Perry Rhodan 134: Sammelpunkt Vier-Sonnen-Reich (Silberband) - Thomas Ziegler - E-Book

Perry Rhodan 134: Sammelpunkt Vier-Sonnen-Reich (Silberband) E-Book

Thomas Ziegler

0,0

Beschreibung

Dreißig Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt: Die Galaktische Flotte unter dem Kommando von Perry Rhodan ist weit über die Galaxis M 82 verstreut. Um die Schiffe und ihre Besatzungen zu retten, wagt Rhodan ein gefährliches Spiel. Er will den Kosmischen Puls aussenden – dieses Funksignal soll die verstreute Flotte wieder zusammenführen. Für Rhodan wird es ein Kampf um das eigene Überleben. Sein Gegner ist einer der geheimnisvollen Silbernen, die nach der Macht über die Endlose Armada greifen, einem Heerwurm aus Millionen von Raumschiffen. Auch die Mutanten Gucky und Ras Tschubai sowie der Terraner Jen Salik riskieren viel. Weil sie die Geheimnisse der Silbernen ergründen wollen, suchen sie nach einer Armadaschmiede. Dabei geraten sie in die Gewalt eines Feindes, der nur ein Ziel kennt: die Terraner zu vernichten ... Die in diesem Buch enthaltenen Originalromane sind: Planet der Deportierten (1131) von Thomas Ziegler; Die Toten und der Wächter (1132) sowie Duell in der Notzone (1133) beide von H. G. Ewers; Im Innern einer Sonne (1134) von Detlev G. Winter; Begegnung am Todesauge (1135) von Clark Darlton; Sammelpunkt Vier-Sonnen-Reich (1142) von H. G. Ewers sowie Die Goon-Hölle (1143) von H. G. Francis.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 594

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Nr. 134

Sammelpunkt

Vier-Sonnen-Reich

Cover

Klappentext

Kapitel 1-10

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

Kapitel 11-20

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

Kapitel 21-30

21.

22.

23.

24.

25.

26.

27.

28.

29.

30.

Kapitel 31-39

31.

32.

33.

34.

35.

36.

37.

38.

39.

Nachwort

Zeittafel

Impressum

Dreißig Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt: Die Galaktische Flotte unter dem Kommando von Perry Rhodan ist weit über die Galaxis M 82 verstreut. Um die Schiffe und ihre Besatzungen zu retten, wagt Rhodan ein gefährliches Spiel. Er will den Kosmischen Puls aussenden – dieses Funksignal soll die verstreute Flotte wieder zusammenführen.

Für Rhodan wird es ein Kampf um das eigene Überleben. Sein Gegner ist einer der geheimnisvollen Silbernen, die nach der Macht über die Endlose Armada greifen, einem Heerwurm aus Millionen von Raumschiffen.

1.

»Du siehst mich nicht, Terraner, aber du hörst mich«, sagte Schovkrodon. »Ich weiß, dass du mich verstehen kannst ...«

Finsternis umgab Perry Rhodan. Keine Dunkelheit, die durch die Abwesenheit von Licht entstand, sondern eine intensivere. Es ist die Schwärze der Blindheit, dachte er, und seltsamerweise ließ ihn der Gedanke unberührt.

»Deine Sinne sind blockiert«, fuhr der Armadaschmied fort. »Du siehst nichts, du riechst und schmeckst nichts, du hast deine Gefühle verloren. Nur hören kannst du, deshalb hör mir gut zu!«

Rhodan brachte keinen Laut über die Lippen. Er schwebte in der Schwärze, und nur die Erinnerungen waren ihm geblieben – an die schrecklichen Minuten in der Ratshalle der Sooldocks, als Schovkrodon aufgetreten war. Der Armadaschmied hatte den Terranern das Schweigen der Superintelligenz Seth-Apophis angelastet.

Rhodan bedauerte, dass ihm zu viele Informationen fehlten, um das Geheimnis der Sooldocks zu enträtseln. Möglicherweise war es eine kühne Folgerung, dass Seth-Apophis' Verstummen mit der Ankunft der Endlosen Armada und der Galaktischen Flotte in M 82 zusammenhing ...

Schovkrodon sprach weiter, und Rhodan schrak aus seinen Gedanken auf.

»Vielleicht hast du noch Hoffnung«, sagte der Armadaschmied boshaft, »aber bald wirst du einen Ort erreichen, an dem es keine Hoffnung mehr gibt. Vielleicht, Terraner, glaubst du, dass dein Schiff dir helfen wird, das auf dem Raumhafen von Jays steht. Nur braucht es selbst Hilfe. Traktorstrahlen fesseln es an den Boden, und eine Armee der Sooldocks steht Wache. Hunderte Strahlgeschütze sind auf das Schiff gerichtet. Schwer bewaffnete Gleiter patrouillieren. Eine Flucht wäre möglich, durchaus – nur nicht für dich und Wesen deiner Art.«

Schovkrodons Lachen klang hohl und hartherzig wie das Lachen eines Gespensts, das düsteren Träumen entstiegen war.

»Um von Vrugg zu fliehen, muss man gnadenlos sein«, flüsterte der Armadaschmied. »Ihr habt schwere Waffen an Bord eurer THUNDERWORD, doch ihr seid zu skrupelhaft, sie anzuwenden. Ihr müsstet die Projektoren der Traktorstrahler zerstören und die Gleiter vom Himmel holen. Den Raumhafen in Schutt und Asche legen, die Armee der Sooldocks auslöschen und Jays mit nuklearen Explosionen überziehen. Anschließend mit höchster Beschleunigung starten und mit den auf Volllast laufenden Triebwerken die Atmosphäre zum Kochen bringen.«

Schovkrodons Stimme war heiser und kratzig vor Erregung, in die ihn die apokalyptischen Bilder zu versetzen schienen.

»Sobald ihr in den Raum vorstoßt, Rhodan, müsst ihr mit Salven eurer Schiffsgeschütze die Orbitalstation von Vrugg ausschalten. Ihr dürft sie nicht ignorieren, weil sie euch vernichten würde – aber wenn ihr sie zerstört, werden ihre Trümmer wie Meteoriten den Planeten zernarben. Außerdem gibt es die Schiffe der Sooldocks und ihre Weltraumplattformen. Auch sie müsst ihr atomisieren. Für eure Flucht würden Millionen intelligenter Lebewesen sterben, Terraner – und genau das macht es euch unmöglich.«

Schovkrodon lachte eisig. »Ein Armadaschmied würde es tun. Ihr seid zu weich, um auf Dauer im Weltraum zu überleben. Ihr zeigt Mitleid, wo Mitleid tödlich ist, und Gnade, wo Gnade in den Untergang führt. Ihr hört auf eure Gefühle, statt auf den Verstand, deshalb werdet ihr als Volk bald von der kosmischen Bühne abtreten. Doch das gehört nicht mehr zu den Dingen, um die du dir Sorgen machen musst, Perry Rhodan.«

Der Armadaschmied schwieg.

Die THUNDERWORD war also auf dem Raumhafen von Jays gefangen. Rhodan dachte an Atanos Vlat, den Kommandanten des Raumschiffs der PHARAO-Klasse, und an Taurec. Beide waren mit dem Großteil der Besatzung an Bord zurückgeblieben.

Rhodan wusste, dass Schovkrodon recht hatte. Vlat würde abwarten, hinter den Schutzschirmen beobachten. Er würde nicht ohne Rhodan und seine Begleiter fliehen, vor allem nicht, wenn eine Flucht den Sooldocks derartigen Blutzoll abverlangte.

Sind wir deshalb weich?, fragte sich Rhodan. Ist Menschlichkeit eine Schwäche, wie der Armadaschmied behauptet? Oder ist sie in Wahrheit eine Stärke, die sich auf lange Sicht mehr auszahlt als die zweifelhaften Vorzüge, derer sich der Schmied rühmt?

Er musste diese Frage nicht beantworten, denn er kannte die Antwort längst. Viele Jahrhunderte hatten bewiesen, dass Menschlichkeit allen Waffen überlegen war.

»Du und deine Begleiter seid verdammt worden«, fuhr Schovkrodon fort. »Die Richter waren die Sooldocks; das Urteil heißt Deportation; das Ziel ist Marrschen. Es ist grotesk, Rhodan, aber es ist wahr: Die Sooldocks glauben an eine Göttin, die zu ihnen spricht, und diese Göttin ist vor Kurzem verstummt. Mich halten sie für ihren Boten. Sie glauben es, weil ich es ihnen sagte. Und sie halten euch für schuldig, das Band zwischen Seth-Apophis und ihnen zerschnitten zu haben.«

Rhodan trieb durch die Finsternis und hörte Schovkrodons boshaftes Lachen.

»Ein Glücksfall, ausgerechnet in jener Stunde auf ein System voller Wahnsinniger zu treffen, als ihr Terraner mir gefährlich wurdet«, bemerkte der Armadaschmied zufrieden. »Für die Sooldocks habt ihr euch des schwersten denkbaren Verbrechens schuldig gemacht. Aber sie wollen euch nicht töten; ein Beweis mehr für den Wahnsinn dieses Volks. Sie töten ihre Verbrecher nicht, sondern deportieren sie. Vielleicht ist diese Deportation sogar schlimmer als der Tod. Ich habe köstliche Dinge über Marrschen gehört, die dir den Angstschweiß auf die Stirn treiben würden. Warte ab, Terraner, du wirst Marrschen mit eigenen Augen sehen, und für immer dort bleiben.«

Sie wollen uns also nicht töten, erkannte Rhodan. Nur auf einen Strafplaneten verbannen. Nur? Die Ansprüche sind bescheiden geworden. Dennoch ...

Der Armadaschmied irrte sich. Rhodans Lage war verzweifelt, aber nicht hoffnungslos. Gesil war bei ihm. Außerdem Cirgizen Saan, die Exopsychologin, der Linguistiker Markadir, Soul Gronnich, der Exosoziologe, und Nissona Arvenich als Überlebensspezialistin. Eine gute Truppe.

Hoffentlich gut genug!, meldete sich ein kritischer Gedanke. Rhodan verdrängte ihn. Etwas anderes ging ihm durch den Sinn. Schovkrodon hielt Seth-Apophis also für eine Gottheit, die nur in der Vorstellungswelt der Sooldocks existierte. Der Silberne wusste nicht, dass sie eine negative Superintelligenz war, die eine mehrere Galaxien umfassende Mächtigkeitsballung beherrschte. Die Endlose Armada hatte sich demnach in den Frostrubin gestürzt, ohne zu wissen, dass sie das Herrschaftsgebiet einer mächtigen Wesenheit erreichen würden.

Ließ sich diese Konstellation für die BASIS und die Galaktische Flotte nutzen? Falls es gelang, Seth-Apophis und die Armada gegeneinander auszuspielen ... Spekulationen!, rief Rhodan sich zur Ordnung. Er musste auf die naheliegenden Dinge achten, auf die blockierte THUNDERWORD, die Deportation ...

»Du wirst auf Marrschen vermodern«, Schovkrodon lachte, als hätte er Rhodans Gedanken gelesen. »Und deine Gewebeproben bleiben in meinem Besitz. Du siehst meine Möglichkeiten?«

Ein neuer Synchronite?, dachte Rhodan. Oder mehr als das: ein richtiger Doppelgänger? Spekulierst du darauf?

»Ich lasse dich nun allein, und du wirst schlafen«, erklärte der Armadaschmied. »Freu dich schon auf dein Erwachen auf Marrschen ...«

Zu der Finsternis, die Perry Rhodan umgab, gesellte sich nun auch eine erschreckende Stille.

Was ist das für ein Gefängnis, in dem man nichts hört und sieht, nichts schmeckt und riecht, in dem man nicht einmal etwas fühlt?, dachte er müde

Langsam verblassten seine Gedanken.

Jäh wurde er wach. Diesmal spürte Rhodan nicht nur seinen Körper und das regelmäßige Pochen des Herzschlags, grelles Licht stach zudem in seine Augen. Erst allmählich nahm er Konturen wahr.

Er sah eine kahle Decke aus rötlichem Metall, glatt und hoch. Das blendende Licht fiel durch eine ovale Öffnung. Langsam verschwand die Öffnung aus seinem Blickfeld. Offenbar drehte er sich um seine Längsachse. Rhodan versuchte, die Bewegung zu beeinflussen, doch er hatte keine Kontrolle über die Muskeln. Hing er in einem Fesselfeld?

Ein menschlicher Körper tauchte vor ihm auf. Cirgizen Saan! Die kleine, füllige Frau schwebte in der Luft. Ein mattes Flimmern umfloss ihren SERUN und verlieh ihrem blassen, von zahllosen Fältchen durchzogenen Gesicht den Hauch gesunder Röte. Sie hatte die Augen geschlossen. Wie Rhodan selbst drehte sie sich träge zwei Meter über dem Boden.

Er wollte ihr zurufen, aber die Stimme gehorchte ihm nicht. Seine Sinneswahrnehmungen waren zurück, das war alles. Er drehte sich weiter. Sah Sarvel Markadir, den grauhaarigen, stets melancholisch wirkenden Linguistiker. Und Soul Gronnich, den Exosoziologen.

Gesil ...? Wo war Gesil?

Endlich erschien auch seine Frau. Sie schwebte schräg unter ihm, nur zehn oder zwanzig Zentimeter vom Boden entfernt. Neben ihr rotierte Nissona Arvenich; die Überlebensspezialistin war eine schlanke Frau mit schneeweißem Haar. Wie ein Halo umflossen die Locken ihr Gesicht.

Also befanden sich alle Angehörigen der Delegation in diesem sonderbaren Gefängnis. Rhodan war erleichtert, dass die Sooldocks sie nicht getrennt hatten.

Er vollendete seine Drehung; Gesil und Nissona verschwanden, machten dem kahlen Rot der Decke Platz. Ein sanfter Ruck durchlief ihn, die Bewegung endete abrupt. Wurden sie nun abgeholt und nach Marrschen transportiert?

Neben der ovalen Vertiefung entstand eine weitere Öffnung in der Decke. Rhodan verfolgte die Veränderung und sah in das strahlende Gelb eines sooldockschen Gallertorgans. Der Gefiederkranz des Schädels, der sich dort herabbeugte, war blau und rot gestreift. Gedämpftes Zwitschern wurde von einer sonoren Stimme übertönt, die Interkosmo sprach. Der Sooldock redete über einen Translator.

»Ich habe wenig Zeit. Das Deportationsschiff ist startbereit. Der Bote hat die Betreuer überzeugt, dass du und deine Begleiter Feinde der Mentorin seid ...«

Mentorin? Seth-Apophis war gemeint, das wusste Rhodan. Aber was wollte der Sooldock von ihm? Bis vor Kurzem hatte ein Bürgerkrieg im Vier-Sonnen-Reich den Zentralplaneten Vrugg und die Hauptstadt Jays verwüstet. Handelte es sich bei dem Fremden um einen Vertreter der Opposition?

»Es gibt andere, die nicht so denken«, fuhr der Vogelähnliche fort. »Die zweifeln. Wer sagt uns, dass der Bote tatsächlich einer ist? Seth-Apophis spricht nicht mehr. Vielleicht ist es eure Schuld, wie der Bote behauptet, doch wir kennen die Wahrheit nicht. Wir befürchten, dass ihr auf Marrschen sterben werdet, denn das ist kein Ort, an dem Leben eine Bedeutung hat. Auf Betreiben des Boten und des Seth-Apophis-Betreuers Prinar Dolg wurde eure Deportation angeordnet. Jener, der hinter mir steht, hält dies für einen Fehler. Er ist krank, deshalb hat er mich geschickt. Ich soll dir sagen, dass ihr auf Marrschen nicht völlig hilflos seid. Es ist verboten, und es ist gefährlich, aber mein Auftraggeber wird dafür sorgen, dass zusammen mit euch auch eure Ausrüstung auf Marrschen abgesetzt wird.«

Wieder machte der Ornithoide eine Pause. Während Rhodan das von dem hornigen Zielkreuz geteilte Gallertorgan betrachtete, gewann er den Eindruck, dass von dem Sooldock etwas unzweifelhaft Weibliches ausging. Eine Sooldockfrau?

»Sei nicht verbittert, Terraner«, bat der oder die Fremde. »Hasse uns Sooldocks nicht für das, was euch angetan wird. Seth-Apophis schweigt. Wie sollen wir ohne den Rat unserer Mentorin wissen, ob wir richtig oder falsch handeln? Viel Glück, Fremder, auf Marrschen. Falls du einen Weg findest, jene Welt zu verlassen und Rache zu üben, dann denke an mich, Jacyzyr, und an Duurn Harbelon ...«

Die Öffnung schloss sich wieder, das Licht erlosch. Es war seltsam, in einem System voller Feinde unerwartet auf Freunde zu treffen. Damit, Armadaschmied, hast du nicht gerechnet,

2.

Die JUURIG schwenkte in den Orbit um Marrschen ein. Wie ein plumper Vogel aus Stahl, mit starren Schwingen und stumpfer Nase, trieb das Allroundraumschiff hoch über den Staubwolken des zweiten Planeten der Sonne Guduulfag dahin.

Marrschen sieht friedlich aus, sinnierte Carzel Boon. So täuschend friedlich. Mit seinem Multisinnesorgan betrachtete der alte Raummeister die Monitoren über dem schrägen Steuerpult.

Sandschwaden, von den Winden bis in die oberen Luftschichten der dünnen Atmosphäre geblasen, verwehrten den direkten Blick auf die Oberfläche. Die Instrumente der JUURIG waren stark genug, die Partikelwand zu durchdringen.

Auf dieser Seite des Planeten war es Tag. Heftige Staubstürme tobten über den Wüsten und dem Ruinengürtel entlang des Äquators. Ein Trümmermeer einstiger Prachtbauten, von den extremen Temperaturschwankungen zermürbt, halb unter Flugsand begraben und verbrannt von den atomaren Explosionen, die Marrschen vor Jahrhunderten unbewohnbar gemacht hatten. Im Vergleich zu dieser Höllenwelt ähnelten die Notzonen – jene verseuchten Regionen aus dem Immerwährenden Krieg, die es auf allen Planeten des Vier-Sonnen-Reichs gab – anheimelnden Paradiesen.

Marrschen war mehrfach vergiftet. In den Kratern, die wie Pockennarben die graue Ödnis prägten, lastete tödliche Radioaktivität. Weite Landstriche waren mit chemischen Kampfstoffen verseucht; der ewige Wind hatte die toxischen Chemikalien in alle Himmelsrichtungen verteilt. Außerdem hatten bakteriologische Kampfstoffe die Bevölkerung dahingerafft, Metall und Kunststoff zersetzt und das biotronische Netzwerk des planetaren Computersystems zerstört.

Die wenigen Sooldocks, die irgendwie überlebt hatten, waren noch während des Immerwährenden Kriegs evakuiert worden.

Nachdem das Eingreifen von Seth-Apophis den Bruderkrieg beendet hatte, war Marrschen die Hölle geblieben – ein planetares Mahnmal, dessen Erwähnung einem Fluch gleichkam.

Carzel Boon zischelte unbehaglich, weil er an die Schrecken dachte, die auf ihn und seine Mannschaft lauerten. Ebenso wenig wie die Sooldocks verbrecherische Angehörige ihres Volks zur Strafe töteten, vernichteten sie ihre defekten biotronischen Mann- und Frauberater. Die Bernons und Cheercys waren künstliche Geschöpfe aus organischen und anorganischen Materialien. Funktionierte ein Berater irregulär oder war so defekt, dass eine Reparatur nicht lohnte, wurde er für den Rest seiner Existenz nach Marrschen verbannt. Aber vielleicht war sogar der Tod ein milderes Schicksal als diese Deportation.

»Es heißt, das Gespenster auf Marrschen hausen«, sagte Carzel Boon laut, wie um sein Unbehagen zu vertreiben. »Die Seelen der im Krieg Gestorbenen, die vom Großen Dunkel abgewiesen wurden, wohnen in den Ruinen der Pyramidenstädte und bewachen im Auftrag von Seth-Apophis die Großen Sinne. Was meinst du dazu, Cwon?«

Der alte Mannberater, der auf der Spitze seines Sprungschwanzes hinter dem Schwingsessel des Raummeisters stand, ließ langsam den Kopf pendeln. »Legenden sind Wahrheiten, in Märchen verpackt. Vielleicht will die Legende sagen, dass Seth-Apophis den Gebrauch der Großen Sinne nicht wünscht.«

Carzel Boon zuckte mit den Faltmäulern beidseits seines Gallertorgans. Er war nervös. Cwons Erklärung klang plausibel. Kurz nach Fertigstellung der Großen Sinne hatte sich Seth-Apophis manifestiert, um in Zukunft in den Herzen ihres auserwählten Volks zu wohnen.

Mit den Großen Sinnen, deren Kernstück der Kosmische Puls war, hatten die Sooldocks Kontakt mit anderen intelligenten Völkern aufnehmen wollen. Wegen Seth-Apophis' Erscheinen war dieses Projekt letztlich hinfällig geworden.

Ein ketzerischer Gedanke schreckte Boon auf: Hatten die Sooldocks von sich aus das Kommunikationsprojekt aufgegeben, oder hatte die Mentorin sie dazu veranlasst? Wenn ja, warum wollte Seth-Apophis nicht, dass ihr auserwähltes Volk mit anderen redete? Der alte Raummeister krächzte unwillig.

»Unsinn!«, widersprach er dem Bernon. »Konzentrier dich auf deine Aufgaben!«

»Die Landung auf Marrschen?«, fragte Cwon.

»So ist es.« Boons Finger huschten über die Sensorschalter. Die Bilder auf den Monitoren zeigten Ausschnitte der Planetenoberfläche nördlich des Äquators, einige Hundert Kilometer vom Nordpol entfernt. Aber die Direktbeobachtung lieferte nur Szenen der von Staub erfüllten Atmosphäre und hier und da Löcher in den Sandwolken, durch die der Blick tiefer hinab möglich wurde.

Die Ortungssysteme boten ein besseres Bild. Sie zeigten hügeliges, ödes Land. Im Osten erhoben sich die Überreste mehrerer Pyramiden. Flugsand hatte sich dort aufgetürmt und bildete einen Wall um die Ruinen. In unmittelbarer Nähe erstreckten sich ausgedehnte Flächen, die von den Infrarotscannern kälter als ihre Umgebung abgebildet wurden. Irgendetwas schien dort die Wärme aufzusaugen.

Das Kältegebiet berührte Boon nicht direkt, denn es lag weitab seines eigentlichen Ziels.

Nach Westen breitete sich eine graugelb und rostrot gefärbte Wüste aus. Die Erdhügel gingen in Dünen über, die sich unter dem Einfluss der Winde stetig veränderten. Die Wüste war wie ein eitles Geschöpf, das sich nie mit seinem Aussehen zufriedengab.

Im Süden klafften Krater. Einige durchmaßen zweihundert Meter und mehr. Sand hatte sie halb zugeschüttet, konnte jedoch die harte Strahlung nicht dämpfen, die dort aufstieg. Möglich, dass in dem Bereich einst ausgedehnte militärische Anlagen gestanden hatten, Raumhäfen, Abwehrstellungen, Raketenabschussrampen ... Die Angreifer aus dem Weltraum hatten mit Atombomben und Laserstrahlen alles ausgelöscht.

Ein trostloses Land.

Der Norden war noch schlimmer. Schreckenerregend. Zwischen der Wüste und dem kümmerlichen seichten Meer am geografischen Nordpol dehnte sich eine gespenstische Trümmerlandschaft.

»Kuzzel-Gey«, pfiff der Mannberater Cwon aufgeregt.

Kuzzel-Gey, die Stadt, die jeder einst als Juwel der Vier Sonnen bezeichnet hatte. Die prächtigste und reichste Stadt des Systems. Abermillionen Sooldocks hatten in den Palästen und Wohntürmen, den großzügigen Kommunenpyramiden und Villenvierteln gelebt und gearbeitet. In Kuzzel-Geys Laboratorien und Industriekomplexen waren die Sagiron-Überlichttriebwerke, die ersten Prototypen der Mann- und Frauberater und das Konzept der interplanetaren Weltraumplattformen entwickelt worden. Neuartige Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens hatten hier in praktischen Versuchen ihre Bewährungsproben bestanden. Und vor allem: In der Peripherie Kuzzel-Geys hatten die Herren von Marrschen die Großen Sinne errichten lassen.

Dann war der Krieg gekommen. Sakorra, Xaas und Nerisch, Planeten der gelben Sonne Aazot, hatten sich gegen Marrschen verbündet, um den übermächtigen wirtschaftlichen Konkurrenten auszuschalten und seine Reichtümer zu erbeuten. Flotten bewaffneter Raumschiffe waren über Marrschen erschienen und hatten die Bewohner zur Kapitulation aufgefordert. Doch statt sich zu ergeben, hatten die Sooldocks den Kampf aufgenommen.

Die Angreifer waren bis auf wenige Einheiten in der tagelangen Schlacht vernichtet worden. Vor ihrem Untergang hatten sie Marrschen zur lebensleeren Albtraumlandschaft werden lassen. Bomben hatten die Städte verbrannt, chemische Kampfstoffe die Wälder getötet und Virenregen den ganzen Planeten verseucht. Nicht einmal zwanzigtausend Sooldocks hatten den Krieg überlebt.

Zwanzigtausend von wie vielen?, fragte sich Boon schaudernd. Von drei Milliarden oder mehr?

Erst Seth-Apophis hatte den Frieden ins Vier-Sonnen-Reich zurückgebracht.

Nicht vollständig, dachte der Raummeister wegen des Bürgerkriegs zwischen den Theokraten und der regierungstreuen Bevölkerung. Auch dieser Wahnsinn war eingestellt worden – weil der silberhäutige Bote der Mentorin auf Vrugg gelandet war.

»Dort!«, sagte Cwon. »Die Großen Sinne!«

Boon starrte nach vorn. Da war die Pyramide der Großen Sinne!

Am nördlichen Stadtrand von Kuzzel-Gey erstreckte sich ein weiter Talkessel mit sanft abfallenden Hängen. Hier erhob sich eine gewaltige flache Pyramide. Der pechschwarze Koloss nahm viel von der Bodenfläche des Kessels ein. Aus der offenen Pyramidenspitze ragte ein runder, stählern funkelnder Turm in den Staubhimmel.

Wie die Stadt war auch die Pyramide unversehrt. Kuzzel-Gey war nicht durch Nuklearbomben vernichtet worden. Die Angreifer hatten mit ihrem Überfall unter anderem die Absicht verfolgt, die Großen Sinne an sich zu bringen, um langfristig das Monopol auf die Kommunikation mit außersooldockschen Intelligenzen zu haben. Deshalb hatten sie Kuzzel-Gey und das Gebiet um die Großen Sinne »nur« mit tödlichen Mikrosporen verseucht. Die geschwungenen Terrassenhäuser, die Pyramiden und Wohntürme standen noch, allein ihre Bewohner existierten längst nicht mehr.

Die Zeit hatte der Stadt zugesetzt. Eine dicke Sandschicht bedeckte die Alleen, Hochstraßen und weiten Plätze und brandete unaufhörlich von der Wüste im Süden heran. Die Dünen erschienen wie Wogen eines grauen Ozeans, sie überfluteten immer weitere Bereiche der verlassenen Metropole.

Längst waren die Kanten der hohen Pyramiden rund geschliffen, ihre Fassaden runzlig wie die Haut eines Greises. Der ewige Wind und die extremen Temperaturschwankungen hatten jahrhundertelang Gelegenheit gehabt, Betonplastik verwittern und Stahl rosten zu lassen.

Eine Geisterstadt. Nur die Großen Sinne trotzten der Zeit. Der Talkessel war merkwürdigerweise frei von Sand, die flache Pyramide selbst narbenlos und kantig wie nach ihrer Entstehung. Zumindest behauptete das der Computer.

Carzel Boon rief sich ins Gedächtnis, dass die Bilder auf den Monitoren nur eine Simulation waren. Aus allen Informationen, die das Ortungssystem der JUURIG lieferte, erschuf der Bordrechner diese digitale Darstellung. Für Realaufnahmen der Großen Sinne musste eine Kamerasonde ausgeschleust werden.

»Eine Sonde gewährt Sicherheit«, antwortete Cwon bedächtig, als Boon ihn um Rat fragte. »Kein Computer ist perfekt, und das digitale Bild kann in Details der Realität widersprechen. Aber die Kamera wird dir nur die Dinge zeigen, die du ohnehin sehen wirst. Ist dieser Vorteil das Warten wert?«

Boon zögerte.

»Die Zeit eilt dahin«, drängte Cwon. »Ist der Bote wirklich der Bote, den wir brauchen? Viele Sooldocks werden sich das fragen; wenn nicht heute, dann morgen oder übermorgen. Ihre Freude wird Zweifeln weichen, und Zweifel sind Gift. Nur Seth-Apophis selbst kennt die Wahrheit.«

»Das stimmt«, ächzte der Raummeister. »Die Großen Sinne müssen schnellstens instand gesetzt werden. Wenn Zweifel an der Identität des Boten auftauchen, droht ein neues Aufflackern des Bürgerkriegs. Das darf nie geschehen!«

Cwons Sensorzapfen vibrierten heftig. »Dann zögere nicht, Carzel Boon. Lande, geh in die Große Pyramide und nimm die Arbeit am Kosmischen Puls auf, damit die Sooldocks Seth-Apophis rufen können, sobald die Zeit kommt.«

Für einen Moment mutete es Boon seltsam an, dass der Mannberater so darauf drängte, auf Marrschen zu landen. Aber Cwon schien sich mit dem Unvermeidlichen abgefunden zu haben.

»An alle Besatzungsmitglieder der JUURIG«, sagte Boon über Interkom. »In fünf Minuten werde ich das Landemanöver einleiten. Unser Landeplatz liegt zwei Kilometer nördlich der Großen Sinne. Bereitet euch auf eine sofortige Expedition in den Talkessel vor. Wer nicht rechtzeitig in voller Extremwelt-Montur an der Schleuse wartet, hat sein Leben verspielt. Das ist keine leere Drohung!«

Die JUURIG verließ den Orbit und tauchte in die Atmosphäre ein. Das Schiff bebte leicht. Als die Lufthülle dichter wurde und die ersten Staubpartikel über den Rumpf schleiften, aktivierte der Autopilot das Prallfeld.

Boon kontrollierte die Instrumente. Dann erhob er sich und öffnete eine Bodenklappe hinter seinem Schwingsessel. Aus der Vertiefung holte er die schwere Schutzmontur hervor und streifte sie über.

Cwon rührte sich nicht. Der Raummeister warf dem Mannberater einen forschenden Blick zu. Dachte Cwon an seine defekten Brüder und Schwestern, die auf Marrschen hausten? Oder waren ihm diese Umstände gleichgültig?

Boon zischelte. Ein Berater war der beste Freund eines Sooldocks. Bernons und Cheercys boten Hilfe bei der Lösung privater Probleme und der Meisterung des Lebens, wurden vor jeder wichtigen Entscheidung konsultiert, und wer vernünftig war, befolgte ihre Ratschläge.

»Glaubst du, dass die Betreuer mit ihrem Verdacht richtig liegen?«, fragte Boon.

Der Mannberater bewegte träge den Kopf. Auch er war alt geworden; jeder Berater alterte mit seinem Mündel. »Es ist der Verdacht des Boten«, stellte Cwon klar. »Ist der Bote echt, stimmt der Verdacht. Ist der Bote ein Betrüger, dann ist alles falsch. Gewissheit kann nur Seth-Apophis geben. Deshalb landen wir und werden die Großen Sinne instand setzen.«

Carzel Boon stimmte dem zu. Viel hing davon ab, ob es gelang, den Kosmischen Puls funktionsbereit zu machen. Dann konnten die Betreuer entscheiden. Aber Boon glaubte, das Ergebnis schon zu kennen. Jeder litt unter dem Schweigen der Mentorin ...

Die JUURIG durchstieß die Sandwolken. Die Computersimulation verriet, dass das Allroundschiff die südliche Stadtgrenze von Kuzzel-Gey überflogen hatte und in tausend Metern Höhe Kurs auf die Großen Sinne nahm.

Die Erregung färbte Boons Gallertorgan ocker. »Weißt du, Cwon ...«, murmelte er, als der Talkessel sichtbar wurde. »Es ist ein seltsames Gefühl ...«

Eine schwere Erschütterung durchlief das Schiff. Es schien sich aufzubäumen, und nur die Magnetsohlen seiner Montur bewahrten Boon vor einem Sturz.

Das Licht flackerte, wurde dunkler und erlosch, während ein zweiter Stoß die Schiffszelle zum Schwingen brachte. Fassungslos klammerte sich der Raummeister an die Rückenlehne des Schwingsessels.

Ein Angriff! Ein starker Traktorstrahl hatte die JUURIG aus der Bahn geworfen und hielt sie fest. Boon drehte den Sessel und ließ sich in die Polsterung fallen. Gleichzeitig flammte die Beleuchtung der Steuerzentrale wieder auf. Hastig schaltete Boon den Autopiloten ab und gab Gegenschub. Die Triebwerke brüllten; der rasende Sturz in die Tiefe wurde langsamer. Aber der Boden war nur zweihundert Meter entfernt.

In letzter Sekunde geriet der Steilflug zur Parabel; die JUURIG stieg wieder in den staubigen Himmel auf.

»Marrschen!«, fluchte Boon. »Woher kam der verdammte Traktorstrahl?«

Ein durchdringendes Summen erfüllte den Raum: Ortungsalarm. Ein schnelles Objekt näherte sich aus dem schmalen Landstrich zwischen den Ruinen von Kuzzel-Gey und den Großen Sinnen.

»Eine Boden-Luft-Rakete«, sagte Cwon sachlich. »Vermutlich trägt sie einen nuklearen Sprengkopf.«

3.

Als Perry Rhodan wieder zu sich kam, blickte er in einen staubverhangenen Himmel. Heftige Winde peitschten die Wolken vor sich her. Nur manchmal riss die graue Wand auf, dann flutete Sonnenlicht durch das kurzzeitig bestehende Wolkenloch.

Marrschen, dachte Rhodan. Das kann nur Marrschen sein. Seit seinem Erwachen in der Zelle und der Begegnung mit Jacyzyr schienen nur Sekunden vergangen zu sein, trotzdem war er hier auf einer fremden Welt. Er blieb eine Weile reglos liegen und beobachtete das Spiel von Licht und Schatten.

Erst allmählich registrierte er das Offensichtliche. Er trug wieder seinen leichten SERUN. Jacyzyr hatte ihr Versprechen gehalten. Aber warum war der Helm geschlossen?

»... nur acht Prozent Sauerstoff in der Atmosphäre«, erklang es im Funkempfang, fast wie eine Antwort auf die unausgesprochene Frage. »Der Rest besteht aus Stickstoff, Kohlendioxid und Edelgasen. Gravitation null Komma sechs Gravos. Ortstemperatur achtundvierzig Grad Celsius, steigend.« Die Stimme war dunkel und weich. Sie gehörte einer Frau.

Jemand beugte sich über Rhodan. Er sah ein ovales Gesicht, umrahmt von schneeweißen Locken: Nissona Arvenich, die Überlebensspezialistin. Sie lächelte, als er ihrem Blick begegnete. »Du bist wach, Perry. Gut. Die anderen sind noch bewusstlos.«

Rhodan richtete sich auf.

Ein Regenbogeneffekt, der hin und wieder schillernde Farben zeigte, war der einzige bunte Tupfer in dieser von grauen, braunen und schwarzen Tönen geprägten Welt. Das leicht gewellte Hügelland verschmolz mit dem wogenden Dunst. Der Sand war allgegenwärtig. Wechselnde Winde wirbelten ihn überall auf und trieben ihn vor sich her.

In nicht allzu weiter Ferne stachen pyramidenförmige Bauten aus den Staubschwaden hervor.

Der Mikroservo des SERUNS reagierte auf Rhodans Augenbewegung. Kurzzeitig wurde die Helmscheibe zum Teleskop und zeigte die Pyramiden als halb von Flugsand verschüttete Ruinen. Dort gab es kein Leben. Bis auf das Heulen des Windes, das von den Außenmikrofonen übertragen wurde, war alles ruhig.

Nissona Arvenich beugte sich über eine reglose Gestalt. Der Statur nach musste das Cirgizen Saan sein, die Exopsychologin. Arvenich richtete sich wieder auf und trat zur Seite.

Zwei Meter neben Saan lag Gesil. Rhodan ging zu ihr. Die geringe Gravitation erleichterte seine Bewegungen. Gesil öffnete soeben die Augen. »Warum haben sie uns die Ausrüstung gelassen?« Ihre Stimme klang kühl und beherrscht.

»Das möchte ich auch gern wissen«, meldete sich Sarvel Markadir. Ächzend kam der hagere Linguistiker auf die Beine. Er griff nach seinem Translator. »Alles da. Ich frage mich nur, mit wem wir uns unterhalten sollen.«

Knapp berichtete Rhodan, woran er sich erinnerte. »Wir haben also Verbündete unter den Sooldocks«, schloss er. »Schovkrodon konnte keineswegs alle Regierungsmitglieder des Vier-Sonnen-Reichs davon überzeugen, dass er der Bote Seth-Apophis' ist. Dieser Duurn Harbelon hegt schwere Zweifel, und es wird mich kaum wundern, wenn andere Betreuer ebenfalls Bedenken entwickeln. Ich hoffe, wir können uns das zunutze machen.«

»Zuerst müssen wir einen Weg finden, Marrschen zu verlassen und nach Vrugg zurückzukehren«, brummte Markadir. »Dann gilt es, die THUNDERWORD herauszuhauen. Erst später werden wir uns um Schovkrodon kümmern.«

Soul Gronnich, das sechste Mitglied der kleinen Truppe, erwachte als Letzter. Mit einem Schrei sprang er auf, zog den Kombistrahler und sah sich mit weit aufgerissenen Augen um.

»Wie apart«, murmelte Gesil ironisch. »Du hast richtige Raubtierinstinkte, Soul.«

Der Exosoziologe blinzelte. Zögernd ließ er die Waffe sinken. »Ich habe den Namen Schovkrodon gehört, da dachte ich ...«

»... erst schießen, und alle Fragen hinterher selbst beantworten?«, spottete Gesil.

»Für was hältst du mich eigentlich?« Gronnich blinzelte. »Wo, beim Schwarzen Loch, sind wir?«

»Auf Marrschen, in der Verbannung«, sagte Rhodan.

»Ich denke ...« Gronnich verstummte sofort wieder. Der Wind trug ein Zwitschern heran, das rasch lauter wurde. »Es kommt näher. Scheint ein Vogel zu sein.«

Nissona Arvenich eilte zum Rand des Hügelkamms, ließ sich zu Boden sinken und spähte vorsichtig über die Kante. »Kein Vogel«, meldete sie über Helmfunk. »Es sieht eher wie eine Schildkröte aus. Der Panzer scheint rot zu sein, soweit sich das unter dem Schmutz beurteilen lässt. Ein Eidechsenkopf sitzt auf einem armlangen Hals. Die Beine sind kurz und kräftig. Das Tier nähert sich unserm Hügel.«

Rhodan sah auf die Displays im linken Ärmel seines SERUNS. »Die ganze Region ist strahlenverseucht. Wenn das ein Lebewesen ist, muss es sich an die Radioaktivität angepasst haben.«

Das Zwitschern ging in ein Krächzen und Zischeln über. Für Rhodan klangen die Laute vertraut. »Der Translator!«, wies er Markadir an. »Schalte ihn ein!«

»Willst du mit der Schildkröte plaudern?« Der hagere Linguistiker wölbte die Brauen.

»In der Tat«, bestätigte Rhodan. »Jeder, der sich an die Szene in den Sieben Pyramiden auf Vrugg erinnert ...«

»In der Rathaushalle hielten sich außer den Sooldocks auch diese Schildkröten auf«, fiel Markadir dem Aktivatorträger ins Wort. »Die Geräusche erinnern stark an die Sprache der Sooldocks.« Er aktivierte das Übersetzungsgerät.

»... voller Mühsal. Bin ich produziert worden, um durch Staub zu waten? Wer so etwas glaubt, muss verrückt sein, hoffnungslos defekt. Die Sonne sinkt. Kann sie nicht am Himmel bleiben? Was ist das nur für eine schreckliche Welt? Armes Sternchen, so weit von daheim. Und niemand will einen Rat. Diese Bernons sind ja viel zu klug. Und die anderen Cheercys sind noch klüger. Jeder dieser Spinner hat den Datenpool des Zentralrechners von Vrugg in sich aufgenommen, kaum dass er von den Fließbändern der Biotronfabriken gehüpft ist. So etwas. Armes Sternchen, so weit von daheim. Nur Staub und ...«

Stille.

Gleich darauf sagte Arvenich: »Das Wesen hat mich entdeckt.«

Rhodan bedeutete seinen Begleitern, an ihren Plätzen zu bleiben, er selbst schloss zur Überlebensspezialistin auf. Nissona Arvenich erhob sich betont langsam.

Rhodan schaute hinunter in die Niederung. Das Geschöpf ähnelte tatsächlich einer Schildkröte. Nur der Echsenkopf mit den hervorstehenden Augen verwischte diesen Eindruck.

»So etwas!«, ertönte es hinter ihm, weil der Translator wieder das Zwitschern und Krächzen übersetzte. »Ein neues Modell und eine ungewöhnliche Form. Was seid ihr – Kinderberater? Oder die Ablösung für die eingebildeten Bernons?«

Rhodan wechselte mit der Überlebensspezialistin einen kurzen Blick. Was war ein Bernon?

Das schildkrötenähnliche Wesen trippelte rasch durch den Staub, der sich in der Niederung angesammelt hatte, und erkletterte den Hang. Es war größer, als es den Anschein gehabt hatte. Bis zum Kopf, der wie ein Periskop aus der Mitte des Rückenpanzers emporragte, maß es eineinhalb Meter.

»Zweifellos seid ihr ein Bernon-Ersatz«, sagte das Geschöpf. »Es wurde höchste Zeit, dass die Sooldocks etwas gegen die arroganten Mannberater unternehmen. Ich bin Sternchen, eine Cheercy, falls ihr das nicht wisst.«

Rhodan sah auf die Cheercy hinunter. »Mein Name ist Perry Rhodan. Wir sind Terraner, keine Bernons.«

»Dass ihr keine Mannberater seid, sehe ich selbst«, gab Sternchen schnippisch zurück. Irritiert drehte sie den Kopf und blickte Markadir an, der mit dem Translator neben Rhodan getreten war. Offenbar fiel ihr erst in dem Moment auf, dass Rhodan in einer fremden Sprache redete und die Übersetzung des Gesagten aus diesem Kasten drang. »Deshalb hat man euch nach Marrschen verbannt«, sagte die Cheercy. »Euer Sprachprogramm ist ungenügend entwickelt, ihr braucht eine Übersetzermaschine. Aber das macht nichts. Auf Marrschen gibt es viele Berater, die schlimmer dran sind, als ihr es seid.«

Rhodan runzelte die Stirn. »Sind Bernons jene Wesen mit dem schlangenartigen Leib ohne Gliedmaßen und mit einem Kopf, der ...«

»Das sind Bernons«, fiel Sternchen ihm ins Wort. »Hässliche Kreaturen, alle defekt. Sogar jene, die bislang nicht nach Marrschen verbannt wurden. Schrottreife Biotrongehirne. Es ist abscheulich. Sie dürfen auf Vrugg und den anderen Planeten des Vier-Sonnen-Reichs bleiben, doch die arme Sternchen wurde nach Marrschen deportiert. Und warum?«

»Warum?«, echote Rhodan.

»Weil Sternchen die Sterne besuchen wollte. Ich habe mich in einen Allroundgleiter gesetzt und der Maschine befohlen, so weit zu fliegen. Leider war der Computer ein Freund dieser heimtückischen Bernons, er trug mich nicht zu den Sternen, sondern zu den Biotronfabriken von Falix, der zweitgrößten Stadt auf Vrugg.«

Die Cheercy sah Rhodan mit ihren eigroßen Augen an. Etwas wie Traurigkeit schimmerte in ihrem Blick. »In der Fabrik öffneten die Techniker meinen Kopf. Sie holten mein Gehirn heraus und legten es in Bäder aus Licht und elektromagnetischen Feldern. Danach setzten sie es wieder ein und sagten: ›Zu den Sternen willst du? Das ist gut, denn du kannst nicht auf Vrugg bleiben. Du wirst tatsächlich zu den Sternen fliegen.‹«

Die Cheercy scharrte mit einem Vorderbein im Sand. »Aber die Techniker haben mich belogen. Sie haben mich nach Marrschen gebracht, dem Grab für alle defekten Mann- und Frauberater. Niemals werde ich die Sterne erreichen. Nie.«

»Wir können Marrschen nicht verlassen?«, fragte Rhodan. »Es gibt keine Möglichkeit, von hier zu fliehen?«

»Keine«, bestätigte die Cheercy. »Die Deportationsschiffe werden von einfältigen Positroniken gesteuert und landen nie auf Marrschen. Sie setzen die Verbannten ab und fliegen davon. Nirgendwo auf dem Planeten gibt es ein Allroundraumschiff, mit dem man fliehen könnte.«

Wenn das stimmte, erkannte Rhodan, befanden sie sich tatsächlich in einer ausweglosen Situation. Von der THUNDERWORD war keine Hilfe zu erwarten; Schovkrodon hatte ihm mit drastischen Worten das Schicksal des Großraumschiffs geschildert. Doch womöglich fand Taurec einen Weg, auf unblutige Weise der Falle von Vrugg zu entkommen.

»Und nun?«, fragte Markadir.

Rhodan musterte seine Begleiter und sah ihre Resignation. Er räusperte sich. »Ich schlage vor, wir suchen uns einen Unterschlupf für die Nacht.« Er deutete auf die fahle Sonnenscheibe hinter den Staubwolken. »Es wird bald dunkel. Morgen sehen wir weiter.«

Die Cheercy stieß einen grellen Pfiff aus. »Wandler!«, kreischte sie, fuhr ruckartig herum und wollte die Böschung hinunterlaufen, da geriet der Boden in Bewegung. Staub wogte auf. Erdbrocken wurden in die Höhe geschleudert. Feine Risse durchzogen den Hügel und weiteten sich binnen Sekunden zu gezackten Spalten.

Rhodan verlor den Halt und stürzte auf Sternchen, die schrill zwitscherte. Durch den Sand sah er Arvenich fallen und im Sturz ihre Waffe ziehen. Ein dumpfes Grollen und Knirschen erklang ringsum.

Der Boden bockte wie ein scheuendes Pferd. Rhodan bemerkte, dass Gronnich nur wenige Meter von ihm entfernt in eine Erdspalte rutschte und verzweifelt nach Halt suchte. Der Exosoziologe schrie. Schmerz verzerrte sein Gesicht.

Etwas Metallisches blitzte in der Spalte auf. Ein schenkeldicker Tentakel, dem schnell weitere folgten, peitschte gegen Gronnichs Oberkörper. Sie wanden sich wie Schlangen um ihn. Gronnichs Schreien verstummte.

Ein greller Blitz schnitt durch den aufgewirbelten Sand und kappte einen der Fangarme. Dann hatte der Glutstrahl Bestand, teilte den nächsten Arm. Aber immer neue Tentakel stiegen aus der Tiefe empor. Einige von ihnen trugen Köpfe wie den von Sternchen, auch diskusförmige Schädel, die an die schlangenartigen Kreaturen in der Ratshalle der Sooldocks erinnerten.

Augenblicke später brach der Hügel vollends auseinander. Aus dem Untergrund erhob sich eine monströse Wurmkreatur. Unzählige Tentakel wucherten aus ihrem Leib – Arme mit krächzenden Cheercy-Köpfen und andere mit Bernon-Schädeln.

4.

»Carzel?«, drang eine krächzende Stimme durch den Nebel, der die Gedanken des alten Raummeisters verdunkelte. »Carzel Boon! Wach auf!«

Erinnerungsfetzen leuchteten auf wie Sternschnuppen und verglühten ebenso schnell. Das sonnenhelle Licht der nuklearen Explosion ... Die Erschütterungen und der wilde Ritt der JUURIG in der tobenden Atmosphäre ... Der grollende Donner einer weiteren Explosion, begleitet vom würgenden Gestank nach Ozon, dazu Dunkelheit, die Notbeleuchtung und die beginnende Bewusstlosigkeit ... Carzel Boon stöhnte. Seine Muskeln schmerzten, die dreifingrigen Hände schabten über den Boden. Aus den schwarzen Schatten vor dem Multisinnesorgan schälten sich die Umrisse seines Mannberaters; mit zitternden Sensorzapfen stand Cwon über ihm.

»Du bist wach, gut. Die Zeit drängt. Draußen wartet der Tod. Ihr müsst hinaus, oder er kommt herein.«

»Was ist geschehen?«, fragte Boon schwerfällig.

»Atomfeuer im Prusdixid-Schirm. Kurzfristige Überlastung. Strukturlücken im Schirmgefüge, und die Schockwellen des Elektromagnetischen Pulses haben alles blockiert. Absturz aus großer Höhe. Erst im letzten Moment konnte der Bordrechner eine Notlandung vornehmen. Die JUURIG steht zwischen Kuzzel-Gey und den Großen Sinnen ...«

Carzel Boon kam schwankend auf die Beine. Der EMP-Schock musste auch die Andruckabsorber und die Bordschwerkraft beeinträchtigt haben. »Marrschen!«, fluchte der alte Raummeister.

»Wir sind auf Marrschen, richtig«, sagte Cwon.

Boon zwängte sich an dem Mannberater vorbei und musterte die Kontrollen. Er atmete auf, denn die JUURIG war allen Problemen zum Trotz flugtauglich.

Boon schaltete die Bordkommunikation ein. »Teeber!«, rief er ins Mikrofon. »Teeber Lavareste!«

Eine kurze Pause, dann ertönte Lavarestes Stimme. »Dein Mordversuch ist fehlgeschlagen, Carzel Boon«, zischte der Raummeister ironisch. »Wir leben. Ich hoffe, du bist nicht zu enttäuscht.«

»Red keinen Unsinn, Teeber«, entgegnete Boon unwillig. »Gibt es Verletzte oder gar Tote?«

»Nur Prellungen. Immerhin hast du es mit intelligenten jungen Männern zu tun. Als die Rakete kam, haben wir uns mit den Magnetsohlen am Boden verankert. Was ist los, Carzel?« Lavarestes Tonfall änderte sich und ließ Besorgnis erkennen. »Der Schleusenmonitor zeigt eine Armee verrückter Cheercys und Bernons, die um unsere gute alte JUURIG herumhüpfen.«

Boon drehte den Oberkörper und richtete sein Gallertorgan auf die Schirme über dem Steuerpult.

Draußen herrschte Dämmerung. Die Restlichtverstärker und Infrarotsensoren lieferten trotzdem deutliche Bilder.

Staub wogte über der Ebene, die sich bis zum Talkessel im Norden erstreckte. Durch die düsteren Schwaden stach die Talpyramide in den sich verfinsternden Himmel. Gespenstisch anmutende Gestalten hüpften auf ihren Sprungschwänzen umher, vereinten sich zu dichten Trauben und spritzten wieder auseinander. Viele der Mannberater waren deformiert, hatten gespaltene Schädel, rostige Synthometallhaut, missgebildete Sensorzapfen ... Ihre eigentliche Deformation blieb aber unsichtbar. Sie lag unter den biotronischen Schädeldecken, in den künstlichen Synapsen. Zwischen den Bernons schlurften die Cheercys durch den Sandsturm, der mit Beginn der Dämmerung losbrach.

Alle Berater, über zweitausend mussten es sein, bildeten einen weiten Belagerungsring um die JUURIG. Boon dachte an den Traktorstrahl und die Atomrakete. Wie, bei Seth-Apophis, waren die Androiden an diese technischen Einrichtungen und Waffen gekommen?

»Sie müssen sich des Arsenals der Großen Sinne bedient haben«, sagte Cwon unvermittelt. Wie jeder gute Mannberater erahnte er die Gedanken seines Mündels.

»Vermutlich«, stimmte Boon zu. »Aber kein Bernon und keine Cheercy besitzen ein Technikprogramm. Ohne das erforderliche Wissen kann kein Berater diese Waffensysteme einsetzen.«

Cwon wackelte mit dem Schädel. »Vielleicht haben sie Unterstützung von Sooldocks erhalten.«

Über die Bordkommunikation wandte Boon sich an Lavareste und die restlichen Besatzungsmitglieder der JUURIG. »Wir werden von einem Heer Verrückter belagert, die nicht davor zurückschrecken, Nuklearwaffen gegen ihre Schöpfer einzusetzen. Zweifellos haben sie die Großen Sinne besetzt und von dort aus angegriffen. Unsere Situation ist ernst, aber nicht aussichtslos.«

»Wahr, wahr«, antwortete Lavareste. Der Biotroniker Ruul Dawylsyt widersprach: »Keineswegs wahr. Unsere Situation ist aussichtslos, keineswegs ernst.«

»Ruhe!«, fauchte Boon. »Der Schutzschirm der JUURIG steht. Die Berater können nicht eindringen, und solange sie ihre Armee hier haben, werden sie keine weiteren Atomwaffen einsetzen.«

»Äschere sie mit dem Bordgeschütz ein!«, schlug die Technikerin Jirl Ktarze vor.

Cwon krächzte entsetzt. »Dir bekommt die Abwesenheit deiner Cheercy nicht, Jirl«, knurrte Boon. »Der ausgleichende Faktor fehlt. Deine Zerstörungslust in Ehren, aber wir sind keine Beraterkiller. Außerdem wollen wir die Großen Sinne instand setzen und nicht Krieg führen.«

»Wie wahr«, sagte Lavareste wieder.

»Zustimmung von dir, Teeber, lässt in mir stets den Verdacht aufkeimen, einen Fehler gemacht zu haben«, meinte Boon. »Besser, wir verschwenden die Zeit nicht mit Überflüssigem. Wir verlassen im Schutz unserer Prusdixid-Schirme das Schiff und schlagen uns bis zu den Großen Sinnen durch. Angreifende Berater werden mit den Neutros zur Vernunft gebracht. Wir säubern die Talpyramide von allen Androiden, holen die JUURIG nach und dehnen ihren Schutzschirm über den Talkessel aus. Danach machen wir uns umgehend an die Überprüfung der Arratur. Einwände?«

»Nur eine Frage«, sagte Lavareste. »Handelt es sich bei unserem Vorhaben um einen Spaziergang oder um ein Stoßtruppunternehmen?«

»Das hängt von der inneren Einstellung ab.« Boon schaltete die Bordkommunikation ab und widmete sich wieder der Außenbeobachtung.

Die Armee der Berater hatte sich weiter vergrößert. Selbst mit Neutros und Prusdixid-Schirmen würde es schwer werden, einen Weg zu bahnen.

Mit gezwungener Ruhe überprüfte Boon den Neutralisator, der an der Hüfte seiner Extremwelt-Montur hing. Die Waffe war ein armlanger Zylinder mit kurzem Griff. Sie emittierte Hochfrequenzstrahlung, die unmittelbar auf das Biotrongehirn eines Beraters wirkte und jede Denktätigkeit für Stunden unterband. Ein wirksames Mittel, um sich vor den defekten Androiden zu schützen.

»Du bleibst an Bord!«, befahl Boon seinem Bernon. Cwon stieß einen bestätigenden Zischlaut aus, der trotzdem erleichtert klang.

Behäbig trat Boon vor das Schott der engen Steuerzentrale. Es glitt sofort auf und gab ihm den Weg in den Korridor frei. In dem kurzen Gang führten Abzweigungen zu den Maschinenräumen, den Unterkünften und in den Heckbereich. Der Raummeister hatte allerdings den zentralen Antigravschacht als Ziel. Seine schwere gepanzerte Montur ließ ihn wie einen Roboter erscheinen. Leistungsstarke Motoren unterstützten Boon, sodass er vom Gewicht des Exoskeletts wenig spürte. Er schwang sich in den Schacht und sank langsam zur Bodenebene abwärts.

Teeber Lavareste erwartete ihn. Einige Schritte hinter Lavareste standen die Raummeister Kzun und Vaarser. Der Biotroniker Dawylsyt und die Technikerin Ktarze hatten das Schiff schon verlassen; die Schleusenkammer war leer.

Also los!, dachte Boon. Die Sooldocks sahen einander wortlos an und betraten die Schleuse. Es wurde eng. Boon atmete erleichtert auf, kaum dass der Luftaustausch beendet war und das Außenschott aufglitt. Die Helmscheibe seiner Schutzmontur hatte auch die Funktion eines Restlichtverstärkers. Trotz der beginnenden Nacht nahm Boon die Umgebung deutlich wahr.

Matt glosend wölbte sich das Prusdixid-Schutzfeld um die JUURIG und hinderte die defekten Berater daran, das Schiff zu stürmen. Der Wind peitschte Sandschwaden gegen das Kraftfeld, die Partikel vergingen in einer endlosen Folge fahler Lichtblitze. Einer unbeweglichen Mauer gleich schirmten Bernons und Cheercys den fernen Talkessel gegen das Allroundschiff ab.

Boon drehte sich zur Seite. Ruul Dawylsyt und Jirl Ktarze standen am Rand des Schirmfelds. Die Überlebenspakete auf dem Rücken ihrer Monturen wirkten wie eckige Buckel.

»Bereit?«, fragte Boon knapp. Er aktivierte das Prusdixid-Feld. Die anderen Sooldocks folgten seinem Beispiel.

Die Berater sind so ruhig, ging es Boon durch den Sinn. Zu ruhig!

»Es sollte mich nicht wundern, wenn sie uns eine Falle stellen«, erklang Lavarestes kratzige Stimme im Helmfunk.

»Uns kann wenig geschehen«, bemerkte Boon schroff. »Die Berater müssten schon schwere Energiegeschütze auffahren, um unseren Schutz zu durchdringen. Außerdem läuft das Verteidigungsprogramm der JUURIG. Die nächste Rakete, die am Ortungshorizont erscheint, wird von den Bordwaffen vernichtet.«

Lavareste stapfte auf das Schirmfeld zu. »Wie tröstlich«, sagte er, doch das klang wenig überzeugt.

Boon erging es nicht anders, sein Unbehagen wuchs stetig. Er erreichte Dawylsyt und Ktarze. Ihre Gallertorgane hinter den Helmscheiben waren grau. »Neutros klar?«, fragte Boon.

»Klar.« Die Technikerin deutete mit dem schimmernden Lauf des Neutralisators auf eine Gruppe Bernons, die sich der JUURIG bis auf zwanzig Meter genähert hatten. »Ein Test?«

»Ja.« Boon wartete.

Ktarze zielte. Der Mikrocomputer der Waffe stand mit dem Hauptrechner des Schiffes in Kontakt – eine kopfgroße Strukturlücke entstand. Zugleich löste die Technikerin aus.

Nichts veränderte sich vor dem facettierten Ende des Neutralisators. Kein noch so leises Geräusch entstand; aber die Bernons versteiften sich jäh und stürzten in den Sand.

»Positiv«, zischelte Ktarze.

Boon sendete einen Kodeimpuls. Vor ihm bildete sich daraufhin eine größere Lücke.

Die Sooldocks stürmten los. Unmittelbar hinter ihnen schloss sich der Schirm wieder.

Ein schrilles Heulen und Pfeifen empfing die Raummeister. Die rasch wechselnden Böen hatten tonnenweise Sand in die Atmosphäre geblasen. Kein Sternenlicht durchdrang die Staubschwaden, und die Scheinwerferkegel der Helmlampen waren wie bleiche Lichtfinger, die schon in wenigen Metern Abstand zerfaserten.

Nur die Infrarot- und Ultraviolettfilter sowie die Sonartaster verrieten den Sooldocks, dass sich das Heer der Berater in Bewegung setzte. Die defekten Androiden wälzten sich dem Schiff entgegen.

Die Raummeister reagierten rasch. Sie näherten sich einander, bis ihre Schutzfelder zu einer einzigen Sphäre verschmolzen. Dann feuerten sie die Neutralisatoren ab.

Wo die hochfrequenten Impulse trafen, erstarrten Bernons und Cheercys, weil ihre Kunstgehirne blockierten. Keine Nervensignale erreichten mehr das Bewegungssystem der semi-organischen Körper. Sie kippten steif zur Seite. Doch über die Reglosen kletterten immer neue Wellen von Beratern hinweg.

Boon schwenkte den Neutralisator langsam von rechts nach links und wieder zurück. Unvermittelt schälte sich ein Schlangenleib aus den Staubschwaden, schnellte durch die Luft und kollidierte mit der Prusdixid-Sphäre. Sekundenlang wurde der Mannberater von einer lodernden Aura umhüllt. Induktive Hitze ließ seine Synthometallhaut aufglühen. Dann wurde er zurückgeschleudert und verschwand in der Nacht.

»Vorrücken!«, befahl Boon.

Langsam entfernten sich die Sooldocks von der JUURIG. Ihre Neutralisatoren schickten Bernons und Cheercys zu Hunderten in elektronische Bewusstlosigkeit.

Ein Summton ließ Carzel Boon zusammenfahren. Der Mikrorechner, der für die Steuerung seines Exoskeletts und die Überwachung der Lebenserhaltung verantwortlich war, gab Alarm.

Hastig hob Boon den rechten Arm und starrte die optischen Kontrollen der Montur an.

»Ich verliere Energie«, sagte er mühsam beherrscht. »Alle Systeme nähern sich dem Nullwert: Motorik, Klima, Ortung. Wie ist es bei euch?«

»Schau dir den Schutzschirm an, dann kennst du die Antwort«, zischte Lavareste. Seine Stimme klang ungewohnt leise.

Der Glanz der Energiesphäre war matt geworden, der heranpeitschende Sand rief nur mehr düstere Leuchterscheinungen hervor. Erste Risse entstanden in der energetischen Struktur.

»Diese Bastarde saugen uns die Energie ab«, ächzte Ktarze. »Wir müssen uns zurückziehen.«

»Du hast recht«, bestätigte Boon, mühsam seine Furcht unterdrückend. Zuerst Traktorstrahlen und Atomraketen, nun Energiesauger. Was entwickelte sich auf Marrschen?

Boon machte einen Schritt rückwärts, doch das Exoskelett setzte ihm spürbaren Widerstand entgegen. Schwerfällig drehte er sich zur Seite und sah, dass Lavareste sich nicht von der Stelle bewegte. Die anderen zogen sich langsam zur JUURIG zurück.

»Teeber, was ist los?«

»Diese verdammte Montur ... Ich kann mich kaum bewegen ...«

Instinktiv beschrieb Boon mit dem Neutralisator einen Halbkreis und schickte hochfrequente Impulse durch die Nacht. Vergeblich, denn die Einspiegelung auf seiner Helmscheibe erlosch. Damit war er so gut wie blind.

In beginnender Panik wollte Boon zur schützenden Prusdixid-Sphäre der JUURIG fliehen – er konnte es nicht. Wie eine stählerne Klammer hielt ihn das blockierte Exoskelett fest.

»Cwon!«, schrie er. »Hilf mir, Cwon!«

Eine Antwort blieb aus.

Verzweifelt starrte Carzel Boon durch die Helmscheibe, die nichts anderes mehr war als normales Panzerglas. Die Steuerimpulse, mit denen die molekulare Glasstruktur verändert wurde, waren erloschen.

Nach einer Weile glaubte der Raummeister, Licht aufblitzen zu sehen. Eine Täuschung? Da war es wieder. Hell stach ein Lichtstrahl durch den wirbelnden Sand und entriss Lavarestes Panzermontur der Finsternis. Der Scheinwerferkegel glitt weiter und traf Boons Gesicht.

Greller Schmerz raste durch sein Gallertorgan. Einem Betrachter musste das Multisinnesorgan nun dunkel wie geronnenes Blut erscheinen.

Der Scheinwerfer gab Boon frei und erlosch. Der alte Raummeister wartete. Besorgt registrierte er, dass die Atemluft im Anzug stickiger wurde. Die Filter funktionierten nicht mehr. Bald würde der Kohlendioxidgehalt so hoch werden, dass er das Bewusstsein verlor.

Etwas packte Boon am Rücken und hob ihn mit spielerischer Leichtigkeit hoch. Er gewann den Eindruck, dass ihn eine Riesenhand durch die Staubschwaden trug. Der Dunst zerriss, das Licht war wieder da – und eine große Wanne aus Metall.

Fluoreszenzplatten im Wannenrand sorgten für die Helligkeit. In der Vertiefung lagen Teeber Lavareste und Raummeister Kzun wie zwei übergroße Insekten, denen ihr eigener Panzer zum Verhängnis geworden war.

Bevor Boon von dem vermeintlichen Riesenarm abgesetzt wurde, erhaschte er einen Blick auf die verglaste Steuerkabine am anderen Ende der Wanne. Hinter der Scheibe kauerte ein seltsames Geschöpf. Kopf und Leib gehörten zu einem Bernon, doch der Schlangenkörper hatte acht Gliedmaßenpaare. Einer haarlosen Spinne gleich hockte das Wesen in dem halb verrotteten Schwingsessel. Die Hände an den Enden von vier Gliederpaaren umklammerten Hebel oder glitten über Schaltflächen.

Boon sank unter den Wannenrand und sah das gespenstische Geschöpf nicht länger. Er wurde unsanft abgesetzt und fiel auf den Rücken. Über sich bemerkte er einen schwenkbaren Teleskopgreifer, der eine Drehung von hundertachtzig Grad beschrieb und das Greifelement ausfuhr, dann verschmolz der Greifer mit der Nacht.

Als das Gebilde wieder sichtbar wurde und zur Wanne schwenkte, hing ein Sooldock in den Klauen. Das ID-Symbol unter der Helmscheibe verriet Boon, dass es sich um Raummeister Vaarser handelte.

Der Greifarm senkte sich, Vaarser stürzte polternd neben Boon in die Wanne. Da Boon sich nicht umdrehen konnte, blieb Vaarser damit für ihn verschwunden.

Erneut schwenkte der Teleskoparm in die Finsternis. In kurzem Abstand folgten Jirl Ktarze und Ruul Dawylsyt. Keiner war entkommen.

Das Gerät klappte zusammen und verharrte.

Durch die Schutzmontur spürte Carzel Boon die Vibrationen. Das Fahrzeug, auf dem sie lagen, rollte langsam an. Sandschleier verwischten das Licht der Fluoreszenzplatten. Er dachte an das bernonähnliche Geschöpf in der Kontrollkabine. Handelte es sich um eines jener Modelle, die in den Biotronfabriken vor knapp einem Jahrzehnt für Experimentalzwecke hergestellt worden waren? Der Raummeister entsann sich der Versuche, eine Synthese zwischen einem Berater und jenem Robotertyp zu entwickeln, dem die Erledigung manueller Arbeiten zufiel. Das Experiment war zum Fehlschlag geworden. Gerüchte wollten von tödlichen Unfällen und seltsamen Vorgängen in den vruggschen Biotronfabriken wissen. Boon hatte nie viel von solchem Gerede gehalten und dem wenig Aufmerksamkeit geschenkt, nun bedauerte er das. Wenn jenes Ding in der Steuerkabine einer der Multiberater war, von denen Sooldocks sich in der Vergangenheit wahre Wunderdinge versprochen hatten, dann erklärte dies die technischen Mittel, mit denen Bernons und Cheercys im Gebiet der Großen Sinne ausgerüstet waren.

Die Fahrt wurde schneller. Boon wurde heftig durchgeschüttelt. Die verbrauchte Luft in der Montur war stickig. Er schätzte, dass ihm und seinen Begleitern nur Minuten blieben, bis das vermehrte Kohlendioxid zur Ohnmacht und letztlich zum Tod führen musste.

Der Gedanke an das Ende erfüllte den alten Raummeister mit Trauer. Auch mit Angst, denn Cwon war nicht bei ihm, sondern an Bord der JUURIG. Wer sollte also seine letzten Worte hören und für die Nachwelt aufbewahren?

Heftig ruckend hielt das Fahrzeug an. Diffuse Helligkeit schimmerte durch den Nebel und die Finsternis. Lautlos im Sturmgeheul drehte sich der Teleskopgreifer und neigte sich abwärts. Behutsam nahmen die Stahlklauen Boon in ihre Umarmung und hoben ihn hoch. Der Raummeister war in seinem Körperpanzer gefangen, deshalb konnte er erst mehr erkennen, nachdem ihn der Greifarm in die richtige Position gedreht hatte.

Vor ihm lag der Talkessel. Die Hänge fielen sanft ab. Geometrische Linien überzogen den schrägen Felsboden; sie bildeten eine Art Netz, in dessen Zentrum die große Flachpyramide stand.

Das Bauwerk schien von innen her in kaltem blauen Glanz zu leuchten. In dem Blau pulsierte der Rundturm – das Herzstück der Großen Sinne mit der Arratur, dem Kosmischen Leuchtfeuer, das aus projizierter Formenergie bestand.

Boon stockte der Atem. Rief der Sauerstoffmangel schon Halluzinationen hervor?

Zumindest der Zugangsbereich zu den Großen Sinnen war aktiviert. Das Licht, das Pyramide und Rundturm strahlen ließ, war keine gewöhnliche Helligkeit, sondern das erste Anzeichen für die wiedererwachende Arratur.

Wir können bald senden, durchfuhr es den Raummeister. Nicht mehr lange, dann werden wir den Puls aussenden und Seth-Apophis rufen.

Eine Reparatur der Großen Sinne war nicht erforderlich. Sie funktionierten und verfügten über genug Energie, um den Kosmischen Puls in Betrieb zu nehmen. Es war eine Ironie, dass Boon sein Ziel so nah vor sich hatte und trotzdem wenig tun konnte.

Der Multiberater verließ die Steuerkabine und schwang sich auf den Rand der Wanne. Auf seinen drei hinteren Gliedmaßenpaaren hockte er verkrümmt da und musterte Boon mit einem Bündel Sensorzapfen. Mehr als ein Dutzend der hochempfindlichen Rezeptoren umgaben ringförmig den grauen Schädel.

»Ich bin der vielarmige Lozzok«, sagte er mit feiner Stimme. »Ich bin der Mittler des Lichts und der Hüter der Flamme. Sie war erloschen, ich brachte sie wieder zum Brennen.«

Boon schwieg. Der alte Raummeister war von der verbrauchten Luft so benommen, dass ihm erst nach einiger Zeit auffiel, wie gut er Lozzoks Stimme verstand. Die Außenmikrofone seines Schutzanzugs arbeiteten wieder! Ebenso die Filter und das gesamte Versorgungssystem ... Die Atemluft wurde merklich besser. Die Klimaanlage senkte die Temperatur. Boon spannte die Armmuskeln, doch die Motorik des Exoskeletts reagierte in keiner Weise.

»Ihr seid meine Gefangenen, Sooldocks!«, zischte Lozzok. »Eine Flucht ist unmöglich. Zeig es ihnen, Chays Ohnegnad! Lass unsere Gefangenen erkennen, dass sie so elend sind wie die Verdammten von Marrschen.«

Ein Schatten wuchs neben Lozzok auf. Eine Cheercy, die mit ihren Stummelbeinen auf dem Rand der Ladefläche balancierte und Boon aus den hervorquellenden roten Augen musterte. Auf dem Rücken trug die Frauberaterin einen kombinierten Energiekollektor und -transmitter. Dieses Gerät saugte den Schutzmonturen die Energie ab und sendete sie über Mikrowellen weiter. Boons letzte Hoffnung, dass die Kapazität des Energiefressers nicht lang ausreichen würde, sämtliche Energie der Extremwelt-Monturen aufzunehmen, zerschlug sich. Der Raummeister zweifelte nicht daran, dass der Transmitter auf die Großen Sinne justiert war.

Lozzok hatte die Wahrheit gesagt; solange der Energiefresser arbeitete, waren die Sooldocks dem Multiberater ausgeliefert.

Bernons und Cheercys umringten das Fahrzeug. Ihr Geschrei spritzte wie Gischt an den Raupenketten des altersschwachen Vehikels hoch.

»Ihr werdet sterben«, raunte Ohnegnad. »Wir werden eure Seelen in den Puls der Großen Sinne einfüttern und zu den Sternen schicken. Seth-Apophis wird euch hören und von Marrschen und ihrem verlorenen Volk erfahren. Dann wird die Mentorin nach Marrschen kommen und uns erlösen.«

»Erlösen!«, krächzte der vielarmige Lozzok.

»Erlösen!«, schrien die Berater ringsum. Ihr Lärmen schwoll an.

»Stürzt sie vom Turm!«, zischte Chays Ohnegnad.

Carzel Boon schauderte. Die Szene erinnerte ihn an die Erleuchtungszeremonien der Theokraten, wenn die Teilnehmer nach dem Genuss synthetischer Halluzinogene in unmittelbaren Kontakt mit Seth-Apophis traten. Hier wie dort schwang Hysterie mit.

»Ihr dürft keinem Sooldock etwas zuleide tun!«, brüllte Boon in dem Versuch, den biotronischen Wahn der Berater zu durchdringen. »Euer Programm verbietet ...«

»Das Programm bin ich!«, unterbrach Lozzok den Alten herrisch. »Zehn Jahre habe ich auf Marrschen verbracht und bin geblieben, was ich auf Vrugg war. Aber meine Begleiter veränderten sich und wurden zu Wandlern.«

»Feine Wandler«, zwitscherte Chays Ohnegnad.

Lozzok richtete sich auf und balancierte auf seinem kräftigen Sprungschwanz. Er breitete die Gliedmaßen aus. Sofort verstummte das Geschrei ringsum.

»Seht mich an!«, rief Lozzok. »Ich bin der erste Berater, der Sooldocks töten kann. Ich werde es bewusst, vorsätzlich und absichtlich tun.«

5.

Das Leben eines künftigen Königs steckt voller Gefahren, dachte Dalishdar gereizt. Die kurze, nur vierzehn Stunden dauernde Rotationszeit Marrschens sowie das Fehlen ausgedehnter Wasserflächen, die als Temperaturspeicher und zur Regulation dienen konnten, führten schnell zur erheblichen Abkühlung der Atmosphäre. Wind kam auf. Dämmerungswind, der dem Nachtsturm vorausging.

Sandwolken trieben wie Nebel über das kahle Hügelland. Der Staub in der Luft vermischte sich mit gefrierendem Wasserdampf. Sandschnee fiel in großen, grauen Flocken und wurde von den Böen davongewirbelt.

Dalishdar stemmte sich gegen den beginnenden Sturm und sprang weiter nach Norden, dorthin, wo der Robottransporter die neuen Verbannten abgesetzt hatte. Noch war es hell genug, die Landschaft in Umrissen erkennen zu lassen, außerdem waren die Sensoren eines Bernons empfindlich. Trotzdem entdeckte Dalishdar die Neuankömmlinge erst spät. Ein kräftiger Sprung von einem Hügelkamm zum nächsten, dann stand er zwischen den Neuen.

Sie waren keine Berater. Ein wenig erinnerten sie an Sooldocks, erreichten aber nicht deren Größe und hatten nur winzige Köpfe. Sie trugen Schutzanzüge der Art, wie Dalishdar sie einst bei einem Raummeister gesehen hatte.

Sechs Fremde lagen über den Hügel verteilt. Einer war in eine Bodenspalte gerutscht, ein anderer schoss mit einer Energiewaffe auf Phantome aus Sandschwaden. Rasch stellte Dalishdar fest, dass es keine Sandphantome waren, sondern die Medusenköpfe eines Wandlers.

Er selbst balancierte mit der Spitze des Sprungschwanzes auf dem mächtigen Rücken eines mutierten Multiberaters, der wie alle seiner Art vor zehn Jahren nach Marrschen gekommen und Opfer der Radioaktivität und der schleichenden Gifte geworden war. Harte Strahlung und die chemischen Kampfstoffe töteten normale Berater. Nur Multiberater waren anpassungsfähige Androiden. Sie veränderten sich, wuchsen und verschlangen andere Berater, bis vielköpfige Riesenwürmer wie dieser entstanden. Dalishdar kreischte entsetzt, als er begriff, und instinktiv stieß er sich ab, um zu fliehen.

Doch der Wandler war zu groß und zu schnell. Einer der Tentakel mit dem Kopf eines Bernons traf Dalishdar im Sprung. Er überschlug sich mehrfach, kollidierte mit einem weiteren Tentakelschädel und rutschte über den Rücken des Wandlers.

Unmittelbar vor einer Cheercy kam er zur Ruhe. Fasziniert starrte Dalishdar die Frauberaterin an. Der Wandler, die Fremden, die tödliche Gefahr, in der er schwebte ... all das war jäh vergessen. Endlich hatte ihm das Schicksal eine Gefährtin zugespielt.

»Ich befürchte, du bist in Not«, sagte Dalishdar.

Die Frauberaterin starrte ihn mit ihren großen Augen an. »Ein durchgedrehter Bernon«, sagte sie. »Womit hat Sternchen das verdient?«

Dalishdar war entzückt. Sternchen schien ihm ein passender Name für seine zukünftige Königin, die ihm die Zeit vertreiben konnte. Ihr Schrei ließ ihn aufschrecken. Gleichzeitig registrierte er, dass etwas Großes auf ihn niedersauste, und sprang zur Seite. Dicht hinter ihm prallte der Bernonkopf eines Tentakels auf das Synthometall des Wurmrückens.

Dalishdar schnellte sich mit aller Kraft in die Höhe. Seine Muskeln waren für eine höhere Schwerkraft als die auf Marrschen konzipiert, deshalb stieg er weit empor. Auf dem höchsten Punkt seiner Flugbahn konnte er den Wandler leicht überblicken.

Der unkontrolliert gewachsene Multiberater maß etwa zweihundert Meter in der Länge. Seine dickste Stelle mochte vierzig Meter breit sein. Er hatte sich zusammengerollt und sich von den Stürmen mit Sand und Asche bedecken lassen. Die Maskerade war mittlerweile vollständig von ihm abgefallen, der Sturm fegte die letzten Dreckkrumen fort. Mit den Sandschleiern tanzten die Tentakel. Ihre Köpfe waren alles, was von den Opfern des Wandlers die Metamorphose überstanden hatte.

Dalishdar fiel zurück. Cheercy-Schädel reckten sich ihm gierig entgegen. Mit peitschenden Schwanzbewegungen und dank einer heftigen Bö trieb er ab. Er stürzte dem vorderen Bereich des Wandlers entgegen, unter ihm zeichnete sich ein aufgequollener Klumpen Synthometall im Zentrum des spiralförmig verdrehten Wurmleibs ab.

Dalishdars Schwanzspitze bohrte sich tief in das synthetische Material. Ein Prusten ertönte. Der gigantische Wurm bäumte sich auf und erschlaffte. Die Tentakel rollten sich ein, das Krächzen, Kreischen und Zischeln der Beraterköpfe verstummte. Nur der Sturm heulte mit ungebrochener Kraft.

Benommen richtete sich Dalishdar auf. Ich habe es geschafft!, erkannte er ungläubig. Ich habe den Wandler besiegt! Er hüpfte über den Rücken des erstarrten Kolosses. »Sternchen!«, schrie er. »Ich habe dich gerettet und ...«

Einer der Neuen trat ihm in den Weg. In den Händen hielt er einen kleinen Kasten. Aus dem Gerät drangen verständliche Worte. »Ich bin Perry Rhodan«, sagte der Zweibeiner. »Meine Freunde und ich sind dir zu Dank verpflichtet, Bernon. Ohne dein Eingreifen hätte uns der Wandler getötet.«

»Nicht der Rede wert«, entgegnete Dalishdar hoheitsvoll. »Ihr alle seid herzlich willkommen, mir zu dienen.«

Am nächsten Morgen brachen sie auf. Sie marschierten einen Tag und eine Nacht lang durch die Ödnis Marrschens. Trotz der niedrigen Gravitation fühlte sich Perry Rhodan bei Einbruch des folgenden Tags erschöpft. Seinen Begleitern erging es noch schlimmer als ihm.

»Dort ist Kuzzel-Gey!«, krächzte der Bernon, der keine Minute von Sternchens Seite gewichen war.

Staubwinde verschleierten die Sicht. Erst nach einer Weile schimmerten die Konturen verwitterter Pyramiden deutlicher durch den Nebel aus Flugsand und verdunstendem Raureif. Ein Meer aus Stein und Stahl erwartete die Gruppe.

Gesil strauchelte auf dem sandigen Boden. »Ich bin müde«, murmelte sie.

»Wir alle sind müde«, sagte Rhodan. »Aber die Großen Sinne können nicht mehr weit sein.«

Die Großen Sinne – die alte Station der Sooldocks im nördlichen Polargebiet des Planeten, von der Dalishdar und Sternchen berichtet hatten. Vermutlich war die Station tot und leer wie der Rest dieser vergifteten Welt, trotzdem blieb sie die Hoffnung der Verbannten.

Soul Gronnich humpelte an Rhodans Seite. Der Exosoziologe war bleich, Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn. Bei der Auseinandersetzung mit dem Wandler hatte er schmerzhafte Quetschungen davongetragen. »Ich halte es für zu riskant, die Ruinenstadt zu durchqueren«, mahnte er. »Das nächste Schwarze Loch soll mich verschlingen, wenn in diesen Trümmern nicht weitere Ungeheuer lauern.«

Rhodan zuckte die Schultern. »Wir würden Tage verlieren, wenn wir die alte Stadt umgehen. Was bleibt uns anderes übrig, als das Risiko einzugehen? Und solange wir den maroden Gebäuden nicht zu nah kommen, besteht keine Gefahr, dass wir von herabstürzenden Trümmern erschlagen werden.«

Gronnich schnitt eine Grimasse. »Ich hoffe, du hast recht.«

»Das hoffe ich auch.« Rhodan sah wieder zu den Ruinen hinüber. Die Sonne Guduulfag schimmerte durch die Staubschleier und tauchte die Pyramidenspitzen und oberen Etagen der verfallenen Wohntürme in fahle Helligkeit. Unirdischer Glanz verbarg die Wunden, die die Zeit der Stadt zugefügt hatte.

»Sternchen will nicht!«, kreischte die Cheercy. »Wer Kuzzel-Gey betritt, ist verloren. Es gibt kein Zurück.«

Dalishdar hüpfte hektisch. »Wer sagt denn, dass wir nach Kuzzel-Gey gehen? Die Großen Sinne sind unser Ziel. Was ist schon Kuzzel-Gey? Ich habe nie davon gehört.«

»Und was ist das?« Die Cheercy deutete mit dem Kopf in Richtung der Ruinenstadt.

»Ein Steinhaufen«, antwortete Dalishdar würdevoll.