Tödliches Dublin - Pia O'Connell - E-Book
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Tödliches Dublin E-Book

Pia O'Connell

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Beschreibung

Wohlfühlen pur: Irland und Cosy-Crime, eine unwiderstehliche Mischung, die Lust auf einen gemütlichen Lesenachmittag macht. Für alle Leser:innen von Patricia Gibney, Molly Flanaghan und Tana French »Alle wussten, was in diesen Waisenhäusern los war. Sie wussten genug, um ihren Kindern damit zu drohen: ›Wenn du nicht brav bist, kommst du nach …‹ Sie wussten genug, um wegzusehen.« Auswanderin Elli O'Shea scheint vom Pech verfolgt zu werden. Gerade hat sie sich mit einer Detektei selbstständig gemacht, da muss das Haus ihrer Familie in Abbey View kernsaniert werden. Unterschlupf finden sie in Sandycove bei einer entfernten Tante. Es trifft sich gut, dass Elli im Auftrag einer großen Versicherung die auffällig hohen Schadensfälle einer privaten Kindergartenkette in Dublin untersuchen soll. Sie fängt an, undercover in einer der Einrichtungen zu arbeiten. Dabei stolpert sie über die Kita-Leiterin, die tot hinter ihrem Schreibtisch liegt. Offenbar wurde sie erschlagen. Doch wer hatte ein Motiv? Und was haben die Vorgänge in einem Kinderheim vor 60 Jahren mit dem Fall zu tun?

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© Piper Verlag GmbH, München 2023

Sprachredaktion: Franz Leipold

Dieses Werk wurde vermittelt von der Scripta Literaturagentur.

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Traumstoff Buchdesign traumstoff.at

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2 – 

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Abschied

Anhang

Rezepte

Scallops in Zitronenbutter

Nachwort

Danksagung

Literatur/Recherche

Quote

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Literaturverzeichnis

 

 

 

Für Christine

 

 

 

Kind Nummer 68

»Wenn ich ihr wenigstens einen Abschiedskuss gegeben hätte. Aber sie hat so laut geschrien und das Baby ist an ihrer Brust gehangen. Wir haben alle geschrien. Wir hatten panische Angst. Sie haben uns einfach mitgenommen, haben uns durchs Dorf geführt zur Verhandlung. Wie die Schafe zur Schlachtbank. Dann sind wir vor dem Richter gestanden, und der hat uns eingewiesen. Danach hab ich meine Mutter nur noch ein einziges Mal gesehen.«

 

Kapitel 1

Elli O’Shea, Sommer 1999

»Für wie lange müssen wir aus dem Haus raus?!« Elli O’Shea hätte den Mann am liebsten mit seiner grün gestreiften Krawatte erwürgt. Dabei konnte er nichts für ihr Dilemma. Im Gegenteil, er war ihr Retter. Nur fühlte es sich im Moment nicht so an. »Wo sollen wir bloß unterkommen? Drei Monate lang?«

»Drei bis sechs Monate, je nachdem, wie zügig die Arbeiten vorangehen«, korrigierte sie der Mann. Er blieb so neutral wie sein Anzug. Solche Reaktionen war er gewöhnt. »Die meisten unserer Klienten mieten sich ein möbliertes Haus, falls sie nicht bei Verwandten unterkommen können. Ich würde Ihnen raten, sich bei Ihrer Versicherung darüber zu informieren, welche Ausgaben durch Ihren Vertrag abgedeckt sind.« Er klappte seinen Notizblock zu und sagte: »Den vorläufigen Kostenvoranschlag habe ich Ihnen gegeben. Wenn Sie möchten, dass wir für Sie tätig werden, geben Sie uns bitte umgehend Bescheid. Wir haben nur noch diesen einen Termin frei, ansonsten könnten wir mit der Sanierung erst in sechs bis neun Monaten anfangen.«

Seán O’Shea begleitete den Mann der Pyrite Solutions Limited hinaus. »Reservieren Sie den sofortigen Termin bitte für uns. Morgen kann ich Ihnen dann hoffentlich fest zusagen.« Seán blieb im Türrahmen stehen und wartete, bis der Mann in seinen dunkelgrauen Landrover gestiegen und losgefahren war. Der Dieselgeruch hing noch in der Luft, nachdem der Jeep ihre Wohnsiedlung Abbey View längst verlassen hatte. Seán schaute hinüber zu den Nachbarhäusern. Nur die sechs Häuser in ihrer Sackgasse waren von dem mit Pyrit verunreinigten Füllmaterial betroffen. Die anderen Siedlungshäuser hatten keine oder nur kosmetische Schäden. Mit hängenden Schultern kam er zurück ins Esszimmer, wo seine Frau Elli noch immer am Tisch saß und an ihrer Unterlippe nagte. Ihre Stirn hatte sie in tiefe Falten gezogen. Die kinnlangen, glänzend braunen Haare fielen ihr ins Gesicht. Seán ließ sich schwer auf seinen Stuhl fallen. »Das wird teuer.« Prüfend ließ er seinen Blick über die Risse an der Zimmerdecke gleiten bis hinab zur Küchentür, wo der Türstock sich so verzogen hatte, dass sich die Tür von keiner Macht der Erde wieder schließen ließ. Seán fuhr sich raspelnd mit einer Hand über die schwarzen Stoppeln am Kinn. Dunkle Schatten, die von schlaflosen Nächten zeugten, lagen unter seinen blauen Augen. »Die Gewährleistung hat schon vor zwei Jahren geendet, und der Bauunternehmer hat im letzten Jahr Pleite gemacht.« Er stützte einen Ellbogen auf die Tischplatte. »Ich glaube nicht, dass wir gegen Pyrit versichert sind.« Seán barg den Kopf in den Händen.

Elli richtete sich kerzengerade auf. »Wovon sollen wir dann die Reparatur bezahlen?«

Seán zuckte die Achseln. »Wir werden eine neue Hypothek aufnehmen müssen.« Er räusperte sich, »das heißt, falls die Bank uns das Geld gibt. Ich habe heute in der Zeitung gelesen, dass sie an Pyrit-geschädigte Hauseigentümer keine Darlehen mehr vergeben.« Er machte dieses Schafsgesicht, das er immer machte, wenn er nicht mehr weiterwusste.

Elli sackte in sich zusammen. »Warum haben ausgerechnet wir solches Pech?«, murmelte sie. »Das Haus ist keinen Pfifferling mehr wert. Verkaufen können wir es nicht und darin wohnen können wir auch nicht. Nur die Hypotheken, die dürfen wir weiter brav abstottern.« Mit einem Ruck stand sie auf, ging zum Esszimmerschrank und zog den Aktendeckel mit den Versicherungspolicen heraus. »Jetzt schauen wir uns die Police noch mal genau an.«

»Das nützt doch nichts, ich hab sie mir doch schon zigmal durchgelesen.« Seán klang hilflos. »Wir haben morgen sowieso den Beratungstermin bei der Versicherung.«

Elli wollte sich soeben wieder hinsetzen, als das Telefon in der Küche läutete. »Hello«, Elli strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn und drückte den Hörer ans Ohr. »Tadhg, hallo, wie geht es dir? Ist alles in Ordnung?« Elli hatte sich ein paar Tage frei genommen. Dass ihr Geschäftspartner Tadhg Kelly, mit dem sie seit mehreren Jahren ein erfolgreiches Detektivbüro am Stadtrand von Dublin betrieb, sie aus dem Urlaub klingelte, war mehr als seltsam. Während sie Tadhgs Wortschwall lauschte, sanken ihre Mundwinkel immer weiter nach unten. Sie griff sich den Schreibblock neben dem Telefon und machte sich Notizen. »Ich bin morgen sowieso in Dublin, dann komm ich schnell ins Büro«, sagte sie, »ungefähr zur Lunchzeit. Passt das?« Elli zog an Seán gewandt eine Schnute und verdrehte die Augen. »Nein Tadhg, heute schaffe ich es nicht mehr. Wir müssen uns um unser Pyrit-Desaster kümmern.« Tadhg hatte offensichtlich noch mehr auf dem Herzen, doch Elli schnitt ihm das Wort ab und verabschiedete sich kurzerhand. »Ich glaube nicht, dass ich das machen werde. Aber wir sprechen dann morgen darüber. Bye … bye, bye, bye.«

Seán sah seine Frau fragend an, die sich abgespannt auf ihren Stuhl am Tisch sinken ließ.

»Tadhg hat einen neuen Kunden an Land gezogen, eine Versicherung, die sich auf Kindergärten und Kinderkrippen spezialisiert.«

»Ist doch großartig! Warum machst du so ein Gesicht?«

»Tadhg will, dass ich mich bei Elephant Childcare als Kindergärtnerin bewerbe, um dort verdeckt zu ermitteln.« Elli unterstrich den Namen des Kindergartens auf ihrem Notizblock so fest, dass die Bleistiftspitze abbrach. »Das mache ich auf gar keinen Fall.«

 

 

 

Kind Nummer 68

»Als Allererstes haben sie uns in eine Badewanne mit lauwarmem Wasser und Desinfektionsmittel gesteckt. Dann bekamen wir diese altmodischen Kleider aus rauer Wolle und kratzige Unterhosen. Anschließend sind wir nach unten zum Abendessen gegangen. Brot und zerlassenes Rinderfett, kalter Kakao. Ich weiß noch, wie ich gedacht habe, warum bringen sie uns hierher? Zu Hause war es besser. Wir hatten nicht viel, aber es war besser. Die ersten paar Tage habe ich nur geheult und geheult und geheult.«

 

Kapitel 2

Elli O’Shea, Sommer 1999

Elli lag schon früh wach im Bett und grübelte. Als sie vor fünf Jahren von Deutschland nach Irland ausgewandert waren und ihr nagelneues Haus in Celbridge, County Kildare bezogen hatten, hatte sie noch nie von Pyrit gehört. Natürlich wusste sie, dass Pyrit auch Katzengold hieß und dass es in Irland Fools Gold genannt wurde. Narren-Gold, weil es glänzte wie Gold, aber nichts wert war. Dass es im Füllmaterial der Fundamente von Gebäuden und im Straßenbau verheerende Schäden anrichten kann, das wusste sie nicht. Auch dass es schwarz und heimtückisch im Stein verborgen sein kann, davon hatte sie keine Ahnung. Die ersten Pyrit-Fälle im Dubliner Speckgürtel beherrschten gerade die Schlagzeilen der Tageszeitungen, als ihre Küchenfliesen ohne erkennbaren Grund zersprangen. Bald darauf zogen sich tiefe Risse an den Zimmerdecken entlang. Die Türrahmen verzogen sich, der Holzboden hob sich, sogar der Zementboden in der Garage bekam einen tiefen Riss. Ihr aufkeimender Verdacht wurde kurz darauf vom Ingenieur der Pyrite Solutions Limited bestätigt. Ihr Haus war eines von rund 20000 betroffenen Häusern in Dublin und Umgebung. Und jetzt war es so weit. Sie mussten aus ihrem Haus heraus. Nur gut, dass ihre Jungs die Schulferien bei Ellis Eltern in Regensburg verbrachten.

Elli warf sich im Bett herum und versuchte, wieder einzuschlafen. Sie lauschte auf Seáns regelmäßige Atemzüge. Zu regelmäßig. »Seán?«, flüsterte sie.

»Ja?«, kam es leise zurück.

Elli rutschte zu Seáns Hälfte hinüber und schmiegte sich an ihn. »Ich hab mir gerade überlegt, dass ich doch meine Eltern fragen könnte, ob die Jungs länger als geplant bei ihnen in Regensburg bleiben dürfen. Zumindest so lange, bis die Schulferien zu Ende sind. Wenn die von der Pyrite Solutions gleich anfangen und innerhalb von drei Monaten fertig würden, dann könnten wir Ende September vielleicht schon wieder einziehen. Wir beide könnten vorübergehend unsere Rumpelkammer in meinem Büro in Beschlag nehmen. Die ist groß genug für ein Doppelbett. Tadhg hat sicher nichts dagegen. Ist ja nicht für immer.«

»Du immer mit deinen Einfällen«, grummelte Seán. »Wo sollen wir denn duschen? Und kochen? Und überhaupt, jetzt warte doch mal ab, was der Versicherungs-Heini zu sagen hat.« Brummend fügte er hinzu: »Die Jungs wollen bestimmt nicht so lange bei deinen Eltern bleiben. Ausgemacht waren zwei Wochen, nicht zwei Monate.«

»Es würde ihnen aber nicht schaden, ihr Deutsch ein bisschen aufzufrischen. Gerade Finn spricht nur noch Englisch mit mir, und Patrick wird auch immer bequemer.« Elli ließ sich nicht so leicht entmutigen. »Meine Eltern sagen bestimmt Ja.«

»Wenn du meinst.« Seán wand sich aus Ellis Umarmung und wühlte sich aus der Bettdecke. »Ich mach mir einen Tee. Willst du auch einen?« Ohne ihre Antwort abzuwarten, stapfte er aus dem Schlafzimmer.

Elli setzte sich im Bett auf. So miesepetrig kannte sie ihren Mann gar nicht. Natürlich war die Lage ernst, sehr ernst sogar. Aber immerhin konnte das Haus repariert werden. Zuerst musste man es entkernen, und anschließend musste das Füllmaterial unter der Bodenplatte herausgebaggert werden. Es war eine Heidenarbeit, und es würde sie eine Stange Geld kosten, aber es war möglich!

Seán schlurfte ins Schlafzimmer, stellte die Teetasse auf Ellis Nachttisch und ging wortlos ins Bad. Elli nahm die Tasse und sah hinein. Er hatte die Milch vergessen.

 

Den Termin bei der Versicherung hätten sie sich sparen können. Der Berater informierte sie kurz und knapp darüber, dass sie keine Ansprüche hätten.

Seán war kreideweiß, als sie auf die Straße traten. Elli zog ihn im letzten Moment von der Fahrbahn, während ein grüner Doppeldeckerbus laut hupend auf ihn zuwankte. Autos und Busse fuhren dicht an dicht, die Fußgänger schlängelten sich zwischen den Fahrzeugen über die Straße, die Fußgängerampeln wie immer ignorierend. Die Menschen strömten in die Grünanlagen, um der ungewohnten Hitze zu entfliehen. Elli hakte Seán unter und steuerte mit ihm ihren Parkplatz hinter St Stephen’s Green an. »Wir sollten einen Rechtsbeistand konsultieren. Das kann doch nicht sein, dass niemand für diesen Pfusch haftet!« Elli war stinksauer. Seán ging wie ein Schlafwandler neben ihr her. Elli nahm ihm die Autoschlüssel ab. Sie hielt es für besser, ihn nicht fahren zu lassen. Bei ihrem Büro angekommen, sah sie Tadhgs unauffälligen grafitgrauen VW Passat in der Parkbucht stehen. Tadhg bevorzugte Autos, mit denen er bei Observierungen möglichst lange unentdeckt blieb. Seán, der während der ganzen Fahrt die Augen geschlossen gehalten hatte, blickte auf.

»Kommst du mit rein oder wartest du im Auto?«, fragte Elli. Sie hatte sich bereits abgeschnallt und angelte nach ihrer Handtasche auf dem Rücksitz.

»Geh du schon mal vor.«

Als Elli die Eingangstür zu ihrer Detektei aufstieß, kam ihr der Duft von frisch gebrühtem Kaffee entgegen. Chloe McLoughlin, ihre Assistentin, hatte ein Händchen für guten Kaffee. Elli spürte, wie ihr bereits das Wasser im Mund zusammenlief. Sie eilte den Gang entlang. Durch die Milchglasscheiben des Besprechungszimmers konnte sie die Silhouetten zweier Personen erkennen. Sie stieß die Tür auf und begrüßte Chloe und ihren Geschäftspartner Tadhg Kelly: »Hallo ihr beiden, ich hoffe, ihr habt mir einen Kaffee übrig gelassen.«

Tadhg und Chloe unterbrachen ihre Unterhaltung, und Chloe sagte: »Klar Boss, ich hab eine ganze Kanne gemacht. Einen Keks dazu?«

»Gern.« Elli nahm ihren Platz am Besprechungstisch ein, ließ sich von Chloe bewirten und fragte dann: »Also, was gibt es denn so Dringendes?«

Chloe, die ihre blonden Haare seit Neuestem raspelkurz trug, wies mit signalblau lackierten Fingernägeln ihrer sorgfältig manikürten Hand auf Tadhg. »Tadhg the Tiger hat einen großen Fisch an Land gezogen.«

»Roar!« Tadhg, dessen kräftige kurze Haare bereits von einzelnen grauen Strähnen durchzogen waren, fuhr mit einer zur Kralle geformten Hand spielerisch durch die Luft. Er ließ sich den Spitznamen, den ihm Chloe schon kurz nach ihrem ersten Arbeitstag vor fast einem Jahr verpasst hatte, gerne gefallen. Die quirlige Chloe liebte Reime, Wortspiele und Alliterationen. Für jeden ihrer Mandanten erfand sie im Handumdrehen einen Spitznamen. Nur Elli wurde von ihr schlicht mit Boss angesprochen.

Tadhg nahm einen Schluck von seinem Kaffee und wurde ernst. »Die Entente ist eine der größten europäischen Versicherungen. Sie sind vor ein paar Jahren auf den irischen Markt gedrängt und haben sich innerhalb kürzester Zeit ein großes Stück vom Kuchen gesichert, nicht zuletzt, weil sie sich auf bestimmte Gruppen spezialisiert haben. In diesem Fall betrifft es die Sparte Education, genauer gesagt Schulen, Kindergärten und Kinderkrippen.« Tadhg schob Elli eine Hochglanzbroschüre der Versicherung über den Tisch hinweg zu. »Der Abteilungsleiter ist an uns herangetreten, weil seine Versicherung bereits mehrfach hohe Summen an Kinder auszahlen musste. Ein aufgeschlagenes Knie oder eine geplatzte Augenbraue ist manchem Richter 15.000 Pfund und mehr wert. Die Eltern verklagen die Kinderkrippe, es kommt zur Verhandlung, und die Versicherung der Kita muss in den meisten Fällen zahlen.«

Elli sah von der Broschüre auf. »Und?«

»Die von der Entente waren von der Vielzahl der Klagen und von der Höhe der Entschädigungszahlungen unangenehm überrascht. In Irland sind die Summen anscheinend bei Weitem höher als in anderen europäischen Staaten.« Tadhg räusperte sich. »Das hat wohl einer bei der Recherche verpennt.« Er grinste und fuhr fort: »Da die Beträge von den Richtern festgelegt werden, kann die Versicherung darauf keinen Einfluss nehmen, aber eine Auffälligkeit haben sie doch entdeckt.« Er sah Elli fest in die Augen. »Ein hoher Anteil aller Klagen betrifft eine Krippen-Kette namens Elephant Childcare.« Er schob eine andere Broschüre über den Tisch. »Und die allermeisten Klagen betreffen die Filiale der Elephant Childcare in Sandycove.«

Elli blätterte durch die bunte Minibroschüre der Kindertagesstätte und legte sie vor sich auf den Tisch. »Und?«

Tadhg nahm einen Zeitungsausschnitt aus seiner Mappe, sah kurz darauf und legte ihn lächelnd vor Elli auf den Tisch. »Sie suchen Personal.«

 

 

 

Kind Nummer 68

»Meine Brüder wurden sofort von uns Mädchen getrennt. Sie kamen zu den Christian Brothers. Meine Schwestern und ich wurden auseinandergerissen und auf drei verschiedene Schlafsäle verteilt. Wir waren eine große Familie und wir waren es gewöhnt, nachts eng beieinander zu liegen. Dann, von einem Tag auf den anderen ein Schnitt – und unsere Familie gab es nicht mehr.«

 

Kapitel 3

Elli O’Shea, Sommer 1999

Elli riss die Autotür auf und sprang in den Wagen. Seán, der den Kopf gegen die Kopfstütze gelehnt hatte, schreckte hoch. Er strich sich über die Augen und fragte: »Warum wollte Tadhg dich so dringend sprechen?«

»Ich soll Undercover gehen! Im Kindergarten!« Elli drehte sich auf dem Fahrersitz so, dass sie ihren Mann ansehen konnte. »Weil ich in Deutschland als Kindergärtnerin gearbeitet habe und die Kinderkrippe Personal sucht, meint Tadhg, ich hätte gute Chancen, dass sie mich einstellen.«

Seán brummte zustimmend.

»Ich will aber nicht.« Elli trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad. »Ich habe mir geschworen, dass ich nie wieder in einem Kindergarten arbeite.«

Seán sah auf.

»Der Tod des kleinen Benjamin von der Bärengruppe in St. Florian sitzt mir immer noch in den Knochen«, fügte sie etwas leiser hinzu.

»Aber dafür konntest du doch nichts.« Seán legte seine Hand auf ihre und drückte sie leicht. Die Berührung seiner warmen Hand tat ihr gut.

»Das weiß ich, aber ich werde das Gesicht seiner Mutter nie vergessen. Solange ich lebe, nicht«, flüsterte Elli, der die Tränen in die Augen gestiegen waren. Sie wischte sie mit den Fingerknöcheln weg. »Immerhin war ich damals Gruppenleitung und damit letztendlich verantwortlich. Auch wenn ich an dem Tag gar nicht in der Krippe, sondern auf Fortbildung war. Tadhg sagt, wir können es uns nicht leisten, den Auftrag einer Versicherung wie der Entente abzulehnen. Ich habe gesagt, dass wir doch auch ganz normal wie immer ermitteln können. Da meinte er, wir wären schön blöd, wenn wir uns die Chance entgehen lassen würden, einen Maulwurf in der Krippe zu haben.«

Elli ließ die Fensterscheibe halb herunter, weil es unangenehm warm im Fahrzeug wurde. Sie startete den Motor und fuhr los. »Chloe ist natürlich Tadhgs Meinung. Sie hatte mir sogar schon das Bewerbungsschreiben aufgesetzt.« Elli fädelte sich in den Verkehr ein und beschleunigte. »Die beiden wissen natürlich nichts von dem kleinen Benjamin. Ich hab einfach Nein gesagt. Ich mache es nicht und aus.« Elli musste an einer Ampel halten. »Was meinst du dazu?« Sie sah ihren Mann an, der still neben ihr saß. »Tadhg sagt, ich soll noch mal drüber schlafen. Ich sei wegen dem Pyrit in unserem Haus so durcheinander, dass ich nicht klar denken könne. Es sei nur logisch, mich in die Krippe einzuschleusen.«

Seán räusperte sich und sagte: »Auch wenn du das nicht gerne hörst, aber ich finde, er hat recht. Einen Großkunden wie die Entente dürft ihr nicht vergraulen, und wenn du dich dort anstellen lässt, könnt ihr eure Untersuchung bestimmt in null Komma nichts abschließen.«

Elli erwiderte nichts darauf. Sie trat aufs Gaspedal und überholte einen Konvoi Lastwagen. Seán hielt sich am Griff der Autotür fest, bis sie vor dem ersten Brummi wieder eingeschert war. Dann sagte er: »Wo ist dieser Kindergarten eigentlich, bei dem du dich bewerben sollst?«

»In Sandycove.«

»In Sandycove«, wiederholte Seán nachdenklich und strich sich mit der Hand ein paarmal langsam übers Kinn. »Weißt du, ich habe eine Tante in Sandycove, Tante Tilly, Dad’s jüngste Schwester. Die könnte ich einmal besuchen.«

 

 

 

Kind Nummer 68

»Eine der Nonnen war ein richtiger Teufel. Das war unser Spitzname für sie, ›die Teufelin‹. Sie hatte ihre Lieblinge, aber mich mochte sie überhaupt nicht. Und ich mochte sie nicht. Sie trug einen Ledergürtel um die Taille. Den hat sie bekommen, als sie ihr Gelübde abgelegt hat. Der war Teil ihrer Tracht, ein Symbol für Armut, Gehorsam und Keuschheit. Aber sie benutzte ihn als Waffe.«

 

Kapitel 4

Elli O’Shea, Sommer 1999

Zu Hause angekommen, rief Seán bei ihrer Hausbank an, um einen Termin zu vereinbaren. Elli schaltete derweil den Wasserkocher ein, und als Seán ins Esszimmer kam, hatte sie bereits zwei Tassen starken irischen Tee aufgebrüht. »Weißt du«, Elli versuchte, positiv zu klingen, »wir verdienen beide gutes Geld. Die Bank wird uns die zweite Hypothek bestimmt bewilligen.«

Seán rührte wortlos in seiner Tasse. Schließlich legte er den Teelöffel auf den Unterteller und sagte: »Es gibt da etwas, was ich dir sagen muss.« Er starrte an die geborstene Zimmerdecke, als würde er dort oben die richtigen Worte finden. Elli setzte ihre dampfende Teetasse ab und wartete. Sie hatte gespürt, dass ihn schon länger etwas bedrückte. Und es war nicht nur ihr kaputtes Haus.

»Ich habe mich doch vor vier Monaten bei dieser amerikanischen Firma beworben, die in Lucan ein neues Werk eröffnen wollten.« Seán lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Ich hab dir damals davon erzählt.« Elli nickte bestätigend. »Nun«, Seán verschränkte die Arme, »ich hab den Job bekommen, deshalb hab ich bei HP gekündigt.« Er setzte sich auf und trommelte nervös mit den Fingern auf die Tischplatte.

»Das ist doch prima, herzlichen Glückwunsch«, freute sich Elli. »Du wolltest ja schon so lange weg von HP.« Sie strahlte ihn an.

»Den neuen Job gibt es nicht mehr«, brach es aus Seán heraus. »Die Schweine haben das ganze Projekt auf Eis gelegt. Angeblich nur verschoben, aber Tatsache ist, dass ich ab nächster Woche ohne Job dastehe.« Er griff mit beiden Händen in seine schwarzen Haare und zog daran, bis sie in alle Richtungen vom Kopf abstanden. »Ich wollte dich mit dem neuen Job überraschen! Mehr Geld, bessere Konditionen, mehr Verantwortung, und jetzt das: keine Arbeit, kein Geld, aber dafür ein kaputtes Haus und neue Schulden.« Seán saß da wie ein Häufchen Elend. »Ich hab sogar meinen Stolz geschluckt und in der Personalabteilung von HP angefragt, ob ich die Kündigung wieder zurückziehen kann.« Er schniefte durch die Nase, und es klang, als wollte er ausspucken. »Mein Nachfolger wurde angeblich bereits eingestellt, also nein.«

Elli sprang auf und lief um den Tisch herum, um ihn zu umarmen.

»Meinen Firmenwagen muss ich auch zurückgeben.«

Sie schlang ihre Arme um seine Schultern und sagte: »Kopf hoch, uns wird schon was einfallen.« Mehr zu sich selbst flüsterte sie auf Deutsch: »Hoffentlich!«

 

 

 

Kind Nummer 68

»Ein paar Tage nach unserer Einweisung habe ich erfahren, warum sie uns meiner Mutter weggenommen haben. Die Teufelin hat zu mir gesagt, dass meine Mutter ein schlechter Mensch sei. Eine Hure, und dass sie hofft, dass ich nicht so werden würde wie meine Mutter. Sie würde alles dafür tun, dass aus mir ein gottesfürchtiges Mädchen würde. Und alles, was ich darauf sagen konnte, war: ›Ja, Schwester Benedicta, nein, Schwester Benedicta, danke, Schwester Benedicta.‹

Bald darauf fingen die Schläge an.«

 

Kapitel 5

Elli O’Shea, Sommer 1999

Elli war von Seáns Geständnis wesentlich mehr besorgt, als sie sich anmerken ließ. Obwohl die Detektei mittlerweile gut lief, war Seáns Verdienst um einiges höher gewesen als ihr eigenes Gehalt, das sie sich selbst zugestand. Die Detektei erwirtschaftete gerade genug, um die drei Gehälter und alle laufenden Kosten zu bezahlen. Sie schrieben jetzt schon das dritte Jahr in Folge eine schwarze Null. Rücklagen hatten sie bisher so gut wie keine bilden können. Elli war sich sicher, dass Seán eine neue Stelle finden würde. Nur wann? Er hatte seine Bewerbungsunterlagen an alle seriösen Headhunting-Agenturen geschickt und durchforstete jeden Tag die Stellenanzeigen der Irish Times. Bisher leider mit überschaubarem Erfolg. Es würde Zeit kosten, die richtige Stelle zu finden. Das Problem war nur: Zeit hatten sie nicht. Ihr Haus musste jetzt saniert werden. Die Eingangstür ließ sich nur noch mithilfe eines Gummihammers schließen.

Elli wusste, dass sie keine Wahl hatte. Sie würde über ihren Schatten springen und sich als Kindergärtnerin bei Elephant Childcare bewerben müssen. Seán war erleichtert, als sie ihm ihren Entschluss mitteilte. Er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, aber sie hatte das kurze Aufatmen genau gesehen.

Tadhg grinste nur breit, als sie Chloe bat, ihre Bewerbung abzuschicken. »Ich wusste doch, dass du es tun würdest«, sagte er und zwinkerte Chloe zu. »Hab ich’s dir nicht gesagt? So einen lukrativen Auftrag lässt sie sich nicht durch die Lappen gehen.«

Chloe sah Elli prüfend an. Vielleicht ahnte sie, dass da mehr war, als Elli von sich preisgegeben hatte. »Kopf hoch, Boss! Das bisschen Kinderhüten wird schon nicht so schlimm werden«, versuchte sie, Elli auf eine etwas gezwungene Art aufzuheitern. »Kaffee?«

»Noch hab ich die Stelle nicht«, unkte Elli und wünschte sich nichts sehnlicher, als eine Absage zu erhalten.