The Ravenhood - Exodus - Kate Stewart - E-Book
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The Ravenhood - Exodus E-Book

Kate Stewart

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Beschreibung

»Ich habe getan, was Diebe tun. Ich habe dich gestohlen …«

Was für Cecelia Horner wie ein langweiliges Jahr begann, entwickelte sich zum Sommer ihres Lebens, nachdem sie Sean, Dominic und die Bruderschaft der Raben kennengelernt hat. Doch mit der Rückkehr von Tobias, dem Anführer der Gruppe, endet ihr neu gewonnenes Glück jäh. Dem gefährlichen Franzosen ist Cecelia ein Dorn im Auge, denn sie könnte seine lange geschmiedeten Rachepläne durchkreuzen. Cecelia wiederum hat allen Grund Tobias für das, was er ihr angetan hat, zu hassen. Doch zwischen Hass und Liebe liegt ein schmaler Grat – und wenn Cecelia ihre Zeit in Triple Falls eines gelehrt hat, ist es, dass es sich lohnt, diese Grenzen manchmal zu überschreiten …

TikTok made me buy it – der zweite Band der »The Ravenhood«-Trilogie endlich auf Deutsch!

Weitere Bände der Reihe:
Band 1: The Ravenhood – Flock
Band 2: The Ravenhood – Exodus
Band 3: The Ravenhood – The Finish Line

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Seitenzahl: 685

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Buch

Was für Cecelia Horner wie ein langweiliges Jahr begann, entwickelte sich zum Sommer ihres Lebens, nachdem sie Sean, Dominic und die Bruderschaft der Raben kennengelernt hat. Doch mit der Rückkehr von Tobias, dem Anführer der Gruppe, endet ihr neu gewonnenes Glück jäh. Dem gefährlichen Franzosen ist Cecelia ein Dorn im Auge, denn sie könnte seine lange geschmiedeten Rachepläne durchkreuzen. Cecelia wiederum hat allen Grund, Tobias für das, was er ihr angetan hat, zu hassen. Doch zwischen Hass und Liebe liegt ein schmaler Grat – und wenn Cecelia ihre Zeit in Triple Falls eines gelehrt hat, ist es, dass es sich lohnt, diese Grenzen manchmal zu überschreiten …

Autorin

Kate Stewart ist mehrfache »USA Today«-Bestsellerautorin, und das nicht ohne Grund: Ihre Romane rauben ihren Fans den Atem! Insbesondere ihre »The Ravenhood«-Trilogie traf mitten in das Herz ihrer Leser*innen und wurde zu einer weltweiten TikTok-Sensation.

Die gebürtige Texanerin lebt mit ihrem Mann inmitten der Blue Ridge Mountains in North Carolina. Wenn sie nicht gerade am Schreibtisch sitzt und knisternde Geschichten zu Papier bringt, vertreibt sie sich gern die Zeit mit Fotografie, dem Hören von und Tanzen zur Musik der 1980er- und 1990er-Jahre oder mit einem Glas gutem Whiskey.

Weitere Informationen unter: www.katestewartwrites.com

Von Kate Stewart bereits erschienen:

The Ravenhood – Flock

Besuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlag und www.facebook.com/blanvalet.

KATE STEWART

THE RAVENHOODEXODUS

ROMAN

Deutsch von Bettina Hengesbach

Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel »Exodus«.

Das Zitat in Teil Zwei stammt aus dem Gedicht »Der Traum« von Edgar Allan Poe, in: »Edgar Allen Poes Werke«, herausgegeben von Theodor Etzel, übersetzt von Theodor Etzel und Hedwig Lachmann, Propyläen, Berlin, 1921/22.

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Copyright der Originalausgabe © 2021 by Kate Stewart

First published 2021 and subsequently reissued by Pan Books, in 2023, an imprint of Pan Macmillan, a division of Macmillan Publisher International Limited.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2023 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Susann Rehlein

Covergestaltung: www.buerosued.de nach einer Originalvorlage von Pan Macmillan

Coverdesign: Moesha Parirenyatwa

Covermotiv: © Shutterstock

DK · Herstellung: sam

Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München

ISBN 978-3-641-30536-9V002

www.blanvalet.de

TEIL EINS

DAMALS

KAPITEL EINS

»Du bist der Frenchman.«

Er antwortet mit einem knappen Nicken. Sein feindseliger Blick brennt sich voller Verachtung in meine Haut. »Würde es dir was ausmachen, die verdammte Musik leiser zu drehen?« Jedes einzelne seiner Worte ist von seinem starken französischen Akzent durchzogen, was meinen Verdacht nur bestätigt.

Dominic hat kaum je Französisch gesprochen, weshalb mich der Spitzname schon die ganze Zeit gewundert hat. Aber zu dem Mann hier und zu seiner Ausstrahlung passt er.

Eine Schweißperle läuft an seiner Schläfe hinab, während ich ihn eingehend betrachte. Sein Anzug ist maßgeschneidert und eines Königs würdig. Der Stoff schmiegt sich an seinen Körper und betont seine rohe Männlichkeit. Obwohl seine Miene feindselig ist, macht mich sein Gesicht sprachlos, mein Mund ist trocken. Vor mir steht zweifellos der schönste Mann, den ich jemals gesehen habe. Ich bin so gefesselt, dass ich den Blick nicht von seinem dichten, tintenschwarzen, welligen Haar abwenden kann, das er nach hinten gegelt hat. Die scharfe Kontur seines Kiefers begrenzt ein makelloses sonnengebräuntes Gesicht. Die Augen, in denen orangegelbe Flammen züngeln, sind von dichten Wimpern umrahmt, seine markante Nase wirkt noch dominanter, als er jetzt die Nasenflügel bläht. Seine vollen Lippen sind vollkommen symmetrisch. Doch der Zorn, der von ihm ausgeht, bringt mich schier um den Verstand.

Er ist der Teufel, gekleidet in Armani.

Und er stellt eindeutig eine Bedrohung für mich dar.

Ich greife nach der Fernbedienung auf dem Tisch neben mir und drücke hektisch auf die Lautstärketaste. »Ich wusste nicht, dass d-du der Frenchman bist«, stammele ich und taste nach meinem Bikinioberteil. »Ich w-wusste nicht, dass es dich überhaupt gibt.«

»Das solltest du auch nicht.« Sein scharfer Ton schnürt mir die Kehle zu und raubt mir den Atem.

Ich schaue mich hektisch um und suche vergeblich nach meinem Oberteil. Schließlich verschränke ich, rot vor Scham, die Arme vor der Brust. »Warum machst du dir dann überhaupt die Mühe, dich zu erkennen zu geben?«

»Weil die beiden schwanzgesteuerten Schwachköpfe es offenbar nicht lassen können …« Er verzieht die Lippen und bleckt die Zähne wie ein Raubtier.

»Mit dem Feind rumzumachen?« Ich schüttele den Kopf. »Ich bin nicht eure Feindin. Und wir machen nicht nur rum.«

Seine Kiefermuskeln zucken, sein Blick ist voller Hohn. »Nein, du machst dir nur ein schönes Leben mit Daddys schmutzigem Geld.«

»Ach, darum geht’s. Ich hab mir schon Sorgen gemacht, das Funkeln in deinen Augen könnte was anderes bedeuten.«

»Ich ficke keine kleinen Mädchen«, sagt er gedehnt, und der Akzent lässt seine Worte noch verächtlicher klingen. »Und ich weiß ganz genau, dass du dich durch meine ganze Crew gevögelt hast.«

Seine Bemerkung tut weh, aber ich lasse mir nichts anmerken. »Es waren nur zwei, und so, wie es aussieht, könntest du auch ein bisschen Ablenkung gebrauchen. Du wirkst ziemlich angespannt.«

Genervt schiebt er seine Hände in die Hosentaschen. »Was zur Hölle willst du von mir?«

»Ich will Antworten. Und ich will, dass mein Vater in Sicherheit ist.«

»Das kann ich nicht garantieren.«

»Aber du wirst nicht derjenige sein, der ihm etwas antut?«

Sein Zögern jagt mir einen Schauer über den Rücken.

»Zumindest nicht körperlich. Doch ansonsten auf jegliche erdenkliche Art.«

»Und was ist mit mir?«

»Du hast mit der Sache nichts zu tun.«

»Mittlerweile schon.«

»Nein. Dafür habe ich gesorgt.« Seine selbstgefällige Antwort lässt eine Erkenntnis in mir aufkeimen.

»Du bist der Grund für das Ganze. Du hast Sean und Dominic gezwungen, mich zu verlassen.«

Mir gehen die Worte durch den Kopf, die Dominic vor wenigen Tagen zu mir gesagt hat. Wir haben versucht, ein Zeichen zu setzen, und wir sind kläglich gescheitert.

Jemand, der auf dem Treffen war, muss ihm verraten haben, dass ich hier bin.

Nach einem langen Moment der Stille spricht der feindselige Fremde wieder. »Du hättest niemals herkommen dürfen.«

»Du wusstest von mir. Ihr alle wusstet von mir.« Natürlich war es so. Regel Nummer eins lautete, seinen Feind und dessen Schwächen zu kennen. Aber für sie war ich die naive Tochter, die keine Gefahr für ihre Pläne darstellt.

»Wer genau bist du?«

Stille.

»Warum tauchst du jetzt hier auf?«

Er bleibt stumm.

Jemand konnte ein Geheimnis nicht für sich behalten.

Irgendjemand aus einer der anderen Gruppen muss ihm alles gesteckt haben, und das ist der Grund, warum Sean und Dominic mich an jenem Abend in der Werkstatt plötzlich ignoriert haben. Sie haben versucht, die anderen zu täuschen, in der Hoffnung, dass ich so unter dem Radar des Mannes bleibe, der nun vor mir steht und mich wütend anfunkelt. Sie wollten mich vor ihm beschützen.

Mit einem Mal wird mir alles klar.

»Deshalb war ich das Geheimnis«, flüstere ich zu ihm hoch. »Du hattest keine Ahnung, dass ich hier bin. Du wusstest, dass Roman und ich uns nicht nahestehen.«

Seine Augen blitzen auf, und auf meinen Lippen breitet sich ein zufriedenes Lächeln aus.

Nun weiß ich, warum er so wütend ist. »Du hast nicht damit gerechnet, dass ich hier aufkreuzen würde. War ja auch eine spontane Entscheidung. Die beiden haben mich vor dir verborgen. Du hast nichts mitgekriegt und bist jetzt sauer.«

Er macht einen bedrohlichen Schritt auf mich zu. »Du ahnst nicht mal annähernd, in was du hineingeraten bist. Hör auf, das taffe Mädchen zu spielen, und fang an, richtig mit mir zu sprechen, denn ich gebe dir nur zwei Minuten.«

Und das tue ich. Ich höre mit dem Schauspiel auf, weil ich um mehr kämpfe als nur um meinen Stolz. »Ich bin nicht die Verräterin, für die du mich hältst.«

»Was ich über dich denke, spielt keine Rolle.«

»Das glaube ich aber schon. Es spielt sogar eine große Rolle. Du hältst mich fern von meinen …«

»Du kannst dir jemand Neues zum Vögeln suchen, Cecelia.« Er spricht meinen Namen voller Ekel aus. Offenbar betrachtet er mich als Gefahr und definitiv als jemanden, der seine gut durchdachten Pläne durchkreuzt.

Ich kann nicht dagegen an, dass ich bei diesem Gedanken Schadenfreude empfinde. »Vielleicht hasst du meinen Vater, aber im Moment verhältst du dich genauso wie er, wie ein gefühlloser Kontrollfreak, der sich für Gott hält.«

Er bläht wieder die Nasenflügel. »Pass auf, was du sagst.«

»Und wenn nicht?«

Er steht über mir, und seine Augen funkeln warnend. »Du willst mich nicht wütend sehen.«

»Das ist noch nicht wütend? Und wer bist du überhaupt, dass du meinst, mir Anweisungen erteilen zu können? Du hast vielleicht die meisten Karten auf der Hand, aber meine fehlt dir noch. Ich würde dir raten, nett zu mir zu sein, wenn du willst, dass ich mitspiele … und schweige.«

Er erwidert nichts, aber die angespannte Haltung, die er plötzlich annimmt, genügt.

Das waren genau die Worte, die mir nicht hätten über die Lippen kommen sollen. Jetzt, da ich sie ausgesprochen habe, bin ich nicht mehr vertrauenswürdig. Ich habe Sean und Dominic hintergangen, indem ich diesem Arschloch bewiesen habe, was er ohnehin schon vermutet hat. Er versucht, alles auseinanderzunehmen und zu analysieren, um ihnen klarzumachen, dass mir zu vertrauen ein Fehler war. Dominic wäre unendlich enttäuscht.

Mir kommen die Worte in den Sinn, die Dominic gesagt hat, als ich damals wutentbrannt aus ihrem Haus gestürmt bin.

»Sie hat es nicht drauf.«

»Gib ihr Zeit.«

Alles fällt mir wieder ein, alle Prüfungen, denen sie mich unterzogen haben. Das nervtötende Hin und Her zwischen Dominic und mir. Die ganze Zeit über hat Sean versucht, mir das beizubringen, woran er und die Bruderschaft glauben, während Dominic mich verspottet und mir die Worte im Mund umgedreht hat. Von dem Moment an, als sie beschlossen haben, mich in ihre Gruppe aufzunehmen, haben sie mich auf eine Konfrontation wie diese vorbereitet. Und all das wegen des Mannes, der nun vor mir steht. Sie haben mich auf den Shitstorm vorbereitet, den mir der Frenchmanliefern würde. Seine Rückkehr war unumgänglich.

»Ich kann ein Geheimnis wahren. Aber ich will den Plan kennen.«

»Nur weil du hier bist, heißt das noch lange nicht, dass du ein Teil des Plans wirst. Sie haben eine unüberlegte Entscheidung getroffen, und das wissen sie. Dass du mit ihnen gevögelt hast, gibt dir kein Mitspracherecht. Und ich weiß, dass du es niemandem erzählen wirst«, sagt er voller Überzeugung. »Aber aus den falschen Gründen.«

»Wieso sind meine Gründe falsch?«

»Weil du es für sie tust.« Er deutet mit dem Kopf in Richtung Wald. »Und weil du deine Gefühle nicht ausblenden kannst, statt dir bewusst zu machen, dass Roman unverzeihliche Dinge getan hat und es verdient hat, dafür zu leiden. Also lass die Vergangenheit hinter dir, so wie sie es getan haben, und … lebe dein Leben.«

»Ist das ein Befehl?«

»Nein, das ist ein gut gemeinter Ratschlag«, versetzt er. »Und den solltest du annehmen.«

»Ich will sie sehen.«

»Auf keinen Fall.«

»Ich bin kein kleines Mädchen, das angepisst ist, weil es seine Spielkameraden verloren hat. Rede mit ihnen. Sie werden dir von mir erzählen. Und sie können beschwören, dass man mir vertrauen kann.«

Er lässt seinen Blick voller Abscheu über mich wandern. »Ich weiß genug.«

Ich lasse die Arme sinken und entblöße damit meine Brust, um ihn zu ärgern. Ich werde mich von ihm nicht für etwas niedermachen lassen, von dem er keine Ahnung hat, und ganz bestimmt werde ich mich nicht mehr unwohl in meiner Haut fühlen, nachdem ich doch einen ganzen Sommer lang daran gearbeitet habe, meine Hemmungen abzulegen.

Aber meine Taktik scheint nicht zu wirken, denn er schaut mir immer noch fest in die Augen.

»Du willst das wirklich durchziehen?«

»Wir leben in unterschiedlichen Welten. Die Augen vor der Wahrheit zu verschließen ist in deinem Fall vielleicht das Beste, Cecelia.«

»Auch wenn er und ich keine enge Bindung haben, will ich nicht, dass ihr meinem Vater etwas antut. Wenn du mir versprichst, dass er in Sicherheit ist, kann ich euch helfen.«

»Ich verspreche gar nichts. Er hat auch ohne uns viele Feinde. So läuft das nun mal in der Business-Welt.«

»Das sehe ich anders.«

»Das ist dein Problem.«

»Was zur Hölle soll ich also tun?«

Er dreht sich in Richtung Wald und macht eine wegwerfende Handbewegung. »Lackier dir die Nägel.«

Wütend taste ich nach dem nächstbesten Gegenstand und finde eine Flasche Sonnencreme. Ich werfe sie und treffe ihn am Rücken.

Er wirbelt zu mir herum, und ich zucke zusammen, weiche auf meinem Liegestuhl zurück, setze mich ganz an den Rand.

Er greift meinen Arm, zerrt mich zu sich hoch.

Das zwischen uns ist kein Knistern, sondern ein tosendes Feuer von Hass, Zorn und Groll, der nichts mit mir zu tun hat. Der Mann hasst mich wirklich, das kann ich spüren.

»Wenn du mich noch mal linkst, mache ich dich fertig.« Sein Blick brennt sich durch meine Haut, sein Griff um meinen Arm ist unerbittlich.

Ich bemühe mich, nicht vor Schmerz zu ächzen.

»Du machst einen Fehler. Sean und Dominic sind in erster Linie meine Freunde, und ich will ihnen helfen. Sie haben dir die Treue gehalten, und von dir kenne ich nicht mal den Namen. Du magst Roman hassen, aber ich bin unschuldig. Ich wusste von nichts. Und ich weiß immer noch nichts.«

»Du bist zu jung und zu naiv. Du hast ihnen jedes Wort geglaubt, und jetzt musst du endlich einsehen, dass sie das bekommen haben, was sie von dir brauchten. Du kannst gehen.«

Ist das so? Vielleicht war ich Mittel zum Zweck für sie, um sich Zugang zu Roman zu verschaffen. Mein Herz wird schwer, als ich an den Tag zurückdenke, an dem Sean zu mir gekommen ist, um sich zu entschuldigen. Dominic ist kurze Zeit später ins Haus meines Vaters gegangen, während Sean mich abgelenkt hat. Ich habe mich vielleicht hinters Licht führen lassen, aber …

»Ich bin keine Hure.«

»Mir ist egal, ob du eine Hure bist oder nicht. Das musst du mit dir selbst ausmachen.«

Sicher, sie haben mich benutzt. Doch nach jenem Tag hat sich alles verändert. Sie haben mich in ihre Welt gelassen, weil sie mich dort haben wollten. Da bin ich mir ganz sicher. Sean hat es mir gestanden. Er ist ein großes Risiko eingegangen, indem er mich in die Gruppe aufgenommen hat. Er hat mir Geheimnisse anvertraut, womit er mich automatisch an sich und seine Freunde gebunden hat. Und indem er mit mir zusammengeblieben ist, hat er seine und Dominics Glaubwürdigkeit und Position in der Bruderschaft gefährdet. Wenn ich jemals einen Beweis für ihre Liebe brauchte, habe ich ihn nun.

»Sie bedeuten mir viel. Lass mich einfach meinen Teil zu eurer Sache beitragen.«

»Wenn sie dir etwas bedeuten, dann hör auf, so verdammt egoistisch zu sein. Sie sind bereit, dich zu vergessen, und du musst dich zusammenreißen und das Gleiche tun.«

»Du kannst mich nicht von ihnen fernhalten.«

»Doch, und das weißt du ganz genau. Niemand wird dir die Tür öffnen. Niemand wird dir nahekommen. Von jetzt an … existierst du nicht mehr. Du hast nie existiert.«

Eine Wut, wie ich sie noch nie verspürt habe, schießt durch meinen Körper, als ich ihm die Worte entgegenwerfe. »Fick dich, und hör auf, den harten Kerl zu spielen – du bist doch nur ein Hinterwäldler, der einen auf Robin Hood macht!« Ich entreiße ihm meinen Arm, und er unternimmt nichts dagegen. »Verschwinde!«

Er tritt einen Schritt zurück und schiebt seine Hände wieder in die Hosentaschen. Seine Augen glühen, doch seine Stimme ist kalt. »Das ist genau der Grund, warum ich dich nicht in unserer Nähe haben will.«

Ich hebe eine Hand. »Du benutzt die Tatsache, dass ich eine Frau bin, als Ausrede, um mich aus eurer Bruderschaft auszustoßen? Du und deine Bürgerwehrtruppe seid doch angeblich die Guten, oder? Und wir sollen euch Wichsern dankbar sein?« Ich schnaube. »Na, dann danke ich dir im Namen aller Frauen.« Ich verbeuge mich übertrieben. Ich hebe das Kinn. »Sean und Dominic haben mir vertraut, weil ich sie liebe, und sie wussten, dass ich wegen meiner Liebe hinter ihnen stehen würde. Tu meine Gefühle ruhig ab, aber sie sind der Grund dafür, dass ich euch nie gefährden würde. Im Gegenteil, ich würde alles tun, um sie zu beschützen, genauso wie sie mich beschützen. Und dich.«

Ein Anflug von Erkenntnis huscht über seine Züge, doch verschwindet genauso schnell wieder. »Du hättest nie in die Sache reingeraten sollen.«

»Aber nun, wo es einmal geschehen ist, lass mich meinen Teil zu eurer Sache beitragen.«

»So, das waren deine zwei Minuten.« Er wendet sich ab, um in Richtung Wald zu gehen.

Ich muss etwas sagen, denn ich weiß, dass ich keine zweite Chance bekommen werde. »Ich liebe sie wirklich«, sage ich leise gegen seinen Rücken. »Vielleicht haben sie Mist gebaut, aber der Grund dafür, dass ich in die Sache überhaupt hineingeraten bin, ist ihre Loyalität dir gegenüber – das, wofür ihr kämpft und wofür ihr steht. Sie haben nicht damit gerechnet, dass sie meine Liebe erwidern würden, sondern wollten mich nur benutzen. Und weil sie es nicht übers Herz gebracht haben, mich derart zu betrügen, stehe ich nun hier und verteidige sie. Bitte. Lass mich helfen.« Ich wische mir die Tränen aus den Augen und starre ihm hinterher.

Er ist mächtig und grausam und so viel mehr, als ich erwartet habe. Ich hatte mit meinem goldenen Sonnenjungen oder meinem grimmigen Typen für Regentage gerechnet, und ich kann den Gedanken, dass ich sie vielleicht nie wiedersehe, nicht ertragen. Ich bettele, auch wenn ich das nicht tun sollte. Stattdessen sollte ich meine Sachen packen und abhauen. Scheiß auf meinen Vater und was er getan hat. Wir haben nichts miteinander zu tun, und ich könnte auch einen anderen – sichereren – Weg finden, meiner Mutter zu helfen. Aber als ich darüber nachdenke, stehen mir Bilder von Sean und Dominic vor Augen, und ich kann mich nicht dazu durchringen fortzugehen. Noch nicht.

»Ich glaube an das hier – an alles, was ihr tut, an alles, wofür ihr steht. Ich will ein Teil davon werden.« Es ist die Wahrheit, doch ich befürchte, dass ich meinen Standpunkt zu spät klargemacht habe.

Er hat mir noch immer den Rücken zugewandt, als er in seine Tasche greift, mein Bikinioberteil herauszieht und es fallen lässt. »Ich denke darüber nach.«

KAPITEL ZWEI

Der erste Anflug von Herbstkälte bestätigt seine Entscheidung. Es musste so kommen.

Es ist erst ein paar Wochen her, seitdem ich dem feindseligen Fremden begegnet bin, aber die kalte Luft scheint eine quälende Endgültigkeit mit sich zu bringen. Keine Sommernächte mehr mit Dominic unter dem Sternenhimmel, keine langen Wanderungen mehr mit Sean. Meine Liebe, Zuneigung, Loyalität und Hingabe bedeuten nichts.

Das Ende der Jahreszeit läutet das Ende von allem ein, was mir während meiner Zeit hier wichtig geworden ist. Ich bin erst seit gut drei Monaten hier, aber ich spüre die Veränderung in mir. Ich bin nicht mehr das neugierige Mädchen, das ich war, als ich angekommen bin.

Meine Realität verändert sich so schnell wie die Bäume um mich herum, die unterschiedliche Schattierungen von Braun, Purpurrot und Gelb angenommen haben. Und in meiner Verfassung kann ich die Schönheit nicht wertschätzen, sondern nur die Botschaft darin erkennen.

Der Sommer ist nicht endlos.

Es ist vorbei.

Das College hat diese Woche angefangen, und ich habe mich ins Studium gestürzt. Meine Schichten in der Fabrik sind, seit Sean gekündigt hat, anstrengender.

Nur einmal habe ich meiner Neugier nachgegeben und bin über die große Wiese hinter Romans Haus bis zur Lichtung gegangen – wo jedoch vollkommene Stille herrschte. Die Picknickbänke sind weg, und langsam wächst das Gestrüpp wieder höher. Es ist, als wäre all das nie passiert. Abgesehen von der neuen Vegetation und dem Rascheln der Bäume herrscht kein Leben dort.

Meine Sonnenbräune verblasst langsam, und ich weiß, dass ich abgenommen habe. Mein Körper wird hager, und mein Herz verdorrt, zehrt nur von den Erinnerungen an die letzten Monate, als Lächeln sich nicht angefühlt hat wie eine Verpflichtung.

Meine Träume verschaffen mir manchmal Erleichterung. Träume von langen Wanderungen, begleitet von heißen Blicken, Wetterleuchten und leidenschaftlichen Küssen. Wenn ich erwache, bin ich voller Schmerz und Trauer.

Melinda ist überraschend nett zu mir; sie verbringt endlose Schichten damit, mir alle Neuigkeiten über Triple Falls zu erzählen, wobei sie alles ausspart, was mit denjenigen zu tun hat, von denen ich am dringlichsten hören möchte. Aber wahrscheinlich weiß sie ohnehin nichts.

Sean hat behauptet, er würde die Sache geradebiegen, eines Tages.

Eines Tages.

Ein Begriff, der so vage ist, so viel Spielraum für Interpretationen lässt, dass sich jeder Tag anfühlt wie eine Strafe.

All der Herzschmerz ist zwei Geistern zuzuschreiben, die mich immer wieder heimsuchen. Ich habe mich an Seans Bitte gehalten. Ich fahre nie zur Werkstatt und schreibe ihnen keine Nachrichten. Es würde ohnehin nichts bringen. Sie haben ihre Entscheidung getroffen und gezeigt, wo ihre Loyalität liegt. Dass wir mal zusammen waren, ist nicht mehr wichtig. Ich bin nicht wichtig genug, als dass sie um meinetwillen ihre Pläne ändern würden.

Zumindest ist das der Schluss, den ich aus ihrem Schweigen ziehe.

Christy baut mich in unseren langen FaceTime-Gesprächen auf. Wir reden über unsere gemeinsamen Pläne und dass wir in einem Jahr daran weiterarbeiten. Das verschafft mir ein wenig Trost. Triple Falls sollte nur ein Zwischenstopp sein, doch für mich ist es zu einem Wendepunkt geworden, und ich habe das Gefühl, nirgendwo mehr sicher landen zu können.

Je länger sie schweigen, desto stärker schmerzt mein Herz.

Zwar schaffe ich es immer irgendwie durch den Tag, aber jeder Schritt, jedes Ticken der Uhr drückt mich nieder. Jeden Morgen schüttele ich meine sehnsüchtigen Träume ab, fest entschlossen, mein Herz zu schützen, als hätten sie es nicht längst zerrissen. Aber je mehr Blätter von den Bäumen fallen, desto mehr Splitter sammeln sich in meiner Brust an.

Ich habe geglaubt, dass ich Liebeskummer kenne, und vielleicht stimmt das auch, aber noch nie vorher habe ich mich gefühlt, als hätte ich einen Teil meiner selbst verloren.

Ich lasse mich treiben, lebe nur für die Erinnerungen, für meine Träume, bade in dem endlosen Schmerz, in der Qual des Vermissens, und bin kurz davor, mich selbst zu vergessen.

Eines Tages.

Heute habe ich mich gezwungen aufzustehen und wollte unbedingt versuchen, ein paar Stunden nicht zu grübeln. Als ich im Ortskern ankomme, finde ich nur mit Mühe einen Parkplatz, ehe ich mich der Menschenmenge aus Einwohnern von Triple Falls und Touristen anschließe, die mit einem erwartungsvollen Lächeln aus ihren Autos steigen. Melinda redet seit Tagen pausenlos vom Apfelfest, und als ich um die Ecke biege und mich auf dem Platz umschaue, muss ich fast losprusten.

Es ist nichts weiter als ein kleines Dorf-Straßenfest, auf dem man an Flohmarktständen lokale Spezialitäten probieren kann. Es ist weit entfernt von einem Stadtfest, aber als ich den Platz betrete, komme ich zu dem Schluss, dass das Event seinen ganz eigenen Charme hat. Natürlich gibt es auch Äpfel aus der Gegend.

Ein kurzer Blick auf das Banner der Obstplantage, zu der mich Sean damals zu unserem nächtlichen Picknick mitgenommen hat, weckt alte Erinnerungen.

Je länger ich an den Ständen entlanggehe, desto mehr bereue ich es, hergekommen zu sein, und mit jeder Sekunde wird der Drang zum Auto umzukehren größer. Erinnerungen daran, wie er mich im Wald angebetet hat, ersticken mich und machen mir erneut bewusst, dass ich nicht mehr die Gleiche bin, die ich war, als ich hierhergekommen bin. Und vielleicht werde ich das auch nie wieder sein. Ich trete hinter die Stände, auf den Bürgersteig, und bleibe abrupt stehen, als sich die Tür eines Tattoo-Studios öffnet und eine Gruppe von Typen herauskommt.

Als jemand »Ich weiß« sagt, erkenne ich die Stimme. Ich blicke auf und schaue in ein bekanntes Gesicht.

Es dauert ein paar Sekunden, bis mir einfällt, woher ich ihn kenne.

»RB, richtig?«

Er ist fast zehn Zentimeter größer als ich und sieht mich aus seinen honigfarbenen Augen belustigt an. »Richtig. Und du bist Doms Freundin.«

»Ich …« Ich suche nach Worten, als mein Blick auf das frische Tattoo fällt, das sich bis zu seinem Hals hinaufschlängelt – Federspitzen.

Ich reiße die Augen auf, und RBs Grinsen wird breiter. Er zieht den weißen Verband an seinem Arm runter, sodass schwarze Flügel zum Vorschein kommen. »Ist wahrscheinlich gut, dass wir nicht denken wie du«, sagt er verächtlich.

Verblüfft suche ich nach den richtigen Worten und lasse beschämt die Schultern hängen. Er hat meine Angst vor ihm in jener Nacht gesehen, mein Zögern und dass ich voreilige Schlüsse gezogen, ihn für einen Kriminellen gehalten habe, obwohl er mir keinen Anlass gegeben hat.

»Kopf hoch, Süße, fang nicht gleich an zu heulen.«

Ich könnte ihm unzählige Ausreden auftischen. Ich könnte erwähnen, dass ich nur Angst hatte, weil ich die Gegend nicht kannte, weil ich Doms Waffe gesehen habe, weil ich nicht wusste, worum es in ihrem kurzen Wortwechsel ging, aber nichts davon ist gut genug. Ich habe das Schlimmste von Dominic und RB gedacht. Und ich habe mich getäuscht. »Es tut mir leid.«

Seine Antwort ist ein Lächeln. Er spannt voller Stolz seinen Bizeps an, sodass der Rabe zuckt. »Deshalb respektiere ich Dominic, er hat schon gesehen, was in mir steckt, als wir noch Kinder waren.«

Ich bin sprachlos und beschämt, zwinge mich, ihm fest in die Augen zu sehen. Wieder einmal wurde mir eine Lektion erteilt, aber ich habe gelernt, dass ich an solchen Situationen nur wachsen kann. Sean hat mir in den letzten Monaten eine Menge beigebracht, aber in erster Linie hat er mir gezeigt, wie wichtig Demut ist, und demütig schaue ich jetzt zu RB auf. Und ich hoffe, er kann sehen, was ich fühle.

Einer seiner Freunde, dessen Arm ebenfalls verbunden ist, meldet sich zu Wort. »RB, wir müssen los, wir haben einiges zu erledigen.«

Zwei neue Mitglieder in der Bruderschaft der Raben.

Und ich beneide sie, weil ich weiß, wohin sie fahren. Ich bin dort nicht willkommen.

Ich gehe auf den Mann zu, der mit RB gesprochen hat, und strecke ihm meine Hand entgegen. »Hi, ich bin Cecelia.«

Er blickt belustigt auf meine Hand runter, bevor er sie schüttelt. »Terrance.«

»Schön, dich kennenzulernen. Und herzlichen Glückwunsch.«

Er grinst, aber in seinen Augen liegt eindeutig Stolz. »Danke. Du bist Doms Freundin?«

»Ja. Nun, das war ich zumindest. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher.«

Ich schaue RB wieder an, weil ich weiß, wo er gleich sein wird und dass er sich mit den beiden Männern treffen wird, nach denen ich mich so verzweifelt sehne.

»Ich habe kein Recht dazu, um einen Gefallen zu bitten, a-aber wenn du … sie siehst, wenn du … Dominic siehst …« Ich schüttele den Kopf, denn ich weiß, dass die Nachricht niemals so rüberkommen wird, wie ich sie meine. Ich habe nicht mehr mit ihm gesprochen, seitdem ich die Wahrheit über den Tod seiner Eltern erfahren habe und dass mein Vater den Vorfall vertuscht hat. »Vergiss es.«

RB legt den Kopf schief und zieht die Brauen zusammen, sieht mich aus seinen hellbraunen Augen forschend an. »Sicher?«

»Ja.«

»Na gut, dann sehen wir uns …« Wir schenken einander ein kleines verschwörerisches Lächeln.

»Das hoffe ich. Eines Tages.« Ich hoffe inständig, dass dieser Tag kommen wird. Dass ich mich in der Bruderschaft wieder frei bewegen kann – ein Privileg, das ich als selbstverständlich betrachtet habe.

Als sie gehen, schlucke ich die Reue herunter, die sich in meinem Hals zu einem Knoten verdichtet hat. Meine Brust schmerzt, meine Gedanken rasen. Als ich einem Kinderwagen ausweiche, schüttet mir jemand sein Bier über den Ärmel.

Er entschuldigt sich, und ich streiche mir die Nässe vom Arm.

»Kein Problem«, versichere ich ihm und trete vom Bürgersteig auf die Straße.

Menschenmassen zwängen sich durch die endlosen Reihen aus Verkaufsständen. Die meisten Leute lächeln und wissen nichts von dem Krieg, der tobt. Ahnen nicht, dass hinter den Bäumen ihrer Nationalparks eine Gruppe Männer für sie kämpft, damit die lokale Wirtschaft floriert und die Wilderer ihnen nicht alles nehmen.

Je länger ich über die letzten paar Monate nachdenke, desto bewusster wird mir, was vorgefallen ist und was dagegen unternommen wird. Ein Teil von mir wünscht sich, ich könnte die Augen davor verschließen und vergessen, was ich weiß, aber das würde die Erinnerung an die beiden Männer auslöschen, in die ich immer noch so verliebt bin – jetzt mehr als jemals zuvor.

Obwohl mein Groll gegen sie wächst, weil sie sich zurückgezogen haben.

An sonnigen Tagen sehne ich mich nach Sean, nach seinem Lächeln, seinen Armen, seinem Schwanz und unserem Lachen. Nach seinen salzigen, nach Nikotin schmeckenden Küssen. Nach seiner Zunge auf meiner Haut. Nach seinem Zwinkern, wenn er mal wieder wusste, was ich denke.

An Regentagen sehne ich mich nach Dom, der mich eingehüllt hat wie eine Wolke. Nach den Küssen, die mein Verlangen geweckt haben, nach seinen sündhaften und weichen Zungenschlägen, nach seinem halben Lächeln, das mich innerlich glühen lässt. Nach weich gekochten Frühstückseiern und Kaffee.

Diese Männer haben mich unter ihre Fittiche genommen, mich das gelehrt, woran sie glauben, meine Sexualität zum Leben erweckt und sich selbst unvergesslich gemacht. Wie soll ich nach ihnen weitermachen?

Tränen laufen mir die Wangen hinab, schniefend bahne ich mir meinen Weg durch die größer werdende Menschenmenge vor dem Rathaus, wo auf einer hohen Bühne eine Band spielt. Ungefähr ein Dutzend Paare, die aussehen, als hätten sie das ganze Jahr geübt, tanzen mit synchronen Schritten auf der Straße.

Ich betrachte die beiden, die mir am nächsten sind und einander anlächeln, als würden sie ein Geheimnis miteinander teilen. Während ich ihren stummen Austausch verfolge, empfinde ich nichts als Neid, denn das Gleiche hatte ich mit Sean und Dominic.

Ich hatte es.

Und meine Geheimnisse, die ich für immer bewahren muss, werde ich nie mit jemandem teilen können. Doch ich werde mein Versprechen nicht brechen, ohnehin wäre niemand in der Lage zu begreifen, was vorgefallen ist. Meine Geschichte würde klingen wie ein verworrenes, sexuell provokantes Märchen mit einem traurigen Ende oder – noch schlimmer – ohne Ende.

Als ich hergekommen bin, wollte ich meine strengen Moralvorstellungen über Bord werfen und nicht mehr so prüde sein, damit ich mich in meinem neuen verwirrenden Leben zurechtfinden würde.

Dieser Wunsch hat sich erfüllt.

Ich sollte dankbar sein.

Aber das bin ich nicht; ich trauere.

Und das kann ich hier nicht.

Ich will nur noch weg, setze einen Fuß vor den anderen und zwänge mich durch die Menge, um den lächelnden Gesichtern, dem Lachen und den glücklichen Menschen zu entkommen, die nichts von dem inneren Kampf ahnen, den ich austrage – damit ich sie nicht anschreie, dass sie verdammt noch mal aufwachen sollen.

Aber vielleicht sind sie ja so schlau, dass ihnen die Tyrannei um sie herum bewusst ist, doch sie haben beschlossen, alles zu ignorieren.

Der Kampf zwischen Gut und Böse ist nichts Neues. Jeden Tag hört man davon. Aber mittlerweile sind sogar die Nachrichten nicht mehr verlässlich. Wir sehen das, was wir sehen wollen, und bei den meisten Menschen scheint das nicht allzu viel zu sein. Vielleicht bringt es nichts zu fliehen, sondern es wäre besser, eine von ihnen zu werden und meine Augen vor dem zu verschließen, was in dieser Scheißwelt falschläuft, denn so könnte ich zumindest durchatmen und eines Tages wieder ein ignorantes Lächeln auf den Lippen tragen. Aber je mehr Zeit vergeht, desto mehr wird mir bewusst, dass es keinen Weg zurück gibt.

Die Männer in meinem Leben haben mir die Augen geöffnet, haben mir gezeigt, welchen Krieg sie angezettelt haben. Und ich weiß jetzt, dass ich mich ihnen – würde man mich vor die Wahl stellen – voller Überzeugung anschließen würde. Und zwar für immer.

Am Rand der Menschenmenge, ich will gerade in eine Gasse abbiegen und mich entfernen, werde ich aus meinen Gedanken gerissen, als der Leadsänger der Band die Anwesenden begrüßt und ein ohrenbetäubendes Jaulen aus seinem Mikrofon schrillt, woraufhin er sich entschuldigt. »Und jetzt, wo wir eure Aufmerksamkeit haben«, er lacht und gibt dem Schlagzeugspieler ein Zeichen, »lasst uns richtig loslegen.«

Als die Musik einsetzt und Gitarre und Bass zu hören sind, wische ich mir mit dem Ärmel meines dünnen Pullovers Gesicht und Nase ab.

Mitten auf der Straße, auf einem Apfelfest, bin ich zu einem emotionalen Wrack geworden. Ich kann das nicht. Zumindest noch nicht.

Der Sänger setzt zur ersten Strophe des schnellen Songs an, der Text handelt davon, dass man auch dann lächeln soll, wenn man sich verloren fühlt und eine schwere Zeit durchmacht.

Ich kann ein bitteres Lachen nicht unterdrücken. Als mir weitere warme Tränen übers Gesicht laufen, wische ich sie mit dem Ärmel weg.

Ja, ich muss hier weg.

Eines Tages wird es bestimmt einfacher werden.

Als ich mich in die Richtung umdrehe, wo mein Auto geparkt steht, legt mir jemand eine Hand an die Hüfte. Abrupt schaue ich mich um, und im gleichen Moment trifft mich der Geruch von Zedernholz und Nikotin. Schockiert stoße ich die Luft aus. Als ich wieder einatme und den Duft aufsauge, lasse ich mich an seine Brust sinken.

Sein warmer Atem trifft auf mein Ohr. »Hey, Süße.«

Wieder treten mir Tränen in die Augen, und ich starre ihn mit offenem Mund an.

Seine funkelnden Augen trüben sich, als er meinen Gesichtsausdruck sieht.

»Was hast du …« Ehe ich meine Frage aussprechen kann, legt er den Arm um meine Taille und greift mit seiner freien Hand nach meiner.

»Was soll das?«, flüstere ich alarmiert.

Er schiebt sein Bein zwischen meine Beine, geht in die Knie und lässt die Hüften kreisen – einmal, zweimal. Ich stehe wie gelähmt da, kann mich nicht rühren.

»Komm schon, Süße«, fleht er und drückt meine Hand.

Mittlerweile sind einige Blicke auf uns gerichtet.

Er wiegt sich im Rhythmus der Musik, will mich dazu motivieren mitzumachen. »Komm schon, Babe«, drängt er, doch sein Lächeln gerät ins Wanken, als ich immer noch stocksteif dastehe, »gib mir ein Zeichen, dass Leben in dir steckt.«

Schmetterlinge regen sich in meinem Bauch, als er versucht, mich zu locken, indem er das Gewicht auf die Fersen verlagert und sexy die Hüften wiegt. Ich kann den Blick nicht von ihm abwenden, und schließlich gebe ich nach, lasse mich von der Musik treiben, gehe mit ihm zusammen in die Knie und bewege meine Hüften.

Er zwinkert mir aufmunternd zu, vollführt dann eine schnelle Drehung und greift hinter seinem Rücken nach meiner Hand. Seine Bewegungen wirken weich und geübt.

Ein paar Umstehende feuern uns an und johlen.

Ich spüre, dass Röte an meinem Hals heraufkriecht. Aber hier ist Sean mit seiner Superkraft, und ich tue das Einzige, was mir übrig bleibt, ich tanze.

Sein perfekter Körper bewegt sich im Takt, die Bässe streicheln uns. Eine Mundharmonika kommt zum Einsatz. Wir tanzen auf der überfüllten Straße, entfernen uns mit leichten Schritten voneinander, um anschließend wieder zusammenzukommen. Wir tanzen, als würden wir das schon seit Jahren tun, nicht erst zwei Monate lang. Stolz blitzt in seinen smaragdgrünen Augen auf, als er sieht, dass ich beginne, von innen heraus zu strahlen. Mitten im Song hält er plötzlich inne, ebenso wie die anderen Tanzenden um uns herum.

Alle werfen die Hände in die Luft und singen grölend den Refrain mit. Eine kurze Pause entsteht, ehe sich alle weiterbewegen.

Ich habe den Song noch nie gehört – und ich weiß schon jetzt, dass ich ihn nie vergessen werde. Er ist ein Geschenk, berührt meine Seele. Hier auf der Main Street genießen wir unseren gemeinsamen Augenblick, lassen uns ineinander sinken und … tanzen einfach. Dieser gestohlene Moment gehört nur uns beiden, und so ignorieren wir die verquere Welt um uns herum, die Umstände und das Schicksal, das sich gegen uns gewendet hat. In diesen wenigen Minuten an dem sonnigen Tag im Herbst kann ich ein wenig aufatmen, und der Schmerz klingt ab.

Nichts spielt mehr eine Rolle, außer der goldenen Sonne und der Liebe, die ich für Sean empfinde. Ich schüttele den Kopf, als er mich tanzend durch die Menge führt, trotzig, so als würde er jeden davor warnen wollen, uns diesen Moment zu ruinieren.

Ich weiß, dass das gar nicht möglich wäre – niemand kann uns das nehmen, was wir miteinander haben.

Als der Song endet, beginnen alle um uns herum zu jubeln.

Sean umfasst mein Gesicht mit seinen Händen. Er beugt sich kurz herunter, und im nächsten Atemzug erobert er meine Lippen mit einem so leidenschaftlichen Kuss, dass der Schmerz, den ich gerade abgeschüttelt habe, mit einer solchen Wucht zurückkehrt, dass er zur Qual wird.

Instinktiv weiß ich, dass heute nicht eines Tages ist.

»Ich muss weg«, murmelt er in mein Ohr, streicht mir das Haar von den Schultern und bittet mit einem stummen Blick um Verständnis.

»Nein, bitte …«

»Ich muss. Es tut mir leid.«

Ich schüttele den Kopf und senke den Blick. Tränen treten mir aus den Augen.

Er hebt mein Kinn an und sieht mir suchend in die Augen. Er sieht genauso niedergeschlagen aus, wie ich mich fühle. »Bitte, Süße, iss etwas.« Er streicht mit dem Daumen über mein Kinn. »Tanze, singe, lächele.«

»Bitte geh nicht.«

Mit ernstem Blick drückt er mir einen sanften Kuss auf die Lippen.

Ein Schluchzen kommt mir über die Lippen. Es endet viel zu schnell. »Sean, warte …«

Als er sich von mir löst und seine Wärme verschwindet, lege ich mir die Hände ans Gesicht und stoße einen gequälten Schrei aus. Schluchzend schüttele ich den Kopf, kann den Schmerz meines gebrochenen Herzens nicht ertragen. Heiße Tränen fließen mir in die Hände. Die Menge schließt sich zwischen uns, und ich kann jeden Schritt, den er sich von mir entfernt, förmlich spüren.

Ich kann nicht loslassen. Ich kann einfach nicht.

Schließlich lasse ich die Hände sinken, schaue mich in die Richtung um, in die er gegangen ist, will ihn nicht fortlassen, will nicht zulassen, dass dies unser letzter Tanz war, weil es nie genug sein wird. Mein Herz zieht sich zusammen, als ich ihn nicht mehr sehen kann. Ich drehe mich im Kreis, schaue in alle Richtungen, werde von der Menschenmasse verschluckt, die näher zur Bühne drängt.

Während ich mich zwischen den Leuten hindurchkämpfe, steigt Panik in mir auf. »Sean!«, rufe ich und schaue mich überall um. Schließlich entdecke ich seine blonden zerzausten Haare und laufe schneller. »Sean!« Ich dränge mich an einer Familie vorbei und stoße dabei einen kleinen Jungen um, der einen Paradiesapfel in seinen klebrigen Händen hält. Ich helfe ihm auf und entschuldige mich, ehe ich weiterstürme. »Nein, nein, nein!« Panik raubt mir den Atem, als ich ihn nicht finden kann. Vergeblich suche ich die Menge ab und spitze die Ohren, als ich gedämpftes, aber unverkennbares Motorengeräusch höre. Ich laufe ihm entgegen, eine Straße entlang, um die Ecke, und blicke in silberne Augen.

Dominic lehnt an Seans Nova und betrachtet mich mit verschränkten Armen.

Auch Sean sieht mich nun. Er steht auf der anderen Seite des Wagens und wirft mir über das Autodach hinweg einen letzten Blick zu, bevor er auf der Fahrerseite einsteigt.

Mein Blick fällt wieder auf Dominic, der mich von Kopf bis Fuß mustert.

Mein Herz macht einen Satz, und ich gehe vorsichtig einen Schritt auf ihn zu, doch er hebt abwehrend das Kinn, bedeutet mir zurückzubleiben.

»Bitte«, flüstere ich, und meine Tränen beginnen wieder zu fließen. Ich weiß, dass er mein stummes Flehen versteht.

Gefühl blitzt in seinen silbernen Augen auf, und für einen Moment lässt er mich sehen, was in ihm vorgeht. Seine Finger zucken an seinen Seiten. Ich weiß, dass er nichts so sehr will, wie den Abstand zwischen uns zu schließen.

»Bitte«, flehe ich noch einmal. »Bitte, Dom, bitte geh nicht.«

Ich spüre, dass er mit sich ringt, dann schüttelt er langsam den Kopf. Es sind seine Augen, nicht seine Haltung, die am meisten preisgeben. Darin erkenne ich Sehnsucht, Reue und Wut über unsere Lage. Und das genügt. Es muss genügen.

Ich hatte mit seiner Zuneigung nicht gerechnet. Niemand kann das, was wir miteinander hatten, herabsetzen oder leugnen. Niemand. Und ich werde nicht zulassen, dass es mir jemand nimmt.

Aber keiner von beiden versucht, mich zu beruhigen. Sie stehen einfach da und sehen zu, wie ich blute. Und das ist es, was mich am meisten verängstigt.

Dominic umfasst den Griff hinter sich und öffnet die Tür, während Sean seinen Blick nach vorn richtet – entweder um uns einen ungestörten Moment zu ermöglichen oder weil er mich nicht mehr ansehen kann.

Ich finde keinen Trost in seinem Verhalten. Ein letztes Mal schaue ich Dominic an und lasse ihn meine Tränen und meine Liebe sehen. Ich lege mir beide Hände an die Brust, schließe die Augen und spreche die Wahrheit aus. »Ich liebe dich.«

Als ich die Lider wieder öffne, sehe ich, welche rohen Gefühle mein Geständnis in ihm hervorgerufen hat. Er tritt einen Schritt vor, sein Gesicht verzerrt vor Schmerz. Doch eine Sekunde später unterbricht er unsere Verbindung und steigt zu Sean in den Wagen. Und im nächsten Atemzug sind sie verschwunden.

In diesem Moment weiß ich, dass sie den Kampf um mich verloren gegeben haben.

Und das eines Tages, von dem der Frenchman gesprochen hat, wird vielleicht niemals kommen.

KAPITEL DREI

In Twilight gibt es eine Szene, in der Bella starr vor Liebeskummer in einem Sessel sitzt, aus dem Fenster blickt und zusieht, wie die Jahreszeiten sich ändern. Und auf meinem Balkon, während die Bäume kahl wurden, habe ich erkannt, dass ich die letzten drei Jahreszeiten meines Lebens genauso verbracht habe wie Bella, als sie ihre Liebe verloren hat.

Die Liebe hat im letzten Sommer ein übles Spiel mit mir gespielt, aber als der erste Schnee zu fallen begann, war es mein Hass, der wuchs. Hass gegen einen namenlosen Mann, der mir einen Großteil meines Glücks geraubt hat, indem er mich in einen Zustand der Verbannung versetzt hat.

Wenn ich mich jetzt nach denjenigen sehne, die mich verlassen haben, ersetze ich dieses Gefühl durch Abscheu für den feueräugigen Mann, der den Befehl erteilt hat, mich auf meinen Platz zu verweisen – der nirgendwo ist.

Weihnachten kam und ging. Die Feiertage habe ich mit meiner Mutter und Christy verbracht, wobei ich versucht habe, mein gebrochenes Herz zu heilen, und doch keine einzige Sekunde mit einem der beiden bereut habe.

Ich war dankbar.

Ich kenne mich selbst jetzt besser, aufgrund der Erfahrungen, die ich mit ihnen gesammelt habe. Es war nicht nur ein Sommer, sondern eine Jahreszeit der Selbstfindung. Ich vermute, dass die meisten Menschen durchs Leben gehen, ohne sich selbst so tiefgründig zu erforschen, wie ich es getan habe. Diese Tage voller Lust und die Nächte, die ich mit meinen beiden Männern unter einem Baldachin aus grünen Baumkronen und funkelnden Sternen verbracht habe, haben mich zu einem neuen Menschen gemacht.

Während die Minuten, Stunden, Tage und Monate vergangen sind, bin ich nicht wieder zum Leben erwacht, sondern habe nur funktioniert. Ich habe in alten Erinnerungen geschwelgt, bis ich mich eines Tages dazu gezwungen habe, wieder zu leben. Das College war kein Problem für mich, und auch mein Job wurde leichter, je besser ich Melinda und ein paar der anderen Frauen, die mit mir Nachtschicht hatten, kennenlernte.

Niemand aus der Bruderschaft hat mit mir gesprochen – keine einzige Person. Ob ich einem von ihnen im Ort an der Tankstelle begegnet bin oder irgendwo anders, ich war für alle, die das Tattoo trugen, unsichtbar. Ich hatte nicht nur meine Jungs verloren, sondern noch dazu meine Freundinnen und Freunde. Auch Layla und alle anderen, die mit der Bruderschaft zu tun hatten.

Der Mistkerl hat sein Versprechen gehalten. Ich bin vollkommen allein.

Je mehr Zeit vergeht, desto bewusster wird mir, dass ich so besser dran bin. Jeglicher Kontakt zu Leuten, die mit Sean und Dominic rumhängen, würde mir nur Hoffnung auf eine Zukunft vorgaukeln, die nicht kommen wird.

Am Ende des Frühlings habe ich meine ersten zwei Semester am College mit herausragenden Noten hinter mich gebracht, und auch das Jahr, in dem ich für meinen Vater arbeite, nähert sich dem Ende. Drei Viertel der verabredeten Zeit habe ich überstanden, nun muss ich nur noch ein paar Monate durchhalten.

Noch ein Sommer in Triple Falls, ehe ich mich von Roman Horner und meinen Verpflichtungen ihm gegenüber befreien kann und meine Mutter finanziell abgesichert ist.

Die Freiheit ist nahe.

Seit unserer letzten Unterhaltung ist Roman nicht wieder aus Charlotte zurückgekehrt, und damit habe ich auch nicht gerechnet. Abgesehen von einer wöchentlichen E-Mail gibt er sich keine Mühe. So wie ich vermutet hatte, hat er nie hier gewohnt. Vielmehr scheint die Villa für ihn ein Statusobjekt zu sein.

Wenn dieser Sommer vorbei ist, muss ich keine unterschwellige Angst mehr davor haben, ihm zu begegnen. Außerdem werde ich einen Großteil seines Vermögens bekommen, und wir werden nichts mehr miteinander zu tun haben.

Merkwürdigerweise habe ich es nicht eilig, Triple Falls zu verlassen.

Der Ort und die Menschen sind mir ans Herz gewachsen. Die Monotonie meiner Arbeitstage macht mir nichts mehr aus. Aber jetzt, wo das Semester vorbei ist, gehören meine freien Tage wieder ganz allein mir, und sie zu füllen ist eine schwierige Aufgabe.

Ich überlege mir gut, was ich an diesen Tagen unternehme.

Oft gehe ich wandern. Niemals jedoch auf den Pfaden, auf die mich Sean mitgenommen hat, denn ich will mich nicht mehr selbst quälen. Ich bin aber fitter geworden; meine Muskeln brennen nicht mehr nach langen Wanderungen durch den Wald und zu den Klippen hinauf. Mithilfe meiner App habe ich mein Französisch verbessert und bin fest entschlossen, die nächsten Sommer mit einem vollen Bankkonto im Ausland zu verbringen. Und jetzt, wo es nicht mehr ganz so frisch ist, habe ich wieder damit begonnen, mich in Romans Garten zu sonnen, zu schwimmen und zu lesen.

Ich habe mir erlaubt, »normal« neu für mich zu definieren, und so gehe ich mit meinen Kolleginnen spätabends nach unserer Schicht in Bars und begleite Melinda hin und wieder zu ihrer Familie. Ich bemühe mich, ihr eine Freundin zu sein und für sie da, genauso wie sie für mich da war, als ich neu in Triple Falls war.

Aber der heutige Abend ist besonders schwer. Nachdem mich meine beiden Ex-Freunde acht Monate lang ignoriert haben, habe ich wieder ein Date. Ich kann nicht sagen, dass ich darauf brenne.

Nach einer heißen Dusche schminke ich mir die Lippen knallrot und denke daran zurück, wie Sean sie mit den Fingern berührt hat, als ich sie um seinen Schwanz geschlossen habe. Ich verdränge die Erinnerung an die Laute, die er ausgestoßen hat, an sein lustvolles Ächzen und sein Stöhnen, als er gekommen ist.

»Du hast ein Date. Ein Date, Cecelia.« Ich schließe die Augen, denn Bilder von meinem letzten Date treten vor mein inneres Auge.

Dominics Lächeln kommt mir in den Sinn, und ich denke daran zurück, wie ich die Muskeln unter seiner Haut mit meinen nackten Zehen nachgefahren bin, als wir in seinem Camaro saßen.

Fluchend greife ich nach einem Taschentuch und wische an der Stelle über meinen Mund, wo ich abgerutscht bin.

»Ein Date, Cecelia. Konzentrier dich auf dein Date. Sein Name ist Wesley. Und er ist höflich und gebildet und heiß.«

Nicht so heiß wie Sean. Nicht so heiß wie Dominic. Und trotz meines Hasses auf ihn ist kein Mann so heiß wie der Frenchman.

Scheiß auf ihn.

Jedes Mal, wenn ich an den arroganten Wichser denke, beginne ich, innerlich zu brodeln. Vielleicht sehe ich ihn nie wieder, aber ich werde nicht zulassen, dass er noch einmal Macht über mich erlangt. Er hat mir mein Glück geraubt, ohne einen zweiten Gedanken daran zu verschwenden, hat über mich geurteilt und mir seine unmenschliche Strafe auferlegt. Vor wenigen Monaten hätte ich ohne zu zögern bei jeder seiner Aktionen mitgemacht, nur damit er mich wieder in die Nähe meiner beiden Männer lässt. Aber die Zeit war auf meiner Seite; sie hat mich geheilt und gestärkt und mich wütend gemacht.

Er sollte sich in Acht nehmen, wenn er mir noch einmal über den Weg läuft, denn er hat uns gnadenlos auseinandergerissen.

Doch Sean und Dominic haben nichts dagegen unternommen, und auch das ist in meinen Augen unverzeihlich.

Eines Tages, wenn ich den Zorn nicht mehr brauche, um mich daran aufzurichten, werde ich ihnen verzeihen. Um meiner selbst willen. Aber das wird nicht allzu bald geschehen.

Ich schüttele den Kopf und konzentriere mich auf meine Augen, um dick Mascara aufzutragen. Meine Stimmung ist alles andere als ideal für ein Date, und das weiß ich. Aber ich muss diesen letzten Schritt wagen. Ich muss mich wieder dort hinauswagen.

Ich habe aufgehört, auf das eines Tages zu warten, von dem der Frenchman sprach, sondern warte nun stattdessen auf irgendjemand anders.

Und vielleicht ist dieser Jemand ja Wesley.

Mein Handy vibriert auf dem Schminktisch und zeigt eine Nachricht von ihm an. Ich betätige den Türöffner, statt ihm den Code zu nennen. Diesbezüglich habe ich meine Lektion gelernt.

Erwartungsvoll gehe ich in meinem neuen eng anliegenden Neckholder-Kleid, zu dem mir die Besitzerin meiner Lieblingsboutique geraten hat, die Treppe runter und fahre mir mit den Fingern durch die Haare.

Ich will einfach wieder lachen, ohne am Ende in Trauer zu versinken. Will nicht mehr meine Gegenwart ruinieren, indem ich in der Vergangenheit lebe. Ich möchte einfach wieder Nähe spüren, auch wenn es nicht die der beiden Männer ist, die aus meinen Träumen nicht so schnell verschwinden wollen wie aus meinem Leben. Außerdem will ich wissen, ob ich immer noch in der Lage bin, ein Kribbeln zu spüren, eine Vorahnung, irgendein Zeichen, dass ich noch lebe, abgesehen von meinem schmerzenden Herzen.

Allein zu wissen, dass die Möglichkeit besteht, wäre genug.

»Bitte«, murmele ich leise. »Nur ein Prickeln, ein Flüstern, irgendwas«, flehe ich.

In dem Moment fährt Wesley vor und steigt aus seinem Truck aus. Als er den Blick über meinen Körper wandern lässt und sich seine braunen Augen weiten, ehe er mir seine perfekten Zähne zeigt, weiß ich, dass das Date für mich gelaufen ist.

Nichts. Das ist es, was ich gefühlt habe. Während des Dinners und auch jetzt, als Wesley auf dem Weg zurück zu seinem Truck meine Hand nimmt. Kein Kribbeln, keine Aufregung, als er die Beifahrertür öffnet, mir sanft die Haare aus dem Gesicht streicht und sich vorbeugt.

Die Bewegung triggert mich, und in letzter Sekunde wende ich den Kopf ab, denn einen Kuss könnte ich nicht ertragen. Es sind nicht Seans Berührungen oder Dominics Küsse.

Wesley senkt sein Kinn und mustert mich ernst. »Hat dich jemand verletzt?«

»Tut mir leid. Ich dachte, ich wäre bereit.«

»Schon okay. Es ist nur … Es hat sich angefühlt, als ob du mir nicht richtig zugehört hast, als ich beim Essen geredet habe, und ich konnte trotzdem nicht die Klappe halten.«

»Es liegt nicht an dir …« Ich verziehe das Gesicht, denn als ich sehe, wie sich seine Miene verändert, wird mir bewusst, wie grausam dieser Satz ist.

Doch er hat genügend Selbstironie, um zu lachen. »Autsch.«

Am liebsten würde ich unter seinen Wagen kriechen.

Er hilft mir beim Einsteigen und beugt sich zu mir vor. »Alles gut, Cecelia. Ich hab so was auch schon durchgemacht.«

Schuldbewusst schaue ich ihn an. »Ich gebe dir das Geld fürs Dinner zurück.«

»Wie oft willst du mich denn heute Abend noch beleidigen, und was für Arschlöcher hast du vorher gedatet?«

Unvergessliche Arschlöcher.

»Ich würde es dir nicht mal übel nehmen, wenn du mich mit dem Taxi nach Hause fahren lassen würdest.«

»Deine Ehrlichkeit tut weh, aber sie beeindruckt mich auch.« Er beißt sich auf die Lippe und schaut zu mir auf. »Und deine Schönheit tut auch weh. Ich fühle mich geschmeichelt, dass ich dein erster Versuch war. Und vielleicht«, er zuckt mit den Schultern, »können wir es ja irgendwann noch mal versuchen.«

»Gerne.«

Wir wissen beide, dass das eine Lüge ist, aber damit geht es mir besser.

Ich schnalle mich an, als er um den Truck herumgeht. Nachdem er sich neben mich gesetzt hat, verfallen wir in Schweigen, und er macht sich auf der Rückfahrt am Radio zu schaffen. Als er endlich wieder spricht, bin ich erleichtert. »Und, war es jemand aus der Gegend?«

»Nein. Nur ein Arschloch, mit dem ich zu Hause in Georgia zusammen war.« Es wird immer einfacher, mir diese Lügen auszudenken. Aber die Wahrheit ist keine Option.

Vor meiner Tür zieht mich Wesley in eine freundschaftliche Umarmung und bietet mir an, ihn anzurufen, wenn ich mich bereit fühle.

Als er wegfährt, verfluche ich mein treues Herz und bin so wütend auf mich selbst, dass ich die Tür hinter mir zuschlage.

Entmutigt schleppe ich mich die Treppe zu meinem Zimmer hinauf. Dort angekommen schlüpfe ich aus meinen Sandalen und schreibe eine Nachricht an Christy.

Projekt »Komm drüber hinweg« war ein totales Desaster.

Christy: Gib nicht auf. Der Nächste ist sowieso nur ein Übergangstyp.

Ich bin immer noch nicht bereit.

Christy: Dann bist du eben nicht bereit. Kein Grund zur Eile. Irgendwann kommst du schon an den Punkt.

Was geht heute Abend bei dir?

Christy: Netflix und Chillen. Zwinkersmiley. Morgen erzähl ich dir alles.

Gut gemacht. Und ja, du musst mir unbedingt davon berichten. Hab dich lieb. Gute Nacht.

Ich beschließe, Frieden mit mir zu schließen. Ich war immerhin auf einem Date, ob nun erfolgreich oder nicht. Das ist doch ein Anfang.

Ich schließe mein Smartphone an das Ladekabel auf dem Nachttisch an, setze mich auf die Bettkante und fahre mit den Füßen über den flauschigen Teppich.

Der Versuch, nach zwei hochentzündlichen Beziehungen, die ich auch noch gleichzeitig hatte, ein »normales« Leben zu führen, ist ermüdend.

Selbst nach all den Monaten vermisse ich immer noch die chaotischen Nächte, die Geheimnisse, die Aufregung, die Verbundenheit und den Sex. Gott, der Sex.

Ich habe mir genügend Zeit zum Trauern gegeben. Wenn mein Herz auf meinen Kopf hören würde, würde es mir so viel besser gehen. Ich fahre mit den Fingern über meine unberührten Lippen und beschließe, dass ich mir erst morgen früh in der Dusche das Make-up abwaschen werde. Ich werfe die Dekokissen von der Tagesdecke, um es mir mit einem Buch bequem zu machen. In dem Moment entdecke ich den Metallanhänger auf meinem Kopfkissen.

Ich schließe meine Finger darum, halte ihn hoch und kann kaum glauben, dass ich tatsächlich das Gewicht in meinen Händen spüre und was das bedeutet. Schließlich springe ich vom Bett auf. Mein Herz beginnt zu hämmern, als ich mich im Raum umschaue.

»Sean? Dominic?«

Ich gehe ins Badezimmer, doch dort ist niemand.

Der Balkon: leer.

Verzweifelt suche ich das Haus ab, nur um festzustellen, dass alle Türen verschlossen sind. Nicht dass sie das fernhalten könnte, das hat es noch nie. Der Beweis dafür liegt in meinen Händen. Mit wachsender Hoffnung schließe ich den Verschluss um meinen Hals und eile zur Hintertür. Ich greife nach meinen Gummistiefeln, schlüpfe hinein und hole die Taschenlampe aus meiner Regenjacke. Einige Sekunden später leuchte ich den Garten mit dem schwachen Lichtstrahl ab.

»Sean? Dominic?«

Nichts.

Ich steuere geradewegs auf den Wald zu, gehe an der weiten Fläche frisch gemähtem Rasen vorbei, und das warme Metall an meinem Hals gibt mir den ersten Hoffnungsschimmer seit Langem. Als ich den kleinen Hügel erreiche, der hinauf zum Wald und zu der Lichtung führt, sprinte ich fast.

Der Anblick, der mich dort erwartet, raubt mir den Atem. Hohes Gras wiegt sich hin und her, und dazwischen blitzt gelbgrünes Licht von Hunderten Glühwürmchen. Sie fliegen vom Unterholz ins dichte Geäst und glitzern wie Diamanten, bevor sie im Lichtschein des Vollmonds verschwinden.

»Sean?« Ich suche jeden Winkel der Lichtung ab, leuchte mit der Taschenlampe in jeden Schatten zwischen den Bäumen. »Dominic?«, rufe ich leise und bete, dass einer von ihnen oder beide auf mich warten. »Ich bin hier.« Immer noch suche ich im dunklen Wald nach einem Lebenszeichen, doch das schwache Licht ist mir keine große Hilfe. »Ich bin hier«, wiederhole ich und befühle die Kette mit meinen Fingern. »Ich bin hier.« Doch es ist sinnlos, meine Stimme verliert sich im Nichts.

Hier draußen ist niemand außer mir.

Vollkommen verwirrt drehe ich mich im Kreis, sodass mir schwindelig wird, suche, hoffe und bete, dass einer von ihnen mich hört.

Die Hoffnung, die ich noch vor wenigen Minuten hatte, verliert sich im Wind, raschelt durch die hohen, schimmernden Kiefern ringsum. Aber ich verliere mich nicht in meinem Schmerz, sondern lege mir eine Hand an die Brust und genieße die Symphonie aus Lichtern über mir und zu meinen Füßen, die Melodie, geräuschlos, aber fesselnd. Fasziniert vom Mond und von den Lichtern umschließe ich den Rabenflügel mit Daumen und Zeigefinger.

Einer von ihnen hat mich zu der Seinen gemacht. Oder vielleicht waren es auch beide.

Jemand hat die Kette auf mein Kissen gelegt.

Noch einmal rufe ich nach ihnen. »Sean? Dominic?«

Die Luft um mich herum scheint plötzlich stillzustehen, als mich die Vorahnung, dass sich jemand nähert, trifft wie der Schlag. Ich erstarre, als ich nur wenige Meter entfernt einen französischen Akzent höre.

»Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen.«

KAPITEL VIER

Er tritt aus den Schatten der Bäume zu meiner Linken.

Ich weiche zurück und schalte meine Taschenlampe ein, um den Lichtstrahl auf ihn zu richten. »Was willst du?«

»Wollen? Von dir nichts«, antwortet er verächtlich, als er näher kommt, sodass ich ihn sehen kann.

Im Licht meiner Taschenlampe kann ich sein Gesicht deutlich erkennen, seine glatten Züge, die markante Nase und die harte Linie des Kiefers. Es ist zu schade, dass ich ihn hasse, sonst könnte ich die Schönheit seiner Fassade wertschätzen. Ich schalte die Taschenlampe aus, beschwöre die Schatten, ihn zu verschlucken, aber selbst als er nur noch vom Mondlicht und den Leuchtkäfern um uns herum erleuchtet wird, kommt seine maskuline Schönheit zur Geltung. Er ist ähnlich gekleidet wie an dem Tag, an dem ich ihm zum ersten Mal begegnet bin, abgesehen vom Jackett und der dünnen schwarzen Krawatte. In seiner eleganten Hose und den edlen Schuhen wirkt er vollkommen fehl am Platz.

»Was machst du hier? In diesem Outfit.«

»Das Gleiche könnte ich dich fragen.«

Abgesehen von den gepunkteten Gummistiefeln bin ich noch genauso gekleidet, geschminkt und gestylt wie für mein Date. Damit bin ich genauso overdressed für einen Spaziergang im Wald.

»Ich wohne hier.«

»Nein, tust du nicht.«

»Das ist Auslegungssache. Und du hast hier nichts verloren.«

»Ich kann sein, wo ich will.« In seinen Augen liegt die gleiche brennende Grausamkeit, an die ich mich noch von unserer ersten Begegnung im letzten Jahr erinnere. Und sein Tonfall klingt noch genauso herablassend und missmutig. Und so einfach es auch wäre, einfach wegzugehen, will ich ihn wissen lassen, dass ich mir ebenso ein Urteil über ihn gebildet habe wie er über mich.

»Du bist widerlich. Du hast diese Art an dir.« Ich hebe die Hand und wedele damit durch die Luft. »Als hättest du das Recht, dich unmöglich aufzuführen und mich schlecht zu behandeln.«

»Soll das etwa eine Moralpredigt werden? Denn ich kann dir versichern, dass du mich allein durch deine Existenz schon in genügend Schwierigkeiten gebracht hast.«

»Das ist lächerlich, und du bist es nicht wert, dass ich mich weiter mit dir unterhalte.«

»Du vergisst, mit wem du sprichst.«

»Alles klar, du kannst deinen Schwanz wieder einstecken, Arschloch. Das ist kein Pinkelwettbewerb.«

»Du bist widerlich.«

»Du bist ein Wichser und ein Arschgesicht, und ich lasse mir von Soziopathen mit null Mitgefühl nicht vorschreiben, wie ich reden soll.«

Er steht direkt vor mir, und sein Geruch dringt in meine Nase. Er überragt Sean und Dominic um ein paar Zentimeter. Seine Statur ist ungeheuerlich, bedrohlich.

»Du bist ein einsames kleines Mädchen mit schlechten Manieren. Und wenn ich eine Unterhaltung nicht wert bin, warum stehst du dann noch hier und streitest dich mit mir?«

»Stimmt eigentlich. Fick dich.« Ich trete einen Schritt nach hinten, doch in diesem Moment schnellt seine Hand nach vorn und umfasst mein Handgelenk so fest wie ein Schraubstock.

Ich versuche, mich ihm zu entwinden.

Er schaut mir nicht in die Augen, sondern auf den Rabenflügel an meiner Kette. »Was ist das?«

Ich kann ein Grinsen nicht unterdrücken. »Ich glaube, das weißt du ganz genau.«

»Wer hat dir das gegeben?«

»Das geht dich nichts an. Lass mich los.«

Er zieht mich näher zu sich heran, und ich lasse die Taschenlampe fallen, um an seiner Hand zu ziehen, mit der er mich festhält, doch er hebt die andere und will nach meiner Kette greifen.

Als ich erkenne, was er vorhat, verliere ich die Beherrschung. Mit der freien Hand schlage ich ihm ins Gesicht, dann hole ich aus, um ihm eine noch härtere Ohrfeige zu verpassen. »Wage es ja nicht!«