Sprachmittlung in Psychotherapie und Beratung mit geflüchteten Menschen -  - E-Book

Sprachmittlung in Psychotherapie und Beratung mit geflüchteten Menschen E-Book

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Beschreibung

Viele Geflüchtete, die in Deutschland Schutz suchen, benötigen aufgrund psychischer Belastungen Unterstützung in Form von Beratung und Psychotherapie. Spezialisierte Therapeutinnen und Beraterinnen widmen sich dieser Aufgabe bereits seit Jahrzehnten, in den vergangenen Jahren vermehrt auch weitere Akteurinnen und Akteuren im Gesundheitswesen. In den meisten Fällen muss zunächst die Sprachbarriere überwunden werden, denn Verständigung ist elementar, um wirksam Unterstützung leisten zu können. Sprachmittlerinnen und Sprachmittler sind dafür unverzichtbar. Dieser Leitfaden für die Praxis widmet sich den grundlegenden Facetten der Sprachmittlung in Beratung und Therapie mit Geflüchteten. Schwerpunkte liegen auf den Rahmenbedingungen der Beratung und Therapie mit Sprachmittlung, der Darstellung des Übersetzungsprozesses, Beziehungsdynamiken, Herausforderungen und auch Tabus, die sich aus der Konstellation mit Sprachmittlerinnen und Sprachmittlern ergeben können. Der Band von Fachkräften für Fachkräfte gibt konkrete Arbeitshilfen an die Hand, schafft Orientierung und Handlungssicherheit für Praktizierende und geht vertiefend auf Aspekte wie beispielsweise Psychohygiene und sekundäre Traumatisierung ein.

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Seitenzahl: 146

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Geflüchtete Menschen psychosozialunterstützen und begleiten

Herausgegeben von

Maximiliane Brandmaier

Barbara Bräutigam

Silke Birgitta Gahleitner

Dorothea Zimmermann

Silvia Schriefers/Elvira Hadzic (Hg.)

Sprachmittlung inPsychotherapieund Beratung mitgeflüchteten Menschen

Wege zur transkulturellen Verständigung

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit 4 Abbildungen und einer Tabelle

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Nadine Scherer

ISBN 978-3-647-90090-2

© 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG,

Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage

www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Reihenredaktion: Silke Strupat

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Produktion: Lumina Datametics, Griesheim

Inhalt

Geleitwort der Reihenherausgeberinnen

Vorwort(Elise Bittenbinder)

1Einführende Worte(Matthias Hannemann)

Literatur

2Rahmenbedingungen für Psychotherapie und Beratung unter Einsatz von Sprachmittlern und Sprachmittlerinnen

(Juliane Mucker, Wolfgang Bautz, Elvira Hadzic)

2.1Risikofaktoren ungeschulter Sprachmittlung

2.2Qualifizierte Sprachmittlung

2.2.1Kompetenzen und Anforderungen

2.2.2Berufliche Qualifikation und Honorar

2.3Anerkennung von Sprachmittlern/Sprachmittlerinnen im Gesundheitswesen

Literatur

3Kommunikationsprozesse und Übersetzungsebenen in der Therapie und Beratung vonGeflüchteten(Elvira Hadzic)

3.1Übersetzungs- und Verständigungsweisen in der Kommunikation mit Sprachmittlern/Sprachmittlerinnen

3.1.1Übersetzungswege und Sprechrichtungen: bidirektional, -lingual und -lateral

3.1.2Übersetzungsstrategie und Übersetzungsmodi

3.2Verbale und nonverbale Inhalte in der Sprachmittlung

3.2.1Kulturspezifische Beschreibungen des Befindlichkeitszustandes im Therapie- und Beratungssetting

3.2.2Sprachmittlung in der Kommunikation ohne Sprache – Gesicht, Körper, Raum

3.3Intrapsychische Übersetzungsvorgänge

Literatur

4Rollengestaltung und Beziehung von psychosozialen Fachkräften und Sprachmittlern/Sprachmittlerinnen in der Triade

(Boris Friele, Gerlinde Aumann)

4.1Die Rollenverteilung Fachkraft – Sprachmittler/-in im psychosozialen Setting

4.2Sprachmittlung als Dolmetschen und Unterstützen beim interkulturellen Sinnverstehen

4.3Die Subjektivität der Sprachmittler/-innen ist unhintergehbar – und unverzichtbar

4.4Kulturelle Normen prägen die psychosoziale Arbeit

4.5Beziehungsgestaltung in der Triade

4.6Strukturelle Aspekte für die Weiterentwicklung der Arbeit in der Triade

Literatur

5Vorgehensweisen in und aus der Praxis – eine Orientierungshilfe

(Esther Kleefeldt, Dima Zito, Elvira Hadzic)

5.1Organisatorische Aspekte vor Therapie- oder Beratungsbeginn

5.2Vorgehen in der Therapie- und Beratungssitzung – Briefing der Sprachmittler/-innen

5.3Das (Erst-)Gespräch unter Mitwirkung der sprachmittelnden Person

5.4Nachgespräch(e)

5.5Fazit

Literatur

6Spannungsfelder und Chancen in der Zusammenarbeit mit Sprachmittlern/Sprachmittlerinnen

(Silvia Schriefers)

6.1Von Rollen und Erwartungen

6.2Spannungsfelder durch eingeschränkte Passung

6.3Das erweiterte Beziehungssetting – Herausforderungen und Potentiale

6.4Von Mitgefühl und emotionaler Involviertheit

6.5Herausforderungen bei schweren Formen von Traumatisierung

6.6Therapie mit Kindern unter Einsatz von Sprachmittlern/Sprachmittlerinnen

Literatur

7Ausblick und Potentiale der psychosozialen Arbeit mit Sprachmittlern/Sprachmittlerinnen

(Matthias Hannemann, Silvia Schriefers)

8Die Autorinnen und Autoren

Geleitwort der Reihenherausgeberinnen

Wird von der psychosozialen Arbeit mit Geflüchteten im transkulturellen Kontext gesprochen, so erhält eine Gruppe von Beteiligten meist weniger Aufmerksamkeit als ihnen gemäß ihrer Bedeutung für den therapeutischen und beraterischen Prozess eigentlich zusteht. Dies sind die Sprachmittler und Sprachmittlerinnen, die die Verständigung zwischen der Fachkraft und dem Klienten bzw. der Klientin oft erst ermöglichen. Daher freuen wir uns sehr, dieses Thema mit diesem Band in der Reihe präsentieren zu können.

Die Psychologin und Sozialpädagogin Silvia Schriefers, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e. V. (BAfF), und die Sprach- und Kulturwissenschaftlerin Elvira Hadzic bringen zahlreiche Autoren und Autorinnen zusammen, die aus ihrer eigenen Erfahrung in Psychosozialen Zentren berichten. Die Beiträge sollen psychosoziale Fachkräfte und Psychotherapeuten/Psychotherapeutinnen dazu ermutigen, sich auf diese – für viele vielleicht neuartige – Arbeit in der Triade einzulassen. Angesichts der diskutierten Herausforderungen und Schwierigkeiten werden eventuelle Bedenken aufgegriffen und in praxisnahen Schilderungen Wege aufgezeigt, wie eine für alle Beteiligten erfolgreiche und angenehme Zusammenarbeit gestaltet werden kann.

Der Band folgt einem Aufbau, der in der ersten Hälfte von allgemeinen Rahmenbedingungen für Psychotherapie und Beratung unter Einsatz von Sprachmittlern/Sprachmittlerinnen über die Kommunikationsprozesse und Übersetzungsebenen hin zu Aspekten der Beziehungsgestaltung von psychosozialen Fachkräften und Sprachmittlern/Sprachmittlerinnen in der Triade führt. In der zweiten Hälfte wird eine Orientierungshilfe zu Vorgehensweisen in der Praxis gegeben. Außerdem werden Spannungsfelder und Chancen in der Zusammenarbeit mit Sprachmittlern/Sprachmittlerinnen dargestellt. Der Band schließt mit einem Kapitel zu den Potentialen der Arbeit mit Sprachmittlern/Sprachmittlerinnen und wagt einen Ausblick auf die künftige psychosoziale Praxis. Somit wird ein zentraler Anspruch dieser Reihe – theoretische Überlegungen mit praxisbezogenen Ideen zu verknüpfen – auch hier eingelöst.

Wir freuen uns sehr, dass wir mit den Herausgeberinnen und den Autoren und Autorinnen zahlreiche Experten und Expertinnen aus den Mitgliedszentren der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e. V. (BAfF) für diesen Band gewinnen konnten. Wir hoffen, dass sich die Leser/-innen nach der Lektüre ermutigt und ausreichend informiert fühlen, um sich offen auf die Zusammenarbeit mit Sprachmittlern/Sprachmittlerinnen und die besonderen Herausforderungen und Potentiale dieser Konstellation einzulassen.

Maximiliane Brandmaier

Barbara Bräutigam

Dorothea Zimmermann

Silke Birgitta Gahleitner

Vorwort

Elise Bittenbinder, Vorsitzende der BAfF

Mein ganzes berufliches Leben habe ich mit der Hilfe von Sprachmittlern/Sprachmittlerinnen gearbeitet und ich finde es nach wie vor faszinierend. Meine prägendsten Erfahrungen machte ich in einer internationalen NGO (nichtstaatlichen Organisation), die sich ländliche Entwicklungen und das Überleben von Kleinbauern und ländlichen Gemeinden zur Aufgabe gemacht hatte. In den vielen Begegnungen mit Dorfbewohnern/Dorfbewohnerinnen, Bauern/Bäuerinnen in Afrika, Lateinamerika, Europa und Asien vermittelten sich mir zwei für meine spätere Arbeit zentrale Erkenntnisse:

1.Die Möglichkeit zu kommunizieren hat oft mehr mit Verstehenwollen, Neugierde und Offenheit für Neues und dem Wissen um die eigene Begrenzung im Verstehen zu tun als mit sachbezogenem Wissen über die jeweilige Kultur, die Religion, die Werte und die Sprache.

2.Ich konnte erleben, was Vermittlung durch »Brückenmenschen«, also durch Sprachmittler/-innen bedeutet. Über sie konnte ich mich nicht nur verständlich machen. Sie gaben »nebenbei« auch wertvolle Hinweise, um beispielsweise nicht »in Fettnäpfchen zu treten«, was den Grad an Zurückhaltung oder Direktheit sowie die Art betrifft, wie man grüßt, isst, um etwas bittet, sich bedankt oder sich an andere Menschen wendet. Außerdem waren sie bereit, mir meine unendlich vielen Fragen zu beantworten, wenn ich Situationen, Bemerkungen oder Menschen nicht verstehen konnte – ohne dass die Sprachmittler/-innen sich unbedingt selber aktiv in das Gespräch einmischten.

Trotz der indirekten, das heißt vermittelten sprachlichen Kommunikation entstanden Bindungen, sogar Freundschaften – oder auch das Gegenteil davon. Neben der gesprochenen Sprache gab es viele weitere Dimensionen von Kommunikation und Verständigung, durch die Beziehung entstehen konnte. Es ist schwer zu beschreiben, wie zum Beispiel ein Griot (Geschichtenerzähler) durch seine sprachmächtigen Bilderbogen eine so verdichtete Atmosphäre auf einem Dorfplatz im Sahel in Senegal oder Mali schaffte, dass diese sowohl den Kreis der Gemeinde als auch mich – obwohl ich kaum etwas verstand – in ihren Bann zog. Die mündliche Tradition des Geschichtenerzählens, die ein Gegenüber braucht, welches in die Erzählung einbezogen wird, hat auch mich eingebunden – obwohl mein Sprachmittler den Versuch, zu übersetzen, längst aufgegeben hatte. Hier ging es darum, die Sinne zu schärfen, die anderen Kanäle zu nutzen, um atmosphärisch zu »begreifen«. Es ging darum, Bilder, Ausdrücke und Gesten »einzufangen« oder zu deuten.

Eine ganz andere Art von Kommunikation – aber auch mit Hilfe von Sprachmittlern/-innen – lernte ich im Rahmen von Sitzungen und Verhandlungen innerhalb des Europarats und der EU-Strukturen kennen. Hier ging es um die möglichst präzise Übersetzung von sprachlichen Inhalten. Jegliche Interpretationen, Erklärungen oder gar klärende Bemerkungen waren nicht erlaubt. Interessant war und ist, dass hochkomplexe und sensible Vertragsverhandlungen – wo es mitunter auch sehr konflikthaft zugeht – möglich sind, obgleich die Verhandlungspartner/-innen keine gemeinsame Sprache sprechen. Interessant ist dies auch deshalb, weil es immer noch Kollegen/Kolleginnen und auch Politiker/-innen gibt, die unterstellen, dass beispielsweise eine Psychotherapie mit Hilfe von Sprachmittlern/Sprachmittlerinnen nicht möglich sei.

Als eine der ersten Psychotherapeuten und -therapeutinnen in Deutschland habe ich von Anfang an gerne mit Hilfe von Sprachmittlern/Sprachmittlerinnen gearbeitet und betrachte – anders als einige Kollegen und Kolleginnen – die Therapie zu dritt durchaus als spannendes und kreatives Feld. Wichtig ist jedoch, dass das Gespräch bzw. das »Setting« so gestaltet ist, dass es einerseits die möglichst präzise Vermittlung der sprachlichen Inhalte erlaubt, aber andererseits auch die anderen Dimensionen von Verständigung – die für die therapeutische Arbeit so wichtige Beziehung und Bindung – ermöglicht. Natürlich kann nicht verleugnet werden, dass es hierbei Grenzen gibt und Spannungsfelder. Und manchmal ist eine Psychotherapie oder psychosoziale Beratung in einem solchen Setting einfach nicht möglich. Ich will auch nicht behaupten, dass Therapie oder auch Beratung mit Hilfe von Sprachmittlern/Sprachmittlerinnen immer einfach ist. Allein die logistischen Anforderungen um die Terminfindung zu dritt können frustrierend sein. Wenn sich in einem Gespräch über erlittene Folter eisige Kälte oder Erstarrung im Raum verbreitet, kann es jedoch für die Betroffenen mitunter sehr tröstlich sein, wenn man in einem guten Team arbeitet, um Worte zu finden, die die menschliche Wärme erhalten, die nötig ist, das Unauslöschliche, das Fürchterlichste, was ein Mensch in sich bewahren kann, zu teilen und gemeinsam zu tragen. Da, wo es keine gemeinsame Sprache gibt, sind Sprachmittler/-innen ein unerlässlicher Teil und notwendige Stütze im Prozess der Mitteilung, um Menschen zu ermöglichen, aus diesen alles erschütternden Erfahrungen hoffentlich wieder in die Welt zurückzufinden.

Dieses Buch ist etwas Besonderes, weil es die Erfahrungen von vielen Kollegen und Kolleginnen aus der Praxis einbezieht und wiedergibt. Die Arbeit mit Sprachmittlern/Sprachmittlerinnen ist eine Kunst, die man erlernen kann und dieses Buch vermittelt das dafür notwendige Wissen und die Kompetenzen. Es könnte diejenigen, für die die beraterische oder psychotherapeutische Arbeit mit Sprachmittlern/Sprachmittlerinnen neu ist, ermutigen, neben den befürchteten Schwierigkeiten auch Chancen und kreative Möglichkeiten, die über die sprachliche Verständigung hinausgehen, zu entdecken.

Berlin, Herbst 2017

1Einführende Worte

Matthias Hannemann, Refugio Thüringen

Viele der in Deutschland angekommenen Geflüchteten sind aufgrund der Erlebnisse in den Herkunftsländern und auf der Flucht sowie der Schwierigkeiten im Exil psychisch belastet und benötigen Unterstützung in Form von Psychotherapie und psychosozialer Beratung. Es entwickelte sich in den letzten Jahren ein großes Interesse und Engagement von Akteuren und Akteurinnen im Gesundheitswesen, sich an der Versorgung von geflüchteten Menschen zu beteiligen und Beratungs- und Therapieangebote für diese zur Verfügung zu stellen. Damit zusammenhängend rücken auch die Herausforderungen und Chancen dieser Arbeit in den Fokus, allen voran die Sprache. Wie in allen Bereichen, die die Arbeit mit Geflüchteten betreffen, ist auch in Therapie und Beratung die Verständigung elementar. Kompetente Sprachmittelnde werden benötigt, um die Verständigung professionell zu gewährleisten und den Klienten und Klientinnen damit einen egalitären Zugang zu diesen Leistungen zu ermöglichen.

Im Gesundheitsbereich begegnet man mittlerweile häufig der kombinierten Bezeichnung Sprach- und Kulturmittler/-in. Dabei berücksichtigt diese Bezeichnung neben der sprachlichen eine weitere Kompetenz: die Kenntnis beider Kulturen, die eine Einordnung der Gesprächsinhalte in kulturelle Kontexte ermöglicht und unter Einbindung kulturellen Wissens in Form von zusätzlichen Erläuterungen über das reine Dolmetschen hinausgeht. Diese und ähnliche Bezeichnungen (z. B. Sprach- und Integrationsmittler/-in) lösen die klassische Benennung des Dolmetschers oder der Dolmetscherin, der oder die kultursensibel mündlich in zwei Sprachen vermittelt, ab. Nicht nur das Hervorheben der interkulturellen Kompetenz, sondern auch die Tatsache, dass bei Dolmetschenden keine Rückschlüsse auf die Qualifikation gezogen werden können, trägt zu diesem Wandel bei. Mit den Begriffen entstehen auch neue Angebote langfristiger Qualifizierungen und Fortbildungen, die unter Berücksichtigung von Qualitätsmerkmalen eine Professionalisierung ermöglichen. Es handelt sich bei dem Begriff der Dolmetscher/-innen weiterhin um keine geschützte Berufsbezeichnung und jeder Mensch, der zwei Sprachen spricht, kann sich Dolmetscher/-in nennen. Wir sprechen in diesem Band bewusst von Sprachmittlung, die neben der Wiedergabe des Sprechinhalts – der Übersetzung, des Dolmetschens – auch die kulturelle Dimension in die Kommunikation zwischen Klient/-in und Therapeut/-in oder Berater/-in einbezieht und sich gleichzeitig von dem Anspruch der Kulturexpertise löst. Mit der Bezeichnung Sprachmittler/-in liegt für uns der Fokus viel mehr auf der Ermöglichung einer sprachlichen Verständigung zwischen dem Therapeuten/der Therapeutin oder dem Berater/der Beraterin und dem Klienten bzw. der Klientin. Eine professionell sprachmittelnde Person kennt sowohl die Perspektive des Klienten/der Klientin als auch die des/der Therapierenden/Beratenden und kann beide in ein Verhältnis zueinander setzen. Im Idealfall trägt sie also maßgeblich dazu bei, eine vertrauensvolle Grundlage für Therapie und Beratung zu schaffen und diese Grundlage für den Verlauf der »interkulturellen Psychotherapie« (vgl. Egger u. Wedam, 2003, S. 85) und Beratung gewinnbringend zu nutzen. Eine kompetente Sprachmittlung ist also eine Ressource, die dazu beitragen kann, das Gegenüber besser zu verstehen, als es über die reine Übersetzung möglich wäre. Man »muss« zwar aufgrund der Sprachbarriere mit Sprachmittlung arbeiten, »darf« es aber auch.

Dass für eine gelingende Beratung mit formalem Fokus – zum Beispiel mit Blick auf behördliche oder rechtliche Belange – eine Sprachmittlung oder zumindest sprachliche Übersetzung unverzichtbar ist, dürfte mittlerweile Konsens sein. Auch in anderen Kontexten besteht dahingehend Einigkeit. Anders gestaltet es sich in dem Feld der psychosozialen Arbeit und insbesondere der Psychotherapie. Lange bestehende Vorbehalte gegen den Einbezug einer dritten Person im psychotherapeutischen und -sozialberaterischen Setting existieren in weiten Teilen des professionellen Arbeitsumfeldes nach wie vor. Viele Praktiker/-innen scheuen sich aus unterschiedlichen Gründen, eine Therapie oder psychosoziale Beratung mit Sprachmittlung in Angriff zu nehmen – sei es aus vermeintlich theoretisch-fachlicher Skepsis, aus Sorge, den Klienten/Klientinnen nicht gerecht werden zu können, oder schlicht aus Angst, sich selbst zu überfordern. Auch in der Fachliteratur überwiegt die Skepsis, wie Abdallah-Steinkopff darlegt (2017; siehe auch Haenel, 1997). Welche Einschränkungen mit dem Einsatz von Sprachmittlern/Sprachmittlerinnen verbunden sind, thematisieren auch Egger und Wedam (2003).

In diesem Band wird den Vorbehalten begegnet, indem alle Facetten der Thematik – und damit eben auch die Vorbehalte, Sorgen und Ängste – aufgegriffen und beleuchtet werden. Ohne zu viel vorwegzunehmen kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass ein gewisser Respekt vor der Arbeit mit Sprachmittelnden und ein Bewusstsein für potentielle Konfliktfelder sicherlich angebracht ist (vgl. Tosic-Memarzadeh, Egenolf, Giesin u. Besikci, 2003). Diese Reflexionen sollten aber nicht zu Hemmnissen werden. Die Chancen des erweiterten Settings überwiegen die Risiken unserer Auffassung nach bei weitem.

Viele Psychosoziale Zentren für Flüchtlinge (PSZ) arbeiten seit mittlerweile über vierzig Jahren nachweislich erfolgreich mit Sprachmittelnden. Dort ist ihr Einbezug inzwischen Normalität. Die Zentren verfügen deshalb über eine breite Basis an Wissen und Erfahrungen, die mit diesem Band geteilt werden soll. Explizit behandelt er nicht nur theoretische Inhalte, sondern ist ganz ausdrücklich eine Orientierungshilfe für Praktiker/-innen: In allen Kapiteln finden sich greifbare Hinweise, die den Lesern und Leserinnen konkrete Handlungssicherheit für den Arbeitsalltag geben sollen.

Am Anfang steht mit den »Rahmenbedingungen für Psychotherapie und Beratung unter Einsatz von Sprachmittlern und Sprachmittlerinnen« (Mucker, Bautz u. Hadzic) ein Kapitel, das sich zum einen den aktuellen Voraussetzungen widmet, in die die Zusammenarbeit mit Sprachmittelnden eingebettet ist, und zum anderen über die damit verbundenen sowie für die Praxis bedeutsamen Auswirkungen informiert. Dies umfasst unter anderem Fragen nach der Anerkennung von Sprachmittlung im Gesundheitswesen, der Verfügbarkeit geeigneter Sprachmittler/-innen und der Finanzierung. Darüber hinaus widmet sich das Kapitel den Qualitätsmerkmalen und Voraussetzungen, die eine gelungene Sprachmittlung möglich machen sowie den Risiken und negativen Folgen bei ungeschulter Sprachmittlung. Das Wissen um diese formalen Kontextbedingungen ist für alle wichtig, die mit Sprachmittlern/Sprachmittlerinnen arbeiten (wollen), um sich mit mehr Hintergrundwissen und damit auch mehr Handlungssicherheit in diesem sicherlich nicht ganz barrierefreien Rahmen gut bewegen zu können.

Daran anschließend folgt mit »Kommunikationsprozesse und Übersetzungsebenen in der Therapie und Beratung von Geflüchteten« (Hadzic) ein Kapitel, das sich explizit mit dem Prozess der Kommunikation aus sprachwissenschaftlicher Perspektive auseinandersetzt. Es werden die verschiedenen Ebenen der Übersetzung sowie ihr Einfluss auf die Gesprächsgestaltung und den Ablauf im Rahmen von Beratung und Therapie beschrieben. Es werden verschiedene Varianten, Übersetzungsmodi und -strategien vorgestellt, die je nach Kontext gewählt und flexibel angewandt werden können. Darüber hinaus werden Fragen der Übersetzung von verbalen und nonverbalen Inhalten im transkulturellen Setting sowie intrapsychische Einflussfaktoren auf die Sprachmittlung bearbeitet. Wenngleich an dieser Stelle eine sprachwissenschaftliche Einordnung vorgenommen wird, erfolgt die Darstellung immer unter konkretem Bezug zur beraterischen und therapeutischen Praxis.

Eng verbunden mit den Kommunikationsaspekten sind die Rollen und Beziehungen der beteiligten Akteure und Akteurinnen in Therapie und Beratung: Sie nehmen auf die Kommunikation Einfluss und umgekehrt hat auch die Kommunikation eine Rückwirkung auf sie. In dem Kapitel »Rollengestaltung und Beziehung von psychosozialen Fachkräften und Sprachmittlern/Sprachmittlerinnen in der Triade« (Friele u. Aumann) werden damit verbundene Fragestellungen und Prozesse der transkulturellen Verständigung behandelt, also: Wer nimmt im Gespräch welche Rolle ein und welche unterschiedlichen Erwartungen bestehen? Wie entsteht Beziehung und wie wirkt sich der Einbezug von Sprachmittelnden auf die Beziehungsdynamik aus? Die Behandlung der Fragestellungen erfolgt unter Einbezug der Auseinandersetzung, wie die Subjektivität der Sprachmittelnden gewinnbringend in die Prozesse von Beratung und Therapie eingebracht werden kann.

Anschließend folgen Hinweise für die Praxis (Kleefeldt, Zito u. Hadzic), die – aus langjährigen Erfahrungen gewonnen – als fundierte Orientierungshilfe dabei unterstützen, gute Voraussetzungen für eine professionelle Psychotherapie und Beratung unter Einbezug von Sprachmittelnden zu schaffen. Die Orientierungshilfe umfasst konkrete, die Sitzung betreffende organisatorische Empfehlungen, wichtige generelle Vorabinformationen für Sprachmittelnde, praxisnahe Beschreibungen zu Inhalt und Ablauf von Vor- und Nachgesprächen sowie die praktische Gestaltung der Sprachmittlung in den Therapie- und Beratungsgesprächen. Zahlreiche Beispiele helfen, Abläufe und Vorgehensweisen greifbar und so auf den eigenen Arbeitskontext übertragbar zu machen.

Die Besonderheiten der Alltagspraxis sind auch im abschließenden Kapitel elementar: Unter Rückbezug auf zentrale Themen der vorangegangenen Kapitel werden häufig auftretende Spannungsfelder in dem erweiterten Setting dargestellt (Schriefers). Diese beziehen sich unter anderem auf die unterschiedlichen Rollen der Beteiligten, die Herausforderungen der Passung sowie die Dynamiken auf emotionaler oder Beziehungsebene, die im Einzelfall in der komplexen Therapie- oder Beratungssituation zu Komplikationen führen können. Auch die Besprechung von Herausforderungen mit schwer traumatisierten Menschen und die Besonderheiten im Einsatz von Sprachmittlern/Sprachmittlerinnen in der Therapie mit Kindern haben hier ihren Platz. Über die reine Darstellung der für dieses Setting typischen Konfliktsituationen hinaus wird gezeigt, welche Möglichkeiten des Umgangs mit diesen Situationen zur Verfügung stehen und wie sie als Potentiale im Sinne einer gelingenden Psychotherapie oder Beratung nutzbar gemacht werden können.