Schlafwandlers Wandel - Klaus Schäfer - E-Book

Schlafwandlers Wandel E-Book

Klaus Schäfer

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Beschreibung

Wir leben in einer Klimawandelzeit, wir sind längst Zeugen der Erderwärmung und des Artenschwunds. Für vier Jugendliche ist es höchste Zeit zum Handeln. Dort, wo sie sich auskennen, in ihrer Stadt. Dort, wo die Zauderer und Schlafwandler Entscheidungen vertagen. Wie kann es ihnen gelingen, die Stadtverwaltung unter Druck zu setzen? Sie wissen, ihre Aktion muss ein Weckruf sein. Die Suche führt sie mitten hinein in das eigene Leben. So kann nicht ausbleiben, dass es zwischen ihnen zu einer heftigen Debatte kommt, sie endet als Zerreißprobe.

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Zum Buch:

Wir leben in einer Klimawandelwelt, wir sind längst Zeugen der Erderwärmung und des Artenschwunds. Für vier Jugendliche ist es höchste Zeit zum Handeln. Dort, wo sie sich auskennen, in ihrer Stadt. Dort, wo die Zauderer und Schlafwandler Entscheidungen vertagen.

Doch wie kann es ihnen und ihrem Ideengeber Willy Fleckenstein gelingen, die Stadtverwaltung unter Druck setzen? Sie wissen, eine halbgare Aktion ändert daran nichts, ihre Aktion muss ein Weckruf sein.

Die Suche führt sie mittenhinein in das eigene Leben. So kann nicht ausbleiben, nach einer Bürgerversammlung kommt es zwischen ihnen zu einer heftigen Debatte, zu einer Zerreißprobe.

Ein Jugendbuch! Wir brauchen die junge Generation mit ihrem Einfallsreichtum, wenn wir auf diesem Planeten nicht die Letzten unserer Art sein wollen.

Zum Autor:

Klaus Schäfer, lebt in Berlin. Chemiker, arbeitete in der Grundlagenforschung auf dem Gebiet strahlenchemischer Reaktionsmechanismen, wie auch in der Angewandten Forschung im Bereich Biowissenschaften.

Inhalt

Herausforderung

Absicht

Ein Anfang

Ideen sind gefragt

Kristalle und Flüssigkeiten

Die Ausgangslage: Sackgasse

Von Bebenhausen nach Lenzkirch

Zusammenhänge

Sein Land verklagen

Irritation

Warten

Gemeinsame Gefühle

Das Schwimmbad pinkelt

Dumme Fragen gibt es nicht

Aufbruch

Aktion rotes Wasser

Schmerzhafte Erkenntnis

Nachtaktiv: nicht nur Tiere

Die Vergangenheit ist nicht tot

Klassenfahrt: Langeoog

Trinkwasser in Gefahr

Ein Name hat es in sich

Dokumentarisch oder künstlerisch

Geburtstagsrunde eins

Wichtige Details

Wortgefechte

Wasserball kann politisch sein

Daraus kann mehr werden

Bestechende Gründe

Licht am Horizont

Beinahe Gemeinsamkeit

Ein Ruck

Störende Wahrheiten

Wie geschmiert

Neue Perspektiven

Hoffnung und Ängste

Dilemma

Klimaschutz versus Artenschutz

Erkundungen

Argumente

Ein qualitativer Sprung

Und jetzt?

In Pole-Position

Neuer Ausblick

Anmerkungen

Dank

Herausforderung

Großmutter: »Tja, Willy, vor 10 Jahren hätte ich zu dir gesagt: Klimapolitik ist Sache der Erwachsenen, darüber müsst ihr Jugendlichen euch nicht den Kopf zerbrechen! Heute denke ich, die Jungen sind entscheidend.«

Absicht

Die Leuchtzahlen der Apotheke zeigten 33 Grad Celsius. Mit einem Tritt in die Pedale setzte Willy sein Fahrrad in Richtung Schwimmbad in Bewegung. Er hatte sich dort mit seinen Freunden verabredet. Schon beim Näherkommen nahm er ein gleichmäßiges Stimmengewirr wahr, die Geräuschkulisse des Schwimmbads war wie immer! Aber nicht für Willy, etwas hatte sich geändert. Sie mussten etwas tun, nicht irgendwann, sondern jetzt.

Vor Kurzem hatte ihn sein Vetter Jan, der in einer Großstadt lebt, in einer betont coolen Art erklärt, so als ob es die unwichtigste Nebensächlichkeit der Welt wäre:

»Wir werden das Ding kaputtkriegen.«

Mit dem «Ding« meinte er nicht etwa ein altes Sofa, sondern unseren Planeten, die Erde, also unseren Lebensraum. Doch Jan wäre nicht Jan, wenn ihn in Wirklichkeit etwas tief beunruhigte, versteckte er seine Beunruhigung hinter einer gespielten Lässigkeit.

Als Willy meinte: »Lass hören, Alter, was gibts?«, sprudelte Jan los wie ein Sturzbach nach einem Gewitterregen: »Der Planet heizt sich auf. Und zwar durch uns! Wir missachten seine Grenzen. Wer glaubt, dies bliebe folgenlos, muss blind sein. Eigentlich braucht die Natur große Schutzräume, Lebensräume für Pflanzen und Tiere, doch sie werden nicht bewahrt, sondern durch Übernutzung, durch Raubbau zerstört.«

»Stop it!« Willy unterbrach Jans Redefluss, »du bist im TGV-Tempo, Bummelzug wäre mir ausnahmsweise lieber.«

»Sorry, ein alter Fehler von mir. Doch es ist doch logo: Ohne radikalen Wandel, ohne ein Umdenken kann unsere Ökosysteme mit den vielfältigen Lebensformen der Pflanzen- und Tierwelt nicht überleben, und ebenso wenig wir selbst.«

»Und was schlägst du vor?« Von Willy war das keineswegs nur so dahingesagt.

»Weiß ich es, aber glaube mir, einen Hoffnungsschimmer sehe ich in unserer Generation, sie macht Dampf! Warum sollten wir uns nicht einschalten? Am besten jeder in seinem Mikrokosmos, ganz im Sinne von Fridays For Future als Klimaaktivisten: Handeln! Und das umso mehr, es geht schon längst nicht mehr alleine um die Erderwärmung!«

Als Willy über Jans Botschaft nachdachte, war er sich sicher, noch vor einem Jahr hätte ihn der Alarm seines Vetters Jan nicht aufgerüttelt. Doch dann kam eine Meldung nach der anderen und veränderte seine Wahrnehmung. Die Wurzeln seines Sinneswandels lagen ohnehin tiefer. Sie hatten etwas mit ihm zu tun und mit etwas, was er vor seiner Haustür vorfand und was die Menschen gemeinhin als Natur bezeichnen. Und über sie, die ganz selbstverständlich da war, sollte er sich seinen Kopf zerbrechen? Es war sein Zuhause, Bebenhausen, eine Kleinstadt, sie lag in einem grünen Gürtel aus Wald, Wiesen und Äckern, in unmittelbarer Nähe zu einer Industrielandschaft.

Der nächste große Naturraum war für Willy der Wald. Dort zu sein, hatte ihn schon früher angetrieben. Und nach und nach hatte er begriffen, dass ein Kippen des Klimas verstärken würde, was bereits im Gange war. Dazu gehörte der zusehends kleiner werdende Lebensraum für die Pflanzen- und Tierwelt: Wo war er geblieben?

Was er im Biologieunterricht über das Artensterben hörte, hatte er mit eigenen Augen beobachtet. Mit seinem Fahrrad war er in Nullkommanichts raus aus seiner Stadt in einer Natur, die vor nicht allzu langer Zeit noch als intakt galt. Jedes Jahr im Frühjahr war er immer gespannt gewesen, wann die Frösche und die selteneren Molche, die er bereits als Erstklässler bei seinen Entdeckungstouren aufgespürt hatte, wieder da waren. Hinter der Stadt, am Beginn der Felder und Wiesen, musste er nur einen breiten Feldweg verlassen und einem Fußpfad, zwischen hohem Wiesengras folgen. In einer Senke stieß er auf ein dünnes Rinnsal, das wenig später in zwei still daliegende Tümpel mündete. Am meisten beeindruckten ihn die Feuersalamander. Wenn sie nach Insekten schnappten, wurden aus gemächlich sich bewegenden, schwarz-glänzenden, gelbfleckigen Tieren die flinksten Jäger. Ihnen hatte er stundenlang zugesehen. Doch plötzlich, vor Jahren, war ihr Schicksal besiegelt, die Feuersalamander und Molche waren verschwunden, es gab sie nicht entlang des Rinnsals und auch nicht mehr im und am Weiher. Damals war es eine einschneidende Erfahrung, die sich in sein Gedächtnis einprägte und die auch heute noch beim Zurückblicken lebendig wird. Dabei hatten Molche und Salamander ein viel älteres Anrecht, diesen Planeten zu bewohnen, als wir Menschen, die erdgeschichtliche Neulinge sind. Molche und Salamander gab es schon vor den Säugetieren und Vögeln, ja, sie waren schon vor den Dinosauriern da.

Sein Vater hatte ihm, als er aufgebracht nach Hause kam, versprochen, im Stadtrat sein ganzes Gewicht dafür einzusetzen, dass mehr kommunale Ackerflächen ohne Chemie bestellt und die Austrocknung der Feuchtgebiete gestoppt würde. Wir Menschen haben eine biologische Abwärtsspirale in Gang gesetzt, die auch etwas mit ihm zu tun hat, da machte er sich nichts vor. Die meisten Wege legte er zwar inzwischen mit dem Fahrrad zurück, und seine Mutter fragte ihn nicht mehr, wo sie ihn mit dem Auto hinbringen oder abholen könnte. Darauf hatte er beharrt.

»Irgendwo muss ich selbst anfangen«, war seine Begründung. Aber er schätzte, seine jährliche Klimabelastung lag weit über dem Wert von zwei Tonnen CO2-Ausstoß, die der Weltklimarat der Vereinten Nationen für das Klima als verträglich erachtet.

Über die Ursachen für das Verschwinden der Wildtiere hatten sie in der Schule debattiert. Was seine Biologielehrerin, Frau Griffrat, zum Thema Artensterben glasklar gesagt hatte, ließ ihn aufhorchen:

»Für das vermehrte Aussterben der Wildtiere gibt es viele Gründe, aber wir Menschen sind fast immer beteiligt.« Wichtig sei, dass die Nahrungsketten nicht immer mehr Lücken bekämen. Ab welchem Moment bei ihm aus diesem faszinierenden und mehr und mehr beunruhigenden Thema Klimawandel und seinem Begleiter, dem Artensterben, mehr wurde als eine reine Kopfsache, wusste er nicht mehr. Vielleicht geschah es, als Frau Griffrat leise, wohl mehr zu sich selbst, hinzugefügt hatte:

»Das Wissen allein reicht nicht aus, um diese Katastrophe zu stoppen.« Wollte sie zum Ausdruck bringen, wir müssen etwas dagegen unternehmen? Doch verriet nicht bereits ihre zur Faust geballte Hand, mit der sie ihre Worte unterstrich, am deutlichsten die Antwort?

Dass er gerade in diesem Zusammenhang an Jule dachte, war neu. Ihre leuchtenden Augen passten zu ihrer ansteckenden Energie. Jule mit ihren drahtigen, lockigen Haaren, sie war nicht nur hübsch, ihre Einfälle waren einfach genial. Nicht nur, wenn sie über den Klimawandel sprach, sie hatte mehr Durchblick als viele Erwachsene. Deren ewiges Abwarten und ihre Nichtstun-Haltung hatte ihre Entschlossenheit richtig angeheizt. Wie Jan hatte gerade Jule ihn in letzter Zeit öfter angesprochen, und sich über sein Nichtstun gegen den Klimawandel gewundert. Dabei erschien ihm die Aussicht, wie sie zusammen nach einem Weg oder einer zündenden Idee suchen würden, verlockend. Ein Plan, wie sie vorgehen wollten, musste her. Und als Ideengeber traute er sich einiges zu. Schließlich, da war er sich sicher, dachten die Erwachsenen in ganz eigenen Bahnen.

Kam ihre Generation als Betroffene in ihrem Kalkül vor? Wir dürfen nicht wählen und haben, wenn die Ökokatastrophe da ist, keine Wahl mehr. Natürlich wird der Klimawandel ihre Zukunft stärker prägen, es gibt einen Unterschied an Zukunft, aber das hatten die Erwachsenen nicht auf dem Schirm. Jedenfalls bisher nicht. Etwas musste geschehen. In ihrem ureigensten Interesse, sie durften nicht bloße Zuschauer sein.

Ein Anfang

Willy war jetzt vierzehn Jahre, also in seinem fünfzehnten Lebensjahr. Mit seinen braunen, freundlich blickenden Augen und seinem gutmütigen Jungengesicht wurde er bisweilen unterschätzt, was er mit einem gesunden Selbstbewusstsein problemlos wegsteckte. Generation Greta, doch etwas jünger als Greta, die er, damals als er von ihrem persönlichen »Schulstreik fürs Klima« erfuhr, für ihre Entschlossenheit und ihren Mut bewunderte. Ihre Haltung imponierte ihm! Was sie auf ihren Flugblättern schrieb:

»Wir Kinder tun oft nicht das, was ihr Erwachsenen von uns verlangt. Aber wir ahmen euch nach. Und weil ihr Erwachsenen euch nicht für meine Zukunft interessiert, werde ich eure Regeln nicht beachten«, fand er ultrakrass. Vielleicht mussten sie auch krass werden, wenn ihre Idee nicht ins Leere laufen sollte. Jule, die ein Jahr älter war als er, erinnerte ihn an Greta. War sie nicht auch eine «Klimaradikale«, wie sich Greta bezeichnete? Erst kürzlich war er geplättet, wie schonungslos Jule auf Frau Griffrat reagiert hatte. Das Ganze fing mit einer harmlosen Frage an:

»Frau Griffrat, was tun Sie selbst gegen die Klimakrise?«, wollte Jule wissen. Als diese unumwunden erklärte, ihr fehle die Zeit, um bei einer Umweltorganisation mitzumachen, da hatte Jule Frau Griffrat hammerhart vorgeworfen, sie wäre mit Schuld am Verschwinden der Arten. Frau Griffrat meinte, das müsse sie wohl so stehenlassen. In der großen Pause warf Jules beste Freundin ihr vor:

»Du bist ungerecht, und was machen wir?«

»Du wirst schon sehen!«, hatte Jule nur geantwortet.

Ideen sind gefragt

An der Kasse des Schwimmbads, für sie war es ihr «Spucki«, herrschte wie jeden Tag großes Gedränge, aber dank seiner Jahreskarte war die Schlange keine wirkliche Hürde für Willy. Zielbewusst steuerte er ihre Ecke an, etwas abseits vom großen Schwimmbecken. Dort gab es nicht nur den Schatten einer mächtigen Eiche, sondern das pausenlose Getöse, das in der Nähe des Schwimmbeckens einfach dazu gehörte wie das Wasser, war hier nur noch als Hintergrundrauschen vernehmbar. Schließlich sollten sie heute richtig zur Sache kommen. Schon von Weitem sah Willy Marko, seinen Klassenkameraden.

»Marko los! Lass uns ins Wasser, ich brauche eine Abkühlung«.

Doch der winkte ab: »Geht nicht, ich kann nicht ins Wasser!«

»Was ist los mit dir, Dickbauch vom Mittagessen?« Ein Dickbauch wäre einer wundersamen Verwandlung gleichgekommen, denn Marko glich von Jahr zu Jahr mehr einer in die Höhe geschossenen Bohnenstange.

Marko seufzte. »Geht nicht« und deutete dabei auf seinen Oberschenkel.

Willy sah nun die Binde und fragte nach dem Problem.

»Mist«, fluchte Marko und erklärte genervt: »Ich habe ein Ekzem, das juckt und ist entzündet.«

Damit war Willys pharmazeutische Wissbegierde geweckt: »Und, was hast du für eine Salbe genommen?«

»Keine Salbe, eine violette Flüssigkeit, sie wirkt schon, es juckt nicht mehr so.«

»Violette Flüssigkeit«, wiederholte Willy fragend. Doch seine Frage war jetzt nebensächlich, denn Jule und Daniel erschienen auf der Bildfläche. Das Quartett war nun vollständig. Inspiriert von Willy und Jule war auch bei Daniel und Marko der Entschluss gereift, es geschätzten Vorbildern gleichzutun. Was Greta und die Klimabewegung den abwartenden Entscheidern an politischen Schalthebeln mitteilte, war genau das, was sie bewegte, ihre schonungslose Sprache tat ein Übriges.

Sie hockten alle auf ihren Badetüchern, die begehrtesten Plätze waren im Blätterschatten einer Eiche. Etwas entfernt dudelten aus einem Radio die neuen Sommerhits. Es war ein heißer Augusttag. Verlockend, einfach die Beine von sich zu strecken und in die Sonne zu blinzeln. Doch deshalb waren sie heute nicht zusammengekommen. Willy sah Jule an, er wollte wissen was sie glauben, was in ihrer Stadt geschehen müsse, um klimaneutral zu werden. Auf seine Frage antwortete Jule:

»Dass der Klimawandel auch im eigenen Ort, also unmittelbar hier, verursacht wird und bekämpft werden muss, kommt niemandem in den Sinn, jedenfalls sieht es so aus. Seht ihr in der Stadt oder in der Umgebung, außer auf wenigen Hausdächern, irgendwo etwas was nach Stromerzeugung mit Wind oder Sonne aussieht? Dabei spielt die Stadt beim Kampf gegen den Klimawandel eine entscheidende Rolle. Am besten fangen wir bei null an. Marko, du erinnerst Dich, du hast bei Frau Griffrat die Sache mit der Erderwärmung, den Treibhausgas-Emissionen und der Klimakrise in deinem Referat abgespult, leg los!«

Jule warf Marko einen fordernden Blick zu. Aber der blickte sie nur stumm an, ihr Ton schmeckte ihm nicht. Von seinem Vater kam er ihm bekannt vor. Aber zu Jule, die eine natürliche Ungezwungenheit ausstrahlte, passte er einfach nicht. Er war nicht gewillt, den Befehlston zu überhören, wobei er gegen die ihm zugedachte Rolle nichts einzuwenden hatte. Noch zögerte er, als Daniel, ein großes Fußballtalent, ihn in die Seite knuffte. Er nickte nun, grinste breit und stellte sich hin, als ob er vor der Klasse im Biologieunterricht stünde:

»Klaaro, das werde ich mal kurz aufrollen, mit einem Satz lässt sich der Zusammenhang erklären. Ohne Nutzung unterirdischer Energiereserven, sprich ohne Verbrennung von Kohle, Öl, Kraftstoffen und Gas, kein Anstieg von Treibhausgasen in der Atmosphäre. Ohne Klimakiller Nummer 1, also ohne Kohlendioxid aus dem Auto, den Schornsteinen von Häusern und Kraftwerken, kein Anstieg der Erderwärmung. Und der Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre wirkt sich überall aus, deshalb gibt es die Erderwärmung in Alaska ebenso wie in Seattle und in Bebenhausen.«

»Genau«, stimmte Jule zu, »weil der Klimawandel und die Erderwärmung überall auf der Welt zu spüren sind, wehren sich Menschen überall auf der Welt.«

Hier stieg nun Daniel ein: »Hallo, ja, die Natur selbst reagiert immer heftiger. Unsere Bauern haben wegen der Trockenheit nicht genug Heu geerntet. Aber sie sind nicht allein. Was glaubt ihr, wie mir die Hitze auf den Geist geht. Auf Fußballtraining hast du keinen Bock, wenn es abends um neun 30 Grad sind.« Daniel schien einen Filter in sich zu haben, der abglich, ob sich etwas mit Fußball vereinbaren ließe. Allerdings funktionierte die Filterfunktion bei leiblichen Genüssen nur begrenzt, da Daniel genoss, was der Tisch und sonstige Gelegenheiten hergaben. Doch sein Aussehen und seine körperliche Beweglichkeit, wie auch sein Durchhaltevermögen, schienen dadurch nicht im Geringsten berührt zu werden.

Willy wollte sich nicht länger zurückhalten, er sah sich in seinem Element, es entsprach seinem umtriebigen Naturell. Waren sie nicht bereits einer Meinung, dass sie zusammen etwas unternehmen mussten? Den Entschluss, hier in Bebenhausen gegen die Klimakrise aktiv zu werden, sollten sie nicht aufschieben. Er sah jetzt einen nach dem anderen an und fragte ungeduldig:

»Die Erde erwärmt sich überall, auch hier. In unserer Stadt ist es verdammt ruhig. Das muss sich ändern. Reden reicht nicht! Was können wir tun damit unsere Stadtverwaltung, die Erwachsenen, endlich handeln?«

Daniel nickte, seine Blicke blieben an zwei Federballspielerinnen hängen, und in Gedanken war er schon bei seinem Fußballtraining. »Findet ihr auch, dass eine Abkühlung guttäte? Wer kommt mit ins Wasser? Bevor ich vor Hitze verschmachte, muss ich noch drei Bahnen ziehen«, unterbrach er Willys Gedankengänge und sprang auf.

Willy rollte mit den Augen, da Daniel seine Pläne durchkreuzte, aber er verstand ihn natürlich, irgendwie zumindest. »Du Ärmster! Ich bin nach der Schule gleich los, langsam ist mein Kopf so leer wie mein Bauch. Drei Köpper mach ich noch mit. So viel weiß ich jedenfalls, damit sich etwas ändert, müssen wir die Erwachsenen aus ihrem Tiefschlaf holen. Wer dazu eine Idee hat, macht eine Ansage.« Damit sprang auch er auf. Mit diesem Vorschlag von Willy schienen alle einverstanden zu sein, auch weil ihnen im Moment nichts Besseres einfiel. Nur Marko wirkte mürrisch, er musste zusehen, wie die anderen lostobten.

Kristalle und Flüssigkeiten

Auf der Heimfahrt mit dem Fahrrad grübelte Willy über ihr Vorhaben. Viel hatte sich bei ihrem Treffen im «Spucki« nicht ergeben. Noch hatte er selbst keinen Plan. Das riecht nach Kopfstand bei Gegenwind, was wir da versuchen zu erreichen.

»Pass doch auf, du Blindgänger!« Laut klingelnd schrie ihn ein Radfahrer an, dem er gefährlich nahegekommen war. Als er sich seinem Elternhaus näherte, fiel ihm wieder ein, dass er, ohne auf seine Mutter zu warten, das Haus verlassen hatte. Und richtig, kaum hatte er mit einem leicht unguten Gefühl die Wohnungstür geöffnet, empfing ihn seine Mutter mit ungewohnt strenger Miene und wies ihn zurecht. Wie er darauf käme, ohne Mittagessen, nur mit einer Nachricht: »Letzte Stunde fiel aus, ich bin im Schwimmbad«, loszugehen. Dank seiner Einsicht, nicht richtig gehandelt zu haben, zuckte er entschuldigend mit den Schultern und murmelte:

»Kommt nicht mehr vor, aber ich habe einen Bärenhunger.«

»Geh runter und sprich mit deinem Vater, sobald er fertig ist, gibt es Abendessen«, war die versöhnliche Antwort. In der Apotheke saß sein Vater über seinem pharmazeutischen Rezeptbuch, in dem akribisch festgehalten war, welche und in welchem Verhältnis bestimmte Wirkstoffe für pflanzliche Zubereitungen gemischt werden mussten. Willy wusste, in diesem Moment eine Frage zu stellen, war nicht gut. Aber offensichtlich war sein Vater ohnehin gerade fertig. Er klappte sein Buch zu, gab Willy einen leichten Puff und meinte:

»Du Ausreißer, deine Mutter hat dir bestimmt schon die Leviten gelesen.« Erleichtert und froh, dass keine väterliche Moralpredigt seinen knurrenden Magen länger schmachten ließ, ging er mit seinem Vater nach oben in die Wohnung. Seine Mutter hatte den Tisch bereits gedeckt, drei Teller und Gedecke lagen bereit. Anders als Jule und Daniel hatte er keine Geschwister.

Noch immer war es warm, die im Schatten des Gartens liegenden Fenster waren weit geöffnet, ein leichter Wind hatte eingesetzt und verschaffte eine erste leichte Abkühlung des Tages. Am Abend war die beste Gelegenheit, mit Fragen rauszurücken. Marko hatte im Schwimmbad von einer violetten Flüssigkeit gesprochen. Bestimmt wusste sein Vater, welche violette Flüssigkeit bei einer Entzündung infrage käme. Sein Vater schmunzelte:

»Es ist schon ein bisschen her. Dein Chemiebaukasten war damals für dich das Größte. Du hast aus den verschiedenen Mineralsalzen begeistert Farblösungen hergestellt, auch diese violette Flüssigkeit. Vielleicht fällt es dir wieder ein, denn wir hatten sicherheitshalber Schutzhandschuhe an, bevor wir diese mineralischen Kristalle im Wasser auflösten.«

In Willys Kopf fing es an zu arbeiten. Eine violette Flüssigkeit, was könnte das sein? Waren es die Kristalle in dem kleinen roten Döschen, aus denen beim Auflösen rote bis tiefviolette Flüssigkeiten entstanden? Ja, langsam dämmerte es ihm, doch der Name für die Kristalle fiel ihm nicht ein. Er zog fragend seine Schultern hoch: »Du musst nachhelfen.« Sein Vater schaute ihn abwartend an. »Ich erinnere mich, wir hatten mit nur wenigen Kristallen das ganze Wasser in der Badewanne rot gefärbt, und du, Mama warst nicht begeistert, weil die rote Farbe sich gar nicht so leicht abwischen ließ.«

»Allerdings, gerade diese Kristalle hatten es dir angetan, nicht nur einmal war die Badewanne gefärbt. »Dort«, bemerkte seine Mutter lachend, »war es mir lieber als auf dem Fußboden.«

»Ich habe es«, frohlockte Willy, »das Mineralsalz enthält Kalium und Mangan.«

»Richtig, es war Kaliumpermanganat. Wie kommst du gerade auf diese Frage?«, wunderte sich sein Vater. Als Willy Markos Entzündung erwähnte, fühlte sich Willys Vater in seiner Überzeugung bestätigt, da wächst doch ein Interesse, das er bei sich auch bemerkt hatte, als er etwa so alt war wie Willy. Doch der ahnte in dem Moment nicht, dass diese Kristalle für ihn und seine Mitstreiter noch eine Rolle spielen sollten.

Die Ausgangslage: Sackgasse

Als Willy sich an den Tisch setzte, um zu frühstücken, lag auf dem Frühstückstisch noch die aufgeschlagene Kreiszeitung Bebenhausen. Der Ferienbeginn war greifbar nahe, heute war der letzte Schultag vor den Sommerferien. Sein Blick fiel auf ein Foto. War das nicht ihr Schwimmbad? Das Schwimmbecken war nur teilweise abgebildet, vor allem Dachflächen waren zu sehen. Als Unterschrift las er:

»Ein eingeschossiges Gebäude mit viel Fläche für die Umwandlung von Sonnenlicht in Wärme. Eine überfällige Investition wird vertagt. Der Finanzausschuss lehnt die Freigabe der Gelder für das Wärmenetz ab.« Die Angaben, die in dem ausführlichen Text dazu gemacht wurden, waren eine Auflistung über den Verbrauch von Energie und die Emission von Treibhausgasen. Unmissverständlich ging daraus hervor: Für die Erzeugung des Warmwassers, vor allem im Winter, wenn das Hallenbad geöffnet war, wurde viel Öl für die Heizung und das Warmwasser verbrannt. Jetzt war er hellwach und ganz in die Sache versunken. Willy bemerkte nicht, dass seine Mutter kopfschüttelnd hinter ihm stand.

»Willkommen bei den Zeitungslesern! Vergiss dein Frühstück nicht!« Automatisch schob er die Zeitung von sich, sollte doch zum jetzigen Zeitpunkt niemand in ihre Pläne eingeweiht werden. Doch so sehr er sich auch mit ihrem «Spucki« verbunden fühlte, schwarz auf weiß war belegt: das Schwimmbad der Gemeinde war ein richtiger Luftverpester, vielleicht sogar ein richtig großer. Nun war ihm auch klar, warum sein Vater beim Verlassen der Wohnung gesagt hatte:

»Ich bin am Ende mit meinem Latein, das Wärmenetz der Stadt scheint endgültig vom Tisch zu sein!« Das mussten seine Mitstreiter erfahren. Auf dem Weg zur Schule simste er Jule, Daniel und Marko: »Super wichtig, Treffen im Schulhof nach der letzten Stunde.«

Willy konnte kaum erwarten bis endlich die Schulstunde zu Ende war und alle aus dem Klassenzimmer stürmten. Natürlich waren die drei gespannt, was er Wichtiges zu berichten hatte. Die Kreiszeitung hatte keiner gelesen. »Ohne das Foto hätte ich es auch nicht getan, diese Information wäre unter meinem Radar geblieben. Glückliche Fügung«, gestand Willy. Zweifellos, was er ihnen zu berichten hatte, war nicht von Pappe:

Nicht irgendeine Stadt, nein, ihre Stadt hatte sich gegen einen Beitrag zum Klimaschutz entschieden. Ihr Schwimmbad war ein ausgemachter Übeltäter! Diese Nachricht schlug ein. Sie hatten weggeschaut, nicht im Ansatz daran gedacht, dass ausgerechnet ihr «Spucki«, ihr Lieblingstreff, ein Ort war, der nach Veränderung schrie. Und das Rathaus machte auf stur.