Show Me How - Wenn wir uns lieben - Molly McAdams - E-Book
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Show Me How - Wenn wir uns lieben E-Book

Molly McAdams

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Beschreibung

»Und sie lebten glücklich bis zum Ende ihrer Tage.« An solche albernen Liebesmärchen glaubt Charlie nicht mehr, seit sie ihren Seelenverwandten verloren hat. Nie wieder wird sie etwas für einen anderen empfinden können, davon ist Charlie überzeugt. Bis sie in ihrem Tagebuch, das sie versehentlich im Restaurant hat liegen lassen, auf eine Nachricht von einem unbekannten Verfasser stößt. Zwischen ihr und dem Schreiber entsteht eine tiefe Vertrautheit, ein emotionaler Gedankenaustausch beginnt. Aber wer ist der Mann, mit dem sie ihre verborgensten Gefühle teilt? Und warum fühlt es sich so an, als würde sie ihn schon ewig kennen?

»Niemand kann Happy Ends und Tragödien so gekonnt vereinen wie Molly McAdams

Jay Crownover, New-York-Times-Bestsellerautorin

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Seitenzahl: 366

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Zum Buch

Charlie Easton ist alles, wonach sich Deacon sehnt. Was ihn selbst überrascht. Schließlich hat er sich noch nie etwas aus Beziehungen gemacht. Geschweige denn daraus, dauerhaft sein Bett mit nur einer Frau zu teilen. Für Charlie ist er bereit, seine wilden Partynächte und die endlosen Affären aufzugeben. Während er Charlie zeigen will, dass er nicht mehr der oberflächliche Playboy von früher ist, tritt eine weitere Frau in sein Leben: Sie scheint ihn zu verstehen, hinter seine Fassade zu blicken und ihn vorbehaltslos zu akzeptieren. Dabei ist er ihr noch nie begegnet …

Zur Autorin

Molly McAdams wuchs in Kalifornien auf. Heute lebt sie mit ihrem Ehemann und ihren vierbeinigen Hausgenossen in Texas. Wenn sie nicht gerade an ihren erfolgreichen New-Adult-Romanen schreibt, reist sie gern und unternimmt lange Strandspaziergänge. Aber am liebsten kuschelt sie sich daheim auf die Couch, schaut Filme und zitiert aus Blockbustern.

Lieferbare Titel

Taking Chances – Im Herzen bei dir Trusting Liam – Tief in meinem Herzen Letting Go – Wenn ich falle

MIRA® TASCHENBUCH

Copyright © 2018 für die deutschsprachige Ausgabe by MIRA Taschenbuch in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

Copyright © 2016 by Molly Jester Originaltitel: »Show Me How« erschienen bei: William Morrow, New York

Published by arrangement with William Morrow, an imprint of HarperCollins Publishers, LLC

Covergestaltung: büropecher, Köln Coverabbildung: Uwe Krejci / Getty Images Lektorat: Sonia Savic E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN E-Book 9783955768119

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Widmung

Für Amy. Deine Freundschaft ist mir ein so wunderbares Geschenk.

Prolog

Charlie

»Es war einmal …« und »Sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage …« Mit diesen Worten bin ich groß geworden. Ich kannte sie aus Disney-Filmen und Kinderbüchern, an sie hatte ich immer geglaubt. Als ich älter wurde und entsprechend reiferen Lesestoff fand, veränderten sich auch meine Ansprüche an einen Märchenprinzen, sie wurden jedoch nie geringer. Ich war mir so sicher, dass ich diesen einen Prinzen finden würde, auch wenn er vielleicht nicht ganz so prinzenhaft wäre, wie ich es mir als kleines Mädchen erträumt hatte.

Wie gesagt, mein Lesestoff hatte sich mit mir zusammen weiterentwickelt.

Ich dachte immer, jedes Ereignis in unserem Leben – ob groß oder klein – sei nur ein weiterer Teil unserer Geschichte, mit dem wir zu der Person wurden, die wir für unseren Märchenprinzen sein sollten. Ich wusste, meine Geschichte würde niemals auf den Seiten eines Buches verewigt werden, dennoch wartete ich darauf, dass meine eigene Liebesgeschichte alle bisher da gewesenen Liebesgeschichten in den Schatten stellte. Ich wartete auf mein eigenes Happy End …

Nur um herauszufinden, dass nichts davon echt war.

1. Kapitel

Charlie

22. Mai 2016

»Du hast vor gerade einmal drei Stunden den Abschluss gemacht!«, rief mein älterer Bruder zu allem Überfluss, in diesem autoritären Tonfall, den er oft benutzte. »Lass uns doch erst einmal sehen, dass du wieder zu Hause einziehst und dich eine Weile dort einlebst. Wenn du dann so weit bist, kannst du dich immer noch nach etwas Eigenem umsehen. Ich begreife nicht, warum du das alles übers Knie brechen willst.«

Und ich verstand nicht, warum er die Tragweite all dessen, was ich zu erledigen hatte, einfach abtat. »Weil ich in einem Monat einen Termin bei Gericht habe, Jagger, und bis dahin alles geschafft haben muss. Was ich nicht begreife, ist, warum du versuchst, alles hinauszuzögern.«

»In einem Monat? Charlie!«

»Jag«, setzte seine Frau an, verstummte aber, als Jagger ihr einen Blick zuwarf.

»Sie lässt sich kaum Zeit, Grey«, meinte er bestimmt und starrte mich wütend an. »Und wann hattest du vor, uns zu erzählen, dass du einen Gerichtstermin vereinbart hast?«

»Du hättest dir denken können, dass ich ihn so früh wie möglich ansetzen würde.«

»Es wäre schon schön gewesen, überhaupt davon zu erfahren, dass du einen Termin hast.«

»Du wusstest doch, dass es darauf hinauslaufen würde«, rief ich und lachte frustriert auf. »Das kann jetzt nicht so schockierend sein, wie du es darstellst.«

Er gab beim Ausatmen einen scharfen Laut von sich. »Ist es auch nicht, natürlich war uns das klar. Ich wünsche mir das für dich, aber du hättest bedenken müssen, dass du Zeit brauchst, um alles herzurichten, wenn du wieder zu Hause bist. Ein Monat reicht dafür nicht, Charlie. Das hätte ich dir schon vor heute sagen können, dann hättest du jetzt nicht diesen Zeitdruck. Wir müssen den Termin nach hinten verschieben.«

»Nein«, erwiderte ich entschieden. »Die Zeit wäre zu knapp, wenn ich mich erst wieder in Thatch einleben müsste. Doch ich muss mich nicht in Thatch einleben, ich war nur neun Monate weg. Ich habe den Abschluss gemacht, das war eine der Bedingungen, und sobald ich kann, suche ich mir einen Job und ziehe aus.«

Stöhnend rieb sich Jagger übers Gesicht. »Ist dir klar, wie viel einfacher alles für dich wäre, wenn du und Keith einfach bei uns bleiben würdet?«

»Weil das auch so richtig gut aussehen würde. Alleinerziehende Mutter haust mit ihrem kleinen Sohn lieber im Hinterzimmer des Lagerhauses ihres Bruders, weil das einfacher ist.« Ich schnaubte verächtlich. »Was würde der Richter wohl davon halten, Jag?«

Jagger schwieg, weil er es genau wusste.

Ich senkte die Stimme, damit man mich im Wohnzimmer meines kleinen Apartments außerhalb des College-Campus nicht hören konnte, wo mein Sohn gerade mit Greys Eltern und meiner Nichte spielte. »Sobald Keith angefangen hat zu reden und Mama sagen konnte, habe ich über ein Jahr damit verbracht, darauf zu achten, dass er nicht mich Mama nennt, bis endlich heraus war, wessen Sohn er wirklich ist. Kannst du dir auch nur ansatzweise vorstellen, wie sehr mich das verletzt hat?«

Jagger biss die Zähne zusammen und richtete den Blick auf den Boden, antwortete allerdings nicht.

Grey, die nur wenige Schritte entfernt stand, hatte beide Hände über den Mund gelegt und die Augenbrauen zusammengezogen, ihr Blick war schmerzerfüllt.

Mir war klar, dass die beiden sich gerade vorstellten, das Gleiche mit ihrer Tochter Aly machen zu müssen, die erst in den letzten Monaten angefangen hatte, »Dada« und »Mama« zu sagen.

»Und nach alledem versuchte er die nächsten acht Monate zu begreifen, dass ich doch seine Mutter bin. Irgendwann hatte er es dann verstanden … und ich ging aufs College. Für ihn sah es wahrscheinlich so aus wie das, was Mom immer mit uns gemacht hat. Jagger, sie hat uns immer wieder verlassen. Er dachte wahrscheinlich, ich komme nie wieder zurück.«

»Nein, das haben wir ihn nie glauben lassen«, versicherte mir Grey. »Und du bist jedes zweite Wochenende zu Hause gewesen, ihr habt jeden Tag über Facetime miteinander gesprochen. Er hat nie gedacht, du würdest nicht zurückkommen, Charlie.«

Das hatte ich gewusst, aber deswegen war es mir nicht leichter gefallen. Ich winkte ab, da sie mich besorgt anschauten, und wartete, bis Jagger mir seine Aufmerksamkeit schenkte. »Du hast von mir verlangt wegzuziehen, um den College-Abschluss zu machen. Das habe ich getan. Ich habe noch zwei weitere Bedingungen des Richters zu erfüllen, und nichts wird mich davon abhalten, das so schnell wie möglich zu erledigen, damit ich das Sorgerecht für Keith kriege. Er ist dreieinhalb Jahre alt, Jagger. Ich weiß, du willst mir nur helfen, aber ich will mein Leben mit ihm anfangen.«

Ein Monat noch, sagte ich mir in Gedanken. Ein Monat noch, dann ist Keith endlich mein Sohn. Ein Angstschauder durchfuhr mich. Hoffentlich.

»Okay«, sagte mein Bruder schließlich und atmete tief aus. »Aber überstürze es nicht, eine eigene Wohnung zu finden, nur weil du diesen Gerichtstermin hast. Ihr zwei habt bei uns ein Zuhause, und ihr könnt bleiben, solange ihr wollt. Den Termin kann man nach hinten verschieben, in Ordnung?«

Ich nickte knapp, auch wenn ich das keineswegs vorhatte. Ich würde schon rechtzeitig das perfekte Heim für uns finden. Das wusste ich einfach.

Jagger hielt meinem Blick noch eine Weile stand, dann trat er einen Schritt zurück. »Ich fange schon mal an, die Autos zu beladen, damit wir bald loskönnen.«

Nachdem Jagger abgezogen war, stieß Grey mich mit der Schulter an und flüsterte: »Ich bin stolz auf dich, dass du standhaft geblieben bist.«

Leise seufzte ich. »Bei ihm hatte ich noch nie ein Problem damit, ihm die Stirn zu bieten. Es sind die anderen, bei denen es mir schwerfällt.«

Sie warf mir einen amüsierten Blick zu. »Charlie, mit anderen Leuten traust du dich nicht einmal zu reden. Doch ich habe noch nie erlebt, wie du dich Jagger gegenüber so behauptet hast. Ich glaube fast, deine Zeit auf dem College hat dir dabei geholfen, ein bisschen aus deinem Schneckenhaus herauszukommen.«

»Wunschdenken. An dieser Rede habe ich ungefähr einen Monat gesessen.« Ich sah zu meiner Wohnungstür und versuchte, nicht allzu hoffnungsvoll zu klingen, als ich fragte: »Apropos Autos beladen, wo ist Graham? Bist du sicher, dass er und Deacon nicht schon nach Thatch zurückgefahren sind?«

Greys Bruder Graham und seine besten Freunde waren alle bei meiner Abschlussfeier gewesen, doch ein paar von ihnen hatten gleich danach wieder losgemusst, damit sie es rechtzeitig zur Arbeit schafften. Graham und Deacon hatten allerdings noch mit uns zu Mittag gegessen, und ich hatte sie nicht mehr gesehen, seit wir alle aufgebrochen waren, um zu meinem Apartment zurückzufahren.

Jedenfalls hatte ich gedacht, dass wir alle hierherkommen würden. Jetzt waren wir jedoch schon seit gut einer Stunde wieder zurück, und die beiden waren immer noch nicht aufgetaucht.

Nicht, dass mir das besonders viel ausgemacht hätte, aber Grahams Pick-up zu haben, würde bedeuten, dass wir alle meine Sachen auf zwei Wagen verteilen könnten und nicht mehrmals hin- und herfahren müssten.

Grey schüttelte den Kopf, zog ihr Handy aus der Tasche und warf einen Blick auf das Display. »Nein, er hat gesagt, wir treffen uns hier. Vielleicht sollte ich ihn anrufen …«

»Nein, schon gut«, warf ich ein und war froh, einem gewissen unterkühlten Mann mit braunen Augen noch etwas länger ausweichen zu können.

Kurz danach erklang ein rasches Klopfen an der Tür, bevor sie geöffnet wurde und Graham und Deacon hereinkamen.

Mein Herz und mein Magen verrieten mich. In beiden erhob sich ein Schwarm aus flatternden Schmetterlingen, die viel zu schnell mit den Flügeln schlugen und sich nur schwer ignorieren ließen, bis mir bewusst wurde, worüber die beiden sich gerade lautstark unterhielten: Wer von den beiden gerade den heißeren Zwilling gehabt hatte.

»Ist das eklig«, flüsterte ich leise vor mich hin.

Für die beiden war das ganz normal.

Instinktiv schlang ich mir die Arme um die Taille, während ich nach etwas oder jemandem Ausschau hielt, hinter dem ich mich verstecken konnte. Ich versuchte, keine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, und ging langsam rückwärts, bis ich hinter Grey stand.

»Wow, jetzt macht ihr schon mit den Mädchen in Walla Walla weiter?«, fragte Grey. »Muss das schön sein, sich nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, ob ihr die nicht schon verärgert habt.«

Graham warf seiner Schwester einen genervten Blick zu. Deacon legte sich in einer dramatischen Geste beide Hände auf die Brust und verkündete: »Grey LaRue, du weißt, du bist die Einzige für mich.«

»Easton«, berichtigten ihn Grey und Jagger, gleichzeitig rief Graham: »Alter, sie ist verheiratet und hat ein Kind.« Dabei betonte er jedes Wort, als hätte er es satt, immer und immer wieder das Gleiche zu erzählen.

Deacon zuckte mit den Schultern. »Reine Formsache. Und wenn ich dich Grey Easton nenne, würde ich gegenüber dem Typen, der behauptet, dein Ehemann zu sein, zugeben, verloren zu haben«, neckte er sie.

Grey schüttelte einfach nur den Kopf, während Deacon ihr noch einen lauten Schmatzer auf den Scheitel gab.

Dann entdeckte er mich, und sein Blick wurde kühl. Deacon musterte mich kurz von Kopf bis Fuß und erkundete anschließend die Wohnung.

Unvernünftiges, trügerisches Herz.

»Charlie«, murmelte Deacon, fast verärgert. Das einzige Wort, das er seit über einem Jahr an mich gerichtet hatte.

Ich war so sehr damit beschäftigt, dieses beklommene, entmutigte Gefühl zu verdrängen, das sein kaltes Starren in mir hervorrief, dass ich mir nicht die Mühe machte, zu antworten. Wahrscheinlich hätte er es ohnehin nicht gehört oder wenigstens so getan, als ob.

Grey drehte sich um und entdeckte, dass ich hinter ihr stand. Amüsiert und teilnahmsvoll schaute sie mich an, sowie ihr klar wurde, was ich da tat. Sie hob eine Augenbraue, während sie zur Seite trat, damit ich mich nicht mehr verstecken konnte. Darin lag eine Herausforderung. Sie wollte sehen, was ich als Nächstes tun würde.

Ich regte mich nicht.

»Hey, Jungs«, meinte sie und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Neuankömmlinge. »Ich weiß, ihr seid gerade erst angekommen, aber geht doch gleich mal zu Jagger, und helft ihm beim Beladen der Autos, damit wir bald losfahren können.«

Deacon nickte, entfernte sich ein paar Schritte von uns und deutete auf die Kinder im Wohnzimmer. »Hey, nach dem köstlichen Nachtisch, den ich gerade genossen habe, bin ich für alles gewappnet, solange nicht eines von denen da an mir hängen bleibt.«

»Ekelhaft«, murmelte ich wieder, so leise, dass er mich unmöglich hören konnte, doch sein eiskalter Blick richtete sich sofort wieder auf mich.

Grey verzog das Gesicht. »Du bist widerlich. Und wir wissen von deiner Abneigung gegen Kinder, Deacon. Wir werden dich schon nicht foltern, indem wir dich mit ihnen in einem Wagen fahren lassen.«

Er löste den Blick von mir und klatschte so laut in die Hände, dass ich von dem plötzlichen Geräusch zusammenzuckte. »In Ordnung. Packen wir es an.«

Zweieinhalb Stunden später waren der Pick-up und die Autos beladen, wir waren nur noch eine gute Viertelstunde von Thatch entfernt, und Keith plauderte angeregt … mit Deacon, der auf meinem Beifahrersitz saß.

Wir hätten die letzten paar Kartons gut auf meinem Beifahrersitz verstauen können, doch Graham hatte sie stattdessen in sein Auto geladen und behauptet, dass für Deacon kein Platz mehr wäre. Ehe Deacon erfassen konnte, welch weitgreifende Auswirkungen Grahams Worte für ihn hatten, war Graham schon in seinen Pick-up gesprungen und davongefahren – und sein dröhnendes Lachen klang noch nach.

Deacon und Keith hatten sich zwar schon unzählige Male gesehen. Doch nachdem Jagger und Grey ihn endlich davon überzeugt hatten, überhaupt zu mir ins Auto zu steigen, und wir losgefahren waren, hatte er die ersten dreißig Minuten lang steif wie ein Brett dagesessen – er hatte sich nur gerührt, um kurz auf den Rücksitz zu blicken und sicherzustellen, dass mein Sohn sich nicht auf ihn zubewegt hatte, obwohl Keith die ganze Zeit über tief und fest geschlafen hatte.

Kurz nachdem Keith aufgewacht war, hatten sie sich irgendwie in eine Debatte über Bären und Haie verwickelt, wer von beiden den besseren Freund abgeben würde. Falls sich jemand fragen sollte, die Antwort lautete Bären, weil sie Honig mochten und Keith meinte, er würde Honig auch mögen. Und seit sich dieses Gespräch entwickelt hatte, war es mir nicht gelungen, die beiden zum Schweigen bringen …

Nicht, dass ich es versucht hätte. Es hielt mir Deacons eisiges Starren vom Leib und ersparte uns das angespannte Schweigen.

»… und wenn die Marinis auf dir landen, nehmen sie dir die Supakraft weg.«

»Was?«, fragte Deacon laut, und aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie ihm die Gesichtszüge entglitten, als er sich zu meinem Sohn umdrehte. »Die wollen mir die Superkräfte wegnehmen? Das lasse ich nicht zu. Das können sie nicht. Ich habe einen Schutzschild.«

»Denen egal«, antwortete Keith. »Da kommen die durch.«

»Aber das sind meine Superkräfte.«

Ich sah noch rechtzeitig in den Rückspiegel, um Keiths Schulterzucken mitzubekommen, und in einem Tonfall, der verhieß, dass diese verstörende Nachricht schwer auf seiner dreieinhalbjährigen Seele lastete, sagte er: »Ich mach die Marini-Regeln nicht.«

Unvermittelt stieß ich ein verblüfftes Lachen aus, ehe ich mir die Hand auf den Mund schlagen konnte.

»Das ist nicht lustig, es bedeutet Krieg allen Marienkäfern«, sagte Deacon ernst, doch als ich zu ihm hinüberblickte, verschwand die Belustigung, die seine Miene erhellt hatte, schlagartig.

Ich schaute wieder auf die Straße und versuchte, das unwohle Gefühl zu verdrängen. Es vermischte sich mit dem verräterischen Flattern, das nicht verklungen war, seit er sich neben mich gesetzt hatte.

Deacon wandte sich erneut zu Keith und zuckte dann zurück. »Hey, Kleiner. Kleiner«, rief er wieder, da er keine Antwort erhielt, was mich dazu brachte, mich ebenfalls nach Keith umzusehen.

»Er schläft«, murmelte ich.

»Aber wir haben uns gerade noch unterhalten.«

Ich brauchte einen Moment, um zu merken, dass Deacon mich beobachtete, und als ich ihm einen Blick zuwarf, schaute er mich erwartungsvoll an. Ich schluckte und hob eine Schulter. Ich versuchte, genau den gleichen teilnahmslosen Tonfall anzuschlagen, den er mir gegenüber immer gebrauchte. »Ja, das ist bei ihm im Auto einfach so. Er schläft ein, sobald wir losfahren, und schläft dann während der ganzen Fahrt und ein paar Minuten darüber hinaus. Ist es eine lange Fahrt, schläft er die meiste Zeit, doch ich glaube, er wollte gerne mit dir reden und hat deshalb versucht, wach zu bleiben, nachdem er kurz aufgewacht war.«

»Ach.« Es folgte eine kurze Pause, ehe Deacon leise sagte: »Der Junge … ist eigentlich echt lustig. Ist er immer so?«

Das nächste Lächeln konnte ich mir nicht verkneifen. »Meistens schon. Er redet einfach über die …« Ich verstummte, als ich Deacons Blick auffing.

Kalt. Unerbittlich.

Verwirrend.

So hatte er mich noch nie behandelt, und ich wusste nicht, was geschehen war, dass er mich auf eine Art und Weise anschaute und ansprach, wie er es jetzt tat, wo wir doch auch sonst kaum miteinander redeten, nicht einmal, wenn wir im selben Raum waren.

Deacon – was übrigens für Graham und ihren anderen Freund Knox gleichermaßen zutraf – gehörte zu meinem Leben, seit ich denken konnte. Schon als Kinder waren die drei unzertrennlich gewesen, was bedeutet hatte, dass alle drei sich oft in Greys Nähe aufgehalten und die beschützenden älteren Brüder gespielt hatten. Nicht weit hinter Grey war auch Jagger zu finden; und ich ging dorthin, wohin Jagger ging.

Ich hatte mich nie wohl genug gefühlt, um mit den Jungs genauso unbefangen reden zu können wie mit Grey, aber sie waren alle nett zu mir gewesen. Nie feindselig. Nie so wie jetzt.

Das unwohle Gefühl in meinem Magen verstärkte sich unter Deacons festem Blick, und ich verstand es einfach nicht. Es war, als hätte ich diesen Blick verdient – aber ich wusste, das konnte nicht sein. Ich hatte ihm nie irgendetwas getan.

»Ähm, er redet über alles Mögliche. Er hat eine sehr lebhafte Fantasie.« Ich beeilte mich, zum Ende zu kommen, mit jedem Wort wurde ich etwas leiser, und als Deacons Zorn mir zu viel wurde, starrte ich geradeaus auf die Straße. Deacon antwortete nicht. Nach ein paar Minuten richtete er sich auf seinem Sitz auf und nahm sein Handy aus der Tasche.

Und ich war dankbar dafür. Ich konnte leichter atmen, wenn ich wusste, dass er nicht noch einmal versuchen würde, mit mir zu sprechen … und wusste, dass seine Augen beschäftigt waren.

Doch dann kam der Friedhof am Stadtrand in Sicht, und ich dachte, dass mir die Bauchschmerzen, die Deacon mir bereitete, doch lieber gewesen wären als das schmerzvolle Zusammenziehen meines Herzens wegen eines Mannes, der seinen Sohn nie sehen oder im Arm halten würde.

Gedankenverloren strich ich Keith mit den Fingern durch die Haare, als er am Abend auf meinem Schoß eingeschlafen war. Wir hatten alle meine Sachen ausgeladen und in das Lagerhaus geräumt, das ich mir mit Jagger und Grey teilte, aber dann hatte ich es nicht länger hinauszögern können, mit Keith den Friedhof zu besuchen. Er hatte mich darum angefleht, seit er am Nachmittag aufgewacht war, und sosehr mein Herz sich auch dagegen auflehnte, dort zu sein, wusste ich, dass Keith es wollte … und brauchte.

Ich lehnte mich zurück, stützte mich auf einen Arm und ließ den Blick zwischen meinem Sohn und dem Stein neben der Decke, auf der wir saßen, hin und her wandern. Die Blumen, die Keith für ihn ausgesucht hatte, ruhten am Fuß des Grabsteins. Irgendetwas an ihrem Aussehen störte mich. Als wäre das alles zu frisch und zu neu.

Als würde ich in eine Zeit vor vier Jahren zurückversetzt, zu dem Augenblick, als man Ben im Erdboden versenkt hatte.

Dutzende wunderschöner Blumen hatten auf seinem Sarg gelegen, und noch mehr hatte man auf die frisch aufgeworfene Erde gelegt. Immer, wenn wir jetzt mit frischen Blumen das Grab besuchten – und Keith bestand darauf, dass wir jedes Mal Blumen mitbrachten –, konnte ich an nichts anderes als an diesen Tag denken.

Es fühlte sich an, als würde ich ihm nie entkommen.

Als würde ich nie dem Kummer und Schmerz entkommen, die ich erlitten hatte, bevor und nachdem er gestorben war, und den Jahren der Heimlichkeiten, die ich danach durchstehen musste.

2. Kapitel

Charlie

25. Mai 2016

»Hammer smash!«

Es gibt diese Augenblicke, in denen man weiß, dass etwas geschehen wird; etwas, das man versuchen sollte zu verhindern. Aber dieses Gefühl vermischt sich mit Verwirrung, während man vom Gebrüll seines Kleinkinds langsam aus den Träumen gerissen wird, und die Muskeln brauchen eine Sekunde zu lange, um zu reagieren. Dann wird man im Bruchteil einer Sekunde wach gerüttelt, und die Welt ist erfüllt von dem hellen Licht im Schlafzimmer … und von Schmerz.

Ich öffnete die Augen einen Spalt und hatte kaum Zeit, zu begreifen, warum mein Sohn durch die Luft flog, und meinen Körper anzuspannen, ehe Keith mit Schwung auf meinem Bauch landete. Mit einem erstickten Husten drehte ich mich um, bis er aufs Bett purzelte.

»Hammer smash! Hammer smash!«, brüllte er und machte sich bereit für eine weitere Runde auf dem Mutter-Trampolin.

Jetzt, wo ich etwas gegenwärtiger war, streckte ich den Arm aus, um ihn davon abzuhalten, noch einmal auf mir zu landen, und wartete, bis ich ihm direkt in die blauen Augen blicken konnte, ehe ich seine Taille wieder losließ.

»Mommy, ich sehe dich!«

»Morgen«, röchelte ich und drehte mich zurück auf den Rücken.

Keith rappelte sich auf, bis er auf meinem Bauch saß, und strahlte mich an.

Trotz des nachklingenden Schmerzes im Bauch schwoll mir die Brust an vor Liebe für das kleine Monster, das auf mir saß. Ich fuhr ihm durch die dunklen Haare und fragte: »Wer bist du heute?«

Er machte ein langes Gesicht. »Mommy! Hammer!«

Ich stellte mich verwirrt. »Wer hat einen Hammer?«

»Ich doch!«

»Und wer bist du?«

»Dor, Mommy.« Sein Tonfall triefte vor Enttäuschung darüber, dass ich es nicht erraten hatte.

»Oh …«, sagte ich langgezogen und nickte langsam. »Ich dachte, heute Morgen hätte ich ein bisschen Hulk in dir erkannt, wegen des ganzen Schlagens, aber ich habe mich natürlich geirrt. Du bist ganz eindeutig Thor.«

Er seufzte. »Mommy … Hulk smasht mit den Fäusten. Dor smasht mit dem Hammer.«

Ich verkniff mir ein Lächeln und zwickte ihn in die Nase. »Schlägt. Thor schlägt mit seinem Hammer. Und er wirft ihn auch.«

Keith brauchte einen Augenblick, um meine Worte zu verarbeiten, dann fingen seine Augen an zu leuchten. »Hammer werf!«, brüllte er, aber kurz bevor er seinen imaginären Hammer auf mich schleudern konnte, hob ich schützend den Arm vor mich.

»Captain Americas Schild!«

Keith schlug mit der Hand auf meinen Arm und klammerte sich fest. »Mommy!«, flüsterte er ehrfürchtig und ließ meinen Arm dann los, um ihn zu tätscheln. »Dutes Schild.«

Ich zog ihn an mich, um ihn auf die Stirn zu küssen, und fragte dann: »Wie spät ist es?«

»Weiß nicht. Aber Onkel J versucht, Frühstück zu machen.«

Nachdem wir uns monatelang nur an den Wochenenden gesehen hatten, wollte ich nichts lieber, als noch ein paar Minuten mit meinem Sohn zu kuscheln, wie wir es die letzten Tage jeden Morgen getan hatten; aber ihm waren gerade gefährliche, äußerst gefährliche Worte über die kleinen Lippen gekommen.

Jagger misslangen schon Frühstücksflocken. Er würde das Lagerhaus niederbrennen, wenn er wirklich versuchte, etwas zu kochen.

»Wirklich?« Meine Stimme hob sich entsetzt, während ich mich beeilte, »Thor« von meinem Bauch zu heben. »Wir sollten versuchen, das zu verhindern, ehe wir kein Dach mehr über dem Kopf haben.«

Keith erstarrte und sah mit weit aufgerissenen Augen zu mir hoch, sobald ich aufgestanden war. »Wir können hier nicht mehr wohnen?«

Ich verkniff mir ein Fluchen und beugte mich hinab, bis ich mit ihm auf Augenhöhe war. »Natürlich können wir das. Aber Onkel J sollte nicht kochen. Halt ihn auf, bevor … Halt ihn einfach auf.«

Ich klopfte Keith zärtlich auf den Rücken, als er sich umdrehte, und sah ihm nach, als er aus unserem Zimmer rannte. »Onkel J, Onkel J! Mommy sagt aufhören! Onkel J! Hammer werf!«

Ein Lächeln erstrahlte auf meinem Gesicht, als ich Keiths Stimme lauschte.

Jagger hatte schlechte Laune, seit ich ihn vor drei Tagen darüber informiert hatte, dass ich zurück nach Thatch ziehen wollte. Aber ich konnte sein grübelndes Schmollen ertragen, wenn es bedeutete, dass ich jeden Tag mit »Hammer smash« aufwachen und zu jeder Stunde des Tages die süße Stimme meines Sohnes durch das Lagerhaus hallen hören konnte.

Als ich ein paar Minuten später aus dem Badezimmer kam, band ich meine langen blonden Haare zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen und tapste die langen Flure entlang hin zum vorderen Teil des Lagerhauses.

Das Lagerhaus hatte zum Geschäft unserer Großeltern gehört, als Jagger und ich Kinder gewesen waren, aber es war nach ihrem Tod ausgeräumt und Jagger überschrieben worden, da sie unserer Mutter nicht zutrauten, es zu behalten.

Ich konnte es ihnen nicht verübeln.

Unsere Großeltern hatten ihr Erbe gerecht zwischen unserer Mutter, Jagger und mir aufgeteilt. Während Jagger einen großen Teil dafür aufgebraucht hatte, das College zu bezahlen und das Lagerhaus zu einem Wohngebäude umzubauen, hatte unsere Mutter ihren Anteil schon zwei Jahre, nachdem die beiden von uns gegangen waren, durchgebracht. Danach hatte sie jahrelang versucht, Jagger um seinen Anteil zu prellen, und hatte es sogar auf Greys Geld abgesehen, nachdem sie fast das gesamte Vermögen von Ehemann Nummer acht verbraucht hatte.

Aber jetzt hatten wir seit eineinhalb Jahren nichts mehr von unserer Mutter gehört oder gesehen, und so schlimm das klingen mag, uns ging es dadurch besser. Sie war nie ein Elternteil für uns gewesen, nur eine Person, die uns endlosen Kummer bereitet hatte und die, solange ich mich erinnern konnte, durch unsere Leben gehuscht war, herein und wieder hinaus.

Jagger hatte mich großgezogen. Ihn und Keith hatte ich immer noch. Jemand anderen brauchte ich nicht.

Wieder musste ich lächeln, als ich entdeckte, dass Keith und Jagger im Wohnzimmer miteinander im Spaß kämpften und Aly dabei um sie herumkrabbelte.

Ich atmete übertrieben deutlich ein und fragte: »Rieche ich da angebranntes Wasser?«

Jagger hielt inne und warf mir einen sarkastischen Blick zu. »Oh, ha-h… Uff! Auszeit«, röchelte er, während er sich den Bauch hielt und langsam in die Knie ging.

Keith lächelte triumphierend. »Dor gewinnt immer gegen Loki, Mommy!«

»Natürlich tut er das, besonders mit einem Schlag unter die Gürtellinie«, neckte ich ihn und nahm ihn in die Arme.

»Was ist das?«, fragte Keith. Seine Augen leuchteten vor Aufregung darüber, etwas Neues zu lernen.

»Das, was du gerade mit Onkel J gemacht hast.« Ich zwang mich, das Lachen zu unterdrücken, als ich Jagger ansah, der jetzt auf dem Rücken lag, sich immer noch mit einer Hand den Bauch hielt und mit der anderen versuchte, Aly davon abzuhalten, sich auf ihn fallen zu lassen. Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf meinen Sohn und flüsterte: »Kannst du Mommy einen Gefallen tun?«

Keith nickte eifrig, und seine blauen Augen leuchteten noch strahlender. »Ja!«, flüsterte er laut zurück.

Ich hockte mich hin, um ihm ins Ohr zu flüstern, und liebte es, wie er vor Aufregung unruhig wurde. »Kannst du zu Onkel J gehen und ihm sagen, dass dir das Foulspiel leidtut?«

Enttäuscht sank er in sich zusammen, und als ich mich von ihm löste, sah er mich an, als hätte ich gerade alle seine Träume zerstört. »Na gut«, sagte er seufzend und schlich sich langsam hinüber zu Jagger. Immer noch mit dem gleichen Ausdruck im Gesicht und tief seufzend sagte er: »Onkel J, das Faultier tut mir leid.«

»Oh nein«, stöhnte ich und verbarg mein Gesicht in den Händen, während Jagger laut bellend auflachte. »Hör auf zu lachen!«, befahl ich und sah zu Keith hoch. »Baby, das heißt Spiel. Foulspiel.«

Keith zuckte mit den Schultern. »Hab ich doch gesagt!« Er blickte zwischen Jagger und mir hin und her, und mir wurde klar, dass er nicht wusste, ob er auch anfangen sollte zu lachen, aber die Verwirrung behielt die Oberhand. »Heißt das, ich hab Loki nicht besiegt?«

»Doch, die Runde hast du eindeutig gewonnen, Buddy«, sagte Jagger amüsiert.

»Ja! Hammer werf!«, brüllte Keith und rannte aus dem Wohnzimmer den Flur hinab zu unserem Zimmer.

Ich ging hinüber, um Aly auf den Arm zu nehmen, und starrte dann mit gehobener Augenbraue zu meinem Bruder hinunter. »Habt ihr noch etwas anderes gemacht, als die Avengers zu gucken, während ich auf dem College war?«

Jagger schaute mich mit großen Augen an. »Soll ich jetzt alle Marvel-Filme aufzählen?«

»Nicht nötig. Schon verstanden.«

Die Vordertür ging auf, und ich sah Grey mit ein paar Essens-Kartons hereinkommen.

Ich spähte schnell in die Küche, konnte dort aber kein Essen entdecken. »Ich dachte, du machst Frühstück«, sagte ich zu Jagger und konnte mir den vorwurfsvollen Ton nicht verkneifen.

Er zuckte mit den Schultern, als er zur Tür ging, um Grey zu helfen. »Irgendwie musste ich dich ja aus dem Bett holen.«

»Von einem Kleinkind angesprungen zu werden, hätte gereicht, du hättest nicht auch noch dafür sorgen müssen, dass ich Angst um die Sicherheit des Gebäudes bekomme.«

»Morgens macht sie immer so ein Drama«, murmelte er, nahm seiner Frau die Kartons ab und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Jagger kniff die Augen zusammen, als er Greys Gesicht betrachtete, und behielt sie im Blick, während er langsam rückwärts in Richtung Küche ging. »Und du wirkst ziemlich fröhlich für jemanden, der letzte Nacht kaum geschlafen hat.«

Ich verzog das Gesicht. »Igitt.«

»Nicht deswegen!«, sagte Grey schnell.

»Aly, Charlie.« Jagger sah mich verärgert an. »Sie war die ganze Nacht wegen Aly wach.«

»Wie auch immer!« Grey nahm mir Aly aus den Armen und wich dann wieder vor mir zurück. Sie hatte nur Augen für ihre Tochter, aber der Singsang ihrer Stimme drang zu mir zurück. »Ich habe dir einen Gefallen getan. Wir sind jetzt quitt, Charlie. Gern geschehen.«

»Welchen Gefallen?« Als Grey nicht sofort antwortete, weil sie zu beschäftigt damit war, Aly zu umgurren, erinnerte ich mich an ihr aufgeregtes Lächeln und wurde langsam misstrauisch. »Grey … welchen Gefallen?«

Ihre goldenen Augen funkelten, als sie in Jaggers Richtung nickte. »Du hast jetzt einen Job.«

Jagger hob seine voll bepackten Hände. »Ich weiß nicht, warum sie auf mich zeigt. Ich habe nichts damit zu tun.«

Keiths Kampfschrei kündigte seine Anwesenheit an, noch ehe ich seine Füße auf den harten Boden patschen hören konnte. »Faultier!«

»Das ist aber unhöflich und irgendwie unpassend, Buddie«, murmelte Grey.

»Jagger«, blaffte ich ihn an, als er laut auflachte. »Keith, Baby, das heißt Foulspiel.«

»Sag ich doch!«, antwortete Keith verzweifelt, während er stehen blieb, um auf einen Stuhl am Tisch zu klettern, wo Jagger gerade das Essen anrichtete.

»Die Leute werden denken, dass ich ihn so nenne.«

Grey biss sich auf die Unterlippe, ihre Mundwinkel hoben sich dennoch. »Wir können einfach Jagger die Schuld geben.«

»Das habe ich gehört«, rief er, ohne den Kopf zu heben.

»Noch mal, wie auch immer«, fing Grey an und zog das Wort dabei in die Länge. »Ich habe mit Mama gesprochen, während ich auf unsere Bestellung gewartet habe, und sie hat erwähnt, dass sie im Café noch ein oder zwei Leute gebrauchen könnte. Ich habe dann eventuell gesagt, dass du wieder da seist und einen Job bräuchtest. Eins führte zum anderen, und … Überraschung?«, fragte sie unsicher, als ich sie skeptisch ansah.

»Du hast mir einen Job in Mama’s Café besorgt?«

»Äh … ja?« Als ich nicht antwortete, beeilte sie sich zu sagen: »Wenn du nicht da arbeiten möchtest, musst du es ja nicht für immer machen. Aber es wäre wenigstens etwas, während du versuchst, in Thatch oder in der Umgebung einen Job zu finden. Du musst auch überhaupt nicht dort arbeiten. Ich kann mit Mama reden. Ich dachte nur, da ich den Job bei The Brew mehr oder weniger dir zu verdanken habe, sollte ich …«

»Nein! Nein, das ist toll«, sagte ich schnell und lächelte sie beruhigend an. »Ich weiß das zu schätzen, danke. Du hast recht. Ich brauche einen Job, und hier etwas zu finden, ist immer reine Glückssache. Also wirklich, danke dir.«

Grey sah immer noch besorgt aus, als hätte sie vielleicht etwas getan, das sie nicht hätte tun sollen.

»Im Mama’s zu arbeiten, wird bestimmt toll!«, sagte ich schon ernsthafter. »Ich rufe nach dem Frühstück an und frage, wann ich anfangen soll.«

»Ähm … Na ja, sie hat gefragt, ob du morgen vor zehn Uhr kommen kannst, damit du nicht als Erstes vom Frühstücks- oder Mittagsansturm überrannt wirst.«

So bald schon. Es fühlte sich an, als würde mir überhaupt keine Zeit bleiben, mich darauf vorzubereiten, von Leuten umgeben zu sein, an die ich nicht gewöhnt war. Keine Zeit, mich darauf vorzubereiten, was ich zu meiden versuchte, seit ich wieder nach Thatch gezogen war. Wen ich zu meiden versuchte.

Mamas einziges Enkelkind und einen Stammgast in Mama’s Café: Deacon Carver.

Ich zwang mich, weiterhin zu lächeln, und nickte als Bestätigung. »Perfekt.«

Deacon

29. Mai 2016

»Das ist mein liebster Teil der Woche!«, meinte ich, während ich zusah, wie einer meiner besten Freunde und seine Verlobte aus seinem Pick-up stiegen. »Ich darf Harlow füttern!«

Knox’ Verlobte schüttelte den Kopf, lächelte aber voller Zuneigung. »Was soll das heißen, Woche? Das kommt doch fast täglich vor«, rief Harlow.

»Alter. Ich füttere sie«, sagte Graham und stieß mich gegen den Arm, als wir gemeinsam den Parkplatz überquerten.

»Ihr wisst schon, dass sie sich selbst versorgen kann, ja?«, fragte Knox, als wir näher gekommen waren.

Ich schnaubte. »Nein. Bin mir ziemlich sicher, dass wir sie füttern.«

»Sie ist kein Baby.«

»Sie muss außerdem in ihr Hochzeitskleid passen«, mischte Harlow sich ein und küsste mich und Graham zur Begrüßung auf die Wange. »Also hört auf, mir Extraportionen auf den Teller zu schaufeln.«

»Spielverderber«, murmelte ich.

»Kriegerinnen brauchen zusätzliche Portionen«, fügte Graham hinzu, in einem Tonfall, der klarmachte, dass er keineswegs vorhatte aufzuhören.

Als würden wir das je tun, egal, was Harlow und Knox dazu zu sagen hatten.

Untergewichtig beschrieb nicht einmal annähernd Harlows Erscheinung, als sie vor fast einem Jahr in unser Leben getreten war. Auf der Schwelle zum Tod traf es besser.

Geschlagen, aber nicht besiegt. Sie bestand buchstäblich nur aus Haut und Knochen, war aber, wie Graham zu sagen pflegte, noch immer eine verdammte Kriegerin. Das mutigste und stärkste Mädchen, das ich kannte, und Graham und ich nahmen uns der Aufgabe an, Harlow wieder auf ein gesundes Gewicht zu bringen.

Und auch wenn sie es jetzt langsam erreicht hatte, glaube ich nicht, dass wir je aufhören würden, sie zu füttern. Die Erinnerung daran, wie sie in unserer Küche ausgeblutet war und kaum noch stehen konnte, nachdem sie von ihrem psychotischen und gewalttätigen Mann weggelaufen war, hatte sich tief in mein Gedächtnis gebrannt. Ich wusste, bei Graham war es genauso.

»Lasst uns endlich essen, ich bin am Verhungern«, sagte Knox, zog Harlow an sich und führte sie ins Mama’s.

Wir hatten den Laden kaum betreten, als meine Großmutter, Mama, um die Ecke kam.

»Na, wenn das nicht ein paar meiner Lieblingsgäste sind!« Sie umarmte uns alle, scheuchte uns dann aber davon. »Eure Ecke ist frei, wie immer. Ich muss zurück in die Küche, nach dem Rechten sehen.«

»Der Laden läuft auch weiter, wenn du mal eine Pause machst, Mama«, rief ich ihr hinterher, wusste aber, dass ich nicht auf eine Antwort hoffen musste.

Wenn sie in ihrem Café nicht überall gleichzeitig wäre, würde nichts mehr funktionieren, befürchtete sie. Ich wusste nicht, warum sie überhaupt andere für sich arbeiten ließ, denn sie versuchte ohnehin, alle anfallenden Tätigkeiten selbst zu erledigen.

Mein Blick fiel auf eine schlanke Blondine, die ein paar Sitzecken weiter den Tisch bediente, und ich ließ ihn über ihre subtilen Kurven wandern, während ich meinen Freunden zu unserer üblichen Ecke folgte.

Andererseits … wenn dadurch Mädchen in den Laden kamen, die so aussahen wie die, würde ich mich nie darüber beschweren, dass Mama Leute einstellte.

Ich ließ mich auf die Sitzbank gleiten, hatte aber immer noch nicht mehr als die Rückseite des neuen Mädchens gesehen, ehe ich sie aus den Augen verlor.

»Neue Kellnerin«, murmelte ich Graham zu und wollte sie schon für mich reservieren, falls sie von vorne auch so gut aussah, als er das Wort ergriff.

»Ja, klar! Warte, weißt du nichts davon?«

Ich lehnte mich zurück und war überrascht, dass er mehr über das Café wusste als ich. »Nein. Und woher zur Hölle weißt du davon? Bist du morgens ohne mich hergekommen?«

Graham setzte eine erste Miene auf. »Erstens klingst du wie eine eifersüchtige Freundin. Zweitens, nein. Drit… hey!«

Knox und Harlow schlossen sich Grahams Gruß an, und ich drehte mich um, um zu sehen, mit wem sie redeten – nur um es sofort zu bereuen.

Mein Blick richtete sich auf das blonde Mädchen, das neben unserem Tisch stand, nur eine Fußlänge von mir entfernt, in der Hand einen Notizblock und einen Bleistift.

Das sollte wohl ein verdammter Witz sein.

Ich ließ den Blick kurz über ihren Körper wandern, um sicher zu sein, dass es wirklich das Mädchen war, das ich gerade abgecheckt hatte, ehe ich ihn langsam wieder auf sein Gesicht richtete. Es wich meinem Blick aus. Nicht, dass das etwas Neues wäre.

Sie sah nie jemandem in die Augen, wenn es sich vermeiden ließ.

Aber das hier war etwas anderes. Sie wusste es. Ich wusste es.

Und ich wollte sie loswerden.

»Charlie«, sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen.

Ihre blauen Augen richteten sich auf mich und so schnell wieder fort, dass ich es verpasst hätte, wenn ich auch nur geblinzelt hätte.

»Äh, hey, ihr alle«, sagte sie leise. Ihr Unwohlsein entlockte mir ein leises Schnauben.

»Grey hat erzählt, dass du jetzt hier arbeitest. Wie war deine erste Woche?«

Charlie sah zu Graham, und ihre Mundwinkel hoben sich zu einem unsicheren Lächeln. »Es waren erst ein paar Tage, aber die waren gut.« Sie räusperte sich und wich von mir zurück und ging auf Knox zu. »Was kann ich euch bringen?«

Während meine Freunde ihre Bestellungen aufgaben, hörte ich nicht auf, sie anzustarren, und es gefiel mir, wie sie mit jeder Bestellung unsicherer wirkte. Als ich an der Reihe war, wendete ich mich endlich ab und sagte nur: »Mama weiß, was ich nehme.«

Ich musste sie nicht ansehen, um zu wissen, dass sie am ganzen Körper erstarrt war. Ich konnte es spüren. Nach ein paar Sekunden flüsterte sie: »Ähm …«

Ich sah wieder hoch und hob eine Augenbraue. »Das ist normalerweise der Part, wo die Kellnerin verschwindet.«

»Deacon«, brachte Knox ungehalten hervor.

Graham schlug mich auf den Arm und sagte: »Alter, was zur Hölle sollte das?«

Als ich nichts weiter sagte, sprach Knox für mich: »Er nimmt das Gleiche wie Graham, Charlie, danke.« Er wartete, bis Charlie den Essbereich verlassen hatte und in die Küche gegangen war, ehe er mit dem Fuß gegen mein Bein stieß. »Wie Graham schon fragte: Was zur Hölle sollte das?«

»Was denn?«

Meine Freunde schnauften, aber Harlow sah uns einfach nur an und nahm auf, was sich vor ihr abspielte. Sie kannte Charlie nicht gut genug, um sie zu verteidigen. Sie wusste nicht, was ich wusste.

»Tu nicht so, als wüsstest du nicht, wovon wir reden«, meinte Graham. »Was hat Charlie dir denn je getan?«

Von allen Anwesenden überraschte es mich am meisten, dass Graham meine Gefühle nicht teilte.

Ehe ich antworten konnte, fragte Harlow: »Hast du versucht, mit ihr zu schlafen?«

Graham entglitten die Gesichtszüge, und ich verzog angeekelt das Gesicht.

»Deacon, du hast doch nicht …« Graham verstummte. »Was hast du angestellt?«

»Was ich angestellt habe?«, fragte ich lachend und lehnte mich kopfschüttelnd in die Sitzecke zurück. »Nichts. Und nein, ich habe nicht versucht, mit Charlie zu schlafen.« Graham trat mir zweimal gegen das Schienbein, aber ich fuhr fort. »Ich würde sie nicht einmal anfassen, wenn sie sich auf mein Bett legen und darum betteln würde.«

Das Schweigen, das auf meine Aussage folgte, fühlte sich schwer an, und ich wusste, ohne mich umzudrehen, dass sie zurückgekommen war.

Und wirklich, als ich nach rechts sah, stand dort Charlie mit unseren Getränken. Sie sah mich nicht an, sah niemanden an, sondern einfach nur auf einen Fleck auf dem Tisch, während ihre Wangen sich purpurrot färbten.

Mir zog sich der Magen zusammen, als die Schuldgefühle in mir hochstiegen, aber nur einen Augenblick lang, dann konnte ich mich wieder an meinen Ekel klammern. Sie hatte einem der wichtigsten Menschen in meinem Leben wehgetan. Es wurde Zeit, dass sie selbst auch Leid erfuhr.

Sie leckte sich nervös die Unterlippe und musste zweimal zum Sprechen ansetzen, ehe ein Ton aus ihr herauskam. »Mama hatte eure Getränke schon vorbereitet«, erklärte sie, stand dann aber noch einen Augenblick wie erstarrt da, ehe sie hastig die Getränke auf den Tisch stellte.

»Du bist echt ein Arsch«, stieß Knox knurrend hervor, als Charlie wieder gegangen war.

Graham strich sich mit der Hand über das Gesicht und schüttelte langsam den Kopf. »Raus«, verlangte er.

»Ich werde mich nicht entschuldigen.«

»Ach was«, fuhr er mich sofort an, sah aber trotzdem aus, als würde meine Antwort ihn enttäuschen. »Aber irgendwer muss es an deiner Stelle tun, und irgendwer muss nachsehen, ob es ihr gut geht.«

»Warum?«

Grahams Frust war direkt spürbar. »Weil es verdammt noch mal Charlie ist, darum. Jetzt mach endlich Platz.«

Ich ließ ihn aus der Sitzecke und wollte wieder Platz nehmen, als er davonstampfte, hielt dann aber inne. »Vergesst es. Ich habe keinen Hunger.« Ich holte meinen Geldbeutel heraus und warf einen Zehner auf den Tisch. »Sagt Graham, ich bin zu Fuß nach Hause gegangen. Bis später, ihr zwei.«

Von ihnen würde keine Antwort kommen, und ich wartete auch keine ab. Ich drehte mich einfach um und ging hinaus. Auf dem Weg nach draußen ignorierte ich meinen besten Freund, der leise mit dem Mädchen sprach, das ich nie wieder sehen wollte.

3. Kapitel

Charlie

30. Mai 2016

Jagger seufzte zum fünften Mal in ebenso vielen Minuten und musterte mich aus seinen grünen Augen vom Fahrersitz meines Wagens aus. Er sagte kein Wort, sondern bedachte mich nur mit »dem Blick«. Jenem Blick, den ich in unserer Kindheit so oft erlebt hatte. Jenem Blick, der besagte, dass er von großem Bruder zu Elternteil wechselte.

Als er nichts sagte, schloss ich mein Buch und legte es hin, dann lehnte ich mich an die Wand des Lagerhauses. »Und?«

Er schnaubte entmutigt, hob kurz die Hände an, ließ sie aber ergeben wieder in seinen Schoß fallen. »Ich weiß nicht, was du von mir hören willst. Ich weiß nicht, was mit deinem Auto los ist. Ich habe keine Ahnung von Autos.«

Ich ließ die Schultern ein wenig sinken.

»Bring es in die Werkstatt, oder noch besser …«

»Jetzt kommt es«, murmelte ich.

»… kauf dir ein neues Auto.«

»Jag …«

»Du kannst keinen Wagen gebrauchen, der nur die Hälfte der Zeit funktioniert, Charlie. Besonders nicht jetzt, wo du wieder hier bist und Keith öfter herumfahren wirst. Was, wenn du mit ihm irgendwohin fährst und liegen bleibst?«

»Dann rufe ich dich an?«

Seine Miene zeigte keinerlei Regung. »Charlie. Hör zu, ich weiß, ich habe dich dein Geld nicht anrühren lassen, bis du achtzehn geworden bist. Aber jetzt hast du seit vier Jahren Zugriff darauf – das ist mehr als genug Zeit, um dir ein eigenes Auto zu besorgen. Ein zuverlässiges Auto.«

»Es kommt mir nur so verschwenderisch vor, wenn ich schon ein Auto habe!«

»Und noch mal«, sagte er lachend, »ein Auto, das nur die Hälfte der Zeit läuft! Das Auto war schon nicht mehr neu, als Grandma es dir hinterlassen hat, und dann hat es jahrelang herumgestanden, bis du alt genug dafür gewesen bist.« Als ich ansetzte, mich und das Auto wieder zu verteidigen, unterbrach er mich. »Du weißt genau, ich würde dir nie raten, Geld für so etwas auszugeben, wenn ich nicht glauben würde, es wäre nötig, aber es ist nötig. Das ist es schon lange