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Dr. Michael Römling

4,5

Beschreibung

Der junge Römer Caius wird mit einem Sonderauftrag zur Armee des Legaten Publius Quinctilius Varus nach Germanien geschickt. Dabei kommt er hinter ein ungeheuerliches Geheimnis: Varus führt etwas mit sich, das auf keinen Fall in die falschen Hände geraten darf. Als Varus trotz eindringlicher Warnungen mit seiner Armee aufbricht, um einen Aufstand abtrünniger Stämme niederzuschlagen, nimmt die Katastrophe ihren Lauf. Drei Legionen sehen sich plötzlich von Feinden umgeben. Caius ist mitten im Geschehen. Und auf einmal liegt das Wohl des gesamten Römischen Reichs in seinen Händen. Die Lage scheint aussichtslos - doch da kommt Hilfe von ganz unerwarteter Seite ...

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ISBN 978-3-649-60987-2 (eBook)

eBook © 2011 Coppenrath Verlag GmbH & Co. KG, Münster

Alle Rechte vorbehalten, auch auszugsweise

ISBN 978-3-8157-9469-2 (Buch)

© 2009 Coppenrath Verlag GmbH & Co. KG, Münster

Alle Rechte vorbehalten, auch auszugsweise

Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur AG

Karte: Nora Nowatzyk

Redaktion: Valerie Flakowski

Satz: Sabine Conrad, Rosbach

www.coppenrath.de

PROLOG

Das Erste, was Caius spürte, war das furchtbare Dröhnen in seinem Kopf. Es war, als würde ein Schmied seinen Hammer immer wieder und in schneller Folge gegen seine Schädeldecke krachen lassen. Seine Sinne kehrten nur langsam zurück. Er lag auf dem Rücken. Feuchte Kälte hatte sich durch die Kleidung bis auf die Haut vorgearbeitet. Arme und Beine fühlten sich taub an. Sein Kopf lag zur Seite gekippt im Schlamm.

Nach und nach kam die Erinnerung. Bilder tauchten aus der nebligen Dunkelheit seines Bewusstseins auf und hüpften vor seinem inneren Auge im Rhythmus des Hämmerns in seinem Kopf, das nicht aufhören wollte. Gestalten, die plötzlich wie Geisterwesen zwischen den Bäumen aufgetaucht waren. Ohrenbetäubendes Geschrei. Durchgehende Maultiergespanne, umstürzende Wagen. Varus, wie er von seiner Leibwache abgeschirmt wurde. Das Sirren und Klacken von Pfeilen, die aus dem Nichts zu kommen schienen. Und dann hatte ihn irgendetwas am Kopf getroffen.

Caius begann zu zittern. Mach die Augen auf, befahl er sich selbst. Das Dröhnen in seinem Kopf hielt unverdrossen an, und als das erste Licht durch die Lider drang, nahmen die Schläge an Heftigkeit noch einmal zu.

Sehr langsam tauchten die Konturen eines umgekippten Trosswagens aus dem milchigen Schleier auf. Die Plane war aufgerissen und allerlei Gerätschaften waren herausgefallen. Neben einem der Wagenräder lag ein toter Legionär, aus seinem Hals ragte der Schaft eines Pfeils.

Du musst aufstehen, dachte Caius. Immerhin wich die Taubheit allmählich aus seinen Gliedmaßen, obwohl sie sich noch bleischwer anfühlten. Er wälzte sich auf die Seite und drückte sich mit den Armen hoch, dabei wurde ihm so übel, dass er sich beinahe übergeben hätte. Sein ganzer Körper war mit Schlamm bedeckt, der eine harte, verkrustete Schicht bildete.

Bis auf das Hämmern in seinem Kopf war es totenstill im Wald. Mit Mühe drehte Caius den Kopf nach rechts. An einer merkwürdig verwachsenen Buche erkannte er, dass er sich immer noch an der Stelle befand, wo er zuvor inmitten der ganzen Kolonne marschiert war. Vorhin – vor einer Stunde? Vor vier Stunden? Jetzt lagen überall Tote und verstreutes Gepäck herum, dazu einige Packwagen, ein paar davon ohne die Gespanne, bei anderen hingen die Zugtiere tot im Geschirr.

Der Reisewagen des Statthalters war weg. Sie haben Varus, dachte Caius, und das Dröhnen in seinem Kopf schwoll an. Sie haben seinen Wagen und sie haben den Kasten. Unwillkürlich stellte er sich vor, wie eine Gruppe dieser Barbaren den Kasten aufbrach und beim Anblick ihres Inhalts ungläubig erstarrte. Der Gedanke war unerträglich. Das größte Geheimnis des Imperiums, verschollen in einem namenlosen Wald in Germanien. Was in diesem Kasten war, durfte es eigentlich gar nicht geben. Wenn Augustus davon erfährt, dachte Caius, wird in Rom die Erde beben.

1

In dem Säulengang, der den offenen Platz des Forums von drei Seiten einrahmte, schob sich eine bunt zusammengewürfelte Menschenmasse vorwärts wie ein zähflüssiger Lavastrom. Von der stuckverzierten Decke hallte das tausendstimmige Schwatzen und Lachen als dumpfes und gleichförmiges Gemurmel zurück. Die Müßiggänger waren hier an diesem Nachmittag in der Mehrheit und machten den wenigen, die es eilig hatten, das Durchkommen schwer. Immer wieder staute sich der Strom, wenn kleine Grüppchen plaudernd vor den vergoldeten Statuen stehen blieben, die zwischen den Säulen aufgestellt waren.

Es war der erste Tag im Mai, und nach einem eiskalten März und einem verregneten April brannte nun die Sonne vom wolkenlosen Himmel, als habe es nie einen Winter gegeben. Ganz Rom stürzte sich in den Frühling.

Caius drängte sich zwischen zwei ägyptischen Trägern durch, die ihre Pakete abgelegt hatten und sich in ihrer fremden Sprache unterhielten. Der eine lehnte am Sockel der Statue eines Diskuswerfers, der andere an einer der korinthischen Säulen, die den überdachten Gang vom Forumsplatz trennten. Die beiden Sklaven verstummten und musterten ohne Scheu seine Toga mit dem breiten Purpurstreifen, die Caius als Angehörigen des senatorischen Adels auswies. Etwas an ihrem Blick war unverschämt. Er trug diese Toga erst seit knapp zwei Monaten und die beiden schienen seinen frischen Stolz genau zu bemerken. Als der eine mit dem Fuß eins der verschnürten Pakete lässig an die Seite schob, um Caius Platz zu machen, hatte auch diese Geste etwas Respektloses.

Liefert lieber eure Ware ab, anstatt hier den Tag zu vertrödeln, dachte Caius noch, dann trat er aus dem Schatten des Säulenganges und stand nach ein paar Schritten und drei Stufen auf dem riesigen Platz des Forums.

Licht und Wärme kamen hier von allen Seiten, er spürte die Sonne im Nacken und musste die Augen zukneifen, so grell warf der mit Marmorplatten ausgelegte Boden das Licht zurück. In seinem Rücken machte der Säulengang einen ersten Knick und nach etwa sechzig Schritten einen zweiten, dann lief er wieder auf den Tempel zu, der an der gegenüberliegenden Schmalseite den Abschluss des Forums bildete. Mitten auf dem Platz stand auf einem mannshohen Sockel eine vergoldete Skulptur, die die ganze Fläche beherrschte: ein vierspänniger Triumphwagen. Caius hatte schon oft hier gestanden, doch immer wieder weckte die Figurengruppe in ihm grenzenlose Bewunderung, weniger wegen ihrer Größe als vielmehr wegen der fast unglaublichen Detailgenauigkeit und Lebendigkeit der Darstellung. Vier Pferde zogen den Wagen, und der Künstler – ein Grieche, wie fast alle großen Bildhauer – hatte es verstanden, ihre unbändige Bewegung so einzufrieren, dass es schien, sie würden jeden Augenblick zum Leben erwachen und weiter voranstürmen: Nervös warfen sie die Köpfe mit den geblähten Nüstern, an Flanken und Beinen zeichneten sich die Muskeln ab und an den Hälsen waren selbst die kleinsten Adern herausgearbeitet. Sechzehn Hufe stemmten sich in den Boden oder wirbelten durch die Luft, eins der Pferde schien gerade steigen zu wollen, und man hörte beinahe das Ächzen der Deichsel. Die ungestüme Dramatik des Gespanns wurde durch den Kontrast zur lässigen Pose des Wagenlenkers noch gesteigert: Sicher und ruhig stand er da und hatte es nicht nötig, sich anzulehnen oder festzuhalten. Seine Arme hatte er leicht abgewinkelt und nach vorn gestreckt. In seinen Händen ruhten die Zügel, als habe sie jemand behutsam hineingelegt. Er trug eine Feldherrenuniform und einen Brustpanzer, der über und über mit Reliefs geschmückt war. In seinen Gesichtszügen wiederholte sich die gelassene Überlegenheit der ganzen Pose: ein schmaler, kaum merklich geschwungener Mund, eine gerade Nase, Augen, die über die Pferderücken hinweg in die Ferne zu blicken schienen. Die Haare waren in Strähnen nach vorn gekämmt und wurden von einem Lorbeerkranz eingerahmt. Das Gesicht war Caius bestens vertraut; man konnte in Rom um keine Ecke biegen, ohne diesem Mann zu begegnen. Als Statue, Büste oder Relief hatte ein Heer von Steinmetzen ihn tausendfach aus dem Marmor geschält und sein Namenszug sprang einem von fast allen Inschriften an öffentlichen Gebäuden entgegen: Caius Julius Caesar Augustus, Princeps und Imperator, Großneffe und Adoptivsohn des göttlichen Caesar. Unwillkürlich schossen Caius die zahlreichen Titel durch den Kopf, mit denen der Senat Augustus im Laufe seiner mehr als vierzigjährigen Herrschaft geehrt hatte. Augustus war mächtiger, als je ein Mann in Rom gewesen war, und Rom war unter seiner Führung mächtiger geworden als jedes andere Reich auf der Erde. Die höchsten Ämter des Staates liefen in seinen Händen zusammen wie die Zügel des goldenen Gespanns, das in der Nachmittagssonne glänzte.

Caius fühlte eine Hand auf seiner Schulter. Sein Vater, der vorhin im Gewühl zurückgeblieben war, hatte sich ebenfalls durch die Menge ins Freie gekämpft und stand nun hinter ihm. »Bist du aufgeregt?«, fragte Quintus Cornelius Castor.

Caius machte keine Anstalten, seine Nervosität zu verbergen, sein Vater kannte ihn ohnehin gut genug. Wie sollte man an einem solchen Tag auch nicht aufgeregt sein? Als er vor zwei Monaten die Toga bekommen hatte, war er vor Stolz beinahe geplatzt. In seiner Fantasie hatte er bereits die verschiedenen Rollen der glanzvollen Karriere durchgespielt, die ihm nun bevorstand: Caius Cornelius Castor der Tribun, Caius Cornelius Castor der Legionslegat, Caius Cornelius Castor der Senator und Caius Cornelius Castor der Konsul. Dann hatte sein Vater ihn beiseitegenommen und mit einer ernüchternden Standpauke auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Seine Worte, streng und spöttisch zugleich, klangen Caius noch immer in den Ohren: Mein Sohn ist auf dem besten Weg, einer von diesen nichtsnutzigen Gockeln zu werden, die aufgeplustert durch die Gegend stolzieren, Titel mit Leistungen verwechseln und Unterwürfigkeit mit Respekt. Was für ein Tribun willst du werden? Einer von denen, die vom Zelt aus Kommandos geben und dabei bretonische Austern und griechischen Wein schlürfen? Und was für ein Senator willst du werden? Einer von denen, die ein paar arbeitslose Schauspieler bezahlen, damit sie bei ihren Ansprachen klatschen? Titel bedeuten nichts, wenn alle wissen, dass du sie geschenkt bekommen hast, weil du aus einer der einflussreichsten römischen Familien kommst. Deine Abstammung ist keine Leistung, sondern ein Ansporn, dir mit echten Verdiensten echten Respekt zu verschaffen! Nachdem er sich Luft gemacht hatte, war sein Vater versöhnlicher geworden. Ich habe das in deinem Alter auch nicht verstanden. Und was ich dir gerade gesagt habe, musste ich mir von meinem Vater ebenfalls anhören. Die Predigt hatte dennoch gesessen.

Vor einer Woche war sein Vater dann mit der Nachricht nach Hause gekommen, dass er bei Augustus persönlich zu einer Unterredung geladen war, und Caius, sein einziger Sohn, sollte mit. Zuerst war Caius natürlich mächtig stolz gewesen, aber jetzt, wo der Zeitpunkt unaufhaltsam näher rückte, wurde er immer aufgeregter. Er blickte zu der überlebensgroßen goldenen Figur im Triumphwagen auf und seine Selbstsicherheit war wie weggeblasen. Er kam sich auf einmal klein vor – so klein, dass selbst ein paar ägyptische Sklaven ihn mit einer anmaßenden Geste verunsichern konnten.

»Keine Sorge«, sagte sein Vater jetzt und legte ihm auch die andere Hand auf die Schulter. »Du wirst dich wundern, was der Princeps für ein Mensch ist. Die meisten Leute kennen nur diese Statuen und glauben, er sei so etwas wie ein Gott, und in seiner Umgebung gibt es viele, die so tun, als sei er das wirklich. Er hat diese Schmeichler immer gehasst. Er schätzt es, wenn man offen mit ihm redet. Mehr noch: Er liebt es, wenn man ihm widerspricht. Wenn man so viel erreicht hat wie er und dabei so alt geworden ist wie er, dann wird die Gefahr immer größer, der Selbstherrlichkeit zu verfallen. Dieser Gefahr begegnet er, indem er sich mit Leuten umgibt, die sagen, was sie denken.«

»Sagst du immer, was du denkst?«

»Manchmal ist es klug, sich zurückzuhalten. Aber niemals aus Bequemlichkeit. Auch das ist etwas, was mein Vater mir immer wieder gesagt hat.« Quintus machte eine Pause, trat neben seinen Sohn und sah zur Figurengruppe hoch. Caius folgte seinem Blick. »Siehst du die Szene in der Mitte?«, fragte sein Vater und deutete auf den Brustpanzer des goldenen Wagenlenkers. Dort war zwischen anderen Figuren eine Gestalt abgebildet, die Augustus eine Standarte überreichte.

»Die Rückgabe der Legionsadler, die Crassus bei Carrhae an die Parther verloren hat«, sagte Caius mechanisch, als antwortete er auf die Frage eines Lehrers.

»Richtig. Über sechzig Jahre ist das her. Crassus war mit sechs Legionen von Syrien aus ins Land der Parther eingefallen. Er glaubte, dass der parthische Feldherr Surenas sich zum Kampf stellen würde. Surenas aber lockte ihn immer weiter ins Land und schließlich in die Wüste.«

»Ich weiß.«

»Das will ich hoffen«, erwiderte Quintus. »Mein Vater – dein Großvater – war damals Tribun im Stab von Crassus. Er hielt das ganze Manöver von Surenas von Anfang an für eine Finte. Er hat Crassus immer wieder gewarnt.«

»Aber der wollte nicht hören.«

»Hören wollte er schon. Aber nur auf die, die ihm nach dem Mund redeten, anstatt zu sagen, was alle dachten. Er lief Surenas geradewegs in die Falle.«

»Und am Ende war Crassus tot und drei Legionsadler waren weg«, sagte Caius.

»Nicht nur die. Dreißigtausend Soldaten waren auch verloren, vergiss das nicht.«

»Was von beidem war denn schlimmer?«

»Kommt darauf an. Für Roms Ansehen die Adler. Für dreißigtausend Familien die Soldaten.« Quintus Cornelius Castor wies mit dem Kopf auf die goldene Figurengruppe. »Als der Princeps die Adler vor fast dreißig Jahren von den Parthern zurückholte, hat er damit allerdings mehr Ansehen gewonnen, als Rom durch ihren Verlust jemals eingebüßt hat. Die Rückführung war ein Staatsakt, wie ich selten einen gesehen habe. Ich war damals kaum älter als du.«

»Und seitdem werden sie dort hinten im Tempel aufbewahrt, zusammen mit Caesars Schwert.« Caius wies auf das massige Gebäude an der Stirnseite des Forums, dessen Giebel von der Sonne beschienen wurde. Rechts und links vom Podium des Tempels begrenzten die beiden Längsseiten des Säulenganges den Forumsplatz und ließen auf jeder Seite einen Zwischenraum, der jeweils von einem Triumphbogen abgeschlossen wurde. Dahinter erhob sich eine gewaltige Mauer, die selbst den Tempel noch überragte und die Schmalseite des ganzen Baukomplexes nach hinten abschloss wie die Rückwand einer Theaterkulisse. Zwischen den Säulen schoben sich immer noch die bunten Menschenmassen entlang. Gedämpftes Murmeln wehte herüber.

»Wir sollten aufbrechen, mein Sohn. Man wartet auf uns.« Mit diesen Worten wandte sein Vater sich um und ging quer über den Platz auf den rechten der beiden Durchgänge zu. Caius folgte ihm. Hinter dem Triumphbogen führten einige Stufen zu einem Durchlass in der rückwärtigen Mauer hinauf. Dahinter lag ein dicht bebautes Wohnviertel mit verschachtelten Mietshäusern. Kaum hatten sie sich in dem lärmenden Menschenstrom durch das Nadelöhr gezwängt, da schlug ihnen auch schon die unverwechselbare Mischung aus unappetitlichen Ausdünstungen entgegen, die in diesem Stadtviertel vor allem in den Sommermonaten die Luft verpestete. Ein paar Jungen drängelten sich rücksichtslos vorbei. Aus einem Fenster über ihnen ergoss sich ein Schwall von vulgären Beschimpfungen.

Diese Mauer trennt wirklich zwei Welten, dachte Caius. Dann bestiegen sie die beiden Sänften, die direkt hinter dem Durchgang auf sie warteten. Caius zog den Vorhang zu, dann spürte er, wie seine Sänfte angehoben wurde. Er war immer noch aufgeregt, doch das Unbehagen war verschwunden und einer neugierigen Spannung gewichen. Nach kurzer Zeit neigte die Sänfte sich leicht, und die Träger wurden langsamer. Wir steigen zum Palatin hinauf, dachte Caius. Gleich werde ich dem mächtigsten Mann der Welt gegenüberstehen.

2

Nach dem Anstieg hielten sie mehrmals an. Durch die Vorhänge der Sänfte vernahm Caius undeutliche Worte, die der Führer ihrer Eskorte mit Wachen oder Pförtnern wechselte. Schließlich wurde die Sänfte behutsam abgestellt. Caius zog den Vorhang auf der rechten Seite weg.

Sein Vater war schon ausgestiegen und brachte die Falten seiner Toga in Ordnung. Er lächelte ihm zu. »Wir sind da.«

»Habe ich mir fast gedacht«, gab Caius etwas vorwitzig zurück, um seine erneut aufkommende Nervosität zu überspielen.

Er stieg aus der Sänfte und blickte sich um, während sein Vater immer noch an der Toga zupfte. Sie standen auf einem kleinen Platz, dessen Breitseite von einem gewaltigen Tempel beherrscht wurde. Caius ließ seinen Blick an den Säulen emporwandern. Wenn man es genau nahm, war es eigentlich nur ein mittelgroßer Tempel, aber durch die Enge des Vorplatzes wirkte er auf seinem Sockel fast schon erdrückend. Es war der berühmte Apollotempel, den Augustus dem Gott vor fast vierzig Jahren für seinen Sieg in der Seeschlacht von Actium geweiht hatte. Er bestand vollständig aus weißem Marmor und strahlte in der Sonne des späten Nachmittags, als leuchtete er von innen heraus. Am Ende der Vorhalle im Schatten der Säulen glänzten die Goldbeschläge des von Elfenbeinreliefs eingerahmten Portals, das in das Innerste des Tempels führte.

An den anderen drei Seiten wurde der Vorplatz durch Mauern begrenzt, die ebenfalls mit weißen Marmorplatten verkleidet und mit einer vorgelagerten, umlaufenden Säulenreihe verziert waren. Zwischen den Säulen standen schwarz glänzende Hermen der fünfzig Töchter des Danaos. Der Kontrast zwischen dem dunklen und dem hellen Marmor sah edel, aber auch kühl und irgendwie unerbittlich aus. Caius wurde klar, dass sie nur noch wenige Mauern von dem Mann trennten, der über Millionen von Menschen gebot.

Die Träger hoben die Sänften lautlos an und entfernten sich. Caius hörte Schritte und drehte sich um. In die der Tempelfront gegenüberliegende Wand des Vorplatzes war ein Portal eingelassen, das von zwei Hünen bewacht wurde. Wie in Stein gemeißelt standen sie in der Paradeuniform der Prätorianergarde da und blickten mit blauen Augen ins Leere.

Caius hatte von der geheimnisvollen Leibwache des Princeps gehört, aber noch nie einen ihrer Angehörigen zu Gesicht bekommen. Sie wurden nicht aus den Legionen rekrutiert, sondern irgendwo im Norden bei den Batavern angeworben – Leute, die niemand kannte. Von den anderen Prätorianern wurden sie gehasst. Für sie war es unerträglich, dass der Princeps diesen stummen Barbaren sein Leben anvertraute. Caius musterte die beiden riesigen Männer mit den versteinerten Gesichtern kurz. Unüberwindlich und unbestechlich, dachte er. Bessere Leibwächter konnte es nicht geben.

In diesem Augenblick erschien ein Sklave in einer grünen Tunika im Halbdunkel des Portals. »Dann wollen wir mal«, sagte Quintus und schritt voran, auf den Eingang zu. Caius folgte seinem Vater. Als er zwischen den Batavern durchging, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Die beiden Männer waren mehr als einen Kopf größer als er, und obwohl sie weiterhin bewegungslos dastanden und geradeaus blickten, fühlte er sich von ihnen beobachtet. Kurz rechnete er damit, plötzlich mit eisernem Griff gepackt zu werden, dann war er auch schon vorbei und trat in das schummerige Licht eines Ganges, der nach wenigen Schritten nach rechts abknickte. Der Sklave mit der grünen Tunika trat rückwärts in die Ecke, um sie vorbeizulassen. Caius ging dicht hinter seinem Vater, der dem Sklaven im Vorübergehen lächelnd einen freundschaftlichen Klaps auf den Oberarm gab. »Anaximandros«, sagte er nur. Es hatte nichts Gönnerhaftes. Caius war beeindruckt, mit welcher Selbstverständlichkeit sein Vater sich in den Räumen des mächtigsten Mannes der Welt bewegte. Es schien hier weit weniger förmlich zuzugehen, als er erwartet hatte, und irgendwie beruhigte ihn das. , hatte sein Vater gesagt. Na dann.

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