Sweet Kiss - Finny Ludwig - E-Book
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Sweet Kiss E-Book

Finny Ludwig

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Beschreibung

»Sweet Kiss«-Sammelband: 3 romantische Liebesgeschichten in einem Sammelband (1-3) - inkl. BONUSSTORY! Im Sammelband beinhaltet: Band 1: Kekse Küsse Mühlenzauber Band 2: Freunde Küsse Liebeszauber Band 3: Fremde Küsse Winterzauber inkl. BONUSSTORY: Sehnsucht Küsse Lichterzauber Kekse Küsse Mühlenzauber (Sweet Kiss 1) Ein herzerwärmender, kalorienreicher Kurzroman und eine romantische Liebesgeschichte voller süßer Versuchungen. Mitreißend und gefühlvoll beschreibt Finny Ludwig den Weg des Neubeginns und der unerwarteten Begegnung mit der Liebe! … »Können Träume wirklich wahr werden? Begleite die sympathische Konditorin Viktoria auf ihrem Weg, ihren großen Traum zu verwirklichen. Kannst du den Duft der köstlichen Leckereien schon riechen? Öfnne die Tür zur alten Mühle, tritt ein und lass dich verzaubern.« … Freunde Küsse Liebeszauber (Sweet Kiss 2) Der zweite Liebesroman der romantischen und mitreißenden Sweet Kiss Kurzroman Reihe. Finny Ludwig beschreibt gefühlvoll die Geschichte einer Freundschaft, die durch einen Kuss nicht nur auf die Probe, sondern auch auf den Kopf gestellt wird. … »Das darf doch nicht wahr sein! Ein Kuss, und plötzlich ist alles anders? Ein Kuss, und die Freundschaft ist ruiniert? Ein Kuss, und die Welt steht Kopf? Ein Kuss, und dein Herz ist für immer verloren …« … Fremde Küsse Winterzauber Sweet Kiss 3 Im dritten Teil dieser Serie beschreibt Finny Ludwig eine schicksalshafte Begegnung, die das Leben zweier Menschen völlig auf den Kopf stellt. … »Ablenkung kommt Eva gerade recht! Sie freut sich darauf, bei ihrer Freundin Vicky in der alten Mühle auszuhelfen, und ist dadurch nicht mehr ständig versucht an ihre Bewerbung zu denken. Mit der Stelle als Chef-Patissier in einem Luxushotel in Dubai würde ihr größter Traum endlich in Erfüllung gehen. Oder haben sich ihre Träume seit der schicksalhaften Begegnung mit dem Fremden im Wald womöglich geändert? Der Kuss war aber auch zu süß …!« … Sammelband, inkl. der BONUSSTORY: »Sehnsucht Küsse Lichterzauber«

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Finny Ludwig

 

SWEET KISS

Sammelband 1-3

 

3 romantische Liebesgeschichten in einem Band

 

Band 1

Kekse Küsse Mühlenzauber

 

Band 2

Freunde Küsse Liebeszauber

 

Band 3

Fremde Küsse Winterzauber

 

Inkl. der Bonusstory

Sehnsucht Küsse Lichterzauber

MEHR VON FINNY LUDWIG

 

 

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ZEHN

EPILOG

IMPRESSUM

ROMANE VON FINNY LUDWIG

 

Finny Ludwig

 

Kekse

Küsse

Mühlenzauber

 

Sweet Kiss

- 1 -

 

Liebesroman

 

 

Text Copyright © 2019 Finny Ludwig

Lektorat: Dorothea Kenneweg | Lektorat-fuer-autoren.de

Korrektorat: SKS Heinen | sks-heinen.de

 

- Menschen sind unverwechselbare Originale –

Finny & Ludwig

KEKSE KÜSSE MÜHLENZAUBER

 

 

Viktoria Beck träumt schon viele Jahre davon: ein eigenes Café. Schließlich ist Backen nicht nur ihr Beruf, sondern auch ihre Leidenschaft. Dem Zauber der alten Mühle kann sich die sympathische Konditorin daher nicht entziehen, denn es ist der perfekte Ort, an dem sie ihre Träume wahr werden lassen kann. Sie wagt den großen Schritt und fühlt sogleich, dass das alte Gemäuer ihr eine neue Heimat ist und ein neuer Lebensabschnitt begonnen hat. Mit neu gewonnenen Freunden an ihrer Seite und einem florierenden Geschäft scheint ihr Glück perfekt – bis sie an einem Abend längst verdrängte Erinnerungen einholen.

 

Leonard Hofer ist skeptisch. Seine Familie vertraut einer unbedarften, kleinen Konditorin ihre alte Mühle an. Werden sie mit dieser Entscheidung das Vermächtnis seiner Großmutter weiterhin bewahren können? Als er selbst in den Genuss von Viktoria Becks Backkünsten kommt, legen sich seine anfänglichen Zweifel. Die süße Versuchung lockt ihn immer wieder in die alte Mühle, bis er einer Versuchung zu viel nachgibt – und einen Korb von Vicky erhält. Gibt es einen anderen Mann? Wer ist es? Etwa sein Bruder David? Leonard ist sich sicher, dass es noch mehr gibt, was sie vor ihm verbirgt.

PROLOG

 

 

Wärmende Sonnenstrahlen fielen durch das bunt gefärbte Laub der Baumwipfel. Die angenehme Ruhe, die im Wald herrschte, wurde lediglich durch das leise Knacken von Ästen und das Rascheln von Blättern unterbrochen – verursacht von Vickys wenig geländetauglichen, dafür aber hochglanzpolierten Lack-Halbschuhen.

Sie hielt inne, blickte zum Himmel und sog jeden einzelnen Sonnenstrahl in sich auf, den sie erhaschen konnte.

Vicky genoss diese Jahreszeit. Die Wälder wurden bunter. Das Klima wurde rauer. Die dicken Winterjacken durften wieder aus dem Schrank geholt werden und man war nie davor gefeit, dass mit dem nächsten Wetterumschwung die ersten Schneeflocken fielen. Dann nämlich kam die Jahreszeit, die Vicky liebte – die Vorweihnachtszeit. Die kitschige Dekoration wurde vom Speicher geholt. Man konnte melancholisch sein und den ganzen Tag alte Weihnachtslieder rauf und runter spielen. Und in ihrer Küche roch es köstlich nach frisch gebackenen Plätzchen. Allerdings roch es in ihrer Küche immer köstlich. Schließlich war sie Konditorin.

Und bis Weihnachten waren es nur noch zehn Wochen.

So gerne sie auch an die Weihnachtszeit dachte, so ungewiss war das, was vor ihr lag. In den letzten Monaten hatte sie mehr Turbulenzen erlebt, als ihr lieb war. Angefangen beim aufdringlichen Verhalten ihres Chefs, das sie über viele Monate erduldet hatte. Vor einigen Wochen hatte er die Grenze überschritten und war während einer Nachtschicht über sie hergefallen.

Unter diesen Umständen konnte sie auf keinen Fall länger für ihn – Clemens Brockmann, den renommiertesten und national berühmtesten Konditormeister – arbeiten. Sie hatte sofort fristlos gekündigt.

Doch all ihre Bemühungen, einen neuen Job zu finden, der sie forderte und in dem sie all ihre Talente und ihr Können verantwortungsvoll einbringen konnte, scheiterten ebenso kläglich, wie es ihr unmöglich war, den Übergriff zu vergessen. Und dabei war sie nachweislich eine der talentiertesten Konditorinnen der Nation. So stand es jedenfalls auf der Urkunde der Konditoreninnung, die sie im Jahr zuvor erhalten hatte und die ihr bescheinigte, sämtliche Zusatzqualifikationen mit Auszeichnung bestanden zu haben. Doch bei allen Gesprächen wurde ihr attestiert, dass sie überqualifiziert für die zu besetzenden Stellen war. Insgeheim hatte sie schon immer davon geträumt, einmal ihr eigenes Café zu eröffnen. Die Überlegung, sich selbstständig zu machen, lag daher auf der Hand.

Vicky deutete es als einen Wink des Schicksals, als ihr die Anzeige der alten Mühle in die Hände fiel. Sie hatte sofort gespürt, dass das alte Gemäuer etwas Besonderes war. Obwohl sie ihre Familie und ihre Freunde hierfür in Frankfurt würde zurücklassen müssen, war sie am frühen Morgen in ihren Wagen gestiegen und mehrere Hundert Kilometer in den Süden Deutschlands gefahren. Sie war erleichtert, dass ihre Eltern ihre Entscheidung unterstützten. Auch die wenigen Freunde, die ihr durch ihre bisherigen unmenschlichen Arbeitszeiten noch geblieben waren, bestärkten sie in ihrem Entschluss. Sie alle glaubten an sie und ihren Traum, wenngleich sie traurig darüber waren, dass so viele Kilometer zwischen ihnen liegen würden. Doch genau diese Distanz brauchte Vicky jetzt. Vielleicht fiel es ihr dann leichter, Clemens Brockmann und diese eine schreckliche Nacht zu vergessen.

Zu dumm nur, dass es wohl noch weitere Interessenten für die Immobilie gab. Da sie in ihrer Aufregung am Morgen viel zu früh aufgebrochen war, war sie auch viel zu früh an ihrem Ziel angekommen.

Dadurch bot sich ihr jedoch die Möglichkeit, einen Blick auf das Paar zu werfen, das in einem schicken Sportwagen zur Besichtigung vorgefahren kam. Es schien äußerst unwahrscheinlich, dass diese Leute mit der alten Mühle dieselben Pläne verfolgten wie sie. Das extravagante Auftreten der beiden wirkte an diesem Ort unpassend, ja geradezu grotesk.

Das abschätzige Naserümpfen der Frau beim Blick auf das wunderschöne alte Gebäude vermittelte den Eindruck, dass sie sich in dieser Umgebung nicht wohlfühlen würde.

Vicky hingegen malte sich anhand der Fotografien schon seit Tagen aus, wie sie alles gestalten würde, welche Produkte sie vertreiben und welche Köstlichkeiten sie backen würde. In ihrer Fantasie lebte sie bereits in der kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung im Obergeschoss und wartete darauf, dass der Wecker für sie klingelte, um sich an die Arbeit zu machen.

Die Wartezeit bis zu ihrem Termin mit dem Immobilienmakler wollte sie sinnvoll nutzen und sich die nähere Umgebung genauer ansehen. Sie folgte dem asphaltierten Weg hinter der Mühle, der sie zunächst am Waldrand entlangführte, vorbei an zahlreichen Wiesen und Feldern. Auf ihrem Weg entdeckte sie auch einen wunderschönen Gutshof in der Ferne und vermutete, dass die Mühle zu diesem imposanten Anwesen gehörte.

Ein undefinierbares Geräusch, es hörte sich beinahe an wie ein Grunzen, riss Vicky aus ihren Gedanken. Erschrocken schaute sie sich um und hoffte sogleich, ihre Augen würden ihr einen Streich spielen. Doch das riesige Wildschwein am anderen Ende des Waldweges war real. So real, dass sie es umgehend mit der Angst zu tun bekam. Wie gut standen ihre Chancen auf eine erfolgreiche Flucht? Konnten Wildschweine eigentlich schnell rennen?

Ein weiteres Geräusch unweit von ihr ließ Vicky aufhorchen. Sie sah einen großen Mann mit Gewehr und Hund auf sich zukommen. Hatte er dieses monströse Wildschwein nicht gesehen? Sollte sie ihn vor dem Tier warnen? Er trug eine Waffe, vermutlich wüsste er sich also zur Not zu helfen.

Oh Gott. Er trägt eine Waffe. Erschreckende Szenen spielten sich vor ihrem inneren Auge ab. Schon einmal war sie in eine vermeintlich ausweglose Situation geraten. Damals hatte sie sich retten können. Dieses Mal sah sie sich gleich mit zwei Kontrahenten konfrontiert. Einem bewaffneten und einem sehr haarigen.

Der Mann kam immer näher. Er war groß und trug eine schwarze Wollmütze. Seinen Schal hatte er bis zu den Mundwinkeln nach oben gezogen. Seine Kleidung war dunkel und robust.

Ein weiteres Grunzen lenkte Vickys Aufmerksamkeit wieder auf das tierische Problem, ehe sie erkannte, dass der Fremde sie zwischenzeitlich beinahe erreicht hatte. Sein Hund lief neben ihm her und knurrte das Wildschwein schon von ferne an. Als der Mann schließlich neben Vicky stehen blieb und langsam den Arm hob, war es um sie geschehen. Vor Angst zitternd, begann sie laut zu schreien und rannte, so schnell es ihr ihre unsportlichen Beine erlaubten, davon. Er folgte ihr nicht – doch ein laut hallender Schuss dröhnte in ihren Ohren.

 

*

 

Leonard Hofer saß in seinem Geländewagen. Er warf einen Blick in den Rückspiegel, wo das tote Wildschwein auf der Ladefläche lag. Er war sauer – richtig sauer.

Was hatte dieses hysterische Frauenzimmer in ihren Lackschühchen in seinem Wald zu suchen? Hatte sie sich verlaufen? Und jetzt, da sie einfach davongerannt war, musste er womöglich auch noch nach ihr suchen?

Ein Blick auf seine Uhr verriet ihm, dass er für seinen Termin in der alten Mühle schon wieder einmal viel zu spät dran war. Aber vielleicht hatte dort jemand die Fremde gesehen. Dann hätte sich dieses Problem wenigstens gelöst.

Er stellte seinen Wagen auf dem Parkplatz ab und bedeutete seinem treuen Weggefährten Caruso, dort zu warten. Der Labrador-Retriever-Mischling folgte ihm aufs Wort, sah ihm jedoch traurig hinterher.

Das Rad seiner Mutter lehnte an der Hauswand und durch das Fenster konnte er seine beiden Geschwister entdecken: David und Ellen. Neben ihnen stand Frank Lindner, ein guter, alter Freund der Familie. Der einstige Schulkamerad seiner Eltern stand ihnen schon viele Jahre als Immobilienmakler mit Rat und Tat zur Seite und hatte sich der alten Mühle angenommen.

Fehlten nur noch die eigentlichen Interessenten, zu denen vermutlich dieser aufgemotzte Sportwagen gehörte, der gleich zwei Parkplätze für sich beanspruchte. Dessen Besitzer konnte Leonard bisher nicht ausmachen.

Sobald er durch die hölzerne Eingangstür eingetreten war, zog er seine Mütze vom Kopf und öffnete seine Jacke. Zielstrebig steuerte er seine Mutter an und küsste ihre Wange.

»Du bist zu spät«, flüsterte sie ihm ein wenig anklagend ins Ohr. Seine Mutter wusste, dass er stets die Zeit vergaß, wenn er im Wald unterwegs war.

»Entschuldige bitte.« Er drückte kurz ihre Hand, schaute sich suchend nach den Interessenten um und wandte sich an seine Geschwister. »Und? Kommen die Leute infrage?«

Ellen und David traten einen Schritt auf Leonard und ihre Mutter zu. »Am besten, du hörst es dir selbst an«, meinte David und deutete zum Nebenraum.

Leonard hörte fremde Stimmen, doch ehe er sich in Bewegung setzen konnte, um sich das Paar genauer anzusehen, kehrten die beiden bereits in den großen Gastraum zurück.

»… und dann reißen wir die Wand ein und diese dort drüben auch. Ach was sag ich: Das ganze Interieur müsste raus. Ich sehe auch schon die Lichtinstallationen und die Edelstahlelemente vor mir. Auch dieser Boden«, der Mann im Anzug stampfte kurz mit den Beinen auf den Jahrhunderte alten Steinboden. »Der müsste auf jeden Fall auch erneuert werden.«

Die Blondine an seiner Seite nickte zustimmend und kräuselte beim Blick auf die alte Kommode im Gastraum ihre rot geschminkten Lippen.

»In Ordnung. Und wer von Ihnen würde die Backstube betreiben und für die Bewirtung der Gäste sorgen?« Leonard ahnte bereits, worauf die beiden Interessenten abzielten.

»Um Gottes willen. Wir stehen doch nicht selbst hier im Laden.« Die Frau im Pelzmantel starrte Leonard entrüstet an. »Wir besitzen zahlreiche Cafés in den umliegenden Städten und arbeiten mit den besten Bäckereien zusammen. Hier muss niemand mehr selbst backen.«

Leonard wusste, dass sich ein reines Café in dieser Gegend nicht rechnen würde. Daher mutmaßte er, dass die Stadtmenschen von dem Golfplatz erfahren haben mussten, den ein Hotelmagnat in der Nähe der Mühle zu bauen beabsichtigte. Allerdings, da war er sich sicher, würden diese Pläne nie umgesetzt werden. Dafür wären nämlich Grundstücke seiner Familie notwendig. Und die Hofers würden ihr Land nie freiwillig hergeben.

David schüttelte resigniert den Kopf und blickte zu seinem älteren Bruder. »Verstehst du jetzt, was ich meine?«

»Es wird Zeit, dass wir den Spuk hier beenden.« Leonard setzte sich auf einen der alten Tische und ließ seine Beine baumeln. Ein Blick in die Gesichter seiner Familie verriet ihm, wie wenig begeistert sie von der Vorstellung waren, dass in diesen alten Gemäuern ein modernes Fließbandcafé entstehen sollte.

»Herr Lindner«, sprach er Frank betont förmlich an, obwohl er doch schon seit seinen Kindertagen zu den engsten Freunden der Familie zählte, »wir haben uns entschieden, die Mühle nicht an Ihre Klienten zu verpachten.«

Frank atmete erleichtert auf, ließ sich den Interessenten gegenüber jedoch nichts anmerken.

»Nun, Sie haben es gehört, Herr Kaminski. Familie Hofer hat sich entschieden.«

»Aber das ist doch …« Der Maßanzug des Mittvierzigers schien beinahe aus seinen Nähten zu platzen, als dieser sich aufplusterte und sein Gesicht die Farbe einer Tomate annahm. »Das ist ja wohl die Höhe. Wie können Sie es wagen? Wir haben Ihnen ein mehr als faires Angebot gemacht.«

Leonard schmunzelte. »In Anbetracht der Pläne zu dem neuen Golfplatz wäre ich an Ihrer Stelle mit dem Wort fair ein wenig vorsichtiger.«

»Ich … Ich …« Hilflos blickte sich der Mann um, doch auch seine Frau schien wie vom Donner gerührt. Aufgebracht setzte er zum Rückzug an. »So etwas ist mir ja noch nie passiert. Komm, Liebling, wir gehen.« Ehe er aus der Tür verschwand, drehte er sich noch einmal zu dem Immobilienmakler um. »Und mit Ihnen sind wir fertig. Wir werden uns nach einem kompetenteren Makler umsehen.« Er zog seine Frau hinter sich her und ließ die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss fallen.

»Die sind wir los.« Leonard klatschte in die Hände und stieß sich vom Tisch ab. »Oma hatte im Küchenschrank immer noch eine Geheimration Kräuterschnaps. Möchte jemand einen?« Sämtliche Hände schossen in die Höhe und Leonard trottete in die Küche, die an das Ladenlokal anschloss.

Während er die Schränke durchstöberte, öffnete sich die Eingangstür erneut und eine junge Frau trat ein. Sie wirkte nervös und auch ein wenig verstört. Ihre langen braunen Haare waren zerzaust, Laub hatte sich darin verfangen. Und an ihren polierten Lackschuhen klebten Dreckklumpen.

 

*

 

»Entschuldigen Sie bitte die Störung. Mein Name ist Viktoria Beck. Ich habe hier einen Termin mit Herrn Lindner.«

Ein stattlicher Mann mit grauen Schläfen im noch vollen Haar trat auf sie zu, reichte ihr die Hand und stellte sich Vicky als Frank Lindner vor.

»Frau Beck, sehr angenehm.« Er bat sie, weiter einzutreten, und deutete zu den Personen, die sich ebenfalls im Raum befanden. »Darf ich Sie auch gleich mit Familie Hofer bekannt machen? Familie Hofer gehört dieses Anwesen und sie suchen nach guten Händen, in die sie dieses historische Gebäude übergeben können.«

Vicky nickte Familie Hofer zu, dann begannen ihre Augen zu leuchten, als sie sich langsam drehte und sich ein erstes Mal umsah. Sie hatte selten einen Raum mit so viel Charme gesehen. Allein die alte Einrichtung hatte es ihr sofort angetan. Wenn es die Liebe auf den ersten Blick gab, dann erlebte sie sie in diesem Moment.

»Leo, kannst du mal kurz kommen.« Die jüngere der beiden Frauen – Vicky schätzte sie ein wenig älter als sie selbst ein – rief in den Nebenraum.

Vickys Blick folgte dem Geklapper, das von dort zu ihnen drang. Als eine dunkle Gestalt im Türrahmen erschien, hörte ihr Herz für einen Augenblick auf zu schlagen. Sie musste in eine Art Schockzustand gefallen sein, denn sie konnte sich keinen Millimeter bewegen. Nicht einmal, als der Mann auf sie zukam und dicht vor ihr stehen blieb.

»Sie? Was um alles in der Welt haben Sie sich dabei gedacht, einfach loszurennen? Das Wildschwein hat postwendend zur Jagd auf Sie angesetzt.« Er sah wütend aus. »Nun?«

»I-ich …«

Plötzlich dämmerte es Vicky, dass sie es nicht mit einem Gewaltverbrecher zu tun gehabt hatte, sondern nur mit einem kaltblütigen Tierkiller, dem sie an diesem Tag in die Quere gekommen war.

»Ist Ihnen schon einmal in den Sinn gekommen, dass ich nicht vor dem Tier, sondern vor Ihnen geflüchtet sein könnte?«

»Was? Vor mir?« Der grimmige Kerl wirkte jetzt verwirrt.

»Wie würden Sie sich fühlen, wenn eine wildfremde, vermummte Person im Wald auf sie zukommt und noch dazu bewaffnet ist? Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wie viel Angst ich hatte?«

»Sie hatten Angst vor mir und nicht vor dem Wildschwein?«

»Natürlich hatte ich auch vor dem Wildschwein Angst, aber das hätte mich wenigstens nicht erschießen können.«

»Lasst mich raten. Ihr seid euch schon einmal begegnet.« Die ältere der beiden Frauen trat zu dem Mann und legte ihre Hand auf seine Schultern. »Frau Beck, glauben Sie mir: Mein Sohn würde Ihnen nie ein Leid zufügen.«

Das war also Frau Hofer. Der unliebsame Tierkiller war demnach ihr Sohn und die beiden anderen, die vor sich hin grinsten, seine Geschwister.

Er schien noch etwas hinzufügen zu wollen, doch seine Mutter kam ihm zuvor und bat ihn, für Vicky ein weiteres Schnapsglas aus dem Küchenschrank zu holen.

 

EINS

 

 

Vicky sank erschöpft auf die Bank, die vor der alten Mühle stand, und blickte zum Wald. Die Sonne ging langsam unter und tauchte die Umgebung in wundervolles rotes Licht.

Die letzte Woche war stressig gewesen. Sie hatte ihre Wohnung gekündigt, ihren Umzug organisiert, mit der Bank noch ein paar Einzelheiten geklärt, neues Interieur für ihre Backstube gekauft und allerhand kleine, dekorative Veränderungen in dem Haus vorgenommen, das von nun an ihr Zuhause sein würde. Heute waren endlich ihre Möbel gekommen, und nun konnte sie erstmals in ihrem neuen Heim übernachten und musste nicht mehr zur Pension ins zwei Kilometer entfernte Dorf zurück pendeln.

Die meisten ihrer Schränke hatte sie bereits eingeräumt. Kunststück – so viel besaß sie nun auch wieder nicht. Ein Großteil davon waren Küchenutensilien, die sie schon Tage zuvor mit ihrem eigenen Wagen hierher mitgebracht hatte.

Ellen trat aus dem Haus und reichte ihr ein Glas Sekt. »Ich finde, wir sollten anstoßen. Worauf willst du trinken?«

Vicky hatte in Ellen Hofer eine wahrhaft Verbündete gefunden, die Süßes ebenso liebte wie sie selbst. Leider besaß ihre neue Freundin keinerlei Talent, was die Herstellung ihrer liebsten Speisen anbelangte.

»Darauf, dass ich hier nicht nur ein Zuhause gefunden habe, sondern auch ganz liebe Menschen.«

»Redest du von mir?« David trat ebenfalls aus dem Haus und ließ sich neben Vicky auf die Bank fallen. »Deine Waschmaschine sollte jetzt funktionieren. Ich habe jedenfalls mein Bestes gegeben.«

»Ich danke dir.« Vicky lächelte ihn an. Auch David hatte sich in den letzten Tagen als Freund erwiesen und sie bei allerhand schwerer Arbeit unterstützt. Na gut, Leonard Hofer war auch stets dabei gewesen, doch seine Laune ihr gegenüber schien sich nach dem Wildschwein-Vorfall noch nicht gebessert zu haben. Ihre aber auch nicht.

»Soll ich dir auch ein Glas Sekt holen?« Ellen schien bereits auf dem Sprung, doch David verzog das Gesicht.

»Das scheint mir doch eher ein Damengetränk zu sein.« Er zwinkerte Vicky zu. »Eine Ladung Schokocookies wäre mir lieber.«

Vicky lachte herzhaft. »In der Küche sind noch welche. Bedien dich!«

Begeistert machte sich David auf den Weg in die Küche, nur um wenig später mit einer leeren Keksdose zurückzukommen. »Sag mir bitte, dass du noch ein weiteres Versteck hast.« Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben.

»Das ist ja seltsam. Ich war mir sicher, ich hätte heute Mittag noch welche gehabt.« Sie grübelte. Der Einzige, der sich kurzzeitig alleine in der Küche aufgehalten hatte, war Leonard, der auf dem alten Küchentisch eine neue Arbeitsplatte befestigt hatte. Hatte ausgerechnet er, der ihr gegenüber äußerst wortkarg und kurz angebunden war, sich tatsächlich an ihren Keksen vergriffen?

»Weißt du was? Ich back dir heute Abend noch eine Ladung frische Cookies. Einverstanden?«

»Jetzt gleich?« Davids Begeisterung legte sich, als er Vickys bedauernde Miene erblickte.

»Ich muss noch einige Unterlagen für die Termine mit den Zulieferern durchgehen.« David tat ihr beinahe schon leid, doch sie freute sich, dass er innerhalb dieser kurzen Zeit so begeistert von ihrem Gebäck war. »Ich mache sie fertig und hänge sie dir morgen früh, bevor ich losgehe, an die Haustür.«

Ellen trank den letzten Schluck Sekt aus ihrem Glas. »Um Gottes willen. Um welche Uhrzeit willst du denn morgen los?«

»Ich möchte spätestens um halb fünf losfahren.« Auch Vicky nippte erneut an ihrem Glas.

»Willst du den Bauern vor den Gesprächen noch im Stall helfen oder weshalb fährst du so früh?« David pickte mit den Fingern die letzten Krümel aus der Keksdose.

»Die Termine mit den Bauern sind erst nachmittags. Bis dahin muss ich wieder zurück sein.« Ein schwärmerisches Lächeln umgab ihren Mund. »Ich habe einen Händler aufgetan, der exklusiven Kaffee, Tee und Kakaobohnen vertreibt. Leider ist er nicht gerade hier um die Ecke. Doch für diese Verkostung nehme ich mir gerne die Zeit.«

»Dann steht dir morgen aber ein stressiger Tag bevor.« David nahm Vicky das Sektglas aus der Hand und trank es leer. »Dann nehme ich doch den Sekt und erlasse dir die Cookie-Nachtschicht.«

»Oh, wie edel mein Bruder doch sein kann.« Ellen nahm die leeren Gläser und trug sie in die Küche. Vicky und David folgten ihr, wobei Vickys Gäste kurz darauf in ihre dicken Daunenjacken schlüpften und sich von ihr verabschiedeten.

Die alte Wanduhr zeigte beinahe neunzehn Uhr an. Draußen war es bereits dunkel und Ruhe war in dem alten Gemäuer eingekehrt. Gut gelaunt ging Vicky auf ihr Küchenradio zu und ließ sich mit den aktuellen Charts beschallen. Eigentlich hätte sie oben in der Wohnung die Dokumente zusammenstellen sollen, doch für David Schokokekse zu backen, erschien ihr in diesem Augenblick wichtiger. Für alles Weitere hatte sie später noch genügend Zeit.

Tanzend bewegte sie sich durch die Küche und zog von überall her die Zutaten für ihr Rezept hervor. Nach und nach wurde alles miteinander vermengt und je näher sie ihrem Ergebnis kam, umso lauter sang sie die Liedtexte mit und umso mehr bewegte sie ihre Hüften dazu. Als das Einfüllen der Schokodrops zeitgleich mit einem aktuellen Popsong endete und ihr Applaus gezollt wurde, fuhr sie erschrocken herum und stieß dabei gegen den Mehlsack. Noch ehe das Mehl den unerwarteten Besucher komplett einhüllen konnte, identifizierte sie ihn als Leonard Hofer.

»Was denken Sie sich eigentlich dabei, sich heimlich hier in die Küche zu schleichen?« Vicky wusste, dass es der Schreck war, der sie so aufgebracht reagieren ließ. Doch zu einer besonneneren Reaktion war sie nicht in der Lage. Energisch trat sie an die Küchenzeile und beendete den nächsten Popsong, der aus den Lautsprechern dröhnte.

»Ich habe geläutet und ich habe geklopft.« Leonard reagierte eingeschnappt nach ihrer schroffen Begrüßung. »Hätten Sie Ihre kleine Disco ein wenig leiser veranstaltet, hätten Sie mich auch gehört.«

»Das gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, hier einfach so einzudringen und mich zu Tode zu erschrecken.«

»Für eine Tote haben Sie aber noch ein recht lautes Organ. Seien Sie einfach kurz ruhig und hören Sie mir zu.«

Fassungslos blickte Vicky ihn an. Hatte er ihr tatsächlich gerade den Mund verboten? »Unterstehen Sie sich, mir …« Weiter kam sie nicht, denn Leo unterbrach sie.

»Ich sagte doch, Sie sollen mir nur kurz zuhören. Ist das zu viel verlangt?«

Beleidigt verschränkte Vicky die Arme vor ihrer Brust und wartete darauf, dass Leonard Hofer weitersprach.

»Na also. Es geht doch«, fuhr er unbeirrt fort.

Vicky warf ihm einen unheilbringenden Blick zu.

»Der Bauer vom Sternhof hat mich angerufen. Anscheinend funktioniert Ihr Telefonanschluss noch nicht. Er lässt Ihnen ausrichten, dass der Termin für morgen auf elf Uhr vorverlegt werden muss, weil …«

»Aber das geht nicht. Ich kann unmöglich um elf Uhr schon wieder hier sein. Dann müssen wir es auf übermorgen verlegen.« Vicky blickte nachdenklich auf den Terminplan, der auf der Küchenanrichte lag. Die nächsten Tage waren komplett ausgebucht. Sie musste mit all ihren Zulieferern sprechen und die Verträge fertig machen, wenn sie tatsächlich in zehn Tagen eröffnen wollte.

»Das geht nicht, weil die Freymanns auf die Landwirtschaftsmesse fahren und erst in drei Tagen zurückkommen.« Leonard klopfte das Mehl von seiner Jacke ab und strich sich über das Gesicht.

»Und was mach ich jetzt?« Vicky lehnte sich gegen die Anrichte und schaute ihn an, als ob er ihr eine Lösung bieten könnte. Und in der Tat zeigte sich ihr Verpächter äußerst hilfsbereit.

»Wenn Sie möchten, kann ich morgen mit ihm sprechen. Ich kenne Albert ziemlich gut. Sagen Sie mir einfach, wie genau Sie sich Ihre Kooperation vorstellen, und ich sehe, was ich für Sie tun kann. Die vertraglichen Details können Sie dann immer noch mit ihm besprechen.« Seine Worte klangen beiläufig, während er sich den Mehlstaub von seinen Kleidern klopfte.

»Weshalb sollten Sie das für mich tun?« In Vickys Blick lag eben so viel Skepsis wie in ihrer Stimme.

»Ich tue das nicht für Sie. Ich tue es für mich.«

»Wie darf ich das nun wieder verstehen?«

»Die alte Mühle war uns als Kinder immer genauso ein Zuhause wie das große Gut unseres Vaters. Wir haben hier wunderschöne Zeiten mit unserer Großmutter erleben dürfen. Und uns allen liegt viel daran, dass das, was sie einst begann, auch in ihrem Sinne fortgeführt wird. Sie war eine hervorragende Köchin, eine begnadete Bäckerin und eine umsorgende Gastgeberin. Jeder im Dorf liebte Oma Henriette und jeder war ihr willkommen. Die Menschen vermissen sie, ebenso wie wir sie vermissen. Sie ist nun schon über ein Jahr tot – weshalb, glauben Sie wohl, haben wir die Mühle bis jetzt nicht verpachtet? Glauben Sie mir, an Interessenten hat es sicher nicht gemangelt.«

»Und Sie sehen in mir eine ebenso gute Gastgeberin?« Vicky war beinahe gerührt von dem Vertrauen, das er ihr anscheinend entgegenbrachte. Doch die Seifenblase zerplatzte sogleich.

»Um eines klarzustellen: Meine Familie hat sich für Sie entschieden, nicht ich. Aber ich werde ihre Entscheidung mit allen Konsequenzen mittragen. Und wenn ich irgendetwas tun kann, um zum Erfolg der Mühle beizutragen, werde ich das tun. Überlegen Sie es sich also. Wenn Sie wollen, dass ich mit dem Sternhofbauer spreche, lassen Sie mir die nötigen Infos zukommen.«

Er trat nach vorne, um nach seinem Werkzeugkoffer zu greifen, den er dort offenbar vergessen hatte, was Vicky augenblicklich zurückweichen ließ.

»Sie knallen mir so einen Spruch an den Kopf und dabei haben Sie alle meine Kekse weggenascht.« Am liebsten wäre Vicky ihm an die Kehle gesprungen.

Leonard hatte hingegen nur ein Lächeln für Vicky übrig. Er nahm seinen Werkzeugkoffer, machte auf dem Absatz kehrt und stellte beim Verlassen der Küche noch nebenbei fest: »Ich habe nie gesagt, dass Sie nicht backen können.« Mit diesen Worten ließ er Vicky mit ihrem Teig allein zurück.

 

*

 

»Gib mir wenigstens einen ab.« Leonard und David kabbelten sich schon den ganzen Vormittag über, anstatt sich um die Belange des Gutshofes zu kümmern.

Die Aufgaben der beiden waren klar verteilt. Leonard war für die Finanzen zuständig und David für die Maschinen. Gemeinsam trugen sie dafür Sorge, dass der Betrieb reibungslos lief, und packten überall an, wo Hilfe benötigt wurde.

Genüsslich biss David in einen der Cookies, die am frühen Morgen in einem Säckchen an der Türklinke des Hauptgebäudes gehangen hatten.

»Ich weiß gar nicht, was du hast. Immerhin hast du einen Brief von Vicky bekommen. Und wer weiß, vielleicht bekomme ich die süßen Kekse, aber du die süßen Worte?«

»Werd nicht aufmüpfig, kleiner Bruder, sonst muss ich dich wieder einmal erziehen.« Leonard begann sich bereits die Ärmel hochzukrempeln, wo hingegen David sich ruhig in seinen Bürostuhl zurücksinken ließ.

»Du hast mich noch nie verprügelt und du wirst auch jetzt nicht damit anfangen.«

Das war richtig. Leonard hatte sich noch nie mit David geprügelt. Nicht einmal, als sie klein waren. Leonard, der vier Jahre älter war als David, hatte dies immer als unfair betrachtet. Ob es nur am Altersunterschied lag oder daran, dass David ihnen als kleines, hilfloses Bündel in Obhut überlassen worden war, wusste er nicht. Er wusste nur, dass er seinem kleinen Bruder geschworen hatte, ihn immer zu beschützen, ob sie nun blutsverwandt waren oder nicht.

»Was hat dir Vicky überhaupt geschrieben?«

»Gib mir einen Keks und ich verrate es dir.«

»Das ist Erpressung.«

»Willst du nun wissen, was drinsteht, oder nicht?«

David kramte in seiner Schüssel und griff nach dem kleinsten Keks, den er finden konnte. »Bitte.« Er reichte ihn über den Schreibtisch und forderte Leonard auf, ihm zu erzählen, was Vicky geschrieben hatte.

»Weshalb bekomme ich den kleinsten?« Die Empörung stand Leonard ins Gesicht geschrieben.

»Weil ich schwören könnte, dass du es warst, der gestern bei Vicky die ganzen Kekse gegessen hat. Du warst der Einzige, der unbeobachtet in der Küche zugange war.« David deutete auf den Brief. »Und jetzt lies endlich vor.«

Grummelnd öffnete Leonard den Brief und begann zu lesen.

»Leo, dein Bruder führt sich wieder einmal auf wie Sherlock Holmes. Vermutlich gibt er dir auch keinen der wundervoll, duftenden Schokocookies ab. Dabei sollten Brüder doch eigentlich teilen. Und …«

»Ha, ha. Sehr witzig.« David biss genüsslich in einen weiteren Keks, um seinem Bruder die Macht über die süße Backware zu demonstrieren. »Und jetzt bitte das Original.«

»Ist ja schon gut.« Leonard wollte seine Chancen auf einen weiteren Keks nicht schmälern und erklärte David, dass es sich bei dem Brief nur um Anmerkungen zum Gespräch mit Albert Freymann – dem Sternhofbauern – handelte.

»Wie unspektakulär. Jetzt habe ich sogar ein wenig Mitleid mit dir.«

»So viel Mitleid, dass ich noch einen von diesen Keksen bekomme?«

David lachte nur, stand auf und verließ das Büro – mit seinen Keksen –, während Leonard ihn nachäffte. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er noch ein wenig Zeit hatte, ehe er zum Landgut der Familie Freymann aufbrechen musste. So biss er genüsslich in seinen Keks und widmete sich wieder den Unterlagen auf seinem Schreibtisch.

 

*

 

Vicky hatte all ihre Termine erledigt und noch dazu beherbergte ihr Auto einen wahren Schatz an Kaffee, Tee und Kakaobohnen. Sie hatte kein gutes Gefühl, ihre Schätze im Wagen zurückzulassen, doch ihre Kräfte reichten nicht aus, um die schweren Kisten ins Haus zu transportieren. Sie benötigte unbedingt ein Hilfsmittel zum Bewältigen von schwereren Lasten. In den nächsten Tagen erwartete sie noch zahlreiche weitere Lieferungen, die sie allesamt nicht bewegen konnte. Sie brauchte einen Transportwagen.

Oder besser noch: eine Sackkarre.

Sie wollte sich gerade daranmachen, ihre letzten Umzugskartons auszupacken, als sie ein Klopfen an der Eingangstür hörte.

Erwartungsvoll ging sie die Treppen nach unten und öffnete die Tür. Vor ihr stand Leonard Hofer, der zur Abwechslung einmal nicht in Arbeitskleidung unterwegs war, sondern in modischen Jeans und Lederjacke vor ihr stand.

»So ganz ohne Mehl im Gesicht hätte ich Sie beinahe nicht erkannt und überhaupt: Seit wann klopfen Sie an?«

Mit solch einer schlagfertigen Begrüßung hatte Leonard nicht gerechnet. Sein Mund stand offen, doch seine Worte schienen keinen Ausgang zu finden. Er fing sich recht schnell wieder.

»Also erstens, ha, ha, ha, und zweitens gilt Ihr Vertrag eigentlich erst ab nächster Woche. Ich kann hier also noch jederzeit ein und aus gehen, wie es mir passt.« Ohne ein weiteres Wort trat er ein und schob sich an ihr vorbei in den kleinen Laden. Er drückte den Lichtschalter und legte ihr die Unterlagen vom Sternhof zur Durchsicht auf den Tisch.

Vicky setzte sich und runzelte nachdenklich die Stirn. Ehe sie die Unterlagen zu studieren begann, hob sie den Kopf und blickte Leonard ernst an. »Ich kann jederzeit wieder in die Pension ziehen, wenn Sie das möchten.«

»Seien Sie nicht kindisch.« Leonard setzte sich auf den freien Stuhl neben ihr. »Sie haben mit der ganzen Anklopfgeschichte angefangen. Lassen Sie uns lieber über das Angebot von Albert reden.« Er schob die Dokumente von Albert Freymann näher an sie heran. »Wobei, eine Frage hätte ich noch.«

»Und die wäre?« Vicky schwante nichts Gutes.

»Weshalb haben Sie David eine ganze Ladung Kekse gebacken?«

»Das war für seine Hilfe gestern.«

»Und habe ich Ihnen etwa nicht geholfen mit dem Küchentisch?«

»Moment.« Vicky stand entrüstet auf. »Sie haben doch schon alle Kekse aus der Vorratsdose stibitzt und für niemanden etwas übrig gelassen. Auch nicht für David.«

Er schien nach einer passenden Ausrede zu suchen, doch ehe er etwas erwidern konnte, überraschte ihn Vicky mit einem »Übrigens vielen Dank für Ihre Hilfe«.

»Gern geschehen, aber David hat viel mehr von den Schokocookies bekommen.«

Zum ersten Mal brachte er Vicky zum Schmunzeln. »Ich hätte eine Idee, wie Sie sich ein paar verdienen könnten.«

Nun wurde Leonard hellhörig. Er lehnte sich im Stuhl zurück, kniff die Augen zusammen und grinste. »Ich bin nicht so ein Mann.«

Normalerweise wäre Vicky von seiner zweideutigen Unterstellung peinlichst berührt gewesen. Doch ihrem Gegenüber saß eindeutig der Schalk im Nacken und ließ sie unvermittelt lautstark loslachen. »Eigentlich geht es um das Ausladen meines Wagens. Die Kisten sind mir zu schwer und ich habe im Schuppen nichts gefunden, womit ich es hätte transportieren können.«

»Das ist alles?« Er war ein wenig skeptisch. »Ich soll nur Ihren Wagen ausladen und bekomme dafür eine Ladung Kekse? Für mich ganz allein?«

»Was ist nur mit diesen Keksen? Sie sind gut, keine Frage. Aber ob sie so gut sind …?«

Er fiel ihr ins Wort.

»Sind sie, glauben Sie mir. Sind sie«, und für einen kurzen Augenblick schien die Anspannung zwischen ihnen vergessen. »Sollen wir uns zuerst um das Angebot kümmern oder den Wagen entladen?« Er tippte auf das Dokument auf dem Tisch.

»Vorschlag: Sie kümmern sich um den Wagen, und ich kümmere mich um die Kekse. Und während diese backen, gehen wir das Angebot durch.«

»Das hört sich vernünftig an.« Leonard war sofort aufgesprungen und rannte Vicky beinahe über den Haufen. »Wo sind die Autoschlüssel?«

»Die liegen oben an der Garderobe. Ich hol …«

»Kein Problem, ich kenn mich aus und hole sie selbst. Gehen Sie in die Küche und fangen Sie in Gottes Namen an zu backen.« Mit diesen Worten ließ er Vicky stehen und rannte nach oben.

Eine Viertelstunde später saßen sie wieder gemeinsam am Tisch und besprachen das Angebot. Vicky unterstrich die ihr wichtigsten Produkte, und er stellte sogleich fest, dass sie sehr auf die Herkunft und Herstellung bedacht war, denn sie plante, ausschließlich Bioprodukte in ihrem neuen Café mit Hofladen zu vertreiben.

Als der Duft aus der Küche immer deutlicher wahrzunehmen war, schwand Leonards Konzentration von Sekunde zu Sekunde und er wartete gespannt auf das Klingeln der Zeituhr.

»Sie scheinen nicht mehr ganz bei der Sache zu sein.« Vicky folgte seinem sehnsüchtigen Blick zur Küche.

»Ist das verwunderlich? Ich sterbe vor Hunger.«

»Es dauert noch ein paar Minuten. Danach sollten die Kekse allerdings ein wenig auskühlen. Halten Sie so lange durch?«

»Nein.«

Er sah so unglücklich aus, dass Vicky Mitleid mit ihm bekam. »In der Küche steht noch ein Zitronenkuchen. Nehmen Sie sich doch ein Stück.«

Vicky hatte kaum ausgesprochen, da war er schon von seinem Stuhl aufgesprungen und in die Küche gestürmt. Als sie ihm wenige Augenblicke später folgte, hatte er schon ein riesiges Stück Kuchen im Mund und kaute zufrieden.

»Schmeckt’s?«

Zeitgleich mit Leonards Nicken klingelte die Zeituhr und ließ seine Augen dadurch noch freudiger scheinen. Vicky war überrascht, wie handzahm er werden konnte, wenn es um süße Versuchungen ging.

Er gesellte sich zu ihr und blickte ihr über die Schulter, während sie den Backofen öffnete und einen prüfenden Blick auf die Cookies warf.

»Die sehen köstlich aus.«

Unbedacht legte er seine Hand auf Vickys Schulter, was sie sofort erstarren ließ.

Er musste ihr Unbehagen gespürt haben, denn er löste umgehend seine Hand von ihr.

»Entschuldigung.«

Bekümmert sah er sie an, doch sie starrte weiter in den Ofen. Unfähig, sich auf den nächsten Arbeitsschritt zu konzentrieren.

Leonard griff geistesgegenwärtig nach den Topflappen und bat sie, einen Schritt zur Seite zu gehen. Er nahm das heiße Backblech und stellte es auf den Küchentisch, während sie noch immer stumm vor dem Backofen stand und ihn bei seinem Tun beobachtete.

»Die Kekse sehen genauso gut aus, wie sie riechen.«

Er blickte weiterhin verunsichert drein und versuchte, sich erneut bei ihr zu entschuldigen »Vicky, ich wollte Sie nicht …«

Sie sah seine schuldbewusste Miene und es lag ihr fern, seine harmlose Berührung auf die gleiche Stufe zu stellen wie die von Clemens Brockmann. Doch seit diesem Erlebnis hatte sie so ihre Probleme mit unverhofftem Körperkontakt. Sie zwang sich zu einem Lächeln, nahm ihm die Topflappen aus der Hand und stürzte die Kekse auf ein Gitter.

»So kühlen sie schneller aus.« Sie machte eine kurze Pause, ehe sie bemüht locker weitersprach. »Essen Sie doch solange noch etwas vom Zitronenkuchen.«

Sie schnitt ein weiteres Stück vom Kuchen herunter. Dann brach sie sich selbst etwas davon ab und reichte ihm den Rest. Schweigend lehnten sie am Küchentisch und genossen den Kuchen, während sie darauf warteten, dass die Kekse auskühlten.

Vicky sagte nichts, weil sie in Anbetracht der Situation gerne alleine gewesen wäre, und Leonard, weil er vermutlich mit der Situation nicht umzugehen wusste.

Er mühte sich, das eisige Schweigen zu unterbrechen, indem er fragte: »Kann ich schon einen probieren?«

»Die sind doch noch heiß.«

»Nur einen.«

»Bitte.« Vicky ging einen Schritt zur Seite. »Wenn Sie sich unbedingt verbrennen möchten.«

Freudig griff er nach einem Keks, nur um ihn im gleichen Augenblick von einer Hand zur anderen zu balancieren. »Uh, heiß.«

»Das sagte ich doch.«

Dennoch gab Leonard nicht auf. Er legte den Keks zurück auf den Küchentisch, stülpte sich die Topflappen über und führte ihn dann genüsslich an den Mund. Kaum hatte er abgebissen, als sich sein Mund schon zu seltsamen Schnuten verzog. Zu guter Letzt hielt er den Bissen zwischen seinen Zähnen fest und wartete darauf, dass das kleine Stück schneller auskühlte.

Als er nicht länger warten konnte, zerteilte er das Gebäck mit zwei Bissen und schluckte.

»War es das wert?«

Vicky hatte ihn die ganze Zeit über zweifelnd beobachtet.

Er nickte zustimmend, brachte dann jedoch ein ehrliches »Nein« hervor.

Unbewusst hatte er damit den Stimmungsknoten gelöst, denn sowohl er als auch Vicky brachen in schallendes Gelächter aus.

 

ZWEI

 

 

Der Eröffnungstag war schneller herangerückt, als es Vicky lieb war. Mit Feuereifer hatte sie die letzten Tage gebacken, dekoriert und die letzten Vereinbarungen mit den Zulieferern unterzeichnet.

Nun stand sie hinter der Ladentheke und konnte sich, samt ihren beiden neuen Mitarbeiterinnen Tina und Inge, des Ansturms nicht mehr erwehren. Wäre nicht zufällig Ellen in diesem Augenblick vorbeigekommen, die sich tatkräftig einbrachte und für Vicky eine ihrer Freundinnen als weitere Aushilfe mobilisierte, hätte sie nicht mehr gewusst, wo ihr der Kopf steht.

»Hallo Vicky, ich bin Leni.« Die Freundin von Ellen reichte Vicky die Hand. »Wo soll ich anpacken?«

Leni hatte kleine Sommersprossen im Gesicht und trug ihr dunkelblondes Haar schulterlang. Sie hatte ein herrlich offenes Lächeln, das Bereitschaft zum Einsatz signalisierte.

»Dich schickt der Himmel, Leni.« Vicky lächelte. »Könntest du rasch die Auslage mit dem Gebäck auffüllen? Es ist fast nichts mehr da.«

»Wird erledigt.« Leni hatte sich schon abgewandt, als ihr noch etwas einfiel und sie sich noch einmal Vicky zuwandte. »Übrigens: herzlichen Glückwunsch zur Eröffnung und viel Erfolg.«

»Ich danke dir.« Vicky konnte nicht weiter auf Leni eingehen, da der Laden bis zur Eingangstür vollstand.

Zahlreiche Torten, Kuchen und andere Backwaren wanderten an diesem Tag über die Ladentheke. Kurz vor Feierabend waren nicht nur die süßen Köstlichkeiten beinahe ausverkauft, auch die Regale der restlichen regionalen Produkte waren zum größten Teil leer geräumt.

Die Tür flog auf und David trat lautstark ein, dicht gefolgt von Leonard. »Was bekommen zwei hart arbeitende Männer hier als Lohn für ihre täglichen Mühen?«

»Rückenschmerzen, Herzinfarkt – such dir etwas aus!«

Lenis schlagfertige Antwort ließ Vicky lautstark loslachen.

»Werde mal ja nicht frech, Rübe.« David baute sich vor Leni auf und zerwühlte ihr Haar. Dann neigte er sich herunter und bedeutete ihr, ihn auf die Wange zu küssen, was Leni zu Vickys Überraschung auch tat. »So, und was habt ihr für uns noch im Angebot?«

Vicky deutete auf die Auslage, die beinahe leer war. »Das ist der Rest. Bedient euch!« Es war ihr wichtig, Leonard in ihre Einladung mit einzubeziehen.

»Glückwunsch.« Leonard beobachtete das Schlachtfeld in der Auslage. »Wie es aussieht, hatten Sie einen erfolgreichen Tag. Das ganze Dorf spricht schon von Ihren Köstlichkeiten.«

»Wirklich?« Vicky trat glücklich hinter den Verkaufstresen und hob die Kuchenplatten mit den restlichen bunt zusammengewürfelten Kuchenstücken heraus.

Als David ebenfalls in Leonards Nicken mit einstimmte, schenkte sie ihm schließlich Glauben.

Nachdem Vicky ihre beiden erschöpften Mitarbeiterinnen nach Hause geschickt hatte, nötigte sie ihre neu gewonnenen Freunde, Platz zu nehmen und sich verwöhnen zu lassen. Sie brachte ihnen Kaffee und Kakao und stellte die Kuchenplatten auf den Tisch, damit sich jeder bedienen konnte.

Während des Gesprächs, das sich rund um die erfolgreiche Eröffnung drehte, entging Vicky die Vertrautheit zwischen David und Leni nicht. Auf ihre Frage hin, wie lange die beiden schon ein Paar seien, prusteten sie los.

»Ich liebe diese Frau viel zu sehr, um ihr das anzutun.« Wieder zerwühlte David Lenis Haar.

»Und ich möchte noch eine Weile was von meinen Haaren haben. Das macht er schon seit dem Kindergarten so. Nicht auszuhalten, wenn ich ihn«, sie deutete auf David, »ständig um mich herum haben müsste. Nein, nein. Freundschaft ist vollkommen ausreichend.«

Nach zahlreichen amüsanten Anekdoten rund um die Freundschaft zwischen Leni und David endete die unterhaltsame Runde, als Ellen zum Aufbruch aufrief. Sie huschte in die Küche, um ihre Winterjacke zu holen, als ihr erschrockener Schrei die anderen in Aufruhr versetzte. Zeitgleich stürzten sie in die Küche.

»Was ist passiert?«, schoss es gleichzeitig aus Leonards und Davids Mund.

»Es ist alles weg. Vicky ist ausverkauft.« Ellen deutete aufgebracht auf die leeren Boxen und den großen, leeren Kühlschrank.

»Das ist kein Problem.« Vicky winkte ab. Ihr größter Traum war mit der erfolgreichen Eröffnung in Erfüllung gegangen. Für den Nachschub würde sie sich daher gerne die Nacht um die Ohren schlagen. »Ich werde einfach eine Nachtschicht einlegen.«

»Das schaffst du niemals alleine.« Bestimmt hängte Ellen ihre Jacke zurück an den Haken und verkündete: »Ich bleib hier und helfe dir.«

»Ellen, das kann ich nicht annehmen.« Vicky legte ihr dankbar die Hand auf den Unterarm. »Du hast mir heute schon so viel geholfen. Ich schaffe das, glaub mir.«

Ellen ignorierte Vickys Worte und blickte auffordernd zu ihren Brüdern, die sofort verstanden, was ihre Schwester von ihnen zu erwarten schien.

Leo stülpte sich die Ärmel seines Hemdes nach oben. »Wir werden auch bleiben.« Er lächelte. »Sag uns einfach nur, wo wir anpacken müssen.«

Vicky fühlte sich freudig überrumpelt. Zum einen, weil ihre Freunde ihr so spontan ihre Hilfe anboten. Zum anderen, weil Leonard Hofer mit einem freundlichen Lächeln zum »Du« übergegangen war. »Das kann ich doch nicht von euch verlangen.«

»Das hast du doch auch gar nicht getan.« David, der Leni um zwanzig Zentimeter überragte, legte sein Kinn auf den Kopf seiner besten Freundin und lächelte.

»Wir tun das ganz freiwillig.« Während Leni Vicky ein aufbauendes Lächeln schenkte, tätschelte ihre rechte Hand grob Davids Wange.

»Ihr würdet das wirklich für mich tun?« Die Hilfsbereitschaft ihrer neuen Freunde rührte Vicky mehr, als sie sich einzugestehen bereit war.

»Ja«, kam es geschlossen aus aller Munde.

»Nun denn.« Vicky schaltete den großen Backofen ein. »Legen wir los!«

Es begann in allen Ecken der Backstube eifrig zu klappern, als sie jedem seine Arbeiten anwies. Schnell stellte sich heraus, dass Ellen und David wenig Talent zum Backen besaßen. Meist fanden sich Eierschalen in ihrem Teig und ihr Arbeitsplatz glich innerhalb weniger Augenblicke einem Schlachtfeld. Als Ellens Sahne sich schließlich in Butter zu verwandeln drohte, gab sie verzweifelt auf und widmete sich den dreckigen Schüsseln, die sie abzuwaschen begann. Sie verdonnerte David dazu, ihr zu helfen, da auch ihr nicht entgangen war, dass er ebenso untalentiert war wie sie selbst.

Überraschenderweise konnte Vicky mit Leni und Leonard Hand in Hand arbeiten. Sie folgten all ihren Anweisungen und innerhalb kürzester Zeit hatten sie zahlreiche Teigmassen vorbereitet und teilweise auch schon gebacken. Natürlich musste sie den Hauptteil der Arbeiten selbst erledigen, dennoch waren ihr die beiden eine außerordentliche Hilfe. Vor allem Leonard überraschte sie, denn die Arbeit schien ihm große Freude zu machen. Wenn er sich nicht ernsthaft auf den nächsten Arbeitsschritt konzentrieren musste, lächelte er entspannt. Vicky hätte gelogen, wenn sie sich nicht selbst eingestanden hätte, wie attraktiv Leonard Hofer war, vor allem, wenn er sie anlächelte. Und wie sich bei jedem seiner Blicke ihr Puls automatisch beschleunigte.

Gegen halb vier Uhr morgens war der Großteil der Arbeit erledigt. Die letzten Kuchen befanden sich im Ofen und nur noch die Dekoration des Gebäcks musste gemacht werden. Ellen war mit dem Schokopinsel in der Hand eingeschlafen und bot einen skurrilen, wenngleich herrlichen Anblick. Leni saß müde und erschöpft auf der Bank und ärgerte David, der es sich dort ebenfalls bequem gemacht hatte und seinen Kopf auf ihrem Oberschenkel bettete.

Einzig Leonard schien noch mit Feuereifer bei der Sache.

Ehe Vicky die Gelegenheit hatte, ihre müden Helfer nach Hause zu schicken, nahm sich Leonard der Sache an. »David, bringst du die beiden Mädels nach Hause? Ich helfe Vicky noch mit dem Rest.«

»Überredet«, antwortete David und gähnte lautstark. Woraufhin Leni unverzüglich in sein Gähnen mit einstimmte.

»Den Rest schaffe ich wirklich alleine. Ich …« Vicky unterbrach sich, als sie sein Blick traf, der keine Widerworte zu dulden schien. »In Ordnung. Ich sag ja schon nichts mehr.« Sie lächelte dankbar und begann damit, die ausgekühlten Nussecken in Schokolade zu tauchen.

David stand auf und griff nach den Jacken, während Leni versuchte, Ellen aufzuwecken. Erfolglos. Erst, als David seine Schwester weniger zaghaft rüttelte, öffnete diese widerwillig die Augen.

Abwesend zog sich Ellen ihre Jacke über und stapfte mit einem beiläufigen »Gute Nacht« zur Tür.

Vicky rief Ellen noch »Vielen lieben Dank« hinterher, doch das schien sie nicht mehr zu hören. Bei David und Leni bedankte sie sich mit einer herzlichen Umarmung und einer kleinen Kostprobe an Nussecken.

Mit einem weiteren Gähnen verschwanden auch die beiden durch die Tür.

»Du hast übrigens großes Talent. Mir scheint, als hättest du deinen Beruf verfehlt.« Vicky tauschte die Bleche aus und reichte Leonard, der höchst konzentriert Aprikosenmarmelade auf dem Plundergebäck verteilte, eine Nussecke.

Er nahm das nussige Dreieck und ließ einen Bissen in seinem Mund verschwinden. Dann blickte er sie fragend an. »Du meinst, dass ich ein besserer Bäcker als ein Wildschweinkiller wäre?«

»Erinnere mich bitte nicht daran.« Sie lachte auf und setzte ihre Arbeit am Schokoladentopf fort. »Ich habe mir vor Angst beinahe in die Hosen gemacht.« So sehr sie in diesem Augenblick darüber schmunzeln konnte, so sehr saß ihr dieses beängstigende Erlebnis noch in den Knochen. Und schlagartig kehrten auch Erinnerungen an einen sehr düsteren Tag zurück, an dem sie sich ebenfalls allein mit einem Mann in einer Backstube befunden hatte.

»Es wird nicht wieder vorkommen«, versicherte er ihr, während sein Blick sie prüfend musterte.

Vicky schüttelte abwesend den Kopf, als hätte sie durch ihre Gedanken den Faden an das ursprüngliche Gespräch verloren. »Wie bitte?«

»Ich wollte dich damals nicht erschrecken und es wird nicht wieder vorkommen. Aber nur wenn du mir versprichst, zukünftig nicht mehr so unbedarft im Wald herumzuspazieren. Und auch nur, wenn du mich regelmäßig mit deinen Köstlichkeiten versorgst.«

Sie zwang sich zu einem Lächeln.

»Ist alles in Ordnung?«

»Wie? Ja, ja. Alles in bester Ordnung.« Sie strich ertappt über ihre Schürze. »Vermutlich macht sich der Schlafmangel bemerkbar.«

Schweigend arbeiteten sie weiter und hatten ihr Werk fünfundvierzig Minuten später vollbracht. Alle Torten, Kuchen und Gebäckstücke, die Vicky für den folgenden Tag geplant hatte, waren fertig.

Erschöpft ließ sie sich auf die Bank sinken und blickte schuldbewusst zu Leonard.

»Ich stehe tief in deiner Schuld und hoffe, dass ich das irgendwann wiedergutmachen kann.«

Leonard setzte sich neben sie und lehnte sich zurück. Er streckte die Arme und verschränkte sie hinter seinem Kopf. »Du kannst es sofort gut machen …«

Vicky versteifte sich augenblicklich bei seinen Worten.

»… indem du mir eine große Tasse Kaffee spendierst.«

Mittlerweile sah sie echt schon Gespenster. Hätte sie sich in Leonard Hofers Gegenwart zu einem Zeitpunkt bedroht oder nicht wohl gefühlt, hätte sie wohl kaum zugelassen, dass sie allein mit ihm zurückgeblieben wäre. Sie waren wohl das ein oder andere Mal aneinandergeraten, doch sie verließ sich auf ihre Menschenkenntnis, die ihr bestätigte, dass sie ihm vertrauen konnte.

»Den hast du dir jetzt auch redlich verdient.« Sie stand auf und machte sich auf den Weg zum Gastraum, in dem sich auch der große Kaffeeautomat befand.

Er rief ihr neckend hinterher: »Sei großzügig und bring dir auch einen mit.«

»Das werde ich tun.« Vicky drehte sich zu ihm um und lächelte. Leonard hatte mittlerweile die Beine ausgestreckt und übereinandergeschlagen. Sein musternder Blick ging ihr durch und durch. Ihr Herz begann aufgeregt zu hämmern und ihr Mund fühlte sich plötzlich staubtrocken an. Verlegen wandte sie sich ab und verschwand durch die Tür.

Während sich die Tassen mit heißem Kaffee füllten, dachte sie über ihn nach. Nicht zum ersten Mal hatte sie heute festgestellt, wie freundlich und hilfsbereit er sein konnte – wenn er wollte. Auch hatte sie immer wieder Blicke über seine attraktive Erscheinung schweifen lassen. Seine kurzen braunen Haare waren eine kleine Nuance dunkler als ihre eigenen. Er war gut gebaut, hatte breite Schultern und definierte Muskeln in seinen Unterarmen. Doch ihn lächeln zu sehen, übertraf alles. Vor allem, wenn er sein Lächeln ihr schenkte, was tatsächlich zwischendurch immer wieder passiert war.

 

*

 

Leonard blickte auf den leeren Türrahmen, durch den Vicky verschwunden war, und lauschte dem Geklapper der Kaffeetassen. Er hatte sie im Laufe der Nacht immer wieder beobachtet und für die Leidenschaft, mit der sie ihren Beruf ausübte, zollte er den größten Respekt. Doch das war nicht das Einzige, das ihm auffiel. Nachdem sie für die Arbeit ihren Pullover abgelegt hatte und darunter ein eng anliegendes weißes Top zum Vorschein gekommen war, war er sich ihrer anziehenden Weiblichkeit schmerzlich bewusst geworden. Sie besaß wundervolle Kurven und wie ihr Gesicht vor Eifer und Leidenschaft für ihre Arbeit strahlte, war unvergleichlich. Um nicht in Versuchung zu geraten, sie ständig anzustarren, hatte er sich deshalb umso mehr in die Arbeit gestürzt.

Er überlegte, ob die Idee mit dem Kaffee tatsächlich gut war oder ob er nicht doch besser gleich hätte gehen sollen. Würde er einer weiteren Versuchung, sich Vicky genauer anzuschauen, widerstehen können? Würde er sich ihren Reizen entziehen können? Was war nur los mit ihm? Nachdenklich schloss er die Augen.

Nur wenig später hörte er Vickys Schritte und konnte den herrlichen Duft des Kaffees riechen. Ohne die Augen zu öffnen, nahm er sie direkt vor sich wahr.

»Ich rieche Kaffee.«

Er hörte an ihrer Stimme, dass sie lächelte.

»Wirklich?«

»Ja.«

»Das kann nicht sein. Bist du dir da sicher?«

Er wusste, dass sie vor ihm stand und ihm den Kaffeegeruch zufächelte.

---ENDE DER LESEPROBE---