Ruins of Love. Zerrissen (Grace & Hayden 3) - Megan DeVos - E-Book
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Ruins of Love. Zerrissen (Grace & Hayden 3) E-Book

Меган ДеВос

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Beschreibung

Spicy Romantasy: Die süchtig süchtig machende Lovestory von Grace und Hayden geht weiter!

Du kämpfst, du leidest, du tötest – oder du verlierst alles, was du liebst


Erschüttert von den traumatischen Erlebnissen, findet Grace nach dem beendeten Krieg zwischen Camp Blackwing und Camp Greystone Trost und Geborgenheit in Haydens Armen. In Blackwing sind die beiden zunächst sicher – doch kaum hat Hayden einen Waffenstillstand mit den Überlebenden aus Greystone geschlossen, werden sie von anderen Feinden bedroht. Die Brutes, vor denen auf Streifzügen in die zerstörte Stadt niemand sicher ist, greifen immer häufiger und brutaler an. Grace weiß, dass sie nicht ruhen werden, bis sie haben, was sie wollen – nämlich sie selbst. Als Hayden davon erfährt, kann sie ihn nicht von seinem Vorhaben abhalten: Er zieht los, um den blutrünstigen Klan ein für alle Mal zu vernichten, und Grace folgt ihm – bis die Hölle losbricht und Grace plötzlich in allergrößter Gefahr schwebt. Während ihre Welt in Flammen steht, kämpft Grace bis zum bitteren Ende um Hayden, der alles für sie ist: ihr Leben, ihre Liebe, ihre Bestimmung.

Dramatisch und prickelnd – lies auch die weiteren Bände der Reihe und lass dich gefangen nehmen von einer schicksalhaften Liebe:

1. »Ruins of Love – Gefangen«
2. »Ruins of Love – Gespalten«
3. »Ruins of Love – Zerrissen«
4. »Ruins of Love – Vereint«

Du bist hier genau richtig, wenn du auf diese Tropes stehst:

• Enemies to Lovers
• Forced Proximity

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Seitenzahl: 640

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Zum Verlieben und Verschlingen: Die süchtig machende Lovestory von Grace und Hayden in vier mitreißenden Bänden!

Du kämpfst, du leidest, du tötest – oder du verlierst alles, was du liebst

Noch nie war Hayden so froh wie jetzt, Grace an seiner Seite zu wissen, wo er sie beschützen kann – nun, wo ein erbitterter Krieg zwischen Blackwing und Greystone begonnen hat. Seit ihr rachsüchtiger Bruder Jonah die Führung des verfeindeten Camps übernommen hat, sorgt Hayden sich umso mehr um Grace, vor allem da auch manche Blackwing-Bewohner sie beschuldigen, eine Verräterin zu sein. Dabei hat sie mehr als einmal bewiesen, wem ihre Treue gilt – und für wen sie sterben würde. Als Grace eine verzweifelte Nachricht von Leutie aus Greystone erreicht, tobt der Kampf nicht nur zwischen den Camps, sondern auch in Haydens Herz: Er weiß, dass Grace nicht anders kann, als ihre beste Freundin zu retten – doch was, wenn sie geradewegs in eine Falle ihres Bruders läuft? Was, wenn er Grace nie mehr wiedersieht?

Dramatisch und prickelnd – lies auch die weiteren Bände der Reihe und lass dich gefangen nehmen von einer schicksalhaften Liebe:

1. Ruins of Love – Gefangen

2. Ruins of Love – Gespalten

3. Ruins of Love – Zerrissen

4. Ruins of Love – Vereint

MEGANDEVOS arbeitet als Operationsschwester und lebt in South Dakota. Das Schreiben ist schon immer ihre größte Leidenschaft. Ihre vierbändige Serie Ruins of Love ist eine Wattpad-Sensation: Weltweit sind Millionen von Lesern süchtig nach der dramatisch-prickelnden Liebesgeschichte von Grace und Hayden.

Megan DeVos

RuinsofLove

zerissen

Aus dem Englischen von Nicole Hölsken

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel Revolution bei Orion Books, London.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2019 der Originalausgabe by Megan DeVos

Copyright © 2022 der deutschsprachigen Ausgabe by Penguin Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion/Lektorat: Christiane Sipeer

Umschlagmotiv und -gestaltung: www.buerosued.de

Satz: MR

ISBN 978-3-641-26387-4V002

www.penguin-verlag.de

Für meine Freunde und meine Familie, die mich immer schon liebten.

Kapitel 1

Genesis

Grace

Die dunkle Nacht war erfüllt von der grauenhaften Geräuschkulisse des Krieges, als das Chaos sich um mich herum entfaltete. Schüsse, Explosionen und markerschütternde Schreckens- und Schmerzensschreie zerrissen die Luft. Hypnotisierende Feuerzungen verschlangen ein Gebäude neben mir. Die Hitze der Flammen versengte mir die Haut und brachte meine Gedanken zum Schmelzen. Der Krieg überrollte das Camp, riss Häuser und Menschen entzwei. Verzweifelt überlegte ich, was als Nächstes zu tun war.

Eine Mischung aus Entsetzen, Adrenalin und quälender Angst durchfuhr mich, als eine plötzlich auf mich zurasende Gestalt meine Aufmerksamkeit erregte. Ich wandte den Kopf und erkannte sogleich, wer es war. Alles ging so schnell, dass mir mein Entsetzen noch gar nicht so recht zu Bewusstsein gekommen war, als sein Körper schon schmerzhaft mit dem meinen zusammenprallte. Sämtliche Luft entwich aus meinen Lungen. Ich hatte ihn seit Tagen nicht mehr gesehen, und ganz sicher war ich jetzt, als er mich zu Boden warf, alles andere als erfreut darüber.

Das letzte noch lebende Mitglied meiner Familie.

Mein Bruder.

Jonah.

»Du dreckige Verräterin!«, fauchte er wütend und versuchte, mich nach unten zu drücken.

Angestrengt bemühte er sich, meine Arme festzuhalten, während ich im Gegenzug mit aller Macht versuchte, ihn von mir hinunterzustoßen. Angesichts seines Körpergewichts war ich entschieden im Nachteil, trotzdem ließ ich keine Sekunde lang in meinen Versuchen nach. Ich trat nach ihm, konnte ihn aber einfach nicht abschütteln.

»Runter von mir!«, zischte ich wütend. Empört spürte ich, wie er meine Schultern packte, mich vom Boden hochzog, nur um mich wieder zurück in den Schmutz zu schleudern. Wieder atmete ich scharf aus, und mir blieb die Luft weg. Dann gelang es mir, eine meiner Fäuste lang genug zu befreien, um einen Hieb nach oben zu landen. Meine Knöchel trafen auf sein Kinn. Der Schlag war immerhin heftig genug, dass er seinen Angriff kurz aussetzte.

»Du hast uns verraten«, zischte er kochend vor Wut und funkelte mich so hasserfüllt an, dass ihm die Augen aus den Höhlen traten. Er war stark, bewegte sich zielgenau; es war ihm gleichgültig, ob er mich vielleicht verletzte – im Gegenteil: Das war sogar sein Ziel.

»Nein, hab ich nicht!«, schrie ich.

Aber das war gelogen.

Ich hatte sie verraten.

All das zuckte mir im Bruchteil einer Sekunde durch den Sinn, während ich mich unter ihm wand. Grob packte er meine Handgelenke, zerrte sie zur Seite und versuchte, sie auf die Erde zu drücken. Doch ich setzte mich unter ihm unermüdlich zur Wehr, sodass er mich nicht so recht in den Griff bekommen konnte.

Panik durchzuckte mich, als ich sah, wie er sich nach hinten lehnte und ein Messer aus dem Gürtel zog. Die lange, scharfe Klinge funkelte im Licht des Feuers, das neben uns brannte, während er immer noch über mir hockte. Wir beide keuchten schwer, als ich mich gegen seine Brust stemmte, versuchte, ihn von mir zu stoßen, aber er war zu stark.

»Jonah, nicht …«

»Du hast deine Seite gewählt, Grace. Jetzt kannst du mit den anderen zusammen sterben.«

»Nein …«

Ich schnaubte frustriert und stemmte mich mit aller Macht gegen ihn. Meine Arme zitterten vor Anstrengung, während ich ihn von mir fortzudrängen versuchte, doch die Klinge seines Messers kam mit jeder Sekunde näher auf mich zu. Schweiß tropfte von seiner Stirn auf meine Haut, und er biss ebenso erbittert die Zähne zusammen wie ich selbst.

Das war es also.

Mein eigener Bruder würde mich töten.

Ich spürte die Spitze des Messers jetzt auf meiner Brust, genau über meinem Herzen. Die scharfe Klinge hatte bereits die Haut durchbohrt, als mir einfiel, dass ich schon einmal in einer solchen Lage gewesen war, wenn auch unter vollkommen anderen Umständen. Haydens Gesicht blitzte vor meinem geistigen Auge auf, über mir schwebend, während er mich im weichen Gebüsch des Waldes am Boden gehalten und verspottet hatte. Ich erinnerte mich daran, wie er mich mithilfe einer Bewegung seiner Hüften abgeworfen hatte. Nun war ich in einer ähnlich verletzlichen Situation.

Ohne zu zögern, bot ich all meine Kraft auf und benutzte meine Beine als Hebel. Jonah war so darauf konzentriert, mir sein Messer in die Brust zu rammen, dass er für einen Augenblick unsere Unterkörper vergessen hatte. Im Bruchteil einer Sekunde fiel er seitwärts in den Schmutz, sodass ich lange genug von seinem Gewicht befreit war, um mich wegzurollen.

»Du kleine …«, knurrte er und versuchte aufzustehen.

Ich sprang auf die Füße. Ohne nachzudenken, holte ich tief Luft, zog das Bein zurück und ließ es dann mit aller Macht nach vorn schnellen. Die harte Spitze meines Stiefels traf auf sein Kinn, riss seinen gesamten Kopf zur Seite. Sein Körper folgte, und er blieb regungslos im Schmutz liegen – eindeutig bewusstlos von dem Schlag gegen sein Gesicht. Doch seine Brust hob und senkte sich weiterhin – er war also am Leben.

»Arschloch«, murmelte ich. Ich konnte mir einen weiteren Tritt gegen seine Seite einfach nicht verkneifen und ließ den Fuß ebenso heftig gegen seine Rippen prallen.

Eigentlich hätte ich mir sein Messer schnappen und ihm in die Brust rammen sollen, genau wie er es bei mir versucht hatte, aber ich brachte es nicht über mich. Ich konnte meinen eigenen Bruder einfach nicht töten.

Allerdings riss ich ihm das Messer aus der Hand und nahm auch die beiden Waffen an mich, die er im Gürtel bei sich trug. Ich keuchte, als die Luft schmerzhaft in meine Lungen zurückschoss. Ich war erschöpft, aber wild entschlossen, Hayden wiederzufinden. Meine Hände bewegten sich schnell, während ich mich davon überzeugte, dass beide Waffen geladen waren, und dann die Magazine wieder in ihr Gehäuse schob. Ein leises metallisches Klicken zeigte mir an, dass sie einsatzfähig waren. Ich behielt eine in der Hand, verstaute die andere jedoch in meinem Hosenbund. Das Messer nahm ich in die andere Hand.

Dann warf ich einen letzten verächtlichen Blick auf den leblosen Körper meines Bruders, bevor ich mich eilig wieder ins Getümmel stürzte. Mehr als nur eine Hütte wurde von den Flammen vollkommen verzehrt, und der Weg war bereits mit einigen Leichen übersät. Ich blieb nicht lange genug stehen, um nachzusehen, um wen es sich handelte, aus Angst, jemanden zu erkennen, der mir am Herzen lag.

Wohin ich auch blickte, zuckten Schatten durch die Nacht. Freunde, Feinde, wer konnte das schon auseinanderhalten? Unaufhörlich hallten Schüsse durch die Luft; man konnte kaum sagen, aus welcher Richtung sie kamen, geschweige denn beurteilen, wer hier auf wen schoss.

Meine Füße trugen mich weiter auf der Suche nach jenem einen Gesicht inmitten dieses Höllenlärms: Hayden. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie zwei Gestalten aufeinanderprallten und dann die Fäuste fliegen ließen. Ein paar Schläge, dann ein widerlich feuchtes, dumpfes Geräusch – ein Messer, das sein Ziel gefunden hatte. Ein Schatten blieb steif und starr auf dem Boden liegen, der andere erhob sich und hastete wieder in die Dunkelheit zurück.

»Hayden!«, schrie ich. Ich konnte mich nicht länger zurückhalten. Ich musste ihn einfach finden, bevor mein Herz meine Brust noch sprengte.

»Hayden!«

Das Entsetzen schien mich schier zu zerreißen, als ich mich dem größten Feuer weit und breit näherte. Wenn Hayden ganz sicher irgendwo war, dann inmitten des größten Tumults, um jene zu beschützen, die ihm etwas bedeuteten. Ich wollte gerade die letzte Ecke umrunden, um mich sodann mitten ins Gefecht zu stürzen, als ich zwei weitere Gestalten entdeckte, die zwischen den Hütten auftauchten.

Eine war kleiner als die meisten anderen und schoss in Windeseile aus einer Lücke zwischen den Gebäuden hervor. Kurz darauf tauchte der Grund für seine Hast auf, denn ein erheblich größerer, bedrohlicherer Schatten folgte ihm auf dem Fuße. Der Größere kam dem Kleineren immer näher. Gerade wollte er sich auf den Kleinen stürzen, als das Feuer ihre Gesichter beleuchtete, und eine Woge des Entsetzens durchflutete mich.

Jett.

Das zweite Gesicht gehörte einem Mann aus Greystone, an dessen Namen ich mich allerdings nicht erinnern konnte. Er war etwa Anfang dreißig und verfolgte Jett mit mordgierigem Blick.

Der Mann machte einen Hechtsprung, wollte Jett zu Boden werfen, doch gleichzeitig richtete ich meine Pistole auf ihn. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, drückte ich ab. Der Körper des Mannes wurde zur Seite gerissen wie von einem Seil; die Kugel hatte sich in seinen Schädel gegraben. Dennoch hatte er noch so viel Schwung, dass er mit Jett zusammenprallte und ihn zu Fall brachte.

Ein schriller Schreckensschrei entfuhr dem Jungen, als er unter dem Leichnam begraben wurde. Er versuchte verzweifelt, sich zu befreien, den Blick voller Verwirrung und Entsetzen, als er in die weit aufgerissenen, leeren Augen des Mannes sah.

»Jett!«, schrie ich und hastete auf ihn zu. Er zappelte verängstigt, wollte die Last des Mannes abschütteln, konnte sich aber nicht befreien. Kaum war ich bei ihm, hockte ich mich hin und schob den Toten weit genug zur Seite, dass er unter ihm hervorkriechen konnte. Dann kippte der Leichnam wieder in den Schmutz, und Jett richtete sich mit zitternden Knien auf. Tränen rannen ihm über die Wangen. Kaum hatte ich mich wieder erhoben, als er sich an meine Brust warf, mich fest umarmte und unkontrolliert schluchzte.

»Du dürftest eigentlich gar nicht hier sein«, stieß ich mühsam hervor. Ich war noch nie in einer so verzweifelten und wahnsinnigen Lage gewesen, und es war unglaublich verstörend. Kaum auszudenken, welche Wirkung das Ganze auf den naiven, unschuldigen Jett haben musste.

Er gab keine Antwort, sondern umarmte mich nur innig. So gern ich ihn getröstet hätte, ich brachte es einfach nicht fertig. Ich spürte, wie mir die Zeit davonrannte, und jede Sekunde, die ich nicht bei Hayden war, beunruhigte mich mehr. Ich suchte unsere Umgebung ab, hielt nach Feinden oder Freunden in Not Ausschau, aber im Augenblick waren wir allein.

»Komm, Jett, komm mit mir«, sagte ich also hastig. Ungeduld und Angst drohten mich zu überwältigen, sodass ich immer hektischer wurde. Ich löste mich von ihm und verstaute das Messer in meiner Tasche. Dann nahm ich seine Hand in die meine. Mit einem letzten schnellen Blick wandte ich mich von diesem Wahnsinn wieder ab, um ihn fortzuführen.

Ich entdeckte eine kleine Hütte, die zu beiden Seiten von ein paar anderen ähnlicher Größe begrenzt wurde. Den immer noch schluchzenden Jett schleifte ich förmlich hinter mir her. Ich sah mich immer wieder nach Feinden um, doch wir erreichten die Hütte, ohne weiter behelligt zu werden. Ich warf mich mit der Schulter gegen die Tür, brach sie auf.

Ein entsetztes Quieken begrüßte mich, aber es war zu dunkel, um irgendetwas erkennen zu können.

»Bitte, töte uns nicht«, erklang eine dünne Stimme aus der Ecke des Raumes. Mit zusammengekniffenen Augen spähte ich hinein. Nachdem ich mich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, entdeckte ich zwei kleine Mädchen, die in der Ecke kauerten. Ich hatte sie noch nie gesehen, aber höchstwahrscheinlich stammten sie aus Blackwing und versuchten nur, sich vom Schlachtgetümmel fernzuhalten.

»Ich werde euch nicht töten«, sagte ich so ruhig wie möglich. »Ich bin auf eurer Seite.«

Die kleinere der beiden, die vielleicht vier oder fünf Jahre alt war, sah mit großen Augen zu mir empor. Die ältere, vielleicht neun oder zehn, blickte eher ängstlich drein. Doch dann machte sie ein überraschtes Gesicht. Sie hatte Jett entdeckt. Endlich hatte er mit dem Weinen aufgehört und stand mit tränenverschmiertem Gesicht neben mir.

»Jett?«, fragte das ältere Mädchen.

»Hi Rainey«, murmelte er leise, als sei er mit einem Mal verlegen.

»Jett, kennst du diese Mädchen?«, fragte ich eilig. Immerhin wollte ich unbedingt so schnell wie möglich wieder nach draußen und Hayden finden.

»Ja«, antwortete er.

Ich hockte mich hin, sodass unsere Augen auf einer Höhe waren, und sah ihn eindringlich an.

»Du bist doch ein mutiger Junge, stimmt’s, Jett?«

»Ja, ich … ich bin mutig«, stammelte er.

»Das weiß ich doch«, versicherte ich ihm. »Jetzt hör mir gut zu, okay?«

Er nickte entschlossen, wobei seine Züge härter wurden.

»Ich will, dass du sie beschützt, okay? Du bleibst hier bei ihnen, bis alles vorbei ist, und erschießt jeden Unbekannten, der durch diese Tür kommt.«

Seine Augen weiteten sich, und er schluckte schwer. Ich zitterte vor Angst, weil ich hier kostbare Zeit mit Jett verschwendete.

»Schaffst du das?«

»Ja«, erwiderte er angespannt. Er holte tief Luft und nickte. Dann fügte er hinzu: »Ja, Grace, das schaffe ich.«

»Gut, ich weiß, dass du es schaffst«, sagte ich und warf ihm ein flüchtiges, angespanntes Lächeln zu.

»Hier, nimm diese Waffe. Weißt du noch, was ich zum Thema Schießen gesagt habe? Beide Augen für Bewegungen, eines für stillstehende Ziele?«

»Weiß ich noch.«

»Ich muss jetzt gehen, aber du machst das schon. Irgendwann, wenn alles vorbei ist, kommt jemand und sucht nach euch. Sorge für ihre Sicherheit, Jett.«

»Mach ich, Grace. Mach ich!«, antwortete er entschlossen. Er blähte die magere Brust in dem Versuch, mutig zu erscheinen. Ein winziges Gefühl des Stolzes erfüllte mich, als ich ihm ermutigend zunickte. Dann drehte ich mich wieder zur Tür um. Ich war gerade dort angelangt, als ich hörte, wie er noch etwas sagte.

»Grace, du willst Hayden finden, stimmt’s?«

»Ja, Jett. Ich werde ihn finden«, versprach ich. Ich war gerade nach draußen geschlüpft und hatte die Tür beinahe schon hinter mir geschlossen, als ich hörte, wie Jett leise mit den beiden Mädchen sprach.

»Macht euch keine Sorgen. Ich werde euch beschützen.«

Mein Magen zog sich bei diesen Worten schmerzhaft zusammen. Ich hoffte inständig, dass ihm das gelingen würde. Ich zog die Tür hinter mir zu und rannte wieder los. Ich hatte ein Messer und eine Pistole mit einer einzigen Patrone. Ich sprintete also zur Mitte des Geschehens zurück, wobei ich mit jedem Schritt den Staub aufwirbelte.

Überall kämpften Menschen miteinander. Fäuste flogen, Messer hieben zu, Pistolen schossen, und Körper fielen zu Boden. So viele Leichen – mehr, als ich zählen konnte – lagen auf den Wegen, während ich durch das Camp hastete. Ich ignoriere die Welle der Übelkeit, die mich überkam, und versuchte nicht daran zu denken, wie viele Leben genau in diesem Moment verloren gingen.

Schließlich umrundete ich die letzte Ecke, und egal, wie sehr ich mich geistig gewappnet hätte, auf diesen Anblick wäre ich niemals gefasst gewesen. Inmitten der miteinander kämpfenden Menschen, der tosenden Feuersbrunst, der toten Körper und des endlosen Gemetzels stand ein entsetzliches, grauenhaftes Herzstück. Der untere Teil des achtstöckigen Turms, des Stolzes von Blackwing, stand lichterloh in Flammen, und das Feuer fraß sich langsam, aber sicher nach oben.

Mein Herz krampfte sich vor Furcht zusammen, als mir einfiel, wohin Hayden hatte gehen wollen, bevor er mich verließ: zum Turm. Durch die dicken, erstickenden Rauchschwaden, die sich in die Nachtluft erhoben, war das Bauwerk kaum mehr zu erkennen. Ich hielt meine Waffe und mein Messer in der Hand parat und stürmte wieder voran, gleichzeitig verängstigt und voller Hoffnung, gleich Hayden zu finden.

Von links versuchte jemand, mich mit einem Messer niederzustrecken. Allerdings erfolglos, denn jemand warf den Angreifer zu Boden.

»Oh, nein, das wirst du nicht!«, schrie eine bekannte Stimme. Mein Blick schoss zu dem kämpfenden Paar hinüber, und entsetzt erkannte ich Kit, der mit einem Mann aus Greystone rang. Noch bevor ich mir aber Sorgen um Kit machen konnte, landete er schon zwei kräftige Schläge in das Gesicht des Mannes, gefolgt von einem schnellen Aufblitzen seines Messers quer über die Kehle des anderen. Sofort floss hellrotes Blut aus seiner Halsschlagader.

Kit hatte ihn einfach so getötet.

»Worauf wartest du noch, hilf ihm!«, schrie Kit, als mir klar wurde, dass ich ihn mit offenem Mund anstarrte. Er wies mit schwungvoller Geste auf den Turm. So schnell wie er gekommen war, war er auch wieder verschwunden, ließ den Leichnam liegen, um sich auf den nächsten Feind zu stürzen.

Aus meiner neuen Position konnte ich eine Gestalt ein paar Stockwerke höher erkennen, die sich vornüberbeugte und etwas hinter sich herzerrte. Der Mann war schon etwa zur Hälfte den Turm hinabgestiegen, doch unter ihm standen mindestens schon zwei Stockwerke in Flammen. Mehr als die Wölbung seines Rückens und sein schimmerndes Haar waren nicht nötig, um zu wissen, wer es war: Hayden.

Ich wusste nicht, was er da tat, aber eins war nicht zu übersehen: Je näher er dem Boden kam, umso näher kam er auch dem Inferno.

»Hayden!«, schrie ich. Doch anscheinend konnte er mich nicht hören und zerrte, was immer er da hatte, weiter hinter sich her und die Stufen hinab. Mein Herz pochte wie wild. Ein Schmerzensschrei zerriss die Luft, steigerte meine Angst. Und zwar nicht um mich selbst, sondern um ihn. Wie wollte er von dort herunterkommen?

»Hayden!«, schrie ich erneut. Sein Kopf fuhr bei dem Laut in die Höhe, und er beugte sich über die Brüstung und sah mit verengten Augen auf mich herab. Offenbar hatte er sich das Shirt über die Nase gezogen, um sich vor dem dichten, erstickenden Rauch zu schützen.

»Grace!«, rief er überrascht. »Mach, dass du hier wegkommst!«

»Nein!«, schrie ich zurück. Mit jeder Sekunde, die er verschwendete, wurden die Flammen grimmiger. »Du musst springen, bevor es zu hoch kommt.«

Warum war er nicht gleich gesprungen?

Sehr zu meinem Schrecken wich er über die Brüstung zurück, sodass ich ihn jetzt nicht mehr sehen konnte.

»Kann ich nicht«, bellte er. Er war über das tosende Flammenmeer und das Kriegsgetümmel, das um mich herum wütete, kaum zu verstehen. Die Schießereien waren mittlerweile in Zweikämpfe übergegangen, aber die Schreie, Rufe und die Feuersbrunst waren weiterhin ohrenbetäubend.

»Warum nicht?!«, verlangte ich zu wissen und stampfte tatsächlich sogar vor Frustration mit dem Fuß auf.

Er antwortete nicht, und eine Woge der Angst durchflutete mich.

»Hayden!«

Ich suchte den Boden nach einer Art Sprungkissen ab. Doch da waren nur Erde, ein paar Grasflecken und entsetzlicherweise hie und da ein Leichnam. Ein lautes Grunzen und ein dumpfer Aufschlag ließen mich wieder zum Turm hinaufsehen. Erleichtert atmete ich aus, als ich Hayden wieder sehen konnte.

Plötzlich war klar, warum er so langsam vorankam. Er zog zwei schwere Bündel hinter sich her.

Nein, nicht Bündel.

Körper.

Ich konnte nicht erkennen, wer es war, aber in Bezug auf den einen hatte ich doch einen eindeutigen Verdacht. Wenn Hayden sein Leben aufs Spiel setzte, um dieses wertlose Stück Mist den Turm hinabzuzerren, konnte er sich auf etwas gefasst machen. Ich war fuchsteufelswild. Barrow hatte es nicht verdient zu leben.

»Hayden, lass sie liegen. Du musst jetzt springen, sonst schafft es keiner von euch!«

Ich klang kalt, herzlos, aber das war mir gleichgültig. Es zählte nur eines, nämlich Hayden da lebend herauszubekommen.

»Nein«, schrie er wütend, als ob diese ganze Lage ihn zutiefst frustrierte. Er befand sich jetzt nur noch einen Treppenabsatz über den Flammen, drei Stockwerke über dem Boden. Ich schnaubte ebenso zornig wie verzweifelt, als er sich erneut über die Brüstung lehnte, um den Boden zu inspizieren. Seine Haut war mit schwarzen Rußstreifen bedeckt vom allgegenwärtigen Rauch, und sein T-Shirt war verschwunden, sodass er keinen Atemschutz mehr hatte. Er hustete heftig und laut, während er durch den Rauch hindurchspähte.

»Grace, siehst du den Heuballen da drüben?«, rief er und deutete zwischen zwei der nächstgelegenen Hütten.

Ich wirbelte herum und spähte durch die Dunkelheit, um zu sehen, was er entdeckt hatte.

»Ja, ich sehe ihn«, rief ich. Mir war sofort klar, was er wollte, also sprintete ich darauf zu. Ich sprang über einen Leichnam am Boden hinweg, ohne hinzusehen. Der Ballen war beinahe genauso groß wie ich selbst und unglaublich schwer. Glücklicherweise war er rund, und so stellte ich mich dahinter und warf meine Schulter dagegen, um ihn vorwärtszurollen.

Ich stemmte die Füße in den Boden, schob wieder, stieß einen frustrierten Schrei aus. Da endlich bewegte er sich. Danach wurde es erheblich leichter, und immer wieder warf ich meine Schulter dagegen, während ich ihn zum Turm rollte.

Doch dann prallte der Ballen gegen ein Hindernis. Ich zuckte zusammen – wahrscheinlich war es eine Leiche – verdrängte den Gedanken aber sofort wieder. Und tatsächlich, als der Heuballen sich endlich wieder in Bewegung setzte, tauchte ein Körper darunter auf. Ich umrundete ihn sorgsam und war endlich wieder am Fuße des Turms angelangt.

Die Luft war sengend heiß. Ich stand nur wenige Meter entfernt, holte das Messer aus der Tasche, um die Seile zu durchtrennen, die den Ballen zusammenhielten. Sofort verlor das Heu seine Form und ergoss sich mit meiner fieberhaften Unterstützung auf die Erde, sodass ein Haufen aus Halmen entstand. Kaum hatte es sich ausgebreitet, sprang ich zurück und blickte zu Hayden auf.

Erleichtert stellte ich fest, dass er alles gesehen hatte, obwohl er schnell wieder verschwand und sich wieder duckte. Jede Sekunde, die verging, kam mir vor wie ein Eispickel, der trotz der überwältigenden Hitze unablässig auf mein Herz einhämmerte. Schließlich tauchte ein schlaffer Arm über dem Geländer auf, und ich hörte ein lautes Ächzen von Hayden. Dem Arm folgten ein Bein und ein Oberkörper. Offensichtlich hatte Hayden große Mühe, den Menschen über das Geländer zu wuchten.

»Okay, Grace, schieb sie weg, sobald sie unten ist«, rief er.

»Verstanden!«

Er zögerte nicht länger, sondern schob die bewusstlose Person über die Brüstung, wobei er sorgsam darauf achtete, dass sie nicht mit den Flammen unten in Berührung kam. Ich beobachtete ehrfürchtig, wie der Körper der Frau durch die Luft flog, wie das blonde Haar sich um ihren Kopf herum ausbreitete wie in Zeitlupe. Eine Sekunde später landete sie mit dumpfem Aufprall im Heuhaufen. Ich fuhr zusammen, eilte dann aber sofort zu ihr hinüber.

Nachdem ich ihre Arme gepackt hatte, um sie fortzuziehen, sah ich, um wen es sich handelte. Ihre Augen waren geschlossen, und ihre Haut war mit schwarzen Striemen bedeckt, aber ihre Brust hob und senkte sich langsam, während sie lebenserhaltenden Atem schöpfte: Maisie.

Ohne Zeit zu verlieren, zog ich sie vom Feuer weg, legte sie ins Gras und kehrte an meinen ursprünglichen Platz zurück.

»Hayden, Beeilung«, drängte ich auf und ab hüpfend. Schnell sah ich mich um und vergewisserte mich, dass glücklicherweise alle in der Umgebung viel zu sehr mit Kämpfen beschäftigt waren, um mir und meinen Aktivitäten am Fuße des Turms Beachtung zu schenken.

Ohne Vorwarnung fiel ein zweiter Körper, wobei der Aufprall diesmal erheblich lauter war. Vor Abscheu verzog ich das Gesicht: Wie ich schon vermutet hatte, lag da Barrow vor mir im Heu, sehr lebendig und ohne es nur im Geringsten verdient zu haben, dass Hayden ihm das Leben rettete. Trotz meines Widerwillens packte ich ihn an den Fußknöcheln und zerrte ihn mit aller Macht nach hinten, wobei ich laut vor mich hin stöhnte, denn sein Körper war ziemlich schwer. Ich schaffte es, ihn neben Maisie abzulegen, bevor ich seine Beine achtlos fallenließ und zum Turm zurückstürmte.

»Hayden, nun mach schon«, murmelte ich angsterfüllt und leise. Meine Hände zitterten, als er langsam über das Geländer kletterte. Bellender Husten entrang sich seiner Kehle, während er gegen den erstickenden Rauch ankämpfte. Ich schrie entsetzt auf, als er schwankte. Eine halbe Sekunde lang schlossen sich flatternd seine Lider, dann riss er sich zusammen und zerrte sich wieder nach oben.

Es sah aus, als verliere er jeden Augenblick das Bewusstsein. Der Rauch hüllte ihn mittlerweile fast vollständig ein.

»Spring, Hayden! Spring!«

Aber wieder schlossen sich seine Lider, ein schwaches Husten ließ seine Brust einfallen. Sein Körper lehnte nun gefährlich weit über dem Geländer.

»Hayden!«

Mein schriller Versuch, ihn zu Bewusstsein zu bringen, verhallte ungehört. Starr vor Schreck sah ich zu, wie die Schwerkraft siegte und ihn über die Kante nach unten kippen ließ. Schlaff schlackerten seine Gliedmaßen in der Luft, die auch sein Haar zurückwehte. Sein Körper stürzte unkontrolliert in die Tiefe. Dann landete er mit lautem Rums rücklings auf dem inzwischen ziemlichen flachen Heuhaufen.

»Hayden«, keuchte ich, stürzte auf ihn zu, wäre beinahe selbst gestolpert, als ich mich neben ihm ins Heu warf.

Seine Arme waren zu beiden Seiten ausgebreitet, und seine Beine standen in seltsamem Winkel ab. Ich brach neben ihm zusammen und umfing verzweifelt sein Gesicht mit den Händen. Ein dünner Blutfaden sickerte aus seinem Mund und seinen Hals hinab.

»Hayden, wach auf, bitte wach auf«, flehte ich. Tränen brannten hinter meinen Augäpfeln, aber ich kämpfte sie nieder. Ich hatte das Gefühl, mich gleich übergeben zu müssen. »Komm schon, bitte …«

Er gab keine Antwort. Ich beugte mich über ihn, wusste nicht, was ich tun sollte. Die Haut an seiner Kehle war schmutzig und heiß, als ich die Fingerspitzen dagegenpresste und seinen Puls ertastete. Panik durchflutete mich, als ich nichts fühlte, aber dann wurde ich wieder ruhiger, als ich sie ein wenig verlagerte und ein schwaches Pulsieren erspürte.

Er war am Leben.

Erst da nahm ich seine schwachen, leisen Atemzüge wahr. Ich keuchte so laut vor Erleichterung, dass ich beinahe zusammengebrochen wäre. Er lebte. Hayden lebte.

Nach dieser Erkenntnis nahm ich plötzlich alles wieder wahr: die glühende Hitze des Feuers, sein wütendes Tosen, während es alles in seinem Weg verschlang. Ich hörte auch den endlosen Kugelhagel, der wieder eingesetzt hatte, das dumpfe Aufeinanderprallen von Körpern, die qualvollen Schreie der Sterbenden. Das alles prasselte auf mich ein, während ich mich an Haydens schlaffen Körper klammerte.

Wo ich auch hinsah, starben reihenweise Menschen. Ein Schatten tötete den anderen, der wiederum im Schmutz liegen blieb. Eine geheimnisvolle Kugel traf ihr Ziel, wischte Spannung und Leben fort wie im Flug. Ein paar Meter weiter verbrannte ein Leichnam vor meinen Augen, vergor die Luft mit dem kranken Geruch versengten Fleisches.

Der Krieg war überall, drang in meine Sinne ein, übernahm die Macht über jeden meiner Gedanken. Ich konnte nichts tun, außer Hayden zu beschützen. Die Dunkelheit holte mich ein, als ich die Augen schloss. Meine Arme schlangen sich um seinen Hals, und ich beugte mich über ihn, beschirmte ihn vor der Trostlosigkeit der Menschen und dem Unsäglichen, zu dem sie fähig waren.

Plötzlich erschütterte mich ungeheurer Lärm bis auf die Knochen. Einem Lichtblitz so hell, dass er sich durch meine geschlossenen Lider brannte, folgte ein Knall so laut, dass ich glaubte, meine Trommelfelle würden zerfetzt. Dann eine Explosion aus sengender Hitze.

Das war’s.

Licht.

Feuer.

Hitze.

Dunkelheit.

Kapitel 2

Blutbad

Grace

Ein dumpfes Surren brachte mich wieder zu Bewusstsein; die Hitze schien meine Haut aus sämtlichen Richtungen zu attackieren – von hinten, von beiden Seiten und von unten. Von unten? Schließlich gelang es mir, die Augen zu öffnen, und ich zwang mich, mich aufzusetzen. Sofort fand ich die Erklärung für die Hitze, denn überall um mich herum brannte das Feuer.

Ich sah auf Hayden hinab. Er lag auf dem Rücken im Heu, noch genauso, wie er gelandet war, die Augen geschlossen, die Lippen leicht geöffnet, leise atmend. Ebenso wie zuvor spürte ich, wie die Panik in mir emporstieg, als ich ihm das Haar aus dem Gesicht strich. Meine Hände zitterten, als ich fahrig mit den Daumen seine Wangen streichelte.

»Hayden«, sagte ich, um ihn sanft zu wecken.

Undeutlich war ich mir bewusst, dass um mich herum nichts mehr zu hören war, doch ich konzentrierte mich so darauf, Hayden zu wecken, dass ich nicht weiter darauf achtete. Wo vorher noch Schreie, Schüsse und tosendes Feuer gewesen waren, hörte man jetzt nur noch das Knistern der weiter brennenden Flammen. Doch noch nicht einmal die eindeutige Veränderung in der Atmosphäre konnte meine Aufmerksamkeit von ihm ablenken.

»Hayden, bitte …«, flehte ich leise. Die Tatsache, dass er noch atmete, war das Einzige, was mich vor dem Wahnsinn bewahrte. Mein Herz pochte so laut, dass ich das Gefühl hatte, es müsse jeden Moment in zwei Teile zerspringen.

Er hustete einmal, sodass sich mir vor Angst der Magen zusammenzog. Ich beugte mich näher zu ihm hinab.

»Ja, genau, komm schon«, murmelte ich eindringlich.

Diesmal war das Husten, das in seiner Brust grollte, heftiger. Dann enthüllte er mir endlich seine atemberaubende grüne Iris, und seine Augen öffneten sich flatternd.

»Grace.«

Durch die Unmengen an Rauch, die er eingeatmet hatte, war seine Stimme sogar noch tiefer und heiserer als sonst – trotzdem sank ich erleichtert auf seine Brust, als ich sie hörte. Immer und immer wieder sagte ich seinen Namen, bis ich schließlich tatsächlich glaubte, dass es ihm gut ging.

»Hayden, bist du in Ordnung?«

Er stöhnte zur Bestätigung leise, widersetzte sich meiner Umarmung jedoch nicht. Ich spürte, wie er ganz schwach die Hand hob und auf meine Seite legte, wo seine Finger federleicht über den leicht angesengten Stoff meiner Kleider fuhren. Erst da bemerkte ich, dass auch meine Haut schmerzte.

»Der erste Schritt hat’s immer in sich«, murmelte er tonlos.

Mir entfuhr ein Laut, der halb Lachen, halb Keuchen war, und eine weitere Woge der Erleichterung erfasste mich. Als ich es schließlich schaffte, ihn loszulassen, verlagerte er sich so, dass er die Ellbogen aufstützen konnte, und zog eine Grimasse. Gewiss hatte er Schmerzen. Immerhin war er gerade aus dem dritten Stock in einen kümmerlichen Heuhaufen gefallen.

»Du bist ein Idiot«, sagte ich zu ihm. Er war mutmaßlich der einzige Mensch, den ich kannte, der für jemanden, der es so wenig verdient hatte wie Barrow, sein Leben aufs Spiel setzte. Mir wäre es schwergefallen, Maisie zurückzulassen, aber an Barrow hätte ich keinen weiteren Gedanken verschwendet. Anscheinend wurde ich beständig mit Beweisen dafür bombardiert, dass Hayden so viel besser war als der Rest von uns.

»Ja, wahrscheinlich«, stimmte er mir zu und presste die Lippen fest aufeinander.

»Du hättest ihn zurücklassen sollen.«

»Ja, wahrscheinlich«, wiederholte er.

Ich streckte die Hand aus, um ihm eine verfilzte Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen. Dann ließ ich die Fingerspitzen sanft über die Platzwunde an seiner Lippe fahren. Das Blut begann bereits zu trocknen. Sein Blick brannte sich in meinen, war ebenso heiß und lodernd wie die Feuer, die um uns prasselten. Da das Kämpfen um uns aufgehört hatte, fanden wir uns in jener Blase wieder, die Hayden und mich so oft umgab.

»Bist du sicher, dass es dir gut geht?«, forschte ich und musterte ihn eindringlich. Er atmete tief aus und setzte sich mühsam auf, sodass sein Gesicht jetzt auf gleicher Höhe mit dem meinen war.

»Mir geht es gut, Grace«, beschwichtigte er mich. Seine Stimme klang noch immer raucherstickt. Ich fragte mich, wie lang es wohl dauern mochte, bis sie wieder so tief und vertraut klingen würde wie früher.

Ich wollte nochmals nachfragen, um sicherzugehen, ob er die Wahrheit sagte, aber sein Blick wanderte nun zu den beiden Menschen, die er vom Turm hinabgeworfen hatte: Maisie und Barrow. Doch als er aufzustehen versuchte, erschütterte wieder der bellende Husten seine Brust. Er bewegte sich langsam und steif; offenbar war er doch verletzt.

»Hayden …«

Er ignorierte mich und machte sich auf den Weg zu ihnen, wobei er die Schulter im Gelenk kreisen ließ. Ich erhob mich und rannte ihm hinterher, musste mich beeilen, um ihn einzuholen, gerade als er neben den ersten, zarteren Körper trat. Maisie rührte sich, als er sich zu ihr hinabbeugte und ihr leise die Hand streichelte.

»Maisie«, hörte ich ihn murmeln. Sie stöhnte, dann öffnete sie die Augen. Sie blinzelte ein paar Mal, dann setzte sie sich auf, eindeutig weniger vom Rauch beeinträchtigt als Hayden, da sie schneller das Bewusstsein verloren hatte. Hayden hatte sowohl Maisie als auch Barrow die Treppenstufen hinabgezerrt, sich also erheblich mehr angestrengt und demzufolge auch mehr Rauch eingeatmet.

»Hey«, antwortete sie. Sie rieb sich die Augen, wo der Ruß vom Rauch sich in den feinen Fältchen gesammelt hatte, sodass sich dunkle Striemen auf ihrer Haut gebildet hatten.

Während Hayden sich davon überzeugte, dass es ihr gut ging, sah ich mich um. Obwohl der Turm immer noch brannte, ebenso wie die umliegenden Gebäude, hatten die Kämpfe aufgehört. Ich konnte mir allerdings nicht erklären, wieso. Die Menschen gingen umher, Schatten im flackernden Feuerschein, und untersuchten andere Schatten, die leblos am Boden lagen. Meine vorübergehende Erleichterung wurde von dem Grauen vor den Folgen dieses Gemetzels abgelöst, mit denen wir in den nächsten Stunden konfrontiert sein würden.

Ein lautes Husten riss meinen Blick von einem Menschen, der sich über einen gefallenen Leichnam beugte. In etwa einem Meter Entfernung setzte Barrow sich auf. Heißer Zorn durchzuckte mich bei seinem Anblick, und ich musste mich beherrschen, damit ich ihm keinen Tritt ins Gesicht verpasste. Er wirkte etwas dünner als beim letzten Mal, da ich ihn gesehen hatte, als wären seine festen Muskeln durch die erzwungene Inaktivität auf dem Turm verkümmert.

»Du bist immer noch da«, murmelte er, als sein Blick auf mich fiel.

»Jep, und das bleibe ich auch«, zischte ich vorwurfsvoll. Ich hatte viele Gründe, ihn zu hassen – sein offensichtliches Misstrauen mir gegenüber, seine Versuche, Hayden zu stürzen, und natürlich die Tatsache, dass er mich verschleppt und malträtiert hatte, als ich versucht hatte, nach Blackwing zurückzukehren –, am liebsten hätte ich ihn in die Flammen gestoßen, die in ein paar Metern Entfernung noch loderten.

»Grace«, murmelte Hayden warnend. Er warf mir einen tadelnden Blick zu, als er merkte, wie ich Barrow wütend anfunkelte. Dann wandte er mir den Rücken zu. »Komm, steh auf.«

Verbittert verschränkte ich die Arme vor der Brust und beobachtete, wie Barrow aufstand. Mein Zorn wurde nur ein wenig durch die Erleichterung darüber gemildert, dass auch Maisie sich erhoben hatte. Ein Mann, der zufällig vorüberging, fuhr erschrocken zusammen, als Hayden zu ihm hinüberrief.

»Frank«, sagte Hayden scharf. Der Mann kam mir vage bekannt vor, und ich erinnerte mich daran, dass ich ihn während meiner Blackwing-Zeit hier häufiger hatte Wache schieben sehen. »Ich will, dass du diese beiden zu Docc bringst. Danach steckst du Barrow in eine Hütte, wo du ihn bewachen kannst. Verstanden?«

Nun, da es den Turm nicht mehr gab, musste er sich anscheinend eine neue Lösung ausdenken, um Barrow unter Kontrolle zu halten. Frank nickte unverzüglich und rückte drohend das lange Gewehr zurecht, das über seiner Schulter hing, während er Barrow ansah.

»Danke, Hayden. Für das, was du getan hast«, sagte nun Maisie und trat mit sanftem Lächeln vor.

»Kein Ding«, krächzte Hayden. Wieder musste er husten, nickte und bedeutete ihnen ohne ein weiteres Wort, sich auf den Weg zu machen. Ich registrierte, dass Barrow sich mit keinem Wort bei Hayden für seine Rettung bedankte. Zornig funkelte ich ihm hinterher, als er davonstapfte.

»Hör auf damit, Grace«, meinte Hayden, sodass ich ihn wieder ansah. Er runzelte über mein offensichtliches Missfallen die Stirn.

»Er hat es einfach nicht verdient«, wandte ich ein.

»Er hat mich mit aufgezogen. Ich konnte ihn nicht einfach so sterben lassen.«

Ich brachte nicht genug Mitgefühl auf, um ihm zuzustimmen. »Die Vergangenheit einiger Menschen hat nichts mit ihrer Gegenwart zu tun«, murmelte ich. Dem hätte mein eigener Bruder sicherlich beigepflichtet. Der blutige Beweis für seinen Mordversuch an mir rann immer noch an meiner Brust hinab.

Hayden wollte gerade antworten, als plötzlich eine bekannte Stimme überlaut in der Nähe ertönte. Er schloss den Mund wieder, warf mir einen fragenden Blick zu und deutete mit einem kurzen Kopfnicken auf den Lärm. Ich sollte ihm folgen, und er machte sich, so schnell es sein steifer Körper ihm erlaubte, ebenfalls auf den Weg.

»… und dann ging die verfluchte Bombe genau an meinem Ohr hoch!«

»Was zum Teufel …«, murmelte Hayden verwirrt, als wir um die Ecke bogen, wobei wir darauf achteten, den Flammenzungen auszuweichen, die nach uns leckten.

Dort entdeckten wir eine Gruppe von etwa dreißig Leuten, die sich um niemand anderen als Dax geschart hatte, der lautstark vor sich hin schwadronierte. Erleichtert atmete ich auf, weil er am Leben war. Als Nächstes erblickte ich den vollkommen blutüberströmten Kit und seufzte erneut.

»Was ist los? Was ist passiert?«, fragte Hayden, als wir uns zu der Gruppe gesellten, die uns bereitwillig Platz machte.

»Jemand hat eine Bombe gezündet …«

»Hörst du jetzt verdammt nochmal auf, hier herumzubrüllen? Mein Gott«, murmelte Kit und verdrehte die Augen.

»Was?«

»Ich sagte, halt’s Maul, du Ochse!«, wiederholte Kit etwas lauter. Er schüttelte den Kopf, und ich glaubte die winzige Andeutung eines Lächelns zu sehen, bevor er sich Hayden und mir zuwandte. Diesmal hatte Dax ihn offenbar verstanden, denn er hörte tatsächlich mit dem Geschrei auf.

»Kann mir das mal bitte jemand erklären?«, forderte Hayden ungeduldig.

»Überall wurde gekämpft, und wir drohten besiegt zu werden, weil wir zahlenmäßig unterlegen waren. Da tauchte Perdita auf und zündete eine Blendgranate. Natürlich ging sie genau neben diesem Idioten los, weshalb er jetzt scheinbar schwerhörig ist«, erklärte Kit, wobei er das vorletzte Wort betonte und Dax einen vielsagenden Blick zuwarf. »Die waren zu Tode erschrocken und haben sich vom Acker gemacht.«

Erst in diesem Augenblick bemerkte ich die zierliche alte Frau in der Menge. Ihre Zahnlücken waren gut zu sehen, als sie uns breit angrinste, eindeutig zufrieden mit ihrem Werk. Mir fiel Haydens Beschreibung ein: alte, leicht verrückte Tattoo-Künstlerin und Bombenexpertin.

»Wumm«, sagte Perdita schlicht und nickte eifrig.

»Wumm«, wiederholte ich leise und wie zu mir selbst. Das erklärte den plötzlichen Blitz und die Hitze, die ich gespürt hatte, bevor ich vorübergehend das Bewusstsein verloren hatte. Diese verrückte, faltige alte Lady hatte womöglich gerade unzählige Leben gerettet und den Kampf beendet. Zumindest vorläufig.

»Und sie sind einfach alle geflohen?«, fragte Hayden skeptisch und runzelte verwirrt die Stirn.

»Ja, Kumpel, in alle Himmelsrichtungen. Ist auch gut so. Sah wirklich mies aus«, antwortete Kit und unterband damit Dax’ Versuch zu antworten, oder besser: herumzuschreien.

»Ich sehe nicht mies aus!«, protestierte Dax entrüstet, der Kit falsch verstanden hatte. Kit brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. Ich hoffte, dass Dax’ Gehör irgendwann wiederkommen würde, denn dieser neue, laute Dax hatte beim Anschleichen auf Raubzügen wohl kaum mehr eine Chance.

Trotz der Ereignisse war ich ein wenig belustigt. Alles war natürlich immer noch ziemlich beunruhigend. Überall brannte es, und der Boden war mit Leichen übersät. Wir waren erschöpft, konnten uns aber sicher noch lange nicht zur Ruhe begeben.

»Wie viele sind tot?«, fragte Hayden mit grimmiger Miene.

»Weiß ich noch nicht«, bekannte Kit. Aus der restlichen bislang schweigsamen Menge erhob sich leises Raunen.

»Okay.« Hayden hielt inne und fuhr sich durchs Haar. »Na gut, also, wenn ihr schlimme Verletzungen davongetragen habt, dann geht zu Docc und lasst euch behandeln. Sagt das auch den anderen, die nicht hier sind. Wenn ihr helfen könnt, dann fangt an, die Leichen einzusammeln. Trennt ihre Toten von unseren, aber behandelt sie alle wie menschliche Wesen. Kapiert?«

Die Gruppe murmelte leise und zustimmend, während Hayden jeden Einzelnen eindringlich ansah. »Einige von euch sollten versuchen, das Feuer im Turm zu löschen – hoffentlich können wir ihn retten. Wir haben nicht genug Wasser, um die restlichen Feuer ebenfalls zu löschen, lasst sie also ausbrennen, aber achtet darauf, dass sie sich nicht weiter ausbreiten. Und bleibt alle auf der Hut. Man weiß nie, ob sie nicht doch zurückkommen.«

Mit diesen Worten entließ er uns, und alle schwärmten aus, um sich den ihnen zugewiesenen Aufgaben zu widmen. Er wandte sich zu mir um, und sein Blick brannte sich in mich hinein, als er sagte: »Du solltest lieber in meine Hütte zurückgehen, Grace. Das jetzt wird schwer für dich sein, denn du kennst wahrscheinlich Opfer aus beiden Lagern.«

Erst in diesem Augenblick wurde mir klar, dass er Recht hatte. Nicht nur, dass ich mutmaßlich einige der Toten kennen würde, ich hatte selbst auch jemanden umgebracht. Der Mann, der Jett hinterhergejagt war, war der Erste aus Greystone, den ich getötet hatte. Ich hatte gar nicht weiter darüber nachgedacht und wollte jetzt gar nicht wissen, was das zu bedeuten hatte.

»Nein, ich will helfen«, widersprach ich kopfschüttelnd. Ich wusste, wie sehr Hayden unter alldem leiden würde, und ich wollte für ihn da sein. »Los, fangen wir an.«

Kurz drückte ich seinen Arm. Er war von oben bis unten mit Ruß und Schweiß bedeckt, sodass auch meine Haut jetzt schwarze Striemen zierten. Ich selbst sah wahrscheinlich nicht viel besser aus, zumal ich auch noch Blutspritzer überall hatte. Es gab vieles, worüber wir reden mussten, aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt.

Es dauerte nicht lange, bis wir auf den ersten Leichnam stießen – ein Mann von etwa dreißig Jahren lag mit dem Gesicht nach unten am Wegesrand. Hayden hockte sich wortlos neben ihn und presste seine Finger an das Handgelenk des Mannes, suchte vergeblich nach einem Pulsschlag. Seufzend richtete er sich wieder auf und drehte ihn um. Nun konnte man sein Gesicht sehen, das wir glücklicherweise jedoch beide nicht kannten.

Ich erinnerte mich an unseren Raubzug in der Stadt, an die Brutes, die wir erschossen, nachdem unser Jeep den Geist aufgegeben hatte. Genau wie damals packten Hayden und ich auch diesen Mann an Armen und Beinen, um seinen Leichnam zur immer länger werdenden Reihe der Toten aus Greystone zu bringen. Seine Haut hatte bereits die typische kalte, blaurote Färbung angenommen, und sein Gesicht war leer und leblos, genau wie ich es schon unzählige andere Male gesehen hatte. Mindestens vier weitere Leichen lagen bereits dort auf der Erde, und in der Ferne entdeckte ich weitere Personenpaare, die noch mehr heranschafften.

Im Grunde war dies nur ein Vorgeschmack jenes Krieges, der uns bevorstand, und schon jetzt hatten so viele ihr Leben verloren.

Hayden stieß einen tiefen Seufzer aus, sagte aber nichts, sondern machte sich auf die Suche nach dem nächsten Leichnam, was auch diesmal nicht allzu lange dauerte. Unsere grauenvolle Aufgabe schien endlos. Hayden und ich schleppten einen Körper nach dem anderen zu den entsprechenden Reihen. Beim dritten Leichnam hatte ich weniger Glück – es war eine Frau aus Greystone, die nur ein paar Jahre älter war als ich und einst meinem Bruder sehr nahegestanden hatte. Ich betrachtete sie seltsam teilnahmslos, als wir sie neben die anderen legten.

Nach dem zehnten Toten begannen meine Arme leicht zu zittern. Vier Menschen hatte ich bereits aus Greystone erkannt, danach hatte ich aufgehört, ihnen in die Gesichter zu sehen. Ich wollte nicht wissen, wer aus meinem früheren Leben verstorben war, also stellte ich mir vor, dass sie Mehlsäcke waren, die ich mit den anderen zu Maisie schaffte. Nur so konnte ich einen kleinen Zusammenbruch verhindern. Allerdings vergewisserte ich mich dennoch bei allen Toten, dass es sich nicht um meinen Bruder handelte. Er war nirgends zu entdecken. Anscheinend hatte er entkommen können.

Hayden arbeitete methodisch, wie ein Roboter, als versuchte auch er, emotional möglichst unbeteiligt zu bleiben. Ich wusste aber, dass er damit keinen Erfolg haben würde. Es spielte keine Rolle, in welche Reihe wir einen Toten legten – ob sie zu Blackwing oder Greystone gehörten –, seine Stimmung wurde immer düsterer. Jeder einzelne schien ihn niederzudrücken, physisch und emotional. Er zog sich mehr und mehr in sich und vor mir zurück und verschwand in den düsteren Untiefen seiner Erinnerungen.

Nachdem wir das Gelände Blackwings über eine Stunde lang abgesucht hatten, waren wir fertig. Zwei zermürbend lange Reihen von Körpern waren zusammengekommen und erstreckten sich weiter, als das Auge reichte. Vorläufig, zumindest für heute Abend, schienen meine Freunde jedoch in Sicherheit zu sein. Ich hatte die meisten von ihnen kurz gesehen – Dax, Kit, Docc, Malin –, während sie bei den Aufräumarbeiten nach dem Blutbad halfen. Dennoch nagte weiterhin die Sorge um einen einzigen kleinen Menschen in meinem Hinterkopf – Jett.

Ich stand neben Hayden, die Hände in die Hüften gestemmt, und Schweiß rann mir den Rücken hinab. Die Feuer waren glücklicherweise weitgehend heruntergebrannt, und das Team, das den Turm hatte löschen sollen, war offenbar erfolgreich gewesen. Es blieb allerdings abzuwarten, ob man ihn würde reparieren können.

»Wir haben also zwölf aus Blackwing und dreiundzwanzig aus Greystone«, bilanzierte Hayden und zog so meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Insgesamt fünfunddreißig Menschen waren also am heutigen Abend gestorben, und das im Grunde für nichts. Bei dieser Erkenntnis überlief es mich eiskalt.

»Mein Gott«, murmelte ich. Haydens Gesicht war fast eingefallen; er konnte den Blick nicht von den Opfern aus Blackwing abwenden. Einige waren älter mit faltiger Haut, einige relativ jung, zwischen dreißig und vierzig, während wieder andere erschreckenderweise sogar noch jünger waren als ich selbst. Zu jung, um hier draußen zu sein und für etwas zu sterben, um das sie nicht gebeten hatten.

»Komm, Hayden«, sagte ich und streckte die Hand nach ihm aus. Sanft zog ich an seiner, um ihn von diesem Anblick wegzuziehen. »Du hast genug getan.«

Aber er blieb unverwandt dort stehen. Er ließ meine Hand los, seine eigene hing schlaff herunter, als befinde er sich in einer Art Trancezustand. Er reagierte nicht einmal, als Blackwing-Bewohner hinter uns begannen, die Leichname aus Greystone zu verbrennen und so die Tradition aufrechtzuerhalten, die Hayden ins Leben gerufen hatte. Die Toten aus Blackwing würde man begraben.

»Hayden«, versuchte ich es erneut und schob mich vorsichtig genau in sein Sichtfeld. Sein Blick war glasig, und er musste mehrfach blinzeln, bevor er mich wieder deutlich erkennen konnte. »Komm. Du solltest Docc aufsuchen, damit er dich untersucht.«

»Nein«, widersprach er kopfschüttelnd. »Mir geht es gut.«

»Aber …«

»Ich sagte, mir geht es gut, Grace.« Seine Worte klangen barsch, aber ohne jede Überzeugung. Seine Stimme war ausdruckslos, hohl, leblos. Ich runzelte ganz leicht die Stirn. Genau diese Reaktion hatte ich im Grunde erwartet. Aber dass ich sie vorausgesehen hatte, machte es keineswegs besser.

Zumindest körperlich schien er einigermaßen okay zu sein. Er bewegte sich lediglich etwas steifer als sonst, und auch der beharrliche Husten hatte den ganzen Abend nicht nachgelassen. Er stieß einen tiefen Seufzer aus, als ich ihn leise bat, endlich Feierabend zu machen. Er musste sich ausruhen und brauchte eine Auszeit von der Dunkelheit, die sich heute Abend über uns alle herabgesenkt hatte.

»Komm, lass uns gehen. Du könntest duschen und dich einfach nur … entspannen, okay? Das brauchst du jetzt dringend«, lockte ich ihn und streckte erneut vorsichtig die Hand nach der seinen aus. Diesmal widersetzte er sich nur schwach, gab dann nach und trat einen Schritt von dem grauenhaften Anblick vor uns zurück. Endlich hatte ich ihn dazu gebracht, sich zu bewegen. Also ließ ich die Hand sinken, denn mir fiel wieder ein, dass unsere ›Beziehung‹ bei den meisten Bewohnern Blackwings immer noch relativ geheim war.

In der Ferne hörte ich Dax unnötig laut herumschreien. Ich wusste, dass er und Kit dafür sorgen würde, dass im Camp auch in Haydens Abwesenheit alles weiterlief. Es gab ohnehin nicht mehr viel zu tun, niemand würde uns vermissen.

Ich seufzte erleichtert, als wir die letzte Ecke vor Haydens Hütte umrundeten und ich ein weiteres bekanntes Gesicht entdeckte, das aus seinem von mir ausgesuchten Versteck wieder aufgetaucht war.

»Grace! Hayden!«, rief er aufgeregt und breit grinsend.

»Jett«, antwortete ich erleichtert und brachte sogar ein sanftes Lächeln zustande, obwohl mir das nach dem, was wir hinter uns hatten, nicht leichtfiel. »Es geht dir gut.«

»Ja, tut es! Rainey und ihrer Schwester auch. Ich habe sie beschützt, genau wie du gesagt hast, obwohl gar niemand gekommen ist!«, sagte er und strahlte zu uns empor. Hayden stand reglos neben mir. Erst als Jett die Waffe hinter dem Rücken hervorzog, die ich ihm gegeben hatte, reagierte er endlich.

»Verdammt, wo hast du die her?«, verlangte er zu wissen und nahm sie dem Jungen sofort ab. Jett wirkte perplex und warf mir einen schuldbewussten Blick zu. Dann sah er wieder Hayden an.

»Grace hat sie mir gegeben«, bekannte er verlegen.

»Was?«, blaffte Hayden und funkelte mich zornig an.

»Es geht ihm gut, Hayden, das siehst du doch. Wir wurden überfallen, und er brauchte eben irgendetwas, um sich zu schützen.«

»Du hast ihn in diesem Chaos mit einer Waffe herumlaufen lassen?«

»Nein, natürlich nicht«, erwiderte ich. »Ich habe ihn in einer Hütte untergebracht, zusammen mit zwei verängstigten kleinen Mädchen. Er hat geholfen.«

»Hab ich etwas falsch gemacht?«, meldete sich Jett wieder zu Wort.

»Nein.«

»Ja.«

Hayden und ich hatten gleichzeitig geantwortet und funkelten einander einen Moment lang wütend an. Er sah mir tief in die Augen, dann lenkte er ein. Seufzend wandte er sich wieder Jett zu, während er die Waffe in seinem Hosenbund am Rücken verstaute.

»Sei … einfach nur vorsichtig«, meinte er barsch. »Und jetzt geh wieder zu Maisie. Dieser Anblick hier im Camp ist nichts für dich. Hast du mich verstanden?«

Jetts Augen weiteten sich vor Überraschung. Offensichtlich war er gerade erst aus seinem Versteck gekommen und hatte noch nichts von all der Verwüstung mitbekommen.

»Okay«, antwortete er leise, nickte kurz und wich einen Schritt zurück. »Bis später, Leute.«

»Tschüs, Jett«, rief ich halbherzig.

Ich verdrehte die Augen. Dann packte ich Hayden am Arm und zwang ihn zum Weitergehen. Sein Gang war steif und ruckartig, bis er die Tür aufstieß, damit wir eintreten konnten. Er schaffte nur noch ein paar Schritte hinein, bevor er stehenblieb und langsam und tief ausatmete. Ich konnte beinahe sehen, wie er im Geiste gegen all das ankämpfte, was ihn bedrückte, und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als ihm diese Bürde von den Schultern zu nehmen.

Ohne ein Wort ging ich zu ihm. Vorsichtig streichelte ich seine Seite, ließ die Daumen sanft über seine Rippen fahren. Ich sah, wie er die Augen ein letztes Mal fest schloss, dann den Kopf neigte, um auf mich herabzusehen. Sein Blick war so intensiv, dass mein Herz plötzlich härter gegen meine Rippen schlug. Das Schweigen breitete sich aus, und die Spannung zwischen uns wuchs. Er schien zwischen unterschiedlichen Gefühlen hin- und hergerissen zu sein, von denen keines wirklich positiv war.

»Komm her«, flüsterte er leise.

Nach einer gefühlten Ewigkeit zog er mich an sich. Ich reagierte automatisch, schlang die Arme um ihn, und so blieben wir in inniger Umarmung stehen, mein Gesicht an seiner Brust. Er roch nach Rauch, Schweiß und Blut, dennoch genoss ich die angenehme Wärme, seinen Körper so nah an meinem zu spüren. Ich fühlte, wie seine Lippen sich sanft auf meinen Scheitel drückten.

»Ich bin so froh, dass es dir gut geht«, raunte ich, wobei meine Worte von seiner Brust gedämpft wurden. Seine Umarmung wurde fester, als befürchtete er, ich könne ihm entgleiten.

»Nur deinetwegen«, antwortete er sanft. »Du hast mich gerettet.«

Ich schüttelte den Kopf. Wenn es eines gab, dessen ich sicher war, dann, dass er es auf jeden Fall irgendwie geschafft hätte. Er brauchte mich nicht. Ich musste ihn nicht retten.

»Nein, habe ich nicht.«

Die Umarmung dauerte noch ein paar weitere Sekunden an. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt, als er sich weiter zu mir herabbeugte und mir in die Augen sah. Sein Blick fuhr mir wie ein Schwert durch den Körper, bis hinab zu den Zehen.

»Doch, hast du wohl. Du hast mich gerettet, Grace. In jeglicher Hinsicht.«

Kapitel 3

Schmerz

Hayden

Grace stand mit dem Rücken zu mir, ohne zu bemerken, dass ich sie musterte. Mein bedächtiger Blick glitt ihren Körper hinab, der nun bis auf den dünnen Stoff ihres Unterhöschens nackt war. Ich registrierte ihre schmale Taille, die in frauliche Hüften überging, und ich bemerkte, dass ihre Haut zwar voller Schmutz, Ruß und Blut, aber dennoch samtweich war.

Mir stockte der Atem, als sie sich umwandte und schmunzelte. Offensichtlich hatte sie mich dabei ertappt, wie ich sie anstarrte. Sie wandte sich noch einmal um und zog das letzte Kleidungsstück aus, sodass sie vollkommen nackt war, während ich nur wartend dastand. Das kalte Wasser aus der Dusche prasselte auf mich herab, und doch schien es wärmer zu werden, als Grace mir unter den Strahl folgte.

»Ganz schön kalt«, bemerkte ich tonlos das Offensichtliche.

»Ja, ein wenig«, sagte sie. Sie lachte leise, trat dichter an mich heran, und ich spürte, wie ihre warmen Hände auf meiner Brust landeten. »Du bist schmutzig.«

»Du auch«, bemerkte ich.

Das Wasser, das den Ruß von ihrer Haut spülte, war beinahe schwarz. Doch das meiste blieb trotzdem haften, denn Wasser allein konnte nicht alles abwaschen. Sie rieb an ihrer Haut herum, allerdings ohne großen Erfolg.

»Hey, lass mich …«

Ich verstummte, griff nach einem Lappen, benetzte ihn mit Wasser, bevor ich Seife darauf gab und damit über ihren Körper fuhr.

Dunkles Wasser floss herab, wo immer meine Hände sie berührten, und langsam, Stück für Stück, kam ihre wunderschöne Haut wieder zum Vorschein. Mein Herz schlug schneller, als der Lappen eine gezackte Narbe enthüllte, die sich über ihrem Brustkorb gebildet hatte. Es schien schon so lange her zu sein, dass ihr diese Verletzung zugefügt worden war, aber die Erinnerung daran zeichnete sie für immer.

Ein leises Seufzen entrang sich mir, als ich den Lappen ein letztes Mal nutzte, um ihre Brust zu reinigen, wobei ich darauf achtete, den Schnitt direkt über ihrem Herzen zu meiden. Ich musterte ihn eingehend, betrachtete den Riss in der Haut und das dünne Blutrinnsal, das immer noch nicht versiegt war. Vorsichtig strich ich mit dem Daumen unter der Wunde entlang, um den Rest wegzuwischen.

»Das sollte genäht werden, Grace«, sagte ich leise. »Wenn nicht, bekommst du dort eine wulstige Narbe.«

»Ist mir egal«, antwortete sie langsam. »Irgendwie wünsche ich mir das sogar.«

»Warum?«

Sie hatte schon viel zu viele Narben, und ich hasste die Andenken daran, dass sie Schmerzen erlitten hatte. Diese hier würde sich zu der schwachen an ihrem Oberschenkel gesellen, wo sie angeschossen worden war, und zu der langen, gezackten über ihren Rippen, zusammen mit unzähligen anderen, die noch aus der Zeit stammten, als ich sie noch nicht kannte.

Sie gab mir nicht sofort eine Antwort, sondern schürzte nur die Lippen. Sie wandte den Blick ab und sah auf meine Brust hinab, wo ihre Hände weiterhin sanft ihrerseits mit einem zweiten Lappen meine Haut säuberten.

»Warum, Grace?«, wiederholte ich leise und neigte den Kopf, damit sie mich ansehen musste.

»Ich brauche die Narbe als Erinnerung.«

»Eine Erinnerung woran?« Ich war verwirrt, versuchte zu verstehen.

»Eine Erinnerung daran, dass … Menschen sich verändern können. Egal, was sie dir bedeuten.«

Das klang übel, aber ich verstand immer noch nicht, warum sie eine dermaßen abstoßende Erinnerung für immer auf ihrem schönen Körper haben wollte. Meine eigene Haut hatte sie jetzt vollends gesäubert, und sie legte den Lappen fort und ließ den letzten kümmerlichen Rest des sauberen Wassers über uns beide hinwegspülen. Meine Hände landeten auf ihren Hüften, und ich zog sie näher an mich heran.

»Was ist passiert, Grace?«

Sie antwortete nicht sofort, sondern atmete tief aus. Schließlich sah sie mich unsicher an. Ich musterte sie intensiv.

»Es war Jonah … Mein Bruder hat mir das angetan«, erklärte sie langsam und wartete angespannt auf meine Reaktion. Sofort spürte ich eine Woge des Zorns und der Empörung: Ihr eigener Bruder hatte versucht, sie zu töten.

»Machst du Witze?«, rief ich schäumend vor Wut. »Er hat dir das angetan? Was zum Teufel …«

»Hayden, ist schon gut …«

»Nein, ist es nicht!«, widersprach ich laut. Zu laut für den kleinen Raum, in dem wir uns befanden. »Du bist seine Schwester!«

Ich konnte kaum fassen, wie abartig jemand sein musste, der versuchte, ein Mitglied der eigenen Familie zu töten, egal, was der Betreffende getan hatte.

»Ich habe sie verraten«, antwortete Grace achselzuckend. Und eine Spur zu lässig.

»Das ist noch lange kein Grund, um dich töten zu wollen«, widersprach ich energisch.

»Seiner Ansicht nach schon.«

»Nein«, murmelte ich und schüttelte ärgerlich den Kopf. »Das ist erbärmlich.«

»Hayden …«

»Mein Gott, Grace, tut mir leid. Aber dein Bruder ist ein Arschloch.«

»Ich weiß«, antwortete sie leise. Ihre Hände glitten zärtlich an meiner Brust empor und landeten mit einem Mal an meinem Kinn, als wolle sie meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. »Aber es geht mir gut, okay? Mach dir deshalb keinen Kopf.«

»Wirklich? Und lüg mich nicht an, Grace. Wenn es dir nicht gut geht, dann sag es mir«, beharrte ich und sah ihr forschend in die Augen.

Sie holte tief Luft und zog meinen Kopf zu sich herab. Dann presste sie überraschend ihre Lippen auf die meinen, küsste mich zum ersten Mal, seit all das geschehen war. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, meine Hände auf ihren Hüften zogen sie dichter an mich, und Wärme durchströmte meinen Körper. Viel zu schnell löste sie die Lippen wieder von mir. Ich lehnte meine Stirn an ihre.

»Mir geht es gut, Hayden, versprochen.«

Ich beobachtete sie, unsicher, ob ich ihr nun glaubte oder nicht, während das Wasser weiter auf uns herabrieselte. Sie warf mir ein sanftes Lächeln zu, bevor sie sich von mir löste, um sich zwei Handtücher zu schnappen. Eines gab sie mir, das andere schlang sie sich um den Körper. Ich nahm es und band es mir um die Taille. Sie wandte sich um, wollte das kleine Badezimmer verlassen.

»Warte«, rief ich, griff sanft nach ihrem Arm und zog sie zurück. Ich rückte zu dem kleinen von mir eingebauten Regal hinüber und zog ein paar weiße Verbandsstreifen heraus. Dann stellte ich mich wieder vor sie hin. »Halt still«, befahl ich ruhig.

Ich nahm einen Verband aus der Verpackung und platzierte ihn vorsichtig auf der Wunde, versuchte sie, so gut es ging, zu verschließen, bevor ich einen zweiten Streifen aufklebte. Sanft fuhr ich mit den Fingern über den Verband, um mich davon zu überzeugen, dass er flach und fest saß. Dann beugte ich mich hinab, um sanft meine Lippen auf die verbundene Stelle zu pressen. Dort ließ ich sie ein paar Sekunden lang verharren, bevor ich mich wieder erhob. Wie immer knisterte die Spannung zwischen uns.

»Ich weiß, du wünschst dir eine Narbe, um dich stets daran zu erinnern, dass Menschen sich verändern können, aber … das werde ich nicht. Diese Sache zwischen uns, was ich für dich empfinde … das wird sich niemals ändern. Verstanden?«

Sie sog so scharf den Atem ein, dass ihr Kinn leicht zitterte, und ihre Augen weiteten sich vor Überraschung. Ich spürte förmlich, wie ihr Herz in ihrer Brust pochte – genau wie mein eigenes.

»Verstehst du, Grace?«, wiederholte ich leise. Ich hob die Hände und umfing sanft ihr Gesicht.

»Absolut«, sagte sie schließlich. Ihre Stimme klang etwas atemlos. »Ich liebe dich so sehr, Hayden.«

»Ich liebe dich auch.«

Ich ließ meinen Worten einen süßen, zärtlichen Kuss folgen. Ich versuchte nicht, ihn zu intensivieren, sondern genoss lediglich seine Schlichtheit. Ich hatte das Gefühl, dass mir mit jedem Mal, da sie sich von mir küssen ließ, etwas von der erdrückenden Last von den Schultern genommen wurde.

Sie verharrte ein paar weitere Sekunden in meiner Umarmung, dann gingen wir zurück ins Hauptzimmer. Ich holte ein Paar Boxershorts aus der Kommode und streifte sie über. Dann setzte ich mich auf die Bettkante, während Grace sich ankleidete, schnell ihr Haar trocknete und ihr Handtuch neben meines hängte. Ich beugte mich vor, schlang die Hände um ihre Beine und zog sie dichter zu mir heran.

»Geht es dir gut, Hayden?«, fragte sie leise. Sanft strich sie mir das Haar aus dem Gesicht. Ich nickte langsam und ließ die Finger federleicht über die Hinterseite ihrer Schenkel gleiten. Sie drehte sich so, dass ihre Beine zwischen meinen lagen, setzte sich auf meinen Oberschenkel und schlang den Arm leicht um meinen Hals.