Tausche neues Leben gegen altes - Kelly Harms - E-Book

Tausche neues Leben gegen altes E-Book

Kelly Harms

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Beschreibung

Celeste und Wendy sind Nachbarinnen. Während Supermami Celeste ihre Familie stets gesund ernährt, den Haushalt mit links schmeißt und nebenbei noch Zeit für Ehrenämter hat, klettert Wendy nicht nur eine, sondern zwei Karriereleitern hinauf und schafft es dennoch, täglich eine Stunde für ihre Kinder zu reservieren. Was haben Celeste und Wendy gemeinsam? Sie wünschen sich das, was sie nicht haben. Bis zu diesem einen denkwürdigen Morgen, als sie nach einem Nachbarschaftspicknick und ein wenig zu viel Sangria ... im Körper der Anderen erwachen ...

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Inhalt

 

CoverInhaltÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungWendy1 – ZuvorWendyCeleste2WendyCeleste3 – Surrealer SonntagWendyCelesteWendyCeleste4WendyCelesteWendy5WendyCeleste6WendyCeleste7WendyCeleste8CelesteWendy9 – Manischer MontagWendyCelesteWendy10WendyCeleste11CelesteWendyCeleste12Celeste13Wendy14 – Drama-DienstagCelesteWendy15CelesteWendy16 – Miserabler MittwochWendyCelesteWendy17 – Durstiger DonnerstagCelesteWendy18 – Voll verrückter FreitagWendyCelesteWendy19 – Schon Samstag?CelesteWendy20CelesteWendy21 – SonntagsüberraschungWendyCeleste22WendyCeleste23WendyCeleste24 – DanachCelesteDanksagung

Celeste und Wendy sind Nachbarinnen. Während Supermami Celeste ihre Familie stets gesund ernährt, den Haushalt mit links schmeißt und nebenbei noch Zeit für Ehrenämter hat, klettert Wendy nicht nur eine, sondern zwei Karriereleitern hinauf und schafft es dennoch, täglich eine Stunde für ihre Kinder zu reservieren. Was haben Celeste und Wendy gemeinsam? Sie wünschen sich das, was sie nicht haben. Bis zu diesem einen denkwürdigen Morgen, als sie nach einem Nachbarschaftspicknick und ein wenig zu viel Sangria … im Körper der Anderen erwachen. Sie beginnen zu verstehen, dass das Gras auf der anderen Seite des Zaunes gar nicht grüner ist. Dass jeder mal Hilfe braucht. Und dass das gut so ist.

Bevor Kelly Harms sich entschloss, selber Bücher zu schreiben, war sie Lektorin und Literaturagentin in New York und arbeitete mit zahlreichen und sehr unterschiedlichen Bestsellerautoren zusammen. Heute lebt sie mit ihrem cleveren Sohn Griffin, dem charmanten Iren Chris und dem besten aller Hunde in Madison, Wisconsin.

 

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

 

Deutsche Erstausgabe

 

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2021 by Kelly Harms

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »The Seven Day Switch«

Originalverlag: Lake Union Publishing, Seattle

 

This edition is made possible under a license arrangement originating with

Amazon Publishing, www.apub.com, in collaboration with Agence Hoffman.

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2023 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln

 

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining

bleiben vorbehalten.

 

Textredaktion: Anne Schünemann, Lektorat am Meer

Umschlaggestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de

Einband-/Umschlagmotiv: © Nadia Snopek/shutterstock

eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-7517-5479-8

luebbe.de

lesejury.de

 

 

Für Abbie Foster Chaffee und Kris Adams,zwei außergewöhnliche Mütter

 

 

Wendy

Hier kommt deine Anleitung für den perfekten Morgen:

Schritt eins: Steh früh auf. Und zwar richtig früh. Wenn deine Kinder, sagen wir mal, um 8:06 Uhr in der Schule sein müssen und du so schnell wie irgend möglich danach auf der Arbeit sein möchtest, dann steh um 5 Uhr auf. Allerspätestens um 5:30 Uhr. Das bedeutet, du solltest gegen 21 Uhr ins Bett gehen – und das heißt: Licht aus, nicht mehr lesen, kein Fernsehen, keinen Sex. Nur so am Rande: Das schaffst du niemals.

Schritt zwei: Lies einen dicken Stapel Bücher darüber, wie man sich gute Gewohnheiten zulegt. Allerdings nicht vor dem Schlafengehen (siehe oben). Du kannst sie dir auch als Hörbuch auf dem Weg zur Arbeit anhören. Übe Triggerworte und gute Gewohnheiten aneinanderzureihen. Leg auf jeden Fall deine Tabletten neben deine Zahnpasta, die neben deine Kontaktlinsen, die neben dein Anti-Aging-Serum. Sonst wirst du vergessen, deine Tabletten zu nehmen und das Serum aufzutragen, denn es ist immerhin sehr früh, und ohne deine Linsen kannst du kaum etwas erkennen. Erst nachdem du alle diese Dinge in den Händen hattest, sei dir ein Kaffee gegönnt.

Schritt drei: Reise in der Zeit zurück zum gestrigen Abend und programmiere deinen Kaffeevollautomaten so, dass er um 5 Uhr früh deinen Kaffee aufbrüht. Sollte dir das nicht gelingen, starrst du eben vier Minuten gedankenverloren die Wand deiner Küche an, bis der Kaffee fertig ist.

Schritt vier: Trink den Kaffee und bereite drei Lunchpakete vor, zwei ganz ohne Gemüse für deine Kinder und eines ausschließlich mit Gemüse für dich selbst. Lege ganz zum Schluss eine winzige Packung Goldfischli in deine Lunch-Tüte, fühle dich erst wie eine Rebellin, dann doch verschwenderisch, weil manche Mütter bei Costco die große Packung kaufen und diese dann selbst in kleine, wiederverwendbare Tupper-Dosen aufteilen würden.

Schritt fünf: Setz dich hin und genieße zwanzig glorreiche, koffeinreiche Minuten in Ruhe ganz allein mit deinem Handy. Dann beeile dich mit dem Duschen, ehe die Kinder aufstehen müssen.

Schritte sechs bis fünfundvierzig: Weck die Kinder.

Stell Müslipackungen, Milch und Schüsseln bereit, in der Hoffnung, dass sie sich wenigstens ein Mal selbst ihr Müsli zubereiten. Nur dieses eine Mal.

Platziere den Futternapf der Katze direkt neben die Müslischalen der Kinder, um sie daran zu erinnern, die Katze zu füttern, wie sie es hoch und heilig geschworen haben.

Schreibe einen Zettel für deinen Ehemann, der noch schläft – und das auch noch tun wird, wenn du das Haus verlässt –, um ihn daran zu erinnern, dass eure Tochter heute ihr Softball-Testspiel hat und euer Sohn morgen zum Schulausflug fährt.

Wecke erneut die Kinder.

Entdecke einen lilafarbenen Rock in der Wäsche, den du gestern Abend vergessen hast, in den Trockner zu stecken.

Hör dir von dem Kind, das unbedingt diesen lilafarbenen Rock anziehen will, an, dass du »nie an irgendetwas für mich denkst«.

Erinnere ebendieses Kind daran, sein Frühstück zu essen.

Wecke noch mal das andere Kind.

Ziehe Kind Nummer eins die Socken an, weil sie »nicht dehnbar genug« sind.

Sieh nach dem lilafarbenen Rock im Trockner – stell die höchste Hitzestufe ein.

Bereite das Müsli der rocklosen Tochter zu und liefere es ihr direkt vor den Fernseher.

Ermuntere deinen Sohn, noch mal rauf in sein Zimmer zu gehen und frische Unterhosen anzuziehen.

Bedauere einen Moment lang den traurigen Zustand deines eigenen Slips, der bereits sechs Jahre auf dem Buckel hat.

Du bemerkst, dass du in sieben Minuten das Haus verlassen musst und die Katze noch immer nicht gefüttert wurde.

Bitte die Kinder, die Katze zu füttern.

Runzele die Stirn angesichts dessen, was sich der Sohn aus dem Kleiderschrank gefischt hat.

Hol den lilafarbenen Rock aus dem Trockner und zieh ihn etwas zurecht, damit es nicht auffällt, dass er eingelaufen ist.

Bitte die Tochter ihn anzuziehen.

Wiederhole deine Bitte.

Nimm die Fernbedienung in die Hand.

Hör dir Gejammer und Geheule darüber an, dass du ihre Sendung »im allerbesten Moment« ausgeschaltet hast.

Trage allen auf, ihre Schuhe anzuziehen.

Suche alle besagten Schuhe.

Steige ohne deine eigenen Schuhe ins Auto.

Gehe zurück ins Haus, um deine Schuhe anzuziehen.

Gehe zurück ins Haus, um die Lunch-Pakete zu holen.

Geh zurück ins Haus, um auf den Zettel für deinen Mann noch ein Wäsche-Update zu kritzeln.

Fahre aus der Auffahrt.

Bemerke, dass es 8:04 Uhr ist.

Stell den Radiosender von »langweiligen Nachrichten« auf Chartmusik um.

Höre dir siebzehn Minuten lang Werbung für Abnehmmittel, die keinerlei medizinischer Kontrolle unterliegen, und Gebrauchtwagen an, während du an der Schule in einer langen Autoschlange wartest, um die Kinder abzuladen.

Liefere die Kinder ab.

Fahr zurück nach Hause, um deine Sportklamotten zu holen, die du vergessen hast.

Versuche dabei nicht deinen Mann zu wecken.

Füttere die wütende Katze.

Rase zur Arbeit.

Du kommst zwölf Minuten zu spät im Büro an.

Ignoriere das Angebot der Empfangsdame, dir an deinem Schreibtisch die Haare trocken zu föhnen.

Notiere dir, einen Föhn fürs Büro zu kaufen.

1

Zuvor

Wendy

Obwohl ich eine renommierte Produktivitätsberaterin bin, als solche regelmäßig in den lokalen Medien auftauche, eine Monatskolumne für einen der hundert populärsten Blogs des Landes schreibe und eine eigene kleine Tagesplaner-Kollektion herausgebracht habe, gibt es ein paar Dinge in meinem Leben, die möglicherweise ein wenig besser laufen könnten. Der Stresslevel bei mir zu Hause ist in der Regel höher, als mir lieb ist, und ich schleppe stets eine gute Portion schlechtes Gewissen mit mir herum, meiner Mutterrolle nicht gerecht zu werden. Mein Mann, Seth, ist attraktiver als ich, und mit zunehmendem Alter tritt das immer deutlicher hervor. Während bei mir alles ins Hängen gerät, verwittert er lediglich auf attraktive Art und Weise. Zudem sind unsere beiden Kinder, Bridget und Linus, ein bisschen faul. Nur ein bisschen. Und vielleicht noch nicht einmal das, sondern man könnte sagen, sie leben einfach in einer anderen Zeit als der, in der ich aufgewachsen bin. Was ich als »faul« ansehe, nimmt eine andere Mutter vielleicht als »gemächlich und unbefangen« wahr. Ihre Trägheit mag eine andere Frau »sorglose Kindheit« nennen.

Dieser vermaledeite lilafarbene Rock könnte allerdings der Tropfen sein, der bei mir das Fass zum Überlaufen bringt.

Ich musste sogar in eine Shopping Mall fahren, um ihn zu kaufen. In einen Laden gehen, in dem man ohrenbetäubende Musik als Teil des Markenimages versteht, und dabei versuchen, meiner elfjährigen Tochter Gehör zu schenken, die wiederum so tat, als wäre sie sechzehn. Natürlich keine echte Sechzehnjährige mit Periodenkrämpfen, Pickeln und geringem Selbstwertgefühl. Nein, eine Sechzehnjährige aus einer Netflix-Serie, die mit ihrem Single-Vater, dem Kapitän, und ihrer besten Freundin, einem Rockstar, auf einer Yacht lebt. Dafür hält sich meine Tochter nämlich, wenn sie ihren lilafarbenen Rock trägt.

Ich hatte geglaubt, derlei Eskapaden vermeiden zu können, indem ich sie nicht Mercedes oder Kennedy nenne, aber wie ich feststellen musste, wird auch aus einer Sarah, einer Catherine oder sogar aus einer Delores eines Tages ein Tween. Und mein Tween hat zwar kapiert, dass der lilafarbene Rock cool ist, aber nicht, dass es uncool ist, ihn direkt dreimal pro Woche zu tragen. Was wiederum dazu geführt hat, dass ich nun nicht mehr viermal pro Woche die Waschmaschine anwerfe, sondern jeden verdammten Abend.

Und ich weiß nur zu gut, wer mir das eingebrockt hat.

Wenn ich abends nach einem anstrengenden Arbeitstag und diversen Elterntaxi-Einsätzen, um meine Kinder zu ihren Freizeitaktivitäten zu chauffieren, in unsere Straße einbiege, sehe ich sie. Sie sitzt gerne draußen. In ihrem Vorgarten. Dort weilt sie nach dem Abendessen – das in ihrem Haus natürlich keine Sekunde später als 18 Uhr auf den Tisch kommt und mindestens zwei frisch gekochte Gemüsebeilagen enthält – und trinkt ein Glas Rotwein. Vor den Augen der Nachbarschaft, normalen Menschen, die, das Auto voller Einkaufstüten mit Tiefkühlpizzen und Fertig-Grillhühnchen, zu Kindern nach Hause gehetzt kommen, die ungefähr zehn Stunden am Tag unter der Aufsicht fremder Leute verbringen. Normalen Menschen geht der Anblick von Celeste Mason gegen den Strich, wie sie dasitzt, den Hintern auf einen Adirondack-Gartensessel aus echtem Teakholz gebettet und die Füße auf dem dazu passenden Hocker geparkt, sich ein schönes Glas Pinot gönnt, während ihre drei perfekten Kinder durch den perfekten Vorgarten toben, nachdem sie ihr perfektes, selbst gekochtes und gesundes Abendessen zu sich genommen haben.

Falls das an diesem Punkt noch nicht klar sein sollte: Ich bin einer dieser Menschen. Es geht mir gegen den Strich, dass Celeste aus mir unerfindlichen Gründen etliche Schnittmuster der Vogue für ihre elfjährige Tween-Tochter gekauft hat, sie Stoffe hat aussuchen lassen und ihr dann eine maßgeschneiderte Garderobe geschaffen hat, allesamt Klamotten, mit deren »Coolness« höchstens überteuerte Markenimitate von schlechter Qualität aus der Mall mithalten können, die natürlich nicht versandkostenfrei liefert. Es geht mir gegen den Strich, dass ihre Tochter in der Schule lauthals auf den zwei Tage alten Grasfleck auf dem lilafarbenen Rock meiner Tochter hinweisen musste. Es geht mir gegen den Strich, dass meine Tochter plötzlich ausgerechnet mit einem Kind befreundet ist, das wie aus der Pistole geschossen Tipps parat hat, wie man Grasflecken aus Kleidung herausbekommt. Dabei waren für meine Tochter – ehe die beiden anfingen, zusammen »abzuhängen« – Grasflecken eher eine Art Ehrenabzeichen, die sie stolz nach Hause brachte. Bis Celeste mit ihrer Familie in das Haus hinter unserem gezogen ist, galten Röcke jeglicher Art bei Bridget generell als etwas Unpraktisches, unter die man eh noch Shorts ziehen musste, um vernünftig spielen zu können.

Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, hat Celeste Mason ihre Tochter dazu ermutigt, meine Tochter zum Softball-Testspiel am heutigen Abend zu begleiten. Vermutlich in einem maßgeschneiderten Skort.

Voll Rachedurst biege ich auf den Parkplatz am Trainingsgelände ein. Ich hoffe, dass das Testspiel sehr lange dauern wird und Celeste heute Abend auf ihren Wein im Vorgarten verzichten muss. Tatsächlich wünsche ich mir sogar, dass ihre Tochter Zoey es ins Team schafft und Celeste die gesamte Saison ohne ihr Glas Wein auskommen muss. Ich hoffe, dass sie ihre beiden anderen Kinder von Montag bis Freitag jeden Abend mit zum vor Hitze flirrenden Softball-Platz schleppen, auf dem Weg am Sandwich-Laden anhalten und ihrer Kleinsten den ganzen Sommer lang Chips aus der Tüte zum Abendessen geben muss.

Als ich in einer guten Lücke mit Blick aufs Spielfeld einparke, entdecke ich Bridget. Sie sitzt mit Zoey Mason auf einer großen, wasserfesten Picknickdecke, bestückt mit Tellern voller Orangenschnitze, Ants-on-a-log – kunstvoll verzierten Snacks aus Stangensellerie, Erdnussbutter und Rosinen –, Cherry-Strauchtomaten und … Grundgütiger, ist das etwa selbst gemachter Kombucha in Marmeladengläsern? Und mittendrin: thront Celeste.

Während ich die McDonald’s-Tüte unter dem Beifahrersitz verstecke, denke ich, dass das besser Mandelbutter sein sollte – dies ist eine erdnussfreie Zone. Erdnüsse sind für die meisten Todesfälle durch Nahrungsmittelallergien in Amerika verantwortlich. Wenn das die berühmte Jif-Creamy-Erdnussbutter ist, die unter den Ameisen-Rosinen auf den Sellerie-Baumstämmen lauert, ist Celeste offiziell ein Monster.

Ich stelle den Motor aus. Linus hat sich bereits abgeschnallt und ist, sein Happy Meal fest umklammert, auf den Vordersitz geklettert, noch ehe der Wagen überhaupt die Kindersicherung freigegeben hat. Mein süßer, unkomplizierter Junge, der immer noch fröhlich stinknormale Jogginghosen und schlichte T-Shirts von Costco überallhin anzieht. Ich könnte Bridgets Portion im Auto lassen und versuchen, ihr zu verstehen zu geben, dass ihre übliche Saisonstart-Mahlzeit, Chicken Nuggets und ein Früchte-Smoothie, hier auf sie wartet, wenn sie Lust darauf hat. So würde Celeste das Fast Food vielleicht nicht bemerken. Aber die Katze ist schon aus dem Sack: Linus ist bereits auf halbem Weg zur Decke, um seiner Schwester aufgeregt die Sammelkarten zu zeigen, die in seinem Hamburger-Happy-Meal waren. Ich greife mir Bridgets Essen vom Sitz und schleiche hinter ihm her zur Decke.

»Celeste«, sage ich und versuche dabei, wenn schon nicht besonders erfreut über ihren Anblick, doch wenigstens nicht so zu klingen, wie ich mich fühle: unzulänglich als Mutter wegen ein paar Chicken Nuggets. »Hallo.« Dann wende ich mich meiner Tochter zu. »Bridge! Ihr wisst doch, dass ihr niemanden um Essen anbetteln müsst!«

»Das hat sie natürlich nicht getan«, erwidert Celeste mit ihrem Nordstaaten-Akzent, der rein aus harten Konsonanten zu bestehen scheint. »Ich habe einfach zu viel mitgebracht, Samuel ist ohnehin zu sehr mit Fußball beschäftigt, um auch nur eine kleine Pause zu machen.« Sie neigt den Kopf in Richtung einer Schar von Jungs, die alle ungefähr im Alter meines eigenen Sohnes sind – nur jeweils gut zehn Kilo mehr auf den Rippen haben.

Ich lächele Linus hoffnungsvoll an. »Möchtest du mit Sam Fußball spielen?«, frage ich, und er schüttelt den Kopf. Fußball lässt ihn völlig kalt, so wie alle anderen Aktivitäten an der frischen Luft. Er mag alles, was man drinnen machen kann. Zum Beispiel mit K’Nex-Bausteinen experimentieren, Minecraft spielen oder vergessen, die Toilettenspülung zu betätigen, nachdem er groß gemacht hat.

Dass unser Sohn andauernd zu Hause klebt, macht meinen Mann wahnsinnig. Ich hingegen war als Kind auch eine Stubenhockerin und finde, dass die andere Seite dieser Charakter-Medaille – die Seite, die es mir erlaubt, mich stundenlang konzentriert einem Problem zu widmen oder mich an einem Regentag selig mit einem Buch zu verkriechen – einen ebenbürtigen Ausgleich dazu darstellt.

Seth hingegen ist Bildhauer. Er arbeitet gerne draußen, mit großem, schwerem Elektrowerkzeug, und lässt dabei die Funken fliegen. Er mag harte Arbeit, Ausdauersport und Protein-Smoothies. Mir gefallen all diese Dinge auch – aus einer gewissen Entfernung. Ich sehe mir lieber Männer mit Schweißermasken an, als selbst eine aufzuziehen.

Als Seth und ich uns kennenlernten, erhielt er bereits Aufträge für die Gestaltung von Büroparks und städtischen Innenhöfen, während ich im gefühlt dreißigsten Jahr meiner Dissertation in Industrie- und Organisationspsychologie steckte. Ich nahm damals meinen Laptop mit in seine Werkstatt und starrte auf Datensätze, während er riesige Stücke glasierten Metalls hin und her warf wie ein Schotte Baumstämme bei den Highland Games. Wenn gerade keine Gefahr dräute, reichte ich ihm ein geöffnetes Bier, schmachtete seine starken, sehnigen Unterarme an und dachte: Das alles hier ist ganz schön perfekt.

Ich glaube, das wäre es heute immer noch, hätten wir nicht zwei Kinder bekommen, ich meinen Doktor gemacht, dann einen Job angetreten und mein eigenes Unternehmen gegründet, weshalb ich jetzt zu viel zu tun habe, um irgendwem Bier zu bringen. Ich hätte auch nichts dagegen, wenn die starken, sehnigen Arme, die mich einst so beeindruckt haben, sich öfter dem Einräumen und Ausräumen der Spülmaschine widmen würden.

Wenn Seth jetzt hier wäre, würde ich Linus mit irgendwas beschäftigen, damit er auf keinen Fall Fußball spielen könnte, selbst wenn er es wollte. Ich würde ihm Hausaufgaben oder meine Spesenrechnungen unterjubeln – denn ich fungiere als das Sport-Alibi meines Sohnes.

Aber zum Glück ist Seth nicht hier, als Linus dem Fußballspiel eine Abfuhr erteilt, also reiche ich ihm einfach den Beutel voller Bücher, den ich stets im Auto herumkutschiere. Er hat die Wahl zwischen einer neuen Graphic Novel von Jeff Smith, für die er vermutlich noch viel zu grün hinter den Ohren ist, und Der Hobbit, das er bereits dreimal gelesen hat. Linus sackt am Rand von Celestes Decke in sich zusammen, als hätte er keinen einzigen Knochen im Leib, und entschwindet nach Mittelerde.

Bridget schaut auf und sieht mich mit flehendem Blick an. »Bitte sag jetzt nicht, ich soll auch lesen, Mom, ich bin zu nervös.«

Celeste lacht still in sich hinein, als sie das hört. »Zoey geht es genauso«, meint sie. »Wenigstens essen die beiden etwas.«

Das kann man wohl sagen. Zoey, mit ihrem rötlichen Haar und den zu langen Gliedmaßen, sitzt Ellbogen an Ellbogen neben Bridge, meiner unfassbar süßen Tochter, deren Schönheit nur der allgegenwärtige Schimmer von Schweiß in ihren braunen Haaren und der Schmutz auf ihren aufgeschürften Knien leichten Abbruch tun. Die beiden Mädchen schlagen sich mit Celestes gesunden Snacks regelrecht den Magen voll. Meine fettigen McDonald’s-Gaben bleiben unbeachtet, während meine Tochter Lebensmittel voller Antioxidantien und Ballaststoffen futtert, weil, nun, einfach weil sie da sind? Weil Zoey sie isst? Celeste Jedi-Gedankentricks beherrscht? Ich weiß es nicht.

Dann fällt mir gerade noch rechtzeitig etwas ein. »Danke, dass du sie mitgenommen hast. Ich weiß das wirklich zu schätzen. Ist das Mandelbutter?«

»Sonnenblumenkernbutter«, antwortet sie charmant. »Das Letzte, was ich möchte, ist, beim ersten Testspiel meiner Tochter gleich die Kapitänin zu vergiften.«

»Oh, ist Sofia allergisch gegen Erdnüsse?«, frage ich. Sofia ist Werferin, und wenn ich sie in Aktion sehe, denke ich, dass ihre Familie besser früher als später für einen guten Orthopäden sparen sollte. Bridge hingegen – die wohl beste Schlagfrau im Team – bekäme keinen guten Wurf hin, selbst wenn ihr Leben davon abhinge, also müssen wir alle uns Sofias Autorität beugen.

»Stark allergisch. Daria näht in alle ihre Kleidungsstücke eine Extratasche für die Notfallspritze ein.«

»Das ist schlau«, gebe ich zu, »ich bin auch allergisch, mir hat Daria allerdings noch nie angeboten, irgendwas für mich zu nähen.« Ich sage das mit einem Lächeln. So weit mein Versuch, witzig zu sein.

Celeste würdigt meine Bemerkung mit einem höflichen Geräusch, das manche wohl als Lachen bezeichnen würden. So weit ihr Versuch, nett zu sein. Dann zieht sie eine Augenbraue in die Höhe. »Daria ist vermutlich zu beschäftigt mit ihrem neuen Trainer.«

Und schon ist meine Lust, Celeste ein wenig besser kennenzulernen, verflogen. Genau wegen dieser Art von Nachbarschaftstratsch bin ich froh, wirklich sehr froh, dass ich Vollzeit arbeite. Der Klatsch wandert über Gassirunden mit dem Hund oder per Plausch auf dem Spielplatz von einem Haus zum anderen, nur diejenigen von uns, die echte Jobs haben, verpassen das alles. Gott sei Dank. Ich für meinen Teil tue geflissentlich so, als wäre ich beim Mama-Kader einfach kein Thema. Was sollen sie auch groß über mich sagen? Dass ich einen heißen Ehemann habe? Dass mein Sohn blass wie ein Vampir ist? Damit kann ich leben.

»Was tuscheln die Mädchen denn eigentlich?«, frage ich Celeste, um das Thema zu wechseln.

»Keine Ahnung«, erwidert sie unbekümmert. »Das geht schon so, seit ich sie abgeholt habe. Sie sitzen immer ganz hinten, wenn ich sie irgendwo hinfahre. Sogar wenn ich das Baby nicht dabeihabe und die Plätze in der Mitte frei sind.«

Ich lächele und tue so, als wäre mir bereits aufgefallen, dass ihr drittes Kind nicht hier ist, obwohl mir dessen Existenz gerade erst wieder in den Sinn kommt. »Wo ist Anna Joy denn?«, frage ich, wobei mir der zweite Vorname fast im Hals stecken bleibt. Anna Joy. Um Himmels willen. Dabei stammt sie nicht einmal aus dem Süden. Wie kommt sie dazu, zwei schöne Namen zu beanspruchen, obwohl in der Nachbarschaft beinahe alle guten bereits vergeben sind? Weil sie den Hals nicht vollkriegt, wird ein armes Neugeborenes wohl mit dem Namen Bertha-Sue vorliebnehmen müssen.

»Sie verbringt ein wenig Extrazeit mit ihrem Daddy. Ich möchte mich heute ganz auf Zoey konzentrieren können. Es ist das erste Mal, dass sie einen Teamsport ausprobiert, weißt du.«

Ich lächele mild und, wie ich hoffe, bestärkend: »Es ist toll, dass sie es versucht.« Doch die Wahrheit ist, dass unser »Mini-Liga«-Softballteam vom Ehrgeiz zerfressen ist. Bridge spielt seit ihrem sechsten Lebensjahr Softball, und nicht einmal sie kann sich sicher sein, es heute ins Team zu schaffen. Zoey wird vermutlich sang- und klanglos untergehen.

»Weißt du, was im Herbst immer toll ist?«, frage ich sie. »Fußball. Es gibt drei Vereine hier in Birchboro Hills, alle auf unterschiedlichem Niveau. Das ist wirklich eine super Sache für die Kinder. Ist doch schön, in einer Mannschaft einfach nur aus Spaß mitzuspielen.«

Celeste sieht mich an. »Die Mädchen sind elf. Wozu sollten sie denn sonst Sport treiben, wenn nicht aus Spaß?«

»Na klar, natürlich«, sage ich. Glücklicherweise besitze ich genug Selbstbeherrschung, um nicht die Augen zu verdrehen. Wenn sie mir gleich erzählt, dass Kinder so lange wie möglich einfach Kinder bleiben sollten, könnte es allerdings sein, dass ich mich nicht mehr zurückhalten kann. Als ob ich Bridget jeden Tag zum Schuften in einen Nike-Sweatshop schicken würde. »Ein bisschen Wettbewerb untereinander kann auch Spaß machen«, ergänze ich, weil ich es mir dann doch nicht verkneifen kann. »Mädchen bringt man das nicht unbedingt bei. Manche Eltern denken anscheinend, dass das etwas ist, was man unter allen Umständen vermeiden sollte.«

Celeste lächelt mich etwas verkniffen an. Was soll sie darauf auch antworten? Was genau kann sie ihrer Tochter zum Thema gesunder Wettbewerb erzählen? Dass diejenige gewinnt, die das beste Halloween-Kostüm zu Hause selbst näht? Damit wird sie es im Leben echt weit bringen. Genauso weit, wie Celeste es gebracht hat.

»Die Mädchen sollten langsam rübergehen«, sage ich, während ich beobachte, wie die Trainer, denen ich mich wie alten Freunden verbunden fühle, die Bällebehälter in Richtung Spielfeld ziehen. Ich stupse Bridget an und deute auf die Helme in den Sacknetzen, die auf der Seite der ersten Base neben das Auffangnetz gebracht werden müssen. Sie springt auf und rennt mit einem Elan los, der mich mit Stolz erfüllt. Während sie es zu Hause fertigbringt, ein halb ausgetrunkenes Glas Milch so lange stehen zu lassen, bis es einem Laborexperiment gleicht, ist sie hier voll und ganz bei der Sache.

Ich lehne mich zurück und stütze mich auf die Hände. Zuerst geht es nun ans Aufwärmen, dann ist das Schlagtraining dran, und schließlich werden die Trainer die Klemmbretter rausholen und sich Notizen machen, während die Mädchen die verschiedenen Spielpositionen durchlaufen. Wie immer werde ich so tun, als wäre mir jedes Ergebnis recht, während ich in Wahrheit mit Argusaugen beobachte, wie sich meine Tochter an der dritten Base macht. Ihr Schlagarm ist von Tag zu Tag besser geworden, und Seth und ich sind uns einig, dass sie für den Wechsel ins Infield bereit ist. Mittlerweile muss sich Seth in die äußerste Ecke unseres Gartens stellen – direkt vor einen Dornenbusch, den ich einfach nicht totkriege – und ihr wahnwitzige Grounder-Bälle zuwerfen. Alles andere ist längst kein Training mehr für sie. Wenn sie ruhig und aufmerksam bleibt, sich nicht bei jeder kleinen Unterbrechung auf die Fersen hockt, könnte dies endlich ihr Jahr werden.

Eine Reihe von Dingen lässt mich aus meinen Gedanken aufschrecken. Celeste, die das Essen wegpackt, was mich daran erinnert, dass ich riesigen Hunger habe. Zoey und Bridget, die mit dem Rest der Team-Anwärterinnen rüber zu den Trainern laufen. Linus, der sich seufzend auf die andere Seite wälzt. Mein Handy, das in meiner Tasche brummt, weil Seth wissen will, ob wir zum Essen zu Hause sein werden. Wahrscheinlich hat er weder meinen Zettel gesehen noch die Wäsche gemacht oder sich um Linus’ Busticket für den morgigen Schulausflug gekümmert.

Inzwischen sind fünf weitere Mütter mit ihren Decken und Campingstühlen eingetroffen. Ihre Töchter, die bereits auf dem Spielfeld sind, kommen zu ihren atemlosen Moms gerannt, schnappen sich ihre Wasserflaschen und sprinten wieder zurück. Wir machen es uns alle gemütlich. Die anderen Frauen erzählen mir vom Verkehr auf dem Weg von der Stadt zur Schule – im besten Falle braucht man zwanzig Minuten, im schlimmsten eine Stunde. Wir reden darüber, wie uns alle die Panik überkam, es nicht rechtzeitig von der Arbeit hierher zu schaffen.

Dass Sara, die zwei Tage in der Woche von zu Hause aus arbeitet, angeboten hat, ihr Auto an der Schule mit Mädchen vollzupacken und sie zu fahren, um etwas Zeit zu sparen.

Darüber, welches Glück ich doch habe, dass Celeste so nah bei uns wohnt und ja den ganzen Tag Zeit habe, mein Kind durch die Gegend zu kutschieren. Dass dies auch ein schlechtes Gewissen frei Haus bedeutet? Geschenkt.

Wir sind Freundinnen, eine kleine, hocheffiziente Gemeinschaft überarbeiteter, übermüdeter Frauen, die für ihre Kinder alles tun würden. Unsere Wohngegend ist nicht gerade billig, aber sie gehört zu jenen magischen Orten mit einer wunderbar vielfältigen Einwohnerschaft, tollen Schulen und unmittelbarer Nähe zum Stadtzentrum, wo wir alle arbeiten. Um sich das Leben in Birchboro Hills leisten zu können, sind zwei Einkommen im Grunde ein Muss, und der allen berufstätigen Müttern mit sportverrückten Kindern bekannte Stress sorgt normalerweise für lebhafte Verbundenheit zwischen uns. Heute Abend herrscht jedoch etwas weniger Kameradschaft, eine gewisse Spannung ist spürbar. Wir alle hoffen einfach nur, dass es nicht das eigene Kind sein wird, das auf der Heimfahrt auf dem Rücksitz weint.

Es wird welche in unserer Gruppe treffen. Es gibt zu viele Töchter für zu wenige Plätze im Team. Genauso wie es jeden Tag zu viele Aufgaben für die zur Verfügung stehende Zeit, mehr Pflichten als helfende Hände, zu viele Autos für die Straßen und mehr Rechnungen sind, die man mit dem vorhandenen Geld bezahlen muss. Unser Leben als Mütter dreht sich um diese kleinen Mängel – elf Plätze im Team und siebzehn Spielerinnen, die alle gut genug für einen davon sind.

Schweigen kehrt ein, und wir schauen zu, wie die Mädchen mit dem Schlagtraining beginnen. Es entwickelt sich wie vorhergesehen: Davi ist durch und durch Schlagfrau, Sofia schlägt wie eine Werferin, Isla und Jordyn machen sich gut. Bridge findet einen Rhythmus und erwischt ein, zwei, drei tieffliegende Bälle.

»Da kann doch kein Trainer Nein sagen«, meint Davis Mutter, die als Anwältin in der Innenstadt arbeitet.

»Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen«, stimmt Jordyns Mutter, eine Professorin, zu.

»Wer ist denn das?«, fragt Daria, Sofias Mutter, während sie das nächste Mädchen beobachtet, das alles zu treffen scheint, was sich in Richtung Strike Zone bewegt. »Ist das Zoey Mason?«

Ich nicke. Stille macht sich breit, unsere Blicke wandern zu Celeste, die das Ganze kaum beachtet – sie scheint eher damit beschäftigt zu sein, Fotos von ihren Kombucha-Gläschen zu machen.

»Verdammt«, entfährt es Daria.

»Wo hat sie vorher gespielt?«, fragt Davis Mom.

»Offenbar in der Unterstufe«, antworte ich.

Islas und Jordyns Mütter schweigen.

Der Coach wirft Zoey immer weiter Bälle zu, bis er keine mehr übrig hat. Kein einziger davon kommt von der Fängerin zurück. Sie liegen alle quer verstreut auf dem Spielfeld. Schließlich klatscht er in die Hände. »Also, meine Damen, es sieht so aus, als hätten wir eine neue Geheimwaffe. Schnappt euch die Handschuhe!«

Die Mädchen stehen einfach nur da, völlig perplex. Inklusive Zoey. Offenbar weiß sie selbst nicht recht, was da gerade passiert ist.

Einige Augenblicke vergehen, dann greift der Trainer zur Pfeife, um sich Beachtung zu verschaffen. »Handschuhe!«, ruft er noch einmal. »Aufwachen, Ladys!« Augenblicklich kommt wieder Leben in unsere Töchter, sie greifen sich ihre Handschuhe und stellen sich für die Übungen in Reihen auf. Die Klemmbretter haben ihren Auftritt. Ich sehe zu Celeste hinüber. Sie hat das Handy weggelegt und scheint in meine Richtung und die der anderen Team-Moms zu schauen. Schnell lässt sie ihren Blick von unserem Stuhlgrüppchen zu einem Punkt weiter hinten auf dem Rasen wandern … zu ihrem Sohn Samuel. Der jagt seine Mitspieler mit einem Stock von der Größe eines Riesenknüppels vor sich her. Ich tätschele Linus den Rücken, eine Art stilles Dankeschön, dass er nicht zu dieser Sorte Kinder gehört. Er windet sich unter meiner Berührung weg. Als ich wieder Celeste anschaue, ruht ihr Blick auf Zoey auf dem Spielfeld. Sie bemüht sich um einen neutralen Gesichtsausdruck.

Aber dieses Lächeln ist nicht zu verkennen. Es ist das 18:30-Uhr-Hintern-im-Teak-Adirondack-Gartensessel-und-Weinglas-in-der-Hand-Lächeln. Sie wendet sich mir zu und sagt lieblich: »Ich habe so langsam das Gefühl, dass wir beide hier bald sehr viel Zeit zusammen verbringen werden. Wie schön.«

Ja, echt schön. Ein Testspiel ist die eine Sache, aber nie im Leben schaffe ich es, viermal in der Woche um 15:30 Uhr – also mitten während meiner Arbeitszeit – zum Softball-Training. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass Celeste das sehr gut weiß. Sie wird ganz allein mit ihren gesunden, erdnussfreien Snacks auf ihrer hübschen Decke sitzen. Na ja, nicht ganz allein. Jetzt, da Zoey Mason für das Team gesetzt scheint, bin ich mir ziemlich sicher, dass meine eigene Tochter Celeste in schöner Regelmäßigkeit um Snacks, Mitfahrgelegenheiten und handgenähte Zopfgummis anschnorren wird.

Schuldgefühle, Wut und das beklemmende Gefühl, bald eine Hypothek aufnehmen zu müssen, die man niemals zurückzahlen können wird, machen sich in mir breit. Celeste ist keine gewöhnliche Hausfrau und Mutter. Sie ist eine Frau, die ihre freie Zeit auf Schritt und Tritt gegen uns verwendet, und wir müssen uns dafür auch noch bei ihr bedanken. Genau jetzt gewinnt sie eine weitere Schlacht, ohne sich auch nur im Geringsten dafür anzustrengen.

Ohne auch nur eine Gelegenheit zu versäumen, uns das Gefühl zu geben, als Verliererinnen dazustehen.

Celeste

Die Dinge haben einen schockierenden Lauf genommen: Schon einen Tag nach dem Testspiel bin ich im Kreis der Softball-Moms eine Außenseiterin.

Das »Schockierend« ist übrigens sarkastisch gemeint. Wir wohnen seit fast einem Jahr in Birchboro Hills, und ich spiele alles andere als eine tragende Rolle im hiesigen Sozialleben. Die Häuser in diesem Vorort kosten zwar eine Menge, aber nicht so viel wie die im Grünen oder am Fluss gelegenen Anwesen, die sich nur der alte Geldadel leisten kann. Dennoch: Die meisten meiner Nachbarn brauchen zwei gute Gehälter, um das Leben hier zu bestreiten. Arzt und Lehrerin. Anwältin und Therapeut. Nicht wie Hugh und ich: Vorstand und … nun ja, Hausfrau und Mutter, auch wenn sich nur der kleinste Teil meiner Arbeit wirklich zu Hause abspielt. Allerdings gibt es nicht wirklich die eine treffende Bezeichnung dafür, was ich mache. Ich kümmere mich um alles. Und zwar verdammt gut.

Würde man sich in Birchboro Hills jemandem als Vollzeitmutter vorstellen, würde man sich wohl ein wenig lächerlich machen. Doch egal, ob man für ein Gehalt arbeitet oder nicht, beides ist und bleibt Arbeit. Die wenigen Eltern, die keinen Vollzeitjob haben, engagieren sich für wohltätige Zwecke und beschäftigen sich intensiv mit Kunst. Ich hingegen bin »nur« Mutter. Ich leite weder eine Stiftung noch organisiere ich Monolog-Festivals. Mein Leben dreht sich ums Muttersein, und seit wir hierhergezogen sind, habe ich zunehmend das Gefühl, mich dafür rechtfertigen zu müssen. In meiner Kindheit habe ich es genau andersherum erlebt, es war durchaus nicht die Regel, dass unser Kühlschrank voll und gleichzeitig genug Geld da war, um den Strom bezahlen zu können, damit dieser auch läuft. Meine Mutter sagte damals immer voller Stolz zu mir: »Celeste, Liebes, mit einem Lächeln auf dem Gesicht kannst du alles meistern.«

Ich denke an sie – und vermisse sie –, während ich hier in unserer neuen Nachbarschaft beharrlich versuche, mit einem Lächeln das Eis zu brechen. Mein erster Gedanke war, mich den örtlichen Gepflogenheiten anzupassen, obwohl sich jede Faser meines tief im Mittleren Westen verwurzelten, auf Privatsphäre bedachten Herzens dagegen sträubte: Ich stellte die Gartenmöbel in den Vorgarten – okay, eigentlich war das Hugh, mein Schatz von einem Mann, diese blöden Dinger wiegen locker eine Tonne. Er hat sie mitten auf dem Rasen platziert, und nun muss er sie beim Mähen jedes Mal zur Seite und wieder zurück rücken, wenn er das komplette Grundstück machen will. Meine Mom hatte wie immer recht – ich sitze abends gerne draußen, während die Kinder spielen. Ich mag es, unseren Nachbarn dabei zuzusehen, wie sie mit ihren Kids Rad fahren, mit dem Hund spazieren gehen oder auf dem grasbewachsenen Spielplatz gegenüber von unserem Haus vor dem Schlafengehen noch etwas Energie abbauen. Meine Kleinste – wir nennen sie nur Joy – liebt es, zu beobachten, wann welcher Hund Gassi geführt wird, und rennt dann kreuz und quer durch den Garten, um ja nichts zu verpassen. Und Samuel, unser Mittlerer, überredet jeden mit links, sofort alles stehen und liegen zu lassen und mit ihm im schwindenden Licht zu spielen. Manchmal zwängt sich Zoey zu mir in den Gartenstuhl – ich muss mit dem Hintern so weit es geht zur Seite rücken, damit sie reinpasst. Dann erzählt sie mir alles Mögliche, wie zum Beispiel eine höchst detaillierte Zusammenfassung der Geschehnisse des Buchs, das sie gerade liest, oder neben wem sie beim Mittagessen gesessen hat oder ob sie demnächst Lipgloss tragen sollte oder nicht.

Es war an einem dieser Abende im Frühling, als Zoey mir vor Kurzem sagte, dass sie das gleichaltrige Nachbarsmädchen beim Baseballspielen im Garten gesehen habe. »Hinterm Haus«, sagte sie, weil man das hier im Süden so nannte. Das Mädchen heiße Bridget Charles, berichtete sie mir.

»Sie war supergut, Mom. Sie hat mir erzählt, dass es bald ein Testspiel gibt und das Team absolut genial werden wird.« Auf meine Frage, ob sie auch Baseball spielen wolle, zuckte Zoey mit den Schultern und fragte: »Ist das schwer?« Ich sagte ihr, dass ich keine Ahnung habe und sie ihren Vater fragen solle, der direkt neben uns in seinem Stuhl saß, den sein üppiger Hintern unverrückbar ausfüllte. Hugh erklärte ihr, dass hier im Süden die Jungs Baseball und die Mädchen Softball spielen. Der Sport könne gar nicht hart sein, es heiße ja Softball, schob er einen väterlichen Witz hinterher. Und weil unsere Tochter mit Humor grundsätzlich nichts anfangen kann, lautete ihre Antwort prompt: »Okay, spitze! Ich frage Bridget mal, wann das Testspiel ist, und Mama, kannst du uns dann hinfahren?«

Wie sich herausgestellt hat, ist Zoey, wie bei so vielen Dingen, auch im Softball ein Naturtalent. Ihr Vater brachte ihr am nächsten Tag nach der Arbeit die erste Ausstattung aus dem örtlichen Sportladen mit – hat Zoey ein Glück, ich hätte das alles gebraucht gekauft – und warf ihr ein paar tückische Bälle zu. Sie traf sie alle ohne Probleme. Dass sie mit dem Fangen keine Schwierigkeiten haben würde, hatten wir schon erwartet, denn es gehört zu ihren Lieblingsbeschäftigungen, ihren kleinen Bruder beim Fangenspielen mit seinem Dad – eigentlich als Vater-Sohn-Ding gedacht – abzuhängen.

Hugh sagte, er habe dem Coach gemailt und Zoey auf die Liste setzen lassen, auf dem Anmeldeformular aber meine E-Mail-Adresse angegeben, da das Testspiel in seine wöchentliche Papa-Tochter-Zeit mit unserer kleinen Joy fiel. Dann schob er etwas selbstgefällig hinterher: »Ich glaube sowieso nicht, dass Zoey in irgendeiner Form meine Hilfe brauchen wird. Dieses Mädchen!« Was wohl jeden Zweifel daran ausräumen dürfte, dass Zoey ihren Platz als Daddys Liebling auch nach zwei Geschwistern fest behauptet. Als Nesthäkchen steht bei mir natürlich Joy an erster Stelle. Armer Samuel. Die Karten könnten allerdings neu gemischt werden, sobald Zoey in die Pubertät kommt.

Natürlich hat sie Hughs Erwartungen beim Testspiel nicht enttäuscht – nicht, dass sie das jemals könnte, selbst wenn sie es wollte. Sie hat es als Springerin ins Team geschafft und wird auf verschiedenen Positionen eingesetzt – wie offenbar all diejenigen, die weder als Pitcher noch als Catcher besonders geeignet sind. Der Coach hat in seiner E-Mail alle Eltern, deren Mädchen ins Team gekommen sind, in CC gesetzt, also habe ich direkt eine Rundmail geschickt, dass ich für die Trainingstage gerne Fahrgemeinschaften bilden würde und für die Strecke von der Mittelschule zum Sportgelände in meinem Van noch zwei Plätze zu vergeben hätte. Innerhalb einer Stunde meldeten sich sechs interessierte Mütter, die ich so auf die Tage aufgeteilt habe, dass jede mal zum Zuge kommt. Daria, die als Immobilienanwältin eine große Nummer ist und es unter keinen Umständen zur entsprechenden Zeit zur Schule schafft, schrieb mir sogar, dass ihre Tochter »gerade kräftig genug« sei, um vorne zu sitzen. Was wenn Sofia ein paar Pfunde verliert, bis die Saison losgeht?, ging mir durch den Kopf.Muss sie dann so lange mit dem Rad von der Schule zum Training fahren, bis sie wieder genug Muskelmasse aufgebaut hat? Ich packe besser ein paar hochkalorische Snacks für den Weg ein.

Zoey war begeistert, als ich ihr erzählte, dass wir ein paar Mädchen mitnehmen. Ein Auto voller Teamkameradinnen bedeutet für sie: ein Auto voll potenzieller Freundinnen. Softball heißt auch, dass sie in der Schule neue Freundinnen hätte – auf diesem Gebiet gibt es seit unserem Umzug durchaus noch Luft nach oben.

Bridgets Mutter, Wendy Charles, ist nicht begeistert. Nicht im Geringsten. Sie hat sich zu spät auf meine E-Mail gemeldet, um Bridget einen Platz in meinem Auto zu sichern, und ist nun in ihren superschicken Arbeitsklamotten zu mir herüberstolziert gekommen, um mir die Meinung zu geigen. Dass sie mich dabei erwischt, wie ich in meinem Vorgarten einen auf Südstaatengepflogenheiten mache, scheint sie nur noch mehr auf die Palme zu bringen.

»Ich habe eben eure ganzen E-Mails gesehen«, spricht sie mich an. Kein »Guten Abend«. Kein »Darf ich mich setzen?«. Hughs Stuhl ist heute leer, er repariert drinnen eine undichte Toilette. Sie hätte sich gerne setzen, ein Glas Wein trinken und sich wie ein normaler Mensch benehmen können. Stattdessen fährt sie fort: »Ach, Celeste, ich weiß, du meinst es gut. Aber ich war den ganzen Tag auf der Arbeit, musst du wissen. Und habe nonstop gearbeitet«, schiebt sie erklärend hinterher. »Als ihr eure Fahrgemeinschaften abgesprochen habt, saß ich in einem Meeting, und ich muss dir ehrlich sagen, dass ich mich jetzt doch etwas im Regen stehen gelassen fühle.«

Ich sehe sie erst irritiert, dann peinlich berührt an. Wie es scheint, habe ich weder an Bridget gedacht noch an mein unbekümmertes »Jederzeit wieder«, als Wendy mir gestern fürs Mitnehmen gedankt hat.

»Oh, Mist«, sage ich. »Ich hätte Bridget einen Platz freihalten sollen. Ich war so aufgeregt wegen des neuen Teams, dass ich vergessen habe, dass deine Tochter jeden Tag eine Mitfahrgelegenheit braucht.«

Meine schnelle Reue scheint Wendy etwas zu besänftigen. »Nun, ich wünschte, ich müsste nicht so demütig darum bitten. Mir wäre es auch lieber, ich könnte im Garten vor meinem Haus sitzen und ein Glas Wein trinken, anstatt mir ein Bein auszureißen, meine Tochter nach der Schule zu ihrem Lieblingshobby zu bringen. Aber ich versuche einfach, das Positive zu sehen. Sie hat es ins Team geschafft und wird wohl zu den Stammspielerinnen gehören, und das bei der starken Konkurrenz in diesem Jahr. Weißt du, eine Medaille hat eben immer zwei Seiten.«

Ich versuche, ihre geschliffenen Worte in verständliche Botschaften zu übersetzen, auf die ich eine sinnvolle Antwort geben kann. »Wir kriegen sie schon irgendwie mit ins Auto, Wendy. Meine Güte, hätte ich doch den Achtsitzer von GMC genommen.« Ich seufze. »Wenn der nicht so viel Sprit schlucken würde.«

Wendy wedelt mit der Hand in der Luft herum. »Na ja, schmeiße jetzt nur nicht jemand anderen wegen uns raus. Aaliyahs Mom, Gemma, nimmt Bridge mit. Sie arbeitet von zu Hause aus und meint, sie kann für die zwanzig Minuten hin und zurück mal eben weg.«

Ich lächele. »Ich schätze, sie ist nicht traurig, einen Blick auf den Coach in seinen kurzen Shorts zu erhaschen.« Gemma gehört zu den Menschen, die ich gerne näher kennenlernen würde. Ihre Witze über die Väter aus der Nachbarschaft sind hart an der Grenze, aber auch unfassbar lustig. Zum Beispiel über den neu zugezogenen Dad, der ein paar Straßen weiter gerne die Post im weit offen stehenden Bademantel reinholt, oder wie es der Vertretungs-Briefträger hinkriegt, in Socken und Birkenstocks sexy auszusehen. (Was nicht stimmt.)

Wendy sieht mich mit gerunzelter Stirn an. »Okay. Prima. Nur, Celeste, die Sache ist die, Gemma hat mittwochs immer einen Jour fixe. Könntest du Bridge nicht vielleicht mittwochs aufs Dach schnallen?« Sie versucht sich an einem Lächeln, das jedoch wirkt, als hätte sie dabei körperliche Schmerzen. »Ich habe mich umgehört, sobald ich zu Hause war, aber alle anderen Autos sind schon voll besetzt.«

»Wer hat sie letztes Jahr gefahren?«, frage ich und bereue es augenblicklich.

»Karas Dad«, sagt sie rundheraus. »Aber das hat sich in diesem Jahr wohl erledigt, nicht wahr?«

Ich verziehe das Gesicht. Kara Diforio hat letztes Jahr als Utility Player gespielt, und nachdem was ich gehört habe, ist sie ziemlich häufig zum Einsatz gekommen. Diese Saison hat sie es nicht ins Team geschafft. Ich schätze, dass das zumindest ein Stück weit an Zoey liegen könnte. »Verflixt. Ich hatte gehofft, dass sie einfach in die nächste Altersstufe aufgerückt ist.«

»Sie spielt einfach ein Jahr im Freizeitteam, stellt sich neu auf. Jane Diforio erwähnte, dass sie einen sehr guten Privatcoach an der Hand hätte. Ich denke, das Mädchen vom letzten Jahr war wohl der Aufgabe nicht ganz gewachsen.«

Privater Sportunterricht für eine Elfjährige! Ich versuche bei diesem Gedanken einen neutralen Gesichtsausdruck zu bewahren. »Nun, mir wird schon etwas einfallen für Mittwoch. Vielleicht kann Hugh an dem Tag eher nach Hause kommen, oder … Ah, ich weiß! Wir könnten Zoey und Bridget zusammen mit dem Rad fahren lassen, und ich nehme ihre Sachen im Auto mit? Es sind nur ein paar Kilometer, und ich wette, das macht ihnen richtig Spaß.«

»Gott segne dich«, antwortet Wendy. Ich bin mir hier im Süden nie ganz sicher, wann diese Redewendung nett und wann spöttisch gemeint ist, und bin jedes Mal verunsichert, wenn ich sie höre. »Ich weiß das wirklich zu schätzen«, fügt Wendy hinzu. Ich bin drauf und dran, ihr einen Stuhl und ein Glas Wein anzubieten, aber sie ist schon wieder auf halbem Weg zurück zum Bürgersteig, als wäre dieser ganze Besuch lediglich eine geschäftliche Angelegenheit gewesen.

Oder ein Überfall.

»Kein Thema!«, rufe ich ihrem Rücken zu, denn sollte dies ein Angriff gewesen sein, so habe ich wohl geradezu darum gebeten. Ich nehme an, es gab eine Hackordnung in Sachen Softball-Fahrgemeinschaften, die ich durcheinandergebracht habe. Oder, was wahrscheinlicher ist, eine Art stille Übereinkunft, dass Softball »nichts für diese Yankee-Masons aus Minnesota« ist, ich meine Tochter trotzdem dafür angemeldet habe und Zoey dann nicht nur die Frechheit besaß hinzugehen, sondern auch noch gut darin zu sein.

Das Schlimmste aber ist, dass ich einfach nur genau den Leuten eine kleine Hilfe sein wollte, die meine Lebensweise als persönlichen Affront verstehen.

Hugh hat recht: Höchstwahrscheinlich kann ich es ihr nicht recht machen, denn egal, was ich tue, für Wendy und ihre persönliche Frauen-Verurteiler-Jury verkörpere ich all das, was man bei der Kindererziehung falsch machen kann. Ich bin eine Frau, die beruflich nichts vorzuweisen, aber drei verwöhnte Kinder hat, die in ihrem Leben keine einzige Minute in einer Tagesbetreuung verbracht haben. Und ja, ich gebe zu, ich habe eine Pinterest-Pinnwand voller witziger Ideen für Lunchpakete für die Kinder, die ich im monatlichen Wechsel neu zusammenstelle. Ich bin ein Totalausfall für den Feminismus, ich bin finanziell voll und ganz von meinem Mann abhängig, und ich finde das absolut in Ordnung.

Anscheinend stehe ich damit aber allein da. Wie eine Mutter, die als Anwältin arbeitet, mich freundlicherweise vor einigen Tagen erinnerte, würden wir schließlich nicht in einem gemeinnützigen Staat leben, also »geht man besser weiterhin regelmäßig zum Waxing, damit gewisse Dinge nicht einschlafen«.

Als Hugh nach draußen kommt, wispert er gespielt ängstlich: »Ist sie endlich weg?«

Ich verdrehe die Augen, lasse mich jedoch zugleich in seine Arme sinken, wobei ich hoffe, dass er sich nach der Reparatur der Toilette die Hände gewaschen hat. So aneinandergekuschelt sehen wir Wendy zu, wie sie seitlich entlang an unserem Grundstück, vorbei am gemeinsamen Gartenzaun, rüber zu ihrer Haustür läuft, die der unseren entgegengesetzt liegt.

»Hast du dich etwa die ganze Zeit versteckt?«, frage ich ihn.

»Na ja, ich dachte, ich wäre euch wohl kaum eine Hilfe«, gibt er zu. »Das Zwischen-den-Zeilen-Lesen in den Gesprächen unter euch Moms hier in der Gegend übersteigt meinen Horizont.«

»Ehrlich gesagt, geht mir das auch nicht anders. Ich würde gerne mal wissen, was ich so Schlimmes getan habe?«

»Ach, Liebes«, meint er. »Neid ist eine dreiköpfige Schlange – man kommt nicht daran vorbei. Schau sie dir an.« Er unterstreicht seine Worte mit einer Geste, jetzt, da Wendy außer Hörweite ist. »Zugeknöpft bis ans Kinn, eine Figur wie ein Brett, halb totgerackert, um Gott weiß wem etwas zu beweisen. Und du: schön, sinnlich, unglaublich sexy …« Er streichelt die schmaler werdende Stelle zwischen meinen breiten Hüften und meiner ausladenden Brust, was früher den Effekt hatte, dass ich mich weiblich fühlte, aber inzwischen die Frage bei mir aufwirft, was eigentlich aus meiner Taille geworden ist.

Ich winde mich aus seiner Umarmung. »Du bist wundervoll, mein Schatz«, erwidere ich. »Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nicht neidisch ist. Eher genervt von meiner bloßen Existenz. Und Zoeys.«

»Na ja, zu ihrem Glück kann sie Zoey schwer aus dem Weg gehen«, meint er und zeigt auf Bridget und Zoey, die seitlich des Hauses ein paar Bälle hin und her werfen. Dass die beiden sich so gut verstehen, bereitet mir ein etwas schuldbehaftetes Vergnügen. Ich sehe zu, wie der Softball vom Garten hinter Wendy Charles’ Haus rüber in unseren saust – über den Sprossenzaun hinweg, der unsere Grundstücke voneinander trennt.

»Jetzt komm mit rein und sieh dir an, was dein genialer Ehemann mit dem Gästeklo im Flur gemacht hat. Dieser wunderbare Wasserschwall wird deine Lebensgeister wieder wecken«, sagt Hugh und amüsiert sich prächtig über seine eigenen Worte, während ich darüber nachdenke, was sich seit unseren Flitterwochen so alles verändert hat.

Ich folge ihm ins Haus und beklatsche seine Handwerkerqualitäten. Aber noch während er mir erklärt, was ein U-Rohr ist, wandern meine Gedanken wieder nach draußen, zu dem Ball, der über den Zaun hin- und herfliegt. Der Zaun zieht eine Grenze, deren Existenz ich mir nicht erklären kann. Eine Grenze, an der Wendys Leben dem meinen die Bedeutung abspricht.

2

 

Wendy

Mein Schreibtisch ist leer, mein E-Mail-Posteingang voll. Ich bin startklar für meine richtige Arbeit. Meine produktive Arbeit. Der perfekte Moment meines Tages ist der, in dem ich alles andere um mich herum runter- und mein Hirn hochfahre, das ausleben kann, wofür ich wirklich gemacht bin – wenn auch nur für ein paar kurze Stunden.

Auf einem großen Monitor vor mir ist die Zusammenfassung von sechs aktuellen Produktivitätsstudien geöffnet. Der etwas kleinere Bildschirm meines Laptops daneben zeigt eine leere Seite, auf der ich Trends entwickeln und radikale Tipps ausarbeiten werde, die ich bei den Life-Coach-Meisterschaften, sprich der jährlichen Upland South Women’s Expo, präsentieren werde. Schon in acht Tagen werde ich dort eine lukrative Keynote-Rede halten.

Schnell komme ich in einen Arbeitsfluss, verliere mich in meinen Gedanken und Ideen, die sich um ein einziges einfaches Thema drehen: wie viel Zeit wir Menschen zur Verfügung haben und wie wir sie am besten nutzen. Während ich arbeite, verliere ich mein Zeitempfinden, die Minuten laufen geradezu ohne mich weiter, bis mein Handyalarm ertönt und wie auf magische Weise zwei Stunden vergangen sind. Einige Smart Reminder klettern in meinem Kalender auf dem Display unaufhörlich nach oben, das WLAN verbindet sich automatisch wieder, der »Bitte nicht stören«-Modus meines Smartphones schaltet sich ab, und eine Benachrichtigung ploppt auf: morgen SB.

Ich seufze auf. Der morgige Tag ist vermutlich Bridgets liebster in der ganzen Saison. Und definitiv der, den Linus am wenigsten mag. Ich teile da eher Linus’ Meinung.

Es geht um das »Sport-Buffet«, das den Auftakt der Sommersaison in den örtlichen Kinder-Sportverbänden markiert. Das Buffet findet immer im Anschluss an die Teamsichtungen im Baseball, Softball, Schwimmen und Tennis statt. Eigentlich sind auch die Golfkinder eingeladen, aber das sind zum einen sehr wenige, zum anderen sind sie schon vor sechs Wochen ins Training eingestiegen – bei dem sie zudem sehr fragwürdige Poloshirts tragen. Vor allem aber schießen sie bei dieser Party, bei der alle etwas fürs Buffet mitbringen sollen, total übers Ziel hinaus. Egal, was man ihnen zuweist – Snacks, Vor- oder Hauptspeisen oder Dessert –, sie bringen irgendetwas Verrücktes mit. Tablettweise Sushi mit eingelegtem Rettich, Bruschetta mit Trüffelöl, ausgefallene Essiggurken-Varianten – Lebensmittel, die kein Kind mag und die man am Ende des Abends mit einem schlechten Gewissen wegwirft. Die Kinder wollen aufgeschnittenes Obst, bunten Nudelsalat, kaltes Brathähnchen und Fleischbällchen in Traubengelee. Die Erwachsenen wollen Sangria – vor allem die nach dem Charles-Familienrezept angerührte –, und sie wollen viel davon. Alles in allem keine Raketenwissenschaft.

Seit vier Jahren steuere ich die Sangria fürs Buffet bei, doch im reifen Alter von acht Jahren hat Linus uns jetzt eröffnet, dass er dieses Jahr zu Hause bleiben möchte und Bridget mit den Masons mitgehen soll. Ich habe seinen Vorschlag sofort abgelehnt, aber Seth scheint der Sache nicht abgeneigt zu sein, weshalb ich die Wände hochgehen könnte. Auch wenn mir klar ist, dass es ihm unangenehm ist, muss der arme Junge sich doch der Welt stellen und wenigstens versuchen, soziale Kontakte zu knüpfen. Es wäre zu seinem Besten.

»Das sind einfach nicht seine Leute«, sagt Seth, als ich ihn in meiner Mittagspause anrufe, um darüber zu sprechen. »Ich kann das verstehen, mir geht’s genauso.«

Ich weiß, was er mir damit – wieder einmal – sagen will: Ich bin schuld, dass wir jetzt in der Vorstadt leben. Deshalb erwidere ich nur: »Irgendwo da draußen gibt es Menschen, mit denen er klarkommen wird, und wenn er sich nicht jedes Mal zu Hause verkriecht, sobald die Gefahr einer sozialen Interaktion am Horizont auftaucht, wird er die auch mal treffen. Jeder findet seine Leute, wenn man ein bisschen Geduld hat und offen dafür ist.« Ich überlege, ob das auch auf mich zutrifft. Ich habe einige enge Vertraute, einen guten Freund hier bei der Arbeit und vor allem meine Schwester, aber alle meine anderen Beziehungen pflege ich insbesondere dank einer detaillierten Tabelle, die ich mithilfe des Google-Kalenders erstellt habe und die mir Bescheid gibt, wenn ich eine Geburtstagskarte verschicken, mich mal wieder mit einer Nachricht melden oder jemanden anrufen sollte. Ich mag die anderen Softball-Moms, aber wir verlieren uns jedes Mal wieder aus den Augen, sobald die Saison vorbei ist. Wer hat schon die Zeit für all diese sozialen Kontakte?

»Okay, sicher. Aber ich bezweifle trotzdem, dass er sie beim Sport-Buffet kennenlernen wird«, antwortet Seth.

Ich kann nicht anders und muss lachen. Wenn wir Linus zwingen hinzugehen, wette ich darauf, dass er ein Buch mitnimmt. »Da ist was dran«, räume ich ein. »Vermutlich bringt er seine Leute einfach mit, und damit meine ich Zwerge und Elfen.«

Seth findet das gar nicht witzig. »Ich sag’s dir, Wendy. Genau das ist das Problem bei dem Jungen. All der Science-Fiction- und Fantasy-Kram, die Depri-Storys und Träumereien.«

»Beschwerst du dich etwa darüber, dass er Fantasie besitzt?« Seth vergräbt sich auf der Suche nach Inspiration stundenlang in seiner Arbeit. Ich gebe zu, es wäre mir lieber, wenn er zumindest einen Teil dieser Zeit in unsere Familie investieren würde.

»Es geht nicht darum, dass er viel Fantasie hat, sondern dass er keine anderen Hobbys hat und nur zu Hause rumgammelt. Er interessiert sich kein bisschen fürs reale Leben.«

»Ein Grund mehr, ihn zur Sportparty zu schleppen«, erwidere ich, während ich mir wünsche, dass Seth es einmal sein lassen könnte, an meinem Kind rumzunörgeln. Unserem Kind.

»Am Rockzipfel seiner Schwester zu deren Event mitzukommen, ist nicht dasselbe wie etwas zu unternehmen. So trifft man seine Leute: indem man Dinge macht.«

»Er macht so einiges«, werfe ich ein.

»Mit Scratch programmieren? Scratch-Anleitungen studieren? Uns ein Ohr darüber abkauen, wie man mit Scratch programmiert?«

»Was, wenn Programmieren tatsächlich einfach sein Ding ist?«, frage ich gedehnt. Es klingt nicht besonders interaktiv, das gebe ich ja zu, aber der Junge muss machen, worauf er Lust hat. »Allemal besser, als Crystal Meth zu kochen.«

»Programmieren ist nicht sein Ding«, sagt Seth. »Er ist ein Kind. Sein Ding sind Sachen, die Kinder machen.«

Das ist so augenscheinlich falsch, dass ich nicht wirklich weiß, was ich darauf antworten soll.

»Wir müssen einfach aufhören, ihn zu Bridgets endlosem Kram mitzuschleppen …« Jedes Mal, wenn Seth so über Bridgets Softball-Leidenschaft redet, zucke ich leicht zusammen. Wobei ich ihm hoch anrechnen muss, dass er selbst im August noch, wenn uns allen die Saison längst tatsächlich endlos vorkommen wird, keines ihrer Spiele verpassen wird. »… und stattdessen etwas Passendes für ihn finden. Was ist mit Golf? Ich weiß, du meinst, die Clubmitgliedschaft lohnt sich nicht, aber schau dir die Kids mit ihrem seltsamen Essen und in die Hose gesteckten, gemusterten Polo-Shirts an. Eigentlich schreit das doch total nach Linus.«

Ich balle die Fäuste. Weil Seth so krampfhaft versucht, einen Draht zu seinem Sohn zu finden, hat er ihn schon zum Tennis, Baseball, Basketball, Fußball und Klettern geschleppt. Natürlich mussten jedes Mal eine teure Komplettausrüstung angeschafft und Trainingsstunden bezahlt werden. Linus hat an nichts davon Interesse. Er versteht die Regeln nicht, er strengt sich nicht an, manchmal schläft er dabei sogar ein. Müssen wir das unbedingt noch einmal durchexerzieren, nur diesmal inklusive einer tausendfünfhundert Dollar teuren Country-Club-Mitgliedschaft?

Ich stoße die Luft aus. »Der Club schlägt ziemlich zu Buche. Unsere finanzielle Situation setzt mich so schon genug unter Druck, wie sie jetzt ist.« Ich bin nicht nur die Hauptverdienerin, sondern auch die Finanzchefin im Haus. Seths Kunst verschlingt ordentlich Geld. Manchmal muss ich es regelrecht verstecken, wenn uns später noch etwas für die Rente bleiben soll. Und sonst muss ich die Hand draufhalten, damit wir im nächsten Monat unsere Hypothek bezahlen können. »Wie wäre es, wenn wir überlegen, ob er dich noch mal in deinem Atelier besucht?«

Noch ehe Seth antwortet, spüre ich regelrecht, wie genervt er augenblicklich ist. »Ehrlich, Wendy«, sagt er. »Du weißt, ich kann nicht gleichzeitig meine Arbeit machen und die Kinder betreuen. Jedes Mal, wenn du das fragst, finde ich das wirklich unfair. Würde ich dich bitten, sie mit zur Arbeit zu nehmen?«

Mein Blick schweift in die linke äußere Ecke meines Büros. Was für hübsche Zierleisten. Und die mit Läden ausgestatteten Fenster blicken auf die schickste Straße dieser nicht gerade schicken Stadt hinaus. »Tut mir leid, Schatz, aber mir geht die Zeit aus«, entgegne ich, denn ich habe überhaupt keine Lust, jetzt die Unterschiede unserer Berufe zu diskutieren oder warum seiner sich in letzter Zeit eher zu einem Hobby zu entwickeln scheint. Zumal ich ihm das nicht erst sagen muss, denn mir ist nicht entgangen, dass die ausbleibenden Aufträge und schlechten Verkäufe der letzten Monate ihm sehr zu schaffen machen. Mir wäre es wesentlich lieber, ihn aufzubauen, anstatt ihn weiter runterzuziehen. »Lass uns ihn dieses Mal noch mitnehmen zum Buffet. Er wächst so schnell, und ich sehe ihn bei meinen langen Arbeitszeiten eh schon kaum.«

»Was gibt es da auch zu sehen? Er hängt ja nur rum«, erwidert Seth.

Ich seufze. »Jetzt reicht es langsam, Seth«, antworte ich bestimmt. »Er ist wirklich ein guter Junge.«

»Du hast recht«, sagt er schnell. »Das ist er. Ich liebe ihn, das weißt du doch. Deshalb lass ich da bei ihm ja auch nicht locker.«

»Und dafür bin ich dir dankbar«, versichere ich ihm. Mal wieder wird mir klar, dass Seth und ich besser funktionieren, wenn wir höflich anstatt ehrlich zueinander sind. »Ich sehe dich dann heute Abend.«

»Äh, nein«, lautet seine Antwort. »Sorry. Heute ist die Galerien-Nacht in der Stadt.

»Oh, ja klar«, sage ich. Die einmal im Monat stattfindende Nacht der Galerien bedeutet ihm und unseren Künstlerfreunden sehr viel. Sie besuchen die Ateliers der anderen, schlürfen den schlechten Gratiswein, mischen sich unter die Käufer und Eigentümer, gehen dann auf Spesenkosten in den Asia-Nudelladen und trinken Soju, bis die Sonne aufgeht.

Früher haben Seth und ich das zusammen gemacht.

»Nun, wenn das so ist, dann sehe ich dich Samstagmorgen.«

»Ahh, Samstagabend«, wirft er ein. »Es wird spät. Wir wollen am Wochenende doch Corbins Junggesellenabschied feiern. Weißt du noch?«

Ich erinnere mich nicht daran, und ich habe mir auch keinen Reminder eingestellt. »Aber das heißt ja, dass du sowieso nicht beim Sport-Buffet dabei sein wirst.«

»So ein Profi wie du braucht mich dafür nicht. Mach die Sangria, schmeiß das Essen der Golfkids weg, kauf den Kindern zu viel Nachtisch. Wie jedes Jahr.«

Tatsächlich genau wie jedes Jahr, denn Seth hat mal wieder keinen Finger gerührt, um mich zu unterstützen. Innerlich unterstreiche ich den Punkt an Ehe arbeiten auf meiner unendlichen To-do-Liste. »Richte Corbin herzliche Glückwünsche von mir aus«, entgegne ich nur, weil ich jetzt nicht darüber streiten will. Um die Wahrheit zu sagen, gab es schon seit Jahren keinen Streit mehr zwischen uns, der es wert gewesen wäre. Es gewinnt eh keiner. Wir können unsere Probleme lösen, dessen bin ich mir sicher, aber diese verdammte To-do-Liste ist einfach sehr lang. »Macht euch eine schöne Zeit.«

Zeit. Während ich telefoniert habe, sind achtundsiebzig neue E-Mails reingekommen. Ich muss dringend auflegen, wenn ich die vor meinen Konferenzen nachher noch durchsehen will. Die ich wiederum wie ein Feldwebel durchpeitschen muss, wenn ich um fünf bei Linus am Hort sein möchte. Sogar dann ist Glück und vielleicht ein Wunder nötig, um alles zu schaffen. Ich klicke die erste E-Mail an. Da fällt mir ein, dass ich heute Morgen nichts fürs Abendessen aus dem Gefrierfach geholt habe. Jetzt brauche ich also Glück, ein Wunder und muss auch noch beim Drive-through vorbei. Ach ja, und weil Seth nicht da ist, steht auch der Einkauf für morgen Abend noch an. Also Glück, ein Wunder, eine Runde durch den Drive-through und ein Stopp im ABC-Spirituosen-Laden, um auf der Heimfahrt eine Kiste Rotwein einzusammeln.

Während ich E-Mail um E-Mail beantworte, geht mir alles Mögliche durch den Kopf. Linus, Programmieren, Einsamkeit, wie viel Sangria wohl dreißig Mütter trinken, ob wir gestern Abend schon Brathähnchen gegessen haben und ob Bridget inzwischen Brokkoli mag. Die Zeit läuft nun nicht mehr ohne mich weiter, sondern reißt mich geradezu mit in ein schwarzes Loch aus Aufgaben und Benachrichtigungen und – ach ja, ich sollte mal etwas zu Mittag essen. Habe ich den Kindern eigentlich Lunch eingepackt? Sie hätten doch sicher etwas gesagt? Sie hätten es bemerkt, oder?

Ich ordere einen Salat – denselben wie jeden Freitag, da das über die automatisierte Bestellfunktion meiner App läuft. Dann fällt mir ein, dass ich in der Mittagspause eigentlich zum Pilates wollte. Ich stelle fest, dass ich es durchaus noch schaffen könnte, aber verwerfe die Idee. Überlege, ob ich mich die zwanzig Minuten, bis der Salat kommt, einfach auf den Boden meines Büros legen soll. Beantworte fünf weitere E-Mails. Versuche mich daran zu erinnern, ob es eine von Bridgets engen Freundinnen nicht ins Team geschafft hat. Sie hat mir gestern Abend erzählt, dass außer Kara noch jemand rausgeflogen ist … Sie hat deswegen geweint. Aber es war niemand, den sie besonders gern mag, es tat ihr einfach nur leid. Meine empathische Bridget. Wer war nur das Mädchen?

Brandy. Ich darf den Brandy für die Sangria nicht vergessen. Welche Marke hatte ich letztes Jahr? Es hat nicht so gut geschmeckt wie sonst. Ich hätte mir eine Notiz im Handy speichern sollen, damit ich nicht wieder diese Marke kaufe. Oder habe ich das? Unter was habe ich das wohl abgelegt in der App? Muss ich noch in der Bibliothek vorbei für die Bücher, die Linus vorgemerkt hat? Wäre es nicht einfacher, dem Jungen Geld für Bücher zu geben? Ich zahle locker zwanzig Dollar Strafgebühren jeden Monat. Vielleicht lernt er dann, wie man mit begrenzten Ressourcen auskommt … oder er gibt einfach sein Budget aus und merkt dann in der Bibliothek weitere Bücher vor. Ist doch gut, so eine Leseratte zu haben, oder? Warum sieht Seth das nicht? Wären andere Väter nicht stolz auf einen so fleißigen Sohn?