodan die Cygriden gewähren ließ, drohten der BASIS weitere schwere Beschädigungen – hielt er sie auf, kam es möglicherweise zu einer Schlacht, an der sich andere Armadaeinheiten beteiligen würden.

»Jemand muss mit ihnen reden und ihnen klarmachen, dass sie auf dem falschen Weg sind«, sagte Danton.

»Warum schicken wir nicht Weidenburn?«, schlug Javier vor.

»Er trägt eine Armadaflamme und ist für uns bislang ein unberechenbarer Faktor.« Rhodan dachte nach. »Wenn ich Gucky und Ras hinausschicke, verlieren die Cygriden vielleicht die Nerven. Sie kämpfen um ihr Leben. Keiner von uns kann vorhersagen, wie sie auf das Erscheinen paranormal Begabter reagieren.«

Es war schwer einzuschätzen, ob die Cygriden mit dem ersten Teil ihrer Arbeit zufrieden waren. Saedelaere nahm an, dass sie überflüssige Sektionen des Schiffes absprengten, um leichter wegzukommen.

»Wir müssen das Risiko eingehen und sie aufhalten!«, drängte Sandra Bougeaklis. »Die BOKRYL liegt nahe bei den Hauptschaltanlagen der äußeren BASIS-Sektionen. Nicht auszudenken, wenn es dort zu Explosionen kommt.«

»Ich werde mit ihnen reden!«, bot Saedelaere an. Bisher hatten ihn die anderen kaum beachtet. Nun gewann er den Eindruck, dass Perry Rhodans und Jen Saliks Blicke ihn geradezu durchbohren wollten.

»Einverstanden«, sagte Rhodan.

»Alaska bleibt nicht genügend Zeit!«, protestierte die Stellvertretende Kommandantin.

»Er hat alle Zeit, die wir ihm geben«, widersprach Rhodan.

Alles in allem kaum mehr als zwei Stunden, dachte Saedelaere.

Alaska Saedelaere erinnerte sich nicht, jemals zuvor so schnell von der Hauptzentrale der BASIS auf die Außenhülle des riesigen Fernraumschiffs gelangt zu sein. Alle Antigravschächte und Bandstraßen auf seinem Weg waren für ihn freigehalten worden. Im Licht der Scheinwerfer wirkte die Oberfläche der BASIS auf ihn wie ein verlassener, im Nichts endender Platz.

Saedelaere sah, dass etliche Cygriden sich wieder von ihrem Schiff zurückzogen und andere darunter Deckung suchten. Eine zweite Sprengung stand demnach bevor.

»Hört auf!«, rief er und trat aus dem Aufbau des Antigravschachts, aus dem er vor wenigen Sekunden gekommen war.

Wahrscheinlich hörten ihn die Cygriden nicht. Es war kaum anzunehmen, dass sie ihren Helmfunk zufällig auf die terranische Frequenz geschaltet hatten. Aber die Männer und Frauen in der BASIS-Zentrale hörten ihn.

»Was ist vorgefallen?«, fragte Rhodan.

»Sie sprengen wieder!«, antwortete Saedelaere.

Ein Blitz zuckte auf und enthüllte für wenige Sekunden die verstreut liegenden Trümmer der BOKRYL. Mit beiden Armen winkend, lief Saedelaere auf das cygridische Schiff zu. Es durfte keine dritte Explosion geben.

Zu seiner Überraschung sah er, dass die BOKRYL freigekommen war. Der Schiffskessel mit nur noch einem Schacht hing wie ein zum Schlag erhobener Hammer über der BASIS. Das Flaggschiff der Cygriden taumelte unter den gegensätzlichen Kräften, die von dem Goon-Block am Ende des Schachts und von dem nahen Schwarzen Loch ausgingen.

»Du hast es zu eilig, Alaska«, mahnte Rhodan. »Lass dir Zeit!«

Einer der Cygriden, die den Absperrring bildeten, drehte sich um und blickte in Saedelaeres Richtung. Gleich darauf drehten sich auch die anderen Cygriden um.

»Sie haben mich entdeckt«, meldete Saedelaere.

Die Cygriden in seiner Nähe hoben ihre Waffen. Alaska Saedelaere stand zwischen ihnen und den Kampfrobotern der BASIS. Er spürte, wie etwas durch seinen Körper rieselte. Zum zweiten Mal überkam ihn dieses seltsame Gefühl, das wohl mit dem Verlust des Cappinfragments zusammenhing.

Vielleicht, dachte er sarkastisch, hatte er sich in all den Jahrhunderten schon so sehr an dieses Ding gewöhnt, dass er nicht mehr ohne es auskommen konnte.

War es im Hyperraum zurückgeblieben? Hatte es sich unter den hyperphysikalischen Bedingungen im Frostrubin aufgelöst? Saedelaere gab sich einen Ruck. Es war der falsche Zeitpunkt, nach Antworten zu suchen. Er aktivierte sein Tornisteraggregat und flog auf die Cygriden zu.

»Surt!«, erklang die gutturale Stimme eines der Fremden. »Halt!«, übersetzte Saedelaeres auf Armadaslang programmierter Translator.

Die Cygriden hatten ihren Helmfunk offenbar angeglichen. Sie lernten schnell. Saedelaere vermutete, dass sie ihre Informationen von Weidenburn erhalten hatten. Aber womöglich arbeitete ihre Funkortung auch sehr präzise.

»Ihr könnt mich also hören und verstehen!«, sagte Saedelaere zufrieden. »Ich bin Alaska Saedelaere, Beauftragter des Kommandanten der Galaktischen Flotte.« Er machte eine kurze Pause von wenigen Sekunden, bevor er weiter sprach. »Ich komme allein, um unsere friedlichen Absichten zu demonstrieren. Allerdings verlangen wir eine Erklärung für die Kollision unserer Schiffe.«

»Daran seid ihr schuld!«

Der Vorwurf verschlug Saedelaere die Sprache.

»Ich bin Tarzarel Op«, fuhr der Cygride fort. »Betrachte dich als Gefangenen der Armadaeinheit 176.«

»Und wo ist die Armadaeinheit 176?«, fragte Saedelaere ironisch.

»Das wissen wir nicht«, lautete die verblüffend offene Antwort. Tarzarel Op fuchtelte mit einer Waffe herum. Obwohl sein Verhalten keinesfalls nach menschlichen Gesichtspunkten beurteilt werden durfte, wurde seine Nervosität deutlich.

»Können wir miteinander beraten?«, fragte Saedelaere vorsichtig.

»Dazu ist keine Zeit«, erwiderte Op. »Wir wurden in eine Energieweide verschlagen.«

Saedelaere wusste nicht, was gemeint war, doch bezweifelte er nicht, dass der Begriff Energieweide mit dem Schwarzen Loch zusammenhing.

4.

Nachdem sie TRIICLE-9 gefunden hatten, war das Unglück über Jercygehl An hereingebrochen. Dabei hätte nach allen Legenden und Prophezeiungen das Gegenteil der Fall sein müssen.

An warf einen kurzen Blick in die Höhe, um sich zu vergewissern, dass seine Armadaflamme noch da war. Sie erschien ihm als das einzig Zuverlässige in einer aus den Fugen geratenen Umgebung.

Es war seinen Raumfahrern gelungen, die BOKRYL von der BASIS zu lösen. Das Flaggschiff der Armadaeinheit 176 lief indes Gefahr, zurückzustürzen.

Es war offensichtlich, dass Lud, der an Bord der BOKRYL zurückgebliebene Pilot, das Schiff nicht unter Kontrolle brachte. Die Kraft eines Goon-Blocks war einfach zu gering, um die zu zwei Dritteln zerstörte BOKRYL aus der Gefahrenzone des Schwarzen Lochs zu bringen.

An hielt es für eine Ironie des Schicksals, dass seine Cygriden ausgerechnet in einem Gebiet geballter Antriebskräfte an mangelnder Energie scheitern sollten. Sie befanden sich in einer Energieweide, und ringsum wimmelte es vermutlich von aufgetankten Armadaschleppern. Aber niemand war da, der das Wrack der BOKRYL versorgt hätte.

Warum kümmern sie sich nicht um uns?, überlegte An bedrückt. Können sie uns nicht als Armadisten identifizieren, oder haben sie eigene Sorgen, die ihnen keine Zeit lassen?

»Kommandant!« Tarzarel Ops Stimme wirkte alarmierend. Doch der einzelne Terraner, der auf die Cygriden zuflog, konnte unmöglich der Grund für Ops Erregung sein.

»Spezialroboter!«, ächzte Op. »Über der BOKRYL.«

Jercygehl An stand auf der Hülle des terranischen Schiffes. Er schaltete seinen Rückentornister ein und ließ sich fünfzig Meter in die Höhe steigen. Dann erst sah er die Armadamonteure, mehr als hundert Maschinen. Sie kümmerten sich nicht um die Cygriden, sondern konzentrierten sich auf das Wrack. Für An war dies ein sicheres Zeichen, dass die Monteure nicht gekommen waren, um ihnen beizustehen.

Warum nicht? Er zermarterte sich den Kopf mit der Frage, wieso aus dem Armadaherzen keine Anweisungen kamen. Während die Flotte durch TRIICLE-9 gegangen war, hatte sich etwas ereignet, über dessen Auswirkungen die Cygriden erst Klarheit gewinnen mussten.

»Lud, hörst du mich?«, fragte An.

Die Stimme des Piloten erklang im Helmempfang wie aus weiter Ferne.

»Es hat keinen Sinn, Lud«, fuhr An fort. »Verlass die BOKRYL und schließ dich der übrigen Besatzung an.«

»Aber unser Schiff ...« Lud stockte.

Die Armadamonteure stürzten sich auf die von den Cygriden abgesprengten Teile der BOKRYL. Jeweils einige Dutzend Roboter transportierten ein Rumpfsegment ab.

»Bei der Schwarzen Erfüllung!«, stöhnte Op. »Begreifst du, was die da tun?«

»Natürlich«, bestätigte An. »Sie sorgen dafür, dass alle Trümmer zum Zentrum der Energieweide gelangen. Das ist ihre Aufgabe. Wir können absehen, wie schnell sie die gesamte BOKRYL zerschneiden werden.«

»Wir sind Armadisten!«, schrie Op.

»Und sie sind Spezialroboter«, mischte sich Ingenieur Zhu ein. »Sie arbeiten in der Energieweide. Das heißt, dass sie nur für spezielle Aufgaben programmiert sind.«

Lud betrat die Nebenschleuse des Kessels. Er wirkte aufgeregt und versuchte, schnell von dem Wrack wegzukommen. Kaum hatte er sich abgestoßen und fiel der BASIS entgegen, näherten sich ihm vier Monteure.

»Lud!«, schrie An warnend. »Beweg dich nicht!«

Der Pilot reagierte nicht darauf. Er beschleunigte und wurde dabei wie von Böen hin und her gerissen. Die Roboter kreisten ihn ein. Sie allein waren in der Lage, im Gebiet der Energieweide geschickt zu manövrieren, eben weil sie die Kräfte des gravitationalen Zentrums für ihre Zwecke nutzten.

Die Armadamonteure packten Lud und schoben ihn vor sich her.

»Holt ihn heraus!«, befahl An, doch keiner seiner Leute rührte sich. Niemand war in der Lage, auf Armadamonteure zu schießen. Ihr Verstand sagte den Cygriden, dass die Roboter ihnen seit Generationen halfen und nichts Unvernünftiges tun konnten.

Die vier Armadamonteure verschwanden mit Lud hinter dem Kessel der BOKRYL. Dorthin transportierten sie auch die Fragmente des Schiffes. Was sie erwischten, sortierten sie nach nur ihnen bekannten Kriterien und schickten es in den richtigen Portionen zum Schwarzen Loch.

An hatte seine Waffe gezogen, nun schob er sie ins Futteral zurück. Vielleicht war der Pilot schon tot gewesen, als die Armadamonteure ihn erreicht hatten. Ein kleines Leck im Schutzanzug ...

»Die BOKRYL ist verloren«, sagte An zu seiner Besatzung. »Wir brauchen ein anderes Schiff.« Er drehte sich einmal um die eigene Achse, dabei machte er eine alles umfassende, besitzergreifende Geste. »Dieses hier!«

Außer dem, was er von Eric Weidenburn erfahren hatte und was die Ortungen gezeigt hatten, wusste Jercygehl An nichts über dieses Schiff. Unglücklicherweise kannte An auch nicht die Anzahl der Besatzungsmitglieder. Gemessen an der Größe mussten es weit mehr sein als die knapp zweieinhalbtausend Cygriden, die der Kommandant der BOKRYL nun durch ein großes Leck in die BASIS führte. Das Leck war nicht durch eine der beiden Sprengungen, sondern schon beim Zusammenprall der Schiffe entstanden, und es war so groß, dass mindestens zehn Raumfahrer zugleich eindringen konnten.

Bevor er selbst die Öffnung betrat, warf An einen letzten Blick auf sein Flaggschiff zurück. Er hatte geglaubt, darin eines Tags zu sterben, aber alles war anders gekommen. Armadamonteure huschten durch sein Blickfeld; jeder mit Bruchstücken der BOKRYL beladen.

An widmete sich der neuen Umgebung. Sie befanden sich in einem Hangar, daran zweifelte er nicht. Sechs schlanke Flugmaschinen standen hier in speziellen Halterungen. Im Hintergrund sah der Kommandant zwei geschlossene Schotte. Licht kam aus der Decke und langen Reihen von Bodenscheinwerfern, die wohl Start- und Landeschneisen markierten. Fremde Raumfahrer waren nicht zu sehen, auch keine Reparaturroboter. Entweder hatten die Terraner sich gerade erst zurückgezogen oder sie hatten hier noch nicht mit den Aufräumarbeiten begonnen.

Die Cygriden verteilten sich im Hangar. An schwang sich auf ein Maschinenpodest und schaute auf seine Leute hinab. »Wir sind Schiffbrüchige«, sagte er. »Nach allem, was ich über die Terraner weiß, werden sie diesen Status respektieren. Trotzdem können wir nicht erwarten, dass wir als willkommene Besucher empfangen werden. Deshalb rate ich euch, aufzupassen und die Waffen bereitzuhalten.«

Als Letzte waren Op und seine Begleiter hereingekommen. »Dieser einzelne Terraner scheint uns zu folgen«, sagte Op.

»Kümmert euch nicht um ihn«, entschied An. »Die Terraner haben sicher nicht erwartet, dass wir so schnell in ihr Schiff eindringen würden. Bevor wir die Schotte nach innen gewaltsam öffnen, warten wir. Vielleicht erhalten wir in Kürze ungehinderten Einlass.«

An hatte keine Strategie. Ihm ging es ausschließlich ums Überleben seiner Leute, bis sie endlich Hilfe aus der Endlosen Armada erhielten und erfuhren, was sich eigentlich zugetragen hatte. Es war also nur ein bescheidenes Ziel. Wie schwer selbst das zu erreichen sein würde, musste der Kommandant schon Augenblicke später erkennen. Die beiden Schotte im Hintergrund öffneten sich, terranische Roboter drangen in den Hangar ein.

»Der Totenbleiche folgt ihnen!« Waylon Javier prägte damit einen neuen Namen für den Transmittergeschädigten. Rhodans Stirnrunzeln ignorierte er.

»Alaska ist das Cappinfragment endlich los«, sagte Perry Rhodan. »Wir sollten froh darüber sein. Carfesch hat vielleicht sogar eine Erklärung dafür, wie das geschehen konnte.«

»Ich müsste ihn untersuchen, wenn ich Genaueres feststellen wollte«, erklärte der Sorgore, der sich ebenfalls in der Hauptzentrale aufhielt.

»Verzerrte Funksprüche im Flottenkode!«, meldete die Hamiller-Tube. »Das könnte die Karracke LAMBDA sein. Sie ist entweder weit von uns entfernt oder die Störfelder sind zu stark.«

Taurec hatte den Eindruck, dass sich die Betriebsamkeit in der Zentrale weiter verstärkte. Er hatte erwartet, dass Rhodan befehlen würde, die Cygriden sofort aus dem Schiff zu drängen. Der Terraner ließ aber lediglich den beschädigten Hangar von Robotern und Raumfahrern absperren.

»Die LAMBDA – das heißt, dass zumindest ein weiteres Schiff unserer Flotte M 82 erreicht hat«, warf Jen Salik ein.

»Genauer, Hamiller!«, verlangte Rhodan vom Bordrechner.

»Die empfangenen Fragmente sind nicht sehr aufschlussreich. Die Besatzung der LAMBDA hat Orientierungsschwierigkeiten und sucht die Flotte. Das ist alles. Eine Verbindung kam nicht zustande.«

»Wie weit von uns entfernt?«, wollte Danton wissen.

Taurec hegte einen Verdacht, den er allerdings für sich behielt. Er wollte die Terraner nicht beunruhigen. Früher oder später würden sie selbst ähnliche Schlüsse ziehen.

»Gibt es Hinweise auf andere Schiffe?«, drängte Danton. »Womöglich sind doch alle Schiffe der Galaktischen Flotte angekommen. Wir wissen es nur nicht.«

Er könnte auf der richtigen Spur sein, erkannte Taurec. Zumindest zieht er ähnliche Schlüsse wie ich.

Die betretenen Gesichter der Zentralebesatzung zeigten, dass Rhodans Sohn die geheimsten Befürchtungen ausgesprochen hatte.

»Gucky und Ras, haltet euch bereit, Alaska nötigenfalls herauszuholen!«, ordnete Perry Rhodan an. »Falls die Cygriden weiter vordringen wollen, müssen wir sie gewaltsam aus dem Schiff treiben. Wir können sie nur aufnehmen, wenn wir mit ihnen gesprochen haben und uns über ihre Haltung im Klaren sind.«

Rhodan widmete sich dem großen Holo, das die Sternenwüste von M 82 zeigte. Nur wenige Galaxien sahen ähnlich zerrissen aus. Der Aktivatorträger deutete auf das Abbild einer unvorstellbaren kosmischen Katastrophe, die sich vor mehr als elf Millionen Jahren ereignet haben musste. »Ich glaube, dass alle Einheiten der Galaktischen Flotte eingetroffen sind!«, sagte er. »Ich vermute das schon länger, doch erst der Funkspruch der LAMBDA bestätigt meinen Verdacht gewissermaßen.«

Sandra Bougeaklis machte eine heftige Bewegung. »Was meinst du genau?«

»Der Weg des geringsten Widerstands, den wir durch den Frostrubin gehen wollten, verlief nicht so exakt wie erhofft«, erklärte Rhodan. »Unsere Flotte erreichte zwar M 82, aber die Schiffe materialisierten weit verstreut.«

Das war auch Taurecs Vermutung! Rhodan machte eine wegwerfende Handbewegung. »Der Frostrubin hat uns wie Konfetti in dieser Galaxis ausgestreut. Ich glaube, dass es der Endlosen Armada in einigen Bereichen genauso erging.«

»Hoffentlich irrst du dich«, sagte Roi Danton. »Denn deine Behauptung würde bedeuten, dass wir uns inmitten der Endlosen Armada befinden.«

Sandra Bougeaklis räusperte sich. Für gewöhnlich wirkte sie hart und gegen alles gefeit. Zum ersten Mal erlebte Taurec nun, dass die Stellvertretende Kommandantin um Fassung rang.

»Falls es diesen Konfettieffekt gibt, sind wir einem ungewöhnlichen Schicksal ausgeliefert«, sagte sie matt. »Wie sollen wir uns zwischen den Flotten der Endlosen Armada zurechtfinden und Kontakt mit unseren Schiffen aufnehmen?«

Schweigen antwortete ihr.

Sobald die Männer und Frauen in der Hauptzentrale die ganze Tragweite des Geschehens erfassten, würde es ein Schock für sie sein, vermutete Taurec. Sein eigenes Schicksal berührte ihn dabei wenig. Obwohl er sich fragte, warum sich die Kosmokraten große Mühe mit ihm gegeben hatten, wenn nun alles in einer Sackgasse endete.

»Das Verhalten der Cygriden wird verständlicher«, brach Javier die Stille. »Sie sind genauso verwirrt wie wir. Verwirrung scheint überall in der Endlosen Armada zu herrschen. Deshalb dürfte das Armadaherz schweigen.«

»Ich bin froh, dass es nicht zu Kampfhandlungen mit den Cygriden oder anderen Armadisten gekommen ist«, bemerkte Rhodan. »Wir brauchen den Kontakt zu ihnen. Nur dann können wir einen Ausweg finden.«

»Du vergisst Seth-Apophis!«, warnte ihn Danton. »Sie hat sich lange nicht gemeldet, aber wir befinden uns in ihrem unmittelbaren Einflussgebiet. Das heißt, dass wir die zusätzliche Bedrohung einkalkulieren müssen.«

Rhodan rief Saedelaere über Funk. Knapp erklärte er ihm die aufgekommenen Vermutungen.

»Du musst versuchen, Kontakt mit den Cygriden zu bekommen. Wenn du es für nötig hältst, schicke ich Verstärkung.«

»Das würde sie misstrauisch machen, Perry. Lass mir einen Versuch. Misslingt er, könnt ihr von der Zentrale aus immer noch eingreifen.«

Rhodan ließ sich wieder in seinem Sessel nieder. »Gut«, willigte er ein. »In der Außenbeobachtung sehe ich, dass die Armadamonteure anfangen, die Überreste der BOKRYL auseinanderzunehmen. Danach wird die BASIS an der Reihe sein. Wir müssen gegen diese Roboter vorgehen. Es wäre nur gut, wenn wir vorher erfahren könnten, wie die Cygriden drauf reagieren.«

Obwohl der Hangar geräumig war, wirkte er durch die Anwesenheit von fast zweieinhalbtausend Cygriden völlig überfüllt. Alaska Saedelaere stand dieser Übermacht allein gegenüber – vielleicht war es gerade dieser Umstand, der einen Angriff auf ihn ausschloss.

»Ihr dürft nicht weiter in unser Schiff vordringen, bevor ich mit eurem Kommandanten gesprochen habe, Tarzarel Op«, sagte er. »Vermeidet alles, was nachteilige Konsequenzen für eine Zusammenarbeit hätte.«

Saedelaere sprach aus, was ihm gerade in den Sinn kam. Dabei hoffte er, dass er den richtigen Ton traf. Wenn Rhodan mit seinen Vermutungen recht hatte, befanden sich auch die Cygriden in Bedrängnis. Die wuchtigen Körper in den hellbraunen Schutzanzügen standen bis vor dem Leck, durch das Saedelaere den Hangar betreten hatte.

Ein großer Cygride kam auf ihn zu. »Ich bin Jercygehl An. Kommandant der Armadaeinheit 176. Wir beanspruchen dieses Schiff und fordern die Verantwortlichen auf, es sofort aus dem Bereich der Energieweide zu entfernen.«

»Ich habe ihm bereits klargemacht, dass er unser Gefangener ist«, mischte sich Op ein.

»So kommen wir nicht weiter, Kommandant An.« Saedelaere breitete die Arme aus. »Wir wissen, dass ihr hohe moralische Ansprüche habt. Also werdet ihr akzeptieren, dass wir beide Positionen berücksichtigen müssen, eure und unsere.«

An schüttelte sich. Er hatte seinen Helm transparent geschaltet, deshalb sah Saedelaere die tief liegenden Augen des Cygriden.

»Wie lautet eure Position?«, fragte An.

»Wir kamen hierher, weil wir uns von der Endlosen Armada bedroht fühlten und keinen anderen Ausweg sahen«, antwortete Saedelaere. »Nur deshalb gingen wir durch den Frostrubin. Wir rechneten nicht damit, dass uns die Endlose Armada folgen würde. Nun sind wir in dieser Galaxis, die wir M 82 nennen. Hier vermuten wir einen unserer stärksten Gegner. Wir haben den Kontakt zu unseren Schiffen verloren und befürchten, dass wir in der Endlosen Armada stehen, die ihrerseits weit verstreut wurde.«

Auch wenn Saedelaere An fremd war, spürte er, dass der Kommandant der Cygriden angespannt nachdachte. Schließlich sagte An: »Wir könnten andere Armadaeinheiten zu Hilfe rufen.«

»Dann hättet ihr es längst getan«, widersprach Saedelaere. »Die Reichweite eures Helmfunks ist zu gering.«

An trat einen Schritt zurück, als müsse er sich ein umfassenderes Bild von seinem Gegenüber machen. »Du hast recht.« Seine Stimme klang widerwillig. »Wir haben die BOKRYL verloren, weil wir mit eurem Schiff zusammengestoßen sind. Wir befinden uns im Bereich einer Energieweide, aber die hier tätigen Spezialroboter haben offenbar nicht die Fähigkeit, uns als Armadisten zu identifizieren.«

»Was ist eine Energieweide?«

Auf seine Frage erhielt Saedelaere alle ihm nötig erscheinenden Informationen. Er bat An um eine kurze Gesprächspause, damit er die Einzelheiten an Perry Rhodan weitergeben konnte. Der Cygride war einverstanden.

Einige Minuten später setzten sie die Verhandlung fort. »Das Schwarze Loch wird alles verschlingen und in Energie für Goon-Blöcke umwandeln«, stellte An fest. »Die Armadamonteure bereiten alle Materie vor, die sie als nutzlos ansehen. Euer Schiff ist ebenfalls bedroht, wenn ihr nicht von hier verschwindet.«

Saedelaere überlegte, ob er eingestehen sollte, dass der Metagrav-Antrieb der BASIS beschädigt und vorerst nicht einsetzbar war. Aber damit hätte er seine Position geschwächt. Sollten die Cygriden ruhig annehmen, dass sie auf die Hilfe der Terraner bauen konnten. Das stimmte sie wahrscheinlich friedlicher.

»Das Armadaherz schweigt«, fuhr An fort. »Wir wissen nicht, welche Völker der Endlosen Armada in diesem Bereich operieren. In dem Sinn sind wir hier fast genauso fremd wie ihr.« Er deutete auf die Armadaflamme über seinem Helm. »Das haben wir euch voraus – und es kann uns in entscheidenden Augenblicken helfen.«

Ein »entscheidender Augenblick« würde in den Augen der Cygriden sein, sobald andere Armadisten kamen. Dann würde die Armadaflamme ihre Passfunktion erfüllen.

Alaska Saedelaere wagte einen weiteren Vorstoß. »Wir können euch vorübergehend an Bord aufnehmen«, sagte er. »Nur müsst ihr euch unseren Bordgesetzen fügen.«

An zeigte sich weitsichtiger, als Saedelaere ihn eingeschätzt hatte. »Ich glaube, dass ihr hier nicht wegkommt«, behauptete der cygridische Kommandant. »Ihr sitzt in der Energieweide fest. Wenn wir euch nicht helfen, seid ihr verloren. Wir haben kennen die Goon-Energie, ihr habt das Schiff.«

Saedelaere seufzte. »Der Kerl ist ein zäher Brocken«, meldete er an Perry Rhodan weiter. »Er ahnt, wie es um uns bestellt ist, und spielt hoch.«

»Dann begrüße sie als unsere Gäste!«, ordnete Rhodan an.

Zähneknirschend kam Saedelaere dem nach. Er glaubte, dass Rhodan die Entscheidung nicht so leicht gefallen wäre, wenn er die schwer bewaffneten, über zwei Meter großen Raumfahrer aus nächster Nähe gesehen und ihre Entschlossenheit gespürt hätte.

Zwischenspiel

Die eigenartige, von grauen Schlieren verhangene Stätte wäre menschlichen Augen kaum als Planet erschienen, dennoch war es im weitesten Sinn etwas, das man als Welt bezeichnen konnte. An diesem gespenstischen Ort gab es keine Helligkeit, denn im endlosen Grau versickerte jedes Licht. Kein noch so starker und heller Sonnenstrahl hätte diese düstere Umgebung durchdringen können.

Eine Dämmerung herrschte, in der sich kein Lufthauch regte und in die sich intelligentes Leben, wenn überhaupt, nur zögernd und äußerst vorsichtig vorgewagt hätte.

Dieser Nebel, der nicht dunkel war und nicht hell, bestand aus mentalem Plasma und war das Zentrum der Superintelligenz Seth-Apophis. Er hatte sich vor Jahrmillionen entwickelt, nachdem der Schiffbrüchige seine Situation erkannt und gemeistert hatte.

Tief im Zentrum der grauen Schlieren saß der Kern von Seth-Apophis, der Schiffbrüchige.

Von diesem Zentrum aus griff Seth-Apophis in die Geschicke vieler Völker ihrer Mächtigkeitsballung ein, jagte mit ihren psionischen Jetstrahlen nach den Bewusstseinen ahnungsloser Intelligenzen und kämpfte um die Befreiung des Frostrubins aus dem Anker der Porleyter, um wieder in den Besitz einer schrecklichen Waffe zu gelangen.

Hauptziel der Seth-Apophis war jedoch, ihr evolutionäres Abgleiten in die Zustandsform einer Materiesenke zu verhindern und auf die andere Seite der Materiequelle zu gelangen.

Das Verlangen, eines Tages ein Kosmokrat zu werden, beherrschte die Superintelligenz. Ihre Handlungen wurden davon bestimmt. Deshalb gab es bei ihr keine Einschätzungen mit menschlichen Wertmaßstäben wie Moral oder Ehre.

Der Ort, an dem Seth-Apophis sich aufhielt, war sicher. Sie konnte die heftigsten Angriffe auf ihr Bewusstseinsreservoir überleben, weil das eigentliche Zentrum niemals in Gefahr geriet und immer wieder neu aufgebaut wurde.

Seth-Apophis war die Summe der in ihr rekrutierten Bewusstseinssplitter, die sie intelligenten Wesen geraubt hatte, aber in ihrem Kern war sie nach wie vor der Schiffbrüchige.

Seth-Apophis war sich des zunehmenden Drucks, der von ihren Gegnern auf sie ausgeübt wurde, völlig klar. Ihr Gegenspieler ES hatte sich in das Zentrum seiner Mächtigkeitsballung zurückgezogen und schickte seine Völker und Anhänger aus dem Verborgenen in den Kampf. Die Mächte der Ordnung, mit den Kosmokraten an der Spitze, wurden nie müde, immer neue Spezialisten gegen Seth-Apophis einzusetzen. Die Porleyter, die UFOnauten, die Ritter der Tiefe, Terraner, die Endlose Armada, das Herzogtum von Krandhor ... Es war eine stolze Liste von Gegnern, die sich nicht allein in diesen Namen erschöpfte.

Trotzdem war die Situation für Seth-Apophis nicht neu, denn seit sie sich über ein gewisses Stadium hinaus entwickelt hatte, musste sie damit zurechtkommen. Es gab Zeiten, in denen sie sich dem Sieg sehr nahe wähnte, dann wieder fürchtete sie um ihre Existenz. Obwohl sie in letzter Zeit bei ihrem Versuch, den Anker der Porleyter am Frostrubin zu lösen, schwere Rückschläge erlitten hatte, war sie hinsichtlich der Gesamtsituation optimistisch. Es bestand Aussicht, dass der Gegenseite in absehbarer Zeit ein furchtbarer Gegner erwuchs, dann würden die Mächte der Ordnung gezwungen sein, ihre Kräfte aufzuspalten und an zwei Fronten zu kämpfen. Außerdem wollte Seth-Apophis verstärkt fortfahren, neue Agenten in allen benachbarten Mächtigkeitsballungen zu rekrutieren. Sie hoffte, bald eine Möglichkeit zu finden, mit der sie die Immunität vieler Wesen gegen ihre psionischen Jetstrahlen brechen konnte.

Wenn es so weit war, würde sie zu einem Raubzug von bisher nie gekanntem Ausmaß antreten. Millionen Lebensformen sollten dann in ihre Gewalt geraten. Über den Frostrubin konnte sie alle Bewusstseinssplitter zu sich holen oder dort deponieren, je nachdem, in welcher Form und in welchem Umfang sie diese benötigte. Die mentale Deponie stellte im übertragenen Sinn ihren Körper dar – der Schiffbrüchige im Dickicht der grauen Schlieren war, wenn man dieser Analogie treu blieb, ihre Seele.

Manchmal öffnete Seth-Apophis ihr Millionenbewusstsein außerordentlich weit, um tief in das Universum hinein zu lauschen und möglichst viel von dem zu erfahren, was sich dort abspielte. Dann schickte sie ihre psionischen Jetstrahlen nicht scharf gebündelt und auf Individuen gezielt, sondern breit gefächert und nur zu dem Zweck, dass sie als Informationsträger dienten.

Aktuell verharrte Seth-Apophis in diesem angespannten Lauschen. Ihre Sinne waren nach außen gekehrt, sie lauerte auf wichtige Neuigkeiten. Vor allem die Ereignisse rund um den Frostrubin erforderten ihre konzentrierte Aufmerksamkeit. Seth-Apophis wusste, dass zunächst zwei und dann immer mehr Gegner in das rotierende Nichts eingedrungen waren. Das war höchst beunruhigend, aber auch diese Entwicklung konnte sie unter Kontrolle bringen.

Unerwartet brach das Unheil über sie herein ...

In ihrem Multibewusstsein machten sich die vielen Millionen Bewusstseine zunächst wie ferner mächtiger Gesang bemerkbar. Zu spät registrierte Seth-Apophis, dass die Impulse aus ihrer unmittelbaren Umgebung, aus Sethdepot, kamen.

Bevor sie sich darauf einstellen konnte und ihr weit geöffnetes Bewusstsein verschloss, schlugen die mentalen Wogen über ihr zusammen. Billionen Bewusstseine materialisierten binnen kürzester Zeit in Sethdepot, das von den Terranern M 82 genannt wurde, und wirkten auf Seth-Apophis ein. Es waren die Gedanken und Gefühle unzähliger Raumfahrer großer Flotten, eine davon sogar nahezu unüberschaubar.

Dabei handelte es sich um keinen gewollten oder gezielten Angriff, sonst hätte Seth-Apophis sich darauf vorbereiten können.

So wurde sie unverhofft von einem mentalen Schlag getroffen, dessen Schockwirkung sie nur mit einer instinktiven Schutzreaktion abwehren konnte. Seth-Apophis verlor ihr Bewusstsein. Von einem Menschen hätte man gesagt, er sei ohnmächtig geworden.

5.

Bis zur Entdeckung von TRIICLE-9 war Jercygehl Ans Leben statisch verlaufen, sein Schicksal war ihm gleichförmig und vorgezeichnet erschienen, wie das vieler Kommandanten von Armadaeinheit 176 vor ihm.

Dann hatte sich mit einem Schlag alles geändert, und nun stand er im Begriff, etwas zu tun, was er bis vor kurzer Zeit für unmöglich gehalten hätte. Er begab sich in die Obhut von Fremden, die zu allem Unglück keine Armadisten waren und allem Anschein nach sogar mit der Veruntreuung von TRIICLE-9 zu tun hatten. Aber An schätzte das Leben der zweieinhalbtausend seinem Befehl unterstehenden Cygriden höher ein als die Durchsetzung fragwürdiger Prinzipien.

»Bevor wir über eure Unterbringung und Versorgung diskutieren, sollten wir uns dem vordringlichen Problem zuwenden«, sagte der terranische Unterhändler Alaska Saedelaere. »Wir brauchen alle Informationen über diesen Sektor, den ihr Energieweide nennt.«

»Wir sollten ihm nicht zu viel verraten!«, warnte Tarzarel Op.

An sah nicht ein, wie ihnen die Weitergabe dieser Informationen schaden sollte. »In der Endlosen Armada gibt es eine überregionale Technik, die dem Armadaherzen zur Verfügung steht«, erläuterte er. »Sie kann zwar von allen Armadisten benutzt werden, doch nur im Armadaherzen ist das zugehörige Wissen vorhanden. Dieses Wissen betrifft in erster Linie die in den Goon-Blöcken verwendete Energie, die Armadamonteure und die Schlafbojen.«

Jercygehl An überlegte, ob er von den Armadaschmieden berichten sollte, die für die Herstellung aller überregionalen Technik verantwortlich waren. Da er selbst nicht viel von diesem zurückgezogen lebenden und als gefährlich geltenden Volk wusste, schwieg er zu diesem Thema.

»Unser Problem kann nur mit Goon-Energie gelöst werden, denn Goon-Energie fesselt uns an diesen Ort«, fuhr er fort. »Die Spezialroboter, die sich in der Energieweide bewegen, sind ein Beweis dafür, dass jeder hier manövrieren kann, der das nötige Wissen besitzt. Wir haben es leider nicht.«

Saedelaere sprach mit seinen Befehlshabern, dann sagte er: »Perry Rhodan fordert dich auf, mich in die Hauptzentrale der BASIS zu begleiten. Dort kannst du uns erklären, wie wir vorgehen müssen.«

Bei anderer Gelegenheit hätte An sich darüber amüsiert, dass der Unterhändler indirekt zugab, dass die Terraner ebenfalls in großen Schwierigkeiten steckten. Ihr Schicksal war jedoch zu eng verbunden, um Anlass für ironische Gefühlsregungen zu geben.

»Ich bin bereit, dich in die Zentrale zu begleiten«, bestätigte An. »Was geschieht inzwischen mit meinen Leuten?«

»Sie werden in unbeschädigte Lagerräume und Hangars gebracht«, antwortete Saedelaere. »Aus Gründen, die dir sicher vernünftig erscheinen, wollen wir vorerst nur wenig Kontakt herstellen. Das würde zweifellos zu Missverständnissen führen.«

Das bedeutete, dass die Cygriden an Bord der BASIS ein Gettodasein führen mussten. Vorerst!, korrigierte sich An.

»Einverstanden«, sagte er. »Tarzarel Op wird alle Gespräche führen, die für unsere Versorgung nötig sind.«

An widmete sich den Cygriden und hielt eine kurze Ansprache. Er beteuerte, dass er an den guten Willen der Terraner glaubte. Vor allem beschwor er seine Besatzung, sich ruhig zu verhalten. Er hoffte, dass alle sich daran hielten.

»Sobald du uns verlässt, kann niemand für deine Sicherheit garantieren«, sagte Op düster.

An fragte sich, ob der pedantische Cygride wirklich an seinem Schicksal interessiert war oder nur an seine eigenen Belange dachte.

»Ich werde bald zurück sein. Außerdem bleibe ich über Helmfunk mit euch in Verbindung«, versprach An, dann schaute er den Terraner an. »Gehen wir!«