Soforthilfe für die Paarbeziehung - Ankha Haucke - E-Book

Soforthilfe für die Paarbeziehung E-Book

Ankha Haucke

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Beschreibung

Auch in Paarbeziehungen ist nicht immer eitel Sonnenschein, das ist normal und in keiner Weise Grund zur Besorgnis. Wir alle sind Menschen mit Launen, Sorgen, Unsicherheiten und Bedürfnissen. Diese für sich selbst zu klären und mit jenen der Partnerin oder des Partners in Einklang und Balance zu bringen, ist nicht immer einfach. Mitunter scheint es wie von selbst zu gelingen: Wir fühlen uns glücklich, gesehen, geliebt und gehalten. Manchmal fühlen wir uns aber auch missachtet, unverstanden, ungeliebt und allein gelassen. Herrschen diese Gefühle nur temporär vor, gelingt es den meisten von uns, damit umzugehen. Aber was geschieht, wenn diese Durststrecken anhalten? Unbehagen stellt sich ein und das Bewusstsein, etwas ändern zu wollen. Anka Haucke kennt diesen Moment, es ist jener, von dem Paare in ihrer Praxis für Paarberatung berichten und der lange vor dem Entschluss liegt, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der Moment, in dem jemand auf seine Partnerschaft schauen und herausfinden will, was dort schiefläuft, ist der Augenblick für dieses Buch. In ihm finden sich die häufigsten Paarprobleme und wie man mit ihnen umgeht. Ankha Haucke gibt Hilfe zur Selbsthilfe, regt an, in sich hinein zu lauschen, Dynamiken zu hinterfragen und zu verändern. So haben wir die Chance, uns in Krisen selbst zu helfen und einen neuen Weg für unsere Paarbeziehung einzuschlagen, auf dass wir in Zukunft wieder glücklich sind.

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ANKHA HAUCKE

SOFORTHILFE FÜR DIE PAARBEZIEHUNG

Die häufigsten Probleme und wie man mit ihnen umgeht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

© 2022 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe

(Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich)

Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Innengestaltung nach einem Entwurf von Hagen Verleger, Berlin Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin, nach einem Entwurf von Hagen Verleger

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datametics, Griesheim

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISSN 2750-6568

ISBN 978-3-647-99411-6

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

KAPITEL EINSIch möchte (wieder) vertrauen können

Was bedeutet Intimität eigentlich genau?

Warum bin ich nach einem Vertrauensbruch so erschüttert?

Was kann ich nun tun?

Warum verletzt mein:e Partner:in mich?

Wie spreche ich meine Verletzungen an?

Wohin mit meiner Wut?

Wie komme ich in eine ehrliche Kommunikation?

KAPITEL ZWEIIch habe einen Vertrauensbruch begangen

Allem Anfang wohnt ein Zauber inne – wo ist der nur geblieben?

Was ist in der Zwischenzeit passiert? Wie konnte es dazu kommen?

Warum habe ich den wichtigsten Menschen in meinem Leben verletzt?

Stecke ich in Vorwürfen und Rechtfertigungen fest?

Wohin mit den ganzen Gefühlen?

Und nun?

Warum erzählt sie mir das alles?

Nach vorne schauen: Was brauche ich vom wichtigsten Menschen in meinem Leben?

In welcher Hinsicht möchte ich wachsen?

KAPITEL DREIIch fühle mich eingeengt

In welcher Hinsicht fühle ich mich eingeengt?

Wie gebunden will ich sein?

Hat die Enge mit meiner aktuellen Lebenssituation zu tun?

Was kann ich tun?

Depression und Eifersucht

Beschränke ich mich selbst?

Wie ich mich selbst befreien kann

Wie sieht die andere Seite der Medaille aus?

KAPITEL VIERIch sehne mich nach Nähe

Was genau macht Nähe für mich aus?

Wie nah stehe ich mir selbst?

Habe ich eine Gegenstimme in mir?

Wie kann ich ein ungünstiges Kommunikationsmuster unterbrechen?

Wie kann ich weitere Verletzungen vermeiden?

KAPITEL FÜNFMein Sexualleben ist nicht erfüllt

Sexualität heute

Sexuelle Freiheit und Alltagswirklichkeit

Was hat das Essen eines Apfels mit meiner Sexualität zu tun?

Wie gehe ich mit unausgesprochenen Wünschen um?

Kann ich Nein sagen?

Wie kann ich beim Sex den Leistungsdruck hinter mir lassen?

Wie kann ich unsere Erotik beleben?

Was bedeutet Sex für mich?

Intimität wagen – nur wie?

KAPITEL SECHSUnsere Streitigkeiten eskalieren

Wie können wir Druck aus dem Kessel nehmen?

Warum kommt er/sie mir manchmal so fremd vor?

Wie kann ich einer Polarisierung entgegenwirken?

Wie kann ich den nächsten Streit verhindern?

Worum geht es bei unserem Streit wirklich?

Wie finden wir einen tragfähigen Kompromiss?

Was haben belastende Streitmuster mit Autonomie zu tun?

KAPITEL SIEBENIch sehne mich nach Harmonie

Wie lange dauern harmonische Zustände meiner Erfahrung nach?

Wie denke ich über Konflikte?

Reibung erzeugt Wärme

Wie können alte Verletzungen heilen?

Wir können Gefühle nicht selektiv betäuben

Viele Mikro-Trennungen oder eine große

Wie komme ich in Harmonie mit mir selbst?

Bezahle ich die Harmonie mit Erotik?

KAPITEL ACHTIch wünsche mir mehr Wertschätzung

Warum ist Wertschätzung so wichtig?

Wie hart bin ich zu mir selbst?

Wertschätze ich mich selbst?

Wie viel Wertschätzung vermittle ich in meiner Partnerschaft?

KAPITEL NEUNWir stecken in einer Pattsituation fest

Vom Entweder-oder zu Sowohl-als-auch

Liegt in dieser Pattsituation auch eine Chance?

Was kann ich selbst für mich tun?

Wie bleibe ich bei mir und zugleich in einem liebevollen Kontakt?

Mein Gegenüber muss meine Entwicklung nicht mögen

Jetzt ist aktives Zuhören gefragt

Tägliches Glück

Ich bin nicht das Problem

Vielleicht hat die Haltung meines Gegenübers nichts mit mir zu tun

Anleitung für Zwiegespräche

Dank

Anmerkung

Einleitung

In einer Paarbeziehung zu leben ist ein Abenteuer. Es gibt Zeiten, in denen Partner:innen sich innig miteinander verbunden fühlen und einander guttun. In solchen Phasen stärken sie sich gegenseitig und gehen auf die Bedürfnisse des beziehungsweise der jeweils anderen gern und in achtsamer Weise ein. Aber es gibt in jeder Liebesbeziehung unvermeidlich auch Zeiten, in denen die Partner:innen sich als fremd und die Beziehung als belastend erleben. Dann erscheint es mühsam, einander zu erreichen, Konflikte zu bewältigen und liebevoll miteinander umzugehen.

Ergeht es Ihnen gerade so? Ich kann Sie beruhigen: Das ist normal und muss nicht zwangsläufig zu einer Trennung führen. In meiner Arbeit als Paartherapeutin begegne ich tagtäglich Menschen, die ihre Paarbeziehung als stressig empfinden und infrage stellen und denen es gelingt, wieder Freude aneinander zu entwickeln. Also nur weil es gerade in Ihrer Paarbeziehung nicht gut läuft, bedeutet das nicht, dass sich das nicht wieder zum Besseren wendet. Was Sie dafür tun können? Zunächst einmal ist es hilfreich, geduldig und aufmerksam zu beobachten, wo der aktuelle Knackpunkt in Ihrer Liebesbeziehung liegen könnte.

Zum Beispiel können eine Vernachlässigung der Partnerschaft und Belastungen, die von außen einwirken, Paare ins Schleudern bringen. Die Corona-Pandemie ist etwa eine solche Belastung, auf die wir keinen Einfluss haben. Bestimmt rücken viele Paare in pandemischen Zeiten zusammen und besinnen sich auf das Wesentliche, um diese Situation zu meistern. Bei vielen Paaren dürften grundsätzliche Themen aber liegen bleiben. Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass in vielen Familien während der Lockdown-Phasen der Pandemie die häusliche Atmosphäre sehr angespannt war. Belastungen wie Arbeitslosigkeit, Erkrankungen, Todesfälle in der Familie, die Verantwortung für Kinder oder andere Veränderungen können ebenfalls dazu führen, dass zwei Menschen, die einander einst angehimmelt haben, zunehmend die Freude aneinander verlieren.

Wie ist das bei Ihnen? Vielleicht hat sich eine Vernachlässigung der Partnerschaft eingeschlichen, vielleicht stehen Sie vor besonderen Herausforderungen, die Ihre Liebesbeziehung belasten.

Wenn zwischen meinem Mann und mir dicke Luft herrscht, fühle ich mich unverstanden, allein, verloren, bedrückt oder wütend, kurz: furchtbar. Kaum etwas beeinträchtigt unser Lebensgefühl so sehr wie eine lieblose Paarbeziehung. Sollten Sie, liebe Leserin, lieber Leser, an einem solchen Punkt stehen, an dem Sie Ihre Liebesbeziehung als strapaziert wahrnehmen, kann dieses Buch Sie dabei unterstützen, einen anderen Wind in Ihre Paarbeziehung zu bringen. Denn die gute Nachricht lautet, dass wir das Miteinander in unserer Partnerschaft oft aktiv beeinflussen können. Es ist absolut möglich, in langjährigen Beziehungen immer wieder Phasen zu erleben, die der Verliebtheitsphase ähneln. Und es gelingt häufig, außergewöhnliche Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen.

Im Laufe meiner Ehe habe ich unzählige Male die Erfahrung gemacht, dass es in meiner Hand liegt, mich in der Kommunikation mit meinem Mann mehr oder weniger liebevoll zu verhalten. Ab und an bin ich in der Versuchung, mich emotional zurückzuziehen oder ihm Vorwürfe zu machen, sobald ich einmal unzufrieden bin. Und, um ehrlich zu sein, das tue ich auch hin und wieder mal, obwohl ich inzwischen sehr genau weiß, dass ich die Situation damit nur verschlimmere. Häufig fühlt es sich sehr naheliegend an, die uns am nächsten stehende Person zu beschuldigen oder zu resignieren, wenn uns unsere Lebenssituation nicht gefällt. Stattdessen sollten wir lieber überlegen, was wir selbst zur Verbesserung unserer Lage tun können. Fangen wir bei uns an.

Die Einsicht, dass wir unsere Partner:innen nicht ändern können, sondern nur uns selbst, ist leicht gesagt und schwer umgesetzt. Gleichzeitig habe ich im Verlauf meiner Ehe und meiner jahrelangen therapeutischen Arbeit mit Paaren aber die Erfahrung gemacht, dass es sehr lohnend sein kann, das Naheliegende nicht und stattdessen etwas anderes zu tun. Etwa vermag das Betreten neuer Wege in der Kommunikation mit unseren Partner:innen die Qualität der Begegnung miteinander deutlich zu verbessern. Dafür müssen wir auf gewohnte Kommunikationsmuster verzichten und mit neuen experimentieren. Und das ist spannend! Ich hoffe, bei Ihnen eine spielerische Neugierde auf die Möglichkeit zu wecken, die eigenen Gedanken und Gefühle zu beobachten, sich bewusst etwas anders zu verhalten als sonst und zu schauen, was das bewirkt. Hierzu möchte ich Sie mit diesem Buch einladen.

Paarbeziehungen sind wie eine Wippe: Die Haltungen der Partner:innen bedingen einander. Die Partnerin eines Mannes, der z. B. kaum still sitzen kann, sehr viel sportliche und andere körperliche Betätigungen braucht, wird geradezu zwangsläufig dazu neigen, ausgleichend zu wirken, indem sie entschleunigt, sich Zeit nimmt, die Dinge geruhsam angeht. Die Gefahr dieses Mechanismus liegt darin, dass das Paar einander noch mehr in die Extreme treibt. Der Mann könnte noch hektischer werden, wenn die Langsamkeit seiner Frau ihn nervös macht. Und die Frau könnte noch mehr bremsen, um von seiner Nervosität nicht angesteckt zu werden.

In meiner Praxis arbeite ich mit Einzelpersonen und Paaren, die in ihrer Liebesbeziehung unglücklich sind. Meistens empfindet eine:r der Partner:innen mehr Leidensdruck und drängt auf Veränderung, während die andere Person davor zurückschreckt. Oft hat das Paar dann das Gefühl, in einer Sackgasse zu stecken, aus der es weder vor noch zurück geht. Das wird als sehr frustrierend erlebt und hat regelmäßig damit zu tun, dass beide Partner:innen von der jeweils anderen Person erwarten, sich zu ändern.

Das Bild der Wippe enthält aber auch die frohe Botschaft: Wenn eine:r der Partner:innen sich bewegt, bewegt sich die andere Person automatisch mit. Das heißt: Sobald Sie, lieber Leser, liebe Leserin, an dem Hebel ansetzen, den Sie in der Hand haben, nämlich Ihrer eigenen Haltung, Ihren Bewertungen, Ihrem Verhalten, kann sich auch in Ihrem Gefühlsleben und damit in Ihrer Beziehung zu Ihrem/Ihrer Partner:in etwas bewegen.

Um auf das obige Beispiel zurückzukommen: Im Falle, dass sich die Frau bewusst machen würde, dass sie manchmal z. B. trödelt und zu spät kommt aus dem Bedürfnis heraus, das hohe Aktivitätsniveau ihres Mannes auszugleichen, könnte sie vielleicht zu einem Tempo kommen, das ihr selbst entspricht. Wenn sie dabei aktiver würde, würde ihr Mann sich möglicherweise entspannen und einen Gang runterschalten, da er nicht mehr dafür sorgen müsste, dass sie Termine einhält und Dinge rechtzeitig erledigt. Genauso könnte umgekehrt der Mann den ersten Schritt tun, sich zurücknehmen, weniger Hektik verbreiten und seiner Frau vertrauen, dass sie ihren Aufgaben in ihrem Tempo gerecht werden wird. So könnten beide mal aktiv und mal entspannt sein, was vermutlich für beide auf lange Sicht zuträglicher ist und in ihrer Beziehung zu mehr Flexibilität und Mit- statt Gegeneinander führen dürfte.

Und Flexibilität anstelle von festen Rollenverteilungen tut Liebesbeziehungen gut. Denn als Individuen entwickeln wir uns fortwährend weiter. Und dabei geraten wir zwangsläufig immer wieder einmal in leichtere oder schwerere Krisen. Das ist menschlich und kein Zeichen von Schwäche, im Gegenteil. Einer meiner Professoren im Psychologiestudium hat es so ausgedrückt: Man muss leiden können, um etwas verändern zu können. Und ich ergänze: Man muss auch leiden können, um lieben zu können. Doch dazu später mehr.

Vielleicht sind Sie, da Sie dieses Buch in der Hand haben, momentan diejenige Person in Ihrer Liebesbeziehung, die es aktuell mehr drängt, etwas zu verändern. Möglicherweise sind Sie beide sich aber auch einig darin, Ihrer Liebesbeziehung neue Anstöße geben zu wollen. In jedem Fall finden Sie in diesem Buch Vorschläge für Perspektivenwechsel und Verhaltensänderungen, die Sie allein, aber auch gemeinsam ausprobieren können, um Ihre Beziehungswippe in Bewegung zu bringen.

Wir können zwar nicht permanent liebevoll sein, denn die menschliche Gefühlswelt ist wie das Wetter: wechselhaft. Weshalb es uns Menschen unmöglich ist, dauerhaft in einer angenehmen Gefühlslage zu sein. Was uns aber möglich ist, ist öfter einen liebevolleren Wind in unsere Paarbeziehung zu bringen. Wie Sie das schaffen, zeige ich Ihnen.

Die Anliegen, die ich in meiner über zwanzigjährigen Erfahrung als Paartherapeutin am häufigsten von Paaren höre, bilden die Themen der einzelnen Kapitel dieses Buches. Die Kapitel bauen nicht aufeinander auf, sondern stehen jeweils für sich. Sie können also bei jenem Kapitel anfangen, das Ihrem momentan wichtigsten Anliegen im Hinblick auf Ihre Liebesbeziehung am meisten entspricht. Wahrscheinlich werden mehrere Themen für Sie passen, und Sie können beim Lesen Ihrem jeweils aktuellen Bedürfnis folgen.

Mit konkreten Beispielen aus meiner Arbeit mit Paaren hoffe ich, das jeweilige Thema anschaulich und alltagsnah zu vermitteln und dass Sie sich darin wiederfinden. Selbstverständlich habe ich die Praxisfälle so anonymisiert, dass konkrete Personen nicht erkannt werden können. Sollte Ihnen ein Paar oder eine Person also bekannt vorkommen, ist das reiner Zufall beziehungsweise liegt daran, dass wir alle Menschen und einander ähnlich sind.

Beim Stichwort »Bedürfnis« sind wir schon bei einem wichtigen Aspekt von Liebesbeziehungen: Wir erhoffen uns, dass unser Bindungsbedürfnis in ihnen erfüllt wird. Wir sehnen uns nach Verbundenheit und Intimität mit unseren Partner:innen. Und gleichzeitig haben wir ein Bedürfnis nach Autonomie, wollen für uns stehen, unseren Interessen nachgehen und gut für uns selbst sorgen. Wo zwei Individuen zusammenleben, sind Interessenkonflikte daher vorprogrammiert.

Es kann in einer Paarbeziehung also nicht darum gehen, immer in Harmonie miteinander zu leben und keine Konflikte zu haben. Deshalb werden Sie in diesem Buch auch Vorschläge zur Veränderung der Kommunikation in Ihrer Partnerschaft finden mit dem Ziel, dass Sie Konflikte öfter als Türöffner erleben und nicht als etwas, das es unbedingt zu vermeiden gilt. Man sagt: »Reibung erzeugt Wärme.« In diesem Sinne möchte ich Sie dazu ermutigen, in Krisen und Konflikten die Chance zu erkennen, mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin in eine konstruktive Auseinandersetzung über etwas zu gehen, das für Sie beide offenbar wichtig ist, und dabei sich selbst und einander ein bisschen mehr oder anders kennenzulernen.

Die hier vorgestellten Strategien haben sich in meiner Arbeit bewährt. Sie befähigen Menschen dazu, in ihrer Partnerschaft sowohl ihrem Bindungsbedürfnis gerecht zu werden, indem sie empathischer aufeinander eingehen, als auch dem Autonomiebedürfnis, indem Sie üben, zugleich bei sich zu bleiben beziehungsweise sich selbst und ihre eigenen Anliegen nicht aufzugeben.

Die Polarität von Bindungs- und Autonomiebedürfnis bringt es mit sich, dass es in einer lebendigen Liebesbeziehung zusehends auch darum geht, zwischen den beiden Polen hin- und herzuschwingen und seelisch in Bewegung zu bleiben. Das ist immer wieder herausfordernd, verlangt uns Flexibilität ab und braucht Zeit. Nehmen Sie sich Zeit bei der Lektüre dieses Buches, um die Fragen und Vorschläge wirken und reifen zu lassen und die Wirkung bewusst zu beobachten. Bewusstheit bedeutet Freiheit. Im Rahmen einer Liebesbeziehung bedeutet Bewusstheit die Freiheit, entscheiden zu können, wie Sie das, was passiert, bewerten und wie Sie darauf reagieren wollen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen gleichermaßen Mut und Geduld in Ihrem Abenteuer Paarbeziehung!

KAPITEL EINS

ICH MÖCHTE (WIEDER) VERTRAUEN KÖNNEN

 

»Ich würde meiner Frau gerne wieder vertrauen können. Ich kann immer noch nicht fassen, dass sie das getan hat. Ich hätte nie gedacht, dass sie diese Grenze überschreiten würde. Ich komme mir vor wie im falschen Film. Wie soll ich ihr bloß je wieder vertrauen können? Woher weiß ich, dass sie das nicht wieder macht?«

Mit ähnlichen Worten beginnen viele Erstgespräche in meiner Praxis. Die Ehefrau dieses Mannes hatte einige Wochen lang sexuelle Kontakte zu einem gemeinsamen Bekannten. Gehen Ihnen ähnliche Sätze durch den Kopf? Fragen Sie sich auch, wie Sie es schaffen sollen, wieder Vertrauen in Ihrer Partnerschaft zu fassen? Oder geht es Ihnen eher so, dass Sie Bestätigung und Wertschätzung vermissen?

»Manchmal frage ich mich, ob du mich überhaupt auf dem Schirm hast. Du hast mir schon lange nicht mehr von dir aus im Haushalt geholfen. Nichts machst du freiwillig. Geschweige denn, dass du mir mal ein Kompliment machen oder eine Aufmerksamkeit mitbringen würdest. Ich frage mich, ob ich dir nichts mehr bedeute.«

Diese Frau vermisst konkrete Taten, die ihr signalisieren, dass ihr Mann an sie denkt und ihre Bedürfnisse im Blick hat.

Wenn Sie die Sehnsucht haben, Ihrem Partner/ Ihrer Partnerin (wieder) mehr zu vertrauen, hat er/sie vermutlich etwas getan, was Sie zutiefst verunsichert und traurig macht. Es wird viele kleinere schmerzhafte Verletzungen, vielleicht auch einen schwerwiegenden Vertrauensbruch gegeben haben.

In einer Liebesbeziehung hoffen wir, Wertschätzung und Rücksichtnahme auf unsere Bedürfnisse zu erleben. Wir gehen davon aus, dass wir uns auf diesen Menschen, dem wir einen besonderen Stellenwert in unserem Leben eingeräumt haben, dem wir möglicherweise sogar in einer feierlichen Zeremonie unser Jawort gegeben haben, unser Bestes will und entsprechend handelt. Insofern dieser Mensch einmalig in massiver oder wiederholt in unauffälliger Weise diese Erwartung enttäuscht, empfinden wir das als Vertrauensbruch.

Es gibt viele Verhaltensweisen, die in Liebesbeziehungen als mehr oder weniger schwerwiegende Vertrauensbrüche erlebt werden können. Wann immer z. B. Verabredungen oder Versprechungen nicht eingehalten werden, Bloßstellungen gegenüber Dritten stattfinden, weitreichende Entscheidungen nicht abgesprochen werden, ist das sehr verunsichernd. Vor allem falls solche oder ähnliche Dinge wiederholt vorkommen, wissen wir nicht mehr, ob wir uns auf die andere Person verlassen können, das heißt, ob wir davon ausgehen können, dass sie in unserem Sinne handelt.

Ein Vertrauensbruch ist ein Verhalten, das wir als Nichteinhaltung einer Vereinbarung bewerten. In Liebesbeziehungen werden zwar selten ausdrücklich Vereinbarungen darüber getroffen, welche Verhaltensweisen akzeptiert werden und welche nicht. Meistens haben wir aber etliche unausgesprochene Erwartungen an den Partner oder die Partnerin, die wir als selbstverständlich erachten.

Wenn Ihr Vertrauen in Ihrer Liebesbeziehung beeinträchtigt ist, haben Sie vermutlich das Bedürfnis, sich zu schützen. Vielleicht sprechen Sie viele Gedanken nicht aus und sind anderen Menschen gegenüber offener als im Kontakt mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin. Vielleicht sind Sie mit ihm beziehungsweise ihr momentan vorsichtig und versuchen so, weitere Verletzungen zu vermeiden. Das ist verständlich und sinnvoll, denn Sie fühlen sich nicht sicher. Solche Situationen kommen in allen Liebesbeziehungen vor. Sie werden diesen Zustand für Ihre Paarbeziehung als belastend erleben, weil er keine wirkliche Intimität zulässt.

Was bedeutet Intimität eigentlich genau?

Sowie zwei Menschen sich einander so zeigen, wie sie wirklich sind, nichts verstecken oder vortäuschen, sind sie intim miteinander. Menschen können körperlich intim sein, indem sie sich körperlich nackt zeigen und ihre sexuellen Wünsche zum Ausdruck bringen und sich hingeben. Emotionale oder geistige Intimität bedeutet, seine Gedanken und Gefühle rückhaltlos zu teilen. Intimität ist nichts für Feiglinge, denn wir müssen immer damit rechnen, dass der anderen Person nicht gefällt, was wir offenbaren. Das schmerzt besonders in den Momenten, in denen wir unsere eigenen Befürchtungen, zurückgestoßen zu werden, beiseite gedrängt und uns mutig ein Herz gefasst haben und uns unverstellt so zeigen, wie wir sind – statt uns gemäß den vermuteten Erwartungen anderer zu inszenieren.

Sowie zwei Menschen körperliche und geistige Intimität ausschließlich miteinander und mit niemand anderem leben, wird das als Treue bezeichnet. Häufig wird in einer Paarbeziehung nicht darüber gesprochen, wo genau die Grenze in der Intimität zu anderen Menschen gezogen wird. Wird unsere persönliche Grenze aber verletzt, spüren wir schmerzhaft deutlich, was Treue für uns bedeutet und was wir darunter verstehen. Für die meisten Menschen ist es selbstverständlich, dass geistige und körperliche Intimität ausschließlich innerhalb der Partnerschaft gelebt werden soll. Aber wo beginnt Intimität?

Für manche Menschen ist z. B. ein »Büzje« im Karneval, also ein Kuss, kein Problem. Für andere ist das ein Trennungsgrund. Die Grenzen bezüglich Treue sind individuell, weshalb es sehr sinnvoll ist, in einer Partnerschaft offen über sie zu sprechen. Denn Untreue wird von vielen Menschen als enorm verunsichernd erlebt. Sie gilt als die schlimmste Form von Vertrauensbruch und zieht vielen regelrecht den »Teppich unter den Füßen weg«. Menschen, die erfahren, dass ihr:e Partner:in fremdgegangen ist, können oft tage- oder gar wochenlang nahezu nicht schlafen, grübeln viel, haben den Drang, die andere Person zu kontrollieren sowie auszufragen, und können eine Zeit lang kaum arbeiten und anderen Tätigkeiten nachgehen, die ihnen normalerweise Freude bereiten.

Warum bin ich nach einem Vertrauensbruch so erschüttert?

Als soziale Wesen sind wir Menschen fundamental auf die Unterstützung anderer Menschen angewiesen. Allein könnten wir nicht existieren. Menschliche Neugeborene sind extrem hilflos und von der schützenden Fürsorge ihrer Eltern abhängig. Und selbst größere Kinder bedürfen jahrelang der Hilfe der Eltern und anderer Erwachsener.

Unsere Sehnsucht nach vertrauensvollen zwischenmenschlichen Beziehungen ist also zutiefst menschlich und existenziell für unser Wohlbefinden. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass eine sichere Bindung, das heißt eine zuverlässige Beziehung zu den wichtigsten Bezugspersonen, sich förderlich auf die Entwicklung des Kindes auswirkt. Ohne eine sichere Bindung haben Kinder Angst und müssen sich darauf konzentrieren, selbst für Sicherheit zu sorgen, und sind nicht frei, die Welt zu erkunden, zu lernen und ihre Potenziale zu entfalten. Und inzwischen lässt sich belegen, dass es auch Erwachsenen psychisch besser geht, wenn sie in sicheren, vertrauensvollen Beziehungen leben.

Im Erwachsenenalter erhoffen sich die meisten Menschen, in ihrer Liebesbeziehung ein ähnlich vertrauensvolles Verhältnis zu finden, wie sie es in der Kindheit zu ihren Eltern hatten oder sich gewünscht hätten. Die innige Liebe zwischen fürsorglichen Eltern und ihren Kindern ist ein Ideal für die innige Nähe, die zwischen den Partner:innen entstehen kann.

Obwohl wir als Erwachsene für uns selbst sorgen können, sehnen wir uns danach, im Rahmen unserer Liebesbeziehung etwas Ähnliches zu erleben wie bei den Eltern: so, wie wir sind, akzeptiert zu werden und uns auf Zuwendung und Unterstützung verlassen zu können. Damit verbunden ist der meist unausgesprochene Anspruch auf Exklusivität, das heißt, dass der/ die Partner:in diese Art von Beziehung nur zu mir und keinem anderen erwachsenen Menschen pflegt.

Wenn man bedenkt, wie sehr wir als Kinder auf die unbedingte Zuverlässigkeit unserer Eltern und als Erwachsene auf bestätigende Beziehungen angewiesen sind, verwundert es nicht, dass es vielen Menschen geradezu den Boden unter den Füßen wegzieht, wann immer sie daran zweifeln, dass sie die Nummer eins des Menschen sind, den sie lieben.

Sollten Sie momentan traurig sein, viel grübeln, wenig Appetit haben oder schlecht schlafen, ist das nach einem Vertrauensbruch in Ihrer Partnerschaft sehr verständlich.

Was kann ich nun tun?

Kleinere Verletzungen beruhen in Liebesbeziehungen mitunter auf der Annahme, dass Liebende einander wortlos verstehen. Dass die eine Person eines Liebespaares intuitiv weiß, was die andere denkt, will, hofft, erwartet, wünscht und braucht, ist die Vorstellung eines romantischen Liebesideals, das sich in der westlichen Welt seit dem 19. Jahrhundert in Literatur und Kultur verbreitet hat und bis heute zum vorherrschenden Mythos geworden ist. Hollywoodfilme, Groschenromane und Popsongs erzählen davon, dass das Happy End nah ist, sobald wir nur unseren Mr. und unsere Mrs. Right finden. Die richtige Person, den Deckel zu unserem Topf, erkennen wir daran, dass wir uns nicht erklären müssen, denn sie erkennt uns und alle unsere Bedürfnisse durch ihren liebenden Blick auf uns – so das Ideal. Die Wirklichkeit sieht anders aus, das wissen wir, und doch kommt uns dieses vertrackt-unrealistische Liebesideal, das uns allerorts präsentiert wird, mitunter dazwischen, nistet sich in unseren Kopf ein und bewirkt, dass wir an unseren Partner oder unsere Partnerin unmenschliche, weil unerfüllbare, Erwartungen stellen. Diese führen etwa dazu, enttäuscht und verletzt zu sein, falls wir aussprechen müssen, was wir wünschen und wollen, weil es die andere Person eben nicht intuitiv weiß. Ist das in Ihrer Beziehung möglicherweise der Fall? Vielleicht haben Sie bestimmte Bedürfnisse nicht so deutlich zum Ausdruck gebracht, dass Ihrer Partnerin/Ihrem Partner klar ist, wie sehr deren Nichtbeantwortung Ihnen wehtut.

»Manchmal kommt es mir so vor, als wolltest du einen Wunsch äußern, aber du redest so drum herum, das bleibt so nebulös für mich. Dann gebe ich irgendwann auf«, sagt ein junger Mann zu seiner Frau. Ihr treten Tränen in die Augen, als sie erwidert: »Ich weiß oft selbst nicht so richtig, was ich will, oder ich denke, dass ich kein Recht habe, es zu sagen. Dann hoffe ich, dass du es einfach weißt.«

Nehmen Sie Ihre eigenen Bedürfnisse ernst genug und äußern Sie diese auch? Oder erwarten Sie von der anderen Person, dass sie sie ahnt? Diese Hoffnung wäre nachvollziehbar, weil wir alle vom romantischen Liebesideal geprägt sind, ist aber leider unrealistisch. Warum? Die Welt ist zu komplex und mit ihr jeder einzelne Mensch. Es gibt einfach zu viele Möglichkeiten und Dinge, die auf jedes Individuum mit seinen Erfahrungen einwirken, um exakt zu wissen, was sich davon wie auf jemanden auswirkt. Erschwerend kommt hinzu, dass wir manchmal selbst nicht wissen, was wir wollen, und gleichzeitig von unserer Partnerin oder unserem Partner erhoffen, diese/dieser solle unsere diffuse Undifferenziertheit richtig deuten und entsprechend auf uns eingehen. Seien wir mal ehrlich: Das ist unfair.

Schauen Sie deshalb zunächst, was Sie selbst für sich tun können. Im Falle, dass es Ihnen gerade schwerfällt, Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin zu vertrauen, wird es Ihnen momentan wahrscheinlich guttun, sich etwas unabhängiger zu fühlen. Wenn Sie als Nächstes bei Gelegenheit Ihre Enttäuschung und Ihre Bedürfnisse in Ihrer Partnerschaft deutlich zum Ausdruck bringen, kann er oder sie sich entscheiden, darauf einzugehen oder nicht.

Sollte Ihr Vertrauen aktuell stark erschüttert sein, stellen Sie Ihre Beziehung unter Umständen grundsätzlich infrage, und das ist noch belastender. Daher ist es jetzt wichtig, dass Sie möglichst gut für sich sorgen. Richten Sie Ihren Fokus nicht auf die andere Person und auf das, was diese möglicherweise alles falsch macht, sondern versuchen Sie, sich etwas weniger mit Ihrem Partner/Ihrer Partnerin zu beschäftigen und stattdessen zu überlegen, wie Sie sich selbst etwas Gutes tun können. Das muss nichts Großes sein. Was wäre ein leicht machbarer Schritt? Stellen Sie sich vor, ein guter Freund wäre in Ihrer Situation und Sie würden ihn unterstützen wollen – wie würden Sie das machen? Seien Sie sich selbst ein guter Freund. Sie könnten sich einen Blumenstrauß kaufen, ein Bad nehmen oder einen schönen Film streamen – was auch immer Ihnen eine kleine Freude macht. Mit einer solchen Selbstfürsorge konzentrieren Sie sich nicht länger auf die Probleme in Ihrer Liebesbeziehung, starren also nicht länger auf den Vertrauensbruch Ihrer Partnerin/Ihres Partners wie das sprichwörtliche Kaninchen auf die Schlange, sondern ziehen Ihre Aufmerksamkeit davon ab, um sie auf sich selbst zu richten.

Alles, was Sie für sich tun, tut auch Ihrer Partnerschaft gut. Dadurch dass Sie sich selbst um Ihre Bedürfnisse kümmern, weicht der entsprechende Erwartungsdruck von Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin und auch von Ihrer Vorstellung, was eine Liebesbeziehung zu leisten hat. Ein geminderter Druck erzeugt neue Freiheiten, Freiheiten, zuzuhören, sich zu verändern, wegzugehen, etwas anders zu machen etc. Indem Sie möglichst gut für sich selbst sorgen, schaffen Sie eine gute Grundlage für konstruktive Gespräche mit Ihrer Partnerin/Ihrem Partner. Und das ist wichtig. Denn nun geht es darum, zu verstehen, wie es zu dem Vertrauensbruch gekommen ist.

Warum verletzt mein:e Partner:in mich?

Auch wenn Sie sich das im Moment vielleicht schwer vorstellen können: Wahrscheinlich wollte Ihr:e Partner:in Ihnen nicht wehtun. Meistens verletzen wir andere Menschen ungewollt, weil wir seelisch in Not sind und infolgedessen unbedacht handeln. Oder wir nehmen in Kauf, jemanden zu verletzen, da wir uns gerade nicht anders zu helfen wissen, soweit wir selbst leiden und uns hilflos fühlen. Dennoch: Das rechtfertigt in keiner Weise rücksichtsloses, gemeines oder gar gewalttätiges Verhalten, und es enthebt niemanden der Verantwortung für eigene verletzende Taten.

Solange Sie aber die Hoffnung haben, dass sich das Miteinander in Ihrer Partnerschaft verbessern lässt, ist es hilfreich, zu verstehen, was in der anderen Person vorgegangen ist, als sie Sie gekränkt, betrogen oder in Ihren Bedürfnissen nicht gesehen hat. Um das erfragen zu können, müssen Sie das Thema, Ihre eigene Betroffenheit, ansprechen.

Wie spreche ich meine Verletzungen an?

Bevor Sie sich auf Gespräche über diese für Sie schmerzlichen Ereignisse einlassen, ist es sinnvoll, dafür zu sorgen, dass Sie möglichst stabil sind, damit Sie selbst weniger dazu neigen, aus Ihrer Not heraus ebenfalls verletzend zu agieren. Indem Sie auf sich und Ihre emotionale Verfassung schauen, verringern Sie also die Wahrscheinlichkeit, dass es in Ihrer Partnerschaft zu neuen Verletzungen kommt, die die Situation weiter verschlechtern würden.

Was hilft Ihnen, unabhängig von Ihrer Partnerschaft, sich seelisch ausgeglichen zu fühlen und besonnen zu handeln? Mir helfen insbesondere Gartenarbeit, Yoga und Achtsamkeitsübungen. Vielleicht bringen Sie sich eher durch Sport oder kreative Hobbys in ein seelisches Gleichgewicht, aus dem heraus Sie Ihre langfristigen Ziele gut verfolgen können, statt in gewohnten Kommunikationsmustern zu verbleiben. Großzügigkeit und Gelassenheit sind sehr viel einfacher in solchen Momenten zu leben, in denen wir ausgeglichen sind und in uns ruhen. Dies ist die beste emotionale Ausgangslage, ein herausforderndes Beziehungsgespräch anzugehen.

Nachdem Sie sich Ihrer ausbalancierten Verfassung gewiss sind, teilen Sie Ihrem Partner/Ihrer Partnerin nun mit, was Sie in Ihrer Beziehung beobachten, was Sie beschäftigt. Bleiben Sie dabei möglichst konkret, schildern Sie tatsächliche Ereignisse. Deuten Sie das Verhalten der/des anderen nicht, beschreiben Sie nur, was Sie wahrnehmen beziehungsweise erleben. Achten Sie darauf, dass Sie dabei von sich sprechen statt über Ihre:n Partner:in.

»Als du mich deinen Kolleginnen und Kollegen neulich in der Kneipe vorgestellt hast, hast du die Worte benutzt: ›Und das ist meine Mitbewohnerin Meike.‹ Das hat mich verletzt. Wir sind ein Liebespaar, und wenn du mich so vorstellst, habe ich den Eindruck, dass du nicht zu mir stehst. Bei dem Gedanken werde ich ganz traurig.«

Schildern Sie dann, was die jeweilige Situation bei Ihnen auslöst. Beschreiben Sie Ihre Gefühle in der Ich-Form. Vermutlich werden Sie versucht sein, stattdessen Ihre:n Partner:in zu kritisieren. Für viele Menschen ist deshalb die sogenannte VW-Regel hilfreich: statt Vorwürfen Wünsche formulieren. Diese Regel ist allerdings nur sinnvoll, sofern Sie sie mit der entsprechenden Haltung verknüpfen: Sie stehen zu Ihrer Verletzlichkeit, statt sich emotional zu verhärten. Das ist zentral und schwierig zugleich.

Um das obige Beispiel noch einmal aufzugreifen, könnte Meike z. B. sagen: »Ich wünsche mir sehr, dass wir als Paar auftreten, und würde gern von dir hören, wie du dazu stehst.«

Zu Ihrer Verletzlichkeit zu stehen bedeutet nicht, dass Sie die andere Person für Ihre Gefühle verantwortlich machen. Sie bringen Ihre Gefühle zum Ausdruck, um selbst gut für sich zu sorgen. Zugegeben: Es ist eine hohe Kunst, bei uns selbst und zugleich bei der anderen Person zu bleiben, solange wir uns verletzt fühlen. Aber es ist viel gewonnen, wenn es uns gelingt, uns manchmal diesem Ideal anzunähern.

Wohin mit meiner Wut?

So verständlich es wäre, falls Sie momentan dazu neigen, zurückzuschlagen und Ihre:n Partner:in zu kritisieren, wäre ein solches Verhalten nicht in Ihrem Sinne. Denn Sie möchten ja Vertrauen auf- und nicht abbauen. Trotzdem ist es wichtig, dass Sie Ihre Wut, die sicher immer wieder einmal aufkommt, ernst nehmen und akzeptieren. Sie ist ein wichtiger positiver Selbstbehauptungsimpuls. Leiten Sie die Energie, die in der Wut steckt, in selbstfürsorgliche Aktivitäten wie Sport, Gärtnern, Spaziergänge.