Saubere Stadt - Mika Biermann - E-Book

Saubere Stadt E-Book

Mika Biermann

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Beschreibung

2013 ist Marseille Kulturhauptstadt Europas und versucht sich von seiner saubersten Seite zu zeigen. Mika Biermann zeigt uns in seinem Roman, der erstmals auf deutsch erscheint, ein ganz anderes Bild dieser Stadt. Denn in einer Welt, die zunehmend aus Müll besteht, bleibt uns nichts anderes übrig als den Müll zu lieben. Während die Sommersonne die Müllhalden und Strände von Marseille erhitzt und schwülwarmen Gestank auf die Straßen legt, sitzt Madeleine-Marie Rofil im Gerichtssaal, angeklagt ihren eigenen Ehemann ermordet zu haben. Und während die Zeugen mit allen Mitteln versuchen, ihre Schuld zu nachzuweisen, kommen noch ganz andere schmutzige Details ans Tageslicht. Ein Roman über Mut, Moral und Müll.

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Ähnliche


Impressum

1. Auflage Februar 2013

©opyright 2013 by Autor

Umschlaggestaltung: [D] Ligo design + development

Titelbild: © sablin – Fotolia.com

Lektorat: Miriam Spies

Satz und EBook-Erstellung: Fred Uhde (www.buch-satz-illustration.de)

ISBN: 978-3-942920-69-8

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist

nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet.

Hat Dir das Buch gefallen? Schreib uns Deine Meinung unter:

[email protected]

Mehr Infos jederzeit im Web unter www.unsichtbar-verlag.de

Unsichtbar Verlag | Wellenburger Str. 1 | 86420 Diedorf

Mika Biermann

Saubere Stadt

Klares Handeln, saubere Stadt

war das Motto der Reinigungsbetriebe der Stadt Marseille Anfang der neunziger Jahre

Für Lilian

1.

»Der Körper von Jacques Rofil ist durchbohrt wie ein Schmetterling …«

»Protokollführerin! Etwas Zurückhaltung!«

»Verzeihung, Monsieur Gerichtspräsident, aber ich habe den Autopsiebericht bereits entschärft, wo steht ›aufgespießt wie ein Hühnchen‹.«

Die Mutter des Opfers rutscht ohnmächtig von der Bank.

»Zehn Minuten Pause! Man kümmere sich um die Dame! Protokollführerin, in mein Arbeitszimmer! Das Publikum verlässt den Saal!«

Ich beobachtete Jacques, der mit steifem Rücken auf seinem Handtuch saß, den muskulösen Oberkörper von der tiefstehenden Sonne ins rechte Licht gerückt. Er betrachtete abschätzig die Familien, die ihren Kram zusammenpackten und abzogen, ihren Müll zurücklassend: leere Joghurtbecher, zerknüllte Zigarettenschachteln, fettige Papiere, Plastikflaschen, Bier­dosen, geplatzte Tuben voll Sonnenkreme. Jacques verabscheute den Strand. Sogar im Sommer zog er das Sonnenstudio vor. Er hasste es, unregelmäßig braun zu werden.

Das Publikum bevölkert erneut den Saal des Geschworenen­gerichts der Stadt Aix-en-Provence, in dem die Klimaanlage konstant neunzehn Grad aufrechterhält. Licht aus dreißig Deckenschalen leuchtet matt auf honigfarbenem Furnierholz. Die Mutter heult leise in ein Taschentuch. Der Präsident streichelt den Pelzbesatz seiner roten Robe. Verteidiger und Ankläger warten auf ihre Stunde. Die Geschworenen haben verantwortungsvolle Mienen aufgesetzt. Die Protokoll­führerin reibt ihren feisten Hals und hebt ihre dünne Stimme.

»Der Körper von Jacques Rofil ist durchbohrt von einem rechteckigen Eisenstab. Das Eisen dient zum Stützen eines Bewässerungsschlauches. Es ist unter dem rechten Schulter­blatt zwischen der fünften und sechsten Rippe eingedrungen, hat den Lungenoberlappen durchstoßen, die linke Herzkammer beschädigt, den Aortenbogen zerrissen, und ist unter der linken Brustwarze wieder hervorgekommen, wobei es Brust- und Deltamuskel zerfetzt hat. Der rechte Ellenbogen ist verdreht, der Gelenkhöcker weist einen Riss von fünf Millimetern auf. Der Körper zeigt keine anderen Verletzungen. Der Magen enthält Reste eines Tunfischbrotes und eines süssen Getränks. Der Alkohol­pegel im Blut ist null, es werden keine körperfremden chemischen Substanzen gefunden. Der Tod von Jacques Rofil muss augenblicklich eingetreten sein.«

Ich war es, die unbedingt an den Strand in die Bucht von Anthénors gewollt hatte. Seit meiner Kindheit liebte ich die Côte Bleue, die man vom Wohnzimmerfenster meines Elternhauses auf der anderen Seite der Bucht von Marseille sehen konnte. Zwischen ihr und der Côte d’Azur bestand derselbe Unterschied wie zwischen den Farbtönen, die sie bezeichneten: die Côte d’Azur für die Snobs, die Côte Bleue fürs Volk. Der rote Vorortzug dorthin überquerte tiefeingeschnittene Buchten auf steinernen Viadukten und pfiff in den Tunneln, um Wanderer von den Gleisen zu scheuchen. Zwischen den Schwellen lagen verknotete Präser. Bäume waren selten und meist verkohlt. In den Felslöchern am Ufer zersetzten sich die Madenschachteln der Angler in Salzlauge. Auf dem Meeresgrund schwammen mehr Bierflaschen als Fische, Tampons trieben zwischen Quallen. Unter die Kiesel der Strände mischten sich Kippen, Kronenkorken, Wurstpellen, Melonenkerne, von der Dünnung rundgeschliffene Glasstücke. Die Steine waren fettig und rochen nach Fußschweiß und Kokosöl.

»Um 18 Uhr 34 erhalten die Feuerwehrmänner der Kaserne des Littoral in Marseille einen Anruf von Madeleine-Marie Rofil. Sie sagt, ihr Mann sei schwer verletzt, benötigedringend Hilfe, und nennt die Adresse der Villa im Viertel Malmousque. Um 18 Uhr 40 ist ein Krankenwagen vor Ort. Der Notarzt der Feuerwehr stellt umgehend den Tod von Jacques Rofil fest, der in einem Lavendelbeet unter der Veranda liegt, neben der siebenstufigen Freitreppe. Angesichts des aus der Brust ragenden Vierkanteisens wird eine Wiederbelebung nicht versucht. Ein Polizeiwagen trifft um 18 Uhr 53 an der Villa ein. Der Brigadier Coulombesperrteine Sicherheitszone ab. Er leitet die ersten Verhöre. MadameRofil, ich zitiere: ›sichtlich erschüttert, aber in der Lage, zu antworten‹, gibt an, die Villa um 13 Uhr verlassen zu haben. Bei ihrer Rückkehr um 18 Uhr 30 habe sie ihren Gatten ohne sichtbare Lebenszeichen im Vorgarten aufgefunden.«

Ich ließ mich zwischen den mit Seeigeln übersäten Steinen im trüb-warmen Wasser treiben. Meine Haare filterten Salz, Algen und den Schmutz des Sommers. Plastikmüll streifte die Haut meiner Schenkel. Das Cellophanpapier eines Zigarettenpäckchens klebte auf meiner Schulter. Ich war glücklich, bis Jacques mich rief, um aufzubrechen. Als ich aus dem Wasser watete, war er dabei, sein Hemd anzuziehen.

»Gehst du nicht rein?«

»Zu schmutzig.«

»Es ist wunderbar!«

»Los, gehen wir.«

»Warte. Ich muss mal dringend.«

»Hättest du das nicht im Wasser erledigen können? Ist doch schon die reinste Pisse.«

»Großes Geschäft …«

»Du kannst ja wohl bis zu einer Kneipe in Rove aushalten.«

»Nein. Tut mir leid. Ich komme gleich wieder.«

Ich nahm Papiertücher aus meiner Tasche. Ich war ehrlich erstaunt über sein angeekeltes Gesicht. Mir wurde klar, dass ich mit einem Mann verheiratet war, der mich mit Abscheu betrachtete, nur weil ich mal dringend scheißen musste.

Die Protokollführerin hustet lange, bevor sie weiterredet.

»Die letzte Stufe der Freitreppe ist von einer extrem rutschigen, öligen Substanz überzogen. Vor der Eingangstür finden die Beamten einen vollen Müllsack, von innen durch eine Scherbe zerrissen. Während der ersten Sitzung vor dem Untersuchungsrichter gibt Madeleine-Marie Rofil folgende Version zu Protokoll: Am fraglichen Tag will sie den Küchenmülleimer leeren. Vor der Haustür läuft Sud aus dem Müllsack auf die oberste Stufe der Treppe. Sie wischt die Flüssigkeit notdürftig mit Küchenkrepp auf, und beschließt, neue Müllsäcke zu kaufen. Bei ihrer Rückkehr gegen 18 Uhr 30 findet sie ihren Ehemann neben der Treppe. Er ist offenbar auf der obersten Stufe ausgerutscht und über das Geländer auf den eisernen Schlauchhalter gestürzt, in den Lavendel.«

Die Atembeschwerden der Protokollführerin werden immer störender. Zwischen den Worten schnappt sie hastig nach Luft, was nicht viel zu helfen scheint.

Am Ende des Strands hatten die Winterstürme eine kleine Höhle in einen ockerfarbenen Wall aus Erde und Muschelkalk gefressen. In der Nähe des Eingangs thronte ein großer Felsblock. Hinter dem Felsblock stand eine Waschmaschine. Das emaillierte Gehäuse fehlte. Übrig waren der rostige Rahmen, der Betonklotz zum Beschweren, ein paar Motorteile und die Trommel aus Edelstahl, aus ihrer Halterung gerissen und zwischen den Streben verklemmt. Auf der glänzenden Trommel lag die weiße Leiche eines Rochen mit aufgerissenem Bauch. Auf dem Grund der tiefen Wunde schimmerten rosenfarbene Organe. Rings um die Maschine häufte sich der übliche Unrat: Plastikflaschen, Dosen, Styroporstücke, Scherben. Und keine Fliege weit und breit.

Die Fliegen hatten sich in den Schatten der Höhle zurückgezogen, summten und brummten über Exkrementen jeglichen Alters und Frischegrades, die andere Badende dort im Laufe der Monate deponiert hatten. An einer freien Stelle zog ich die Träger meines Badeanzugs von den Schultern und pellte den feuchten Stoff bis zu den Knien. Als ich mich hinkauerte, berührten meine kalten Brüste meine Schenkel. Ein stinkender Hauch streichelte meinen Rücken. Die Kacke roch nach rostigen Rasierklingen. Ich hob den Blick. Draußen, im Abendlicht, glühte die ruinierte Waschmaschine mit dem toten Rochen auf der Trommel. Mein Herz fing an, heftig zu schlagen. Mir stockte der Atem. Ich fragte mich, ob so ein Herzanfall anfängt. Ich hatte Tränen in den Augen. Durch meinen Bauch zog ein Verlangen, das nichts mit dem eigentlichen Grund meiner Anwesenheit hier zu tun hatte. Ich schob eine Hand zwischen meine Beine. Das Schamhaar war nass, und es war kein Urin. Ich, die ich eine eher trockene Möse hatte, tropfte wie ein Brunnen inmitten von Exkrementen, Fliegen und Abfall. Als ein Köttel begann, meine Rosette zu erweitern, kam es mir.

»Kommissar Humblot kommt um 19 Uhr 15 bei Rofils an, begleitet von der Spurensuche und dem Gerichtsarzt. Sein Bericht am nächsten Tag geht von einem Unfall aus. Jacques Rofil sei ausgerutscht und in den Garten gestürzt. Drei Tage später, am 1. Juni, beschuldigen die Eltern von Jacques Rofil ihre Schwiegertochter des Mordes an ihrem Sohn. Der Mutter zufolge habe Jacques seit einigen Monaten über eine tiefe Unstimmigkeit in seiner Ehe geklagt, vom merkwürdigen Verhalten seiner Frau erzählt und von seiner Absicht, sein Testament zu ändern, nachdem Madeleine-Marie Rofil sich strikt geweigert habe, ein Kind auszutragen. Am 3. Juni eröffnet der Untersuchungsrichter ein Verfahren und ordnet eine Durchsuchung der Villa an. Während des Verhörs am selben Tag weist Madeleine-Marie Rofil die Mordanklage zurück, die ihrer Meinung nach einzig und allein motiviert ist durch den zähen Hass der Mutter ihr gegenüber. Sie erklärt, immer im besten Einverständnis mit ihrem Gatten gelebt zu haben.«

Jacques war schon angezogen, inklusive Armbanduhr und Sonnenbrille. Seine weißen Shorts waren wie immer makel­los.

»Fertig?«

»Ja.«

»Was ist los?«

Ich zuckte hilflos mit den Schultern und ging zum Wasser. Das Meer war von einer Ölschicht bedeckt. Ich tauchte meine zitternden Hände ein. Eine Welle wusch den Geruch meiner Möse und des Rochens fort, dessen Wunde ich beim Verlassen der Höhle gestreichelt hatte.

»Von Untersuchungshaft für Madeleine-Marie Rofil wird abgesehen, ihr wird bis zum Prozessbeginn Hausarrest auferlegt.«

Die Gerichtsdienerin hat ihre Lektüre beendet. Sie ist sichtlich erleichtert. Der Staatsanwalt unterdrückt ein Gähnen, der Präsident ein Lächeln. Die Geschworenen nehmen wieder Haltung an. Es ist 10 Uhr 50. Draußen in den Kneipen werden die ersten Pastisgläser gefüllt. Die ersten Biere werfen goldene Schatten auf die von Lappen feuchten Tresen. Im Saal des Geschworenengerichts, erhellt von sanftem Licht aus dreißig Milchglasschalen, hält die Klimaanlage die Temperatur konstant bei neunzehn Grad.

2.

»Angeklagte, erheben Sie sich!«

Eine junge Frau steht auf. Sie trägt ein weißes T-Shirt und blaue Jeans. Ihre blonden Haare sind glatt und schulterlang. Ihre Haut ist weiß, ohne Sommersprossen. Sie trägt keinen Schmuck. Sie schaut dem Gerichtspräsidenten gerade in die Augen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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