SCHLACHTHAUS - Lebe, bevor der Tod dich holt - Hardy Crueger - E-Book
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SCHLACHTHAUS - Lebe, bevor der Tod dich holt E-Book

Hardy Crueger

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Beschreibung

+ + + Hier auch als Druckbuch erhältlich + + + --- Zwischen Aktendeckeln, Horrorfilmen und Snuff-Movies lebt Kevin Breuer ein eher beschauliches Leben. Aber jetzt hat er genug davon, sich Mord und Totschlag nur anzusehen. Im Darknet macht er sich auf die Suche nach jemandem, der ihm die Wirklichkeit zeigt. Auf einer obskuren Plattform lernt er "Predator87" kennen und glaubt, endlich seinen lang ersehnten Seelenverwandten gefunden zu haben. Der Mann lebt abgeschieden in einem Haus im Wald und hat keinerlei Skrupel, sich ganz seinen teuflischen Neigungen hinzugeben. Als er auf Kevins Anzeige stößt, weckt sie seine grausame, unmenschliche Sucht nach Abwechslung. Aber eine äußerst aufmerksame Beobachterin schleicht um sein Haus. - - - - - Ein gradlinig erzählter, nervenaufreibender Psychothriller, der geschickt mit Splatter- und Horrorelementen spielt. - - - - - Wem es im GLASHAUS zu harmlos und im IRRENHAUS nicht wahnsinnig genug war der ist herzlich eingeladen, sich mal im SCHLACHTHAUS umzusehen. Und neue Gäste sind dort natürlich auch jederzeit willkommen ... - - - - - »Nichts wäre verdrießlicher, als den Schluss der Geschichte nicht zu erfahren.« NDR-Fernsehen - - - »Crueger. Da weiß man, was man hat: Spannung und Gruseleffekte mit Niveau.« Braunschweiger Zeitung - - - »Und dann beginnt ein cruegertypisches Grauen.« Wolfenbütteler Zeitung - - - »Grusel und kalte Schauer beim Lesen sind garantiert.« Folkmagazin - - - »Das Martyrium der Opfer ist nichts für schwache Nerven und die grausamen Szenen werden eindringlich beschrieben.« amazon - - - »Die Szenen erzeugen bluttriefende Bilder im Kopf aber das ist es ja, was ein Thrillerleser will. Nach dem Lesen des Buches fragt man sich schaudernd, was wirklich möglich ist und was hier nur der Fantasie des Autors entspringt.« Thalia - - - »Zum Ende hin kommt es zu einem actiongeladenen Showdown, das den Leser atemlos durch das Buch eilen lässt.« Weltbild - - - - - (Zitate aus Rezensionen von Cruegers "GLASHAUS", "Das Blutspiel" und "Okergeschichten".)

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Inhaltsverzeichnis

Buch und Autor

Geduld

Prolog - 100 Euro

1. Kevin

2. Schutzengel

3. Predator

4. Blutsbrüder

5. Melli

6. Karnivoren

7. Schlachthaus

8. Carpe diem

Nachwort

Impressum

GLASHAUS

IRRENHAUS

Impressum

Hardy Crueger

SCHLACHTHAUS

Lebe, bevor der Tod dich holt

Thriller

Buch und Autor

Zwischen Aktendeckeln, Horrorfilmen und Snuff-Movies lebt Kevin Breuer ein eher beschauliches Leben. Aber jetzt hat er genug davon, sich Mord und Totschlag nur anzusehen. Im Darknet macht er sich auf die Suche nach jemandem, der ihm die Wirklichkeit zeigt. Auf einer obskuren Plattform lernt er Predator87 kennen und glaubt, endlich seinen lang ersehnten Seelenverwandten gefunden zu haben. Der Mann lebt abgeschieden in einem Haus im Wald und hat keinerlei Skrupel, sich ganz seinen teuflischen Neigungen hinzugeben. Als er auf Kevins Anzeige stößt, weckt sie seine grausame, unmenschliche Sucht nach Abwechslung. Aber eine äußerst aufmerksame Beobachterin schleicht um sein Haus.

Hinweis: Dieses Buch enthält Szenen, die auf sensible Gemüter verstörend wirken können.

Hardy Crueger, geboren in den 1960ern, lebt als freiberuflicher Schriftsteller in Braunschweig und schreibt Romane zu geschichtlichen Themen, aber auch Krimis, Thriller und Suspense-Kurzgeschichten.

Als Dozent für kreatives Schreiben leitet er die KrimiWerkstatt Braunschweig und ist außerdem im Vorstand des Verbandes deutscher Schriftsteller*innen (VS) Niedersachsen aktiv.

Bisher sind siebzehn Bücher von ihm erschienen. Mehr Informationen finden Sie auf seiner Internetseite und auf facebook.

Geduld

macht den Jäger aus

Geduld und Mut

Schnelligkeit

Und kaltes Blut

Prolog - 100 Euro

Gleichmäßig atmen. Nicht zu schnell werden, meine liebe Frau Doktor Wegner.

Zwei scheußliche Tage lagen hinter ihr. Kaum einer der gutsituierten Teilnehmer ihres ersten Investment-Seminars hatte die Kompetenz anerkannt, mit der sie das komplexe Thema behandelte. Immer hatte irgendwer der Herren Pensionäre die Ausführungen kommentiert, kritisiert und dann voller Genuss kastriert. Ob es der Vortrag über neue Anlagemöglichkeiten in Asien war oder das Thema Zertifikate - Lösungen in Zeiten der Minuszinsen. Schon während des ersten Blocks hatte sie sich unsicher gefühlt. Nach dem zweiten war klar: Sie ließen ihr keine Chance. Eine schlanke, junge, blonde Frau, die gerade von der Uni kommt und alten, arroganten Geldsäcken etwas über Kapitalanlagen erklären will. Lächerlich! Am Abend, in der Lobby des Seminarhotels Sonnenhof, hatte sie den Teilnehmer, den sie am nettesten fand, gefragt, warum er sich denn überhaupt angemeldet habe. »Na, wegen Ihnen, Frau Dr. Wegner ... Christina.«

Diese Antwort, untermalt von einem süffisanten Grinsen, hatte ihr Gesicht versteinern lassen.

»Und wegen der schönen Gegend hier im Schwarzwald, der Golfplatz, der Titisee, es ist wie Urlaub«, hatte er angefügt, den Blick auf ihre Brust gerichtet.

Langsamer. Und gleichmäßig atmen, Süße.

Dann hatte er auf ihre linke Hand gezeigt, auf der sich schwach ein verschlungenes Ornament von ihrem kleinen Finger bis zum Handgelenk zog und noch weiter den Unterarm hinauf. Zur Hochzeitsfeier einer Freundin vor zwei Wochen hatte sie es sich aufmalen lassen. Fast hätte er es berührt, als er sagte: »Und das Henna-Tattoo sieht wirklich sexy aus. So nennt man das doch, oder?«

Am liebsten hätte sie ihm eine geknallt. War auf ihr Zimmer gegangen, hatte die Joggingklamotten angezogen. Die langen blonden Haare zu einem seitlichen Zopf geflochten, den sie am Ende mit einem samtgrünen Haargummi fixierte. Dann war sie durch den Wald gehetzt, bis runter zum See, wo sie sich den Frust rausgeschrien hatte.

Gleichmäßig atmen. Und aufpassen, dass du nicht stolperst, Frau Doktor.

Jetzt war die Tortur des Seminars mit den überheblichen Besserwissern zum Glück vorbei. Nach dieser letzten Joggingrunde würde sie noch einmal duschen und sich dann in den Zug nach Frankfurt setzen. Rasch lief sie zwischen Bundesstraße und Wald dahin. Ihr Herz pochte, aber die Schwere der Beine, die sie immer die ersten paar hundert Meter spürte, war schon vergangen. »Sie haben einen Kilometer in fünf Minuten und achtundfünfzig Sekunden zurückgelegt ...«, vermeldet die Lauf-App aus dem Smartphone an ihrem Oberarm. Gute Zeit. Das schaffte niemand von den dickbäuchigen Widerlingen. Nur weil sie ein Frau war, hatten sie sie nicht ernst genommen. Die Wut brodelte immer noch in ihr und wieder musste sie sich ermahnen, nicht zu schnell zu werden.

Hinter einer sanften Biegung gabelte sich der Weg. Der linke führte zwischen zwei Feldern zur Straße, der rechte durch den Wald zum Örtchen Hinterzarten. Als sie näher kam, sah sie einen silberfarbenen Hyndai-Van an der Gabelung stehen.

Sicher auch ein Jogger oder jemand der seinen Hund Gassi führt, dachte sie und lief auf den Wagen zu. GS zeigte das Kennzeichen. Sie hatte keine Ahnung, was das für ein Ort war, ob der hier in der Gegend lag oder sonst wo, und bog nach links ab.

Da musste sie wohl durch, als Frau. Aber ich werde es den ganz Idioten noch zeigen, dachte sie und biss die Zähne zusammen. Ich werde Geld verdienen, viel Geld. »Und dann werdet ihr Dreckskerle zu mir kommen und das Dreifache für meine Seminare zahlen!«, rief sie, als sie etwas auf dem Schotterweg liegen sah, das in dem graubraunen Staub des Weges hellgrün hervorstach. Müll, eine Getränkepackung vielleicht, und schon war sie daran vorbei. »Halt!«, rief sie aus, bremste scharf ab und drehte sich mit rhythmischen Trippelschritten um. Das gab es doch gar nicht. Das war kein Müll. Trabte die drei, vier Meter zurück, die ihre Geschwindigkeit sie an dem hellen Grün vorbeigetrieben hatte. Das war ein Hundert-Euro-Schein!

Na sowas, dachte sie, nach Atem ringend. Schaute schnell den Weg hinauf und dann zu dem Auto an der Weggabelung. Weit und breit keine Menschenseele. Drehte flink den Kopf, ließ ihren Blick rasch über die Wiese rechts des Weges gleiten und über das dichte Gebüsch des Waldsaumes auf der anderen Seite. Niemand da. Keuchend bückte sie sich nach dem Geldschein und in dem gleichen Augenblick, als sie ihn mit den Fingern gepackt hatte, spürte sie einen Stich im linken Oberschenkel. Sie zuckte zusammen. Den Schein fest in der einen Hand tastete sie mit der anderen nach der schmerzenden Stelle. Schaute verwundert an sich hinab. In ihrem Bein steckte ein kleiner, rotgefiederter Pfeil. Nach Atem ringend zog sie ihn heraus. Hielt ihn sich vor die Augen. Der Schaft war ein durchsichtiges, dünnes Röhrchen. Die flauschigen Federn bewegten sich sanft im Luftzug. Fingerten herum wie ein kleines Büschel roter Algen auf dem Grund des Meeres. Filigrane Wasserpflänzchen, die ihre kleinen roten Arme ausstreckten wie Fühler. Die sich mit den verschlungenen Linien des Henna-Tattoos auf ihrem Handrücken vereinten. Zu einem Knäul wurden, einem schwarzen Knäul, das immer weiter wuchs, rasend schnell, groß, riesig, gigantisch.

Noch ehe Christina Wegner wirklich begriffen hatte, was ihr gerade passierte, ließ sie Pfeil und Geldschein los. Sackte stöhnend in sich zusammen. Schloss die Augen. Schwarz. Fiel zu Boden. Blieb reglos liegen. Der blonde Zopf mit dem grünen Samtband lag auf ihrem Hals, hob und senkte sich ganz leicht im Rhythmus ihrer Atmung.

Der Mann legte das Blasrohr auf den Boden und kam aus dem Gebüsch hervor. Auch er schaute sich aufmerksam um. Aber die Luft war rein wie nach einem Sommerregen. Für hundert Euro bücken sich alle, dachte er, hob den Schein auf. Faltete ihn zusammen, steckte ihn wieder in die kleine Geldtasche seiner Jeans.

Er hockte sich hinter die junge Frau, legte einen ihrer Arme quer über ihre Brust, hievte den Oberkörper mit einem Ruck hoch, bis seine Nase fast den Scheitel berührte. Schloss kurz die Augen und sog genießerisch den Geruch ihrer Haare ein. Schleifte die mit dem Tier-Narkosegift betäubte Frau zum Van, wuchtete sie in den großen Kofferraum und legte sie in die flache Holzkiste, die er hinter der Rücksitzbank eingebaut hatte.

Bevor er den Deckel schloss und Kisten, Taschen und den Sack mit dem Kaminholz darauf legte, nahm er den langen blonden Zopf seiner neue Mitspielerin in die Hand. Ließ ihn sanft durch die hohle Faust gleiten, bis zu dem samtgrünen Haargummi, küsste ihn. »Sehr schön«, murmelte er. Dann stieg er aus dem Kofferraum, schlug die Türen zu. Scannte aufmerksam die Gegend, während er eilig Blasrohr und Pfeil einsammelte und zur Fahrertür lief. Erst später würde er ihr Handy öffnen und den Akku herausreißen. Und wenn er irgendwo an einem See die Nummernschilder tauschte, würde er dort alles entsorgen.

Wieder schaute er sich um, startete den Motor und fuhr über den Schotterweg zurück auf die Landstraße.

Der Mann freute sich sehr darüber, dass ihm mal wieder eine Frau ins Netz gegangen war. Denn da machte die ganze Sache gleich doppelt soviel Spaß, dachte er, fuhr zügig auf der A5 in Richtung Norden und wunderte sich mal wieder darüber, wie unglaublich leicht es für ihn war, einen Menschen zu fangen.

1. Kevin

1

Der Fuß lag schön angerichtet auf der Servierplatte. In einem Nest aus grünem Salat, das mit orangen Mohrrüben-Rosetten und Tomatenkörbchen garniert war. Der abgehackte, zersplitterte Röhrenknochen des Schienbeins ragte weißlich glänzend aus dem roten Fleisch hervor. Rote Blutschlieren liefen über die helle Haut, die die Knöchel umspannte. Zwischen die Zehen hatte der Verrückte ein paar Pilze gesteckt, goldbraune Pfifferlinge, und Kevin Breuer war sich fast sicher, dass das als Scherz gemeint war.

Der Mann mit der weißen Kochmütze auf dem Kopf, der giftgrünen Jim Carrey-Maske vor dem Gesicht und der blutbesudelten Plastikschürze präsentierte den Fuß wie ein Pantomime. Hielt die silberne Platte auf der ausgestreckten Hand in die Kamera, wies auf die Zehen, die Pilze. Berührte mit dem Mittelfinger den zersplitterten Röhrenknochen. Zuckte zurück und tat, als habe er sich an einer der Spitzen gestochen. Wischte anschließend mit den Fingern Blut vom Knöchel. Führte sie zum Mund, steckte sie zwischen die wabbelnden Plastikzähne der Maske und leckte sie ab, ehe er die Servierplatte mit einer weiten Geste auf den gedeckten Esstisch stellte. Dann griff er sich eines der Steakmesser, die dort lagen.

Obwohl Kevin wusste, was jetzt kam, schaute er gebannt auf den Bildschirm. Der Koch hob das Messer und rammte es mit voller Wucht direkt in den Spann des Fußes. Fast spürte Kevin selbst den Schmerz, den solch ein Stich verursachen musste.

Der Typ ließ den Griff des Messers los und schnappte sich eine Gabel. Jetzt kam die beste Stelle in dem Clip und Kevin schob eine Hand unter den Bund seiner karierten Shorts, als der Koch die Gabel in die offene Wunde neben dem Röhrenknochen stach und damit begann, langsam in dem Fleisch herumzubohren. Rotgefärbte Marzipankrümel, nicht größer als die von Gehacktem, wurden herausgerissen und fielen in das Salatbett. Das war die Stelle, an der Kevin meistens die Sequenz anhielt, nur noch darauf starrte, während seine Hand hin und her glitt und die Fantasie furchtbare Bilder in seinem Kopf explodieren ließ.

Aber heute tat er das nicht. Heute war Dienstag. Er hatte nicht gekifft und die Fantasie schlummerte vor sich hin, denn er musste morgen zur Arbeit. Außerdem hatte er den kurzen Film schon zu oft gesehen. Der war alt, ausgelaugt und ohne Spannung.

Aber natürlich sah er sich noch das Ende an. Die Nahaufnahme, wie der Koch sich die Gabel mit den gefakten Fleischstücken in den Mund schob und darauf herumkaute. Wie die Kamera die rotverschmierten Gummizähne der Maske wieder verließ, zurückfuhr, schließlich das ganze Esszimmer zeigte. Und dann wurde die Tür aufgerissen und eine Horde Horrorclowns stürmte in den Raum. Alle fielen sie über den Fuß her wie ausgehungerte Zombies. Rissen das gefärbte Marzipan auseinander, steckten sich die roten Brocken zwischen die spitzen Zähne und brüllten abwechselnd »Uaahhaha! Happy Halloween!« in die Kamera.

Kevin Breuer zog die Hand aus den Shorts. Er hatte sich das Filmchen nun schon zig Mal angeschaut, aber was genau es war, was ihn daran so faszinierte, konnte er sich nicht erklären. Zumal er eigentlich härtere Szenarien gewohnt war. Vielleicht die Art und Weise, wie der Koch das Besteck in den Marzipanfuß stach? Oder die Wackelkamera, mit der die Szene gedreht worden war und sie so real rüberkommen ließ? Oder der trotz allem so echt wirkende menschliche Fuß? Vielleicht war es aber auch einfach gerade nur der Anschein des Abnormen, des Anrüchigen und das Naive.

Er schaltete noch durch die Programme, langweilig. Schaute kurz bei Netflix rein, langweilig. Gab ein paar Salven in einem Ego-Shooter ab, langweilig. Für nichts konnte er sich heute noch begeistern und schaltete die Anlage aus. Es war fast Mitternacht und morgen hatte er wieder einen anstrengenden Tag im Finanzamt von Kassel vor sich. Er gähnte herzhaft und mit einem kleinen Schwung erhob er sich schließlich aus dem großen, bequemen Fernsehsessel, der fast einer Liege glich.

Ging ins Bad, fuhr sich über das dunkelblonde Haar, das mal wieder einen Schnitt nötig hatte, um stoppelig zu sein. Gleich morgen würde er zu Herrn Zingler gehen. Er nahm die Brille ab, putzte die Zähne und schaute sich dabei in die Augen. Irgendwie verspürte er trotz allem, mit dem er sich beschäftigte, eine gewisse Langeweile in seinem Leben. Er hatte schon vieles gemacht: Disko, Drogen, Lan-Parties, Gotcha-Geballere. War Fan von Horrorfilmen und Zombieserien, je blutiger desto besser. Aber irgendwie fehlte ihm in letzter Zeit ein echter Kick.

Er spuckte den von dünnen roten Blutschlieren durchzogenen Zahnpastaschaum in das Waschbecken. Steckte den Bürstenkopf der elektrischen Zahnbürste wieder in den Mund. Sicher, auch manche der verbotenen Blut- und Schlachtfilmchen im Darknet waren ganz reizvoll und er konnte Stunden damit verbringen, sie sich anzuschauen. Aber er spürte, dass er bald einen Schritt weiter gehen musste, um die gleiche Spannung, die gleiche schönschaurige Erregung zu spüren, das gleiche furchtbar befriedigende Grauen zu empfinden wie früher, als er zum ersten Mal so etwas gesehen hatte.

Er war acht Jahre alt, als ein Schlächter Namens Leatherface auf dem Fernsehapparat der coolen Nachbarn die Kettensäge geschwungen und seine Opfer zerteilt hatte. Blutgericht in Texas hieß der Streifen und war damals schon zwanzig Jahre alt gewesen. Zehn Jahre später hatte ihn das Remake Texas Chainsaw Massacre ziemlich enttäuscht. Vielleicht, weil er da schon völlig fasziniert die ersten Snuff-Movies im Internet angeschaut hatte. Zumindest wurde immer wieder behauptet, dass sie echte Morde zeigten.

Mit einem Schluck warmem Wasser spülte er sich den Mund aus. Steckte die Zahnbürste in die Ladestation zurück. Beugte sich vor, schaute in den Spiegel. Er war 34 Jahre alt, sah aber jünger aus. Untersuchte seine speckigen Wangen, auf denen immer wieder dicke, rote Pickel entstanden. Welche chemischen Mitteln er auch bisher benutzt hatte, sie ließen sich einfach nicht vertreiben.

Vielleicht sollte er mal eine Anzeige aufgeben?

Mit den Fingerspitzen bearbeitete er eine der gelben Erhebungen.

Vielleicht in einem Forum im Darknet? Dort, wo er sich die blutigen Filmchen anschaute, von denen auch heutzutage immer noch niemand wusste, ob sie echt waren oder gefälscht.

Er drückte die Haut zusammen, aber das Mistding saß noch zu tief. War noch nicht reif für eine Eruption.

Vielleicht auf der obscure-obsessions, seiner Lieblingsplattform?

Er versuchte es mit einem anderen Mistding, während er zu formulieren begann: »Wer hat Lust, mir mal zu zeigen, wie man wirklich einen...« Er zog die Stirn in Falten. Das war es nicht. »Ich möchte mal in echt dabei sein, wenn ein Mensch ...« Auch nicht viel besser. Drückte die Haut mit den Rücken der Fingernägel zusammen, als würde er einen Floh zerquetschen. Plötzlich kicherte er, murmelte: »Suche zur Erfüllung meines Traums einen echten Killer« Er spürte ein leichtes Prickeln im Nacken. Das war gut. Oder? Nein, war es nicht. Das war nicht eindeutig. Das war, als wollte er selber sterben. Oder seine Ehefrau loswerden. Er lächelte sich an, arme Lisa. Sie lag schon zusammengerollt im Bett, denn sie hatte kein Interesse für seine Leidenschaft. Er blickte sich selbst tief in die gespiegelten Augen. Sagte: »Kevin, wie wäre es mit: 'Ich möchte mal live das Herz eines Menschen schlagen sehen, und zwar in seinem geöffneten Brustkorb.'« Das war doch gar nicht so schlecht. Nicht ganz eindeutig, aber ziemlich auf den Punkt. Oder?

Aufgeregt verließ er das Bad. Ging zurück in das Wohnzimmer, schaute auf die Tastatur seiner Anlage. Zog die Stirn kraus. Stemmte eine Hand in die Seite, umfasste mit der anderen sein Kinn. Sicher würde er nur dämliche Antworten kriegen. Von kranken Typen. Psychopathen und Sadisten. Nervigen Stalkern. Er kratze sich am Kopf. Oder die Polizei stand plötzlich vor der Tür. »Hm«, machte er, schaltete den Computer aus und ging leise ins Schlafzimmer.

Lisa schlief schon. Er küsste sie auf die kleine Nase, fuhr kurz mit der Hand über ihren weichen Bauch. »Schlaf gut«, flüsterte er und schlüpfte unter die Decke.

2

Rasant fuhr Kevin am nächsten Morgen mit seinem weißen Opel Corsar in die Tiefgarage des Finanzamtes Kassel I, das direkt an der Fulda lag. Ging forsch zwischen den paar Autos der Kollegen hindurch, die auch schon da waren, hielt seine Chipkarte vor den Sensor des Fahrstuhls und fuhr in das Erdgeschoss. Stieß die Tür auf, stapfte über den langen Flur.

Die junge Kollegin aus dem Bereich »Ge - Ho«, deren Namen er sich nicht merken konnte, kam ihm entgegen. »Guten Morgen, Herr Breuer«, sagte sie, ohne zu lächeln.

»Morgen«, sagte er knapp. Sie huschte an ihm vorbei. Er schaute ihr über die Schulter nach. Wie hatte man diese Art ausladender Oberschenkel früher genannt? Reiterhosen? Er schnaufte und schaute wieder nach vorn. Weiter hinten auf dem langen Flur sah er Herrn Färber und Frau Könnicke entlangwatscheln, Amtsleiter und Personalchefin. Er hob die Hand, winkte ihnen zu, bevor er die Treppe erreicht hatte, die runter in das Souterrain des Amtes führte. Langsam und mit Bedacht stieg er hinab in sein Reich, in dem die Akten aller steuerpflichtigen Personen und Firmen lagerten.

Die Neonröhren flackerten auf und warfen ihr kaltes, grelles Licht zwischen die Regale. Er stellte seine Tasche auf den abgeschabten, hölzernen Schreibtisch und seufzte. Fünfhundert Quadratmeter staubiger, langweiliger, analoger Pappakten. Es war zum Heulen.

Kevin schaute auf die Uhr. Vor acht kamen selten Anfragen nach Akten von den Sachbearbeitern aus den Büros. Er ließ sich auf dem Stuhl nieder, stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte und umfasste mit beiden Händen seine pickligen Wangen. 'Wer zeigt mir endlich mal in echt, wie man einen Brustkorb ...', nein, das war es nicht.

»Ich möchte mal wieder Schwung in mein Leben bringen«, murmelte er vor sich hin. »Würde gerne mal das Herz eines Menschen schlagen sehen«, seufzte er. »Gerne mal sehen, wie jemand in echt zerlegt wird.« Er tat einen langen Atemzug durch die Nase. Sollte er wirklich eine Anzeige aufgeben? Dann nahm er das Kinn aus den Händen, zog das Smartphone hervor und spielte Pflanzen gegen Zombies, bis das Telefon klingelte.

*

Gleich nach der Arbeit fuhr Kevin Breuer zum Friseur, einem alten, schmuddeligen Laden in der Friedrich-Ebert-Straße. Einem Salon, den es in ein paar Jahren nicht mehr geben würde, denn der Inhaber hatte schon lange das Rentenalter erreicht. Kevin kannte den kleinen Mann mit dem weißen Haarkranz und der blau-gelben Schürze schon sein ganzes Leben. Herr Zingler hatte ihm die Haare als Kind, als Teenager und als Twen im jeweiligen Modetrend geschnitten. Hatte ihn durch seine quälende vaterlose Schulzeit begleitet und durch die schweren Jahre der Krankheit seiner Mutter bis hin zu ihrem Begräbnis vor ein paar Jahren.

»Guten Tag, Herr Zingler«, sagte er in das Gebimmel der Türglocke hinein.

Der alte Mann lag schlummernd in dem hinteren Friseurstuhl, der schon lange zu nichts anderem mehr benutzt wurde. Für die paar Kunden, die noch den Weg in den kleinen, dunkel getäfelten Laden fanden, reichte der vordere Stuhl.

»Ach, Kevin«, sagte Herr Zingler und erhob sich. »Bist du mal wieder dran? Mensch, wie die Zeit vergeht...«

Kevin zog die Jacke aus. »Ja, das können Sie laut sagen. Die rast nur so dahin.«

»Setzt dich, Junge. Wie immer?«

»Ja, wie immer.«

Der Friseur gähnte, legte ihm mit weitem Schwung das Plastikcape um. »Und? Alles im Lot bei dir?«

»Na ja«, sagte Kevin, »ich kann nicht klagen, wie es halt so ist, tagein, tagaus der gleiche Trott.«

»Höre ich da eine gewisse Resignation?«

»Nein, keine Resignation. Langeweile, würde ich sagen.«

»Ach, die Langeweile.« Er griff zu Kamm und Schere. »Wenn ich ein alter, weiser Greis wäre, würde ich sagen, sei froh, dass du jung und gesund bist.« Er lächelte fröhlich und ließ die Schere zwei Mal auf- und zuschnappen. »Und such dir ein Abenteuer.«

»Ein Abenteuer. Genau.« Kevin schaute sich in dem großen Spiegel an. Sicher herrschte ein großer Unterschied zwischen seiner Vorstellung eines Abenteuers und der des Herrn Zingler. Im Spiegel sah er, wie der alte Mann sich an seinen Haaren zu schaffen machte. Mit der Schere herumfuhrwerkte. Fragte sich, wieviele Ohren er in seinem Leben wohl abgeschnitten hatte, wieviele Augen ausgestochen, als es draußen erst quietschte und dann krachte. Direkt vor dem Laden. Beide drehten sie gleichzeitig den Kopf herum.

»Was ist denn da los ... ein Unfall!«, rief Herr Zingler, ging schnell zum Fenster und reckte den Hals.

Kevin stand auf und stellte sich neben ihn. Ein Mann lag mitten auf der Straße. Reglos. Ein schwarzer Mercedes stand ein paar Meter weiter, die Fahrerin saß noch am Steuer. Auf der Straße lag ein Fahrrad. Eine Passantin war stehen geblieben und schaute auf die Szene. Hinter dem Mercedes kam ein LKW angebraust, wich dem stehenden Wagen aus und überrollte mit seinen großen Rädern die Beine des Mannes.

Herr Zingler stieß einen Schrei aus, wandte sich ab, hastete zum Telefon, während Kevin wie gebannt auf die Szene starrte. Das Handy aus der Tasche zog und mit dem hinter ihm her flatternden Cape auf die Straße rannte. Sein Herz raste. Er konnte nicht anders. Endlich mal was Reales. Er musste sich das ganz genau ansehen.

*

In seiner Wohnung sagte er Lisa, die auf dem Sofa fläzte, nur kurz Hallo und brachte sofort die Anlage in Gang. Setzte sich auf die Kante des Fernsehsessels und schaute sich die Bilder auf dem TV an. Aber durch die Aufregung, und weil einige Passanten ihn abgedrängt hatten, um dem Verletzten helfen zu können, waren alle Fotos verwackelt und unscharf.

»Mist«, rief er zu Lisa rüber, »die sind alle nichts geworden. Endlich passierte mal was und dann das.«

Er ärgerte sich, dass er die kostbaren Augenblicke mit der Handykamera verplempert und die Bilder nicht einfach mit den Augen in seinen Kopf gesogen hatte. So war alles dahin und er hatte wieder nichts, was er endlich mal der Community auf obscure-obsessions hätte präsentieren können.

Seufzend ging er in die Küche und machte sich etwas zu essen. Setzte sich mit einem Bier und den Broten neben Lisa auf das Sofa. »Na, wie war dein Tag, Liebes?«, fragte er, streichelte ihr über den Kopf, kraulte ihren Nacken. »Der Unfall war klasse«, sagte er, hantierte mit den Fernbedienungen. Erzählte ihr schmatzend von seiner Aufregung und dem Blut, während sie sich zusammen mal wieder Saw IV anschauten.

Nach dem Essen bekam Kevin Lust auf das gleichnamige Game und entschuldigte sich bei Lisa mit einem Kuss auf das linke Ohr. Dann schlitze, hackte und stach er auf die digitalen Gegner ein, bis es ihm zu langweilig wurde und er frustriert die Anlage abschaltete. Morgen musste er wieder in das öde Finanzamt.

»Also, ab in die Kiste«, sagte er, nahm Lisa auf den Arm und ging mit ihr ins Bad. Setzte sie in die Badewanne. Sie war etwas störrisch, als wolle sie wieder raus, aber er hielt sie fest, ließ das Wasser einlaufen, hockte sich umständlich davor auf den Boden, brauste sie mit einem warmen Strahl ab. Seifte sie ein, wusch sie, untersuchte eingehend ihren Intimbereich, nicht dass sie hinter seinem Rücken Sex mit irgend einem Lover hatte. Aber es war alles in Ordnung. Oder?

»Hast du mich betrogen?«, fragte er und schaute fest in ihre großen, unschuldigen Augen.

»Hast du mich betrogen?!«, fragte er noch einmal, laut und drohend. Packte sie im Nacken und schüttelte ihren Kopf hin und her.

»Du hast mich betrogen! Du Flittchen!« Lisa kannte das. Sie war ihm nicht böse. Sie lächelte immer noch, auch als er ihren Kopf gegen den Beckenrand knallen ließ. Ihr seine dicken Finger um den schlanken Hals legte und sie unter Wasser drückte. »Du Hure!«, rief er und dann lachte er plötzlich auf, so wie immer, wenn er sie drangsalierte. »Haha, war nicht so gemeint, Lisa«, und zog ihren Kopf aus dem Wasser. »Echt nicht«, sagte er, tätschelte ihr die Wange, erhob sich stöhnend. Zog sie aus der Badewanne heraus, trocknete sie ab, streifte ihr ein schwarzes Negligé über und ging sich die Zähne putzen.

Im Schlafzimmer setzte er sie vor den Spiegel, kämmte ihr das kinnlange Haar, legte seine speckige, picklige Wange in ihren Schoß und entschuldigte sich. »Sorry, Lisa. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist.« Sanft lag ihre kleine Hand auf seinen Kopf und er spürte die Ruhe, die von ihr ausging. »Die Fotos vom Unfall sind nichts geworden. Es war einfach ein blöder, langweiliger Tag. Verzeihst du mir?«

»Ja, mein Geliebter«, hauchte sie und dann schliefen sie miteinander.

*

Im Traum das lebende Fleisch. Ein tiefer rosaroter Krater im Arm. Er erkennt die weißlichen Sehnen in der Wunde. Sieht, wie sie sich bewegen, als Finn die Finger krümmt.

Der Hund hat Finn, den Jungen der coolen Nachbarn, gebissen. Ein paar Tage nachdem sie sich das Blutgericht in Texas angesehen haben. Erst spielen sie zusammen, dann beißt das Mistvieh plötzlich zu. Erwischt Finns linken Unterarm und reißt ein Stück Fleisch heraus.

Panisch verharrt Finn im Schockzustand, kreischt und schreit voller Angst immer wieder: »Der frisst mich! Der frisst mich!«

Kevin bebt vor Adrenalin und Aufregung. Es ist furchtbarschön. Er ertappt sich bei dem Gedanken, dass er das wirklich gerne sehen würde. Dass er ihn fraß. So gerne, wie er Leatherface zugeschaut hatte, wie der mit der Kettensäge hantiert.

Auch die coole Mutter schreit ganz aufgebracht herum, keift die Hundebesitzerin an und tritt den Köter dermaßen, dass der winselnd davonrennt. Kevin starrt nur auf die offene Wunde. Aus der überraschend wenig Blut tropft. Schaut wie in Trance dem Spiel der Sehnen zu. Wünscht sich, mehr davon zu sehen. Wünscht sich, dass der Hund zurückkommt, Finn zerfleischt und er dabei zusieht. Aber an dieser Stelle erwachte er meistens.

Längere Zeit hatte Kevin nicht mehr von dem Erlebnis geträumt, das er als Junge gehabt hatte. Peterle hatte der Hund geheißen. Kevin konnte sich noch ganz genau an die Rasse erinnern. Ein Dobermann.

Er schaltete das Licht neben seinem Bett ein, schaute kurz auf die schlafende Lisa und setzte sich auf. Er wusste, wenn ihn dieser Traum aus dem Schlaf riss, war die Nacht vorbei. Dann nahmen der Wunsch und die Begierde überhand und würden erst vergehen, wenn er sie stillte wie eine Mutter den schreienden Säugling.

Zweifellos hatte der Hundebiss eine bis dahin schlafende Begierde in ihm geweckt, denn im Laufe der Jahre wünschte er sich immer öfter, mehr davon zu sehen. Würde gern die Peristaltik eines lebenden Darms beobachten, das Aufblähen einer Lunge bei einem tiefen Atemzug, das Schlagen eines Herzens in einem Brustkorb. Am liebsten von den Mitschülern, die ihn in die Pissrinne geschubst hatten, die auf sein Pausenbrot rotzten, Ventile aus seinen Fahrradreifen klauten und mit seinem Ranzen Fangen gespielt hatten bis alle Sachen rausgefallen waren.

Schwitzend schlug Kevin die Decke zur Seite. Der Unfall hatte ihn wohl mehr aufgewühlt, als er gedacht hatte. Er würde keinen Schlaf mehr finden und stand auf. 2 Uhr 56, heute musste das Kasseler Finanzamt wohl ohne ihn auskommen.

Er setzte die Brille auf, tapste barfuß ins Wohnzimmer und schaute aus dem Fenster. Kratzte sich den haarigen Bauch unter dem feingerippten, weißen Unterhemd. Die Stadt schlief an diesem Mittwochmorgen genauso friedlich wie immer. Er zog die Jalousie herunter, damit niemand sehen konnte, was er jetzt tat. Denn das war verboten.

Er stopfte einen Brocken Shit in die Purpfeife und schaltete den Computer ein. Der riesige Flatscreen hing an der Wand des Wohnzimmers wie ein Fenster in eine andere Welt. Eine Welt ohne Grenzen, in der alles möglich war. Allerdings leider mit einem immensen Handikap - sie war nicht echt. Alles war nur virtuell, eine Schimäre, ein gigantischer Fake, eine Lüge, und niemand wusste mehr, welche Fotos, welche Movies real waren und welche nicht. Ob Opfer wirklich Opfer waren oder Schauspieler. Außer wenn es sich um Tiere oder Kinder handelte, die konnte man in den blutigen Videos nicht gut fälschen. Aber Kinder waren nicht seine Obsession, bei ihm lagen die Dinge anders.

Er nahm einen tiefen Zug, rief ein paar Pornoseiten auf, Fetisch und SadoMaso. Alles Mist, dachte er. Alles schon 1000mal gesehen, er wollte Fleisch und Blut, geöffnete Brustkörbe, in denen Herzen schlugen, keine menschlichen Rammler. Klickte sich weiter durch alle möglichen Räume, über alle möglichen Plattformen, ständig vom Virenscanner gewarnt.

Probierte ein paar neue Suchbegriffe aus, die ihn aber trotzdem nur auf Seiten führten, die er schon kannte. Zu lustigen Halloween-Videos mit abgetrennten Händen in Götterspeise, Wurstfingersuppe, aufgesägten menschlichen Plastikschädeln mit Mettgut als Gehirn oder Augäpfel in Gelee. Es ödete ihn an. Es wurde Zeit für etwas Neues. Etwas mit Pfiff.

Mit einem letzten, tiefen Zug rauchte er die Pfeife auf, stand auf, holte sich Chips, Schokolade und Cola aus der Küche. Dann platzierte er seinen dicken Hintern auf dem Bürostuhl, griff zur Mouse. Aktivierte die Software, die seine IP-Adresse verschleierte. Beugte sich gespannt vor und klickte sich durch verschiedene Tore und Plattformen immer tiefer in das Darknet hinein, bis er endlich auf obscure-obsessions angekommen war. Der Plattform für Vampire, Kannibalen und Menschenschlächter, dem Forum für Todesverehrer, Todesverächter und Zombies.

Unter seinem Pseudonym ArgusX gab er auf Deutsch die Anzeige auf, die ihm endlich mal wieder einen echten Kick einbringen sollte. Aß die Chips, überlegte, tippte, ließ die Schokolade im Mund langsam zerschmelzen, überlegte, formulierte um, feilte hier und da noch etwas an dem Ausdruck, trank Cola, kürzte, schrieb, kürzte, bis in dem Textfenster schließlich stand: »Ich möchte einmal dabei sein, wie ein Mensch geöffnet wird.«

Zufrieden klatschte er in die Hände. Das war gut. Das war kurz und knapp. Das brachte alles auf den Punkt. Das Dope entfaltete seine Wirkung. Er lachte laut auf: »Das hast du gut gemacht, Argus«, lobte er sich. Stapfte zum Fernsehsessel rüber, plumpste hinein, zog sich den hohen Serviertisch mit Mouse und Tastatur heran und dann surfte er auf blutigen Wellen zwischen abgetrennten Gliedmaßen und klaffenden Wunden durch das Darknet, bis er sich im Sessel liegend zuckend aufbäumte und im Sog der Bilder, dem Hasch und der Hormone davon getragen wurde in sein ganz persönliches, blutrünstiges Paradies ohne Gnade.

Nach dem Genuss der furchtbaren Bilder fühlte er sich ganz kurz schuldig und schämte sich ein bisschen dafür. Aber als er weitersurfte, wurde die Scham bald von neuer Lust verdrängt, der er nur zu gern nachgab, und erst als draußen schon die Sonne zu sehen war, hatte er genug.

Halb benommen schrieb er eine Email an das Personalbüro im Finanzamt, die er auf 7 Uhr 37 terminierte: Er leide unter starkem Schwindel, aber er versuche heute noch zum Arzt zu gehen und eine Krankenmeldung zu bekommen. Es tue ihm sehr leid, aber die weiten Wege im Amt und das schieben des schweren Aktenwagens könne er heute unmöglich schaffen.

Heute war Mittwoch. Man kann das Wochenende ruhig auch mal an einem Mittwoch einläuten, dachte er, schaltete den Computer aus, gähnte herzhaft und ging ins Schlafzimmer rüber, wo Lisa die ganze Zeit still auf ihn gewartet hatte.

---ENDE DER LESEPROBE---