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Sprache(n) und Zugehörigkeiten E-Book

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Beschreibung

"Zugehörigkeit" ist ein sehr breiter Terminus, der zwar nicht neu ist, aber in letzter Zeit vermehrt genutzt wird, u.a. um Prozesse des Ein- und Ausschließens und der Positionierung flexibler zu erfassen als z.B. mit dem Begriff "Identität". Differenziert werden kann u.a. zwischen "Politik(en) der Zugehörigkeit" und "Gefühlen der Zugehörigkeit". Zugehörigkeit bzw. Nichtzugehörigkeit kann dabei unabhängig von Sprachen und Varietäten angezeigt bzw. empfunden werden, kann aber auch eng damit verbunden und in bestimmten Bereichen sogar daran gebunden sein. Im schulischen Kontext wird Zugehörigkeit aufgrund von vordefinierten Kriterien einerseits formal geregelt (z.B. Aufnahme in eine Schule/Klasse, Einstufung als "mit Sonderpädagogischem Förderbedarf " oder "mit Migrationshintergrund", Zuordnung zu bestimmten Erstsprachen …), und andererseits sozial durch unterschiedliche Prozesse zwischen allen Akteur:innen immer wieder ausgehandelt. Dabei wird insbesondere die Beherrschung und/oder Verwendung von bestimmten Sprachen und Varietäten, von literalen Praktiken u. Ä. m. als Ausdruck von Zugehörigkeit gewertet.

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Seitenzahl: 260

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__________________________

Editorial

MONIKA DANNERER, URSULA ESTERL:

Politik und Gefühle der Zugehörigkeit in der Schule

Service

ANNA TAPPEINER:Zugehörigkeit und Sprache.Eine Auswahlbibliographie

Magazin

Aktuelles

DiaLog – Schüler_innen diskutieren kontroverse Fragen zum Klimawandel

ide empfiehltJÜRGEN STRUGER:K. Brizić (2022): Der Klang der Ungleichheit

Neu im Regal

Einstimmung

SEMIER INSAYIF: Gedicht

Zugehörigkeiten schaffen und hinterfragen

DORIS POKITSCH, İNCI DIRIM: »man muss sich nicht angehörig fühlen«. Sprachbezogene Zugehörigkeiten in der Migrationsgesellschaft

KATHARINA BRIZIĆ: Sprache, Stimme und Voice. Gehört werden in der Migrationsgesellschaft

Zugehörigkeiten artikulieren und empfinden

VERA AHAMER: Translatorische Leistungen mehrsprachig sozialisierter Schüler*innen. »Zugehörigkeit« durch Dolmetschen?

SABINE BUCHWALD, EVA HARTMANN, DANIEL WUTTI: »Mit meiner Mama rede ich Italienisch, mein Vater redet mit mir Slowenisch, aber ich antworte meistens auf Deutsch«

ZOE K. FOX: Ich spreche, also gehöre ich (nicht) dazu. (Selbst-)Positionierungen mehrsprachiger Jugendlicher mit Migrationsgeschichte in Südtirol

Zugehörigkeiten (nicht) ermöglichen

SILVIA KRAMREITER, LYDIA FENKART: Mutlos – der neue Lehrplan für Österreichische Gebärdensprache.Ein Essay zum Thema Sprache und Zugehörigkeit

ELFRIEDE WINDISCHBAUER: Zugehörigkeit in Schule und Gesellschaft durch Leichte und Einfache Sprache?

VERENA BLASCHITZ: Zugehörigkeiten und Ausschlüsse durch Deutschförderklassen und MIKA-D

Zugehörigkeiten im Unterricht thematisieren

STANISLAVA STANKOVIĆ-KOMLENAC: Diversity Management.Sprache(n) und Zugehörigkeit(en) in der Schulentwicklung

GUDRUN KASBERGER: How to do »Zugehörigkeit«? Sprachlich-emotive Praktiken der (Nicht-)Zugehörigkeit in Forschung und Unterricht

ISABEL ZINS: Sprachen-Tube, Poetry-Slam und ein Klassenroman.Zur Bedeutung und praktischen Umsetzung von mehrsprachigen Unterrichtskonzepten in der Sekundarstufe II als Verhandlung von sprachlicher Zugehörigkeit

Ausklang

SEMIER INSAYIF: Gedicht

 

 

 

 

»Sprache(n) und Zugehörigkeiten« in anderen ide-Heften

ide 3-2023

Ökonomie und Deutschunterricht

ide 1-2023

übergesetzt

ide 2-2022

Österreich im Blick

ide 4-2021

Global Citizenship Education im Deutschunterricht

ide 3-2019

Inklusion. Deutschunterricht der Vielfalt

ide 1-2017

Menschen gehen. Flucht und Ankommen

ide 4-2015

Sprachliche Bildung im Kontext von Mehrsprachigkeit

ide 3-2013

Identitäten

ide 2-2008

Mehrsprachigkeit

ide 2-2006

Aufwachsen in Europa

ide 2-2005

Sprachbegegnungen

 

Das nächste ide-Heft

ide 1-2024

Literaturgeschichte vernetzt erscheint im März 2024

 

Vorschau

ide 2-2024

Künstliche Intelligenz

ide 3-2024

Dialekt

 

https://ide.aau.at

Besuchen Sie die ide-Webseite! Sie finden dort den Inhalt aller ide-Hefte seit 1988 sowie »Kostproben« aus den letzten Heften. Sie können die ide auch online bestellen.

www.aau.at/germanistik/fachdidaktik

Besuchen Sie auch die Webseite des Instituts für GermanistikAECC, Abteilung für Fachdidaktik an der AAU Klagenfurt: Informationen, Ansätze, Orientierungen.

Politik und Gefühle der Zugehörigkeit in der Schule

Die Schule als Institution setzt – wie jede Institution – auf eine Reglementierung von Zugehörigkeiten an ihren Grenzen wie auch in ihrem Inneren: Dies beginnt mit der wohnortbedingten Zugehörigkeit zu einem Schulsprengel, der Aufnahme in die Schule bzw. der Feststellung der »Schulreife«, es betrifft außerdem die Gruppierung in Parallelklassen, die Aufnahme in bestimmte Wahl- und Freifächer, das Aufsteigen in die nächste Klasse bis hin zur Attestierung des erfolgreich abgelegten Pflichtschulabschlusses bzw. der Reifeprüfung. Zusätzlich werden Zugehörigkeiten nach Teilleistungen attestiert – mit der Feststellung eines Sonderpädagogischen Förderbedarfs oder mit dem Nichtbestehen der Kompetenzüberprüfung der Deutschkenntnisse mittels MIKA-D und damit der Zuordnung zu einer Deutschförderklasse oder -gruppe. Solche Ein- und Ausschlüsse werden zum Zweck einer »Homogenisierung« getroffen bzw. damit begründet. Diese »Politik der Zugehörigkeit« vertritt nach außen die Orientierung an klaren Regeln, Normen und Leistungsanforderungen. Um die Schwierigkeiten an den »Rändern« dieser Grenzen wissen allerdings alle Betroffenen.

Neben der Politik der Zugehörigkeit, die oft starr ist und nicht selten lange gültige, langfristig (auch über die Institution hinaus) wirkende und ausschließliche Zugehörigkeiten schafft (wer schulreif ist, kann nicht zugleich nicht schulreif sein, wer in die 2a-Klasse geht, kann nicht zugleich auch die 2b besuchen), gibt es auch die »Gefühle der Zugehörigkeit«. Hier gibt es Ein- und Ausschlüsse, die blitzschnell wechseln können und markiert werden zum Beispiel durch Sprachen und Varietäten, durch einen Akzent, Mimik, Gestik, Körpersprache, durch Kenntnis von oder Verfügen über Symbole der Zugehörigkeit wie Kleidung, Lifestyle-Präferenzen, Mediennutzung (Geräte, Häufigkeit, Plattformen, Social Media, Sprachverwendung), Varietätenverwendung (Jugendsprache, Dialekte), Fanartikel eines Fußballvereins etc. Insiderwissen und das Wissen um den »Hausbrauch« sind immaterielle Kennzeichen einer bestimmten Zugehörigkeit, die explizit durch ein »bei uns da« und »bei euch dort (unten)« ausgedrückt werden kann. Sich unauffällig und ohne Anstrengung und Nachdenken bewegen zu können, ist dem Gefühl der Zugehörigkeit inhärent. Mehrfachzugehörigkeiten oder auch ein rascher Wechsel von Zugehörigkeit kann Anstrengung bedeuten, kann aber auch lustvoll sein. Die Freiheit der fluiden Mehrfachzugehörigkeiten ist in manchen Bereichen immer wieder erklärungsbedürftig (Wer/Was bist du? Zu wem gehörst du? Zu wem hältst du?), in anderen eröffnet sie spielerisch die Möglichkeiten der »Grenzüberschreitung«.

In der Forschung gilt das Konzept der Zugehörigkeit als in besonderem Maße flexibel und offen, als differenzierbar in Fremd- und Selbstzuschreibung von Zugehörigkeiten und in die bereits erwähnten Ebenen der Politik und der Gefühle der Zugehörigkeit. Damit eröffnet es gegenüber dem Konzept der Identität oder der Positionierung noch einmal neue Perspektiven.

(Nicht-)Zugehörigkeit(en) können selbst gewählt sein oder aber vom Gegenüber/einer anderen Gruppe/einer Institution erzwungen, verhindert oder toleriert werden. Einer Aufnahme steht die Abweisung, die Verbesonderung, das Othering gegenüber. In (Sprach-) Biographien haben wir es nicht selten mit wechselnden (Wünschen nach/Vorstellungen von) Zugehörigkeiten zu tun.

Aber nicht nur Institutionen entscheiden über Zugehörigkeiten, auch im informellen Bereich, zum Beispiel in den Sozialen Medien, werden laufend Zugehörigkeiten verhandelt, wenn man beispielsweise als Follower:in zugehörig zu einem:einer Influencer:in ist. Gerade im Netz wird aber auch deutlich, wie wichtig es sein kann, die Nichtzugehörigkeit aushalten zu können oder einer Ausgrenzung von anderen mit Zivilcourage zu begegnen und gegen Hate-Speech aufzutreten.

Die neuen Lehrpläne für die Sekundarstufe I (2023) thematisieren Zugehörigkeit in den allgemeinen didaktischen Grundsätzen, wo es im Grundsatz 6 (»Alle am Schulleben Beteiligten pflegen einen respektvollen Umgang miteinander«) heißt:

Eine zentrale Aufgabe der Schule ist es, Rahmenbedingungen für den respektvollen und wertschätzenden Umgang mit Vielfalt und der Begegnung der Kulturen im Alltagsleben zu schaffen. Vor dem Hintergrund einer global vernetzten und heterogenen Gesellschaft sollen Schülerinnen und Schüler ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass Vielfalt eine Realität ist, die auch eine wertvolle Ressource darstellt. Schülerinnen und Schüler sollen unter anderem erfahren, dass das Lernen und Beherrschen mehrerer Sprachen von entscheidender Bedeutung für die individuelle Identitätsbildung, die Teilhabe an Gesellschaft und Kultur sowie das Miteinander in einer mehrsprachigen Welt ist. Insbesondere sollen die Sprache, Kultur und die jeweilige Geschichte der sechs autochthonen Volksgruppen in Österreich gemäß § 1 Abs. 2 Volksgruppengesetz, BGBl. Nr. 396/1976, im Unterricht aufgegriffen und ein Bewusstsein für die Rechte und den Schutz von Minderheiten geschaffen werden. Für alle Schülerinnen und Schüler werden im Unterricht Gelegenheiten geboten, sich reflektiert und kritisch mit (eigenen) Identitäten und Zugehörigkeiten auseinanderzusetzen. Gleichzeitig sollen die grundsätzlichen Werte, Normen und Traditionen einer aufgeklärten, europäischen Gesellschaft vermittelt werden. Es gilt, das gemeinsame Fundament heraus zu streichen, insbesondere demokratische Prinzipien, Rechtsstaatlichkeit, die Egalität der Geschlechter und die Säkularität des Staates, die Basis für ein gedeihliches Zusammenleben in einer pluralistischen und liberalen Gesellschaft sind. [Lehrplan AHS 2023; Hervorh. von M. D. und U. E.]

Der Lehrplan verbindet also Zugehörigkeiten und Identitäten und stellt zunächst die Bedeutung von Sprachen, dann aber stark die von Werten, Normen und Traditionen in den Mittelpunkt. Während Sprachen in ihrer Vielfalt (»das Miteinander in einer mehrsprachigen Welt«) gesehen werden, erfolgt bei den »Werten, Normen und Traditionen einer aufgeklärten, europäischen Gesellschaft« eine Festlegung auf ein »gemeinsame[s] Fundament«.

Ausgangspunkt für unsere Idee zu diesem Heft war der Zusammenhang von Sprachen und Varietäten und Zugehörigkeit(en). Mehrsprachige und mehrvarietäre Kompetenzen eröffnen den Blickwinkel auf Mehrfachzugehörigkeiten und Räume des Übergangs, wie sie beim Dolmetschen und Übersetzen besonders bewusst (gemacht) werden.

Fragen des Zusammenspiels von Sprachen und Zugehörigkeiten betreffen unterschiedlichste Bereiche, nicht alle lassen sich in einem Themenheft behandeln. Daher haben wir uns in diesem Heft vordringlich auf folgende Aspekte konzentriert: Im Vordergrund steht die äußere Mehrsprachigkeit und die damit verbundenen Fragen von Mehrfachzugehörigkeiten und Nichtzugehörigkeiten – von sozialen Ausgrenzungen aufgrund einer als unangenehm, weil ungewohnt bzw. unangemessen, wahrgenommenen Sprechweise (Intensität, Lautstärke, die nicht zum sozialen Geschlecht passen) bis hin zu den viel diskutierten Sprachförderklassen bzw. dem Instrument MIKA-D für die Kompetenzfeststellung. Perspektiven auf das Agieren der Institution Schule wie auch auf die Selbstwahrnehmung von (Nicht-)Zugehörigkeit durch Schüler:innen sind hier gleichermaßen zu berücksichtigen.

Neben der inzwischen breit geführten Diskussion zur (migrationsbedingten) äußeren Mehrsprachigkeit war es uns aber auch wichtig, Sprachen und Varietäten sowie die »Übergangszonen« in den Mittelpunkt zu rücken, die ansonsten wenig Berücksichtigung finden: Die immer noch nicht ausreichende Integration der Österreichischen Gebärdensprache als Minderheitensprache kann hier als Beispiel für eine fortwährende Attestierung von Nichtzugehörigkeit gelesen werden. An den »Rändern« und in diesem Sinne als ein Ausdruck von Mehrfachzugehörigkeit, der allerdings keineswegs immer ausreichend geschätzt wird, kann die Dolmetschkompetenz von Schüler:innen angesehen werden, deren Einsatz und Bewertung in der Schule stärker ins Bewusstsein gerückt werden sollte. Und schließlich ist es die Leichte Sprache bzw. die Einfache Sprache, die Übergänge in Richtung Bildungssprache erleichtern sollte, deren Einsatz aber gerade im Hinblick auf eine Verfestigung von Kategorisierungen als »nicht-zugehörig« immer wieder hinterfragt werden sollte. Für die Rolle, die Dialektkompetenzen für die Verhandlung von Zugehörigkeit spielen, verweisen wir auf Heft 3/2024 der ide, das dem Thema »Dialekt« gewidmet sein wird.

Wir legen den Fokus in unserem Heft sehr deutlich auf bildungspolitische Fragen und vorwiegend sprachbezogene Zugänge sowie sprachdidaktische Anregungen zur Sichtbarmachung unterschiedlicher Zugehörigkeiten im Unterricht. Der bedeutsamen Rolle der Literatur bei der Thematisierung und Verhandlung von Zugehörigkeiten sind wir uns dennoch sehr bewusst. Daher freuen wir uns, dass uns Semier Insayif einige seiner Gedichte mit seinen Gedanken zum Thema des Heftes zur Verfügung gestellt hat, die – wie der Autor festhält – als ein »poetischer roter Faden, der mit den wissenschaftlichen Fäden ein feines Gewebe ergeben kann«, anstelle eines Kommentars diese ide-Ausgabe durchziehen.

Zu den Beiträgen

Der Beitrag von Doris Pokitsch und İnci Dirim eröffnet das Heft und führt auf der Basis von empirischen Beispielen in das Thema ein. Er fordert dazu auf, gewohnte und häufig genutzte Konzepte zu hinterfragen und Zuschreibungen von Zugehörigkeit und Nichtzugehörigkeit aufzubrechen. Erwartungen, die mit zumeist kontrovers diskutierten bzw. umstrittenen Begriffen wie »Muttersprache« oder »Migrationshintergrund« verbunden werden, sind in der Regel zu starr und verhindern, dass die Artikulation von Mehrfachzugehörigkeiten wahrgenommen werden können.

Der Artikel von Katharina Brizić steht an der Schnittstelle zwischen Politik und Gefühl der Zugehörigkeit. Er verbindet eine nachdenklich machende historische Perspektive auf die prekäre Zugehörigkeit der 1938/39 vor dem NS-Regime geflüchteten jüdischen Kinder, die in Großbritannien als »deutsch« und damit als »feindlich« wahrgenommen wurden, eine Extremform der Zuschreibung von Nichtzugehörigkeit, der sie mit den Kindertransporten zu entfliehen meinten. Brizić schlägt den Bogen zu den Ausschlüssen (Politik der Deklarierung von Nichtzugehörigkeit) im aktuellen Schulsystem, die sie auf strukturelle Mängel im Bildungswesen zurückführt. Eine zu häufige Deklarierung von Sonderpädagogischem Förderbedarf, ein Nichtwahrnehmen oder Nichtberücksichtigenkönnen von sozialen und sprachlichen Bedürfnissen, die aus diesen strukturellen Mängeln resultieren, haben bei Schüler:innen immer wieder ein Verstummen zur Folge – ihre Stimme wird nicht mehr gehört.

In den Beiträgen im zweiten Teil des Heftes kommen Schüler:innen zu Wort und artikulieren ihre Gedanken und Gefühle zu ihren Mehrfachzugehörigkeiten und die damit verbundenen Ansprüche, die dabei auch an sie herangetragen werden.

Vera Ahamer spricht in ihrem Beitrag eine Kompetenz von mehrsprachigen Schüler:innen an, die im Schulalltag oft eingesetzt oder eingefordert wird, selten aber hinterfragt, gewürdigt und reflektiert wird: das Dolmetschen oder Übersetzen – sei es für Mitschüler:innen oder (die eigenen) Eltern. Zum einen signalisiert diese sprachliche Tätigkeit, die im neuen GERS im Rahmen der Mediation auch besonders hervorgehoben wird, eine Zugehörigkeit zu zwei oder mehr Sprachen, zum anderen erfordert sie immer wieder auch eine Positionierung, der gleichzeitig aber auch mit Misstrauen begegnet wird.

Das Projekt, das Sabine Buchwald, Eva Hartmann und Daniel Wutti in ihrem Artikel vorstellen, ist in der Sekundarstufe des BG/BRG für Slowenen in Klagenfurt/Celovec angesiedelt und berücksichtigt 63 Interviews, die u. a. zur Wechselbeziehung von Sprache(n) und (Nicht-)Zugehörigkeit geführt wurden. Ausgehend vom Konzept des sprachlichen Repertoires von Brigitta Busch (bzw. John Gumperz) betonen sie das dynamische Verhältnis von Sprachen und Zugehörigkeiten, für das Familie, Schule und der außerschulische Bereich gleichermaßen relevant sind und das im schulischen Alltag und seinen Etikettierungen allzu oft aus dem Blick gerät.

Auch Zoe K. Fox thematisiert die Perspektive der Schüler:innen auf multiple (Nicht-)Zugehörigkeiten und gibt einen kurzen Einblick in ihre Masterarbeit, in der sie (Selbst-)Positionierungen mehrsprachiger Jugendlicher mit Migrationsgeschichte in Südtirol anhand von drei Interviews detailliert analysiert hat. Vor dem Hintergrund der Sprachenpolitik in Südtirol und den Zuschreibungen in den Schulen durch Lehrkräfte und Mitschüler:innen werden Fremd- und Selbstpositionierungen in ihrer gesellschaftlichen Bedingtheit ebenso deutlich wie Desiderate in der Lehramtsausbildung.

Die Beiträge im dritten Teil des Heftes gehen der Frage nach, wie und ob Institutionen und Bildungsträger Zugehörigkeiten den Weg ebnen oder möglicherweise auch verbauen.

Silvia Kramreiter und Lydia Fenkart widmen sich der Frage der Zugehörigkeit aus einer Perspektive, die im (Deutsch-)Unterricht kaum Berücksichtigung findet, jener der gehörlosen Schüler:innen. Die Tatsache, dass die ÖGS (Österreichische Gebärdensprache) auch im neuen Lehrplan nicht als Unterrichtsfach und Unterrichtssprache verankert wurde, wird von ihnen als Form des Nichtermöglichens von Zugehörigkeit analysiert, die Schulen und die Lehramtsausbildung gleichermaßen betrifft.

Der Beitrag von ElfriedeWindischbauer geht zentral der Frage nach, inwiefern im (Fach-)Unterricht eine Vereinfachung von Texten durch den Einsatz von Leichter oder Einfacher Sprache eine temporäre Maßnahme im Sinne einer transitorischen Norm sein kann, die damit einen Weg zur Zugehörigkeit zu schaffen vermag – oder ob mit einem unreflektierten Einsatz von Leichter bzw. Einfacher Sprache genau auch Nichtzugehörigkeit signalisiert werden kann im Sinne eines Unterforderns von Schüler:innen oder im Sinne einer mangelnden sprachlichen Anregung zum Erwerb von Bildungssprache. An Beispielen aus der Museumspädagogik sowie dem Geschichtsunterricht stellt sie Texte einander gegenüber. Die damit angeregten Fragen sind nicht nur für den Deutschunterricht, sondern auch für Diskussionen im Lehrerkollegium äußerst relevant.

Verena Blaschitz setzt sich mit MIKA-D als diagnostischem Instrument zur Überprüfung der Deutschkenntnisse der Schüler:innen und der Einrichtung von Deutschförderklassen und -förderkursen auseinander und betrachtet sie aus der Perspektive des Nicht-Zulassens von Zugehörigkeit bzw. des Schaffens von Nichtzugehörigkeit. Eine geringe Erfolgsquote, das Fehlen des Fachunterrichts und eine nicht-begleitete soziale Einordnung der Schüler:innen stellen in ihren Augen besondere Mängel dar, die zu einem dauerhaften Othering führen.

Die drei Beiträge im vierten und letzten Teil dieses Themenheftes zeigen auf, wie Zugehörigkeiten in Unterricht und Schule thematisiert und diskutiert werden können.

Stanislava Stanković-Komlenac beschäftigt sich mit »Diversity Management« – einem betriebswirtschaftlichen Ansatz – und migrationsbedingter Mehrsprachigkeit in der Schulentwicklung und diskutiert soziale Ungleichheits(re)produktionen. Dabei betont sie auch die Bedeutung des machtkritischen Diversity-Ansatzes für die Auseinandersetzung mit sprachlicher Heterogenität. Als Anregungen für die schulische Praxis stellt sie das Handbuch Mehrsprachigkeit der Bildungsdirektion Wien (2019) und das Schulnetzwerk »voXmi« vor.

Gudrun Kasberger fokussiert in ihrem Beitrag auf die Zusammenhänge von Emotionen und (Nicht-)Zugehörigkeit. Dabei geht sie zunächst aus einer theoretischen Perspektive auf den Ausdruck von Emotion und Zugehörigkeit ein, bevor sie dann didaktische Überlegungen präsentiert, die sich auf die Rolle von innerer und äußerer Mehrsprachigkeit für Gefühle der Zugehörigkeit gleichermaßen beziehen und auch einen spielerischen Ansatz einschließen.

Der Beitrag von Isabel Zins schließt das Heft ab und stellt drei praktische Umsetzungen mehrsprachiger Unterrichtskonzepte in der Sekundarstufe II vor: Sprachen-Tube, Poetry-Slam und Klassenroman. Im Kontext dieser kreativen Herangehensweisen wird ein Dreischritt in der Mehrsprachigkeitsdidaktik vorgeschlagen: die Sichtbarmachung von Sprachen, ihre Anerkennung und die Ermöglichung mehrsprachiger Teilhabe.

In ihrer Bibliographie zu diesem Heft präsentiert Anna Tappeiner eine breit gefächerte Auswahl an Publikationen zum Thema der Zugehörigkeit und berücksichtigt dabei unterschiedliche Perspektiven. Die Rezensionen zu aktuellen deutschdidaktisch relevanten Publikationen wurden von Jürgen Struger, Julian Körner und Louisa Markthaler sowie Ursula Esterl verfasst.

Die Frage nach den Zusammenhängen zwischen der sozialen Kategorisierung als (nicht-)zugehörig und den verwendeten Sprachen und Varietäten ist eine sprachen- und schulpolitische Frage, die an den Rändern der Institution, aber auch im alltäglichen Agieren ihrer Mitglieder explizit und noch viel häufiger implizit verhandelt wird. Der Deutschunterricht muss sich ihr stellen. Er kann sie mit viel Gewinn aufgreifen und ins Zentrum rücken, um das Bewusstsein für die soziale Bedeutung von Sprachen und Varietäten weiter zu schärfen und den Schüler:innen Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

Wir wünschen eine anregende Lektüre

MONIKA DANNERERURSULA ESTERL

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MONIKA DANNERER ist Universitätsprofessorin für Germanistische Linguistik an der Universität Innsbruck. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Erst- und Zweitspracherwerb, Mehrsprachigkeit sowie Soziound Varietätenlinguistik.E-Mail: [email protected]

URSULA ESTERL ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für GermanistikAECC, Abteilung Fachdidaktik an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Ihre Arbeitsgebiete sind: Mehrsprachigkeit, Deutsch als Fremdund Zweitsprache und Schreibforschung.E-Mail: [email protected]

Semier Insayif

Einstimmung

 

wie oft, frag ich,

wie oft muss ich in ein zimmer gehen, um ein zimmer zu haben? was heißt das, ein zimmer bewohnen? wie lange muss ich aus seinen fenstern schauen? welche bewegung heißt, mir ein zimmer aneignen? mich mit ihm vertraut machen? mich in ihm zu verräumen?

wie oft, vater,

wie oft muss ich in ein land gehen, um ein land zu haben? was heißt das, ein land bewohnen? wie lange muss ich über seine grenzen schauen? welche bewegung heißt, mir ein land aneignen? mich mit ihm vertraut machen? in ihm zu landen?

wie oft, mutter,

wie oft muss ich in eine sprache gehen, um eine sprache zu haben? was heißt das, eine sprache bewohnen? wie lange muss ich aus ihren wörtern schauen? unter ihren buchstaben schlafen? in ihren tönen träumen? aus ihren farben schöpfen? welche bewegung heißt, mir eine sprache aneignen? mich mit ihr vertraut machen? mich mit ihr zu besprechen?

wie oft, frag ich meine seele,

wie oft muss ich in einen körper gehen, um einen körper zu haben? was heißt das einen körper bewohnen? wie lange muss ich aus seinen augen schauen? mich mit seinen häuten bedecken? welche bewegung heißt, mir meinen körper aneignen? mich mit ihm vertraut machen? mich mit ihm zu verkörpern?

wie oft, mein freund,

wie oft muss ich aus dem leben gehen, um ein leben zu haben? was heißt das, ein leben bewohnen? wie oft muss ich in seine fugen fallen? aus seinen brüchen brechen? wie lange muss ich in meinen himmel schauen? welche bewegung heißt, mir mein leben aneignen? mich mit ihm vertraut machen? mich in ihm zu erleben?

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SEMIER INSAYIF lebt als freier Schriftsteller, Dichter, Kunst- und Kulturmanager, Kommunikations- und Verhaltenstrainer in Wien. Er konzipiert und gestaltet literarische Veranstaltungen und leitet Schreibwerkstätten und Poesieseminare in Schulen und in der Erwachsenenbildung. Semier Insayif ist Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung und Präsident des BÖS (Berufsverband Österreichischer Schreibpädagog:innen). Homepage: www.semierinsayif.com.E-Mail: [email protected]

Doris Pokitsch, İnci Dirim

»man muss sich nicht angehörig fühlen«

Sprachbezogene Zugehörigkeiten in der Migrationsgesellschaft

Über Sprachen werden Zugehörigkeitsgrenzen gezogen, die aus sprachideologietheoretischer Perspektive die Trias »Volk-Sprache-Nation« weiterhin zu festigen suchen. Darüber hinaus wirken Bewertungen und Kategorisierungen von Sprachen auch auf Positionierungen von Menschen als (Erst-, Zweit- etc.-)Sprecher:innen einer oder mehrerer Sprache(n). Im vorliegenden Artikel diskutieren wir auf Basis empirischer Beispiele, welche (Un-)Möglichkeiten sich in diesem Zusammenhang für Schüler:innen ergeben, eigene (auch mehrfache) Zugehörigkeiten zu artikulieren. Wir zeigen auf, wie Schüler:innen sprachbezogene Zugehörigkeitsvorstellungen heranziehen, um sich selbst, aber auch andere hierarchisch zu positionieren. Der Artikel führt in Begriffe und theoretische Konzepte ein, die dazu genutzt werden können, sprachbezogene Positionierungen einzuordnen.

1. Problemaufriss

»Wie heißt das in deiner Sprache?« »Tragt die neuen deutschen Wörter in die eine Spalte ein und die Übersetzungen in eure Sprache in die zweite Spalte.« So oder so ähnlich können Arbeitsanweisungen lauten, wenn Lehrkräfte Migrationssprachen in ihren (Förder- oder Regel-)Unterricht einbeziehen möchten. »Deine/eure Sprache« verweist dabei auf Vorstellungen, dass Menschen mit je einer (einzigen) Sprache verbunden wären bzw. jeder Mensch eine (einzige) Sprache besäße (»die eigene Sprache«), über die auch eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe hergestellt wird. Wenn Menschen selbst oder ihre Vorfahren aus einem anderen Land als – in unserem Fall – Österreich kommen, wird üblicherweise erwartet, dass sie die Sprache, die als die Sprache dieses Landes gilt, als ihre Sprache empfinden und keine andere. Damit wird ihnen nicht nur eine gegebenenfalls vorhandene Mehrsprachigkeit abgesprochen, sondern auch verwehrt, dass die deutsche Sprache auch eine der eigenen Sprachen ist oder in Zukunft werden kann. Mehrfachzugehörigkeiten (Mecheril 2003) zu artikulieren und zu leben, wird also zugunsten einer Entweder-oder-Zugehörigkeit erschwert, wobei diese zudem – wie wir aufzeigen werden – nicht zwingend von den Sprecher:innen selbst vorgenommen werden kann. Was das für Schüler:innen bedeutet bzw. wie sie sprachbezogene Zugehörigkeit(en) verhandeln, stellen wir in den Mittelpunkt dieses Beitrags (4). Zunächst werden wir aber einen Abriss über die historische Entwicklung der darin eingelagerten sprachideologischen Wissensbestände geben (2) und diese innerhalb der Schule der Migrationsgesellschaft verorten (3). Wir loten also zunächst das Verhältnis zwischen Wissen und Gesellschaft aus, um uns anschließend der Frage zu widmen, wie dieses auf das Zugehörigkeitsgefühl von Jugendlichen in der Migrationsgesellschaft wirkt.

2. Sag mir, was deine Mutter spricht, und ich sage dir, wer du bist

Wird Sprache nicht nur als Kommunikationsmittel, sondern auch als Differenzmerkmal fokussiert, gerät insbesondere die Sprachkategorie der Muttersprache in den Blick, die bereits im Mittelalter vereinzelt thematisiert wurde (vgl. Bonfiglio 2010). Im 17. und vor allem 18. Jahrhundert wurde sie zunehmend als charakterprägendes und kollektivierendes Element beschrieben. Muttersprache wurde dabei zu der einen Sprache stilisiert, durch die ihre Sprecher:innen innerhalb von Sprachgemeinschaften gleiche Fähigkeiten und Eigenschaften entwickeln würden, die sie hierarchisch von anderen Sprachgemeinschaften unterscheide. Damit erhält die Bindung zur Muttersprache eine besondere Bedeutung, die Johann Gottfried Herder (1877) folgendermaßen beschreibt: »Hat also eine jede Sprache ihren bestimmten Nationalcharakter, so scheint uns die Natur bloß zu unserer Muttersprache eine Verbindlichkeit aufzuerlegen, da diese vielleicht unsrem Charakter angemessener ist, und unsere Denkungsart ausfüllet.« (Herder 1877, S. 3; zit. nach Pokitsch 2022, S. 52)

Dieser Logik folgend ist es zwar möglich, mehrere Sprachen zu lernen – zugehörig sind wir jedoch stets nur zu einer Sprache. Diese Zugehörigkeit wird ab Mitte/Ende des 18. Jahrhunderts immer stärker an die tatsächliche Figur der Mutter gebunden und erhält dadurch eine starke Romantisierung. Indem die Sprache »mit der Muttermilch aufgesaugt« werde, werden Sprecher:innen zum Teil einer Sprachgemeinschaft, vorausgesetzt die Mutter ist zu diesem Zeitpunkt selbst eine legitime Sprecherin dieser Sprache. In dieser Form sprachbezogener Kollektivierung ist bereits jener Sprachnationalismus angelegt, der sich in Europa im 19. Jahrhundert entwickelt, oder in den Worten Jacob Grimms (1858):

die ersten worte vernimmt der säugling an der mutterbrust von der weichen und sanften mutterstimme entgegen gesprochen und sie schmiegen sich fest in sein reines gedächtnis, bevor er noch der eignen sprachorgane mächtig geworden ist, darum heißt sie die muttersprache und so erfüllt sich mit den jahren in schnell erweiterten kreisen ihr umfang. sie allein vermittelt uns am unvertilgbarsten heimat und vaterland […]. (Grimm 1858, S. 31 f.; zit. nach Pokitsch 2022, S. 54)

Die Muttersprache bildet hier eine Einheit mit dem »Vaterland« und schafft damit eine Verbindung, die auch in heutigen Verhandlungen sprachlicher (Nicht-)Zugehörigkeit zum Vorschein kommt: Eine »ethnic ownership of language« (Bonfiglio 2013, S. 36), die Sprecher:innen, Sprache und Herkunft scheinbar unauflöslich miteinander verknüpft. Damit sind drei wesentliche Aspekte dieser Sprachideologie angesprochen, die weiterhin wirksam werden: Muttersprache als singuläre Sprachkategorie (jede Person habe nur eine Muttersprache), Muttersprache als charakterprägendes Merkmal und Muttersprache als kollektivierendes und zugehörigkeitsdeterminierendes Element (vgl. Pokitsch/Bjegač 2022; Bonfiglio 2010; Ahlzweig 1994; ausführlich Pokitsch 2022, S. 50 ff.).

3. Deutsch in der (Schule der) Migrationsgesellschaft

Wie wirkmächtig diese Vorstellungen im Kontext schulischer Bildung weiterhin sind, zeigt etwa die breit rezipierte Studie von Gogolin aus dem Jahr 1994, in der sie einen dominanten »monolingualen Habitus der multilingualen Schule« in Deutschland herausarbeitet. Gemeint ist damit, dass in Deutschland im Zuge der Entwicklung des deutschen Nationalstaates die deutsche Sprache als das »Volk« und den Staat vereinendes symbolisches Mittel in den Vordergrund gestellt wird (Gogolin 2008). Schule spielt bei der Verbreitung und Verfestigung des monolingualen Habitus eine zentrale Rolle. Denn trotz einer de facto gesellschaftlichen (und institutionellen) Mehrsprachigkeit wird Einsprachigkeit in und durch Bildungsinstitutionen zum Normalfall erklärt und Zwei- und Mehrsprachigkeit zur Ausnahme gemacht. Gleichsam gerät, wie Ahlzweig (1994) fundiert nachzeichnet, der Konstruktionscharakter nationalstaatlicher Einsprachigkeit bzw. der Sprachkategorien Nationalsprache und Muttersprache aus dem Blick. Durch die »Eliminierung von Sprachgeschichte« (ebd., S. 166) wird Deutsch als hegemoniale Sprache in »amtlich deutschsprachigen Regionen« (Dirim 2015, S. 26) essentialisiert. »›Die deutsche Sprache‹ hat es damit schon immer in dem Zustand […] gegeben.« (Ahlzweig 1994, S. 166; Hervorh. i. O.)

Dass nicht nur das Schulsystem in Deutschland von einem monolingualen Habitus geprägt ist, sondern auch Schulen in Österreich, stellt Krumm (2007) mit einer historischen Analyse fest. Nach Krumm zeigt bereits die Sprachenpolitik in der Endzeit der Donaumonarchie, dass nach dem französischen Vorbild eine Nation deutscher Sprache geschaffen werden sollte. Diese Politik der Monolingualisierung setzt sich bis heute fort; heute ist Deutsch in Österreich die dominante Amtssprache, die von der Politik auch eingesetzt wird, um Restriktionen im Zusammenhang mit Migration und Bildung einzuführen. Die marginalisierte Stellung des muttersprachlichen Unterrichts ist in diesem Zusammenhang nur ein Beispiel für ausgrenzende schulische Praktiken, die auch auf sprachbezogene Selbstbilder von Schüler:innen wirken (vgl. Pokitsch/Bjegač 2022). Zuletzt wurde mit dem Versuch der Partei FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs), an Schulen im Bundesland Niederösterreich ein Deutschgebot in den Pausen einzuführen, erneut deutlich, wie Politik Sprache einsetzt, um Sprachen und damit auch Schüler:innen zu hierarchisieren (Austria Presse Agentur 2023): Monolinguale Sprecher:innen des Deutschen werden als diejenigen konstruiert, die uneingeschränkt das als ihre Sprache geltende Deutsche verwenden, wohingegen Sprecher:innen, die zusätzlich auch Migrationssprachen sprechen, nicht dasselbe Recht zugestanden wird. Migrationsbedingt mehrsprachige Schüler:innen erleben (und »lernen«) durch solche Reglementierungen, dass sie etwas Illegitimes tun, wenn sie auch Migrationssprachen im schulischen Kontext sprechen.

Die Vorrangstellung des Deutschen als »Identitätsmerkmal« der Staatsbürger:innen in Österreich und Deutschland bekommt mit dem von Holliday (2006) eingeführten Konzept des »Native Speakerism« eine weitere ausgrenzende Dimension: Natio-ethno-linguale Zugehörigkeit (Thoma 2018, S. 14) wird hierbei mit Vorstellungen einer »natürlichen« Sprachaneignung und daraus abgeleiteter »perfekter« Sprachkompetenzen verknüpft, die in einem Sprachgefühl zum Ausdruck kommen. Holliday (2006) zeigt im Zusammenhang mit der (weltweiten) Einstellung von Englisch-Lehrkräften nicht nur, dass Sprecher:innen des Englischen, die als Native Speaker gelten, eher eingestellt werden als sogenannte Non-Natives. Er führt auch aus, das unter Native Speaker nur jene Sprecher:innen des Englischen subsumiert werden, die sowohl die vermeintlich richtige Varietät des Englischen sprechen (britisches oder US-amerikanisches Englisch statt etwa indisches oder nigerianisches Englisch) als auch als natio-ethno-kulturell zugehörig (nach Mecheril 2003) zum globalen Norden gelten. Dass verschiedene (linguistisch gleichwertige) nationale Varianten ein und derselben Sprache hierarchisiert werden, folgt der »Logik«, dass diese Sprache nicht die legitime Sprache von Ländern des globalen Südens sein kann. Damit werden auch ihre Sprecher:innen als illegitime (und damit nur bedingt kompetente) Sprecher:innen positioniert. Holliday erklärt diese Hierarchisierung mit postkolonialen Verhältnissen, die rassistische Unterscheidungen weiterhin legitimieren (Holliday 2006).

Die Hierarchisierung der Zugänge und Sprechweisen einer bestimmten Sprache kann auch in migrationsgesellschaftlichen Zusammenhängen beobachtet werden, in denen Vorstellungen von Sprachkompetenz eng an Imaginationen von muttersprachlicher (und damit natio-ethno-kultureller) Zugehörigkeit geknüpft sind (vgl. Khakpour 2016).

So stellen beispielsweise Knappik/Dirim/Döll (2013) in einer Interviewstudie fest, dass in Österreich Normabweichungen vom österreichischen Standarddeutsch von zukünftigen Lehrkräften unterschiedlich bewertet werden: Dialektale Normabweichungen (bzw. Fehler) werden als korrekt und unproblematisch angesehen, wohingegen migrationsgesellschaftliche Varianten des Deutschen (etwa hörbare »Akzente« aus Migrationssprachen) abgewertet und problematisiert werden (ebd.). Dies macht deutlich, dass es Tendenzen gibt, es nicht einmal anzuerkennen, dass Deutsch beherrscht wird, wenn es nicht dem Deutsch entspricht, das als das Native Speaker-Deutsch gilt.

Der monolinguale Habitus wird in der Forschungsliteratur als wirksamer Grund für die Vorrangstellung des Deutschen identifiziert. Unter der Berücksichtigung des Konzeptes »Native Speakerism« wird darüber hinaus aber deutlich, dass auch koloniale Verhältnisse eine Rolle spielen, die eine enge Verbindung von Sprache/Sprechweise, Körper und Herkunft sichtbar machen, die auf historisch gewachsene, rassistische und linguizistische Differenzsetzungen verweist (Rühlmann 2023). Denn Native Speaker stellt eine Sprecher:innenposition dar, die, unabhängig von tatsächlichen Sprachkompetenzen oder sprachlichen Praxen, eng mit natioethno-kulturellen Zugehörigkeitskonstruktionen verbunden wird. Menschen, denen ein sogenannter Migrationshintergrund zugeschrieben wird, bleibt daher eine Positionierung als »Deutsch-Muttersprachler:innen« verwehrt, selbst, wenn sie einsprachig Deutsch aufgewachsen sind und/oder leben.

Schule stellt einen mit gesellschaftlichen Diskursen eng verwobenen Raum dar, in dem natio-ethno-linguale Zugehörigkeiten ermöglicht oder auch verhindert werden (Karabulut 2022). Die mit dem monolingualen Habitus verinnerlichte Dominanz des Deutschen und die Vorstellung, dass nur Native Speaker kompetente Deutsch-Sprecher:innen sein können, wirken dabei auf das schulische Geschehen ebenso wie auf die Schüler:innen. Auch sie sind »in diskursive Wissensbestände eingebunden, die nicht an den Schultoren haltmachen« (Pokitsch 2022, S. 199). Jüngste empirische Studien zeigen, welche Selbstverständnisse im Zusammenhang mit sprachbezogenen Zuschreibungen in der Bildungsinstitution Schule (re-)konstruiert werden und welche Wirkmacht sie für Schüler:innen (in Österreich und Deutschland) entfalten (exemplarisch Bjegač 2020; Khakpour 2023; Pokitsch 2022; Rühlmann 2023). Dies möchten wir nun anhand einiger Auszüge aus zwei Gruppendiskussionen jugendlicher Regelschüler:innen in Österreich exemplifizieren (ausführlich Pokitsch 2022).

4. Sich (nicht) zugehörig fühlen – (nicht) zugehörig sein

Die Schüler:innen verhandeln Zugehörigkeitsdimensionen in den Diskussionen mitunter eigenwillig und durchaus unterschiedlich. Was sich jedoch immer wieder zeigt, ist die Verknüpfung von einer Sprache mit einem Land als Grundlage für eine singuläre natio-ethno-linguale Zugehörigkeit. Dies bringt Slavica, eine 13-jährige Schülerin, zum Ausdruck, wenn sie fordert:

Sla Aber trotzdem, müsste man auch wenn man hier geborn is, oder     hier Staatsbürgerschaft hat, man müsste(.)für sein Land stehn,     Muttersprache können und alles. Ca                      ⌊Mhm.(..)Ja, das stimmt eh.

(Sla=Slavica, Ca=Can, Z. 597–600; zit. nach Pokitsch 2022, S. 259)

Slavica bezieht sich in diesem Ausschnitt sehr deutlich auf die konstruierte Trias Sprache–Volk–Nation, die seit dem 18. Jahrhundert immer wieder (auch sprachen-politisch) bemüht wird, um klare Grenzen zu ziehen. Dass jenes Land, das Slavica in »für sein Land stehn« imaginiert, nicht zwingend das Land sein muss, in dem jemand geboren oder aufgewachsen ist und/oder lebt, wird dabei deutlich (»trotzdem«). Die Schülerin zeichnet hier einen Zusammenhang nach, der eine Gruppe von Menschen mit einem Land unauflöslich verbindet, und zwar über die eine Sprache, die als die Sprache des Landes gesetzt wird. Die nationalstaatliche Zugehörigkeit, die hier evoziert wird, hängt eng mit einem natio-ethno-kulturellen Selbstverständnis zusammen. So bezeichnet sich Slavica mehrfach als Serbin und bleibt damit in ihrem Verständnis mit »ihrem Land« verbunden, auch wenn sie in einem anderen Land ihren Lebensmittelpunkt hat. Weder für Slavica noch für viele andere Schüler:innen erscheint es möglich, eine Mehrfachzugehörigkeit zu formulieren (etwa Serbin und Österreicherin sein). Inwiefern die Artikulation einer Mehrfachzugehörigkeit nicht gewollt oder nicht gekonnt ist, ist dabei nicht eindeutig festzumachen. In den Daten finden sich allerdings immer wieder Hinweise darauf, dass Zugehörigkeitsgrenzen immer dann virulent werden, wenn ihnen ein sogenannter Migrationshintergrund zugeschrieben wird. Die Schüler:innen erleben im Alltag wiederholt, als nicht-zugehörig adressiert zu werden und mitunter in diesem Zusammenhang sogar mit sprachlicher Gewalt konfrontiert zu sein, wie folgender Auszug deutlich macht:

Ca                            ⌊Aber is es bei euch auch so, dass     ihr äh halt in Österreich euch nicht wie ein Ausländer fühlt,     sondern wie ein Österreicher? Sla Ich hab alles serbisch, also ((Österreich nicht so)). Fl  Mh. Keine Ahnung. El  Ich wurd schon mal als Ausländer beschimpft. ((lacht)) Von     so nem Erwachsenen. (lachend gesprochen) Ca               ⌊((lacht))(..)Mh.(.)Ha/Hat er dir »Scheiß     Ausländer« gesagt, oder was?!

(Ca=Can, Sla=Slavica, Fl=Florin, El=Ellias, Z. 372–380; zit. nach Pokitsch 2022, S. 251 f.)